Der magische Papyrus von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 5: Verrückt ------------------- Ich sah diesen Kerl, diesen Rosentau, mit zu Schlitzen verengten Augen an – und kam mir dabei schon fast wie mein Chef vor. Doch das störte mich im Moment nicht im Mindesten. Der sollte spüren, dass ich es nicht duldete, mich von ihm belästigen zu lassen. Die Konferenz war für diesen Tag beendet, endlich! und ich war totmüde, aber ich wollte diesen Typen nicht ungeschoren davonkommen lassen. „Sie gehen also tatsächlich davon aus, dass ich Sie heute Morgen angerufen habe?“ „Ja“, erwiderte ich und stützte mich auf seinem Auslagentisch ab. „Ja! Und ich fordere Sie an dieser Stelle noch einmal auf, das zu unterlassen. Ein für alle Mal.“ „Davon einmal abgesehen, dass ich meine Kunden nicht um 8 Uhr morgens anzurufen pflege, habe ich doch Ihre Nummer überhaupt nicht.“ „Pfff“, machte ich nur, richtete mich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie haben mich angerufen und mir gesagt, dass Sie Ihren Laden bereits 7 Jahre hätten. 7 Jahre …“ „Aber das stimmt nicht. Ich bin gerade dabei, ihn einzurichten.“ „Wohl auch heute Morgen, wie? Und da fiel Ihnen nichts Besseres ein, als …“ „Aber ich war heute Morgen nicht im Laden.“ „Dann haben Sie mich also von daheim aus angerufen?“ „Aber ich habe Ihre Nummer doch gar nicht“, versetzte er und stützte sich nun seinerseits auf den Warentisch. „Lassen Sie sich versichert sein, dass ich es nicht gewesen bin. Vielleicht spielt Ihnen jemand einen Streich, aber ich bin es nicht. Welche Veranlassung soll ich denn dazu haben? Ich kenne Sie ja gar nicht, Frau …“ „Schappach“, stieß ich hervor. „Und diese Anrufe müssen ein Ende haben!“ „Ganz sicher müssen Sie das, aber ich bin der Falsche.“ „So, und wenn ich Ihnen sage, dass der Anruf aus Ihrem Laden kam? Ich das ganz genau weiß?“ Ich pokerte und er schien zu stutzen, ehe er ebenfalls die Arme vor der Brust verschränkte und bemerkte: „Das ist vollkommen unmöglich, der Anschluss ist ja noch gar nicht freigeschaltet.“ „Ich glaube Ihnen nicht!“, beharrte ich, obwohl ich mir langsam ziemlich dämlich vorkam, denn ich kam an diesen Kerl einfach nicht heran. Ich konnte ihn nicht knacken. Zudem ging mir auch die Kraft aus. „Hören Sie“, sagte er da, „das alles hat doch keinen Sinn. Vielleicht begleiten Sie mich nachher einfach und überzeugen sich selbst?“ „Was?“, fauchte ich. „Ja“, erwiderte er schulterzuckend. „Wenn Sie sich meinen Laden einmal ansehen, dann werden Sie mir vielleicht glauben, dass ich Sie nicht angerufen habe.“ „Das könnte Ihnen so passen“, schnaubte ich und versuchte mich noch intensiver am Schlangenblick meines Chefs. „Dann weiß ich nicht weiter“, entgegnete er und hob die Hände. „Entweder begleiten Sie mich, oder …“ „Oder was?“, blaffte ich. Er schwieg, sah mich nur verwirrt an und ich stellte mir die Frage, ob ein Mensch tatsächlich so gut lügen konnte. Vielleicht kein normaler, aber ein Schauspieler schon und vor allem auch ein Psychopath … Ich weiß nicht, wie alles gekommen wäre, wenn nicht plötzlich mein Chef erschienen wäre – im Schlepptau diesen Hanfnuss, der, als er mich erblickte, wieder wie eine Käse-Sahne-Schnitte grinste. Und als ich mich plötzlich zwischen diesen drei Männern wusste, ja, als ich registrierte, dass mich mein Chef auf seine bisweilen umständliche Art zu einem Essen mit Hanfnuss überreden wollte, da schnappte ich in Erinnerung an die letzte Nacht nach Luft und sagte prompt: „Vielen Dank, aber heute Abend geht es leider nicht.“ „So?“, fragte mein Chef und Hanfnuss, der wie menschgewordener Berg neben ihm stand, zog die Mundwinkel hinab. „Ja, ich bin schon verabredet. Leider“, stieß ich hervor und spürte, wie es in mir tobte. Mein Herz raste und ich hatte Mühe, nicht zu zittern. „Schade, schade, ich hatte mich so sehr auf Ihre Begleitung gefreut, Frau Schappach“, entgegnete Hanfnuss und reichte mir seine prankenartige Hand, die ich nur widerwillig nahm. Mein Chef zuckte indes mit den Schultern und sagte: „Tja, dann …“ „Sie hätten mit Ihrem Chef und seinem Anhang mitgehen sollen“, bemerkte Rosentau, als die beiden gegangen waren. Ich zuckte ebenfalls mit den Schultern. Zwar wusste ich um meinen Fehler, doch ich war im Augenblick nicht fähig, ihn vollkommen zu registrieren. Lag’s an meiner Müdigkeit oder der Tatsache, dass ich mich gerade sehr aufgeregt hatte. Jedenfalls wandte ich mich Rosentau zu, der mich anlächelte. „Und nun wollen Sie doch mit mir kommen?“, fragte er. „Wie kommen Sie darauf?“ „Nun ja, Sie sagten eben, dass Sie bereits eine Verabredung hätten?“ „Damit meinte ich ja wohl nicht Sie!“ „Wen denn?“ Hierauf schwieg ich, denn ich begriff, welche Taktik dieser Kerl zu schieben versuchte: mich einlullen, mich vom Thema ablenken. „Wie anders soll ich Ihnen beweisen können, dass ich Sie nicht belästigt habe und es auch nie tun werde, als dass Sie mich in meinen Laden begleiten?“, hörte ich ihn erneut fragen und wandte mich unwillkürlich zu ihm um. Wieder bemerkte ich seine überaus großen Augen hinter der Brille. „Wie? Sagen Sie es mir.“ Ich weiß nicht, was es war, vielleicht seine ruhige Art und sein zugegeben netter Blick, die mich schließlich dazu veranlassten, ein: „Ok“, hervorzubringen, auch wenn ich mich dabei total unwohl fühlte. Aber ich, so redete ich mir ein, musste ja nicht mit in den Laden gehen, sondern ihn nur von außen sehen, dann würde ich … ja, was eigentlich? Nun, das wollte ich mir im Moment nicht ausmalen. Da die Konferenz auch morgen noch stattfinden würde, räumte Rosentau seine Bücher rasch in eine Kiste, die er, ebenso wie die anderen Händler auch, in einen kleinen, abschließbaren Raum brachte. Dann verließen wir beide das Konferenzgebäude. Und mir war gar nicht gut dabei. Ja, ich spürte, dass mein Blutdruck verrückt zu spielen begann. Ich selbst begann zu tänzeln. Rosentau schien meine Nervosität zu spüren, denn er wandte sich plötzlich an mich und fragte: „Oder wollen wir nur etwas essen gehen?“ „Nein, nein“, erwiderte ich leise, vergrub meine Hände ganz tief in meinen Manteltaschen und zog die Schultern hoch. Mir war kalt, überdies war ich müde. „Ich muss dann nach Hause.“ „Wann wollen Sie eigentlich das erste Mal in meinen Laden gekommen sein?“, fragte er mich dann ganz unverhofft und blieb sogar mitten auf dem Bürgersteig stehen. Ich fragte mich noch, warum er das tat, doch just in diesem Moment wurde es mir klar: wir befanden uns genau vor seinem Laden. „Das …“, brachte ich nur heraus und sah, dass der Laden noch gar kein Laden war … Da hing noch kein Schild über der Tür, die Öffnungszeiten befanden sich auch noch nicht im Schaufenster. Nichts deutete darauf hin, dass hier in zwei Wochen ein Antiquariat eröffnen sollte. „Sie sehen, ich habe noch viel zu tun“, hörte ich ihn sagen und in diesem Moment schien etwas in mir zu zerreißen. Mein Herz raste und Tränen traten mir in die Augen. „Was“, stammelte ich nur, denn nun konnte ich mich der Konsequenz all dessen nicht mehr erwehren. Ich schluchzte, schniefte und meinte jeden Moment, den Boden unter den Füßen zu verlieren. „Ich war genau hier“, hörte ich mich wie von Ferne sagen. „Hier …“ Er schwieg. „Und ich bin hier reingegangen und dann war da diese schmale Gasse aus meterhohen Regalen, die über und über mit Büchern bestückt waren …“ Ich sah ihn an. „Dann bin ich es also, die verrückt ist?“ Einen Moment lang tat er nichts, doch dann sagte er: „Kommen Sie mal her.“ Und das ganz ruhig. „Was?“, keuchte ich und spürte, wie ich zu zittern begann. „Kommen Sie!“, wiederholte er und kam mir selbst näher. Es bestand kein Zweifel, was das bedeutete. „Einen Moment nur“, flüsterte er und legte seine Arme um mich. „Es wird Ihnen guttun. Glauben Sie mir.“ Ich hatte so etwas noch nie zuvor zugelassen. Dass mich ein vollkommen Fremder berührte. Und ich weiß auch nicht, was mich jetzt dazu brachte. Meine Verzweiflung? Dass jetzt eh alles egal war? Dass ich am Ende war? Als ich meinen Kopf an seine Brust lehnte und seine Wärme spürte, da konnte ich nicht anders, als meinen Tränen freien Lauf zu lassen. Und gleichzeitig begann er mir sacht über den Rücken zu streichen. „Beruhigen Sie sich“, flüsterte er und immer wieder: „Ganz ruhig.“ Ich weiß nicht, wann ich wieder fähig war, aufzusehen. Doch als sich unsere Blicke trafen, erkannte ich trotz des schummrigen Lichtes, das die Straßenlaterne zur Erde sandte, ein kleines Lächeln in seinem Gesicht. „Geht es wieder?“, fragte er. „Mir ist kalt“, erwiderte ich. „Sehr kalt.“ „Möchten Sie einen Augenblick hereinkommen? Ich könnte Ihnen einen Tee machen.“ „Tee“, wiederholte ich. Zu mehr war ich nicht in der Lage. Wenig später saßen wir uns gegenüber an einem Tisch in einer winzigen Küche. Ich wusste nicht, wie wir hiergekommen waren, wollte es auch gar nicht wissen, sondern mich nur auf den Tee konzentrieren. Warm war er und schmeckte nach Kräutern. Ich war noch immer nicht ganz bei mir. Mein Herz raste und ich hatte Mühe, das Zittern in meinen Händen zu unterdrücken. „Bin ich verrückt?“, hörte ich mich schließlich fragen und sah ihm in die Augen. Er schwieg einen Moment, nahm einen Schluck Tee, dann legte er seine Hand auf meine und wieder spürte ich seine Wärme. „Das kann ich Ihnen nicht sagen“, begannn er. „Auf jeden Fall scheinen Sie mich schon etwas länger zu kennen als ich Sie.“ „Hmmm … “, machte ich nur, unterdrückte ein Frösteln, das mich augenblicklich gepackt hatte, und nahm auch einen Schluck Tee. „Ich bin in Ihren Laden gekommen und …und Sie haben mir einen Katalog über eine Tut-Anch-Amun-Ausstellung angeboten.“ „Was für einen Katalog?“ „Einen ganz einfachen aus den 80ziger Jahren.“ „Den mit schwarz-weißen Bildern?“ Ich nickte. „Sie haben ihn mir für 20 Euro angeboten.“ „Was?“ Er gluckste leise. „Diesen Katalog würde ich niemals für 20 Euro anbieten. Nicht einmal für 10 … Ja, den hätte ich gar nicht in meinem Sortiment! Was ich mir dabei gedacht habe … unverzeihlich. Niemand würde mir den für 20 Euro abkaufen. Bücher haben ja heutzutage sowieso keinen Wert mehr. Sie werden überall verramscht. Selbst wertvolle.“ „Haben Sie mir deswegen das Faksimile für 100 Euro verkauft?“ Er zuckte mit den Schultern und nickte zugleich. Dann lächelte er. „Natürlich. Ich bin ja froh, dass ich überhaupt Abnehmer finde.“ „Und warum machen Sie dann in diesen schlechten Zeiten ein Antiquariat auf?“ „Weil ich weiß, dass es noch Menschen gibt, die den Wert eines Buches zu schätzen wissen und den Geruch eines Buches und das Knistern, das die Seiten beim Umblättern verursachen, lieben.“ „Aber allein davon wird sich Ihr Laden nicht mit Leuten füllen …“, erwiderte ich. „Wieso? Sie sind doch schon da.“ Er lächelte mich wieder an. „Ja, aber ich werde heute Abend nichts kaufen.“ „Heute Abend nicht, nein, aber …“ „Aber?“ „Vielleicht trauen Sie sich ja wieder in meinen Laden, wenn er eröffnet ist?“ „Damit Sie mir den Katalog mit diesen schwarz-weißen Bildern zeigen können?“ Er schüttelte den Kopf. „So etwas werde ich nicht anbieten. Mein Spektrum beginnt eher bei diesem Faksimile des Totenbuches, das ich Ihnen gestern verkaufte.“ „Beginnt?“, fragte ich und er nickte. „Ich bin nicht nur Idealist, sondern habe mich auf Sammlerstücke spezialisiert.“ „Und das hier?“ Wieder nickte er. „Warum denn nicht hier?“ „Und wie … ich meine … wie kommen Sie an Ihre Ware?“ Er schnaubte leise, dann senkte er den Blick und fuhr mit den Fingerkuppen über den Rand seiner Tasse. Ganz sacht tat er das. „Wenn ich Ihnen das verrate, kennen Sie mein Geschäftsgeheimnis.“ Er sah auf und zog eine Augenbraue hoch. „Und warum haben Sie sich ausgerechnet auf Ägypten … ich nehme doch an, dass Sie sich auf Ägypten spezialisiert haben.“ „Nun, warum nicht? Saß ich doch selbst Jahre lang im Vorlesungssaal …“ Er sah mich noch immer an. In seine Augen hatte sich ein kleiner Schalk geschlichen und mich durchfuhr es. „Sie sind auch …“ Er nickte. „Wie sonst sollte ich wissen, was von Wert ist und was nicht?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)