Hidden Treasure von ChiaraAyumi ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Thomas Barrow war am Ziel seiner Träume angelangt. Endlich war er der Butler von Downton Abbey. Die Position, die ihm schon immer rechtmäßig zugestanden hatte. Natürlich war sein Ziel eigentlich einmal ursprünglich gewesen, Kammerdiener von Mr Crawley zu werden, doch spätestens als er den Posten als Unterbutler bekommen hatte, waren seine Augen fest auf Mr Carsons Position gerichtet gewesen. Geglaubt hatte er eigentlich schon gar nicht mehr, dass er jemals ans Ziel kommen würde. Thomas wusste, dass er nicht der Beliebteste unter den Dienern war. Er wusste genau, dass sie über ihn tuschelte, wenn er ihnen den Rücken zudrehte. Das er in ihren Augen das Monstrum war, das er auch selbst im Spiegel sah. Er ignorierte es, soweit es ging, aber nie konnte er das Gefühl völlig abschütteln, das er nur geduldet war, aber alle ihn zum Teufel wünschten. Deswegen konnte er sich nie stoppen, wenn es darum ging, den anderen Steine in den Weg zu legen, da er immer davon ausging, das es die anderen genauso machen würden, wenn er nicht ihnen zuvorkam. Er wusste, dass es seine eigene Schuld war, dass ihn die anderen nicht mochten. Doch trotz der vielen Steine in seinem Weg, die ihn immer wieder stolpern und stürzen lassen hatten, war er nun der Butler von Downton Abbey. Doch nun, da Thomas am Ziel angelangt war, fürchtete er den Fall umso mehr. Schließlich hatte ihn der Zufall mehr in diese Position gebracht, als Talent und Anerkennung. Dessen war er sich zu bewusst. Hinter jeder Ecke konnte ein Fallstrick lauern, der nächste Stein, der ihn stürzen ließ. Irgendjemand würde gegen ihn intrigieren, wie er es mit den anderen gemacht hatte. Er hatte sich schon immer distanziert den anderen gegenüber gegeben, doch jetzt wuchs die Distanz noch weiter an. Thomas stand nun über den anderen, war der erste Diener des Hauses, der wichtigste Mann im unteren Reich und doch fürchtete er die Revolution. Wenn nicht durch die anderen Angestellten, dann durch das Rad der Zeit, die Männer wie ihn auf verlorenem Posten kämpfen ließ. Wie viele Jahre würde er noch auf Downton Abbey bleiben können, bevor er nicht mehr gebraucht wurde?   Heute lag Downton Abbey still da. Alle waren ausgeflogen. Mr und Mrs Crawley waren zusammen mit Mr und Mrs Talbot sowie Tom auf einer Automesse. Den Dienern hatte er deshalb freigegeben, um unten im Dorf auf ein Fest zu gehen. Er selbst war im Anwesen geblieben, da er sich in Ruhe mit dem Zustand des Anwesens und Aufgaben als Butler beschäftigen wollte. Musste etwa das Silber geputzt werden? War genug Wein im Keller? Liefen alle Uhren korrekt? Er wollte das alles perfekt lief. Niemand sollte an seiner Arbeit etwas zu bestanden haben. Er wollte nicht, dass die anderen bemerkten, dass er nervös und unsicher war, weil er sich noch nicht an den Posten als Butler gewöhnt hatte. Obwohl Thomas jahrelang Mr Carson bei der Arbeit zugesehen hatte, musste er sich eingestehen, dass er sich niemals die Zeit genommen hatte, genau darauf zu achten, was alles unter Mr Carsons Zustandsbereich fiel und wann er genau welche Aufgabe in Angriff genommen hatte. Er hatte nur davon geträumt Butler zu werden, ohne jemals daran zu glauben. Und in Träumen gelang einem alles, ohne das man wusste, wie man es machte. Jetzt musste Thomas seine Träume in die Tat umsetzen. Ihm wäre es nie im Leben eingefallen jemanden um Hilfe zu fragen. Die ersten Tage war Mr Carson noch ständig aufgetaucht, bevor Mrs Hughes ihn gepackt hatte und dazu gezwungen hatte, sich ein anderes Hobby zu suchen. Seitdem hatte Mr Carson wohl das Gärtnern für sich entdeckt und blieb ihm zum Glück vom Hals, auch wenn er es immer noch nicht lassen konnte, Thomas bei jeder Begegnung gut gemeinte, aber vollkommen unangebrachte Ratschläge zu geben. Thomas war der Butler. Nicht Mr Carson. Es hieß von jetzt an nur noch Mr Barrow auf Downton Abbey und Thomas vergaß es nie, das den anderen unter die Nase zu reiben. Er entschied sich zunächst eine Übersicht über die Vorratskammer und den Weinkeller aufzustellen. So konnte er überprüfen, ob Mr Carsons letzte Inventur noch aktuell war und was er sonst nachbestellen musste. Das Silber hob er sich für einen anderen Tag auf. Es fühlte sich großartig an die Kontrolle zu haben und den Schlüsselbund mit allen Schlüsseln zu nahezu allen Türen zu verfügen. Zum ersten Mal konnte er sich in Ruhe umsehen, ohne das man ihn direkt verdächtigte, etwas Unerlaubtes zu tun. Das hier war jetzt sein Revier. Doch die Vorratskammer und der Weinkeller waren nicht die reizvollsten Räume für eine Erkundung. Schnell verlor es seinen Reiz durch sie zu stöbern und natürlich war Mr Carsons Inventur bis auf die letzte Bohne genau. Alles war genau dort, wo es sein sollte. Natürlich und er musste dafür sorgen, dass es genauso auch blieb. Insgeheim war er doch ein wenig enttäuscht keinen Fehler entdecken zu können. Auch wenn er den Posten als Butler bereits innehatte, wäre es sicher gut gewesen, ein Ass im Ärmel zu haben, falls man doch entscheiden sollte, dass Mr Carson zurückkehren konnte.   Thomas entschied sich, eine Kontrollrunde durch Downton Abbey zu drehen. Er wollte nach den Uhren im Haus sehen. Zumindest das war etwas, das er konnte und eine Aufgabe, die er schon immer in diesem Haus übernommen hatte. Uhren waren ihm vertraut. Er verstand ihren Mechanismus, wusste, wie er sie zum Laufen bringen konnte. Sie lagen ihm so viel besser als Menschen und erinnerte ihn an die schöne Zeit seiner Kindheit. Damals hatte er noch neben seinem Vater an der Werkbank stehen dürfen, hatte ihm Werkzeuge angereicht, während sein Vater ihm übers Haar gestrichen hatte und sich zu ihm heruntergebeugt hatte, um ihm die winzigen Zahnräder zu zeigen und ihm zeigte, wie er sie reparierte. Thomas war vor Stolz die Brust fast geplatzt, als sein Vater ihm eine kleine, kaputte Uhr zum Üben geschenkt hatte und wie breit sein Vater gelächelt hatte, als er sie nur wenige Stunden später erfolgreich wieder zum Laufen gebracht hatte. Wie seine Mutter ein kleines Festessen veranstaltet hatte und die ganze Wohnung nach Braten und Kuchen geduftet hatte. Seine Schwester hatte ihren großen Bruder so bewundert und wochenlang mit ihm angegeben. Sie erzählte jedem, der es hören wollte, wie begabt er wäre. Sein Vater hatte stolz verkündet einen würdigen Nachfolger gefunden zu haben und das sein Uhrengeschäft in gute Hände gehen würde. Die Wochen und Monate danach waren Thomas wie ein Traum vorgekommen. Nach der Schule stürmte er sofort in die Werkstatt, manchmal ging er gar nicht erst hin, um jeden Moment mit seinem Vater zu verbringen, um weiter Lob zu bekommen und seine Eltern glücklich zu sehen. Natürlich war das alles vor dem Zerwürfnis gewesen. Bevor sein Vater ihn mit einem älteren Jungen aus der Schule erwischt hatte und ihn nach wochenlangem Streit vor die Tür gesetzt hatte. Ihn quasi enterbt hatte, ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hatte und den Träumen ein Ende gemacht hatte. Er würde nie ein Uhrmacher wie sein Vater werden, schwor er sich an diesem Tag und fand kurz darauf seine erste Anstellung als Diener. Thomas hatte seine Andersartigkeit verstecken wollen. Er hatte sich mit Mädchen verabredet, hatte mehr als eins geküsst, doch nie war der Funke übergesprungen. Immer wieder hatte er sich dabei erwischt, wie er in den Umkleiden die anderen Jungs gemustert hatte. Wie ihn das erregt hatte, wie er fantasiert hatte, sie anzufassen, sie zu küssen, um schnell auf den Boden zu gucken und sich dafür zu schämen. Er wollte nicht so sein, wollte normal sein, sein Leben zurück, doch egal, wie er sich zwang, am Ende konnte er den Blick nicht von Männern lassen und suchte verzweifelt nach dem einen Mann, dem es genauso ging wie ihm. Doch er wurde immer wieder zurückgestoßen und fand sich allein wieder. Die Leute reagierten angeekelt, wenn sie von seiner Neigung hörten, und das hatte ihn immer verbitterter werden lassen. Seinen eigenen Anblick hatte er nicht mehr im Spiegel ertragen. Doch in seiner dunkelsten Stunde hatte er Freunde gefunden, die ihm geholfen hatten. Auch wenn er immer noch skeptisch war und nicht umhinkonnte zu glauben, dass sie ihm im nächsten Augenblick Steine in den Weg legen wollte, war er doch froh, dass sie ihn vor dem Schlimmsten bewahrt hatten.   Bevor er in dunkle Gedanken abtauchen konnte, hörte er plötzlich schnelles Fußgetrampel hinter sich. Überrascht drehte er sich um und sah George und Sybbie ganz aufgeregt auf ihn zukommen. Er hatte völlig vergessen, dass er gar nicht ganz so alleine im Haus, wie er gedacht hatte. Die Kinder waren natürlich mit ihrer Nanny im Haus geblieben. Scheinbar hatten sich die zwei davon gestohlen und waren zu Schabernack aufgelegt. „Mr Barrow!“, begrüßte ihn George ganz aufgeregt. „Master George und Miss Sybil, was kann ich denn für euch tun?“ George hielt ihm ein Stück gefaltetes Papier hin. Thomas öffnete es und entdeckte eine Karte vom Haus mit einem eingezeichneten Pfad und einem dicken roten Kreuz an dessen Ende. „Eine Schatzkarte“, erklärte George ihm stolz und grinste dabei über beide Ohren. Thomas bezweifelte, dass es sich um eine echte Karte handelte, da sie ihm zu sehr nach einer dieser Schatzkarten aus Piratenromanen aussah, aber er wäre der Letzte, der die Kinder enttäuschen würde, also spielte er mit. „Und was für einen Schatz sucht ihr zwei?“ Sybbie lächelte ihn freundlich an. Wie konnte sie nur von Tag zu Tag immer mehr ihrer Mutter ähneln? Er war dankbar, dass dadurch etwas von Lady Sybil im Haus blieb. Kein Verlust hatte ihn so sehr geschmerzt, wie der Tod von Lady Sybil. „Wir wissen es nicht“, sagte Sybbie. „Aber es ist bestimmt etwas Tolles. Vielleicht eine Schatztruhe mit Gold?“ „Oder voller Edelsteine. Diamanten, Smaragde, Rubine und so.“ Thomas lächelte. „Wer weiß. Auch wenn ich nicht denke, dass es in Downton Schatztruhen voll mit Gold oder Edelsteinen gibt.“ George und Sybbie sahen ihn entsetzt an. „Aber ich lasse mich gerne überraschen“, versicherte Thomas schnell. „Ich war gerade selbst auf einer kleiner Erkundungstour. Ich kann euch gerne beim Suchen helfen.“ „Juhu“, jubelten die beiden und zogen ihn mit sich. Thomas konnte Kindern nie etwas abschlagen. Kinder waren die einzigen Lebewesen, denen er nie etwas Böses unterstellen konnte, denn er erinnerte sich daran, wie unschuldig und naiv er selbst als Kind gewesen war. Manchmal besuchte er seine Schwester mit ihrer Familie und genoss es mit seinen Nichten und Neffen zu spielen. Natürlich konnte er nie an Feiertagen zu Besuch kommen. Neben der Tatsache, dass dann besonders viel in Downton los war und er nie frei hatte, wusste er, dass sein Vater dann seine Schwester besuchte und auch Jahre nach seinem Rauswurf mied er immer noch jeglichen Kontakt mit seinem Vater. Nur einmal hatten sie sich wieder gesehen, als seine Mutter im Sterben lag. Damals war er nach Hause gekommen, um sich von ihr zu verabschieden und die Beerdigung zu organisieren. Sein Vater hatte kein Wort mit ihm gewechselt und ihn nur lange enttäuscht angesehen, bevor er sich ganz von ihm abgewandte hatte. Das hatte Thomas das Herz noch einmal gebrochen. Er betrauerte an diesem Tag nicht nur den Tod seiner Mutter, sondern auch ein zweites Mal den Verlust seines Zuhauses und seiner Zukunft. Daher blieben die Besuche bei seiner Schwester spärlich und seine Zeit mit seinen Neffen und Nichten begrenzt. Umso glücklicher machte es ihn daher, dass sowohl George als auch Sybbie Gefallen an ihm gefunden hatten und nicht vor ihm zurückschreckten. Sie waren so gut zu ihm und er tat alles, um ihnen ihre Güte zurückzuzahlen.   „Wohin führt uns denn die Karte zuerst?“, fragte Thomas George und gab ihm die Karte, um ihm zu zeigen, dass er der Anführer bei dieser Expedition war. George zog die Karte zur Rate und erklärte stolz, dass ihr Weg sie in den Salon führte, wo ein Hinweis auf die nächste Station versteckt war. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg und die Kinder stürzten sich begeistert in die Suche nach dem nächsten Hinweis. Thomas verzog etwas das Gesicht bei dem Chaos, den die zwei anrichteten, als sie die Kissen vom Sofa rissen und Bücher aus den Regalen griffen, um sie zu schütteln und zu schauen, ob etwas heraus fiel. Er verkniff sich jeglichen Kommentar und räumte nur stumm hinter ihnen wieder auf, während er hin und wieder ihren Einsatz lobte und sie auf mögliche Verstecke hinwies. „Ich hab es!“, rief Sybbie stolz und kroch unter dem Tisch hervor. Sie hielt einen weiteren Umschlag mit der nächsten Karte in der Hand. Während George zu ihr stürmte, nutzte Thomas die Chance die letzten verbliebenen Bücher vom Boden zu klauben und sie wieder an ihren rechtmäßigen Platz zurückzustellen. Jetzt sah es fast so aus, als wären nie zwei Kinder durch den Salon getobt. Nun gesellte er sich zu den beiden, die noch wild am Spekulieren waren, wo der nächste Hinweis sich verstecken sollte. Thomas beugte sich über die Karte und erkannte, dass es sich bei diesem Abschnitt des Hauses um die Dienstbotenunterkünfte im obersten Stock handelte. Die Kinder quietschten vor Aufregung, da ihnen dieser Teil des Hauses völlig unbekannt war. Thomas war nur erleichtert, dass es dort für die zwei weniger gab, das sie auseinander nehmen konnten und es dann zumindest niemand von den Herrschaften sehen konnte, wenn sie dort Chaos zurückließen. „Oh ich hab nie gesehen, dass es hier eine Tür in der Wand gibt.“ George klatschte begeistert in die Hände, als Thomas ihnen zeigte, wo die Treppe zu den Dienstbotenunterkünften lag. Für die Kinder war es eine Überraschung, für Thomas eine Alltäglichkeit. Überall waren versteckte Durchgänge, Türen und Treppen, damit die Dienerschaft möglichst unsichtbar von einem Ende des Hauses zum anderen gelangen konnte. Er erinnerte sich an seine ersten Tage als Diener in Downton Abbey. Er hatte Glück gehabt, dass er hier eine Anstellung gefunden hatte. Wobei sein Glück vor allem darin bestanden hatte, das richtige Geheimnis zur richtigen Zeit gegen seinen Mitkonkurrenten auszuspielen. Als einziger Bewerber auf die Stelle hatte er sie natürlich erhalten. Er hatte vorher in einem kleineren Anwesen gearbeitet, aber er war schon immer ehrgeizig gewesen und so hatte er sich bald nach einer Stelle mit besseren Aufstiegsmöglichkeiten umgesehen. Downton Abbey schien der perfekte Ort für ihn zu sein und im Rückblick bereute er es nicht hierher gekommen zu sein. Vielleicht wäre es irgendwo leichter und schneller gegangen, doch das konnte er im Nachhinein nicht mehr feststellen und auch wenn er viele Steine in seinem Weg überwinden hatte müssen, war er doch am Ziel angelangt. „Ich hab mich damals in den Gängen verlaufen und bin an meinem ersten Tag mitten in eine Besprechung geplatzt“, erzählte Thomas den Kindern von seinem ersten missglückten Tag auf Downton Abbey, während sie die Treppe noch oben stiegen. Er war sich sicher gewesen, dass man ihn sofort feuern würde und ärgerte sich für seine Ungeschicklichkeit, doch Mr Crawley hatte ihn positiv überrascht, in dem er ihm erklärte, dass ihm das selbst als Kind passiert wäre und er selbst als Erwachsener immer noch nicht alle geheimen Gänge und Türe kannte. Mr Crawley hatte gelacht und ihm versichert, Mr Carson an der kurzen Leine zu halten, damit der Einlauf des Butlers nicht zu große Ausmaße annahm und damit war die Sache für ihn erledigt gewesen. Das war der Augenblick gewesen, an dem Thomas gewusst hatte, dass er sich auf Downton Abbey wohlfühlen würde. George strahlte bei der Geschichte. „So wie mein Großvater möchte ich auch gerne sein. Ich würde Sie niemals dafür feuern, dass sie sich verlaufen haben, Mr Barrow.“ „Das beruhigt mich sehr, Master George. Auch wenn ich sehr hoffe, dass ich mich nach mehr als 15 Jahren in diesem Haus nicht mehr verlaufe.“ George und Sybbie kicherten und hatten wahrscheinlich ein lustiges Bild vor Augen. Auch Thomas stellte sich für einen kurzen Augenblick vor, als alter seniler Mann durch Downton zu irren, bevor er sich zwang wieder in der Wirklichkeit anzukommen. Niemals würde er so lange noch auf Downton bleiben können. Wer wusste schon, ob nicht sogar in einem Monat oder zwei jemand auftauchen würde, den die Crawleys lieber als Butler hatte als ihn. Jeder Augenblick auf Downton konnte sein letzter sein, wie ihm bereits mehrfach schmerzlich bewusst geworden war. Sie erreichten das oberste Stockwerk und die Kinder schienen die Schatzsuche beinahe zu vergessen so begeistert waren sie von der ungewohnten Welt. Thomas ließ sie in die einzelnen Zimmer hineinblicken, hielt sie aber davon ab, dort herumzuschnüffeln. Stattdessen verwies er sie auf den großen Besenschrank am Ende des Flures. Wer auch immer sich die Schatzsuche für die Kinder ausgedacht hatte, hatte wahrscheinlich am ehesten dort den nächsten Hinweis versteckt. Und nach der anfänglichen Begeisterung – „Wow wie klein“ und „Guck mal wie der Besen einer Hexe“ – setzten die Kinder ihre Suche schnell erfolgreich fort und fanden eine kleine Schatulle mit einem weiteren Hinweis sowie ein wenig Schokolade als Wegzehrung. Sybbie brach von ihrer Tafel ein großes Stück ab und reichte es Thomas. Für einen Augenblick verschwamm die Welt vor seinen Augen, weil er gegen die Tränen ankämpfen musste. An Lady Sybil zu denken schmerzte ihn immer ein wenig, aber es war eine schöne Art von Schmerz, denn alle Erinnerungen, die er von ihr hatte, waren voller Güte und Freundlichkeit. Auch sie hatte mehr als einmal ihr Essen mit ihm geteilt und ihm etwas zugesteckt, als es während des Krieges zu Rationierungen kam. Er hoffte, dass die kleine Sybil ihrer Mutter in nichts nachstehen würde und hoffentlich mit einem viel längeren Leben gesegnet sein würde. Auch George entschied sich dazu, etwas von seiner Tafel abzubrechen und Thomas gab beiden Kindern eine herzliche Umarmung. Gemeinsam saßen sie auf dem Flur und aßen ihre Schokolade, während sie den nächsten Hinweis entschlüsselten, der Thomas wieder genau dorthin zurückführte, von wo aus er gestartet war: zurück in den Weinkeller.   Thomas sah, wie George und Sybbie verschwörerische Blicke miteinander austauschten, als sie sich wieder auf den Weg nach unten machten. Die zwei fühlten sich sicher, wie die größten Abenteurer. So als hätten sie gerade ein neues Land erkundet, das niemand vor ihnen zu Gesicht bekommen hatte. Er gönnte ihnen dieses Gefühl und wünschte sich selbst noch einmal ein Kind zu sein und alles aus einem neuen Blickwinkel betrachten zu können. Doch je weiter sie nach unten kamen, desto skeptischer wurde er. Die zwei konnten sich vor Grinsen und Kichern gar nicht mehr einkriegen. Erlaubten die zwei sich gerade etwa ein Spaß mit ihm? Er war jetzt sicher schon länger als eine Stunde mit ihnen durchs Haus gestrichen. Plötzlich wurde Thomas nervös. Er hatte seine Pflichten viel zu lange vernachlässigt. Nicht einmal nach den Uhren hatte er bis jetzt geschaut und die anderen kamen sicher jeden Augenblick zurück, um mit den Vorbereitungen für das Abendessen anzufangen. Es sollte kein spektakuläres Dinner geben, sondern nur eine leichte Mahlzeit, aber trotzdem sollten mindestens Mrs Patmore und Daisy schon wieder zurück sein. Thomas überlegte, wie er den Kindern erklären sollte, dass er jetzt keine Zeit mehr für die Schatzsuche hatte und dass sie an einem anderen Tag weitersuchen konnten, doch bevor er sich entschieden hatte, was er sagen konnte, um die Kinder nicht allzu traurig zu stimmen, waren sie unten angekommen. Er hörte geflüsterte Stimmen, ein Rumpeln, als wäre etwas umgefallen und war augenblicklich alarmiert. Er wollte George davon abhalten die Tür zum Aufenthaltsraum der Dienerschaft zu öffnen, doch es war zu spät. Sybbie grinste ihn breit an und ergriff seine Hand, um ihn durch die Tür zu ziehen. Und dann konnte Thomas seinen Augen nicht trauen. Das Getuschel der Kinder machte plötzlich Sinn und er wusste, wer den Kindern die Schatzkarte gemacht hatte. Sie war gar nicht für die Kinder gedacht gewesen, sondern für ihn. „Alles Gute zum Geburtstag, Mr Barrow.“ Die ganze Dienerschaft stand dort im Aufenthaltsraum. Auf dem Tisch stand ein Kuchen und es hingen ein paar Luftballons am Klavier, an dem Andy saß und begann zu spielen. Thomas begriff nicht einmal, dass ihm gerade ein Ständchen gesungen wurde, bis George ihm in den Arm zwickte. „Freuen Sie sich gar nicht, Mr Barrow?“, flüsterte er ihm zu und sah ihn mit großen Augen an. Thomas hatte gar keine Worte für das, was gerade passierte. In fünfzehn Jahren hatte noch nie jemand an seinen Geburtstag gedacht, geschweige denn, ihn gefeiert. Nicht mal Mrs O'Brien hatte gewusst, wann sein Geburtstag war. Mrs Baxter strahlte ihn an. „Jetzt freuen Sie sich doch Mr Barrow!“ Natürlich war es Mrs Baxter gewesen, die diese Geburtstagsparty für ihn organisiert hatte. Nur sie kannte ihn gut genug und würde so etwas für ihn tun. „Gebt ihm doch eine Sekunde“, warf Anna ein, die ihren Sohn auf dem Arm hatte, während Mr Bates hinter ihr stand. „Ich glaube Mr Barrows Herz ist vor Schock stehen geblieben“, erklärte Daisy inbrünstig. „Wir haben Mr Barrow zu Tode erschreckt.“ „Ach sei still Daisy. Man kann niemanden so schnell zu Tode erschrecken“, schimpfte Mrs Patmore. „Ich habe ihnen einen Kuchen gebacken, Mr Barrow. Sie müssen ihn anschneiden. Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“ Thomas begann zu weinen. Er barg sein Gesicht in den Händen und schämte sich für all die schrecklichen Dinge, die er getan hatte. Zu jedem Einzelnen in diesem Raum war er gemein und unerträglich gegenüber gewesen und trotzdem waren sie alle hier und hatten sich die Mühe gemacht für ihn ein kleines Fest vorzubereiten. Noch nie hatte er sich so willkommen und akzeptiert gefühlt wie in diesem Augenblick. Es stimmte: Nicht alle Schätze bestanden aus Gold und Silber. Dieser hier war viel kostbarer als jeder materielle Reichtum. „Danke“, flüsterte er, und dann noch einmal lauter. „Danke.“ Mehr brachte er nicht heraus, doch an den lächelnden Gesichtern erkannte, dass sie ihn verstanden hatten. George und Sybbie umarmten ihn und erhielten als Belohnung ihrer Schatzsuche die zwei größten Kuchenstücke, die ihnen Thomas großzügig abschnitt, um sich für die Schokolade zu revanchieren. Gemeinsam saßen sie alle um den Tisch, plauderten, sangen und hatten Spaß. Thomas konnte immer noch nicht glauben, was um ihn herum gerade geschah, aber er wusste, dass er alles dran setzten würde, dass er noch eine lange Zukunft auf Downton vor sich hatte, denn hier war er zu Hause und hier würde er solange bleiben, wie er akzeptiert wurde. Als Butler hatte er schließlich hier das Sagen. „Und jetzt zurück an die Arbeit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)