Boston Boys - Fragmente von Vampyrsoul (Kurzgeschichten zur Boston Boys Reihe) ================================================================================ Kapitel 12: Samsa - November 2014 II ------------------------------------ »Verdammt, nimm endlich ab und sag dem Arschloch, es soll Ruhe geben!« Tino beugte sich über die Bettkante und angelte nach meiner Hose. Als er mein Handy nicht beim ersten Versuch fand, warf er mir das Kleidungsstück neben den Kopf, wobei ich der Gürtelschnalle gerade noch ausweichen konnte. Murrend zog ich das Handy aus der Tasche. »Was?!«, brüllte ich hinein. »Scheiße, endlich gehst du ran!« Es war Lance. Natürlich war es Lance. Was hatte ich auch erwartet. Nur er rief so lange und ausdauernd an. »Was willst du?« »Wo bist du?« »Geht dich nichts an. Du störst!« Er musste Tinos angestrengtes Keuchen doch hören. Und wenn nicht das, dann doch wenigstens meinen eigenen, viel zu unruhigen Atem. »Ja, merk ich«, antwortete er lakonisch. Dann wurde er laut: »Sag mal, hast du sie eigentlich noch alle?! Behandelst du jetzt alle deine Freunde, wie den letzten Dreck, ja? Fühlst du dich mal wieder wie etwas Besseres? Oder hast du dir jetzt endgültig die letzten Hirnzellen rausgesoffen? Alter, ich habe keinen Bock mehr auf deinen Scheiß! Entweder du tauchst bis morgen Abend hier auf und hast eine wirklich gute Erklärung parat, warum ich dich drei Tage lang nicht erreiche und Toby und Roger mich verzweifelt anrufen, dass ich nach dir sehen soll, oder ich schmeiße hin. Ich muss mir das nicht mehr geben. Bekomm dich auf die Reihe, auf welchem Trip auch immer du gerade schon wieder bist!« Wütend warf ich das Handy von mir, nachdem er einfach aufgelegt hatte. Dieser Flachwichser konnte mir gestohlen bleiben! Ich war ihm gar nichts schuldig! Wenn er sich von den beiden Vollpfosten einlullen ließ, dann war das sein Problem! Scheiße, ich brauchte dringend Alkohol! Lance’ Anruf hatte mir die Stimmung versaut. Es brauchte nur eine kurze Handbewegung von mir, damit Tino sich aus mir zurückzog. »Ist alles in Ordnung?« »Sieht es so aus?« Ich richtete mich auf und suchte in den Flaschen auf dem Nachttisch nach dem Wodka. Alle leer. Natürlich! »Moment.« Tino stand auf und wankte unsicher aus dem Zimmer. Nach einigen Minuten kam er wieder, die Arme bis oben hin voll mit Knabberkram und in der Hand eine Wodkapulle. Er ließ die Tüten neben mir fallen und schmiss sich dann schwungvoll ins Bett. »Das ist der Rest.« Er öffnete den Wodka und trank, bevor er ihn mir reichte. Ich nahm ebenfalls einen großen Schluck, bevor ich mich über die Cheeseball-Tüte hermachte. Sie waren nicht mein Favorit, aber scheiße, ich hatte Hunger! Schweigend teilten Tino und ich uns die letzten Vorräte. Sobald sich einer von uns dazu bequemen konnte, sich anzuziehen, sollten wir für Nachschub sorgen. Aber das konnte warten. Warum konnte Lance nicht so sein und mich einfach in Ruhe lassen? Ich brauchte seine Moralpredigten nicht. Die letzten – was hatte Lance gesagt? Mir war das Zeitgefühl völlig abhandengekommen – drei Tage hatten alles, was ich brauchte: geilen Sex, reichlich Alkohol und gelegentlich ein Joint. Absolute Freiheit. Niemand, der mir ins Gewissen redete, keine unnötigen Gefühlsduseleien, und erst recht keine Ultimaten! Wenn er meinte, mir so kommen zu müssen, konnte er mir gestohlen bleiben! »Hey, es wird alles gut. Ich bin sicher, das regelt sich schon irgendwie.« Tino legte mir seine Hand in den Nacken und zog mich an sich. Scheiße, was war das?! Mir rannen die Tränen unaufhaltsam über die Wangen. Fuck! So sehr ich es auch versuchte, sie ließen sich nicht aufhalten. Elendig flennend lag ich in Tinos Armen, bis ich irgendwann einfach einschlief. Ich wurde von einem übelkeitserregenden Piepen geweckt. Ich war nicht einmal in der Lage, Worte zu formen, weshalb ich nur knurrend darauf reagierte. Scheiße, was sollte der Mist?! Zum Glück endete das Piepen und Tino drängte sich dichter an mich. Er küsste meinen Nacken und flüsterte: »Sorry. Aber ich muss los.« Urks. Hätte er mich nicht am Abend davor warnen können? Ich bekam nicht einmal die Augen auf, so sehr waren sie verquollen. Hatte ich überhaupt länger als eine Stunde geschlafen? Er schien den Kampf mit meinem Körper zu bemerken. »Du kannst dich gern ausschlafen.« Erleichtert wich alle Körperspannung. Das ließ ich mir sicher nicht zweimal sagen. »Ich versteh das Mal als Ja.« Er lachte leise und zog mir die Decke über den Kopf, bevor er aufstand. Da es hinter meinen Augenlidern heller wurde, vermutete ich, dass er das Licht angeschaltet hatte, doch viel bekam ich nicht mit. Fast sofort dämmerte ich wieder weg. Nur ab und zu hörte ich ihn im Raum, offenbar räumte er noch etwas auf. Irgendwann wurde es wieder dunkler. »Wenn du später gehen magst, zieh einfach die Tür hinter dir zu. Ansonsten sehen wir uns nachher«, hörte ich ihn noch von ganz weit weg, war aber kaum in der Lage, den Worten einen Sinn zu geben. Als die zwei Wasserflaschen, die Tino mir neben das Bett gestellt hatte, leer waren, entschied ich, endgültig aufzustehen. Bisher hatte ich es nur mit Mühe und Not bis auf Toilette geschafft, aber der Brand erinnerte mich daran, dass ich die Wohnung verlassen sollte. Ernüchtert stellte ich fest, dass Tino offenbar besser mit dem Aufstehen nach unserem Gelage klarkam als ich. Nicht nur hatte er mir Wasser und Aspirin ins Schlafzimmer, sondern auch ein Handtuch im Bad bereitgelegt. Davon, dass alle Fenster abgedeckt waren und ich mich daher nicht mit stechendem Licht rumärgern musste, wollte ich gar nicht erst anfangen. Ich wäre unter Garantie nicht zu dieser Denkleistung fähig gewesen. Die Dusche klärte meinen Kopf. Langsam kamen wieder Gedanken durch den dichten Nebel. Dabei auch die schmerzhafte Erkenntnis: Ich musste mich bei Lance entschuldigen. Im Gegensatz zu Toby und Roger, die mir keine andere Wahl mehr ließen, hatte Lance es nicht verdient, dass ich ihn so behandelte. Dann wusste ich wenigstens, wohin ich gehen würde. Zu Hause, fürchtete ich, würde mir die Decke auf den Kopf fallen. Schmunzelnd bemerkte ich die noch verpackte Zahnbürste auf dem Waschbecken, als ich mich abtrocknete. Tino machte das wohl wirklich nicht zum ersten Mal. Beim Anziehen warf ich einen kurzen Blick auf mein Handy, ob Lance noch einmal versucht hatte, mich zu erreichen, und erschrak: Es war bereits später Abend. Durch die dunkle Wohnung hatte ich absolut kein Zeitgefühl gehabt. Fuck! Ich kannte Lance gut genug, um zu wissen, dass er seine Drohung nicht direkt wahrmachen würde, aber ich jede Gelegenheit auf eine halbwegs einfache Entschuldigung verspielt hatte. Das hatte ich absolut verbockt! Lance hatte jedes Recht, mich dafür zum Teufel zu schicken. Ob er mich heute trotzdem noch anhören würde? Ich würde immerhin fast zwei Stunden zu ihm brauchen. Aber mit einem Anruf war es jetzt auf jeden Fall nicht mehr getan. Seufzend setzte ich mich aufs Bett, um ihm wenigstens eine Nachricht zu tippen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)