Nur ein Haufen Motten von RedTsunami ================================================================================ Kapitel 1: Der Brief -------------------- Der nächste Abend kam schneller als erwartet. Herbert wischte sich gähnend den Schlaf aus den Augen und schob den Deckel seines Sarges zur Seite. Er blinzelte kurz, gähnte ein zweites Mal und erhob sich, nur um geradewegs in das wenig erfreute Gesicht seines Vaters zu blicken. Nicht, dass Breda von Krolock oft erfreut dreinschaute. Meistens ähnelte sein Blick eher dem einer sogenannten „Grumpy Cat“, die Herbert vor kurzem auf der Oberfläche eines kleinen Geräts entdeckt hatte. Dass das Ding einmal seinem Abendessen gehört hatte, war für ihn kein Grund gewesen, es sich nicht genauer anzusehen. Breda räusperte sich laut und zog die Aufmerksamkeit seines Sohnes wieder auf sich. „Herbert, wir haben ein Problem.“ Irgendetwas sagte ihm, dass dieses Problem möglicherweise mit einem gewissen Brief zusammenhing. Die Vermutung bestätigte sich, als sein Vater ihm den geöffneten Umschlag vor die Nase hielt. „Lies.“ Herbert hob skeptisch eine Augenbraue, griff nach dem Brief und setzte sich auf den Rand seines Sarges, bevor er laut zu lesen begann. „Sehr geehrter Herr Graf von Krolock, wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Schloss demnächst unter Denkmalschutz gestellt wird. Um weitere Abnützungen zu vermeiden, werden Sie höflichst dazu angehalten, Ihren Wohnsitz zu verlassen und ihn in staatliche Obhut zu übergeben.“ Der blonde Vampir schnappte entsetzt nach Luft und kippte vor Schreck rückwärts in seinen Sarg. Nach einer kurzen Pause las er weiter. „Selbstverständlich wird die Gemeinde Ihnen eine angemessene Entschädigung in Form finanzieller Mittel zukommen lassen und Sie bei der Suche nach einer Unterkunft unterstützen. Die Räumungsfrist läuft am 06.06.20XX aus. Wir bitten Sie, Ihre persönlichen Gegenstände in diesem Zeitraum zu entfernen. Hochachtungsvoll, Leontin Matei“ „Das ist doch nicht zu fassen!“ Breda ging schnellen Schrittes auf und ab und raufte sich die langen Haare. „Seit über vierhundert Jahren befindet sich das Schloss schon in meinem Besitz und auf einmal ist die Regierung der Meinung, ich könnte nicht darauf aufpassen!“ Grummelnd lief er weiter hin und her, während er den Staat auf ungehörigste Art und Weise verfluchte. Herbert dagegen krabbelte aus dem Sarkophag und versuchte erstmal, seine Haare wieder unter Kontrolle zu bringen, bevor er sich zu seinem Vater gesellte, ihm eine Hand auf die Schulter legte und ihn von Gehen abhielt. „Sieh das Ganze doch nicht so negativ. Wenn sie uns wirklich hinauswerfen wollen, müssen sie persönlich kommen und wir bekommen unsere Mahlzeit praktisch ans Bett geliefert. Wir machen es einfach so, wie mit den Touristen im Sommer“, redete er auf Breda ein. Der ließ nur ein tiefes Seufzen hören. „Herbert… Touristen sind nicht der Staat. Wenn sie uns zum Ausziehen zwingen wollen, schaffen sie das auch. Abgesehen davon werden sie am Tag kommen. Es sind immerhin Menschen. Du weißt selbst, wie unsere Chancen stehen.“ Er wandte den Blick ab, um nicht weiter in die ungläubigen blauen Augen seines Sohnes sehen zu müssen. Der packte kurzerhand seinen Kopf und drehte ihn wieder in seine Richtung. Wann war der Junge eigentlich so respektlos geworden? Resigniert erinnerte sich Breda daran, dass sein Sohn in den letzten Jahrhunderten einen mächtigen Dickschädel entwickelt hatte. „Vater, sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede! Seit wann gibst du so schnell auf? Bist du dermaßen verweichlicht, dass du den Menschen die Macht gibst, über dein Leben zu entscheiden? Früher hast du sie als schwache Kreaturen bezeichnet, als zerbrechlich und weich. Und jetzt lässt du sie dir einfach dein- nein unser Zuhause nehmen? Was für eine unglaubliche Schande!“ Blanker Zorn funkelte in Herberts Augen, während er sich immer mehr in Rage redete. „Ich hätte wirklich mehr von dir erwartet.“ Breda ließ die Moralpredigt gelassen über sich ergehen. Einen handfesten Streit mit seinem Sohn anzufangen, war unter seiner Würde. Geduldig wartete er, bis Herbert sich beruhigt hatte, dann nahm er ihm den Brief aus der Hand und zerriss ihn in aller Seelenruhe in kleine Fetzen. Auf den perplexen Gesichtsausdruck des Jüngeren antwortete er mit einem zufriedenen Lächeln. „Liege ich richtig in der Annahme, dass du den Briefträger noch heute morgen um ein paar Liter Blut erleichtert hast?“, erkundigte er sich scheinheilig. Sein Sohn nickte, dann schlich sich ebenfalls ein Grinsen auf sein gerade noch so zorniges Gesicht. „Du meinst…“ „Ja, ich meine“, wurde er von seinem Vater unterbrochen. „Die Räumung des Schlosses setzt voraus, dass wir die Nachricht erhalten haben. Wenn dem Überbringer des Briefes allerdings unterwegs etwas Entsetzliches zustößt und wir von nichts wissen, sind wir völlig unschuldig.“ Der Graf überlegte kurz, dann schnippte er mit den Fingern und tippte seinem Sohn auf die Brust. „Hast du die Leiche noch?“ Keine Stunde später war die Tat vollbracht. Einige Kilometer vor dem Schloss gab es einen steilen Abhang am Rand des Weges, der den beiden Vampiren gerade recht gekommen war. Nun lag der Mann inmitten von Sträuchern am Grund der Schlucht, vollkommen zerkratzt und scheinbar einem Raubtier zum Opfer gefallen. Wenn er wider Erwarten gefunden werden sollte, gäbe es keine Hinweise auf menschliche - oder vampirische - Aktivitäten. Mit sich und der Welt zufrieden begaben sich die beiden Von Krolocks zurück ins Schloss, wobei Breda noch einen kleinen Abstecher ins nächste Dorf machte, um dort seinen Hunger zu stillen. Eine unvorsichtige Küchenhilfe fiel seiner Gier zum Opfer. Mit blutverschmiertem Gesicht machte er sich auf, um seinem Sohn nach Hause zu folgen und ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Herbert, der in der Eingangshalle auf ihn gewartet hatte, reichte ihm wortlos eine Packung Taschentücher. Ohne Zweifel waren diese Papierfetzen um einiges praktischer bei der Entfernung lästiger Blutflecken, allerdings benötigte man auch unglaublich viele davon, um überhaupt etwas ausrichten zu können. „Was für eine Verschwendung“, murmelte Breda vor sich hin, während er die letzten Reste des beinah getrockneten Bluts abtupfte. Sein Sohn verdrehte nur die Augen. „Ach, jammer doch nicht. Sei froh, dass du nicht wie früher nach jeder Mahlzeit das alte Stofftaschentuch auswaschen musst!“ Herbert konnte beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum sich sein Vater von Zeit zu Zeit so sehr gegen die Vorteile der neumodischen Technik sträubte. Ihm gefielen die Erfindungen der Neuzeit, auch wenn sich im Schloss nur sehr wenige davon finden ließen, weil sich der Graf standhaft gegen einen Anschluss ans transsilvanische Stromnetz weigerte. Allerdings musste auch er zugeben, dass nicht alles Neue unbedingt von Nutzen war. Den Sinn hinter bananenförmigen Plastikboxen oder geschälten Eiern in ebenfalls aus Plastik bestehenden Verpackungen verstand er bis heute nicht. Breda murmelte etwas Unverständliches, knüllte die benutzten Taschentücher zusammen und warf sie aus dem nächstbesten Fenster. Manchmal war der Fluss hinter dem Schloss ja doch zu gebrauchen. Außerdem ersparte er sich so die Schmach, seine Adresse bei der Müllabfuhr der nächsten Gemeinde anzumelden und die paar Papierfetzen würden sowieso niemandem auffallen, wenn sie sich nicht schon längst im Wasser aufgelöst hatten. „Umweltverschmutzer“, grummelte sein Sohn und machte sich kopfschüttelnd auf den Weg zum nächsten Badezimmer. Er musste keine zwei Minuten gehen, bis er den gewünschten Raum erreichte. Seit sich sein Vater vor über hundert Jahren dieses rothaarige Biest ins Schloss geholt hatte, fand man in beinahe jedem Gang ein vollständig eingerichtetes Bad. Glücklicherweise hatte das Mädchen kein Jahrzehnt durchgehalten und war zusammen mit Alfred, der ihr die ganze Zeit über hinterhergehechelt war, auf den Friedhof verbannt worden. Breda hatte von ihrer ewigen Singerei einfach die Nase voll gehabt, was Herbert durchaus nachvollziehen konnte. Alfreds Abweisung hatte er nach einer Weile verwunden und ihn schlicht als weiteren Unwürdigen auf seine bedauerlich lange Liste gesetzt. Seufzend holte er sich ein Handtuch aus dem alten Holzschrank, legte es ordentlich zusammengefaltet auf den Rand der Wanne und ließ heißes Wasser einlaufen. Während er wartete, suchte er in einem der kleinen Kästchen nach einer Erfindung, die er ganz besonders praktisch fand. Haarbänder waren ja schön und gut, aber zum Baden eigneten sie sich leider kein bisschen. Die Haargummis, die er sich vor einigen Jahrzehnten besorgt hatte, waren da schon sehr viel geeigneter. Sich mit einer Hand das Gummi fest- und mit der anderen die Kleidung ausziehend hopste er wenig elegant auf dem glatt polierten Marmorboden herum, bevor er sich nach getaner Arbeit in die inzwischen bis zum Rand gefüllte Wanne sinken ließ. Im Gegensatz zur Verflossenen seines Vaters konnte Herbert Schaumbäder nicht ausstehen. Er gab den heißen Dämpfen von frischem, klarem Wasser den Vorzug. Außerdem konnte er so die ganze Badewanne vollfüllen ohne auf herumfliegende Schaumberge achten zu müssen, die ihm seine Haare einsauten. Tiefentspannt ließ sich der Vampir bis zum Hals ins Wasser sinken und stöhnte zufrieden. Wenn der eigene Körper sich dauerhaft anfühlte wie ein fleischgewordener Eisklotz, war die Hitze eines Bades eine mehr als willkommene Abwechslung. Herbert lehnte sich zurück und schloss seine Augen. Wenig später war er bereits tief und fest eingeschlafen. Breda, der sich nach einer Stunde vergewissern wollte, dass mit seinem Sohn auch alles in Ordnung war, verließ nach einem Blick auf den Schlafenden das Bad und schloss mit einem sanften Lächeln lautlos die Tür. Er selbst wollte sich noch eine Weile in die Bibliothek setzen und eines seiner Bücher lesen, bevor er Herbert in ein paar Stunden aufwecken würde müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)