Bauchgefühl von Norrsken (Ein Ass im Bett) ================================================================================ Kapitel 7: 2007-05-25 --------------------- Nachdem er den Vormittag dazu genutzt hatte, dem Staub in seiner Wohnung den Kampf anzusagen, ließ Yuriy den Nachmittag an seinem Schreibtisch mit Kaffee und T-Konten ausklingen. Die Spitze seines Stiftes schwebte dicht über den Zahlenwerten in der Gewinn- und Verlustrechnung. Gerade als er den Jahresüberschuss auf das Eigenkapital übertragen wollte, schrillte seine Türklingel und ließ ihn zusammenzucken. In seiner erstarrten Haltung fühlte er wie sein Herz kräftig pumpte und atmete konzentriert, um es wieder auf ein gemäßigtes Tempo zu reduzieren. Es kümmerte ihn wenig, wer vor der Tür stand. Allerdings wusste er auch, dass es nur Boris sein konnte und ihm zu öffnen widerstrebte ihm. Sein Herz hatte sich beruhigt, da ertönte die Klingel erneut und hörte nicht mehr auf. Erbarmungslos drückte Boris die Schelle durch und demonstrierte damit seinen unerschütterlichen Starrsinn. Für gewöhnlich war Yuriy damit nicht zu beeindrucken, aber die Klingel schrillte wirklich grässlich in seinen Ohren und sollte er das nur eine Minute länger ertragen müssen, rechnete er mit einem Tinnitus. Also erhob er sich von seinem Schreibtischstuhl, ging in den Flur und öffnete unter Widerwillen die Wohnungstür. Davor – wie bereits erwartet – Boris, der endlich den Finger von der Klingel nahm. »Hat ganz schön gedauert«, bemerkte der ungebetene Besuch mit gebleckten Zähnen und selbstsicherem Grinsen. Yuriys Augenbraue zuckte. »Was glaubst du wohl, woran das liegt?« Boris hob die Schultern und ließ sie dann entspannt fallen. Seine Lippen blieben zu einem Lächeln geformt. »Du warst sicher über irgendwelchem Unikram am Grübeln – und hast noch nichts gegessen, oder?« Statt einer Antwort blinzelte Yuriy ihm stumm entgegen. »War klar«, schloss sein Freund und schob sich an ihm vorbei in die Wohnung. »Ich auch nicht. Lass uns zusammen essen.« Wie zum Beweis dafür, dass er sich nicht bloß bei Yuriy durchschnorren wollte, hielt er demonstrativ drei Kartoffeln und eine Zwiebel hoch, während er zur Küche durchging. Yuriy sah ihm nach, die Augenbrauen tief zusammengezogen. Mit einem gedehnten Seufzen schloss er die Wohnungstür und massierte sich die Nasenwurzel, um möglichen Kopfschmerzen vorzubeugen. Er hatte es den Tag über wirklich vernachlässigt, etwas zu essen. Widerwillig folgte er Boris in die Küche und sah vom Türrahmen aus dabei zu, wie sein Freund Töpfe und Geschirr aus den Schränken zusammensammelte. »Schälst du die Kartoffeln?« »Wenn wir dann schneller fertig sind«, murrte Yuriy ihm entgegen und setzte sich mit Topf und Schäler an den Küchentisch. Er spürte Boris‘ Blick auf sich, doch ignorierte ihn und begann die Schale in langen Streifen von den Kartoffeln zu schälen. »Wie ich dich kenne, bist du noch bevor das Wochenende um ist mit dem Unikram durch, also stress dich nicht so.« Boris nahm die Packung Pfifferlinge aus dem Kühlschrank, die sie zuletzt auf dem Markt gekauft hatten und begann diese zu schneiden. In seiner Vermutung hatte sein Freund wohl Recht, aber es änderte für Yuriy nichts daran, dass er alsbald wieder seine Ruhe wollte. »Disziplin bedeutet, sich nicht auf Erfolgen auszuruhen.« Er ließ die letzte Kartoffel in das Wasser fallen und stand auf, um den Topf auf den Herd zu stellen. Seine Küche war nicht sonderlich groß und so stand er Schulter an Schulter mit Boris, während der das Messer still hielt und ihn anschaute. »Wenn du die Einstellung weiter fährst, landest du noch frühzeitig im Grab«, meinte er trocken. Yuriy hatte das Gefühl, eine bittere Note herauszuhören. Mit einem Schritt zurück lehnte er sich an den Fensterrahmen und behielt den Blick auf dem Topf, der langsam von unten erhitzt wurde. »Dann hätte ich in jedem Fall endlich Ruhe.« Als er den Blick hob, sah er direkt in Boris‘ Gesicht, wie er die Brauen tief zusammenzog, den Kiefer angespannt. In seinen Augen blitzte Zorn auf. »Dein scheiß Ernst?«, presste er hervor, darum bemüht, die Stimme ruhig zu halten, doch trotzdem lag ein Beben darin. »Welcher Film läuft denn aktuell bei dir, dass du meinst, lockere Sprüche übers Sterben zu reißen?« Yuriy verschränkte die Arme und betrachtete seinen Freund mit gerunzelter Stirn. Das Maß an Selbstbeherrschung beeindruckte ihn, doch er war nicht gewillt, eine Antwort auf die Frage zu formulieren. Damit gab er Boris Raum, sich in Rage zu reden. »Seit etwa drei Wochen benimmst du dich wie ein Vollarsch. Wir sehen uns kaum, weil du dich hier in deiner Festung verkriechst und wenn wir uns sehen, kommen nur blöde Sprüche. Das ist nicht mehr mit Unistress zu entschuldigen. Also, was ist dein scheiß Problem?« »Nichts. Ich brauche halt nicht ständig irgendwelche Leute um mich herum«, erwiderte Yuriy kühl. Boris schnaubte und verzog seine Lippen zu einem zynischen Lächeln. »Sicher, der starke Yuriy Alexandrovič Ivanov braucht nichts und niemanden! Der regelt alles ganz alleine.« Er strich sich durch das kurze aschblonde Haar und rollte die Augen zur Decke. »Dich müsste mal jemand richtig durchbürsten, damit du auf dein Leben klar kommst.« Als ihm das letzte Wort über die Lippen kam, hielt er kurz inne, bevor er Yuriy mit weit aufgerissenen Augen ansah. »Raus«, befahl Yuriy ihm schneidend. »Nein.« Er konnte nicht so schnell sprechen wie Yuriy ihn an der Schulter packte und zur Tür drängte. Ein Stuhl kam ins Straucheln, als Boris versuchte, danach zu greifen, doch er fand keinen Halt und wurde weiter bis zur Küchentür geschoben. Im Rahmen hielt er sich fest und stemmte seinen Körper gegen Yuriy. »Ich werde nicht gehen!«, beharrte sein Freund und blickte ihm stur entgegen. In einem Anschwung von Frustration zischte Yuriy ihn an, stemmte nochmal all seine Kraft gegen ihn, doch schaffte es nicht, Boris auch nur einen Zentimeter weiter zu bewegen. »Weißt du, nicht jeder ist so notorisch schwanzgesteuert wie du. Nicht alle Probleme lassen sich mit Sex lösen!« Kurz blinzelte Boris ihm entgegen, bevor er seine Augenbrauen wieder tief zusammenzog. »Probleme lösen sich aber auch nicht, wenn man sie in sich reinfrisst und seine schlechte Laune an anderen auslässt!«, schmetterte er ihm entgegen. »Oder willst du wirklich ganz allein sein? Dann mach weiter so!« Yuriy hielt inne. Tief in sich wusste er, dass diese Vorhersage keinen Wahrheitsgehalt hatte. Er könnte einen Mord begehen und Boris, Sergeij und Ivan stünden nach wie vor hinter ihm. Trotzdem spürte er ein Brodeln in seinem Bauch und den Drang danach zu widersprechen. »Nein, will ich nicht.« Der Druck auf Boris wurde schwächer und seine Schultern entspannten sich. »Was willst du dann?« Das war die Frage, der sich Yuriy seit drei Wochen – aber eigentlich schon länger – versuchte zu entziehen. Natürlich war es Boris, der ihm diese nun stellte, nachdem er sie gekonnt in sich selbst ignoriert hatte. Er wollte Ruhe. Ruhe von sich selbst. Sich nicht mehr von einem Prickeln im Nacken oder einem Ziehen im Bauch stören lassen. Seine Gedanken sollten geordnet auf ein Ziel gerichtet sein und nicht diffus zu Momenten abschweifen, die er nicht verstand – weil er sich nicht mit ihnen beschäftigen wollte. Und immer, wenn Yuriy die Ruhe verlor, war da Boris. Und das war tröstend wie beunruhigend zugleich. Er ließ von seinem Freund ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick war gesenkt und die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Das Brodeln in seinem Bauch war zu einem Klumpen verkommen, der sich tief in die Magengrube setzte. Schließlich sah er auf. »Dich.« Boris sah ihn an ohne den Ärger, der sich eben noch auf seiner Stirn abgezeichnet hatte. Seine Brust hob sich mit einem tiefen Atemzug. Dann ließ er die Schultern sinken. »Ich bin doch hier.« Yuriy war sich nicht sicher, was er erwartet hatte. Seine Schultern entspannten sich und der Klumpen in seinem Magen brach auf und ließ Hitze in ihm hochjagen, die seinen Hals bis zu den Ohren hinauf kroch. Boris hob eine Braue und in seinen Mundwinkeln zuckte ein Grinsen. Es ließ Yuriy mit den Augen rollen, bevor er sich von seinem Freund abwandte und zurück an den Herd ging. Inzwischen stiegen kleine Blasen aus dem kochenden Wasser auf und Boris schnitt die letzten Pfifferlinge, bevor er sie zusammen mit den kleingeschnittenen Zwiebeln in einer Pfanne anbriet. In Yuriy kehrte Ruhe ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)