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28 More Nyas

Eine Fortsetzung aus Sicht des Albinos
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das hat ein bisschen länger gedauert als geplant. Hoffentlich wird das nächste noch bis Jahresende fertig... ^_^; Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ja, das hat irgendwie etwas länger gedauert als geplant. Beim Urlaub bei der Familie bin ich nie so produktiv, wie ich mir immer vornehme, und das ewige Home Office war in der ersten Jahreshälfte etwas zermürbend.

Aber genug Ausreden. Jetzt steht erstmal ein neues Kapitel an!

Ich hatte zunächst mit dem Gedanken gespielt, die Story in diesem Update abzuschließen, aber dann hätte das wohl noch länger auf sich warten lassen.
Aber immerhin dürfte der tatsächliche Abschluss nicht so lange brauchen, auch weil ich in diesem Sommer hoffentlich generell richtig loslegen will XD Komplett anzeigen

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Sie kam sich oft vor wie ein Puppe: Wehrlos den Launen anderer ausgesetzt, sei es nun in der Schule, oder ganz besonders im Waisenhaus.

Einige Male spielte sie mit dem Gedanken zu fliehen, doch die Welt draußen fand sie auch nicht viel einladender. Sie entschloss sich auszuharren und nach einer günstigen Gelegenheit Ausschau zu halten.
 

Die Gelegenheit kam schließlich in Form eines Mannes auf der Suche nach Dienstmädchen für seine wohlhabenden Auftraggeber. Ein etwas seltsames Angebot, aber sie ergriff ihre Chance...
 

Herzhaft gähnend richtete sie sich im Bett auf und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Beim Zähneputzen studierte sie ihr Spiegelbild.

Das Weiß ihres Nachthemds unterschied sich nur unwesentlich von ihrer Hautfarbe. Sie könnte wohl leicht als ein Geistermädchen aus einem Horrorfilm durchgehen, wenn ihr langes Haar schwarz wäre. Allerdings war es ebenfalls weiß, was in diesem Genre wohl nicht so üblich war.

Überhaupt war das einzig bisschen Farbe an ihr ihre roten Augen, wodurch man sie wiederum für einen Vampir halten könnte. Aber das war natürlich Quatsch. Sie war kein Vampir. Sie arbeitete nur für welche, und die sahen alle recht normal aus.
 

Nach einem Abstecher in die Dusche zog sie ihre Uniform an, ganz klassisch in Schwarz und Weiß. Sie war nicht annähernd so kitschig wie der Kram, den man in diesen Maid Cafés sieht. Mit dem knielangem Rock und der schwarzen Strumpfhose war es auch viel sittsamer. Sie fand den ganzen Aufzug trotzdem etwas übertrieben, aber er gehörte nun einmal zum Job. Den Großteil des Tages darin zu verbringen brachte auch einen gewissen Gewöhnungseffekt mit sich.
 

Schließlich schlüpfte sie in ihre Riemchenschuhe - Pantoffeln wären ihr lieber, aber das ist wohl "stilvoller" so - und verließ ihr Zimmer. Als sie die Tür hinter sich schloss hielt sie kurz inne.
 

Die Herrin hatte sie zu Beginn ihrer Schicht oft begrüßt. Ein nettes Wort hier, ein Kuss auf die Stirn da...

Dann wurden die Nettigkeiten mit dem Tod des alten Meisters seltener. Am Ende wurde sie von ihrer Herrin quer durch den Raum geworfen, wie eine Puppe, die sie nicht mehr brauchte...
 

Sie seufzte tief und machte sich auf in Richtung Küche. Ihr kam für heute ein Joghurt mit frischen Früchten in den Sinn.

Vor der Küchentür hielt sie wieder inne. Seit dem einen Tag ist ihr immer noch etwas mulmig, wenn sie die Küche betreten wollte.
 

Es war ganz am Ende ihrer Schicht. Eine Gruppe von Gangstern und Möchtegern-Vampirjägern waren in die Villa eingedrungen. Zwei von ihnen hatten sie in der Küche überrascht und in er Annahme, es mit einer Vampir zu tun, fast getötet.
 

Ein mulmiges Frühstück später fing sie mit Putzen an. Kein sehr aufregender Job, aber so konnte sich zumindest auf andere Gedanken bringen.

Die Fenster in den Fluren waren immer etwas besonders nervig, weil sie unnötig hoch waren und man zum Putzen auf die Fensterbank steigen musste. Aber wenigstens konnte man so die Aussicht genießen - sofern man in der Tagesschicht arbeitete. Jetzt sah man hauptsächlich Dunkelheit.

Sie war bereits mit einem Fuß auf der Fensterbank und war gerade beim Hochklettern, als sie endlich nach oben blickte. Eine Fledermaus erwiderte ihren blick.
 

"Huuaah!"
 

Sie landete mit ihrem Hintern auf dem Flur. Glücklicherweise war da nichts, was sie hätte umwerfen können. Den Eimer und den Rest ihrer Putz-Ausrüstung hatte sie vor ihrer Kletteraktion schon auf die Fensterbank gestellt.
 

Die Fledermaus ließ sich fallen und verwandelte auf dem Weg nach unten in eine ihr nur allzu gut bekannte Kollegin. Sie war bekannt als Neko Meido, und das einzige Dienstmädchen, das womöglich noch seltsamer war als sie.

Neko Meido war nämlich ein Catgirl, ein Ex-Ninja und seit einigen Wochen auch ein Vampir.
 

"O-oh, Entschuldigung!", rief Neko. "Hier, lass mich dir mal hoch helfen..."
 

Sie nahm die Hand des Catgirls dankend an. Als sie wieder fest auf beiden Beinen stand klopfte sie ihren Rock ab und prüfte, ob alles richtig sitzt.
 

"Du kannst dich in eine Fledermaus verwandeln?", fragte sie dabei. "Wusste ehrlich gesagt nicht, dass Vampire das wirklich können. Die Meister hab ich jedenfalls noch nie dabei erwischt."

"Miauster meinte, dass er die Fähigkeit nicht wirklich oft brauchen würde."
 

Sie konnte den Ansatz eines Lächelns nicht unterdrücken. Neko hatte nicht einen annähernd so schlimmen Sprachtick wie manche Anime-Catgirls, aber es war immer wieder drollig zu hören, dass gerade "Meister" ein Wort war, wo ihre Katzen-Natur durchschien.
 

"Eine Villa und Handlanger sind wohl meist praktischer, nehme ich an."

"So in etwa. Außerdem ist das ehrlich gesagt etwas gewöhnungsbedürftig, so mit den eigenen Schreien zu 'sehen'. Aber immerhin habe ich diesmal meine Kleidung mit verwandelt."

"Oha."

"Jetzt lass mich aber mal mit dem Fenster hier helfen. Dass bin ich dir schuldig."

"Nur zu..."
 

Gemeinsam waren die restlichen Fenster in Windeseile geputzt. Sie hätte wohl das meiste Neko überlassen können - Vampire hatten eine ziemlich gute Ausdauer - aber so etwas lag ihr nicht. Sie bestand immer darauf, ihren Teil der Arbeit zu machen.
 

"Endlich!", rief Neko schließlich. "Hast du jetzt eigentlich noch was vor?"

"Nichts Dringendes. Warum?"

"Ich wollte mal raus und nach meinem Kleid gucken. Das müsste jetzt eigentlich trocken sein."

"Klingt gut. Ein bisschen Frischluft kann wohl nicht schaden..."
 

*
 

Kalte Nachtluft wehte um sie herum, als sie sich zur Wäscheleine auf machten. Das Kleid war recht einfach geschnitten und schwarz, mit einem Glitzern wie die Sterne des Nachthimmels.

Selbst mit dem Lichtschein aus den Fenstern der Villa hätte sie wohl Probleme gehabt, dass Kleid in der Dunkelheit auszumachen. Neko hingegen hätte dank ihrer Katzenaugen wohl auch vor ihrer Zeit als Vampir keine Probleme gehabt.
 

"Sieht gut aus", sagte Neko nach einer kurzen Begutachtung. "Dann wollen wir mal wieder rein."

"Gibt es bald wieder ein Treffen?"

"Ja..."
 

Aus gesellschaftlicher Sicht war in den letzten Wochen deutlich mehr los als in den Monaten zuvor. Der Meister wurde zum alleinigen Geschäftsführer des "Familienunternehmens" (irgendwas mit Schmuggeln, wenn sie es richtig verstanden hatte), und ein neuer Vampir ist natürlich auch eine kleine Sensation. Folglich gab es allerhand Termine mit anderen Vampiren oder Geschäftspartnern, sei es nun hier in der Villa oder außerhalb.
 

"Dieses mal ist es ein Verwandter aus Europa", fuhr das Catgirl fort. "Ein Halb-Bruder des Miausters, allerdings wesentlich älter."

"Mmh, ich glaub, von dem hab ich schon mal gehört..."
 

Der alte Meister - oder "Miauster", wie Neko sagen würde - hatte damals fast seinen gesamten Besitz aufgegeben, als er nach Japan zog und dort neu anfing. So etwas soll nicht unüblich sein bei Vampiren, denen ihr ewiges Leben zu langweilig geworden ist. Sein Sohn hatte wohl wenig Grund zur Klage, weil dies wohl der einzige friedliche Weg ist, als Vampir etwas zu "erben".
 

"Klingt jedenfalls spannend", fuhr sie fort.

"Na ja", wand Neko ein. "Gibt wohl nur wieder das übliche: Komplimente. Dezente Fragen nach meinen Ohren und dem Katzenschwanz. Geschäftlicher Kram, bei dem ich immer noch nicht ganz durchblicke. Und natürlich nach Attentätern Ausschau halten, was hier in der Villa wohl leider überflüssig ist."

"Noch dazu hast du hier 'Heimvorteil'."

"Wenigstens gewöhn ich mich langsam an diese Absatzschuhe. Meine Füße tun nach so einem Termin nicht mehr höllisch weh."

"Gut zu wissen. Hast du eigentlich heute noch was vor?"

"Ein Selbstverteidigungs-Kurs wäre nicht schlecht..."
 

*
 

Seit dem Überfall in der Küche hat sich ein neues Ziel: "Ich will nicht mehr schwach sein". Also hatte sie Neko um Hilfe gebeten. Sie kamen nicht jede Woche dazu (vor allem wegen der ganzen Termine), aber sie versuchten, so oft es geht ein oder zwei freie Stunden dafür zu finden.
 

Anfangs hatte sie nichts Passenderes als ein Yoga-Outfit, aber mittlerweile hatte sie sich einen Gi bestellt.

Neko bestand wie bei allen sportlichen Unternehmungen auf einen Gymnastik-Catsuit - oder "Unitard" nach ihren Recherchen. Anscheinend ist das die offizielle "Uniform" von Nekos Ninja-Clan, aber das Catgirl vermeidet, bei ihren Geschichten zu sehr ins Details zu gehen ("Je weniger ihr wisst, desto besser für euch."). Möglicherweise war Ein Supertrio gerade angesagt, als der Clan nach einem neuen Uniform-Design suchte.

Ursprünglich hatte Neko nur ein schwarzes Exemplar aus ihrer Ninja-Zeit, aber in letzter Zeit verwendete das Catgirl oft eine Variante in rot mit kürzeren Ärmeln. Wohl auch, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Ihr selbst wäre ein derart figurbetonter Aufzug etwas arg affig, aber es bestand kein Zweifel das Neko genau die richtige Figur dafür hatte. Allerdings wurde was immer das Catgirl auch an Eleganz oder Sex Appeal an den Tag legen wollte etwas gedämpft durch die flauschigen Pfotenschuhe, die sie zu fast jeder Gelegenheit trug. Die wirkten schon in der Dienstmädchen-Uniform etwas sonderbar, aber hier kam ihre zu ihrer Trägerin so gar nicht passende Niedlichkeit voll zur Geltung.
 

Der Kampfstil war - wenig überraschend - Ninjutsu, allerdings eine Variante mit Muay-Thai-Einflüssen. Das flauschige Schuhwerk soll gut zum Schleichen sein, hilft aber nicht wirklich bei Tritten. Das klang ein wenig wie die Lösung zu einem selbst verursachten Problem, aber Ninja - besonders Catgirl-Ninja scheinen etwas andere Prioritäten zu haben.

Ihre Trainings-Einheit beinhaltete wie die meisten zuvor einen Übungs-Kampf. Selbst mit ihrer begrenzten Kampfsport-Erfahrung konnte sie erkennen, dass Neko ihr eigentlich haushoch überlegen war und sich stark zurück hielt. Keine ihrer Angriffe schien das Catgirl zu überraschen oder anderweitig aus der Fassung zu bringen, und jede von Nekos geschmeidigen Bewegungen war bis zum letzten Muskel durchgeplant.

So ganz perfekt schien diese Körperkontrolle jedoch nicht, was sie schmerzhaft zu spüren bekam als ein etwas zu fester Kniestoß von Neko sie zu Boden schleuderte.
 

Das gibt bestimmt... einen blauen Fleck...
 

"Alles in Ordnung?!", rief das Catgirl besorgt.

"G-geht schon... ich brauch nur... ein bisschen... dann kann's... weiter gehn..."
 

Ich werde nie stärker werden, wenn ich nach einen Treffer schon aufgebe...
 

Sie biss die Zähne zusammen und richtete sich trotz ihres immer noch schmerzenden Magens auf. Neko hatte in der Zwischenzeit eine Flasche Wasser besorgt.
 

"D-danke...", sagte sie und nahm die entgegen.

"Es tut mir Leid", sagte Neko reumütig. "Ich hatte da wohl zu viel Schwung..."

"Mach dir nichts draus", sagte sie nach einem kräftigen Schluck Wasser. "Du bist sicher Partner gewöhnt, die mehr einstecken können."
 

Neko ließ ihre Ohren hängen.
 

"Das ist keine gute Entschuldigung. Ich muss einfach vorsichtiger sein..."

"Könnte wohl auch nicht schaden, die knie etwas auszupolstern..."

"Mmh, das klingt nach einer guten Idee."

"Aber jetzt erst mal weiter mit dem Programm."

"Sicher?"

"Ja."

"In Ordnung..."
 

*
 

Sie hatte gerade noch genug Kraft in ihr Nachthemd zu wechseln, bevor sie sich aufs Bett fallen ließ. Ihr ganzer Körper tat weh, und es würde morgen wohl noch schlimmer werden, aber damit konnte sie leben. Sie machte sich keine Illusionen daraus, dass es nicht leicht war, stärker zu werden. Zudem träumte sie nach einem derart anstrengenden Tag nicht.

Meistens jedenfalls.
 

Als einziges Albino-Mädchen der Villa - vom Rest des Landes ganz zu schweigen - erregte sie schnell die Aufmerksamkeit der Herrin. Ehe sie es sich versah wurde sie für die wöchentliche "Nahrungsaufnahme" der Herrin auserkoren.

Sie konnte sich noch gut an den ersten Biss in den Gemächern der Herrin erinnern. Das leichte Piksen. Das anschließende Ziehen. Das Gefühl, wie ihre Körperwärme aus ihr herausgezogen wurde.
 

"Das tat doch nicht weh, oder?"

"Nein, Herrin."
 

Die Herrin kicherte.
 

"Hach, wo sind nur meine Manieren geblieben. Ich habe dich noch gar nicht nach deinem Namen gefragt."

"Shiroko, Herrin."

"Ein hübscher Name. Klingt fast italienisch..."
 

Ihre Herrin strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
 

"Wenn du willst, kannst du noch ein bisschen hier blieben."

"Ja, Herrin..."

Shiroko wurde beim Aufstehen von einem deftigen Muskelkater begrüßt. Sie brauchte etwas länger als sonst, um sich aus dem Bett zu hieven, und auch sonst trödelte sie mehr herum als üblich.

Ihr regulärer Zeitplan war so abgestimmt, dass sie die Küche zumeist für sich hatte, doch aufgrund ihrer Verspätung traf sie in der Küche ein anderes Dienstmädchen. Sie war kleiner und etwas schmächtiger, mit schwarzem Haar, das knapp über ihre Ohren ging.
 

Shiroko würde sich nicht unbedingt als introvertiert beschreiben, aber aufgrund ihrer Vergangenheit bevorzugte sie es, ihre Ruhe zu haben - mit verständlichen Ausnahmen natürlich, wie eine Lebensretterin in Catgirl-Form. Andere Dienstmädchen schienen ohnehin die Angewohnheit zu haben, ihr aus dem Weg zu gehen, sei es nun wegen ihres Aussehens oder weil sie der Liebling der Herrin war.
 

Die Schicht nimmt ja einen guten Anfang...
 

"Hi", begrüßte Shiroko das andere Dienstmädchen.
 

Ihre Kollegin hatte sie wohl erst jetzt bemerkt. Sie blickte kurz von ihrem Müsli hoch, schien sich etwas zu erschrecken und senkte ihren Blick wieder in Richtung Frühstück.
 

"H-hi...", entgegnete sie.

"..."
 

Shiroko bereitete ihr eigenes Frühstück zu - wieder ein Fruchtjoghurt -, und warf dabei immer wieder einen Blick auf das andere Dienstmädchen, die wiederum ihren Blick nach unten gerichtet hielt.
 

"Du kannst ruhig weiter essen", sagte sie ihr schließlich.

"W-was?! Oh, natürlich! I-ich habe nur eine kleine Pause eingelegt!"

"Sieht lecker aus."

"Oh, d-danke..."

"... Es ist ein bisschen unhöflich, mit deinem Müsli anstelle deines eigentlichen Gesprächspartners zu reden."
 

Das Mädchen riss ihren Kopf mit einem Male hoch.
 

"O-oh. Ich... ich wollte nicht den Anschein erwecken, dich anzustarren. Heh, das ging wohl daneben..."
 

Shiroko rollte mit den Augen.
 

"Du könntest natürlich auch so tun als wäre alles normal, wenn du dir so Sorgen um meine Gefühle machst."

"O-oh, stimmt... Tut mir leid..."
 

Oh Mann...
 

Shiroko machte sich auf, die Küche zu verlassen und ihr Frühstück woanders zu essen, als plötzlich die kleine Herrin in den Raum stürmte.

Die kleine Herrin war in gewisser Hinsicht ein weiteres Kuriosum der Villa: ein kleines Vampirmädchen, dass tatsächlich so alt war wie es aussah.

Das arme Ding hatte wie Shiroko mit ansehen müssen, wie ihre ältere Schwester ihren Bruder aus dem Weg räumen wollte. Glücklicherweise hatte sie sich mittlerweile recht gut davon erholt.

Wie es sich für eine Herrin des Hauses gehörte, trug sie ein hübsches Kleid in dunklen Rottönen. Auch hatte sie ein Paket in ihren Armen.
 

Das andere Dienstmädchen sprang beim Anblick der kleinen Herrin sofort auf und verbeugte sich, während Shiroko noch etwas zu überrascht war, um zu reagieren.
 

"Morgen!", rief sie und überreichte ihr das Paket. "Es ist endlich da!"

"'Es'?"
 

In diesem Moment betrat Neko ebenfalls die Küche. Das andere Dienstmädchen blickte zuerst auf die Katzenohren, dann den Katzenschwanz mit der roten Schleife und entschied sich dann wieder dazu, den Boden zu begutachten.
 

"Ah, da seid Ihr ja, Herrin..."

"Weißt du, worum es hier geht?", fragte Shiroko.

"Ach, das. Eine kleine Überraschung der Herrin. Sieh besser selbst..."
 

Neugierig öffnete sie das Paket. Nachdem sie die Luftpolsterfolie rausgeschmissen hatte fischte sie ein Stück schwarzen Stoff heraus, das in Plastik verpackt war. Sie musterte es argwöhnisch.
 

"Was ist das? Ein Badeanzug?"

"Nein, ein Ballett-Trikot!", korrigierte die kleine Herrin. "Hoffentlich steht es dir!"

"Mir?"

"Sicher! Das brauchst du schließlich für den Unterricht."
 

Unterricht...?
 

Neko betätigte sich an Wochenenden als Tanzlehrerin für die kleine Herrin, aber Shiroko wusste nichts über eine zukünftige Beteiligung ihrerseits. Sie erinnerte jedoch sich dunkel an eine Unterhaltung mit Neko vor einigen Wochen.
 

"Ist das deine Idee?", fragte sie das Catgirl. "Wolltest du damit nicht warten, bist du Herrin geworden bist?"

"Was? Oh, das. Nein, von der Sache hier weiß ich auch erst seit heute."

"Das war meine Idee!", rief die kleine Herrin. "Ich möchte meinen Dienstmädchen ein besseres Freizeitprogramm anbieten!"

"Ah haaa..."

"Und du kommst mir für den Probelauf gerade recht! Jede freie Stunde verbringst du in deinem Zimmer und liest Manga. Das ist ja schrecklich!"

"So schlimm ist das auch wieder nicht..."

"Glaub mir, das wird dir bestimmt Spaß machen!"

"Na ja..."

"Eine Wahl hast du eh nicht!", sagte die kleine Herrin schließlich grinsend. "Immerhin ist das ein Befehl!"

"..."
 

So was...
 

Neko lehnte sich zu ihr rüber.
 

"Sie findest es blöd, das sie bisher nur alleine unterrichtet wird", flüsterte sie ihr ins Ohr. "Und ich glaub, sie findet dich cool oder so."

"Aaah..."
 

Sie warf einen Blick in die erwartungsvoll strahlenden Augen der kleinen Herrin.
 

Was dieser Job so alles von einem verlangt. Na ja, besser als den Dachboden zu entstauben, nehm ich an...
 

"W-wie Ihr wünscht, meine Herrin..."

"Wunderbar!", rief die Herrin entzückt.
 

In dem Augenblick erregte das bisher unbeachtete andere Dienstmädchen das Aufsehen der anderen, indem sie das Trikot auspackte und vor sich hielt. Es war ein schlichtes Modell mit kurzen Ärmeln.
 

"Wow...", hauchte sie zu sich selbst.
 

Die kleine Herrin witterte Beute.
 

"Aha! Haben wir etwa auch eine freiwillige Interessentin?!"
 

Das andere Dienstmädchen sah erschrocken zur kleinen Herrin, errötete und senkte ihren Blick.
 

"N-na ja, neugierig wär ich schon..."

"Perfekt! Dann machst du auch mit! Es ist genug für alle da!"

"O-oh, äh... D-danke, Herrin..."
 

Shiroko kramte noch etwas in dem Paket herum. Die Vampire des Hauses gingen nur zu besonderen Anlässen in der Stadt einkaufen und hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, im Internet bestellte Kleidung in mehreren Größen zu bestellen um dann das Exemplar zu behalten, das am besten passt. Im Falle von Bekleidung für das Personal hatte das noch den Vorteil, dass man sich einen Vorrat für spätere Einstellungen anlegen konnte.
 

Mmh, sechs Trikots insgesamt. Etwas viel, wenn sie nur mich eingeplant hat... Und was haben wir hier...?
 

"Weiße Strumpfhosen?", kommentierte sie. "Scheint bei mir etwas überflüssig zu sein..."

"Die sorgen für einen hübschen Kontrast mit dem Trikot", erklärte die kleine Herrin. "Und die Farbe soll ja gerade zum Hautton passen. So gesehen steht dir das besser als den anderen Dienstmädchen."

"Immerhin..."

"Das gleiche gilt auch für die Schläppchen."

"Ah, seh ich grad..."

"Wobei Schwarz da auch gepasst hätte für einen Dienstmädchen-Look. Aber ich habe mich dann doch für etwas Traditionelleres entschieden."
 

Macht das einen großen Unterschied...?
 

"Es gibt einen Umkleideraum neben dem Tanzsaal", erklärte Neko schließlich. "Da könnt ihr da Sachen in Ruhe anprobieren."

"Du gehst natürlich auch mit!", korrigierte die kleine Herrin sie.

"Tu ich das?"

"Natürlich! Du bist zwar die Lehrerin, aber immer noch Dienstmädchen. Da musst du natürlich die neue Uniform tragen."
 

Ah, sie hat Neko mit eingeplant. Daher so viele Trikots...
 

"Wär das nicht einfacher, wenn ich meine bisherigen Sachen trage?"
 

Neko bevorzugte zum Tanzen Einteiler, weil sie da nur ein Loch für ihren Katzenschwanz schneiden muss. Sie vermied solche zusätzliche Näharbeit und trug etwa als Dienstmädchen Strümpfe anstelle von Strumpfhosen. In einem Trikot würde das aber wohl etwas zu sonderbar aussehen.
 

"Oooh nein!", beharrte die kleine Herrin. "Uniform ist Uniform! Ich hab sogar extra auf Trikots mit Röckchen verzichtet, damit dein Schwanz Platz hat!"
 

Nicht sicher, ob das mit oder ohne Röckchen besser wäre...
 

"Du kannst aber meinetwegen wieder deine Strampelanzüge anziehen, wenn du meinen Bruder geheiratet hast!", fuhr die kleine Herrin fort.
 

Neko errötete sichtlich.
 

"O-okay, H-herrin..."

"Wunderbar! Dann sehen wir uns alle wieder am Samstag!"
 

Damit drehte sich die kleine Herrin herum und verließ die Küche.
 

Kleine Tyrannin...
 

Die Stille hielt noch einen kurzen Moment an, bevor Shiroko sie unterbrach.
 

"Soll ich dir beim Löcher schneiden helfen?", fragte sie.

"N-nein. Das ist etwas, was ich selbst in die Hand nehmen muss..."

"Wie du meinst."
 

Das Catgirl musterte die beiden anderen Dienstmädchen.
 

"Habt ihr eigentlich schon irgendwelche Tanzerfahrung?"

"Nicht wirklich", antwortete Shiroko. "Ich könnte zur Not wohl aber den einen oder anderen Anime-Tanz nachmachen."

"Verstehe. Und du?"

"Zählt Rhythmische Sportgymnastik?", sagte das andere Dienstmädchen. "Das hatten wir manchmal im Sportunterricht. Fand ich recht cool, aber ich hatte nie wirklich Zeit für einen Club..."

"Sportgymnastik?", fragte Neko verwundert. "Das geht ohne Katzenschwanz?"

"Hä...?"

"Bindet ihr Catgirls euch das Gymnastikband an den Schwanz oder was?", fragte Shiroko neugierig.

"Sicher. Geht das auch anders?"
 

Das andere Dienstmädchen ließ sich dieses Bild wohl ein wenig durch den Kopf gehen. Sie fing an zu kichern, verstummte aber sofort, als ihr Sichtfeld von Nekos Gesicht eingenommen wurde.
 

"Ist das etwa witzig?", fragte das Catgirl.

"Äh..."

"..."

"Na ja..."

"..."
 

Schweiß rann von der Stirn des Dienstmädchens.
 

"W-wie soll ich sagen..."

"... Nya."

"Hä?!"
 

Neko lehnte sich wieder zurück.
 

"Ich wollte dich nur etwas aufziehen. Du solltest dich nicht so schnell verkrampfen. Das ist schlecht zum Tanzen."

"O-okay..."
 

Ich glaub nicht, dass ihr "Böse Mieze" spielen steht...
 

*
 

Shiroko hatte nicht gerade positive Assoziationen mit Umkleideräumen. Beim Umziehen muss man schließlich fiel Haut zeigen, und mehr Haut war in ihrer Vergangenheit immer gleichbedeutend mit mehr unangenehmen Blicken.

Zum Glück verstand sie sich aber sehr gut mit Neko, und das andere Dienstmädchen schien mehr mit dem Catgirl beschäftigt zu sein - besonders, als dessen Katzenohren und -Schwanz plötzlich verschwanden.
 

"Hääh?!", rief sie erstaunt, ihr Blick auf die rote Schleife gerichtet die, nun ohne zugehörigen Schwanz, langsam richtig Boden segelte.

"Ach, ich kann mich als normaler Mensch tarnen", erklärte Neko. "Tanzen ist mir so aber zu unangenehm. Ohne den Schwanz ist mein Gleichgewicht einfach nicht so gut."

"C-cool. Ist das ein Zaubertrick oder so?"

"So ganz genau weiß ich das ehrlich gesagt auch nicht..."
 

Shiroko hatte jedenfalls mehr als genug Zeit, sich umzuziehen. Sie konnte ihre komplette Dienstmädchen-Kluft praktisch im Halbschlaf anziehen und erwartete folglich keinen großen Widerstand mit dieser einfacheren "Uniform". Trotzdem stieß sie auf ein Hindernis, dass sie zu einer recht blöd klingende Frage veranlasste.
 

"Woran erkenne ich eigentlich, welche dieser Schlappen für welchen Fuß ist?", fragte sie Neko.

"Gar nicht. Da gibt es keinen Unterschied."

"Praktisch."

"Und achte drauf, dass du nicht zu viel Platz hast. Die müssen eng sitzen."

"Dann wohl doch lieber das andere Paar hier... Und was ist mit diesem Band hier?"

"Das ist quasi ein Gürtel. Damit kann ich deine Haltung besser erkenne."

"Auch praktisch."
 

Endlich fertig umgezogen musterte sie ihr wenig begeistert dreinblickendes Spiegelbild.
 

Hätte schlimmer kommen könne, schätze ich...
 

Die kleine Herrin schien sich mit dem Kitsch zurückgehalten zu haben. Sicher, das Haarband hatte Rüschen, aber daran war sie als Dienstmädchens ja gewöhnt.
 

Na ja, is ja nur Trainingsbekleidung... Hoffentlich bleibt es auch bei Trainingsbekleidung...
 

Sie sah sich um. Neko studierte sich konzentriert im Spiegel, mit besonderem Fokus auf ihren Rücken um abzuschätzen, wo das Loch sein sollte.

Das andere Dienstmädchen bewunderte sich mit großen Augen.
 

Immerhin eine, die Spaß hat...
 

"W-wow...", schwärmte das Dienstmädchen. "Das ich mal Ballett lernen würde..."

"Sitzt soweit alles?", unterbrach Shiroko sie.

"O-oh! Ich, ich denke schon..."

"Dann raus aus dem Fummel."

"W-was?!"

"Wir müssen den Kram ja noch waschen."

"A-ach so..."
 

Sie wandte sich zu Neko.
 

"Gib mir Bescheid, wenn du Hilfe mit den Löchern brauchst."

"I-ich schaff das schon..."

"Viel Glück."

"Danke..."
 

*
 

Erleichtert legte Shiroko das Bügeleisen zur Seite. Ihre Schicht war vorbei, und abgesehen von der seltsamen Episode in der Küche war der Tag ohne weitere Vorkommnisse verlaufen.

Zumindest bis ihre Zimmertür in Sichtweite kam und sie das Dienstmädchen aus der Küche dabei erwischte, wie sie daran klopfte.
 

"Nur Geduld", sagte Shiroko. "Ich bin ja noch gar nicht da."
 

Erschrocken fuhr das andere Dienstmädchen herum.
 

"O-oh! V-verzeihung..."

"Was gibt es denn Dringendes?"

"Nun ja, dringend würd ich das jetzt nicht bezeichnen..."

"Trotzdem raus damit."

"Oh, na ja, das klingt jetzt vielleicht etwas blöd, aber... kann ich einen Blick auf deine Mangas werfen?"

"Meine Mangas?"

"I-ich geb dir auch Pockys dafür!"

"Welche Sorten?"

"Mal sehn..."
 

Sie fing an, in einer Tasche herumzukramen, die sie bei sich trug.
 

"Schokominze?"

"Mmh..."
 

*
 

Normalerweise wechselte sie nach der Arbeit in einen Bademantel, um dann zu duschen. Da sie Besuch hatte beließ sie es dabei, sich ihrer Schuhe, der Schürze und ihrer Dienstmädchen-Kopfbedeckung. Dann nahm sie einen Pocky in den Mund und warf sich auf ihr Bett.
 

"Bedien dich nur", sagte sie und schwenkte ihre Hand in Richtung ihrer Manga-Sammlung.

"Das sind ja viele!", rief das andere Dienstmädchen erstaunt.

"Summiert sich mit der Zeit halt ein wenig..."

"Mmh... gibt es auch welche mit weniger Boy's Love?"

"Da drüben."

"Ah, danke!"
 

Sie blätterte kurz durch den Band, schnappte sich dann einen anderen und wiederholte den Vorgang.
 

"Mmh, sehr gute Vorlagen..."

"Vorlagen?"
 

Das Dienstmädchen errötete.
 

"Ach, weißt du, ich bin Hobbyzeichnerin. Mit meinen Posen und Frisuren bin ich noch unzufrieden, daher such ich immer nach guten Vorlagen."

"Ah, cool."

"Macht es dir was aus, wenn ich etwas hier bleibe? Keine Panik, ich bin recht flott beim Zeichnen."

"Mmh..."
 

Wenn wir beide in Zukunft die kleine Herrin bespaßen sollen kann es wohl nicht schaden, sich an sie zu gewöhnen...
 

Shiroko griff nach einem Manga, den sie auf dem Nachttisch liegen hatte.
 

"Nur zu. Ich hab noch genug Pockys."
 

Das Dienstmädchen atmete erleichtert aus.
 

"Danke!"
 

Sie setzte sich auf den Boden und fing an, in ihrem Block herumzukritzeln. Immer wieder war sie dabei einen Blick in den einen oder anderen Manga.
 

"Nochmal danke, dass ich hier stören darf", sagte sie schließlich. "Es klingt seltsam, aber ich kann mich mit Gesellschaft besser konzentrieren."

"Ist das so?"

"Ja. Das liegt an den Dimensionen hier. Meine Familie war nie besonders wohlhabend, weißt du, und hier in dieser Villa hab ich jetzt ein Zimmer für mich allein, dass fast so groß wie unsere Wohnung ist. Das fühlt sich ein bisschen seltsam an."

"Verständlich."

"Wie sah das denn bei dir zuhause aus?"

"Waisenhaus."

"O-oh... tut mir leid wegen der blöden Frage..."

"Entschuldige dich nicht so oft. Du kannst ja nicht hellsehen."

"O-oh, tu... äh, okay..."
 

Nach einem Moment bedrückten Schweigens setzte sie das Gespräch vorsichtig fort.
 

"Bis vor meinem Schulabschluss hab ich hier hauptsächlich an Wochenenden und in den Ferien gearbeitet. Dachte, wenn ich hier erst mal dauerhaft lebe, würde ich mich schon daran gewöhnen. Bisher klappt das aber noch nicht so richtig. Die ganzen Räumlichkeiten wirken hier immer noch erdrückend..."

"Wird schon noch."

"Hoff ich auch. Jedenfalls scheint die Arbeit hier bald viel spaßiger zu werden."

"Wegen dem Zwangsunterricht?"

"Das klingt ja so negativ, wenn du das sagt. Keine Lust?"

"Na ja, ich find's etwas altbacken."

"Ach, dass passt doch zu so einer Villa."

"Mmh, da könnte was dran sein..."

"Ich bin jedenfalls gespannt. Ich wollte schon immer mal bei so einem Tanzkurs mitmachen, aber wir hatten ja nie Geld..."

"Und jetzt wirst du auch noch dafür bezahlt."

"Schon irre. Und dann ist die Lehrerin auch noch ein echtes Catgirl..."
 

Sie errötete wieder.
 

"Ich komm mir fast vor wie in einem Märchen..."

"Der Prinz ist aber glaub ich schon vergeben, Aschenputtel."

"Hana."

"Huh?"

"Mir ist nur grad eingefallen, dass ich mich ja noch gar nicht richtig vorgestellt habe."

"Ach so. Dann wär ich wohl Shiroko."

"Gut zu wissen."
 

Hana stand auf.
 

"So, ich glaub das wär erst mal genug für heute. Hoffentlich hab ich nicht gestört. Man sagt mir immer, ich wär etwas redselig..."

"Nicht doch..."

"Dann bin ich ja beruhigt..."

"Wenn du willst, kannst du die Mangas mitnehmen."

"Du verleihst sie mir? Echt?!"

"Jupp."

"Vielen Dank! Ich werde auch ganz gut auf sie aufpassen!"

"Jetzt übertreib mal nicht..."

"Oh, und eines noch..."
 

Sie riss eine Seite aus ihrem Block.
 

"Hier. Für dich!"
 

Shiroko nahm das Blatt entgegen. Darauf befand sich ein cool dreinblickendes Chibi-Dienstmädchen auf einem Bett mit einem Pocky im Mund.
 

"Ich konnte bei dem Motiv nicht widerstehen", erklärte Hana. "Hoffentlich gefällt es dir."

"C-cool..."

"Dann bin ich ja erleichtert. Wir sehn uns dann spätestens beim Tanzen!"
 

Shiroko starrte noch eine ganze Weile auf das Bild, als Hana schon längst weg war.
 

S-süß...

Sie wurde durch eine Hand geweckt, die ihr das Haar aus dem Gesicht strich. Noch etwas schlaftrunken nahm sie die Umrisse der Herrin war.
 

"Guten Abend, Shiroko...", sagte sie und küsste ihr auf die Stirn.

"H-herrin..."
 

Sie richtete sich auf, noch immer in die Decke eingehüllt. Die Herrin schloss derweil den Deckel ihres Sargs, der neben dem Bett stand.
 

"Du musst dich nicht beeilen", erklärte sie währenddessen. "Es ist nicht schlimm, wenn du heute etwas später mit der Arbeit anfängst."

"Danke, Herrin..."

"Ich bin heute für den Großteil des Tages außer Haus. Ich dürfte aber wohl spätestens nach Ende deiner Schicht wieder da sein. Wir sehen uns dann!"

"Wie Ihr wünscht, Herrin..."
 

Langsam rappelte sich Shiroko von ihrem Bett auf.
 

Warum erinnere ich mich nur an so was...?
 

Sie machte sich für ihre Arbeit fertig, als ihr plötzlich etwas einfiel.
 

Heut ist ja Samstag. Da brauch ich ja die neue "Uniform"...
 

*
 

Ihr war nicht ganz klar, ob sie für den Weg zum Umkleideraum unbedingt ihre Dienstmädchen-Uniform tragen musste oder nicht, aber aus Gewohnheit kam sie dennoch in voller Montur an. Sie fand bereits Hana vor, die die gleiche Entscheidung getroffen hatte.
 

"Morgen...", sagte Shiroko.

"Morgen!"
 

Ins Ballett-Trikot war sie schnell gewechselt, jetzt fehlte nur noch die Frisur. Sie band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz, kam dann aber ein bisschen ins Stocken.
 

"Probleme?", fragte Hana hinter ihr.

"Ach, ich hab nicht so viel Übung mit Dutts..."
 

Genauer gesagt experimentierte sie nicht wirklich mit ihrer Frisur herum. Sie stopfte es höchstens mal unter ein Haarnetz oder Tuch, wenn die Arbeit dies erforderte.
 

Die Herrin hat sich eigentlich auch nie über meine Frisur beschwert...
 

"Soll ich helfen?", schlug Hana vor. "Ich war quasi die Hairstylistin in unserer Familie."

"... Von mir aus..."
 

Spart mir Arbeit...
 

Hana ging sogleich ans Werk.
 

"Oh, das ist ja zartes Haar. Da pass ich besser besonders auf!"

"Nett von dir..."
 

*
 

Sie fanden Neko und die kleine Herrin bereits im Tanzsaal vor, einem schlichten Raum mit einem großen Wandspiegel und einer zweistufigen Barre (die kleine Herrin war noch etwas kurz). Anscheinend hatten sich die beiden schon in ihrem Zimmer umgezogen. Das Catgirl beäugte ihre Arbeit an den Löchern für ihren Katzenschwanz am Wandspiegel, während die kleine Herrin ihnen fröhlich zuwinkte. Sie schien in etwa das gleiche Trikot zu tragen wie die Dienstmädchen, nur in Rosa.
 

"Ah, da seit ihr ja!", rief sie fröhlich.

"Süü... äh, das Trikot steht Euch gut, Herrin!", kommentierte Hana.

"Nichts da mit 'Herrin'! In diesem Raum bin ich euer Senpai!"

"J-jawohl, Senpai!"

"So gefällt mir das!"
 

Ist "Herrin" nicht besser?
 

Schließlich wandte sich Neko zu ihnen.
 

"Seit ihr bereit?", fragte sie.

"Ja, Sensei!", rief Hana motiviert.

"Ja...", sagte Shiroko.

"Natürlich werde ich es langsam angehen. Ich hoffe, dass wird die klei... euren Senpai nicht langweilen."

"Das geht schon!", sagte die kleine Herrin. "Die Grundlagen sind wichtig, nicht wahr?!"

"In der Tat. Dann fangen wir mal an!"
 

*
 

Der Unterricht begann mit einer Reihe normaler Dehn- und Aufwärmübungen, zuerst im Stehen und dann liegend. Sie und Hana blickten dabei etwas entgeistert zur kleinen Herrin, als diese ihr Bein bis zum Kopf angezogen hatte.
 

"W-wow...", kommentierte Hana erstaunt.
 

Keine der beiden kam annähernd so weit mit ihrem Bein. Shiroko spürte plötzlich Nekos Hand an ihrem Knöchel.
 

"Das kannst du doch bestimmt besser...", sagte das Catgirl.
 

Was hat die denn für ein Funkeln im Au...
 

"Au! Au! Au!", rief sie, als Neko ihr Bein als Hebel missbrauchte.

"Entspann dich nur, dann tut es auch nicht so weh."

"D-d-du schaffst das, Shiroko!", feuerte Hana sie an.

"Du kommst auch gleich an die Reihe."

"W-was immer nötig ist, Sensei!"
 

Neko ließ schließlich von ihr ab, nachdem sie anscheinend mit dem erreichten Winkel erst einmal zufrieden war, und machte gleich mit Hana weiter. Das andere Dienstmädchen biss die Zähne zusammen und ertrug die Prozedur tapfer.
 

Ist das eine besondere Ninja-Catgirl Technik?
 

Es folgten noch weitere Dehnübungen, anscheinend in Vorbereitung auf einen Spagat.
 

"Die Beine können doch bestimmt weiter auseinander", merkte Neko an.

"Ich versuch's...", sagte Shiroko.

"J-jawohl, Sensei!", sagte Hana.
 

Dann kam schließlich der Spagat, oder zumindest Andeutungen davon.
 

"Soll ich auch helfen?", fragte Neko.

"N-nicht nötig...", sagten die beiden Dienstmädchen.
 

Dann folgten kurioserweise Liegestütze, gefolgt von einer Art stehenden Liegestützen an der Barre, die wiederum gefolgt wurden von einer Art Handstand-Liegestützen mit dem Füßen an der Stange.
 

D-das könnte schmerzhaft werden, wenn ich hier schlapp mache...
 

Schließlich kamen sie endlich zu etwas, das sie eher mit Ballett in Verbindung brachte: komische Kniebeugen. Die hatten sicher eine offiziellere Bezeichnung, aber sie passte nicht so ganz auf bei den französischen Begriffen, die Neko hin und wieder von sich gab.
 

"Füße näher beisammen", kommandierte Neko. "Und die Beine kannst du bestimmt weiter nach Außen drehen!"

"Ja, ja..."
 

Ich komm mir vor wie ein Krebs...
 

Es folgten mehrere Arten von "herum posieren", wobei Neko bei beiden alles mögliche von der Haltung bis zur Position der Arme und Beine nachjustierte.

Das nächste große Highlight war "Albernes herum hüpfen auf der Stelle".
 

Na ja, das ist zumindest einigermaßen spaßig...
 

"Ich glaube, es wird langsam Zeit für einige einfache Tanzfolgen", sagte Neko schließlich.

"Von mir aus..."

"I-ich bin bereit, Sensei!"
 

Das wird schon nicht so schlim...
 

*
 

Völlig erschöpft ließ sich Shiroko auf die Knie fallen. Hana hielt sich etwas länger - wenn auch sehr wackelig - auf den Beinen, ging dann jedoch schließlich etwas eleganter zu Boden.
 

"Ich kann... nicht mehr", sagte Shiroko. "Ihr zwei Blutsauger... schummelt doch..."

"S-so was sagt... man doch nicht...", warf Hana ein.

"Ja, ich glaube, ihr habt erst einmal genug...", kommentierte Neko. "Wollt Ihr weiter machen, Herrin?"

"Sicher!", antwortete die kleine Herrin. "Ich will zeigen, was mich hier zum Senpai macht!"

"Oh, gibt es jetzt Spitzentanz?", fragte Hana neugierig.

"Nein. Sie ist noch nicht ganz so weit."
 

Shiroko suchte sich ein gemütliches Plätzchen unter der Barre und setzte sich hin, ihre Beine ausgestreckt, um ihren schmerzenden Füßen etwas Ruhe zu gönnen. Hana setzte sich neben ihr, ihre Beine angezogen und von ihren Armen locker umschlungen.

Die beiden Vampire begannen sogleich mit einem fortgeschritteneren Tanz. Shiroko war keine Expertin beim Beurteilen von Tänzen, aber sie war sich sicher, dass sie mindestens die Hälfte wohl nicht hinbekommen würde.
 

Wie unbeschwert das bei den aussieht...
 

"Neko ist eine wundervolle Tänzerin", kommentierte Hana. "Findest du nicht auch?"

"Ehrlich gesagt bin ich etwas von ihrem Katzenschwanz abgelenkt. Der ist irgendwie hypnotisch."

"Jetzt seh ich's auch..."

"Ja..."

"Es ist, als würde sie keinen Muskel rühren, aber trotzdem geht er fließend von einer Figur zur anderen über..."

"Ja..."
 

Schließlich war auch der Teil des Unterrichts vorbei. Zufrieden nahm die kleine Herrin zwischen den Dienstmädchen platz.
 

"Das war sü... wunderschön, Her... Senpai!", sagt Hana.

"Hehe, ach, nicht doch...", erwiderte die kleine Herrin grinsend.
 

Neko tupfte sich mit einem Handtuch das Gesicht ab und ging dann ebenfalls zu den anderen.
 

"Du bist unglaublich talentiert, Sensei!", schwärmte Hana. "Und es sieht alles so leicht und unbeschwert aus, wenn du es machst!"

"Ach, das ist alles Übung. Ich tanze ja schon, solange ich laufen kann..."

"W-wow..."

"Jedenfalls wär es das dann für heute. Ihr könnt gehen."

"Und du, Sensei?", fragte Hana.

"Miauster wird bald hier sein, und er verlangt nach mir als Tanzpar..."

"M-miauster?!"
 

Hana versuchte, sich ein Lachen zu verkneifen - was auch ganz prima gelang, als Neko sich plötzlich zu ihr herunter beugte.
 

"Ist was?", fragte das Catgirl.

"N-n-nichts..."
 

Die kleine Herrin schien plötzlich einen Geistesblitz zu haben.
 

"Können wir dir und Brüderchen beim Tanzen zugucken?! Da können wir bestimmt viel von lernen!"

"Mmh, ich weiß nicht..."

"Bittöö..."

"Na ja, ich könnte ja mal nachfragen."
 

Ein paar Minuten später stand der Meister im Tanzsaal. Er hatte ein etwa Nekos Alter und war zumeist schneidig gekleidet, wobei Shiroko seine aktuelle Shirt-und-Strumpfhose Kombi etwas sonderbar fand.
 

Da sind die Trikots hier schon etwas schicker...
 

Der Meister macht einen eher skeptischen Eintrug, als er sich Nekos Vorschlag anhörte.
 

"Ich weiß nicht", sagte er. "So viel Publikum bin ich nicht gewohnt..."

"Ach, Miauster, ziert Euch nicht so!"

"Mmh..."

"Komm schon, Brüderchen!", rief seine kleine Schwester.
 

Nach ein bisschen mehr Zureden in dieser Art tanzten er und das Catgirl schließlich durch den Saal. Seine Schwester und Hana beobachteten sie gebannt und mit großen Augen.
 

"Das ist so romantisch...", schwärmte Hana.

"Hat was...", kommentierte Shiroko.
 

Hübsches Pärchen...
 

*
 

Eine der Annehmlichkeiten der Villa waren die Badewannen in jedem Badezimmer. Shiroko bevorzugte Duschen weil das schneller ging, aber nach so einer Herrinnen-Bespaßung hatte sie etwas Entspannenderes verdient. Sie versank bis zur Unterlippe im warmen Wasser und schloss ihre Augen.
 

Das war anstrengender, als ich dachte. Aber das wird mich wohl abhärten - wenn ich mir nicht vorher etwas breche...
 

In Gedanken sah sie sich selbst im Wandspiegel beäugen, während sie unbeholfen durch den Raum hüpfte. Dann schweiften ihre Gedanken um zu Nekos Darbietungen.
 

Sie machte eine gute Figur... Ob ich mal so gut werde? Ach, was denk ich da für einen Quatsch...
 

Dann ging sie noch einmal die anschließenden Ereignisse im Umkleideraum durch. Sie hatte sich gerade umgezogen und war dabei, ihren Dutt zu entwirren.
 

"Brauchst du Hilfe?", fragte Hana.

"... Ja..."

"Dann lass mich nur. Ich habe das ja verbrochen."

"..."

"Ich freu mich ja auf nächstes Mal..."

"So?"

"Sicher! Das hat doch Spaß gemacht, oder?"

"Nun ja, war recht kurzweilig..."

"Genau! Es gibt noch so viel Tolles zu entdecken!"

"..."

"Hast du Sonntags eigentlich auch frei?"

"Ja."

"Wunderbar. Hast du dann heute noch was vor?"

"So spontan nicht. Wieso?"

"In der Nachtschicht krieg ich ja nicht viel von der Sonne mit, deshalb bleibe ich Samstags länger wach und genieße den Morgen bei einem ausgiebigen Spaziergang."

"Aha."

"Möchtest du mich begleiten? Die Landschaft hier ist wirklich atemberaubend, wenn man sie denn mal sieht!"

"Mmh, da müsste ich noch etwas überlegen..."

"Lass dir nur Zeit. Es ist ja noch dunkel!"

"..."
 

Langsam öffnete sie ihre Augen und starrte an die Decke des Badezimmers.
 

Ein Spaziergang? Wie lang das wohl her ist...?
 

Seit sie als Dienstmädchen hier angefangen hatte, ist sie eigentlich nie mehr als ein paar Schritte nach draußen gegangen. Ihre ganze Welt bestand im Prinzip nur aus einer Villa, umgeben von der Leere der Nacht.
 

Schon etwas merkwürdig, wenn ich mir das so durch den Kopf gehen lasse... Sicher, ich war schon immer mehr ein Stubenhocker, aber wer soll mich hier schon groß anstarren? Der Gärtner?
 

"Ach, man..."
 

Sie entschied, dass sie erst mal genug gebadet hatte. Getrocknet und in einen Bademantel gehüllt machte sie sich auf zu ihrem Zimmer.

Vor ihrer Tür fand sie dieses mal Neko vor. Ihre aktuelle Kombination aus Ballett-Trikot und Pfotenschuhen wirkte besonders drollig.
 

"Was gibt es denn?", fragte Shiroko.

"Ich hab Hunger", antwortete Neko mit hängenden Ohren. "Besonders, da ich mich heut so verausgabt habe..."

"Selbst schuld..."
 

In ihrem Zimmer nahm sie auf dem Bett platz und strich ihr Haar beiseite, um ihren Hals zu entblößen.

Gäbe es eine Bewertungsstelle für Vampirbisse, würde sie Neko wohl eine bessere Note als der alten Herrin geben. Vor nicht allzu langer Zeit wurde Neko ja selbst vom Meister "angezapft", und sie wusste noch genau wie sich das am besten anfühlt.
 

"Danke", sagte Neko schließlich, als sie fertig war. "Das hatte ich nötig."

"Gefällt dem Meister dein neuer Tanzfummel?"

"E-er hat sich zumindest nicht beschwert..."

"Von wem ernährt er sich eigentlich im Moment? Margaret?"
 

Als Chef-Dienstmädchen war Margaret ein wahrscheinlicher Kandidat für einen solchen Dienst.
 

"Ach, aktuell wechselt er häufig. Damit er nicht ein Dienstmädchen zu sehr belastet."

"Wirst du da nicht ein wenig neidisch?"
 

Das Catgirl zuckte mit den Schultern.
 

"Er ist quasi der einzige Junge hier in der Villa. Lässt sich nicht vermeiden, dass andere nach ihm schmachten."
 

Oha.
 

"Aber was Tanzen angeht bin ich euch allen um Jahre voraus", fügte Neko grinsend hinzu.

"Wo du recht hast..."

"Hat dir der Unterricht eigentlich gefallen?"

"Nun ja, ich habe jedenfalls einiges über meine Anatomie gelernt..."

"Immerhin. Und du wirst sehen, das macht richtig Spaß, wenn man den Bogen raus hat."

"Hoff ich doch."

"Bis später dann..."
 

Zum Meister, wie ich annehme...
 

Wieder allein in ihrem Zimmer, legte sie sich aufs Bett hin und betrachtete ihre Zimmerdecke.
 

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Spazieren gehen... man, hab ich überhaupt noch Sachen, die ich dafür anziehen kann?
 

Sie drehte sich zu ihrem Kleiderschrank um.
 

Hab da glaub ich noch alte Kleidung von vor meiner Dienstmädchen-Zeit. Man, die hatte ich ja ewig nicht mehr an. Zum Glück war ich schon ausgewachsen, als ich hier anfing...
 

Sie seufzte.
 

Dieser Tag ist echt schräg...

Nach der Durchsuchung einer selten benutzten Schublade ihres Kleiderschranks fand Shiroko ihre alten Sachen. Wie erhofft passte ihr alles noch einigermaßen.
 

Ich zieh mich besser warm an. So spät - oder eher früh - ist es bestimmt noch frisch...
 

Nach kurzer Überlegung fand sie, dass Jeans über Leggings sowie ein schwarzer Pullover über einem Top wohl ausreichen dürften. An Schuhwerk für Draußen hatte sie leider nur ein Paar alte Sneaker, aber Socken über normalen Strümpfen dürften das hoffentlich kompensieren.
 

Zu guter Letzt schnappte sie sich noch eine alte Jacke und machte sich auf den Weg.

Zumindest hatte sie das vor. Im Türrahmen fiel ihr noch etwas ein. Sie drehte sich wieder um, ging zu ihrem Nachttisch und stöberte dort in der Schublade herum, bis sie schließlich eine Sonnenrille fand.
 

Sicher ist sicher...
 

Ohne besondere Vorkommnisse kam sie schließlich an Hanas Zimmer an. Sie zögerte kurz, klopfte dann jedoch.

Einen Moment später öffnete Hana die Tür. Sie trug ein blaues Hemd mit passendem Rock, dazu eine Jacke in einem dunkleren Blauton, einen Rucksack sowie eine weiße Strumpfhose. In ihrer Hand hielt sie ein Paar braune Stiefel.
 

"Ah, freut mich, dass du dich mir anschließt!", sagte sie. "Was soll die Sonnenbrille?"

"Ach, ich vertrage grelles Licht nicht so gut, deshalb wollte ich kein Risiko eingehen..."

"Ah. Dann kann ja nichts mehr schief gehen!"

"Hoffentlich..."
 

*
 

Am Horizont wurde es schon langsam hell, als sie nach draußen gingen. Während sie sich immer weiter und länger von der Villa entfernten wurde Shiroko klar, wie viel ihr ungewohnt geworden war: Der kalte Wind in ihrem Haar. Der unebene Weg, auf dem sie gingen. Der Mangel an Wänden und ganz besonders an Decken.
 

Wie viel Platz hier ist... hoffentlich lass ich mir nichts anmerken...
 

Der Weg führte gemächlich zur Andeutung eines Hügels, bedeckt von einem Wäldchen. Er konnte wohl nicht besonders groß sein, aber als sie erst einmal richtig drin waren machte das keinen großen Unterschied mehr.

Der Weg wurde noch ein wenig unebener. Der Wald schien sowohl Geräusche zu dämpfen, als auch seine eigene Geräuschkulisse zu liefern: ein Rascheln hier, ein fernes Vogelgezwitscher dort.
 

Das ist schon ein wenig anders als ein Stadtpark...
 

"Angst?", fragte Hana scherzhaft.

"W-was? Ich?! Nein."

"Hier gäbe es auch nicht wirklich etwas, vor dem man Angst haben müsste - sofern du keine Eulenphobie hast."

"Eher nicht..."
 

Der Weg begann, sie langsam bergab zu führen. Die Bäume wurden lichter und gaben schließlich den Blick frei auf einen Teich. Erste Blumen blühten im umliegenden Gras.

Shiroko kniff die Augen reflexartig zusammen, als die Sonne richtig über dem Horizont erschien und die Landschaft mit Licht flutete.

Vorsichtig öffnete sie wieder ihre Augen, und sie sah wie der Teich und der Morgentau auf dem Gras und den Blumen im Sonnenlicht wie Juwelen funkelten.
 

"W-wow..."

"Hübsch, nicht wahr?!"
 

Hana holte eine Picknickdecke aus ihrem Rucksack hervor und breitete es aus. Dann nahm sie Platz und holte noch einen Schreibblock samt Stiften aus dem Rucksack raus.
 

"Das hier ist ein schönes Plätzchen, um eine Pause einzulegen", erklärte sie. "Dabei kritzel ich gerne herum."

"Macht Sinn..."
 

Sie schlug den Block zu einer unvollständigen Skizze des Teichs auf.
 

"... kann ich zugucken?", fragte Shiroko.

"Sicher, wenn es dich nicht langweilt."

"B-bestimmt nicht..."
 

Shiroko blickte ihr über die Schulter, während sie mit ruhiger und geübter Hand die Landschaft auf Papier festhielt.
 

Sie ist gut...
 

Nach einer Weile konnte Shiroko ein herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken.
 

"O-oh...", sagte sie peinlich berührt. "M-mir ist nicht langweilig. Ich bin nur etwas müde..."

"Das macht nichts. War ja auch ein langer Tag. Oder Nacht."

"Ja, Nachtschicht ist etwas verwirrend..."

"Durchaus. Aber ich glaube, ich bin für heute eh soweit fertig."
 

Dank der Sonne - und dem zahlreicheren Vogelgesang - machte der Wald auf dem Rückweg einen freundlicheren Eindruck. Fast ließ er Shiroko ihre Müdigkeit vergessen, aber sie meldete sich mit einem weiteren Gähnen zurück.
 

"Darf ich heut Abend bei dir vorbei schauen?", fragte Hana. "Ich muss dir ja noch die Manga zurück geben. Und vielleicht andere Bände ausleihen..."

"Sicher..."

"Das freut mich."
 

Ob ich schon ein paar geeignete Bände raus suchen sollte? Ach, was denk ich da...
 

*
 

Wieder in ihrem Zimmer angekommen zog sie sich schnell um ließ sich mit einem herzhaften Gähnen aufs Bett fallen. Sie schlief wie ein Stein und wachte fast zwei Stunden später auf als sonst.

Abgesehen von ihrer Dienstkleidung und ihren alten Sachen hatte sie keine besonders große Auswahl an Kleidungsstücken für ihre Freizeit. Ihre Yoga-Hose mit Top wäre eine Auswahl, aber da sie Sonntags meist eh nur in ihrem Zimmer herumlungerte entschloss sie sich wie so oft für ein frisches Nachthemd.
 

Es klopfte an der Tür. Hana war das jedoch noch nicht, sondern Neko. Sie war an Sonntagen ein häufiger Gast, um bei ihr etwas Manga zu schmökern. Sie trug auch ein Nachthemd - bei ihr ebenfalls das lässigste Kleidungsstück im Angebot - und wie immer ihre Pfotenschuhen.
 

"Hi", grüßte Shiroko sie. "Hana kommt wohl später auch mal vorbei."

"Ah, könnte interessant werden..."
 

Neko suchte sich einen Platz auf dem Boden, während Shiroko sich zum Schmökern auf ihr Bett legte.

Sie wurde langsam hungrig, als es erneut an der Tür klopfte.
 

"Das müsste sie sein...", sagte Shiroko, während sie vom Bett aufstand.
 

Hana präsentierte sich mit einem weißen T-Shirt und einer rosa Jogginghose - die ihr wohl etwas zu lang war - mitsamt einem paar grauer Pantoffeln.
 

"Hi!", grüßte sie.

"Nur hereinspaziert..."
 

Hana wollte das Zimmer betreten, hielt aber inne, als sie Neko bemerkte.
 

"S-sensei?!"

"Nichts da mit Sensei", korrigierte das Catgirl. "Ich hab grad genau so sehr Feierabend wie du."

"Dann bin ich ja beruhigt...", sagte Hana erleichtert.
 

Sie holte sogleich einen Schreibblock aus ihrem Rucksack hervor, während sie zielstrebig in Richtung der Manga ging.
 

"Zeichnest du etwa?", fragte Neko neugierig.

"In der Tat!"

"Cool..."

"Habt ihr zwei Hunger?", warf Shiroko ein. "Ich hab vor, mir etwas Sushi zu machen."

"Klingt lecker", sagte Hana. "Kann ich auch was haben?"

"Ich auch!", rief Neko. "Mit Thunfisch!"

"Kommt sofort, ihr beiden..."
 

Shiroko wandte sich wieder auf zur Tür und schlüpfte in ihre...
 

"Du hast auch Pfotenschuhe?!", rief Hana erstaunt.

"Äh, ja", antwortete Shiroko leicht verlegen. "Die waren ein Weihnachtsgeschenk..."

"Du siehst süß darin aus. Fehlen nur noch Katzenohren!"

"D-danke..."
 

In der Küche angekommen machte sie sich sogleich ans Werk. Sushi für drei bedeutete natürlich mehr Aufwand, aber so hatte sie wenigstens eine größere Menge an Reis zum Arbeiten. Ihr bevorzugtes Sushi waren die gerollten Makizushi, weil die so schön kompakt und handlich sind.

Sie rollte genug für drei Bentos zusammen und machte sich wieder auf den Weg zurück. In ihrem Zimmer fand sie eine schlafende Neko vor, daneben eine besorgt dreinblickende Hana.
 

Neko wurde wohl ungeduldig...
 

"S-sie hat mir beim Zeichnen zugeguckt", erklärte Hana. "Dann hat sie einen Beutel heraus gekramt und war kurz darauf total weggetreten! H-hat sie ein Drogenproblem?!"

"Ach, das war nur Katzenminze", erklärte Shiroko. "Wenn du willst, dass sie sofort aufwacht, musst du ihr nur Thunfisch-Sushi vor die Nase halten."

"Mmh, wenn das so ist, kann das Aufwecken glaub ich noch etwas warten..."
 

Hana zückte wieder ihren Schreibblock und fing an zu zeichnen.
 

Aha...?
 

"Was wird das denn?", fragte Shiroko neugierig, während sie sich ein Sushi einwarf.

"Ach, sie hat genau die richtige Schlafpose für niedliches Chibi-Catgirl..."

"Oha, das muss ich sehen..."

"Vorher ess ich aber glaub ich einen Happen Sushi..."

"Bitte sehr", sagte Shiroko und überreichte ihr ihre Portion.

"Ah, Danke... Mmmh, der Reis ist gut gewürzt!"

"Ich misch da immer ein bisschen Wasabi mit dabei."

"Ah, gute Idee. Das muss ich mir merken..."

"Das Rezept kostet dich ein Chibi-Catgirl."

"Was? Oh, ja, kommt sofort!"
 

*
 

Neko erwachte vom Geruch nach Fisch. Sie öffnete ihre Augen und erspähte eine Ladung Sushi direkt vor ihr. Instinktiv schnappte sie sich einen davon und verschlang ihn gierig.
 

"Ah, endlich bist du wieder wach", hörte sie Shiroko. "Hana hat sich leicht sorgen gemacht. Dir einfach so Katzenminze reinzuziehen, ohne sie vorher aufzuklären..."

"Ich dachte, ihr wüsstet Bescheid über Catgirls", sagte Neko, während sie sich aufrichtete. "Die tauchen ja oft genug in Manga und im Fernsehen auf..."

"Jedenfalls hat das ganze sie inspiriert."

"Wozu denn?"

"Hier!"
 

Stolz überreichte Hana ihr das Bild. Das Catgirl errötete.
 

"S-süüß.."

Wo dieser Staub immer herkommt...
 

Es war ein typischer Putztag. Routiniert stöpselte Shiroko ihren Staubsauger aus und machte sich auf zum nächsten Flur.

Auf ihrem Weg von einer Steckdose zur nächsten warf sie im Vorbeigehen gerne einen Blick durch offenen Türen. Das diente hauptsächlich der Abwechslung, und zumeist fand sie nicht mehr als einen menschenleeren Raum, gelegentlich auch mal einen mit einem anderen Dienstmädchen bei der Arbeit.

An einer Tür musste sie jedoch inne halten.
 

Hana war gerade dabei ein Regal zu entstauben. Sie kam nicht ganz an das oberste Regal heran, weswegen sie auf den Zehenspitzen stand - auf einem Bein, um genau zu sein. Das andere Bein war etwas theatralisch nach hinten abgespreizt.
 

"Was wird das denn?", fragte Shiroko.
 

Hana erschrak, kämpfe mit der Balance, erinnerte sich dann jedoch rechtzeitig daran, dass sie noch ein zweites Bein hatet.
 

"Äh... ich... entstaube das Regal.", antwortete sie verlegen.

"Mit einer Leiter ginge das glaube ich einfacher."

"Ach, so hoch ist auch wieder nicht, und ich dachte, ich könnte bei der Gelegenheit etwas üben..."

"A-haa. Aber woher weißt du, ob deine Haltung auch stimmt?"

"Mmh, eigentlich gar nicht. Mir ging's eher nur um die Balance..."
 

Ein braunhaariges Dienstmädchen in ihren 30ern blickte durch den Türrahmen in den Raum. Es handelte sich um Margaret, das Chef-Dienstmädchen der Villa.
 

"Da bist du ja", sagte sie zu Shiroko. "Der Meister wünscht, dass der Keller geräumt wird."
 

Sie warf einen Blick auf Hana.
 

"Noch ein Dienstmädchen könnte nicht schaden. Du kommst auch mit."

"J-jawohl!"
 

Kurz darauf folgten die beiden Margaret.
 

"Da bin ich ja mal gespannt...", sagte Hana. "Im Keller war ich noch nie."

"Ist halb so wild. Der gefährliche Kram wurde eh schon beseitigt."

"G-gefährlich?!"

"Der alte Meister hat den größten Teil des Kellers zu einer Art Labor umgewandelt. Seit seinem Tod wurden diese Räume kaum angerührt."

"Ah..."
 

Margaret blieb stehen und öffnete eine nahe Tür. Dahinter führte eine schlichte Treppe nach unten. In regelmäßigen Abständen angebrachte Glühbirnen erhellten den Gang.
 

"Ich habe Neko schon einmal vorgeschickt", erklärte sie "Daher ist das Licht schon an."
 

Die Treppe endete in einem tristen Gang, der im Vergleich zu den weiträumigen Fluren im Rest der Villa etwas einengend wirkte.

Sie gingen an einigen Türen vorbei, die den noch aktiv benutzten Teil des Kellers darstellte: Eine Vorratskammer, ein Weinkeller, und ein Serverraum. Der unbenutzte Teil des Kellers befand sich weiter hinten, wo der Gang abknickte, fast so, als wollte dieser Teil der Villa übersehen werden.

Als sie um die Ecke bogen, kam Neko aus einer offenen Tür herausgestürmt.
 

"Ist da staubig...", sagte sie laut hustend. "Ich sollte mir das Atmen abgewöhnen..."
 

Stimmt ja, als Vampir braucht sie das nicht mehr...
 

"Ein Mundschutz wäre wohl nicht schlecht...", merkte Shiroko an.
 

*
 

Der erste Raum, den sie sich vornahmen, diente früher als Labor. Sie fanden zahlreiche Bücher und Ordner, alle dick mit Staub bedeckt. Reagenzgläser und andere Behälter in allen Formen und Größen fehlten auch nicht. Einige wenige waren leer, viele enthielten diverse Flüssigkeiten (einige davon offenbar Blut), und andere wiederum enthielten allerlei Absonderlichkeiten.
 

"Irre...", murmelte Hana.
 

Sie hielt einen Glasbehälter in der Hand. Darin befand sich eine in Alkohol eingelegte Fledermaus mit dem Kopf eines Moskitos.
 

"Ah, der gehört wohl zum gleichen Set..."
 

Shiroko präsentierte einen weiteren Behälter. Dessen Fledermaus hatte den Kopf eines Blutegels.
 

"Oha..."
 

Sie verstauten ihre Funde in eine Kiste.
 

"Wofür das alles hier wohl gut war?", wunderte sich Hana. "Ich hab damals nicht wirklich etwas mitbekommen."

"Der alte Meister wurde wunderlich", erzählte Shiroko. "Eine Art Größenwahn oder so. Er wurde schließlich getötet, als er sich mit einem Magical Girl anlegte."
 

Hana stutzte.
 

"Magical Girl? Ist das dein ernst?"

"Du arbeitest für Vampire und hast ein Catgirl als Kollegin. Du solltest eigentlich offener für das Fantastische sein."
 

Hana blickte kurz rüber zu Neko, die gerade ein Glas voller Augäpfel betrachtete.
 

"Trotzdem...", sagte sie schließlich.
 

Etwas später räumten sie ein Bücherregal leer. Hana blätterte in einem alten Folianten herum.
 

"Sieht aus wie aus einem Horrorfilm. Sind die sicher?"

"Keine Sorge. Ich sagte ja, dass alles Gefährliche schon längst entsorgt wurde. Die Räumlichkeiten wurden zwar nicht weiter genutzt, aber man wollte sicherstellen, dass sich hier nicht irgendwelche Experimente von selbst fertig stellen..."

"Ah..."

"... oder irgendwelche uralten Folianten die Bewohner der Villa in den Wahnsinn treiben."
 

Hana schloss das Buch und machte sich weiter an die Arbeit. Shiroko wiederum geriet ins Grübeln.
 

Ja, das sind nur stinknormale Bücher, aber der Inhalt... Ob die Herrin sie gelesen hat? Kam sie deswegen auf ähnliche Ideen wie ihr Vater?
 

*
 

"Guten Abend, Herrin! Wie geht es Eu..."

"Ich bin gerade beschäftigt."

"O-oh..."
 

Es fing langsam an nach dem Tod des alten Meister. Die Herrin vertiefte sich immer mehr in ihre Arbeit, gab sich immer öfter unnahbar...
 

*
 

"Hey!", rief Neko. "Wir haben hier keine Zeit zum Tagträumen!"
 

Shiroko erschrak, und lief rot an.
 

"J-ja...", sagte sie kleinlaut.
 

Gut, dass Margaret nicht bei uns geblieben ist. Die ist von mir Besseres gewohnt...
 

"Alles in Ordnung?", fragte Hana.

"Ja. Ich hab mich nur etwas ausgeruht..."
 

*
 

Shiroko saß halb zugedeckt in ihrem Bett, ihre Arme um ihre angezogenen Beine geschlungen.
 

Mist...
 

Sie hasste es manchmal, allein mit ihren Gedanken zu sein - besonders nach einem Tag wie diesen, der sie ins Grübeln brachte.

Bilder der Herrin gingen ihr durch den Kopf: Die zuneigungsvolle Herrin. Die abweisende Herrin. Die Herrin, die sie wie eine Puppe durch den Raum warf.
 

Hat sie sich verändert, oder war ich immer nur eine Puppe für sie gewesen?
 

Sie konzentrierte sich, versuchte, sich an möglichst viele Details zu erinnern.
 

Mmh... gab es in ihrem Verhalten irgendwelche Hinweise? Habe ich sie nicht gesehen, oder... wollte ich sie nicht sehen?
 

Sie drückte ihre Beine noch fester an sich.
 

Mist...
 

*
 

Mit dem Samstag stand wieder Ballettunterricht bevor. Shiroko fand es immer noch sehr ungewohnt, und Hana musste ihr wieder mit dem Dutt helfen.
 

Ein wenig komm ich mir vor wie ein kleines Kind...
 

Sie bemerkte, dass Neko dieses mal recht viele Boden- und Dehnübungen eingeplant hatte. Der Grund dafür wurde deutlich, als die kleine Herrin ein Hohlkreuz machte, bei dem sie ihren Kopf mit den Zehenspitzen berührte.
 

"O-oha...", murmelte Shiroko.

"D-das ist ja wie im Zirkus...", sagte Hana.
 

"Ah, sie macht das schon sehr gut", kommentierte Neko, die ihre drei Schülerinnen mit langsamen Schritten umkreiste. "Jetzt fehlt nur noch ihr zwei."

"W-was?!", rief Hana. "Das geht einfach so?!"

"Natürlich. Dafür habt ihr euch ja aufgewärmt. Aber wenn ihr wollt, kann ich euch etwas helfen..."

"V-vielleicht später..."
 

Wenn das nicht gleich klappt, konnte das hier sehr schnell zum Wrestling-Unterricht werden...
 

*
 

Shiroko lag auf der Picknick-Decke und genoss die Sonnenstrahlen. Hana saß neben ihr und war wieder mit einer Zeichnung beschäftigt.
 

"So", sagte sie schließlich. "Das reicht glaub ich für heute... Sag mal, schläfst du?"

"Was? Ich? Nein. Das ist doch viel zu hell für mich."

"Ah, ach so..."
 

Shiroko richtete sich auf und verzog ihr Gesicht vor Schmerz. Mit einer Hand fuhr sie sich an den Rücken.
 

"Tut immer noch weh?", fragte Hana.

"Ja. Ist seit dem Bad aber besser geworden."

"Das war aber auch etwas fies mit dieser... wie hieß das nochmal?"

"Boston Crab."

"Ah, genau..."
 

Bevor sie sich auf den Weg zurück machten warf Shiroko noch einen Blick auf den Teich und die umliegende Landschaft. Vor ihrem inneren Auge sah sie aber vor allem ihr warmes Bett, nach dem sie sich nach all den Strapazen sehnte.

Nach einem kurzen Marsch waren sie schon fast wieder auf ihren Zimmern, als sie in einem Flur auf ein anderes Dienstmädchen trafen. Es hielt mit ihrem Besen inne und betrachtete sie argwöhnisch.
 

Die kenn ich doch...
 

Shiroko beschleunigte ihren Schritt und vermied Augenkontakt mit dem Mädchen. Hana folgte etwas verwirrt.
 

"He, was..."
 

Shiroko ergriff ihre Hand und beschleunigte noch einmal. Hana folgte ihr anstandslos, wohl etwas zu überrumpelt von der ganzen Situation.

Zwei Flure weiter verlangsamte Shiroko wieder ihre Schritte.
 

"Ähm, was war denn das?", fragte Hana vorsichtig.
 

Shiroko errötete. Ein Anfall von Reue überkam sie.
 

Ach, Mist...
 

"Sie war mal in der Nachtschicht", erklärte sie. "Hatte ich schon halb verdrängt. Der alten Herrin hat sie irgendwie nicht gefallen. Sie wurde quasi in die Tagesschicht gemobbt."

"O-oh. Aber was hat das mit dir zu tun?"

"Sie kann mich nicht ausstehen. Ich war ja der Liebling der Herrin."

"Aber das ist doch nicht deine Schuld! Das muss sie doch einsehen, wenn wir mit ihr reden!"

"Reden ist so eine Sache. Das Mobbing fing erst an, als ich mit ihr geredet habe."

"O-oh..."

"Ich schätze, sie braucht einfach etwas Zeit für sich. Ein wenig wie ich. Ich bin hundemüde."

"O-okay..."
 

*
 

Shiroko lag in ihrem Bett und starrte auf die Decke. Wirklich hundemüde war sie nicht. Dafür gingen ihre zu viele Gedanken durch den Kopf
 

Es war nur harmloses Geplauder. Aber der Herrin war das wohl schon zu viel. Nicht, dass ich mich noch mit wem anfreunde. Wieder etwas, was ich nicht sehen wollte...
 

Sie legte sich auf die Seite und starrte an die Wand.
 

Mit Neko durfte ich dann aber Kontakt habe. Hatte der Meister da seine Finger im Spiel? Oder hatte die Herrin da schon ihr Interesse an mir verloren...?
 

Sie wälzte sich auf die andere Seite und warf sich die Decke über den Kopf.
 

Mist...

"Vorsicht da drüben", sagte Shiroko. "Das Gefälle ist tückisch."

"O-okay...", sagte Hana.
 

Ein Hallenbad zu reinigen ist im Grunde ähnlich wie die Reinigung eines überdimensionalen Badezimmers. Allerdings sind Badezimmer meist durchgehend ebenerdig, während der Boden hier zum Sprungturm hin absackte. Dieses Gefälle war steil genug dass man sich in acht nehmen musste, vor allem wenn man keine Lust hatte aus dem Pool raus- und Ende des Gefälles wieder hereinzuklettern.
 

"Dürfen wir den Pool hier eigentlich auch benutzen?", fragte Hana nach einer Weile. "Wenn er wieder im Betrieb ist, natürlich."

"Ich glaube schon, aber gemacht hab ich das selbst noch nicht."

"Aha..."
 

Das Albino-Mädchen legte eine kurze Pause ein und sah sich um. Im ganzen Hallenbad gab es kein einziges Fenster. Vampire vergessen beim Baden wohl gerne mal die Zeit. Dafür wurde ein strahlender Himmel an die Decke gemalt, was für Vampire wohl Sehnsüchte wecken oder einfach nur morbide sein soll. Die Wände waren mit antiken Säulen verziert, und die Zwischenräume zeigten eine teils überschwemmte antike Tempelanlage, ganz so als würde man innerhalb einer Ruine baden gehen.
 

Ne, hier allein herumzuschwimmen wäre schon ein bisschen seltsam...
 

Pünktlich zum Feierabend waren die beiden schließlich fertig mit der Arbeit. Sie kletterten aus dem Pool und trockneten ihre Füße ab. Sie schlüpften in ihre Schuhe, ohne ihre Strumpfhosen anzuziehen.
 

Für den kurzen Weg zurück ins Zimmer lohnt sich das nicht...
 

"Funktionieren die Duschen hier eigentlich schon?", fragte Hana.

"Nein, die werden erst morgen inspiziert."

"Oh..."

"Ein warmes Bad wäre mir gerade eh lieber."

"Sicher. Was dagegen, wenn ich nachher bei dir vorbei schaue?"

"Nur zu..."

"Danke! Bis später dann!"

"Später..."
 

*
 

Ein warmes Bad später lag Shiroko in einem Nachthemd auf ihrem Bett und schmökerte in einem Manga herum - zumindest, bis der erwartete Besuch an die Tür klopfte.
 

"Herein...", sagte sie und richtete sich auf.
 

Hana trug trug ebenfalls ein Nachthemd und hielt eine Tüte in der Hand. Ihr Blick fiel sogleich auf Shiroko.
 

"Trägst du Pfoten und Socken?", fragte sie.

"Ach, na der Sache im Pool war mir kalt."

"Ach so..."

"Was is in der Tüte?"

"Ach, ich hab nur ein bisschen was bestellt..."
 

Hana griff in die Tasche und holte einen Manga hervor. Shiroko beäugte ihn sofort.
 

"Aha, davon habe ich schon gehört... darf ich?"

"Aber sicher doch!"
 

Sie griff wieder in die Tüte
 

"Ich hab uns auch Scrunchies gekauft!"

"Scrunchies?"

"Ja! Damit gehn die Dutts leichter von der Hand. Hab die auch extra in Schwarz gekauft, damit es zu den Trikots passt. Oder den Uniformen..."

"Ich mach eigentlich nicht wirklich viel mit meiner Frisur..."
 

Auffallen tu ich auch so...
 

"Ach, vielleicht kommst du noch auf den Geschmack", sagte Hana und stand auf. "Ich mach uns erst mal was zu essen!"

"Das wär nett."
 

Shiroko wartete ab, bis Hanas Schritte auf dem Flur verhallten, dann legte sie den Manga blitzschnell beiseite, schnappte sich einen Scrunchie und stellte sich vor ihrem Wandspiegel auf. Sie versuchte sich erst an einem Pferdeschwanz.
 

Mmh...
 

Dann versuchte sie sich an einem gewagteren Seitenzopf.
 

Mmmh...
 

Sie hörte Schritte. Noch bevor Hana die Tür öffnete lag Shiroko wieder Manga-lesend auf dem Bett, als hätte sie es nie verlassen.
 

"Das ging ja schnell", merkte das Albino-Mädchen an.

"Ach, da waren noch so viele Reste übrig, da musste ich eigentlich nicht viel machen..."
 

Sie legte ein Tablett auf dem Boden, auf dem ein Bento-Gericht mit viel Gemüse und zwei Schüsseln Reis lag.

Shiroko setzte sich Hana gegenüber auf den Boden, schnappte sich eine der Reis-Schüsseln sowie eine der ausgelegten Tomaten.
 

"Sag mal", begann Hana nach einem Stück Paprika. "Glaubst du, dass es für den Gast einen Ball geben wird?"

"Mmh?", fragte Shiroko, vom Essen etwas abgelenkt.

"Dieser Vampir aus Europa."

"Ach so. Eher nicht. Der ist ja ein Verwandter des Meisters, und nach zwei Todesfällen in der Familie haben die wohl wenig Lust auf Feiern."

"Oh, stimmt ja..."

"Viel mitbekommen würdest du von einem Ball ohnehin nicht viel. Ältere Vampire sind etwas eigen und haben oft wenig Interesse an fremden Menschen. Den wirst du wahrscheinlich nur aus der Ferne zu sehen bekommen."

"Oh..."

"Vielleicht ist das auch einfach eine Vorsichtsmaßnahme, damit die wehrten Gäste nicht an den eigenen Dienstmädchen herum naschen."

"O-oha, d-das klingt ja gefährlich..."

"Zur Not hilft ein Kreuz um den Hals. Da müsstest du aber auch achten, wann du es wieder ablegst. Neko hat noch keine Erfahrung mit Kruzifixen. Keine Ahnung, wie die darauf reagieren würde..."

"A-also mit meiner Tanzlehrerin will ich es mir jedenfalls nicht versauen..."

"Katzenminze um den Hals wäre dann wohl die bessere Alternative."

"Mmh..."
 

*
 

W-was soll das jetzt... ?
 

Als Shiroko mit Ballett anfing hatte sie nicht gerechnet, dass sie mal als Dehnübung einen Spagat von einer Sitzbank zur anderen machen würde.
 

"W-weißt du, was das soll?", fragte sie Hana, die neben ihr das gleiche tat.

"K-keine Ahnung..."

"Ich hab irgendwie Angst, dass meine Beine gleich durchknicken..."

"Das ist ein Überspagat, ihr beiden", sagte die kleine Herrin.
 

Die kleine Vampirin machte ihren Spagat mit zwei Stühlen, weil sie kleiner war als die beiden Dienstmädchen. Sie berührte mit ihrem Körper fast den Boden.
 

"Ach du...", sagte Shiroko.

"S-sowas geht?!", fragte Hana erstaunt.

"Sicher. Alles eine Frage der Übung."
 

Weia. Ich dachte das wäre Ballett, keine Ausbildung zum Schlangenmenschen...
 

Ihre Lehrerin Neko marschierte in einem Kreis um die drei herum. Ihre Hände waren auf ihrem Rücken verschränkt, und ihr Katzenschwanz schwang rhythmisch von einer Seite zur anderen wie ein Metronom.
 

"Genießt den heutigen Unterricht. Nächste Woche kommt der Verwandte des Meisters und der kleinen Herrin zu Besuch, daher muss der Unterricht leider ausfallen", erklärte sie.
 

Immerhin etwas...
 

"Menno...", sagte Hana und sackte merklich ab.

"Ah, du machst gute Fortschritte, Hana!", lobte Neko.
 

Hana schient plötzlich etwas einzufallen.
 

"Ach ja, äh, dürfen wir hier eigentlich auch von uns aus üben?"

"Aha, Eigeneinsatz. Das gefällt mir. Sicher könnt ihr das, aber weil das kein offizieller Unterricht ist dürft ihr das natürlich nur in eurer Freizeit."

"D-danke, Sensei!"

"Aber bitte nur die Grundlagen üben. Nicht, dass ihr euch noch verletzt."

"N-natürlich, Sensei!"
 

Kann mir eigentlich nicht vorstellen dass das ohne sie eher vorkommen könnte...
 

Shirokos eigene Gedankengänge wurden unterbrochen, als Neko hinter ihr auf die Sitzbank sprang und beide Hände auf ihre Schulter legte.
 

"W-was...?", begann das Albino-Mädchen.

"Dein Fortschritt lässt etwas zu wünschen übrig. Ich will dir nur ein bisschen unter die Arme greifen", erklärte das Catgirl. "Entspann dich einfach."

"D-du schaffst das bestimmt, Shiroko!", feuerte Hana sie an.
 

Shiroko schluckte.
 

Weiha...
 

*
 

Eine kurze Folter-Sitzung und ein Bad später saß Shiroko auf ihrem Bett. Neko zapfte gerade ihren wöchentlichen Vorrat Blut ab, während das Albino-Mädchen ihre Beine musterte.
 

Ein Wunder, dass die noch dran sind...
 

"Du könntest es beim Unterrichten ruhig etwas ruhiger angehen", beschwerte sie sich. "Oder zumindest ein Safeword anbieten."

"War es wirklich so schlimm?"

"Ich hatte Tränen in den Augen."

"Ich hab doch gesagt, dass du dich entspannen solltest."

"Ich kann das nicht auf Kommando."

"Vielleicht sollte ich die Aufwärm-Phase etwas verlängern..."

"Gute Idee..."
 

Nach ihrer kleinen Erfrischung verschwand Neko wieder. Ausgelaugt und ausgesaugt ließ sich Shiroko auf ihr Kissen Fallen und starrte an die Decke. Das einzige Geräusch war der starke Wind und Regen, der auf ihr geschlossenes Fenster prasselte.
 

Den Trip zum Teich können wir diesmal absagen...
 

Sie griff nach einem Manga und begann zu lesen, aber sie war so erschöpft, dass sie nach zwei Kapiteln einschlief.
 

*
 

Als sie aufwachte, war der Raum stockdunkel. Sie wollte aufstehe, stieß jedoch mit dem Kopf gegen Holz. Hastig tastete sie mit den Händen umher und fand noch mehr Holz, dass sie einengte.

Sie lag in einem Sarg.
 

Panisch drückte sie gegen den Deckel, bis er nachgab. Der Sarg schwang auf, und sie wurde durch gleißendes Licht geblendet. Als sich ihre Augen langsam an das Licht gewöhnten, richtete sie sich auf und sah sich um.

Sie befand sich neben dem Teich.
 

*
 

Ein Klopfen weckte sie aus dem Schlaf. Verwirrt richtete sie sich auf.
 

Was... ? Ah, nur ein komischer Traum...
 

"Shiroko...?", hörte sie von der Tür her.

"Nur herein..."
 

Etwas verlegen betrat Hana den Raum.
 

"H-hab ich dich geweckt? Hätte nicht gedacht, dass du so lange schlafen würdest..."

"Ach, is nicht so schlimm", sagte Shiroko gähnend. "Langschläfer taugen als Dienstmädchen eh nicht viel."

"Hach, dann bin ich ja beruhigt..."

"Wieder zum Schmökern hier?"

"Das auch", begann Hana etwas verlegen. "Aber eigentlich wollte ich dich dafür in mein Zimmer einladen. So als kleine Abwechslung..."
 

Da war ich eigentlich noch nie...
 

"Sicher..."

"Das freut mich!"
 

*
 

Hanas Zimmer war auf jeden Fall grüner als ihres. Blumen zierten die Fensterbank und einige Regale, in zumeist kitschig verzierten Blumentöpfen. In weiteren Regalen befanden sich Mangas - offenbar ordentlicher sortiert als ihre eigene Sammlung - sowie Papierblöcke und zahllose Stifte.
 

"Neko habe ich auch schon eingeladen", erklärte Hana. "Sie bereitet gerade Ramen für uns zu."

"Aha..."
 

Hana schlüpfte aus ihren Pantoffeln und stellte sich ordentlich zu einer Gruppe von Schuhen, die sich neben der Tür befand. Shiroko lagerte ihre Schuhe etwas chaotischer (konnte sie bisher aber immer finden), und sie hatte auch nicht ganz so viele (bis vor Kurzem brauchte sie ja nur ein Paar Riemchenschuhe und Pantoffeln).
 

"Gemütlich", kommentierte das Albino-Mädchen schließlich.

"Freut mich! Ach ja, deine Pfoten kannst du anlassen, wenn du willst."

"Zu spät...", sagte Shiroko und stellte ihre Pfotenschuhe zum restlichen Schuhwerk.

"Hauptsache, du machst es dir gemütlich."

"Zu Befehl..."
 

Sie machte sich auf den Weg zu einem der Manga-Regale, allerdings fiel ihre Aufmerksamkeit auf Hanas Schreibtisch. Dort lag ihre Zeichnung des Teichs.
 

"Sieh so ziemlich fertig aus."

"Hat ja auch lange genug gedauert. Gefällt es dir?"

"Ja..."
 

Das Albino-Mädchen überlegte.
 

"Hast du noch andere Zeichnungen?", fragte sie schließlich.

"Ach, sicher. Schnapp dir ruhig einen der Papierblöcke...", antwortete Hana etwas verlegen.
 

Wenige Augenblicke später saßen beide auf dem Bett und sahen sich Zeichnungen an. Als Erstes standen Landschaftsbilder auf dem Programm.
 

"Diese Bäume kommen mir bekannt vor", kommentierte Shiroko.

"An denen sind wir auf dem Weg zum Teich immer vorbei gelaufen."

"Ahaaa..."
 

Ein weiterer Block beschäftigte sich mit Innenräumen der Villa, Dienstmädchen, oder beidem.
 

"Den Raum kenn ich. Den hier aber nicht..."

"Ja, manchmal nehm ich mir ein paar Freiheiten. Ich will nach der Arbeit nicht groß rumlungern, und mein Handy ist etwas älter und macht keine tollen Bilder. Vieles zeichne ich daher aus dem Gedächtnis."

"Soso. Und sind die Röcke hier nicht etwas kurz?"

"Ach, äh, ich hab der Abwechslung halber ein paar Uniformen im Maid-Café-Stil gezeichnet..."
 

Hoffentlich sieht die kleine Herrin das nicht. Die verlangt am Ende noch Anpassungen an den Uniformen...
 

Ein wohl neuerer Block befasste sich mit Ballett, sei es alleinstehende Darstellungen von Tänzerinnen oder eine Szene aus dem Tanzsaal.
 

"Das sind aber deutlich mehr Mädels als bei uns im Unterricht."

"Ach, das ist meine Art, das Zeichnen der Posen zu üben. Ich mach nach dem Unterricht meist einige Skizzen, und übe dann nochmal selbst vor dem Wandspiegel."
 

Sie hätte es wohl einfacher, wenn sie jemanden als Modell anheuert, aber ich erwähnt das besser nicht, sonst bin ich das am Ende...
 

Eine weitere Zeichnung zeigte eine Tänzerin in einem weißen Kleid.
 

"Schick."

"Das Design ist vom romantischen Ballett. Ich finde, so was passt am Besten zu einer Villa wie unserer."

"Der Rock wär mir jedenfalls lieber als ein Tutu..."

"Nur müsste man das Design noch wohl etwas anpassen. Zu einer Vampir-Villa passen schwarz oder rot wohl besser, vielleicht noch ein Hauch Gothic Lolita..."
 

Noch etwas, von dem die kleine Herrin besser nichts erfahren sollte...
 

Die Tür öffnete sich, und Neko betrat den Raum mit einem Tablett. Drei Teller mit dampfenden Ramen waren darauf ausgelegt.
 

"Bitte sehr, meine Damen...", scherzte das Catgirl.
 

Die drei Dienstmädchen hockten sich an einen kleinen Tisch und nahmen ihren ersten Bissen. Neko fing mit einem Shrimp an, Shiroko mit einem Stück Ei, und Hana probierte zuerst die Nudeln.
 

"Greift ordentlich zu", erklärte Neko. "Nächste Woche müssen wir einige Gästezimmer auf Vordermann bringen, am besten doppelt und dreifach."

"Für den Besuch?", fragte Hana.

"Genau. Neben einem Vampir kommen da noch Leibwächter, ein Butler und so weiter."

"Und noch jemanden zum Blutsaugen, nehme ich an...", kommentierte Shiroko.
 

Ob dieser Vampir wohl auch ein Dienstmädchen hat, das er bevorzugt? Oder gar eine Geliebte? Kann er überhaupt noch groß etwas für Menschen empfinden, wenn er schon so viele überlebt hat...?
 

"Ist was mit deinen Shrimps?", unterbrach Neko ihre Gedankengänge. "Du scheinst die ziemlich interessiert anzustarren."

"Was? Oh, nein. Ich war nur in Gedanken vertieft..."
 

*
 

Gäste brauchen Sitzgelegenheiten, und wenn darunter ein Verwandter ist muss es sich um was Vernünftiges handeln. Auf dem Dachboden lagerten einige edle Exemplare, aber diese von dort herunter zu tragen ist eine andere Geschichte.
 

"V-vorsicht", schnaufte Shiroko. "Klemm dir da an der Ecke... nicht die Finger ein..."

"D-danke..."
 

Zugegeben, der alte Sessel war deutlich leichter als er aussah, aber er wahr recht sperrig und ließ sich für einen längeren Transport nicht allzu gut greifen.
 

Blödes Mistding...
 

Endlich ließen sie den beengenden Dachboden hinter sich und erreichten das darunter liegende Stockwerk. Sie stellten den Sessel erst einmal ab und legten eine Pause ein.
 

Fast die halbe Strecke...
 

"Zumindest ist der ziemlich bequem...", kommentierte Hana, die sich kurzerhand auf den Sessel gesetzt hatte.

"Vorsicht", warnte Shiroko. "Wenn Margaret das sieht könnte sie denken, dass du am Faulenzen bist..."
 

Hana sprang mit einem Mal auf als hätte man ihr gesagt, dass sich im Sessel ein Skorpion versteckt.
 

"Dann mal weiter..."

"O-okay!", rief Hana.
 

*
 

Um Gästen ein gemütliches Ambiente anzubieten bietet sich ein Kaminfeuer an. Ansonsten wurden die Kamine der Villa nur selten benutzt, weswegen sie auch nicht so oft gereinigt wurden.
 

"So aus der Nähe sind die ziemlich geräumig", staunte Hana. "Sollen wir da rein klettern?"

"Zumindest teilweise. Wir sollen möglichst viel mit dem Staubsauger erwischen."
 

Shiroko begann, ihre Schürze und den Haarreif abzulegen.
 

"Wahrscheinlich finden wir hier mehr Spinnweben als Ruß, aber die Schürze würde hier garantiert eh nur dreckig werden", erklärte sie. "Und ein Kopftuch ist hier besser als der Reif."

"Ahaa..."

"Könntest du mir wieder einen Dutt machen? Das wär hier glaub ich praktisch."

"Liebend gern!"
 

*
 

Natürlich brauchen Gäste - zumindest die Nicht-Vampire unter ihnen - ein Bett, und das bezieht sich nicht von selbst.
 

"Soo!", sagte Shiroko. "Das war das Letzte!"

"Endlich", seufzte Hana. "So viele Betten hab ich noch nie an einem Tag bezogen..."
 

Jetzt können diese Typen von mir aus kommen...
 

"Shiroko?", hörte sie Hana fragen.

"Ja?"

"Hast du eigentlich grad was vor?"

"Spontan nicht. Wieso?"

"Ach, ich wollte man im Tanzsaal ein bisschen üben..."
 

Oha. Die hat das ernst gemeint...
 

"Da muss ich leider passen. Die Woche war ziemlich anstrengend, und wer weiß ob wir nicht noch mehr zu tun bekommen, wenn diese Typen morgen auftauchen."

"Oh, ach so..."
 

*
 

Shiroko lag auf ihrem Bett und las Manga. Nichts Ungewöhnliches für sie, aber dieses mal war sie ziemlich unruhig. Sie las auf dem Rücken liegend, drehte sich dann auf den Bauch. Sie schlug ihre Füße übereinander, hob einen an, dann beide. Schließlich drehte sie sich wieder auf den Rücken.

Nach einer Weile legte sie eine Pause ein, legte den Manga-Band zur Seite und starrte auf die Decke. Im Raum war es abgesehen von ihrer Atmung völlig still.
 

Irgendwie... öde...
 

Vor ihrem inneren Auge sah sie noch einmal Hana, nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig waren.
 

Wirkte etwas enttäuscht, dass ich nicht mitmachen wollte... soll ich mal schauen, was sie so treibt?
 

Plötzlich klopfte es an der Tür.
 

"Herein..."
 

Neko betrat den Raum. Sie hatte schon probeweise ihr schwarzes Kleid an, das nicht wirklich zu ihren Pfotenschuhen passte.
 

"Was gibt es?", fragte Shiroko. "Bist du nicht mit Vorbereitungen beschäftigt?"

"Ja, eigentlich schon, aber ich... brauch Blut."

"Etwas früher als sonst?"

"Ja. Ehrlich gesagt weiß ich bei den ganzen Gästen nicht ob ich Zeit für unseren normalen 'Termin' habe..."

"Von mir aus. Ein Tag früher oder später dürfte wohl keine Rolle spielen."

"Danke!"
 

Neko setzte sich mit aufs Bett und legte ihr als Vorbereitung eine Hand auf die Schulter.
 

Die Herrin hatte manchmal vorzeitig "genascht". Da war mir immer schwindelig...
 

"Alles klar bei dir?", fragte Neko.

"Oh. Ja. Sicher."

"Sicher?"
 

Shiroko seufzte.
 

"Ach, es ist nicht leicht mit Vampirkrams zu tun zu haben, ohne an sie erinnert zu werden..."
 

Na ja, im Grunde ist die ganze Villa voller Erinnerungen...
 

"Ah. Soll ich jemand anderen Anzapfen?"

"In so kurzer Zeit doch nicht. Mach du nur..."
 

Leicht zögerlich schlang das Catgirl ihren Arm um Shiroko und machte sich ans Werk. Shiroko versuchte sich dabei auf andere Gedanken zu bringen. Sie fand, dass der Teich dabei gut half.

Sie erreichten fast das normale Ende ihrer Blutsaug-Sitzungen, als Neko plötzlich aufhörte.
 

Mmh...?
 

Jemand klopfte an die Tür. Neko ließ von ihr ab und blickte auf die Tür.
 

Ah. Hat wohl vorher gemerkt, dass jemand kommt. Was das jetzt ihr Training, ihre Ohren oder eine Vampirkraft? Na, auch egal...
 

"Herein", sagte Shiroko.
 

Noch mit ihrer Sporttasche um ihre Schulter geschlungen betrat Hana den Raum - oder versuchte es zumindest. Sie blieb wie erstarrt im Türrahmen stehen, als sie die beiden auf dem Bett sitzend bemerkte.
 

"Alles in Ordnung?", fragte Shiroko.
 

Hana lief rot an wie eine Tomate.
 

"Was? Äh, nein. A-aber ich störe doch nicht etwa...?"

"Ach was", sagte Neko. "Wir waren eigentlich schon fertig."

"F-fertig...?"
 

Zur Überraschung der beiden Dienstmädchen stand Neko mit einem mal vor der Tür im Flur. Erschrocken fuhr Hana herum.
 

"So ihr zwei", sagte Neko und streckte sich, "ich hab noch zu tun. Wir sehen uns vielleicht morgen!"
 

Hana blickte ihr verdutzt hinterher, dann drehte sie sich wieder zu Shiroko.
 

"I-ist die grad teleportiert?"

"Ist wohl ein Vampir-Trick. Oder ein Ninja-Trick. Oder beides."

"Mmh..."
 

Sie errötete erneut, als ihr wieder was einfiel.
 

"T-tschulding, d-dass ich gestört habe!"

"Wieso stören? Sie war eh grad mit Blutsaugen fertig."

"B-blutsaugen? Ach sooooo..."

"..."

"..."

"..."

"I-ich glaube, ich hab mich beim Training etwas verausgabt. Ich leg mich glaub ich besser aufs Ohr..."

"Gute Nacht dann. Wir sehen uns ja morgen wieder..."
 

Shiroko starrte noch eine Weile auf die Tür, nachdem Hana sie geschlossen hatte. Dann schnappte sie sich wieder ihren Manga und ließ sich auf ihr Kissen fallen. Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen.
 

Du bist so leicht zu durchschauen, Hana...
 

*
 

"Ist er das?", fragte Hana.

"Mach dich nicht so breit. Du versperrst mir die Sicht", sagte Shiroko.

"Oh. Verzeihung..."
 

Die beiden Dienstmädchen blickten gebannt aus einem Fenster im ersten Stock zum Haupteingang der Villa. Mehrere Wagen waren vorgefahren und entluden die Gäste.

Natürlich war es mitten in der Nacht, aber der warme Lichtschein aus den Fenstern der Villa enthüllte schrittweise mehr Details der herannahenden Gäste.
 

"Der müsste es sein...", mutmaßte Shiroko.
 

An der Spitze der Kolonne schritt ein etwas altmodisch gekleideter Mann mit dunklen Haaren.s Die Lichtverhältnisse und die Entfernung machten es unmöglich sein Gesicht genau zu erkennen. Zumindest konnte sie feststellen, dass er einen leichten Bartwuchs aufwies und sein Haar nach hinten gekämmt hatte.
 

Macht er wohl, um älter zu wirken. Wenn er wie unser Meister als Vampir geboren wurde dürfte er sonst höchstens als Ende zwanzig durchgehen.
 

An der Eingangstür warteten der Meister, seine kleine Schwester und Neko. Ihre Katzenohren waren auf ihrem Schatten nicht zu übersehen.

Die Dienstmädchen beobachteten, wie Gäste und Gastgeber in die Villa verschwanden, dann wandten sie sich wieder ihren Besen zu und setzten ihren Weg durch den Flur fort.
 

"Was die wohl machen werden?", fragte sich Hana.

"Hauptsächlich Labern", antwortete Shiroko. "Vorwiegend Familienkrams, eventuell noch was Geschäftliches. Nichts, was für uns interessant wäre."

"Klingt so, als wäre Neko mit ihrem Kleid etwas overdressed."

"Na ja, hier in so einer Villa wird wert auf eine gepflegte Erscheinung gesetzt. Schau uns nur an."

"Stimmt auch wieder... Ach ja, hast du morgen schon was vor?"

"Hoffentlich nicht, sofern die Gäste nicht zu viel Stress machen..."

"Das würde mich dann wohl auch betreffen. Jedenfalls plane ich eine kleine Wanderung. Vielleicht finde ich da ja ein neues Motiv."

"Klingt gut ... Ah, da ist meine Abzweigung."

"Bis später dann!"
 

Sie winkten sich scherzhaft hinterher, als sie sich auf ihre eigene Route begaben. Shiroko lächelte.
 

Hier in dieser Villa gibt es viele Erinnerungen. Viele davon nicht gut. Aber es ist auch immer Platz für neue Erinnerungen...


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eine etwas schwere Geburt, aber es ist endlich vollbracht. Unbeabsichtigt sogar genau zum einjährigen Jubiläum des ersten Kapitels, wie ich gerade feststelle. Was zum ... o_O ?!

Das nächste Projekt am Horizont wird ein anderes sein, aber sollte ich zur Villa zurückkehren (Ideen gäbe es da noch) wird es wohl in der Form von One-Shots sein, was bei Slice-of-Life nicht unpassend wäre. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (14)
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Von:  TR38
2021-11-07T12:07:32+00:00 07.11.2021 13:07
War eine schöne Geschichte.
Antwort von:  Doresh
07.11.2021 22:00
Ausgezeichnet :3
Von:  TR38
2021-11-07T11:57:44+00:00 07.11.2021 12:57
Ja, ja, erst nicht wollen und kaum ist der Besuch weg sofort ausprobieren. XD
Von:  TR38
2021-11-07T11:56:52+00:00 07.11.2021 12:56
Alles gute zum Einjährigen.
Von:  TR38
2021-11-07T11:56:05+00:00 07.11.2021 12:56
Wer weiß, vielleicht hatte der Maler des Deckengemäldes auch einfach einen fiesen Sinn für Humor. ;)
Von:  TR38
2021-06-19T09:06:19+00:00 19.06.2021 11:06
Hat ganz schön viel zu grübeln unsere Shiroko.
Von:  TR38
2021-06-19T09:01:18+00:00 19.06.2021 11:01
Die Hana ist gar nicht so dumm, übt gleich bei der Arbeit noch ein bisschen.
Antwort von:  Doresh
21.06.2021 19:30
Da vergeht die Arbeitszeit gleich noch schneller. Hoffentlich XD
Von:  TR38
2020-12-14T15:38:14+00:00 14.12.2020 16:38
Eulenphobie? Nicht schlecht, aber Spinnen gibt es da garantiert. ;)

> Der Wald schien sowohl Geräusche zu dämpfen, als auch seine eigene Geräuschkulisse zu liefern: ein Rascheln hier, ein fernes
> Vogelgezwitscher dort.
Der Satz gefällt mir richtig gut. Du hast das echt schön in Worte gefasst.

> machte der Wald auf dem Rückweg einen freundlicheren Ausdruck
entweder: hatte der Wald auf dem ....
oder: einen freundlicheren Eindruck. (Mein Favorit)
So macht das keinen Sinn.

> Rezept kostet ich ein Chibi
Wahrscheinlich meinst du Dich.

Ich habe den Eindruck Shiroko solllte ihre Garderobe erweitern. XD
Antwort von:  Doresh
14.12.2020 17:49
Ah, gut erkannt. Wie ich auf "Ausdruck" gekommen bin, weiß ich grad nicht mehr XD

Und ein bisschen Shoppen könnte wohl wirklich nicht schaden ^_^
Von:  TR38
2020-12-02T20:22:19+00:00 02.12.2020 21:22
Gibt es einen Grund warum du das noch mal hochlädst?
Antwort von:  Doresh
02.12.2020 23:24
Hab ich? Ich hab das Kapitel heut im Editiermodus geöffnet um diese leicht korrigierte Fassung nochmal lokal abzusichern. Hab mich dann wohl verklickt und das ganze wurde als Update registriert (^.^*) ?

Antwort von:  TR38
03.12.2020 02:38
Das erklärt einiges.
Von:  TR38
2020-11-30T15:49:13+00:00 30.11.2020 16:49
"Das geht schon!", sagte sie kleine Herrin. "Die Grundlagen sind wichtig, nicht wahr?!" Kleiner Tippfehler, nicht sie sondern die.

Unser Neko scheint ein kleine Sadistin zu sein. XD

Das wird schon nicht so schlim...
Aus der Sammlung, berühmter letzter Worte. XD
Antwort von:  Doresh
30.11.2020 19:10
Ich dachte schon, ich hätte den Bogen langsam raus ^_^;

Und bei der Guten hat die eigene Erziehung etwas abgefärbt, auch wenn sie sich Mühe gibt XD
Antwort von:  TR38
30.11.2020 20:58
Ach was Bogen, das passiert mir auch immer wieder. Manchmal vertippt man sich eben undmerkt es nicht. Schließlich liegen s und d genau nebeneinander. Ich habe sogar ein Buch wo eine ganze Seite an der falschen Stelle ist. Da bist du richtig gut im Verhältnis. :)
Antwort von:  Doresh
30.11.2020 23:07
Immerhin XD
Von:  TR38
2020-11-20T19:16:39+00:00 20.11.2020 20:16
Bei der Übergabe des Paketes war ich kurz verwirrt. Im ersten Moment dachte ich das, dass Dienstmädchen das Paket erhalten hat und nicht Shiroko.

"Und du kommst mir für den Probelauf gerade recht! Jede freie Stunde verbringst du in deinem Zimmer und liest Manga. Das ist ja schrecklich!"
Ich finde schrecklich das die kleine Herrin es schrecklich findet. Scheint wohl keine Büchernärrin zu sein. Aber die Kleine weiß schon wie das läuft: "Das ist ein Befehl" XD

Schön das Shiroko eine neue Freundin gefunden hat.
Antwort von:  Doresh
21.11.2020 19:21
Ach, die Kleine hat sicher auch Manga in ihrem Zimmer, aber als junge Vampir-Lady hat man ja auch "vornehmere" Hobbies :3


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