Zeit der Kolibris von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Die Erkenntnis traf sie wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht und ohne die Hand des Mannes zu ergreifen, schnappte sie unüberlegt: „Dann sind Sie der Regiss …“, griff sich jedoch sogleich an den Mund. „Ja, genau, der bin ich“, kollerte er, sie unterbrechend. „Herr Krumbiegel.“ „Korrekt“, bemerkte er und zog seine Hand zurück, jedoch noch immer laut lachend fuhr er fort: „Sie kennen mich wohl aus dem Vorabendprogramm. Haben da meinen Namen gelesen. Ich habe da jeweils einige Folgen von Praxis Bülowbogen, Großstadtrevier und auch dem Traumschiff gemacht.“ „Das … das …“, stammelte sie, „… schaue ich nicht. Vorabendserien überhaupt nicht.“ „Ach nein?“ Wieder lachte er laut heraus und neigte sich über die Lehne seiner Bank hinweg. „Nun muss ich zu meiner Ehrenrettung sagen, dass das Traumschiff zur Hauptsendezeit im ZDF kommt.“ „Schaue ich nicht“, entgegnete sie knapp und holte tief Luft. „Ich auch nicht“, gab er prompt zurück. Simone stutzte, schüttelte den Kopf und fragte sich, wie sie das Letztgesagte verstehen solle, meinte sie doch ein fast lausbübisch-provozierendes Blitzen in seinen Augen wahrzunehmen. „Und wie steht’s um mein letztes Meisterwerk, Fähre in den Tod?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Der Untergang der Autofähre Estonia“, fuhr er erklärend fort und sah sie unverwandt an. „Weiß ich nicht, kenne ich nicht“, erwiderte sie. „Das lief dereinst auf Sat1.“ „Wie gesagt, ich schaue kaum fern“, sagte sie abwehrend. „So?“, schnaubte er, „dann begeben sie sich am Samstagabend nicht gern auf eine Traumreise quer über den Ozean?“ „Nein, ganz bestimmt nicht. Und ich gehe auch nicht gern mit irgendwelchen Autofähren unter, denn dazu fehlt mir einfach die Zeit“, blaffte sie und wieder nahm sie dies Blitzen in seinen Augen wahr, sah zugleich auch, wie es um seinen Mund zuckte. „Mir auch“, erwiderte er lakonisch, winkte ab, hob dann den die Hand. „Aber …“ „Sagen Sie mal“, unterbrach sie ihn unwirsch, „was soll das hier werden? Wollen Sie mir mit ihren Filmen ‘nen Knopp an die Backe labern?“ Er grinste daraufhin noch breiter, musterte sie eingehend, sagte dann augenzwinkernd: „Sie sind von entwaffnender Offenheit“, wurde jedoch ernst, als Simone nicht reagierte. „Verzeihen Sie“, schob er leiser, wenngleich noch immer kollernd hinterher, „es war nicht meine Absicht, Sie …“ „Schon gut“, fuhr sie ihm barsch ins Wort und wandte sich ab, um ihm zu signalisieren, dass das Gespräch für sie beendet war. Auch nahm sie wahr, dass er Anstalten machte, sich zurückzuziehen, doch gerade, als sie dachte, er lasse nun endgültig von ihr ab, drehte er sich erneut um. „Darf ich Sie auf den Schreck hin zu einem Kaffee einladen? Und den jungen Mann zu einer Cola? Matthias, nicht wahr?“ Matthias gab einen unartikulierten Laut von sich, nickte dann heftig und lachte übers ganze Gesicht. „Und ich bin der Heiner“, fuhr Krumbiegel fort, „ich mache Filme“ und reichte ihm die Hand. Doch Matthias ignorierte sie, klatsch stattdessen in die Hände und warf den Kopf in den Nacken, während er noch lauter lachte. „Prause“, rief er, zum Himmel aufblickend und ballte seine Hände zu Fäusten. „Und Pfannkuhen …“, krähte er, so laut, dass sich einige der Mitfahrenden umsahen, empört, ob des Lärms. Simone hatte die Szene bisher mit angehaltenem Atem beobachtet, doch war ihre Erregung ins Unerträgliche gestiegen, sodass es sie nun drängte, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Da aber rief Matthias: „Heine … Film …“ und klatschte wieder in die Hände. Von Krumbiegel kam ein lautes Schnauben, dann ein ebenso lautes wie polterndes: „Ja, richtig“, und er deutete nickend auf sich, „Film.“ „Film, Film, Film“, erwiderte Matthias. „Und Pfannkuhen und Prause.“ „Ja, auch das“, stimmte Krumbiegel zu. „Also keine Cola?“ Matthias schüttelte den Kopf, lachte prustend und begann mit den Füßen zu trampeln, so als wolle er wegrennen. Rasch versuchte Simone ihren Arm um seine Schultern legen, um ihn zu beruhigen, doch er entzog sich ihr und krähte gen Himmel blickend. „Keine Cola, keine Cola … Prause, Prause!“ „Na, nun wird’s aber bald, oder?“, kam’s von irgendwoher aus dem Kahn. „Das ist hier kein Tollhaus.“ „Sie sind zu laut“, zischte Simone daraufhin Krumbiegel durch zusammengepresste Zähne an und herrschte dann: „Sehen Sie denn nicht, dass Sie Matthias vollkommen durcheinanderbringen“, zog ihren Sohn nun doch in die Arme. Der aber machte sich sofort wieder frei. „Film“, krakeelte er, „der Heine …“ und trampelte wieder auf, sprang gar von seinem Sitz hoch und brachte den Kahn zum Schaukeln, so, wie zuvor Krumbiegel, der, ungeachtet der Zurechtweisung aus voller Kehle lachte und nun seinerseits in die Hände klatschte. „Also, das ist doch wohl“, drang es da wieder an Simones Ohr. Und dann: „Wenn Sie sich da vorne nicht benehmen können, muss ich Sie ersuchen, das Boot an der nächsten Haltestelle zu verlassen.“ Keine fünf Minuten später fanden sich alle drei auf einer Wiese wieder. Krumbiegel, halb in die Knie gegangen, hielt sich kollernd auf seinen Oberschenkeln abgestützt und wirkte so, als müsse er sich übergeben, doch lachte er aus voller Kehle. „So etwas …“, setzte er an, wurde jedoch von Matthias unterbrochen, der ebenso laut lachend um ihn herumtanzte und in die Hände klatschte. „Pfannkuhn und Prause“, wieherte er. Nur Simone fühlte sich elend, aufgeregt und wusste nicht, wie sie dem Treiben beikommen sollte. „Matthias“, rief sie, gegen den Tumult kaum ankommend. Und noch einmal: „Matthias.“ „Ach, lassen Sie ihn doch“, warf Krumbiegel ein und hob die Hand und an Matthias gewandt rief er: „Macht Spaß!“ Dieser riss die Augen weit auf und brauste Krumbiegel ein: „Ja“ entgegen. „Hören Sie endlich auf, meinen Sohn … Matthias …“, rief Simone erneut. „Matthias, komm her, wir wollen …“ „Du willst rennen, stimmt’s?“, warf Krumbiegel da ein und Matthias machte einen Luftsprung, klatschte dazu in die Hände. „Dann los“, rief ihm der Regisseur zu. „Los!“, und machte eine eindeutige Kopfbewegung. „Renn los, so schnell du kannst. Ich will sehen, wie schnell du kannst.“ „Spinnen Sie“, schnappte Simone und hörte ihren Herzschlag in den Ohren hämmern. „Was … was mischen Sie sich ein. Können Sie uns nicht endlich …“ „Verzeihen Sie, Frau …“ „Falkenstein“, schmetterte sie ihm entgegen und funkelte ihn an. „Und jetzt lassen Sie uns endlich in Ruhe.“ „Aber Sie sehen doch, Ihr Junge …“, erwiderte er leicht außer Atem und kam auf sie zu. Der Jüngste war er gewiss nicht mehr. Sie schätzte ihn auf Mitte 60. Und trotz der sommerlichen Temperaturen trug er eine Jeansjacke, wie Simone auffiel, und darunter einen Pullover. Er sah sie aus runden Brillengläsern unverwandt an, lächelte jedoch weiterhin. „Ihr Sohn“, setzte er wieder an und wandte sich kurz um, dem davonrennenden Matthias ein „Bravo!“ zujohlend, fuhr sich dann durchs Haar, das ihm in die Stirn hing, ein wenig verstrubbelt, und rief, sich die Hände wie ein Rohr vor den Mund haltend, noch einmal: „Ja. Bravo!“ „Sagen Sie mal, was bilden Sie sich eigentlich ein?“, krächzte Simone matt. „Frau Falkenstein“, wandte sich Krumbiegel da wieder an sie, „ich bilde mir nichts ein. Ihr Junge wollte rennen, nichts weiter – und sehen Sie, was für eine Freude es ihm macht.“ Matthias lief, nun um beide herum und hielt dazu die Arme ausgestreckt. „Fliegzeug“, rief er, warf den Kopf in den Nacken, geriet jedoch plötzlich ins Straucheln, fiel. „Aua“, machte er, dann war er im hohen Gras verschwunden. Simone durchzuckte es, schon stürzte sie auf ihren Sohn zu. „Das haben Sie nun davon“, schrie sie und dann erneut: „Was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie … Sie …“ Auch Krumbiegel hockte sich neben Matthias, knuffte ihn. „Na, so schlimm?“, fragte er und Matthias, vor ihnen auf dem Rücken liegend, blinzelte einige Male, dann schüttelte er den Kopf, streckte die Arme aus. „Getolpert.“ „Und außerdem spricht er falsch, wenn er sich aufregt“, jammerte Simone, „und das soll er nicht. Das ist alles Ihre Schuld.“ Krumbiegel ging nicht auf sie ein, reichte Matthias die Hand, zog ihn wieder auf die Beine. „Noch mal rennen?“, fragte er, doch Matthias schüttelte den Kopf. „Pannkuhn, Prause. Jetzt!“, kommandierte er. „Gut, dann jetzt …“, setzte Krumbiegel an, wurde jedoch von Simone, die sich leicht taumelig fühlte, unterbrochen. „Jetzt reicht es mir aber, Sie sind übergriffig. Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, dann hole ich die Polizei.“ Sie spie die Worte aus, wohl so heftig, dass Matthias zu wimmern begann. „Jetzt sehen Sie, was Sie angerichtet haben – zuerst verderben Sie uns die Fahrt und dann … dann …“ „Na, an allem trage ich nun nicht die Schuld. Aber das Geld für die Fahrt …“ Er unterbrach sich, klopfte die Taschen seiner Jeansjacke ab, zog sein Portemonnaie heraus, sah hinein, grinste Simone dann schelmisch-verlegen an, „gebe ich Ihnen sofort nachher wieder – ich habe jetzt leider nichts dabei, außer meiner Karte. Und da es hier keinen Automaten gibt …“ „Behalten Sie Ihr Geld“, pfefferte sie ihm entgegen, nahm ihren Sohn bei der Hand und wollte mit ihm, ungeachtet seiner Tränen, zur nahegelegenen Straße hinauf. Doch er entzog sich ihr wiederum. „Nein, hier“, beharrte er und als sie wiederum nach seiner Hand greifen wollte, schon der Verzweiflung nah, dass sie der Situation nicht mehr Herr werden würde, stampfte er fest auf. „Hier, Pannkuhn, Prause!“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)