Ein Tropfen der Ewigkeit von Daelis ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Schon seit ich aufgestanden war, um einen kleinen Spaziergang durch Suramar zu machen, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass etwas in der Luft lag. Ich hatte auch in jeder anderen Nacht ein wenig das Gefühl, dass Nachtelfen – und zwar alle Nachtelfen – irgendwie ein bisschen seltsam drauf waren, aber heute drehten gefühlt alle am Rad. Was war denn nur los? Überall liefen Pärchen händchenhaltend herum, standen Leute zusammen, tuschelten und kicherten, oder hingen bunte Papierlaternen vor ihre Häuser. Kopfschüttelnd streunte ich in Richtung des Mondtempels, wo ich sicher nicht nur Tyrande fände, sondern auch die beiden Stormrage-Brüder, die im Zentrum der Umbrüche stehen würden, die den Nachtelfen bevorstanden. Sie ahnten ja nicht, wie bald sie alle um ihr Leben würden kämpfen müssen. Viele von ihnen würden sterben. Die Dämonen der Brennenden Legion würden die ganze Stadt überrennen, während die Königin, zu der das Volk so aufblickte, alles mit einem Lächeln überblickte. Azshara juckte es einen Scheiß, was mit den Kal’dorei hier draußen passierte. Sie erachtete allein die Hochgeborenen, die nah ihres Palastes lebten, als würdig genug, um Teil ihres Volkes zu sein. Die Frau war noch arroganter als Kael’thas Sunstrider und das wollte schon was heißen. Nachdenklich blieb ich vor dem Tempel von Elune stehen, über dessen großem Eingangsportal gerade eine Kette von hellblauen Laternen mit Mondsicheln darauf angebracht wurde. Erst bei diesem Anblick dämmerte mir, was Suramar heute so geschäftig wirken ließ. Das Mondfest! Mental schlug ich mir vor den Kopf. Ich kannte das Fest aus World of Warcraft, doch nach meiner etwas holprigen Ankunft in dieser Welt und Zeit hatte ich keinen Gedanken an Feiertage verschwendet, sondern mir das Hirn vor allem darüber zermartert, wie ich hier überleben und möglichst viele Nachtelfen vor der bevorstehenden Katastrophe retten könnte. Die Idee, mich offen gegen Königin Azshara und ihren Berater Xavius auszusprechen, hatte ich direkt wieder verworfen. Das Volk liebte die Königin abgöttisch und als eine völlig Fremde, die obendrein etwas seltsam aussah, würde niemand mich ernst nehmen, wenn ich vor ihren Machenschaften und der Legion warnte. Noch wusste offiziell ja auch keiner, dass in ihrem Palast Portale geöffnet wurden, durch die Dämonen nach Azeroth strömten. Azshara war blind für die wahre Macht Sargeras‘ und naiv in ihrem Glauben, der Herr der Legion würde ihr Gemahl, mit dem dann gemeinsam über das Volk der Kal’dorei herrschen würde. Still seufzte ich in mich hinein. Das hier war vermutlich für eine ganze Weile die letzte Chance, ein bisschen zu feiern, ehe die Dämonen erst die Hauptstadt Zin-Azshari heimsuchten und sich dann immer weiter ihren Weg gen Westen nach Suramar bahnten. Ob ich vielleicht mit Cenarius über meine Sorgen die Zukunft betreffend sprechen könnte? Er musste Malfurion in jedem Fall rechtzeitig Einblick in den Smaragdgrünen Traum gewähren, damit der Druide bemerkte, was im Palast vor sich ging. Nur so könnte er eines der Portale stören und die Ankunft der Dämonen verzögern sowie Tyrande, Illidan und seinen Shan’do warnen. Das war essentiell, sofern die Nachtelfen von Suramar eine Chance haben sollten, zu überleben. Und nicht nur sie, auch die umliegenden Dörfer waren in Gefahr. Hunderte, wenn nicht tausende von Kal’dorei, die seit quasi einer Ewigkeit friedlich vor sich hinlebten und in ihrer Unsterblichkeit den Höhepunkt ihrer Kultur genossen, bevor alles in sich zusammenbräche. Es würde lange dauern, bis das Volk sich vom Schrecken der Legion erholte und doch wären sie dann nicht mehr die gleichen. Die Magie, die jetzt jede Straßenecke beherrschte, an der kleine Lichter funkelten und die Nacht erhellten, würde verpönt. Die Adeligen, die man als Hochgeborene kannte und die sich dank ihrer Magiebegabung über die Masse erhoben, würden fortgehen, um Silbermond zu gründen und zu Hochelfen zu werden. Doch all das war Zukunftsmusik und wäre nur möglich, wenn die Legion nicht vorher alle Nachtelfen auslöschte. Ich war so in meine düsteren Gedanken versunken, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte, dass jemand an mich herangetreten war. Erst als mein Name fiel und das, so wie es klang, nicht zum ersten Mal, blickte ich auf und direkt in die golden leuchtenden Augen Illidan Stormrages. „Daelis? Stimmt etwas nicht? Du wirst geistesabwesend.“ Ertappt zuckte ich zusammen und zwang mich eilig zu einem Lächeln. „Nein, nein, alles gut. Ich war nur in Gedanken, das ist alles“, meinte ich an den hochgewachsenen Kal’dorei gewandt, dem ich kaum bis zur Schulter reichte, selbst wenn man meine hochstehenden Elfenohren mitzählen wollte. Ungewöhnlich groß war Illidan damit nicht einmal, vielmehr war ich auffällig klein im Vergleich zu den Nachtelfen um mich herum. Faktisch jeder überragte mich um etwa eine Haupteslänge. Ein Wunder, dass man mich zu Beginn nicht für ein Kind gehalten hatte. Allerdings hob ich mich in meiner Erscheinung auch in anderen Punkten merklich von den Kal’dorei ab. Wären nicht die spitzen Ohren und die blau leuchtenden Augen, hätte man mich wohl für einen Menschen halten können, doch Nachtelfen hatten blauviolette Haut und unterschieden sich schon dadurch markant von mir. Aller Skepsis, die mir an jeder Ecke in Form schräger Blicke entgegenschlug, zum Trotz zweifelte zumindest niemand an, dass ich eine Elfe war. Zum Glück, denn Menschen kannte man hier nicht. Die würden erst in ein paar tausend Jahren das Königreich Lordaeron gründen. Noch gab es nicht einmal den passenden Kontinent, weil Kalimdor noch nicht durch die Zerstörung des Brunnens der Ewigkeit entzweigerissen worden war. Lange würde es nicht mehr dauern. Der Brunnen der Ewigkeit war nur ob der mächtigen Magien, in Sageras‘ Blickfeld gerückt. Mit seiner Kraft plante der Herr der Brennenden Legion, ein Portal zu errichten, das ihm standhalten konnte. Gelänge ihm das, wäre Azeroth verloren. Niemand hier hatte die Macht, sich dem gefallenen Titanen entgegenzustellen. Mal abgesehen davon, dass er mit seinem Plan den Dreien in die Tentakel spielte, deren Gefängnis der Brunnen der Ewigkeit versiegelte. Wenn die alten Götter freikämen, welche von den Titanen einst eingesperrt worden waren, wäre womöglich selbst Sargeras nicht in der Lage, ihnen Einhalt zu gebieten. Ein bitterer Gedanke, dass sogar ein so mächtiges und kluges Wesen am Ende auch benutzt wurde. Für diese Welt war es letztlich fast gleich. Egal, ob Sargeras siegte oder die Drei, für die Völker Azeroths wäre es das Ende. Die Legion würde jedes Leben auslöschen, endgültig und gnadenlos, während die alten Götter alles in Finsternis tauchen würden, ehe sie die Titanenseele verschlangen, die in dem Planeten heranreifte. Noch etwas, von dem in diesem Moment niemand außer mir auch nur etwas ahnte. Diese Welt, wie ich sie kannte, würde erst in etwa 10.000 Jahren sein, einem Zeitraum, den ich mir nicht einmal richtig vorstellen konnte. Es gab noch so vieles, was passieren müsste. Doch das meiste wäre nur möglich, wenn Azeroth diese düstere Episode überstand und dafür brauchte ich jede Hilfe, die ich kriegen konnte. Allen voran jedoch benötigte ich Malfurion, Tyrande und Illidan. Zusammen mit Maiev, Jarod und Cenarius, grübelte ich weiter, hätte ich die wichtigsten Kerncharaktere auf meiner Seite. Bisher war es mir immerhin gelungen, mich mit dem Trio aus Tyrande und den Stormrage-Brüdern anzufreunden, was zugleich Zugang zu Cenarius gewährte, dessen Hain ich mit den drei Kal’dorei schon mehrmals besucht hatte, auch wenn das Glück, den Halbgott zu treffen, mir verwehrt geblieben war. Wie gerne hätte ich mich einfach selbst in den Palast geschlichen und dort nach ein paar Leuten gesucht, die nicht blind waren in ihrer Anbetung für Azshara. um ihnen zu erzählen, welches Unheil Xavius und seine Magier beschworen, doch mich ließe man niemals auch nur in die Nähe des Sitzes der Königin. Spätestens im Palastviertel, in dem die Hochgeborenen lebten, wäre Schluss für mich und dort fiele ich vermutlich bereits auf wie ein lästiges Ärgernis. Und genau das war ich im Grunde für die Königin und Xavius, wenn man bedachte, dass ich mit dem festen Vorsatz, der Legion die Tour zu vermasseln, hier herumdackelte. Eine warme Hand auf meinem Rücken riss mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. „Gehen wir?“ Fragend sah mich Illidan an. Ich schaute genauso fragend. Wovon sprach er? Eigentlich gehörte es zu unserer Routine, dass wir uns vor dem Tempel trafen, wo dann Tyrande zu uns stieß, soweit es ihre Pflichten erlaubten. Irgendwie hatte sich dieser Tagesablauf oder vielmehr Nachtablauf bei uns eingependelt. Allerdings war im Moment weder etwas von der zukünftigen Hohepriesterin noch von dem Druiden zu sehen. Illidan schmunzelte vielsagend. Er brauchte gar nichts sagen. Ich verstand auch so, dass er genau wusste, dass ich ihm nicht zugehört hatte. „Entschuldige“, seufzte ich leise. „Vielleicht bin ich heute doch ein wenig in Gedanken. Wieso warten wir nicht auf Tyrande? Und wo steckt Malfurion?“ Ein kurzes, verräterisches Zucken bemächtigte sich Illidans Mundwinkel, ehe der Nachtelf lächelte. „Morgen Nacht ist Mondfest. Sie planen bestimmt“, erwiderte er, als sei das schon Erklärung genug. „Ja, und?“, wollte ich irritiert wissen. Soweit ich informiert war, handelte es sich beim Mondfest in etwa um das asiatische Neujahrsfest. Gab es da besondere Pflichten für Mondpriester? Eigentlich naheliegend, aber Malfurions Abwesenheit erklärte es nicht, denn der würde wohl kaum im Tempel aushelfen. Der Priesterorden bestand zu dieser Zeit ausschließlich aus Frauen, denen man nachsagte, der Göttin näher zu sein. Selbst in tausenden von Jahren wären männliche Priester absolute Raritäten. „Sag bloß, du kennst das Mondfest nicht?“ Illidans Stimme schwankte zwischen Unglauben und Amüsement. Brummend knuffte ich den Elfen gegen die Schulter, doch der lachte nur. „Am Mondfest finden sich Paare zusammen, um im Schein von Elunes Licht das neue Jahr gemeinsam zu beginnen. Man sagt, so wie das Jahr beginnt, so wird es auch enden, so Elune dem Paar ihren Segen gibt.“ Wow, das war ziemlich kitschig, aber erklärte, wieso hier überall Pärchen herumwuselten und weshalb der Mondtempel geschmückt wurde. Ich konnte mir gut vorstellen, welcher Andrang dort zum Mondfest herrschen würde. Wenn das Fest gleichzeitig ein bisschen wie Valentinstag unter Elunes Schirmherrschaft funktionierte, dann gäbe es morgen Nacht sicher eine endlose Schlange von Liebespaaren, die den Segen der Mondgöttin erbitten wollten. Tyrande hätte also alle Hände voll zu tun und war vermutlich froh, wenn sie überhaupt Freizeit hatte, die sie an so einem Feiertag mit ihm geliebten Malfurion verbringen konnte. Armer Illidan! Im Buch hatte es geheißen, ihre Wahl wäre noch nicht gefallen gewesen, aber das hatte wohl nicht der Wahrheit entsprochen. Tyrande hatte sich ziemlich eindeutig entschieden, wenn sie heute mit Illidans Zwilling und nicht mit ihm unterwegs war. Armer Illidan! Tröstend legte ich eine Hand auf seinen Arm. „Komm, lass uns nicht hier herumstehen. Davon werden wir auch nicht klüger“, versuchte ich, den Nachtelfen abzulenken. Wenn er darüber grübelte, dass er hier den Korb des Jahrhunderts bekommen hatte, half ihm das auch nicht. Dann könnten wir unsere Zeit sinnvoller verbringen und uns dem Studium der Magie widmen! Dank Malygos‘ Unterricht konnte Illidan sogar das eine oder andere von mir lernen, auch wenn uns beiden wohl klar war, dass er viel vertrauter mit den arkanen Mächten umging als ich. Hochbegabung gepaart mit jahrelanger Erfahrung konnten selbst die Lehren eines Aspektes nur bedingt ausgleichen. „Was hältst du davon, wenn wir dann morgen in die Bibliothek gehen und“, begann ich, doch Illidan schüttelte den Kopf. „Man wird uns nicht einlassen. Das Mondfest“, erinnerte er mit gerunzelter Stirn und schiefem Lächeln. Mist. Scheißfest! „Aber wir könnten heute noch einmal das Kapitel über die Verstärkung von Leylinien angehen“, wechselte der Elf abrupt das Thema und bot mir dabei seinen Arm an. Lächelnd hakte ich mich ein. „Vielleicht finden wir einen Weg, die örtliche Linie zu stärken. Das könnte sich später als nützlich erweisen“, stimmte ich zu. Wie bald dieses später war, ahnte er ja nicht. „Wer immer das hier geschrieben hat, gehört geschlagen“, brummte ich missmutig, bevor ich den dicken Wälzer vor mir zuschlug. Gähnend lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und warf einen Blick zu Illidan, der aussah, als schlafe er gleich über seinem Buch ein. Man könnte wirklich meinen, dass sich die Autoren dieser magischen Schriften zusammengetan haben, um möglichst unspannend zusammenzufassen, wie Leylinien funktionierten. Wobei sie dabei sogar noch verschiedene Theorien aufgestellt hatten, die sich aber dann wiederum gerne aufeinander bezogen. „Wenn das Ziel dieser Texte war, die Leser zu Tode zu langweilen, haben die Magier ihren Job echt gut gemacht“, jammerte ich weiter, womit ich Illidan ein leises Glucksen entlockte. „So schlimm ist es nicht“, widersprach er recht halbherzig, sodass ich nur demonstrativ mit den Augen rollte, bevor ich voller Ironie erwiderte: „Nein, gar nicht. Ich habe dich eben schnarchen hören.“ Dieses Mal lachte der Elf etwas lauter und schob sein Buch ein Stück von sich. „Lassen wir es für heute Nacht gut sein. Der Morgen wird ohnehin bald grauen“, befand er. „Klingt gut. Wenn ich noch so einen Satz im Stile Kants lesen muss, spiele ich hier Fahrenheit 451“, ächzte ich übertrieben. Illidans fragenden Blick ignorierte ich einfach. Natürlich sagten ihm weder Kant noch das Buch Fahrenheit 451 etwas. Vielleicht sollte ich besser aufpassen, was ich von mir gab. „Gehen wir.“ Illidan erhob sich und griff im gleichen Zuge nach dem Buch vor sich, wohl um es zurückzustellen. Seufzend folgte ich seinem Beispiel. „Du siehst heute übrigens wirklich hübsch aus“, ergriff der Nachtelf neben mir das Wort, als die Tür der Bibliothek Suramars hinter uns ins Schloss fiel. Verdattert sah ich zu ihm hoch. Wie kam er bitte auf den Unfug? Die letzten Nächte hatte ich grauenhaft geschlafen, weil mich die Angst vor der Legion umtrieb und die daraus resultierenden Augenringe erinnerten schon fast an einen Waschbären. „Gibt nicht viele Elfen mit goldenem Haar, aber ich mag es. Es ist außergewöhnlich, genau wie du“, fuhr der Nachtelf fort, dessen Wangen sich verräterisch pink gefärbt hatten. Ich blinzelte verwirrt. Dass mir jemand Komplimente machte, war ich ohnehin nicht gewohnt, aber angesichts der Tatsache, dass ich wirklich vorne und hinten nicht dem nachtelfischen Schönheitsideal entsprach, klangen Illidans Worte nur noch merkwürdiger. Es war ja nicht so, als wüsste ich nicht zu schätzen, dass er sich bemühte, mir das Gefühl zu geben, nicht sonderbar zu sein, aber dieser Versuch ging im Moment eher nach hinten los. „Wir beide unterscheiden uns von allen anderen. Nicht nur durch unsere Magie, sondern auch durch unser Aussehen. Es verrät, dass wir besonders sind“, fuhr Illidan fort. Ah, daher wehte der Wind! Seine goldenen Augen galten unter Nachtelfen als Zeichen dafür, dass ein Elf ein großes Schicksal vor sich hatte. In einigen tausend Jahren würde man aber wissen, dass es vielmehr mit der natürlichen Neigung zu druidischen Kräften zusammenhing. „Es braucht kein Zeichen, das dir sagt, dass du besonders bist, Illidan“, merkte ich an. „Unsere Taten sind es, die entscheiden, wo wir stehen.“ Zögerlich nickte der Elf, schwieg jedoch. Keiner von uns beiden durchbrach die Stille, während wir der gewundenen Straße durch Suramar folgten, die uns zum Zuhause der Stormrage-Brüder führte. Mein derzeitiges Heim befand sich nur zwei Gebäude weiter in einer kleinen Gaststube, in der ich ein Zimmer im obersten Geschoss bezogen hatte. Kurz bevor wir das hübsche Haus aus magisch verwobenem Holz und Stein erreicht hatten, blieb Illidan jedoch abrupt stehen. Überrascht hielt ich wenige Schritte vor ihm an und wandte mich um. „Stimmt etwas nicht?“, wollte ich verwundert wissen. Der Elf schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte dich nur im Schein des fast vollen Mondes sehen, ehe er wieder hinter den Wolken verschwindet.“ Wäre Illidans Blick nicht so ernst gewesen, hätte ich das wohl für einen Scherz gehalten und gelacht. Unsicher, was ich erwidern sollte, sah ich ihn an. Seine Bemerkung war zwar unfassbar kitschig, aber völlig verfehlt hatte sie ihre Wirkung eben doch nicht. Schweig still, Fangirlherz! „Wenn die Sonne morgen untergeht, möchte ich dich abholen“, erklärte Illidan, der jetzt deutlich selbstbewusster klang als zuvor. „Und wenn alle anderen Kal’dorei in Augen blicken, die silbern wie der Mond leuchten, möchte ich in deine schauen, die schimmern wie der Brunnen der Ewigkeit.“ Illidan, verdammt! Sowas konnte er doch nicht einfach raushauen! Am liebsten wäre ich im Boden versunken, aber der tat mir natürlich nicht den Gefallen, sich aufzutun, um mich zu verschlucken. „Darf ich dich morgen abholen?“ Ich könnte schwören, mein Gesicht leuchtete in schönstem Rot, als ich auf Illidans Frage hin nickte. Sofort breitete sich ein Grinsen auf den Zügen des Elfen aus. „Gut.“ Bisher war ich sicher gewesen, mich inzwischen an den getauschten Tag-Nacht-Rhythmus gewöhnt zu haben, doch an diesem Tag fand ich kaum Ruhe. Als ich mit der Dämmerung aufstand, fühlte ich mich wie gerädert. Mein linker Arm kribbelte unangenehm, weil ich wohl so darauf gelegen hatte, dass er eingeschlafen war, und gegen den verspannten Nacken half es auch nicht, dass ich versuchte, ihn ein bisschen zu massieren. Nicht unbedingt der perfekte Start in die Nacht und noch weniger, da heute das Mondfest stattfand. Hätte mich Illidan nicht eingeladen, wäre ich vermutlich alleine zu Cenarius‘ Hain gegangen, in der Hoffnung, den Halbgott endlich einmal zu treffen. Diese Welt brauchte seine Hilfe dringend. Genau genommen brauchte sie jede, die sie kriegen konnte, aber Cenarius‘ Verbindung zu Ysera wäre von entscheidender Rolle, wenn Krasus versuchte, die Drachenschwärme dazu zu bringen, einzugreifen. Dass ich den roten Drachen sowie seinen Begleiter Rhonin oder den Orc Broxigar bisher nicht angetroffen hatte, beruhigte mich in gleichem Maße, wie es mir Sorgen bereitete. Wenn die drei noch nicht durch Nozdormus Wirken in der Zeit zurück und hierher geschickt worden waren, dann bedeutete das entweder, dass ich vor ihnen hier angekommen war und mir noch Zeit blieb, weitere Vorbereitungen zu treffen, oder – und der Gedanke machte mir große Angst – dass sie nicht kommen würden und genau dadurch die Zeitanomalie entstanden war, die ich auflösen sollte. In dem Fall musste ich mir etwas überlegen, um die Drachenschwärme, die Irdenen, die Tauren und die Götter überzeugen, in dieser Schlacht gemeinsam zu kämpfen. Die Kal’dorei hier würden nicht genügen, um der Flut an Dämonen standzuhalten. Ein Klopfen lenkte meine Aufmerksamkeit gen Tür. Illidan. Perfektes Timing, denn ich hatte gerade erst das dunkelblaue Kleid zurechtgezupft, für das ich mich anlässlich des Mondfestes entschieden hatte. Die Nervosität, die ich schon beim Aufstehen verspürt und die sich dann langsam gelegt hatte, brandete unverzüglich wieder hoch. Das hier war quasi ein Valentinstagsdate, oder? Bei Elune, damit störte ich doch die Zeitlinie nicht, oder? Illidans Liebe für Tyrande würde die nächsten zehntausend Jahre überdauern. Für mich war da keinen Platz und das war in Ordnung so, schließlich gehörte ich sowieso nicht hierher und wollte heimkehren, zurück in die Zeit und Welt, aus der ich kam. Eilig schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter und eilte zur Tür, hinter der wie erwartet Illidan stand, welcher mich mit einem strahlenden Lächeln begrüßte. „Ishnu-alah“, kam mir er darnassische Gruß schon gewohnt von den Lippen. Der Kal’dorei grinste, während sein Blick prüfend an mir herab- und dann wieder hinaufglitt. „Als habe Elune selbst dich in die Nacht gekleidet“, bemerkte der Nachtelf nach eingehender Musterung, unter der ich unruhig auf der Stelle getippelt war. „Danke“, murmelte ich kleinlaut. „Du siehst aber auch hei- äh umwerfend aus.“ Das war nicht gelogen. Anders als sein Zwilling kleidete Illidan sich eher nach der Mode seines Volkes, was manchmal etwas übertrieben auf mich wirkte, aber heute machte er eine wirklich gute Figur. Weit geschnittene dunkle Hosen, auf der winzige Punkte funkelten wie Sterne, und dazu ein weißes Hemd, dessen weiter Schnitt nicht nur wenig verbarg, sondern auch einen faszinierenden Kontrast zu Illidans violetter Haut bildete. Kein Wunder, dass er in seinem Volk als gutaussehend galt. Er war heiß. „Wollen wir?“, wollte Illidan wissen, wobei er ein wissendes Lächeln zur Schau trug. War ich so durchschaubar? Vermutlich. Egal. Ich nickte und hakte mich in den angebotenen Arm ein. „Wohin gehen wir denn?“, fragte ich neugierig. „Ich möchte dir einen besonderen Baum zeigen. Er steht am Rande von Cenarius‘ Hain und ist sehr alt. In seinem Schatten können wir die Nacht ungestört genießen“, erwiderte der Nachtelf wie beiläufig. War dieser Baum in den Büchern erwähnt worden? War er wichtig? Ich hatte keine Ahnung. Hoffentlich trafen wir dort nicht auf Malfurion und Tyrande. Oder war das womöglich Illidans Plan? Wollte er Tyrande eifersüchtig machen, indem er mit mir ausging? Falls ja, war das ein ziemlich beschissener Plan, der nur in die Hose gehen konnte. Tyrande hatte Malfurion gewählt und diese Entscheidung würde sich auch in den nächsten Jahrtausenden immer wieder bestätigen, so wenig ich das auch nachvollziehen konnte. Sowohl die zukünftige Hohepriesterin als auch ihr Ehemann – und dass die beiden nach Menschenmanier heirateten, ließ mich immer noch mit den Augen rollen – würden in Zukunft so einige Herausforderungen bestehen müssen. Wenn ich allerdings versuchte, zu dieser Zeit jemandem zu erzählen, dass aus Illidan ein Dämon und aus Malfurion eine Mischung verschiedener Tiere würde, würde mir das wohl niemand abkaufen. „Wollen wir eine mitnehmen?“ Illidan nickte in Richtung eines kleinen Verkaufsstandes, an dem bunte Papierlaternen ausgestellt waren. Sie sahen fast so aus wie die aus dem Disneyfilm Rapunzel. „Au ja. Die sind wunderschön“, ereiferte ich mich aufrichtig begeistert von der Idee, selbst mal solch eine Laterne aufsteigen zu lassen. Vermutlich war es genau genommen Umweltverschmutzung, aber angesichts der Tatsache, dass das Ende allen Lebens auf Azeroth vor der Tür stand, war ein bisschen Müll wohl nicht die dringendste Sorge. Eilig kramte ich in der Tasche, die sich in den Falten meines weiten Rocks verbarg, nach ein paar Münzen, doch Illidan war schneller und reichte dem Elfen hinter dem Verkaufstresen etwas Geld. „Sucht euch einfach eine aus“, nickte der Händler uns freundlich zu, ließ es sich jedoch nicht nehmen, mich neugierig zu mustern. Man sollte meinen, inzwischen hätte mich jeder Bewohner Suramars schon einmal gesehen, aber scheinbar war das ein Trugschluss. „Welche gefällt dir am besten?“, wandte Illidan sich mir zu. „Ich finde diese dort nicht schlecht“, meinte er noch, während ich die farbenfrohe Auslage studierte. „Sie erinnert mich an die Farbe deiner Augen.“ Sofort schoss mir wieder die Röte in die Wangen. „So wie der Brunnen der Ewigkeit?“, murmelte ich leise und hatte die Worte doch gar nicht aussprechen wollen. Aus Illidans Perspektive war es ein großes Kompliment. Der Brunnen der Ewigkeit war das Zentrum der nachtelfischen Kultur und die hochangesehenen Magier bezogen ihre Macht daraus. Ich jedoch sah in dem magischen Quell vielmehr das Gefängnis der drei alten Götter C’Thun, Yogg-Saron und N’Zoth. Etwas verkrampft zwang ich mich zu einem Lächeln. „Wie findest du diese hier?“, meinte ich, auf eine dunkelblaue Laterne mit goldenen Sprenkeln deutend. „Wenn sie dir gefällt, nehmen wir sie“, entgegnete der Kal’dorei, bevor er nach der Papierlaterne griff und sich dann mit einem Nicken in Richtung des Verkäufers verabschiedete. „Hier entlang. Es ist nicht weit“, meinte der Nachtelf an meiner Seite, während er mich durch die Feiernden führte, die sich auf dem Platz vor dem Tempel eingefunden hatten. Im Schein des Vollmonds wirkte das helle Gebäude noch magischer als sowieso schon. Wie bei allen Bauwerken hier, hatte die Magie der Kal’dorei Natur und Stein verbunden. Daran könnte ich mich niemals sattsehen. Diese Einigkeit, mochte sie auch großteils erzwungen sein, war schlicht nicht mit den allgegenwärtigen, grauen Plattenbauten zu vergleichen, die es in meiner Welt zuhauf gab. Den Tempel sowie den Stadtkern Suramars ließen wir jedoch bald hinter uns, wie ich es erwartet hatte. Cenarius‘ Hain lag etwas abseits und in diese Richtung waren wir unterwegs. Gleichzeitig bedeutete das aber auch, dass es schnell ruhig um uns wurde. „Wie friedlich und still die Nacht ist“, seufzte ich erleichtert, den Trubel hinter mir gelassen zu haben. Als hätte ich mit diesen Worten das Schicksal herausgefordert, stolperte ich im nächsten Moment beinahe über eine Wurzel. „Vorsichtig!“, hörte ich Illidan noch, dann spürte ich seinen Arm um meinen Bauch. Nötig gewesen wäre das nicht, weil ich nur kurz ins Taumeln geraten war, aber ich verkniff mir eine entsprechende Bemerkung. Illidan mochte durchaus hungrig nach Aufmerksamkeit und Anerkennung sein, aber er hatte mich stets respektvoll und freundlich behandelt. Kein Grund, dass ich jetzt patzig wurde, zumal ich eine Schwäche für den Kal’dorei hatte. Die Zukunft würde für ihn viel Leid und eine sehr lange Gefangenschaft bedeuten, auch wenn Illidan das jetzt noch nicht ahnte. Das großartige Schicksal, das man ihm nachsagte, würde er jedoch erfüllen. Viel mehr als er oder sonst irgendjemand ahnen konnte. Aus ihm würde nie ein großer, berühmter Magier werden. Er würde nie in der Gesellschaft aufsteigen und sich den Hochgeborenen an Königin Azsharas Hof anschließen. Aus dem Elfen, dem jeder eine leuchtende Zukunft versprach, würde jemand, den alle nur Verräter nannten, blind für den Umstand, dass der Tag käme, an dem nicht nur die Kal’dorei, sondern die ganze Welt ihn brauchen würde. Ohne Illidan und seine Illidari hätte die Legion Azeroth überrannt, oder würde es vielmehr, denn noch trennten viele Jahrtausende Illidan von seinem Schicksal. Wie gerne würde ich ihn warnen, doch meine Worte würden auf taube Ohren stoßen. Meine Geschichte klänge zu abenteuerlich. Keiner der Kal’dorei käme auch nur auf die Idee, an der von jedermann über alles geliebten Königin zu zweifeln. „Wenn ich einst ein großer Magier bin, werde ich dir eine Sänfte bauen lassen, die dich über diese unebenen Pfade fliegt“, konnte ich Illidan leise murren hören. Damit übertrieb er nun wirklich. Und sollte diese überzogene Geste nicht sowieso eher Tyrande gelten? Apropos Tyrande. Von der jungen Priesterin war weit und breit nichts zu sehen. Genau genommen war von überhaupt niemandem etwas zu sehen. Wir waren allein. „Ich könnte dich tragen“, hauchte Illidan mir so unvermittelt ins Ohr, dass ich einen Satz machte. Sein warmer Atem hatte nicht nur gekitzelt, sondern auch einen seltsam angenehmen Schauer über meinen Rücken gejagt. „Ni-nicht nötig“, murmelte ich eilig. Sichtlich zufrieden mit meiner Reaktion und sich selbst grinste der Kal’dorei zu mir herab. „An der Seite eines starken Magiers“, wechselte er das Thema wieder, „sagt man, steht stets eine noch stärkere Partnerin. Allerdings wäre einer solchen Frau auch nur jemand angemessen, der ihr alle Wünsche erfüllen und ihr ein glückliches Leben bieten kann.“ Stolz schwang in Illidans Stimme mit. Natürlich glaubte er, so ein Magier zu werden. Seine goldenen Augen verhießen ihm schließlich ein glorreiches Schicksal. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Illidan kam mir zuvor. „Ich könnte dir so jemand sein.“ Illidans Blick suchte meinen. Unsicher zwang ich mich zu einem Lächeln. „Aber ist es nicht wichtiger, einen Partner zu finden, den man aufrichtig liebt und der diese Liebe erwidert?“, versuchte ich, den Enthusiasmus des Elfen zu bremsen. „Mir wäre es völlig egal, ob jemand ein großer Magier ist und ich bin sicher“, fuhr ich fort, hielt dann aber inne. Ich war sicher, das galt auch für Tyrande. Aber das wusste Illidan längst, immerhin hatte sich die Priesterin heute mit seinem Bruder Malfurion verabredet, obwohl objektiv er die bessere Wahl war. Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und sah zu Illidan auf. Dessen Miene verzog sich und für einen Moment war ich sicher, ihn verärgert zu haben, aber dann nickte der Elf. „Du hast recht“, gab er leise zu, ehe er nach meiner Hand griff, mit der ich mich bei ihm eingehakt hatte. Ohne ein weiteres Wort führte der Nachtelf meine Finger an seine Lippen, um dann einen Kuss darauf zu hauchen. „Um dich zu werben, ist ein Privileg“, meinte er leise, wobei er mir einen vielsagenden Blick über meine Hand hinweg zuwarf, er seine Wirkung nicht verfehlte. Wenn das so weiterging, bekam ich noch einen Herzkasper. Umso mehr tat mir leid, dass vor ihm so wenig Schönes lag. Sein ganzes Leben stünde im Dienst einer einzigen Aufgabe: Die brennende Legion aufzuhalten. Die Dunkelheit der Nacht senkte sich über uns herab, sodass bald nur noch die Sterne am Firmament und der silberne Vollmond die Umgebung erhellten. Anfangs hatte ich mich damit schwergetan, doch mittlerweile hatten sich meine Elfenaugen daran gewöhnt und ich konnte selbst im Dunkeln gut sehen, viel besser, als es mir als Mensch möglich gewesen wäre. Ob das daran lag, dass die Augen aller Elfen leuchteten? Den eindrucksvollen Baum, dessen leise im Wind rauschende Krone sich jetzt über uns erhob, hätte ich auch als normaler Mensch selbst nachts nichts übersehen können. Er ragte wie ein Bollwerk am Rande von Cenarius‘ Hain empor, dessen Grenze ich zwar nicht sehen, aber sehr wohl spüren konnte. Wie ein magisches Flüstern, das mir zuraunte, dass nur wenige Schritte weiter das Zuhause eines sehr alten und mächtigen Geschöpfes lag, welches zu stören mir nicht zustand. Wie seltsam. Dabei war Cenarius‘ Magie ganz anderer Natur als die arkanen Kräfte, derer ich mich bediente. Die Macht des Halbgottes lag in der Erde, in den Bäumen und Pflanzen, während meine ihren Ursprung in den Leylinien hatte, die Azeroth wie Adern durchzogen. Erst nach einigen Sekunden, in denen ich einfach nur das weite Netzwerk von Ästen bewunderte, welches über uns ein Dach bildete, durch das an mehreren Stellen silbernes Mondlicht fiel, bemerkte ich etwas am Fuß der mächtigen Esche. Ein helles Tuch mit schimmernden Runen lag ausgebreitet im hohen Gras. Wären nicht die magischen Zeichen gewesen, wäre mir der Picknickplatz wohl gar nicht aufgefallen. So jedoch erhellten die magischen Zeichen das lauschige Plätzchen. Zweifellos Illidans Werk. Er ließ wirklich nichts anbrennen, das musste man ihm lassen. Schmunzelnd sah ich aus den Augenwinkeln zu dem Nachtelfen hoch. „Ich habe immer gesagt, dass mehr in dir steckt, als deine magische Begabung, doch damit hast du dich selbst übertroffen, Illidan.“ Der Finsternis zum Trotz war ich mir sicher, dass meine Worte die Wangen des Nachtelfen dunkel färbten. „Wenn es dein Auge erfreut, hat sich jede Mühe gelohnt“, entgegnete Illidan charmant, während er mich auf die sanft erleuchtete Picknickdecke zu führte, auf welcher wir uns dann niederließen. Der Stoff unter meinen Händen fühlte sich glatt wie Seide an, nur wärmer. Vielleicht ein Zauber, der auf den Runen lag? Wenn ich ehrlich war, hatte ich inzwischen gar kein schlechtes Gewissen mehr, Illidans Einladung angenommen zu haben. Tyrande hatte sich sowieso gegen ihn entschieden und sofern dieses Date nur das Ziel verfolgen sollte, die Priesterin eifersüchtig zu machen – was vermutlich tierisch in die Hose ginge – hieß das noch lange nicht, dass ich es nicht genießen konnte. „Dieser Ort ist wirklich außergewöhnlich und wunderschön. Bist du oft hier?“, wandte ich mich an Illidan, dessen Blick ganz mir galt. „Manchmal“, erwiderte der Nachtelf ausweichend, bevor er verschmitzt hinzufügte: „Jetzt vielleicht häufiger. Niemand kommt je her. Wir wären für uns.“ Ich öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn dann aber wieder, weil mir einfach nichts Kluges hatte einfallen wollen. Dieser Elf machte mich fertig. Immer, wenn ich das Gefühl hatte, meine innere Ruhe wiedergefunden zu haben, ließ er so einen Spruch vom Stapel, als wüsste er ganz genau, wie nervös mich das machte. Falls genau das sein Ziel war, hatte er es auf jeden Fall bravourös erreicht. Ich konnte die Hitze förmlich spüren, die bis in die Spitzen meiner Elfenohren drang. Ein seltsames Gefühl, an das ich mich vielleicht nie gewöhnen würde, aber ich konnte verstehen, wieso ich von den Drachen in solch einer Gestalt hergeschickt worden war. Selbst eine Hochelfe war unauffällig im Vergleich zu einem Menschen, trotz der markanten Unterschiede, allen voran in der Hautfarbe. Hätten sie aus mir mal eine Nachtelfe gemacht! Mit den Bräuchen war ich zwar dennoch nicht wirklich vertraut, aber ich wäre wenigstens nicht aufgefallen wie ein bunter Hund. Spätestens wenn ich Aufsehen erregte, würden Xavius oder sogar Azshara selbst auf mich aufmerksam und dann konnte ich bestimmt nicht hoffen, unerkannt zu bleiben. Mein Bauchgefühl warnte mich schon jetzt vor diesem Tag. Er würde kommen. Die Frage war weniger ob, sondern vielmehr wann. Verhalten räusperte ich mich. „Wir könnten ja unsere magischen Studien hierher verlegen?“, schlug ich kleinlaut vor. „Dann sitzen wir nicht immer wie zwei Langweiler in der Bibliothek.“ Illidan lachte leise auf, dann nickte er zustimmend. „Bei Elune, das sind wir wohl, oder? Aber der Weg zu Macht führt nicht allein über Talent. Es bedarf auch Fleiß und Anstrengung“, meinte der Kal’dorei ungewöhnlich ernst. Sein Ehrgeiz war wirklich beeindruckend, das musste ich zugeben. Wäre ich in der Schule nur halb so fleißig gewesen, mein Abi-Schnitt wäre garantiert besser ausgefallen. Allerdings war Magie auch sehr viel spannender als Polypeptide oder politische Strukturen innerhalb der EU. Beides Themen, an die ich mich heute nur vage erinnerte und vor allem deshalb, weil ich mich beim besten Willen nicht dafür hatte begeistern können. Magie hingegen war alles andere als langweilig! Sie war aufregend, faszinierend und voller Überraschungen! In gewisser Weise ein ähnlich wie Chemie, wenn man Wechselwirkungen bedachte, aber auch ein bisschen wie Kunst. Es bedurfte Fingerspitzengefühl. Es war wie Sport nur ohne... Sport. Ohne lästiges Ballherumgetrete oder stumpfes Ablaufen irgendeiner Strecke, die aussah, als habe man sie aus einer Tamponwerbung geliehen. „Du bist nicht langweilig, Illidan“, schüttelte ich schmunzelnd den Kopf. „Ich verbringe gerne Zeit mit dir.“ Ein Grinsen breitete sich auf den Zügen des Kal’dorei aus. „Und ich mit dir. Deshalb sind wir heute beide hier.“ Seine Worte klangen, als stecke mehr dahinter, als mir bisher bewusst gewesen war, und hinterließen ein unsicheres Gefühl in meiner Magengrube. Unruhig rutschte ich auf meinem Platz herum. Es schmeichelte mir immens, dass Illidan gerne Zeit mit mir verbrachte - und ich genoss wirklich jede Minute – aber eigentlich sollte er um Tyrande werben, statt hier mit mir über Gott und die Welt zu schnacken. Hatte er die schöne Priesterin etwa aufgegeben? Objektiv gesehen war das für ihn vermutlich besser, weil sie sich ihm nicht zuwenden würde, in 10.000 Jahren nicht, aber gleichzeitig war Tyrandes Wirkung auf ihn unheimlich wichtig im Hinblick auf seine Befreiung, wenn die Legion erneut angriff. Allerdings musste die Welt erst einmal den ersten Einfall der Dämonen überstehen, der kurz bevorstand. Hoffentlich nahm ich nicht zu viel Einfluss auf die Kernfiguren dieser Geschichte, sonst war unabsehbar, welche Folgen das nach sich zöge. Ohne Illidan, der mit der Macht des Schädels von Gul’Dan in vielen tausend Jahren die Illidari zu Dämonenjägern ausbildete, ohne Malfurion, der gemeinsam mit Tyrande als Anführerin ihres Volkes, ein Bündnis mit den Orcs und Menschen schmiedet, um sich der Legion zu widersetzen, wäre die gesamte Zeitlinie in Gefahr. Womöglich war sie es sogar schon. Wenn es soweit war, musste Malfurion lernen, im Smaragdgrünen Traum zu wandeln und Illidan würde sich Lord Ravencrest anschließen, um als Magier in dessen Dienste zu treten. Oh und natürlich müsste er sich zum Schein Sargeras‘ Willen zu folgen, der ihm dann die Augen ausbrannte und schließlich „Daelis?“ Ertappt zuckte ich zusammen. Illidans Miene sprach Bände, als er die Stirn skeptisch kraus zog. „Willst du mir nicht erzählen, was dich so sehr beschäftigt?“, wollte er wissen und klang dabei ein bisschen beleidigt. Wer könnte es ihm verübeln? Er machte sich die Mühe, hier alles vorzubereiten und mich einzuladen, an einen Ort, der für ihn besonders war, und ich starrte Löcher in die Luft und hörte ihm nicht zu. Schuldbewusst senkte ich den Blick. „Entschuldige bitte. Es ist nichts. Ich hatte nur wirre Träume“, murmelte ich den Kopf schüttelnd. Ich hoffte, damit hatte ich das Thema durchgewunken, doch Illidan belehrte mich eines besseren. „Wovon hast du geträumt?“, fragte er ganz direkt nach und rutschte dabei etwas näher, um einen Arm um mich zu legen. Sah ich so fertig aus, dass man mich trösten musste? Dann war ich keine halb so gute Schauspielerin, wie ich gehofft hatte. Ich konnte jedoch wirklich nicht leugnen, dass mir der Verlauf der Zeitlinie und der baldige Angriff der Brennenden Legion ziemliches Kopfzerbrechen bereiteten. Es würden so viele Leute sterben und es gab nichts, das ich dagegen tun konnte. Es war Geschichte, es musste passieren, das wusste ich, trotzdem bedeutete das noch lange nicht, dass ich mich gut damit fühlte. „Nichts weiter. Mach dir keine Sorgen“, versuchte ich, Illidans Fürsorge abzuwimmeln, erlaubte mir aber dennoch, meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen. Wäre ich jetzt alleine, würden meine Gedanken zweifelsohne weiter Karussellfahren, immer im Kreis um Azshara, Xavius und die Dämonen. Nutzen tat das niemandem. Stattdessen sollte ich lieber versuchen, ruhig zu bleiben, und wenn die Zeit gekommen war, half ich ohne den Verlauf der Dinge zu stören, die geschehen mussten. Mein Wissen könnte dabei helfen, möglichst schnell die Evakuierung zum Berg Hyjal einzuleiten und früh die anderen Völker Azeroths zu kontaktieren. Vielleicht könnte ich sogar vor Neltharion warnen, wenn ich es nur richtig anstellte. Das war immerhin auch Korialstrasz‘ Ziel, aber er war vom Aspekt der Erde mundtot gemacht worden. Seufzend schloss ich die Augen. „Schon seit du in Suramar angekommen bist, habe ich das Gefühl, dass dich irgendetwas ängstigt“, flüsterte der Nachtelf gegen meine Schläfe. „Was immer es ist, es wird dich nicht erreichen. Dafür sorge ich. Du bist sicher bei mir.“ Dankbar nickte ich kaum merklich. Es war wirklich süß, dass er das sagte und zweifellos auch meinte, aber wenn die Legion angriff, war niemand mehr sicher. Objektiv gesehen war mein eigenes Überleben für die Welt nicht weiter wichtig, seines hingegen schon. „Gib auf dich selbst acht, ja?“, wisperte ich zurück. „Es gibt nur einen Illidan und diese Welt wird ihn brauchen.“ Die Worte waren mir herausgerutscht, ohne dass ich groß darüber nachgedacht hatte, aber zu meinem Glück hinterfragte Illidan sie nicht, sondern meinte nur: „Natürlich. Ich lasse dich doch nicht alleine zurück.“ Ein leises Lachen klang in seinen Worten mit, dann verstummte er und wir saßen einfach schweigend zusammen, den Blick in Richtung des inzwischen wolkenlosen Himmels gewandt, von dem uns der silbern leuchtende Mond entgegenzulächeln schien. Ich hätte nicht sagen können, ob wir nur Sekunden oder nicht vielmehr Stunden so beisammensaßen. Illidan neben mir war angenehm warm, denn auch wenn die Nacht fast windstill war und kein Frost den Boden überzog, war es doch immer noch Winter. Ohne die magische Decke, auf der wir saßen, hätten wir uns reichlich verkühlt. Müsste ich raten, war Illidans Kleidung vermutlich ebenfalls mit einem wärmenden Zauber versehen, ebenso wie mein eigenes Kleid. Magie funktionierte wirklich noch besser als jede Wärmflasche und doch fühlte es sich nicht an, wie natürliche Wärme. Irgendetwas fehlte, auch wenn ich nicht hätte erklären können, was genau. Als hätte er meine Gedanken gelesen, zog Illidan mich etwas näher an sich heran. Zuerst wollte ich zögern, entschied mich dann aber dagegen und kuschelte mich an den Elfen. Noch hatte die Legion mit ihrem Angriff nicht begonnen, noch konnte ich niemandem erzählen, was bevorstand. Da konnte ich die Zeit bis dahin auch guten Gewissens ein bisschen genießen. Womöglich war es sogar meine letzte Chance dafür, denn niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob ich nicht im Krieg der Ahnen fallen würde. Falls es dazu kam, wollte ich nichts bereuen müssen. „Danke, dass du mich eingeladen hast, Illidan“, flüsterte ich kaum hörbar in die Nacht hinein und war mir doch sicher, dass die guten Ohren des Kal’dorei an meiner Seite jedes Wort aufgefangen hatten. „Danke, dass du mitgekommen bist“, antwortete Illidan leise. Als er fortfuhr, stockte seine Stimme vor Unsicherheit. „Ich hatte befürchtet, du würdest meine Einladung ablehnen.“ Verdutzt sah ich zu Illidan auf, dessen Blick weiter gen Himmelszelt gerichtet war. „Das hätte ich niemals“, murmelte ich leise, konnte mir jedoch ein Schmunzeln nicht verkneifen. Für Illidan war es keine Kleinigkeit, zuzugeben, dass er sich seiner Sache nicht absolut sicher war. „Es gibt da noch etwas, das ich dir geben möchte. Beinahe wäre es mir entfallen“, ergriff Illidan nach einigen Momenten der Stille erneut das Wort. Ein leises Rascheln war zu hören, dann hielt mir der Kal’dorei eine aus buntem Papier gefaltete Schachtel entgegen. Überrascht stutzte ich, nahm das kleine Päckchen dann aber entgegen. „Womit habe ich das denn verdient?“, wandte ich mich neugierig an Illidan, doch der lachte nur leise. „Du bist mit dem Mondfest wirklich nicht vertraut.“ Illidan lachte leise. „Es ist üblich, dass ein Verehrer seiner Angebeteten ein Geschenk überreicht, um seine Zuneigung zu bekunden. Natürlich gilt es dabei, alle anderen Verehrer zu übertrumpfen“, raunte er mir gegen mein Ohr und jagte mir damit im doppelten Sinne einen Schauer über den Rücken. Nicht nur, dass sein heißer Atem an meinem Ohr seltsam kribbelte, dass er implizierte, sein Interesse galt mir, nicht Tyrande sorgte für einen wahren Schwall Schmetterlinge, die in meiner Magengegend einen Rave veranstalteten. Die leise Stimme in meinem Kopf, die warnte, dass das nicht passieren durften, weil Illidan dazu bestimmt war, Tyrande zu lieben und deshalb später mit ihr zusammenzuarbeiten, obwohl Malfurion dauernd stichelte. Ich biss mir auf die Unterlippe. Noch waren Malfurion und Illidan, allem Konkurrenzgehabe zum Trotz, ein Herz und eine Seele. Es wäre nicht richtig, ihre Beziehung durch meine eignen Vorbehalte und das Wissen aus der Zukunft zu stören. Die Brüder würden bald genug getrennte Wege beschreiten. „Möchtest du es nicht aufmachen?“, drängte Illidan hörbar aufgeregt. Ich lachte leise, ersparte mir jedoch eine Antwort, sondern folgte der Aufforderung und öffnete die kleine Schachtel behutsam. Kaum, dass ich den Deckel abgehoben und das seidige Tuch beiseitegeschoben hatte, das den wahren Inhalt der Pappbox verbargen, leuchtete mir auch schon das Kleinod entgegen, welches Illidan so sorgfältig verpackt hatte. An einer feingliedrigen Silberkette hing ein tropfenförmiger Kristall, der einerseits klar wie Glas erschien, dann aber doch eine blauviolette Flüssigkeit zu enthalten schien. Der Anhänger war etwa so groß wie mein Fingernagel, aber das ihm eigene Licht, welches mystische Verwirbelungen in dem Kristall zeichnete, ließen ihn größer wirken. „Es“, begann ich stockend vor Überraschung und rang einen Moment mit mir, um die richtigen Worte zu finden. „Es ist wunderschön.“ Meine Stimme klang beinahe heiser, doch ich wusste wirklich nicht, was ich sonst sagen sollte. Nichts schien mir angemessen angesichts eines solchen Geschenks. Was genau ich da jedoch in den Händen hielt, erfuhr ich erst, als Illidan mir leise erklärte: „In diesem magischen Kristall wurde ein winziger Tropfen des Brunnens der Ewigkeit eingeschlossen. Er ist also nicht nur Zier, sondern auch nützlich. Allerdings vermag er all seiner ehrfurchtgebietenen Macht und Schönheit zum Trotz ebensowenig wie der Brunnen der Ewigkeit selbst mit dem Zauber zu konkurrieren, den du über mich ausübst.“ Hilflos öffnete ich den Mund, um etwas zu erwidern, doch es kam kein Laut heraus, bis ich nach endlosen Sekunden ein „Danke, Illidan“ hervorgepresst bekam. Ehrfürchtig strich ich über die glatte Oberfläche des Schmuckstücks. „Er ist perfekt. Diese Nacht ist perfekt“, wisperte ich schließlich und sah zu dem Nachtelfen hoch, dessen Miene von absoluter Selbstzufriedenheit zeugte. Mein Puls war vermutlich auf 180 und meine Gedanken sirrten vor lauter Aufregung, aber eine Sache beschäftigte mich noch abseits von der romantischen Atmosphäre. Illidan hatte sich doch wohl nicht Zutritt zum Brunnen der Ewigkeit verschafft? Das würde er später nämlich tun, um drei Phiolen mit dem magischen Wasser zu füllen. Bei Malfurion stieße das nicht unbedingt auf große Begeisterung und ich konnte mir gut vorstellen, dass auch die anderen Kal’dorei wenig begeistert wären, wenn jemand Wasser aus der magischen Quelle stahl, die das Zentrum ihrer Kultur bildete. „Woher hast du so etwas Kostbares?“ „Das ist ein Geheimnis“, entgegnete Illidan leichthin, wobei er nach meiner Hand griff, um sie an seine Lippen zu heben und einen Kuss gegen meiner Fingerspitzen zu hauchen. Wieder konnte ich spüren, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. „Aber“, wollte ich widersprechen, doch der Kal’dorei schüttelte den Kopf. „Kein aber. Außerdem verheimlichst du mir auch etwas. Man merkt es dir an, schon seit du in Suramar angekommen bist. Vielleicht kannst du dich mir eines Tages anvertrauen.“ Vielleicht könnte ich das. Unbewusst spannte ich mich an. Natürlich verheimlichte ich etwas. Viel mehr, als Illidan auch nur ahnen konnte. Dennoch zwang ich mich zu einem möglichst unverbindlichen Lächeln. „Jede Frau hat ihre Geheimnisse, Illidan. Das macht unseren Charme aus.“ Der Kal’dorei lachte herzlich, dann griff er nach der Pappschachtel. „Lass mich dir die Kette umlegen.“ Nickend zog ich meine Haare beiseite, während ich zugleich etwas nach vorne rutschte, damit Illidan seinen Worten Folge leisten konnte. Der Anhänger fiel kühl auf meine Haut und schien sich doch im nächsten Augenblick bereits zu erwärmen, als passe er sich meiner Körpertemperatur an, und zwar viel schneller als ein normalerweise möglich gewesen wäre. „Ich kann dir gar nicht genug danken, Illidan. So ein kostbares Geschenk“, stammelte ich noch immer erschüttert. Ich trug ein Stück vom Brunnen der Ewigkeit bei mir! Allein der Gedanke erschien mir fast ein wenig absurd. Die Nachtelfen mochten in dem Brunnen einen schier unendlichen magischen Quell sehen, doch ich wusste, welchem Zweck er wirklich diente. Die Titanen hatten ihn nicht geschaffen, um den Kal’dorei Zugriff auf Magie zu geben, sondern um unter dieser immensen magischen Quelle die alten Götter einzusperren. Der kleine Tropfen um meinen Hals würde dabei vermutlich keinen großen Unterschied machen, doch am Ende wären es nur drei Phiolen des magischen Wassers, geschöpft von dem Nachtelfen an meiner Seite, die für die elfsichen Völker der Zukunft von größter Bedeutung wären. Es wäre dumm, die Macht zu unterschätzen, die in dem Kleinod lag, das Illidan mir anvertraut hatte. Vorsichtig ließ ich meine Finger über die glatte Oberfläche gleiten, die sich inzwischen angenehm warm anfühlte. „Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll“, murmelte ich leise. „Nichts. Du wirst immer an mich und diese Nachtdenken, wann immer du ihn in der Hand hältst. Was mehr könnte ich mir wünschen?“, raunte der Elf an mein Ohr, während seine Hand über meinen Rücken glitt. Wer hätte gedacht, dass Illidan Stormrage so ein Süßholzraspler war? Der Illidan, den man in World of Warcraft traf, war vor allem getrieben von dem Ziel, die Legion aufzuhalten, gleich was dieser Sieg kosten mochte. Aber der Illidan, den ich hier kennenlernte, hatte die endlosen Dämonenarmeen noch nicht gesehen, er hatte ganz andere Wünsche und Träume, die sich auf Zin-Azshari beschränkten und nicht über ganz Azeroth, geschweige denn darüber hinaus. „Obwohl“, ergriff Illidan unerwartet erneut das Wort und grinste nun schelmisch. „Obwohl mir da doch etwas einfiele, das ich mir wünsche.“ Es dauerte nur einen Augenblick, bis mir klar wurde, worauf der Elf anspielte, da legten sich seine Lippen auch schon auf meine. Warme Fingerkuppen strichen meine langen Ohren entlang, während meine eigenen Hände wie von selbst den Weg zu Illidans Schultern gefunden hatten. Die Kälte der Winternacht vergaß ich ebenso sehr wie den Umstand, dass ich eigentlich nicht die Elfe war, die Illidan vor sich sah. Obendrein stammte ich nicht aus dieser Zeit, ja nicht einmal aus dieser Realität. Doch nichts davon schien in diesem Augenblick wichtig. So sanft der Kuss war, so sehr raubte er mir auch den Atem. Mir kam es vor, als stehe die Zeit still und habe jede Bedeutung verloren. Allein der Umstand, dass ich Illidans Berührungen spüren und das leise Rascheln von Laub hören konnte, verriet mir, dass hier nicht die Macht eines bronzenen Drachen wirkte. Wir waren allein und niemand außer uns würde je wissen, wie kostbar dieser Augenblick war, den wir teilten. Eigentlich, sagte mir mein Verstand, sollte ich das unterbinden. Eigentlich sollte ich auf Abstand gehen. Eigentlich sollte ich mich von Illidan fernhalten, sodass alles seinen gewohnten Lauf nahm. So, wie es sein sollte, wenn nicht sogar musste, damit diese Welt weiterbestehen konnte. Und eigentlich war mir das in diesem Moment scheißegal. Diese Nacht gehörte allein uns, auf die das Licht Mutter Monds fiel. Hosted by Animexx e.V. 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