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The Light We Cast

Steve/Tony
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Erklärungen

- Flash Gordon ist eine US-amerikanische Comic-Reihe, die erstmals 1934 veröffentlicht wurde Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Achtung!

- Dieses Kapitel überschneidet sich inhaltlich mit meinem Oneshot Finding You Among the Stars. Es ist keine Pflicht, aber definitiv hilfreich, diese FF ebenfalls zu lesen, weil sie näher auf die Ereignisse auf der Erde nach der Schlacht in Wakanda eingeht und erklärt, was die restlichen Avengers in Tonys Abwesenheit gemacht haben. Komplett anzeigen

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Now Everything Has Come to Rest

Seit dem Ende des Krieges gab es eine Reihe von Räumen im Hauptquartier der Avengers, auf die sich niemand einen Reim machen konnte.

Ein ganzes Apartment – Wohnraum, Schlafzimmer und Bad – war plötzlich am Ende des Flurs aufgetaucht, dessen Existenz noch nie zuvor jemandem aufgefallen war. In der Garage stand seit Tagen ein halbes Dutzend hochmoderner Autos ohne Besitzer, von denen jedes für sich ein halbes Vermögen gekostet haben musste. (Scott behauptete im Scherz, es wären seine, aber als er versuchte, eines davon zu öffnen, verpasste ihm der Fingerabdruckscanner des Wagens einen leichten, elektrischen Schlag. Danach waren sie alle klüger und fassten die Autos nicht mehr an.) Außerdem gab es neben dem Hangar auf einmal eine Werkstatt voller hochkomplizierter Waffensysteme, Rüstungsteile und Maschinen, die aussah, als wäre sie jahrelang regelmäßig benutzt worden.

Als Steve Bruce danach befragte, schüttelte dieser jedoch nur den Kopf.

„Ich mag einiges über Computer wissen, aber wer auch immer hier gearbeitet hat, er hatte ein Verständnis von Maschinen, das ich niemals erreichen werde“, sagte er und hob eine unfertige Maske auf, die auf einer Werkbank lag, um sie genauer zu inspizieren. „Ich meine, sieh dir allein die Komplexität der Schaltkreise an! Die Eleganz dieses Designs! Sein Erschaffer gehört zweifellos zu den begnadetsten Ingenieuren, die die Welt je gesehen hat.“

Steve nickte knapp.

„Wer ist er also?“, fragte er und ließ den Blick durch die Werkstatt schweifen. „Und wie konnte er sich praktisch über Nacht seinen eigenen Platz bei den Avengers schaffen, ohne dass irgendjemand es bemerkt hat?“

Bruce zuckte mit den Schultern.

Dann schien ihm plötzlich ein Gedanke zu kommen und er erstarrte für einen Moment. Als er den Blick wieder hob und Steve ansah, waren seine Augen geweitet.

„Ich glaube, die Frage ist eher – wir konnten wir ihn alle vergessen, wenn er so lange unter uns gelebt hat...?“

Es dauerte eine Weile, bis Steve die Tragweite seiner Worte bewusst wurde.

„Das... das ist nicht möglich“, entgegnete er schließlich mit einer Stimme, die weniger fest war, als er es sich gewünscht hätte. Die Vorstellung war schlichtweg absurd. Sie würden niemals einen der ihren so vollständig und endgültig vergessen. Oder...?

Doch Bruce begegnete nur ruhig seinem Blick.

„Denk nach, Steve“, sagte er leise. „Was ist wahrscheinlicher: dass wir von einem Tag auf den anderen ein halbes Dutzend Räume dazubekommen haben, in denen ganz klar jahrelang jemand gelebt hat – oder dass wir im Kampf gegen Thanos mehr verloren haben, als uns allen bewusst ist...?“

Steve sah auf die Maske herab, die der andere immer noch in der Hand hielt.

Er wusste nichts zu erwidern.

 

Es gab weder Fotos noch Videoaufnahmen, weder Zeitungsartikel noch Sprachnachrichten von ihm.

Ihr ehemaliger Mitbewohner – den persönlichen Gegenständen in seinem Apartment nach zu schließen, war Steve sich mittlerweile sicher, dass es ein er war – war so sorgfältig aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht worden, wie aus dem des Teams.

Es gab jedoch andere Anhaltspunkte. Die halbfertige Rüstung in der Werkstatt beispielsweise, die keinem von ihnen passte, und die auf einen schlanken Mann schließen ließ, der ein Stück kleiner war als er. Oder die auffallend vielen Fotos von Pepper Potts, die an den Wänden seines Zimmers hingen, und die Steve vermuten ließen, dass die beiden mehr gewesen waren, als nur gute Freunde...

 

„Ich dachte schon, ich verliere den Verstand“, sagte Pepper, als Steve sie zwei Tage später im Stark Tower besuchte. Sie sah blass und übermüdet aus, als würde sie an jeder Ecke Gespenster sehen. „Anfangs habe ich noch geglaubt, jemand hätte sich einen schlechten Scherz erlaubt, indem er überall seine Spuren hinterlassen hat... ich war kurz davor, eine Anzeige wegen Stalkings und Einbruchs zu machen.“

Sie stieß ein Seufzen aus.

„Aber dann gab mir das hier zu denken.“ Sie zeigte Steve ihre linke Hand und zog dann den Ring von ihrem Ringfinger. Die Haut darunter zeigte Spuren des langen Tragens. „Ich war verlobt, wenn nicht sogar verheiratet, Steve. Wie konnte ich nur den Mann vergessen, mit dem ich verheiratet war...?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Steve voller Mitgefühl. „Aber ich verspreche, dass ich es herausfinden werde.“

Eine Durchsuchung der privaten Wohnräume des Stark Towers brachte weitere Details zum Vorschein.

Der Mann, mit dem Pepper verlobt (verheiratet?) gewesen war, hatte ganz offensichtlich zu keinem Zeitpunkt seines Lebens mit Geld gespart. Das Ausmaß und die Qualität seiner Anschaffungen ließ Steve mittlerweile vermuten, dass der Unbekannte entweder sehr selbstverliebt gewesen war oder einen Haufen anderer Dinge hatte kompensieren wollen.

Außerdem hatte Bruce mit seiner Vermutung Recht gehabt: der Mann war ein verdammtes Genie gewesen. Die Werkstatt im Hauptquartier der Avengers hatte Steve bereits einen Einblick in seine Arbeit gewährt, doch es war nichts im Vergleich zu den technologischen Wundern – den Anzügen und den Jets und den Robotern – die er im Stark Tower entdeckte.

„Ich wünschte, ich könnte mich wenigstens an seinen Namen erinnern“, sagte Pepper, während sie ihm die neueste Reaktortechnik von Stark Industries vorstellte. „Es macht mich wahnsinnig, dass ich nicht mal seinen Namen weiß.“

„Stark“, sagte Steve leise.

Sie blieb stehen und sah ihn überrascht an. „Was?“

Wie er es auch drehte und wendete, es war die einzige Erklärung, die Sinn machte.

„Sein Nachname war Stark“, wiederholte er. „Er war Howards Erbe... Sohn... was auch immer.“

„Das ist unmöglich.“ Pepper schüttelte den Kopf. „Jeder weiß, dass Howard und Maria Stark keine Kinder hatten.“

„Bis vor ein paar Tagen dachte ich das auch“, entgegnete Steve. „Aber ich kannte Howard damals gut, und all das...“ Er machte eine Geste, die all die Errungenschaften einschloss, die im Labor des Stark Towers ausgestellt waren. „... trägt deutlich seine Handschrift. Wenn er nicht schon seit Jahrzehnten tot wäre, hätte ich dies sogar für sein Werk gehalten. Aber ein Sohn, der seine Brillanz und seinen Forscherdrang geerbt hat? Das wäre eine Möglichkeit.“

Pepper war mit jedem seiner Worte blasser geworden.

„Ohh...“, machte sie und legte eine Hand an ihre Stirn. „Mir wird gerade ganz anders. Ich glaube, ich muss mich setzen.“

Steve half ihr zur nächstbesten Sitzgelegenheit und Pepper ließ sich mit einem tiefen Seufzen darauf nieder und schloss die Augen.

„Ich habe jahrelang mit einem Stark geschlafen“, murmelte sie und rieb sich die Schläfen. „Kein Wunder, dass ich mich nicht daran erinnern will.“

Steve konnte ein kleines Lächeln nicht verbergen. „Wenn er ein Mitglied der Avengers gewesen ist, dann kann er kein so schlechter Mann gewesen sein. Meine Leute mögen ihre Ecken und Kanten haben, aber ich würde jedem einzelnen von ihnen mein Leben anvertrauen.“

„Das... macht es tatsächlich ein klein wenig besser“, sagte Pepper und öffnete wieder die Augen, um ihn anzusehen. „Die Frage ist: was tun wir jetzt?“

Steves Blick wanderte durch das Labor und blieb schließlich an einer der rotgold-glänzenden Rüstungen hängen.

„Wir werden ihn finden“, erwiderte er entschlossen. „Koste es, was es wolle.“

The End Has Come And I Am Not Afraid

„Okay“, sagte Steve am Morgen nach seiner Rückkehr aus New York. „Irgendwelche Beobachtungen oder Ideen?“

Rhodey und Scott tauschten einen kurzen Blick, bevor sie auf die Werkbank hinabsahen, auf der eine der hochmodernen Rüstungen ihres unbekannten Mitstreiters ausgebreitet lag, die Pepper ihnen ausgeliehen hatte. Der Brustpanzer war geöffnet und gab den Blick auf die darunterliegenden Schaltkreise frei.

„Wonach genau suchen wir?“, fragte Scott, während er einen der Handschuhe der Rüstung näher inspizierte.

„Nach allem, was uns Hinweise auf den Namen, das Aussehen oder den Verbleib des Vermissten geben könnte“, erwiderte Steve.

Er hob den Blick und sah Rhodey an. „Deine War-Machine-Rüstung hat Ähnlichkeiten mit dieser. Ist es möglich, dass er sie gebaut hat?“

Rhodey überlegte einen Moment.

„Das Grunddesign ist dasselbe, ausschließen würde ich es darum nicht“, entgegnete er dann. „Aber diese Rüstung hier hat ganz eindeutig einem anderen Zweck gedient.“

Steve sah ihn aufmerksam an.

„Was meinst du damit?“

Rhodey zuckte mit den Schultern.

„War Machine ist ein Schlachtschiff im Vergleich hierzu“, sagte er. „Meine Rüstung hat eine enorme Feuerkraft und eine dicke Panzerung. Diese hier hingegen? Sie ist wesentlich leichter und wendiger und besitzt weniger großkalibrige Munition, verfügt dafür jedoch über Waffensysteme, die ich noch nie zuvor gesehen habe.“

Er deutete auf die zahlreichen Klappen, die in der Panzerung der Rüstung verborgen waren und ein ganzes Arsenal von Lasern, Blastern und patronengroßen Bomben enthielten.

„Er war zweifellos ein gefährlicher Gegner im Kampf, aber Kämpfen allein ist nicht alles, worauf diese Rüstung spezialisiert ist.“

„Multifunktionalität war ihm auf jeden Fall wichtig“, bestätigte Scott und klappte vorsichtig eine der Fingerkuppen des Handschuhs zur Seite, um mehrere USB-Ports freizulegen. „Der Typ war nicht nur eine lebende Waffe, er konnte mit dieser Rüstung auch elektronische Systeme anzapfen. Scheint, als wollte er jederzeit auf alles vorbereitet sein.“

Seine Augen leuchteten. „Mann, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr es mir in den Fingern juckt, dieses Baby auseinanderzunehmen... Der Ant-Man-Anzug könnte sehr von dieser Technologie profitieren.“

Doch Steve schüttelte nur mit einem kleinen Lächeln den Kopf.

„Ich glaube, das würde uns unser Mitstreiter sehr übel nehmen“, erwiderte er.

Rhodey sah ihn an und plötzlich trat ein nachdenklicher Ausdruck in seinen Augen.

„Meinst du, er lebt noch?“, fragte er leise. „Es tut mir in der Seele weh, dass ich mich nicht an ihn erinnern kann... Etwas sagt mir, dass wir uns sehr nahestanden, anders kann ich mir nicht erklären, wieso ich als einziger im Team eine Rüstung besitze, die Ähnlichkeiten mit seiner hat. Ich meine – warum würde er mir eine Waffe mit einer solchen Zerstörungskraft geben, wenn er mir nicht voll und ganz vertraut...?“

Steve sah ihn voller Mitgefühl an. Er wusste genau, was in dem anderen Mann vorging.

„Solange wir keine gegenteiligen Beweise haben, gehe ich davon aus, dass er noch lebt“, sagte er und legte eine Hand auf Rhodeys Schulter, um sie kurz zu drücken.

Der andere nickte ihm dankbar zu.

Dann sah er wieder auf die Rüstung hinab – und plötzlich weiteten sich seine Augen.

„Oh, ich bin so ein Idiot“, murmelte er.

Steve warf ihm einen fragenden Blick zu. „Was ist?“

„Dass mir das nicht sofort aufgefallen ist...“ Rhodey deutete auf den Brustpanzer. „War Machine besitzt einen ARC-Reaktor, der in die Rüstung eingebettet ist und alle Systeme mit Energie versorgt. Jede Version meiner Rüstung hat einen.“

Steves Blick folgte seiner ausgestreckten Hand und er verstand plötzlich, was der andere Mann damit sagen wollte.

„Wo ist der Reaktor?“, fragte er leise.

„Bingo“, sagte Rhodey.

 

Sie untersuchten auch die anderen Rüstungen in der Werkstatt, doch selbst die alten Modelle konnten keine erkennbare Energiequelle aufweisen. Sie alle besaßen jedoch eine runde Fassung im Brustpanzer, die wie geschaffen für einen ARC-Reaktor war, und nach Rhodeys Einschätzung war auch mindestens die Leistung eines solchen nötig, um alle Systeme am Laufen zu halten.

„Vielleicht war er einfach nur paranoid und hatte Angst, dass jemand seine Rüstungen stehlen würde, weshalb er sie standardmäßig nicht mit Reaktoren ausgestattet hat“, spekulierte Scott, nachdem sie sich schließlich wieder um die Rüstung versammelt hatten.

„Dann würde trotzdem die Frage bleiben, wo sie sind“, sagte Steve. „Irgendwo muss er sie ja gelagert haben, aber wir haben nichts gefunden, nicht mal Prototypen.“

Rhodey überlegte.

„Vielleicht hat er seinen Reaktor die ganze Zeit über bei sich getragen.“

„Als was – als Kette?“, erwiderte Scott. „Sieh dir den Durchmesser der Fassung an, das Ding muss mindestens ein Kilo gewogen haben! Nicht gut für den Nacken auf Dauer, wenn du mich fragst.“

Rhodey zuckte mit den Schultern. „War auch nur eine Idee.“

„Aber vielleicht liegst du gar nicht so daneben“, sagte Steve plötzlich und berührte vorsichtig die Fassung für den ARC-Reaktor in dem vor ihnen ausgebreiteten Brustpanzer. Sie trug deutliche Spuren der Abnutzung. „Können wir mit absoluter Sicherheit sagen, dass er zu hundert Prozent Mensch war?“

Rhodey hob den Blick.

Unwillkürlich wanderte seine Hand zu dem Mechanismus, der sich von seiner Hüfte zu seinen Beinen hinabzog und ihn beim Laufen stützte.

„Willst du damit andeuten, dass er den ARC-Reaktor als... als eine Art von Prothese getragen hat?“

Er sah erneut auf den Brustpanzer hinab.

„Was muss ihm zugestoßen sein, dass er freiwillig etwas so Gefährliches in seinem Körper getragen hat...?“

Steve konnte ihm keine Antwort geben, doch er spürte, dass sie langsam anfingen, die richtigen Fragen zu stellen.

„Also fällt Flash Gordon damit wohl als Codename weg“, meinte Scott.

Steve sah ihn verwirrt an. „Bitte was?“

„Ich überlege schon die ganze Zeit, welchen Superheldennamen er getragen haben könnte“, erklärte Scott. „Bei dem gelb-roten Farbschema musste ich zuerst an Flash Gordon denken, aber eure neue Theorie passt nicht länger dazu.“

Steve konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Er mochte alt sein, aber die Comics waren selbst ihm noch bekannt.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mit dem Namen gegen diverse Copyrights verstoßen hätte“, sagte er.

Rhodey stieß ein leises Schnauben aus. „Und ich werde das Gefühl nicht los, dass er zu der Sorte Mensch gehört, die das nicht interessiert hätte.“

Scotts Augen leuchteten auf.

„Also bleibt es doch bei Flash Gordon?“

Steve seufzte.

 

Nach jemandem zu fahnden, von dem man nicht mal ein Phantombild besaß, geschweige denn den vollständigen Namen kannte, war ein schier unmögliches Unterfangen.

Doch Unmögliches hatte die Avengers noch nie aufgehalten.

Sie gaben noch am selben Nachmittag eine Vermisstenanzeige beim Bundesstaat New York auf und kontaktierten darüber hinaus das FBI und S.H.I.E.L.D.

„Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun, Captain“, sagte Nick Fury, als Steve ihm und einer Reihe weiterer hochrangiger S.H.I.E.L.D.-Agenten die Details per Videokonferenz mitteilte.

„Ich würde Sie nicht um Ihre Hilfe bei einem solchen Unterfangen bitten, wenn ich mir nicht sicher wäre, Sir“, entgegnete Steve. „Aber der Mann ist ein Avenger. Er leidet möglicherweise an Gedächtnisverlust und weiß nicht, wer oder wo er ist. Wir wollen ihn einfach wieder nach Hause zurückholen. Nicht mehr und nicht weniger.“

„Und was, wenn er sich weigert zurückzukehren?“

„Dann werden wir damit leben müssen“, erwiderte Steve. „Aber was für Gründe er auch immer dafür hat, ich will vorher wenigstens seine Seite der Geschichte hören.“

Fury seufzte leise, dann nickte er.

„Na schön, Captain“, sagte er. „Wir werden unsere Augen und Ohren offenhalten.“

Steve nickte ihm zu. „Danke, Sir.“

 

Die Wochen vergingen, ohne dass es Neuigkeiten gab.

Mit jedem Tag wurde Steves Herz schwerer. Er wusste, wozu S.H.I.E.L.D. fähig war, und dass sie ihren vermissten Kameraden selbst nach einem Monat noch nicht gefunden hatten, konnte nur eines von zwei Dingen bedeuten: entweder war er tatsächlich untergetaucht und hatte nicht das Bedürfnis zurückzukehren... oder der schlimmste Fall war bereits eingetreten.

Steve mochte gar nicht erst daran denken.

Ein Mitglied ihres Teams zu verlieren traf ihn immer schwer – er würde niemals aufhören, sich Vorwürfe wegen Pietro zu machen – doch jemanden zu verlieren, bevor er die Möglichkeit hatte, ihn richtig kennenzulernen, war besonders bitter.

Und doch hatten sie sich einst gekannt.

Und offenbar sogar besser, als selbst Steve es je vermutet hätte. Einen Hinweis darauf hatte er nur durch Zufall beim Aufräumen entdeckt, als er in einer Box unter seinem Bett einen Glaswürfel gefunden hatte, der einen ausgebrannten ARC-Reaktor enthielt.

Für Steve, stand auf einem Zettel, der dem Reaktor beigelegt war. Weil ich dir jederzeit mein Herz anvertrauen kann.

Es ergab keinen Sinn. Wieso sollte der andere Mann ihm etwas so Persönliches schenken? Was war Steve für ihn gewesen, dass er ihm so viel Vertrauen entgegengebracht hatte...?

Es waren Fragen, die ihn wochenlang beschäftigten und ihn nachts kaum schlafen ließen.

 

„Steve“, sagte Natasha eines Vormittags und setzte sich zu ihm auf die Couch im Gemeinschaftsraum. „Bist du dir sicher, dass du diese Suche fortsetzen willst? Ich kann sehen, wie viel Kraft sie dir abverlangt, und ich-... das Team und ich, wir machen uns Sorgen um dich.“

Steve fuhr sich müde mit der Hand durch seine Haare. Er hatte seit zwei Tagen kein Auge zugemacht.

„Es ist keine Frage des Wollens, sondern der Pflicht, Natasha“, erwiderte er. „Ich muss ihn finden. – Ich muss.“

„Und das verstehe ich auch“, sagte Natasha. „Aber wir haben keine weiteren Anhaltspunkte und selbst Fury hat zugegeben, dass wir ihn auf diese Weise niemals finden werden. Wäre es vielleicht nicht langsam an der Zeit, die Suche einzustellen...?“

Steve stieß nur ein freudloses Lachen aus.

„Was, wenn es Clint wäre?“, fragte er plötzlich und sah sie aufmerksam an. „Oder Bruce? Würdest du dann dasselbe sagen?“

Natasha hielt seinem Blick für einen Moment stand. Dann wandte sie die Augen ab.

„Ich würde für jeden einzelnen von euch das Gleiche tun“, fuhr Steve fort. „Weil wir ein Team sind und aufeinander achtgeben.“

Natasha nickte, dann erhob sie sich.

„Wie gesagt, ich verstehe, wieso du es tun musst“, sagte sie leise. „Aber das macht es nicht einfacher, dir dabei zuzusehen.“

Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn, dann wandte sie sich ab und verließ den Raum.

Steve sah ihr nicht nach.

 

Zweieinhalb Monate waren vergangen, seitdem sie die Suche begonnen hatten, und Steve war kurz davor, Natashas Bitte nachzugeben und die ganze Aktion einzustellen, als er eines Tages einen seltsamen Besucher in der Eingangshalle des Hauptquartiers antraf.

„Doctor... Strange?“, fragte er. Er war dem Mann noch nie persönlich begegnet, sondern kannte ihn nur aus den Erzählungen von Peter und Bruce.

„Eben dieser“, erwiderte der andere, dessen Cape ein seltsames Eigenleben zu besitzen schien und Steve zur Begrüßung einen Zipfel hinhielt, um ihm die Hand zu schütteln. „Ignorieren Sie bitte meinen, ah, Begleiter. Ich befürchte, er ist ein großer Fan von Ihnen.“

Steve starrte den Umhang an. „Ich sehe schon.“

Dann richtete er den Blick wieder auf Strange.

„Was kann ich für Sie tun, Doctor?“, fragte er.

Strange sah ihn ruhig an.

„Ich habe gehört, dass Sie ein Mitglied Ihres Teams vermissen“, erwiderte er. „Ich habe lange überlegt, ob ich Sie kontaktieren soll, doch ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich ihm zumindest das schuldig bin...“

Plötzlich begann Steves Herz schneller zu klopfen und es gelang ihm nicht ganz, seine Aufregung zu verbergen, als er fragte:

„Sie wissen, wer er ist?“

Strange schmunzelte.

„Oh, ich weiß ganz genau, wer Tony Stark war...“

We Travel On Towards a New Beginning

„Zuerst einmal müssen Sie verstehen, dass die Antwort auf Ihre Frage komplizierter ist, als es den Anschein hat“, erklärte Strange, nachdem er und Steve sich auf der Couch von Tonys Zimmer niedergelassen hatten.

„Obwohl ich Stark kennengelernt habe, habe ich nur wenig Zeit mit ihm verbracht, bevor das hier passiert ist.“

Er hob die Hand und schnippte einmal kurz mit den Fingern.

„Doch bevor es dazu kam“, fuhr er fort, „erhielt ich einen kleinen Einblick in die Dinge, die folgen sollten. Was ich Ihnen also heute zeigen möchte, Captain Rogers, sind Bilder und Ereignisse, die nicht immer kohärent oder nachvollziehbar sind, doch die Ihnen die Antworten geben werden, nach denen Sie gesucht haben. Denn es sind gewissermaßen... Erinnerungen an den Krieg um die Infinity-Steine. Und zwar Erinnerungen von Tony Stark.“

Steve konnte nicht behaupten, dass er zu hundert Prozent verstand, wovon der Mann sprach, doch er hatte zumindest die Grundidee dahinter verstanden.

„Sie wollen mich also auf eine Reise durch Starks Erinnerungen mitnehmen“, fasste er zusammen und Strange nickte. „Wieso ausgerechnet die von Stark?“

Der andere schwieg einen Moment, als schien er zu überlegen, wie er seine nächsten Worte am besten formulieren sollte.

Schließlich entgegnete er: „Weil Stark derjenige ist, dessen Zukunft ich sah – und derjenige, der das Universum zurückgesetzt und uns alle gerettet hat.“

Steve starrte ihn an. Die Aussage war schlichtweg absurd.

„Das kann nicht sein“, sagte er kopfschüttelnd. „Das deckt sich nicht mit meinen Erinnerungen. Ich-“

„Es kann sich auch nicht mit ihnen decken, weil Starks Existenz vollständig aus dem Lauf der Zeit gelöscht wurde“, unterbrach ihn Strange jedoch nur ruhig, aber bestimmt. „Sie werden verstehen, was ich meine, wenn Sie erst einmal gesehen haben, was ich Ihnen zu zeigen habe.“

Steve hatte noch immer seine Zweifel, und er wusste, dass Strange sie ihm vermutlich auch deutlich ansah. Dennoch wollte, nein, musste er dem Ganzen eine Chance geben und sich auf das, was der andere Mann ihm zeigen wollte, einlassen. Er hatte sich geschworen, dass er Antworten finden würde, und wenn dies der einzige Weg war, dann sollte es eben so sein.

Er nickte. „Na schön. Versuchen wir es.“

Dann aktivierte er das Kommunikationsgerät an seinem Ohr.

„Sam“, sagte er. „Ich werde heute für eine Weile beschäftigt sein. Bitte sag alle noch ausstehenden Termine ab.“

„Okay, Steve“, erwiderte Sam. Und dann: „Ist alles in Ordnung?“

Steve zögerte. „Das weiß ich selbst noch nicht.“

Er wollte die Verbindung gerade unterbrechen, als ihm noch etwas einfiel. „Oh, und schick bitte Bucky zu mir. Wir sind in Starks Zimmer.“

„Stark?“

„Ich hatte Recht mit meiner Vermutung, Sam. Er war ein Stark.“

Für einen Moment war Sam still.

„... wow“, stieß er dann aus, und in seiner Stimme klangen sowohl Faszination als auch tiefes Entsetzen mit. „Einfach... wow.“

Steve lachte leise. „Ich weiß.“

„Alles klar, Steve. Ich sage Barnes gleich Bescheid.“

„Danke, Sam.“

Steve brach die Verbindung ab und wandte sich dann Strange zu.

„Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn Bucky uns Gesellschaft leistet.“

Strange nickte knapp. „Er wird nicht sehen können, was Sie sehen werden, Captain, aber der emotionale Beistand kann nicht schaden.“

Steve lächelte schwach. „Klingt, als müsste ich mir Sorgen machen.“

Strange gab keine Antwort, und aus irgendeinem Grund trug das nicht zu Steves Beruhigung bei.

 

„Noch eine letzte Sache...“, sagte Strange, nachdem Bucky sich zu ihnen gesellt und sich neben Steve auf der Couch niedergelassen hatte. Die Anwesenheit ihres Besuchers hatte er dabei lediglich mit einem Stirnrunzeln – gefolgt von einem Achselzucken – zur Kenntnis genommen.

„Tun Sie das nicht“, fuhr Strange zu Steves Überraschung fort. „Ich gebe Ihnen eine letzte Möglichkeit, aufzustehen und zu gehen. Denn die Erinnerungen, die ich Ihnen zeigen werde, werden Emotionen in Ihnen wachrufen, die Ihr Leben möglicherweise auf eine Art verändern, die Sie im Nachhinein bereuen werden. Ich würde es darum verstehen, wenn Sie das Ganze lieber endgültig begraben und einen Schlussstrich ziehen wollen.“

Steve und Bucky tauschten einen kurzen Blick. Dann stieß Bucky ein leises Schnauben aus.

„Sie kennen ihn schlecht, wenn Sie denken, dass ihn das aufhalten würde“, meinte er.

Steve konnte sich nur mit Mühe ein Lächeln verkneifen.

„Bei allem Respekt, Doctor, aber mit Risiken wie diesen habe ich gerechnet“, stimmte er Bucky zu. „Und ich kann keinen Schlussstrich ziehen, wenn ich nicht einmal weiß, was es ist, was mir fehlt.“

Strange schenkte ihm ein schmales Lächeln, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet.

„Nun gut“, entgegnete er. „Dann soll es so sein. Aber sagen Sie im Nachhinein nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“

„Das wird nicht der Fall sein“, sagte Steve mit fester Stimme. „Das verspreche ich.“

Strange nickte nur. Dann hob er die Hände und machte eine komplizierte Geste vor sich in der Luft, und im nächsten Moment wurde das Zimmer von einem unirdischen, grünen Licht erhellt, als sich das Auge von Agamotto öffnete und seinen Infinity-Stein freigab.

„Lehnen Sie sich zurück, Captain, und entspannen Sie sich. Dies wird eine Weile dauern“, wies Strange Steve an, und er befolgte den Rat und ließ sich in das Polster sinken. Dabei spürte er, wie Bucky nach seiner Hand griff, und dankbar erwiderte er den beruhigenden Druck der kühlen Vibraniumfinger.

„Und vergessen Sie nicht: dies sind nur Erinnerungen“, fügte Strange dann hinzu. „Sie können weder Starks Handlungen beeinflussen, noch den Lauf der Dinge ändern.“

Und das war die letzte Warnung, die Steve bekam, bevor das Licht des Infinity-Steins plötzlich hell aufleuchtete und alles um ihn herum in strahlendes Grün tauchte.

 
 

~*~


 

„Steh auf!“, forderte ihn eine kalte Stimme auf, als er wieder zu sich kam, und jemand packte ihn grob am Oberarm, um ihn auf die Füße zu zerren. „Wir müssen von hier verschwinden.“

Steve hob den Kopf und sah sich um. Er erblickte exotische Ruinen, die Wracks gigantischer Raumschiffe und einen Himmel voller Asche. Eine sterbende Welt.

Dies war definitiv nicht länger die Erde.

„Steh auf, verdammt!“, rief die Stimme erneut, als er ihr nicht sofort Folge leistete. „Glaub mir, ich bin mir nicht zu schade, dich zurückzulassen, Stark, also beweg deinen verdammten Arsch!“

Mein Name ist nicht Stark, wollte Steve erwidern, doch sein Mund öffnete sich nicht. Und dann fiel es ihm wieder ein. Seine Erinnerungen. Natürlich.

Wie seltsam es war, im Körper eines anderen zu stecken, ohne jedoch an dessen Gedanken und Gefühlen teilhaben zu können.

Schließlich begann Tony Stark doch, sich zu regen, und sah zu der Frau auf, der die Stimme gehört hatte. Sie war kein Mensch, nicht wirklich. Ihre Haut war von einem tiefen Blau und Teile ihres Körpers waren durch mechanische Gliedmaßen ersetzt worden. Ihre Augen waren pechschwarz ohne erkennbare Pupillen oder Iris, und der Ausdruck in ihnen war hart und erbarmungslos.

Nebula. Steve erinnerte sich noch zu gut an die junge Frau und die Aura der Gefahr, die sie stets umgeben hatte.

„Zu welchem Zweck?“, fragte Tony schließlich mit müder Stimme. „Es ist niemand mehr übrig. Wir beide könnten die letzten Überlebenden in diesem Universum sein.“

„Es ist noch genug Leben übrig, glaub mir“, erwiderte Nebula ungeduldig. „Thanos Plan war es schon immer gewesen, die Hälfte allen Lebens auszulöschen. Dass es dabei alle deine Freunde getroffen hat, war purer Zufall.“

„Ist das so...“, murmelte Tony und seine Stimme klang furchtbar hohl bei diesen Worten.

„Und daran wird sich auch nichts ändern, wenn wir hierbleiben und nichts tun“, sagte Nebula und versuchte erneut, ihn auf die Beine zu ziehen.

Doch Tony wandte ihr nur die Fläche seine Hand zu, und Steve sah, wie sich aus seinem Arm eine Art von Waffe formte, die einen Schuss auf Nebula abgab und sie zurücktaumeln ließ. Der Treffer war nicht tödlich, aber er war eine deutliche Warnung gewesen.

„Fass mich nicht noch mal an“, sagte Tony leise, und die junge Frau stieß einen Schrei der Frustration aus. Doch sie wagte nicht erneut, ihn zu berühren.

„Ich lasse dir diese Respektlosigkeit durchgehen, weil ich weiß, dass du trauerst, und weil dein Freund offenbar einen Plan hatte, als er seinen Infinity-Stein weggegeben hat, um dich zu retten“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Aber wenn du so etwas noch mal machst, dann wird selbst mein Mitleid dich nicht mehr retten können, das verspreche ich dir!“

Tony stieß ein Lachen aus, in dem keine Spur von Humor lag. „Soll ich jetzt etwa dankbar dafür sein? Du hast keine Ahnung, was ich verloren habe!“

Nebula machte einen Schritt auf ihn zu, bevor sie wieder stehenblieb und die Hände zu Fäusten ballte.

„Thanos hat meine Schwester getötet“, erwiderte sie mit kalter Stimme. „Ich denke, ich weiß sehr genau, was du verloren hast!“

Das brachte Tony tatsächlich zum Schweigen und er senkte den Kopf.

Komm schon, steh auf, dachte Steve, auch wenn er wusste, dass der andere Mann ihn nicht hören konnte. Ich weiß, dass du es kannst. Du hast mir einst dein Herz anvertraut, und ich muss dich gut genug gekannt haben, um es anzunehmen. Ich glaube daran, dass du die Kraft hast, um weiterzumachen.

„... okay“, sagte Tony nach einer Weile und rieb sich das Gesicht. „Okay.“

Mühsam stemmte er sich hoch.

„Heben wir uns die Vorwürfe für später auf und gucken, wer noch übrig ist.“

Nebula entspannte sich wieder etwas.

„Das ist der erste vernünftige Vorschlag, den ich von dir höre“, meinte sie.

Dann machten sie sich gemeinsam auf die Suche nach einem funktionierenden Raumschiff.

 

Kurz nachdem sie ihren Notruf abgesetzt hatten, öffnete sich auf einmal der Himmel und eine Säule aus Licht brannte sich nur wenige Meter von ihnen entfernt in den Boden.

Nebula hob ihren Stab und bereitete sich auf einen Angriff vor, doch Tony hielt sie mit einer Geste zurück und schüttelte den Kopf.

„Keine Sorge“, sagte er und Steve entging die Erleichterung in seiner Stimme nicht. „Thor ist einer von den Guten.“

Im nächsten Moment materialisierte sich auch schon die imposante Gestalt des Gottes vor ihnen.

„Stark!“, rief Thor überrascht aus, als er Tony sah, und Steve wurde mit einem Mal klar, dass er nicht damit gerechnet hatte, ihn hier vorzufinden. „Du hast überlebt!“

„Eine meiner vielen, schlechten Angewohnheiten, ich weiß“, gab Tony zu und Thor lächelte. „Lange nicht gesehen, Kumpel; du hast dich verändert. Nette Frisur. Und eine neue Axt, wie ich sehe.“

„Sie heißt Sturmbrecher“, teilte Thor ihm mit.

„... und natürlich hast du ihr einen Namen gegeben“, seufzte Tony.

Er wollte noch mehr sagen, aber er kam nicht dazu, da Thor in diesem Moment auf ihn zutrat und ihn in eine bärenhafte Umarmung zog.

„Uff!“, machte Tony, doch dann lachte er auf – das erste, echte Lachen, das Steve von ihm hörte – und erwiderte die Umarmung.

„Die Avengers haben mir erzählt, was während meiner Abwesenheit passiert ist“, sagte Thor. „Ich mag nicht mit allem, was vorgefallen ist, einverstanden sein, aber es freut mich dennoch, dich wohlauf zu sehen, Stark.“

„Die Avengers?“, fragte Tony, als sie sich wieder voneinander gelöst hatten, und Steve hörte die Hoffnung in seiner Stimme. „Sie sind noch am Leben?“

„Nicht alle“, erwiderte Thor betrübt. „Wir haben Thanos lange Zeit Widerstand geleistet, doch am Ende war er allen Bemühen zum Trotz siegreich. Wir verloren Wanda und Vision, sowie eine Vielzahl weiterer Kameraden. Der Verlust war groß.“

„Was ist mit Steve?“, fragte Tony. Die Sorge in seiner Stimme überraschte Steve und selbst Thor sah ihn nachdenklich an.

„Der Captain ist wohlauf“, erwiderte er dann. „Auch wenn er sehr unter den Verlusten leidet.“

Seine Miene verdüsterte sich. „So wie jeder von uns.“

Steve vermutete, dass er in jenem Moment an Loki dachte, auch wenn Tony vermutlich keine Ahnung hatte, wovon er sprach.

„Das ist alles sehr rührend“, mischte Nebula sich in diesem Moment ein. „Aber wie genau soll uns das weiterhelfen?“

Tony wandte sich ihr zu.

„Wenn Steve und die Avengers noch leben, dann ist die Hoffnung noch nicht verloren“, entgegnete er.

Du sagst das mit einer Selbstsicherheit, als wäre dein Glauben an mich grenzenlos, dachte Steve. Wer war ich für dich? Und was hast du MIR bedeutet...?

„Bring mich zurück zur Erde“, sagte Tony dann zu Thor. „Und nimm sie mit.“

Er nickte kurz zu Nebula hinüber.

„Sie hat einen Groll auf Thanos und ein paar ziemlich miese Tricks auf Lager. Sie ist bestens für diesen Kampf geeignet.“

Thor nickte.

„Wenn du für sie bürgst“, entgegnete er nur, bevor er seine Axt hochhielt und seine Augen plötzlich in einem gleißenden Licht erstrahlten.

Im nächsten Augenblick verschluckte sie der Bifröst.

We Slip Away And We Are Unafraid

Es war ein eigenartiges Gefühl, sich selbst durch die Augen eines anderen zu sehen.

Noch seltsamer war es jedoch, mit der Mischung aus Erleichterung, Sehnsucht und stillem Vorwurf konfrontiert zu werden, die Steve auf seinem eigenen Gesicht erblickte, als Tony und er – oder vielmehr sein anderes Ich während des Krieges gegen Thanos – sich endlich gegenüberstanden. Etwas musste in der Vergangenheit passiert sein, etwas, das sie entzweit hatte, aber das seine Zuneigung und Sympathie für den anderen Mann nicht gänzlich hatte auslöschen können.

Steve musste nicht lange überlegen; der Konflikt zwischen den Avengers nach dem Desaster in Sokovia war die wahrscheinlichste Ursache für ihren Streit. Und nach Tonys Wortwechsel mit Nebula und Thor konnte Steve sich gut vorstellen, dass die angriffslustige und spöttische Art des anderen ihn regelmäßig all seine Selbstbeherrschung gekostet hatte.

Und doch...

Als Tony in seine Arme fiel und erschöpft den Kopf an seine Schulter legte, als wäre es das natürlichste auf der Welt, da wusste Steve, dass er diesem Mann alles, wirklich alles verzeihen würde – und in der Vergangenheit auch stets verziehen hatte.

„Sie sind alle tot“, hörte er Tony mit schwacher Stimme an seiner Brust murmeln.

„Dann hilf mir dafür zu sorgen, dass sie die letzten waren, die sterben mussten“, entgegnete sein anderes Ich. „Lass ihr Opfer nicht umsonst sein.“

Tony nickte nur schweigend und es sollte lange dauern, bis er sich wieder von ihm löste.

 

Mit dem Jet flogen sie gemeinsam nach Birnin Zana.

In den weitläufigen Gemächern des königlichen Palastes herrschte eine beinahe gespenstische Stille und das Echo ihrer Schritte hallte laut von den Wänden wider, als sie über den dunklen Marmorboden auf den Ratssaal zuschritten.

Ein Dutzend Augenpaare wandte sich ihnen zu, als sie die Flügeltüren öffneten.

Steve erinnerte sich noch zu gut an die niedergeschlagenen, hoffnungslosen Mienen seiner Mitstreiter nach der Schlacht in Wakanda, und sie unter diesen Umständen wiederzusehen, ließ kurz den alten Schmerz wieder aufleben.

Umso mehr wärmte es ihm das Herz, als er die Erleichterung und Freude auf den Gesichtern der Anwesenden sah, als sie Tony erblickten.

„Tony“, sagte Natasha, die wie so oft als erste ihre Überraschung überwunden hatte. „Du bist... nicht tot.“

„Ich habe Ihre grenzenlose Begeisterung ebenfalls vermisst, Miss Romanoff“, erwiderte Tony spitz.

Natasha schmunzelte kurz.

„Denk ja nicht, dass alles vergeben ist, nur weil du immer noch das Glück hast, zu atmen“, sagte sie dann.

„Das würde ich nicht wagen“, entgegnete Tony mit ernster Stimme.

Sie nickte knapp. „Gut.“

Dann trat sie auf ihn zu und zog ihn in eine kurze, aber feste Umarmung.

„... okay?“, machte Tony und lachte leise, doch er erwiderte die Umarmung.

Nach und nach begrüßten ihn dann auch die restlichen Mitstreiter seines Teams. Rhodey hatte Tränen in den Augen, als er ihn in die Arme zog, und er ließ sich mehr Zeit als der Rest, ihn wieder loszulassen.

Dann stellten sich all diejenigen vor, die Tony noch nicht getroffen hatte: Rocket, M’Baku, Okoye und schlussendlich auch Shuri, die frisch gekrönte Königin von Wakanda.

„Es ist mir eine Ehre, Eure Hoheit“, sagte Tony und verneigte sich.

„Shuri, bitte“, erwiderte sie und lächelte wehmütig. „Ich bin auch nur hier, weil mein Bruder... nun. Ihr wisst, warum.“

„Nur zu gut“, sagte Tony mit einer Stimme voller Schmerz und Bitterkeit.

„Was ist mit den anderen?“, fragte er schließlich in die Runde. „Wer ist noch alles da?“

Steve und Thor wechselten einen Blick.

„Wir haben weder mit Fury noch mit Hill Kontakt aufnehmen können“, sagte Steve dann. „Auch von Scott habe ich nichts gehört.“

„Clint geht es gut“, meinte Natasha, bevor ein schmerzvoller Ausdruck auf ihr Gesicht trat. „Seiner Familie allerdings...“

Tony räusperte sich mehrmals, bevor er das nächste Wort herausbrachte.

„Pepper...?“

Doch Steve schüttelte nur den Kopf.

„Es tut mir leid, Tony“, sagte er leise.

Das kann doch nicht alles sein, was du dazu zu sagen hast, wollte Steve rufen. Fällt es dir so schwer, tröstende Worte zu finden, oder ihn wenigstens in die Arme zu nehmen?

Doch sein anderes Ich rührte sich nicht.

Und einen Moment später erkannte er auch wieso. Tony bebte am ganzen Körper – vor Trauer, vor Verzweiflung und vor Wut. Jede Berührung hätte ihn nur explodieren und verbal um sich schlagen lassen. Eine Tatsache, die seinem vergangenen Ich vollkommen bewusst sein musste, weshalb er Tony gar nicht erst anfasste.

„... okay“, sagte Tony schließlich und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Okay.“

Er ließ sich schwerfällig auf einem der Sitze um den Tisch herum nieder und schwieg.

„Unsere Lage scheint hoffnungslos“, sprach Steve schließlich mit ruhiger Stimme und warf einen Blick in die Runde. „Aber wir wissen jetzt, womit wir es zu tun haben und was uns beim nächsten Mal erwarten wird.“

„Beim nächsten Mal?“, fragte Bruce. „Wir haben uns noch nicht mal vom ersten Mal erholt!“

„Und das ist unser größter Vorteil“, erwiderte Steve. „Thanos denkt, wir sind besiegt und unser Kampfeswille ist gebrochen. Womit er jetzt am wenigsten rechnet, ist eine Gegenoffensive.“

„Offensive? Womit?“, wandte Okoye ein. „Wir wissen noch nicht einmal, wo er ist!“

„Nein.“

Zur Überraschung aller richtete Nebula plötzlich das Wort an sie.

„Aber ich habe eine Vermutung. Und einen Vorschlag.“

Rocket verschränkte die Arme vor der Brust.

„Beinhaltet er, uns alle zu verraten und hinterrücks zu ermorden?“

Tony stieß ein leises Schnauben aus.

„Ich mag den Waschbär“, sagte er.

„Rocket“, korrigierte ihn der andere.

„Was auch immer“, meinte Tony.

Nebula warf Rocket jedoch nur einen kalten Blick zu.

„Eigentlich nicht“, beantwortete sie seine Frage. „Aber ich fange langsam an, es in Betracht zu ziehen.“

„Meine Freunde, meine Freunde“, ging Thor dazwischen und hob beschwichtigend die Hände. „Diese Streitigkeiten bringen uns nicht weiter.“

Er wandte sich an Rocket. „Bitte lass die blaue Dame aussprechen.“

Rocket zuckte mit den Schultern. „Na schön.“

Nebula sah für einen Moment so aus, als wollte sie sich auf dem Absatz umdrehen und gehen, doch Thors bittender Blick schien sie etwas zu besänftigen.

„Mein Adoptivvater wurde während der... Säuberungsaktionen, die er auf anderen Planeten durchführte, nie müde zu betonen, wie zukunftsweisend und moralisch richtig diese Genozide wären“, erzählte sie schließlich. „Oder wie dankbar man ihm ein paar Jahre später sein würde, wenn die Überlebenden die reduzierte Bevölkerung zu schätzen gelernt hatten.“

Sie verzog das Gesicht, als würde sie allein die Erinnerung daran in Rage versetzen.

„Sein größter Stolz und das Lieblingsbeispiel, das er dabei stets heranzog, war der Planet meiner Schwester.“

„Gamora“, murmelte Rocket, und dieses Mal war es zweifellos Schmerz, der sich auf Nebulas Miene widerspiegelte.

„Wann immer ihm Widerstand begegnete oder innerhalb der Reihe unserer Krieger Zweifel laut wurden, verwies er sie auf Gamoras Heimatplaneten. Für ihn war es der perfekte Erfolg, mit dem er alle Massenmorde rechtfertigte. ‚Seht doch nur, wie gut es dort bereits funktioniert hat!‘ Ich weiß nicht, wie oft er das gesagt hat, aber Gamora und ich haben ihn jedes Mal ein bisschen mehr dafür verachtet.“

Für eine Weile war es still im Saal.

Schließlich hob Tony den Kopf.

„Dieser Planet“, sagte er. „Wie heißt er?“

„Zen-Whoberi“, entgegnete Nebula. „Nach dem Mord am Volk meiner Schwester war Thanos oft dort, um sich vom Erfolg des Massakers zu überzeugen. Er meinte, nur dort würde er wahren Frieden finden – und die Kraft, weiterhin zu tun, was getan werden muss.“

„Wie weit ist es bis dahin?“, fragte Bruce.

„Von hier aus? Etwa zwanzig Millionen Lichtjahre.“

„Zwanzig Millionen?“, rief Bruce und lachte auf. „Das ist ja praktisch gleich nebenan.“

„Mit dem Bifröst bin ich in wenigen Minuten dort“, wandte Thor ein und hob seine Axt, als wollte er sich unverzüglich auf den Weg machen.

Doch Nebula streckte die Arme aus und stellte sich vor ihn.

„Nein“, sagte sie, „das kommt keineswegs in Frage! Diese Art zu reisen ist viel zu auffällig; mein Vater wird sofort wissen, was wir vorhaben, und dann wird ihn nichts daran hindern, erneut mit den Fingern zu schnippen.“

Thor ließ seine Axt wieder sinken.

„Wenn wir das tun wollen“, fuhr Nebula fort, „dann müssen wir es richtig machen. Wir haben möglicherweise nur diesen einen Versuch.“

„Ich stimme ihr zu“, meinte Steve, der der Unterhaltung bis dahin schweigend gelauscht hat.

Er warf Nebula einen nachdenklichen Blick zu.

„Hast du eine Idee, wie wir Thanos stattdessen erreichen können?“, fragte er.

Nebula lächelte grimmig.

„Auf die konventionelle Weise.“
 

„Es ist Wahnsinn“, sagte Tony später, als sie allein waren.

„Es ist die einzige Lösung“, erwiderte Steve ruhig.

„Wir sind denkbar schlecht auf einen solchen Trip vorbereitet“, beharrte Tony, während er ruhelos in dem Zimmer hin- und herwanderte. „Und die einzigen, die sich ein bisschen in unserer galaktischen Umgebung auskennen, sind ein heimatloser Gott, ein Waschbär und Schlumpfine. Von denen zwei zudem auf unzähligen Planeten wegen ihrer Verbrechen gesucht werden!“

„Tony“, sagte Steve und trat vor, um seine Hände auf Tonys Schultern zu legen. „Wir schaffen das.“

Tony starrte ihnen für einen Moment an.

„Weil wir müssen, meinst du“, erwiderte er dann trocken.

Doch der andere Mann schüttelte nur den Kopf.

„Nein“, sagte er. „Weil ich an uns glaube.“

„Warum?“, fragte Tony. „Im Ernst, Steve, warum? Wir sind kein Team mehr, nicht wirklich. Und wir wollen uns Thanos entgegenstellen? – Thanos, der die Macht hat, die Realität zu verändern?“

„Ich würde jedem einzelnen von euch das Schicksal des Universums anvertrauen“, entgegnete Steve sanft und zog Tony in seine Arme. „Und ich glaube... nein, ich weiß, dass wir gemeinsam Unmögliches bewirken können. Weil wir das in der Vergangenheit bereits getan haben, egal, wie groß die Hürden waren, die uns begegnet sind.“

Tony schnaubte leise.

„Du bist wirklich unerträglich hoffnungsvoll, Rogers.“

Steve lachte leise. „Ich habe dich auch vermisst, Tony.“

Danach sprachen sie für eine Weile kein Wort mehr, doch Steve hätte schwören können, dass Tony ein leises Schniefen von sich gab.

Und plötzlich wusste er, dass ihre vergangenen Konflikte das Vertrauen nicht hatten zerstören können, und dass Tony seinem anderen Ich trotz all ihrer Differenzen überall hin folgen würde.

The Light We Cast Creates a Bridge

„Okay“, sagte Rocket, als er mit Steve und Tony am nächsten Tag durch den Hangar ging, der der königlichen Familie Wakandas gehörte. „Zuerst einmal müssen wir von diesem Planeten runter.“

„Wir haben immer noch nicht spezifiziert, wer alles unter ‚wir‘ fällt“, merkte Tony an.

„Alle, die jemals Teil der Avengers waren“, erwiderte Steve, „und die fähig und willig sind, uns zu begleiten.“

„Also grob geschätzt ein Dutzend Leute“, stellte Tony nüchtern fest. „Falls wir überhaupt noch auf ein Dutzend kommen.“

Steve seufzte. „Es könnte knapp werden.“

„Was zur Hölle ist ein Avenger?“, fragte Rocket.

„Du, mein haariger Freund“, entgegnete Tony „In Ermangelung von Mitgliedern erkläre ich dich hiermit zu einem. Enttäusche mich nicht.“

„Yay?“, machte Rocket.

„Und tu nichts, was ich nicht auch tun würde“, fügte Tony hinzu.

Rocket schenkte ihm als Antwort nur ein Lächeln voller scharfer Zähne.

„Tony, du kannst nicht einfach jeden, den du triffst, zum Avenger machen“, meinte Steve kopfschüttelnd. „Wir vertreten bestimmte Werte und Ideale...“

„Okay, halt“, unterbrach ihn Tony. „Erstens: kann ich wohl, denn du bist nicht länger mein Boss, schon vergessen? Und zweitens: ich denke, in Zeiten wie diesen sollten wir alle fähigen Leuten nehmen, die wir kriegen können.“

„Tony...“

Steve.“

Der andere Mann stieß ein Seufzen aus und rieb sich kurz das Gesicht.

„... na schön“, lenkte er ein. „Es ist schließlich nicht so, als wäre er nicht eh schon in diesen Konflikt verwickelt.“

„Meinst du den Konflikt, bei dem meine gesamte Crew draufgegangen ist?“, fragte Rocket. „Es ist schwer, so etwas nicht persönlich zu nehmen, weißt du. Thanos kann sich auf was gefasst machen, sobald ich erst mal diesen Planeten hinter mir gelassen habe.“

„Schon gut, in Ordnung, ihr habt mich ja überzeugt.“ Steve hob ergeben die Hände.

Tony und Rocket tauschten einen kurzen Blick.

„Ich würde dir ein High Five geben, aber ich weiß nicht, ob du Flöhe hast“, sagte Tony.

Rocket zeigte ihm nur den Mittelfinger.

„Okay“, fuhr Steve fort. „Also das alte Team, soweit es noch existiert. Bleibt weiterhin die Frage des Transports. Nebula meinte, dass es das sicherste ist, auf die konventionelle Art zu reisen, der Bifröst fällt damit also aus. Rocket, was kannst du uns anbieten?“

„Ein Raumschiff“, erwiderte Rocket. „Oder vielmehr drei.“

Eine Reihe kleinerer Flugschiffe kam in Sicht, an denen in den letzten Tagen eindeutig eine Menge verändert worden war. Die Außenhüllen waren mit zusätzlichen Vibraniumplatten verstärkt worden und Steve entdeckte eine Reihe von technischen Anbauten, auf die er sich keinen Reim machen konnte.

„Diese Wakanda-Leute wären überrascht, wenn sie wüssten, wie kurz sie davor sind, den Hyperantrieb zu erfinden“, sagte Rocket und schwang lässig einen Schraubenschlüssel über die Schulter. „Die Antriebe umzubauen war ein Kinderspiel.“

„Das ist... beeindruckend“, gab Tony zu. „Und ich verwende dieses Wort nicht leichtfertig. Was war noch mal dein Job?“

Rocket grinste. „Inoffiziell oder laut den Akten auf Xandar?“

„Uh“, machte Steve. „Ich will euch ja nur ungern stören, aber es wäre schön, wenn wir uns für einen Moment wieder auf das Wesentliche konzentrieren könnten.“

Er wandte sich an Rocket.

„Sind die Raumschiffe flugfähig oder brauchst du noch mehr Zeit?“

Rocket kratzte sich am Ohr.

„Nun... ich muss die Software noch überarbeiten, und um ganz auf Nummer sicher zu gehen, sollte ich die Schiffe eine Runde in eurem Sonnensystem testfliegen. Danach können wir aber gerne starten. Gebt mir noch einen Tag.“

„In Ordnung“, sagte Steve und nickte. „Sollte alles klappen, können wir also übermorgen aufbrechen.“

„Das ist der Plan“, entgegnete Rocket. Dann machte er eine ungeduldige Geste mit der Pfote. „Okay, Leute, die Show ist vorbei. Jetzt haut schon ab, ich habe zu tun.“

 

„Warum drei Schiffe?“, fragte Tony, als er wenig später mit Steve den Hangar wieder verließ.

„Bitte sag mir nicht, dass es aus dem Grund ist, den ich vermute.“

Steve blieb stehen, sah ihn jedoch nicht an.

„Wir befinden uns immer noch im Krieg, Tony.“

Tony nickte nur langsam, als würde ihn die Antwort nicht sonderlich überraschen.

„Also ist es aus dem Grund, den ich vermute... Verdammt, Steve, wie viel mehr sollen wir noch verlieren? Wie viel mehr können wir noch verlieren?“

„Um alle, die uns genommen wurden, zu retten?“ Steve hob den Blick und sah ihn ernst an. „So viel, wie nötig ist, Tony. Denn wenn wir diesen Kampf nicht gewinnen... dann sind sie für immer verloren.“

Tony ballte hilflos die Hände zu Fäusten.

„Ich hatte vergessen, was für eine Frohnatur du bist, Rogers.“

„Ich denke, ich tue dir keinen Gefallen, wenn ich es unnötig beschönige“, erwiderte Steve. „Es geht um alles oder nichts, das ist eine Tatsache, die wir uns bei diesem Krieg immer wieder bewusst machen müssen.“

Tony nickte nur stumm.

„Aber“, fuhr Steve sanft fort und legte die Hände auf Tonys Schultern, „du musst das nicht allein durchstehen. Wo auch immer uns die Reise hinführen wird, ich werde bis zum Ende an deiner Seite sein.“

Tony lachte leise. „Witzig, das hat Rhodey einst auch zu mir gesagt. Und was hat es ihm gebracht? Nichts als Schmerzen...“

„Supersoldat, schon vergessen?“ Steve hob eine Augenbraue. „Mit Schmerzen kannst du mich nicht abwimmeln.“

„Ohhh, kinky“, erwiderte Tony. „Bring mich ja nicht auf Ideen...“

„Tony. Du weißt, wie ich das meine.“

Tony schwieg für einen Moment.

„Ja, das weiß ich“, sagte er dann leise.

Steve lächelte.

Dann ließ er ihn wieder los und wandte sich ab.

„Komm, lass uns zu den anderen zurückkehren und sie über den Zeitplan informieren.“

„Das kannst du gerne machen“, meinte Tony. „Ich werde mich in der Zwischenzeit betrinken, solange ich noch auf einem Planeten mit vernünftigem Alkohol bin.“

Steve warf ihm einen ergebenen Blick zu.

„Was?“, fragte Tony. „Es ist unser letzter Tag auf der Erde, bevor wir zu einer Reise ohne Wiederkehr aufbrechen. Verurteile mich nicht.“

„Das würde ich niemals wagen.“

„Dein Blick verurteilt mich aber gerade, Steve.“

„... na gut, vielleicht ein bisschen.“

„Hah!“

„Okay, okay... Aber dann sei so nett und heb mir was von dem guten Zeug auf, damit ich mittrinken kann.“

„Ich dachte, du kannst nicht betrunken werden?“

„Das heißt nicht, dass ich dir keine Gesellschaft leisten kann.“

Tony lachte auf.

„Na schön. Dann lass uns hoffen, dass T’Challa einen vernünftigen Vorrat angelegt hat, den wir plündern können...“

 

Clint traf am nächsten Vormittag in Wakanda ein.

Ein flüchtiger Blick in seine Richtung machte den meisten von ihnen klar, dass es keine gute Idee war, ihn auf die Ereignisse der letzten Zeit anzusprechen.

Tony versuchte gar nicht erst, mit ihm zu reden, und Clint behandelte ihn seinerseits wie Luft.

Steve war nicht überrascht. Nach dem Sokovia-Abkommen war Clint wie viele von ihnen ein gesuchter Mann gewesen, und Tony, der die Regierung damals offenbar über den Wohnort seiner Familie informiert hatte, trug die Hauptschuld daran, dass Clint sie seitdem nicht hatte sehen können.

Die jahrelange Trennung von seiner Frau und seinen Kindern hatte ihn noch schweigsamer und zynischer gemacht, als er zuvor schon gewesen war, und jetzt, da Thanos auch sie mit einem Fingerschnippen ausradiert hatte, gab es für Clint nichts mehr zu verlieren.

Innerlich war er ein toter Mann, und das machte ihn zu einem umso gefährlicheren Gegner.

Steve bedauerte jeden, der sich mit ihm anlegen würde.

 

Sie waren zehn, kein Dutzend.

Zehn Überlebende von Thanos‘ Dezimierung, die die lange Reise antreten würden, um sich ihm ein weiteres Mal entgegenzustellen.  

Neben Clint hatte sich ihnen auch Okoye angeschlossen, wenn auch hauptsächlich auf Bitte von Shuri hin.

„Geh schon“, sagte die junge Frau sanft. „Sie können jede Hilfe gebrauchen.“

„Aber die Sicherheit von Wakanda–!“, wollte Okoye widersprechen, doch die Königin unterbrach sie.

„Was für eine Rolle spielt die Sicherheit einer einzelnen Nation, wenn die des ganzen Universums auf dem Spiel steht?“, fragte sie. „Geh mit ihnen, Okoye. M’Baku und ich werden in der Zwischenzeit gemeinsam dafür sorgen, dass Wakanda geeint bleibt und im Chaos der neuen Welt nicht untergeht.“

Sie umarmte die andere Frau zum Abschied.

„Bring meinen Bruder zurück“, sagte sie leise. „Bring sie alle wieder zurück, Okoye.“

Okoye wischte sich mit der Hand über die Augen. Shuris Worte schienen ihren Widerstand endgültig zu brechen.

„Wie Ihr wünscht, meine Königin“, erwiderte sie mit rauer Stimme.

Dann nahm sie ihren Speer und ging.

„Danke, eure Majestät“, sagte Steve, nachdem Okoye den Saal verlassen hatte, und neigte kurz den Kopf vor ihr. „Für Eure Gastfreundschaft und Eure Unterstützung.“

„Es war das Mindeste, was ich tun konnte“, entgegnete Shuri und nickte ihm zu. „Außerdem seid ihr diejenigen, vor denen die wirklich schwere Aufgabe liegt. Ich wünsche euch viel Glück auf eurer Reise – und viel Erfolg.“

„Vor allem Erfolg“, murmelte Tony.

Er hatte am Tag zuvor nach einem heftigen Kater das Trinken vorerst aufgegeben und war stattdessen in Shuris Labor eingezogen, in dem er sich sofort heimisch gefühlt hatte.

Steve verstand kein Wort von den technischen Begriffen, die Tony bei der Arbeit vor sich hingemurmelt hatte, doch es freute ihn, dass der andere so produktiv war, und er zum ersten Mal, seitdem er die Reise in die Vergangenheit angetreten hatte, die Gelegenheit bekam, dem Mann beim Arbeiten zuzusehen.

Schon nach wenigen Minuten hatte Tony die letzten Zweifel daran ausgeräumt, dass er der Erschaffer der Iron-Man-Rüstung war. Er nahm die Waffen seiner Mitstreiter mit der Geduld und Präzision eines Chirurgen auseinander, um sie mit den technologischen Mitteln Wakandas zu verbessern und sie danach wieder zusammenzubauen, schlagkräftiger und tödlicher als je zuvor.

Zwischendurch löcherte er Shuris Assistenten immer wieder mit höchst spezifischen, wissenschaftlichen Fragen, und geduldig gaben sie ihm Auskunft zu allem, was er wissen wollte.

Steve begriff plötzlich, dass Tonys Intellekt kombiniert mit dem technologischen Fortschritt Wakandas eine gefährliche Waffe war, und dass Shuri ihm vermutlich niemals den Zutritt zu ihrem Labor erlaubt hätte, würde nicht das Schicksal des halben Universums davon abhängen.

In einer Umgebung wie dieser war Tony wie ein experimentierfreudiges Kind, das seinen ersten Chemiebaukasten geschenkt bekommen hatte: einerseits fähig zu neuen Erkenntnissen und Errungenschaften, andererseits auch dazu, den halben Raum in die Luft zu jagen.

Und wie bei einem Kind wusste man auch bei Tony nie, was von beidem passieren würde.

 

„Okay“, sagte Tony, als sie sich wenig später im Hangar versammelt hatten. Er gab jedem von ihnen einen neuen Kommunikator. „Ich habe ein bisschen mit T’Challas Anzugtechnik herumgespielt und sie mit der meiner Rüstung kombiniert. Außerhalb des Hyperraums sollten wir damit in Verbindung bleiben können, solange die Distanzen nicht zu groß sind. Außerdem wird euch das Gerät im luftleeren Raum mit einer schützenden Hülle umgeben, die euch für kurze Zeit mit Wärme und Sauerstoff versorgt, nur für den Fall, dass eines der Schiffe beschädigt werden sollte.“

„Darüber hinaus werden wir uns so aufteilen, dass sich auf jedem Raumschiff mindestens eine Person befindet, die auch über einen längeren Zeitraum hinweg im Weltraum überlebensfähig ist. Vergesst nicht: nach der Aktion von Thanos herrscht Chaos dort draußen, und wenn es hart auf hart kommt und wir angegriffen werden, ist diese Person dafür verantwortlich, ihre Mitpassagiere einzusammeln und zu einem der anderen Schiffe zu bringen.“

Tony und er hatten lange darüber diskutiert und dies schließlich für die sinnvollste Lösung erachtet.

„Aus diesem Grund werden Tony, Rhodey und Thor jeweils auf einem der Schiffe mitfliegen“, fuhr Steve fort. „Iron Man und War Machine sind beide weltraumtauglich, und ich weiß nicht, ob es irgendetwas im Universum gibt, was Thor ernsthaft Schaden zufügen kann, insofern war er die logische Wahl. Der Rest von euch kann sich wie er will auf die Schiffe aufteilen.“

Es tat ein bisschen weh zu sehen, dass Nebula die einzige war, die sich für Tony entschied. Rocket blieb bei Thor, was niemanden wirklich überraschte, und nach einem kurzen Blickwechsel schlossen sich ihm auch Clint und Natasha an.

Okoye entschied sich für Rhodey, ebenso wie Steve. Doch als er an Bord des Schiffes gehen wollte, schüttelte Rhodey nur den Kopf.

„Nah-ah, nope, nein“, sagte er. „Sorry, Cap, aber das kommt nicht in Frage. Ich glaube, ich tue allen hier einen Gefallen, wenn ich dich darum bitte, mit Tony zu fliegen.“

Steve sah ihn überrascht an.

„Wenn es dir unangenehm ist, dass ich dir Gesellschaft leiste...“, begann er, doch Natasha unterbrach ihn.

„Es geht eher darum, dass niemand von uns euren Ehestreit über Funk mitverfolgen möchte“, sagte sie. „Ich denke, ihr habt einiges zu klären, und das solltet ihr besser im Privaten tun.“

Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln.

„Geh schon“, ermutigte sie ihn. „Es wird euch beiden guttun.“

„Reden?“, fragte Tony mit halb gespielter, halb echter Verzweiflung. „Wir? Über unsere Gefühle? Du bist der Teufel, Romanoff. Wenn wir uns gegenseitig zerfleischen, schiebe ich alle Schuld auf dich, das ist dir hoffentlich klar.“

Natasha warf ihm einen Luftkuss zu, dann nahm sie ihre Tasche und folgte Thor an Bord seines Schiffes.

Am Ende war es Bruce, der sich Rhodey und Okoye anschloss, während Steve bei Tony und Nebula blieb.

Nachdem die Aufteilung geklärt war, gab es nicht mehr viel für sie zu tun. Sie brachten die restlichen Vorräte an Bord, dann starteten sie die Maschinen und ließen den blauen Planeten hinter sich.

„Okay, Leute“, meldete sich Rocket nach einer Weile über den Kommunikationskanal. „Wenn wir euren Mond passiert haben, werde ich die Berechnungen für den Hyperraumsprung durchführen, der uns direkt zur Türschwelle des nächstgrößeren Weltraumhafens bringen sollte. Ihr müsst dann einfach nur die Koordinaten eingeben, die ich euch durchsage, und beten, dass eure Antriebe während des Sprungs nicht ausfallen und explodieren. Wir sehen uns auf der anderen Seite.“

Während Nebula, die das Steuer übernommen hatte, kurze Zeit später die Koordinaten von Rocket eingab, tauschten Steve und Tony einen Blick.

„Alles okay?“, fragte Steve leise.

Tony atmete tief durch.

„Noch nicht“, erwiderte er ebenso leise. „Aber ich hoffe, das ändert sich bald.“

Steve schenkte ihm ein warmes Lächeln, bevor er den Blick wieder auf die Dunkelheit des Weltraums vor ihnen richtete.

„Das wird es“, sagte er mit ruhiger Überzeugung.

Dann machten sie den Sprung.

And Guides The Way Across The Ages Deep (Part 1)

Laut Rockets Prognose würden sie den Hyperraum erst nach sechs Stunden wieder verlassen.

„Mehr geben die Antriebe nicht her“, hatte er Tony und Steve zuvor erklärt. „Wenn wir es alle unbeschadet bis zum Ziel schaffen, grenzt das schon an ein Wunder. Sobald wir den Hafen erreicht haben, sollten wir die Schiffe darum an den Meistbietenden verhökern und uns was Neues besorgen.“

„Warum sollte sie jemand kaufen, wenn sie von einer so schlechten Qualität sind, wie du sagst?“, hatte Steve stirnrunzelnd zu Bedenken gegeben.

„Ah, gut, dass du fragst.“ Grinsend hatte Rocket mit der Faust gegen die Vibraniumhülle eines der Schiffe geklopft. „Dieses Zeug, das ihr Vibranium nennt, gehört zu den seltensten und wertvollsten Metallen im Universum. Für nur zehn Kilo davon kann man in manchen Randgebieten der Galaxie bereits einen ganzen Planeten kaufen.“

Was?!“ Tony war fast die Kinnlade runtergefallen. „Soll das heißen, Wakanda sitzt auf einer galaktischen Goldmine?“

„Nur, wenn jemand den Leuten hier verrät, wie reich sie tatsächlich sind...“

An diesem Punkt hatte sich Tony zu Steve herumgedreht und ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust getippt. „Okay, Rogers, kein Wort zu niemandem davon, verstanden?“

Steve hatte nur gelacht.

Das war vor vierundzwanzig Stunden gewesen. Seitdem hatte die Atmosphäre im Team viel von ihrer Leichtigkeit verloren und war einer angespannten Stille gewichen.

Komm schon, dachte Steve, während sich Tony und sein anderes Ich auf der Ladefläche des kleinen Flugschiffes niederließen. Sag etwas. Es ist offensichtlich, dass es Dinge gibt, die ihr zu besprechen habt.

Es dauerte jedoch fast eine halbe Stunde, bis Tony endlich das Wort ergriff.

„Hey, Steve“, sagte er.

Sein vergangenes Ich hob den Kopf. „Hmm?“

„Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen haben...?“

Steve war für eine Weile still.

„Du meinst damals auf dem Helicarrier?“, erwiderte er schließlich. „Ich erinnere mich, ja.“

„Es war Verachtung auf den ersten Blick.“ Tonys Stimme war voller Nostalgie.

Steve lächelte schwach. „Ich würde nicht so weit gehen, es so zu nennen, auch wenn es manchmal vielleicht nah dran war...“

Doch Tony ignorierte seinen Einwand.

„Du warst so grauenhaft korrekt und gehorsam und perfekt...“, fuhr er fort.

„Und du warst arrogant und besserwisserisch und hast alles und jeden verspottet, der anderer Meinung war als du“, erwiderte Steve.

Tony seufzte. „Das waren noch Zeiten...“

Steve nicke schweigend.

Wieder war es für eine Weile still. Dann begann Tony abermals zu sprechen.

„Hättest du damals je gedacht, dass wir eines Tages an diesem Punkt landen würden?“

„Ganz ehrlich?“ Steve lachte leise. „Nicht in meinen wildesten Träumen.“

Tony zögerte. Etwas schien ihm auf dem Herzen zu liegen.

Er brauchte mehrere Anläufe, bis er sich überwinden konnte, seine Frage auszusprechen.

„Und... fragst du dich auch manchmal, was gewesen wäre, wenn manche Dinge anders gelaufen wären?“

Der lange, nachdenkliche Blick den Steve ihm daraufhin zuwarf, war schwer zu deuten.

„Jeden Tag“, entgegnete er schließlich.

Tony schluckte.

„Aber für Fragen wie diese ist es mittlerweile zu spät“, fuhr Steve mit sanfter Stimme fort. „Jetzt können wir nur noch lernen, mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen zu leben.“

Tony schwieg für einen Moment. Dann stand er auf und ging zu Steve hinüber, um sich neben ihn zu setzen.

„Tony...?“

„Ich war schon immer schlecht darin, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind“, murmelte er und lehnte den Kopf an Steves Schulter. „Und wenn wir eh alle sterben sollten, dann will ich wenigstens meine letzten Stunden nicht damit zubringen, mich zu fragen, was hätte sein können.“

Steve gab für lange Zeit keine Antwort. Doch dann hob er seinen Arm und legte ihn um Tony.

„... okay“, sagte er. Er schmiege die Wange an Tonys dunklen Haarschopf und schloss die Augen. „Okay.“

Nach einer Weile fielen auch Tony die Augen zu, und Seite an Seite dösten sie vor sich hin, während die Sterne an ihnen vorbeirasten.

 

Wenige Stunden später wurden sie unsanft wieder geweckt, als ein heftiger Ruck durch ihr kleines Schiff ging, der sie quer über die Ladefläche rutschen ließ.

„Alles okay?“, rief Steve, doch Tony war bereits wieder auf den Beinen.

„Mach dir um mich keine Sorgen“, entgegnete er und sah beunruhigt aus einem der kleinen Fenster. „Was war das?“

„Wir haben unser Ziel erreicht!“, ertönte Nebulas Stimme aus dem vorderen Teil des Raumschiffes. „Oder vielmehr das, was davon übriggeblieben ist...“

Tony und Steve tauschten einen besorgten Blick, bevor sie sich zu Nebula in das Cockpit zwängten.

„Oh mein Gott“, murmelte Steve, als er sah, wovon sie gesprochen hatte.

Sie befanden sich mehrere hundert Kilometer über der Oberfläche eines gigantischen Gasplaneten.

Vor ihnen breitete sich ein weites Meer der Zerstörung aus, in dem zwischen scharfkantigen Metallträgern, Kabeln und Glassplittern die Überreste zahlloser Raumschiffe schwebten. Der einzige, noch intakte Teil des ehemaligen Weltraumhafens war ein Komplex am Rande des Trümmerfeldes, der kaum größer als die Grand Central Station sein konnte.

„Was um alles in der Welt ist hier passiert?“, fragte Tony.

„Thanos“, sagte Nebula nur, ohne ihn anzusehen.

Zwei aufeinanderfolgende Lichtblitze lenkten die Aufmerksamkeit der drei von dem Anblick der Zerstörung fort zu dem leeren Raum zu ihrer Linken.

Steve stieß ein erleichtertes Seufzen aus, als sich die beiden anderen Schiffe aus der Dunkelheit des Weltalls schälten.

„Alle da?“, meldete sich Rocket wenig später über Funk.

„Wir sind hier“, ertönte knisternd die Stimme von Bruce.

„Wir auch“, gab Steve zurück.

„Fantastisch.“ Das war Rhodey. „Kann mir jemand erklären, was hier passiert ist?“

„Meine Vermutung? Sie haben sich nach Thanos‘ Fingerschnippen alle gegenseitig zerfleischt“, meinte Rocket.

„Oder vielleicht war es auch ein Unfall“, entgegnete Steve. „Ein Teil des Hafens scheint immerhin noch funktionstüchtig zu sein. Wir sollten dort nachforschen, was vorgefallen ist.“

„Er hat Recht“, sagte Bruce. „Lasst uns sehen, wo wir andocken können.“

Der Rest stimmte ihm zu, und ihre Schiffe setzten sich wieder in Bewegung. Sobald sie sich dem Überrest des Hafens auf wenige Kilometer genähert hatten, öffnete sich auf der Frontseite der Station eine enorme Schleuse, die Platz für alle drei Schiffe bot.

„Mir gefällt das nicht“, murmelte Rocket. „Weder antworten sie mir, noch reagieren sie auf meine Versuche, eine Videoverbindung herzustellen.“

„Ich kann nachsehen, was los ist“, bot sich Thor an.

„Wir haben keine Schleuse“, entgegnete Clint nüchtern. „Wenn du die Klappe öffnest, verlieren wir nur wertvollen Sauerstoff. Und im Gegensatz zu dir sind wir keine Götter.“

„Und wenn ich sie nur für eine Sekunde öffne...?“

„Ich glaube nicht, dass Zeit hier eine Rolle spielt, Thor“, sagte Natasha.

Sie diskutierten für eine Weile, was sie tun sollten.

„Tony, Nebula und ich werden uns näher umsehen“, beschloss Steve schließlich. „Ihr wartet solange hier draußen und haltet euch bereit für den Fall, dass wir diesen Ort schnell  wieder verlassen müssen.“

Niemand war besonders glücklich mit dem Plan, aber sie hatten keine andere Wahl. Wenn sie bessere Schiffe finden wollten, dann mussten sie die Raumstation überprüfen. Mehr als einen weiteren Sprung würden sie nach Rockets Einschätzung nicht schaffen, und sie hatten noch einen weiten Weg vor sich.

„Nur der Interesse halber: haben diese Schiffe Waffensysteme?“, fragte Tony.

„Selbstverständlich“, entgegnete Okoye, während Rocket nur ein lautes Lachen von sich gab.

„Entschuldige bitte“, meinte er, „aber das sind keine Waffensysteme.“

„Oh, sie erfüllen durchaus ihren Zweck“, erwiderte Okoye und etwas in ihrer Stimme sagte Steve, dass sie dabei lächelte, und das nicht auf die nette Art und Weise.

„Vielleicht, wenn man seine Gegner zu Tode langweilen will“, spottete Rocket.

„Wakandas Waffen sollten niemals unterschätzt werden!“, gab Okoye zurück, doch bevor Rocket antworten konnte, mischte Steve sich ein.

„Wir sind hier, um eine Aufgabe zu erledigen“, ermahnte er sie. „Reißt euch zusammen.“

Dann warf er Tony und Nebula einen Blick zu. „Auf geht’s.“

Nebula nickte kurz, bevor sie das Schiff auf die Schleuse zusteuerte.

 

„Ich habe ein wirklich schlechtes Gefühl bei dieser Sache“, sagte Tony leise, während die Station vor ihnen immer weiter in die Höhe wuchs. „Das alles schreit nach Hinterhalt.“

„Ich weiß“, entgegnete Steve ebenso leise. „Darum sollten wir auf der Hut sein.“

Nebula manövrierte das Schiff in die Schleuse hinein, die sich hinter ihnen sofort wieder schloss. Für einen Moment war es völlig dunkel und ein lautes Zischen erklang, als der Druck ausgeglichen wurde und sich die Schleuse mit atembarer Luft füllte, dann öffnete sich vor ihnen ein weiteres Tor, das den Blick auf die Landefläche der Haupthalle freigab.

Steve seufzte erleichtert auf, als er die Schiffe sah, die dort parkten. Es konnten nicht mehr als ein Dutzend sein, doch sie sahen weitaus weltraumtauglicher aus, als ihre eigenen.

„Vielleicht ist es keine Falle“, mutmaßte Tony. „Vielleicht sind sie einfach alle abgehauen und dieser Teil der Station läuft auf Autopilot...“

„Negativ“, warf Nebula in diesem Moment ein. „Meine Anzeigen registrieren mehrere Individuen, die sich im Kontrollzentrum der Station verbarrikadiert haben.“

Sie deutete auf die Wand ihnen gegenüber und eine Reihe von Fenstern, die dort direkt unter dem Dach der Halle eingelassen waren.

Steve und Tony wechselten einen Blick.

„Nebula, lande das Schiff kurz hinter der Schleuse“, sagte Steve dann. „Wir werden den Rest des Weges zu Fuß fortsetzen, um nicht als Bedrohung wahrgenommen zu werden.“

Nebula stieß ein Schnauben aus.

„Einen Teufel werde ich tun“, murmelte sie, bevor sie Gas gab und das Schiff direkt neben den anderen Raumschiffen parkte.

„Nebula!“, rief Steve, doch sie fuhr nur zu ihm herum, einen halb ungeduldigen, halb verächtlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Ihre schwarzen Augen blitzten ihn wütend an.

„Wir mögen ein gemeinsames Ziel haben, aber ihr vergesst, dass ich nicht für euch arbeite“, entgegnete sie. „Und dass uns nicht viel Zeit bleibt!“

Sie schlug mit der Faust auf einen großen, schwarzen Knopf im Armaturenbrett, der die Ladefläche öffnete, bevor sie aufstand und sich zwischen den beiden Männern hindurchdrängte, um auszusteigen.

„So viel zum diplomatischen Vorgehen“, kommentierte Tony und seufzte.

Zügig folgten sie Nebula nach draußen.

Was zum...! Steve sah mit an, wie sich Tonys Arme und Oberkörper mit einer rot-gold-glänzenden Rüstung überzogen und sich eine Maske über sein Gesicht legte. Eine solche Technologie hatten sie in Tonys Werkstatt nicht vorgefunden. Ist seine Rüstung etwa Teil seines Körpers?

„Hey!“, rief Nebula in diesem Moment zu den Fenstern empor. „Wir nehmen drei von euren Schiffen! Ihr könnt sie uns freiwillig geben oder uns darum kämpfen lassen, die Wahl liegt ganz bei euch!“

Eine plötzliche Salve von Schüssen versengte den Boden vor ihren Füßen.

„Na endlich“, murmelte Nebula, und Steve sah, dass sie dabei lächelte. „Eine Antwort.“

Vor ihnen in der Wand der Halle öffnete sich eine Tür und drei schwer bewaffnete humanoide Außerirdische traten hindurch.

„Wagt es nicht, unsere Schiffe zu berühren“, sagte die vorderste der Gestalten. Äußerlich ähnelte sie einer jungen Frau, doch ihre Augen leuchteten weiß und ihre Haut war bläulich-transparent, so dass man durch sie hindurchsehen konnte.

„Ihr könnt unsere dafür haben“, entgegnete Nebula. „Wir brauchen sie nicht länger. Was wir hingegen brauchen sind Schiffe, die für längere, galaktische Reisen geeignet sind.“

„Dann müsst ihr sie woanders suchen“, meinte der Außerirdische, der zur Rechten der jungen Frau stand. Sein gesamter Körper war mit schwarzen, reptilienartigen Schuppen bedeckt.

Steve, der durch Tonys Augen sah, bemerkte plötzlich, wie sich das Anzeigensystem der Iron-Man-Software änderte und Tony den Blick hob. Einen Moment später erkannte er auch, was es war, was der andere Mann suchte.

Verborgen hinter den Fenstern des Kontrollzentrums der Station erblickte er mehrere rote Punkte – Wärmesignaturen, die zu klein für eine ausgewachsene Person waren.

„Ihr habt Kinder bei euch“, stellte Tony leise fest.

Die Außerirdischen waren für einen Moment wie erstarrt. Dann gingen sie in Angriffsposition.

„Ihr werdet sie nicht anfassen!“, zischte die junge Frau, deren Augen mit einem Mal aufgeflammt waren, und richtete den Lauf ihres Blasters auf Tony. „Sie haben bereits genug durchgemacht.“

„Ich weiß“, sagte Steve plötzlich zur Überraschung aller mit mitfühlender Stimme. „Das haben wir alle.“

Er trat an Nebula und Tony vorbei und hielt die leeren Handflächen hoch.

„Steve, verdammt noch mal, was tust du da...?“, murmelte Tony irritiert.

Doch der andere Mann ignorierte ihn.

„Wir alle haben unsere Liebsten vor unseren Augen zu Staub zerfallen sehen“, fuhr er leise fort. „Unzählige Leben im gesamten Universum wurden mit einem Mal ausgelöscht, weil ein Wahnsinniger dachte, er würde den Überlebenden damit einen Gefallen tun. Aber er lag falsch.“

„Wer?“, rief die junge Frau mit bebender Stimme. „Wer ist für das große Sterben verantwortlich?“

„Sein Name ist Thanos.“ Steves Tonfall war ruhig. „Ihm ist eine Macht in die Hände gefallen, mit der er die Realität selbst beeinflussen kann, und er hat sie missbraucht, um das Universum nach seinen Vorstellungen zu verändern.“

Die Außerirdischen warfen einander verunsicherte Blicke zu.

„Wir haben von Thanos gehört“, sagte der Mann mit den dunklen Schuppen. „Er führte gegen viele Welten Krieg. Doch dass er eine solche Waffe besitzt, davon höre ich zum ersten Mal.“

„Er hat uns alle überrascht“, mischte Tony sich in die Unterhaltung ein. „Er hat es geschafft, die sechs Infinity-Steine zusammenzusammeln, um sich damit seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Leider kamen wir zu spät, um ihn aufzuhalten.“

Zögernd ließ die durchscheinende, junge Frau ihren Blaster sinken. „Ich hielt die Infinity-Steine immer für eine Legende...“

„Oh, glaub mir, ich wünschte, das wären sie“, erwiderte Tony.

„Wie konnte ihm eine solche Macht in die Hände fallen?“, verlangte die Außerirdische zu wissen. „Und wie habt ihr–?“

„... okay, es reicht“, fiel Nebula ihr in diesem Moment ins Wort und trat vor, um mit ihrem Blaster einen Schuss an die Decke abzugeben.

Erschrocken wich das Trio zurück, und auch Tony und Steve starrten sie überrascht an.

„Wir haben keine Zeit für sinnlosen Smalltalk!“, rief sie und warf einen ungeduldigen Blick in die Runde. „Mit jeder Sekunde, die verstreicht, erholt sich Thanos mehr vom letzten Kampf! Wenn wir ihn kriegen wollen, solange er noch angreifbar ist, und das Geschehene rückgängig machen, dann müssen wir jetzt handeln!“

Sie wandte sich an die junge Frau. „Gebt uns endlich die verdammten Schiffe, dann seid ihr uns los!“

Der dritte Außerirdische im Bunde, der bislang geschwiegen hatte, ergriff plötzlich das Wort.

„Du sagtest ‚rückgängig machen‘.“ Obwohl er von den dreien am menschlichsten wirkte, klang seine Stimme seltsam metallisch. „Denkt ihr tatsächlich, dass ihr all das... all diesen Tod und die Zerstörung rückgängig machen könnt?“

Steve wechselte einen Blick mit Tony und Nebula.

„Ja“, sagte er dann. „Ja, das denken wir.“

Der Außerirdische musterte sie für einen Moment durchdringend.

Dann nickte er. „In Ordnung. Drei Schiffe, nicht mehr und nicht weniger.“

„Hast du den Verstand verloren?“, fuhr der Reptilienmann seinen Gefährten an. „Wir haben keine Ahnung, ob sie die Wahrheit sagen!“

Der andere Mann schien jedoch unbesorgt.

„Ihre Geschichte mag fantastisch sein, ja, aber sie ergibt auf erschreckende Weise Sinn“, gab er zurück. „Sollen sie es doch versuchen. Sollen sie sich mit Thanos anlegen. Wenn sie Erfolg haben, sehen wir alle unsere Familien wieder... wie kann das etwas Schlechtes sein?“

Der Mann mit den Schuppen stieß einen unverständlichen Fluch aus, doch dann ließ auch er seinen Blaster sinken. „Na schön!“

Schnaubend wandte er sich ab und stapfte davon.

Steve schenkte den restlichen zwei Außerirdischen ein Lächeln.

„Ich danke euch.“

 

„Drei Klapperkisten gegen drei Raumschiffe, von denen nur eines mit Waffensystemen ausgestattet ist“, kommentierte Rocket, als sie den Hafen an Bord ihrer neuen Schiffe eine knappe Stunde später wieder verließen. „Das ist der mit Abstand mieseste Deal, den ich jemals gemacht habe.“

„Das Wichtigste ist, dass sie uns an unser Ziel bringen“, entgegnete Steve gelassen. „Das ist alles, was zählt.“

Er saß neben Nebula im Cockpit eines der Schiffe und gab die Koordinaten für den Austrittspunkt ihres nächsten Raumsprungs ein.

Im Sitz hinter ihm saß Tony, der den Kopf gegen die Scheibe gelehnt hatte und in die endlose Dunkelheit des Weltraums hinaussah.

Ich wünschte, ich wüsste, was dir gerade durch den Kopf geht, dachte Steve. Ich wünschte, ich wüsste, ob du zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch Hoffnung hattest, oder ob du nur weitergemacht hast, weil dir keine andere Wahl blieb.

„Wie viele Sprünge haben wir noch vor uns?“, fragte Bruce.

„Vier.“ Rocket klang wenig begeistert.

„Vorausgesetzt, wir navigieren um das Caylaros-Feld herum“, warf Nebula ein.

„Okay... vielleicht ist das eine dumme Frage, aber was ist das Caylaros-Feld?“, wollte Clint wissen.

Rocket lachte hingegen auf. „Bist du wahnsinnig? Einen Sprung durch ein Asteroidenfeld von diesem Ausmaß zu machen ist Selbstmord!“

„Wir würden einen Tag sparen“, erwiderte Nebula ungerührt. „Und solange unsere Berechnungen präzise sind, sollten wir den Sprung hindurch schaffen.“

„Die Betonung liegt auf ‚sollten‘“, brummte Rocket. „Selbst bei genauesten Prognosen besteht immer noch eine Chance von zwanzig Prozent, dass wir mit einem Asteroiden kollidieren. Die Dinger sind unberechenbar.“

„Nebula hat Recht“, meldete sich plötzlich Thor zu Wort. „Jeder zusätzliche Tag gibt Thanos die Gelegenheit, sich auf einen Gegenangriff vorzubereiten.“

„Steve?“, fragte Natasha. „Was denkst du?“

Steve schwieg für eine Weile und dachte über ihre Optionen nach.

„Nein“, sagte er dann. „Ich riskiere nicht unnötig Leben, erst recht nicht die meiner Freunde. Wir haben keine Ahnung, was uns am Ende erwartet, und wenn der Widerstand größer wird, als angenommen, dann brauche ich jeden einzelnen von euch.“

Er wandte sich an Nebula.

„Wir nehmen die längere Route. Nimm die benötigten Berechnungen vor.“

Sie presste die Lippen aufeinander und es war ihr anzusehen, dass sie mit der Entscheidung nicht zufrieden war, doch sie nickte kurz und bestätigte die Koordinaten für den ersten Sprung.

„Also dann“, sagte Steve. „Es geht weiter. Wir sehen uns auf der anderen Seite.“

„Bis dann, Cap“, entgegnete Clint.

„Hals- und Beinbruch“, wünschte ihnen Bruce.

Dann wurde es still in der Leitung und Steve richtete seinen Blick wieder nach vorn.

„Auf geht’s“, sagte er leise.

Der Hyperraumantrieb begann zu summen, und im nächsten Moment waren die drei Schiffe verschwunden.

 

„Cranberrys?“

Steve sah mit überraschtem Blick auf, als Tony ihm die Tüte hinhielt.

Es war ihr dritter und bisher längster Sprung seit Verlassen des Raumhafens. Nebula hatte sich schlafen gelegt und Tony hatte die Gelegenheit genutzt, sich neben Steve ins Cockpit zu setzen, während um sie herum der Weltraum in wahnwitziger Geschwindigkeit vorbeiraste.

„Cranberrys sind gesund, habe ich gehört“, fügte Tony hilfreich hinzu.

Steve lächelte, dann streckte er die Hand aus und griff in die Tüte.

„Wir sind am Ende der Welt und du achtest immer noch auf deine Ernährung“, sagte er. „Das ist bewundernswert.“

Tony zuckte mit den Schultern.

„Es ist nie zu spät, um gesund zu leben“, erwiderte er.

Für eine Weile kauten sie schweigend vor sich hin und starrten aus dem Fenster.

Plötzlich senkte Tony den Blick.

„Es tut mir leid“, sagte er.

Steve sah ihn aufmerksam an.

„Die Art und Weise, wie wir damals auseinandergegangen sind“, fuhr Tony leise fort. „Du warst mein Freund und ich hätte dir zuhören sollen. Wenigstens das wäre ich dir schuldig gewesen. Doch ich war zu verblendet und dachte, ich würde die ganze Wahrheit bereits kennen.“

„Tony.“ Steves Stimme war sanft. „Ich mache dir schon lange keine Vorwürfe mehr. Du warst enttäuscht und verletzt; wir beide waren es. Wir hätten nicht mal dann vernünftig miteinander reden können, wenn wir es gewollt hätten.“

„Dennoch“, meinte Tony. Er hob den Kopf und sah Steve an. „Was ich getan habe... es hat das Team auseinandergerissen und mich fast die Freundschaft zu dir gekostet. All diese Monate, in denen ich mich unnötig abgekapselt habe...“

„Wir haben beide Fehler gemacht, Tony.“ Steve umfasste Tonys Hände mit seinen eigenen. „Was zählt, ist, dass wir wieder zueinandergefunden haben. Und wie die letzten Tage gezeigt haben, waren unsere Differenzen nie so unüberbrückbar, dass wir verlernt haben, miteinander zu reden.“

„Seltsam, oder.“ Tony lachte leise auf. Doch dann wurde er wieder ernst. „Wird es jemals etwas geben, das du mir nicht verzeihen wirst...?“

Steve schüttelte den Kopf.

„Nicht, solange ich lebe“, entgegnete er mit einem kleinen Lächeln und einer Sicherheit, als hätten für ihn nie Zweifel an dieser Tatsache bestanden.

„Ist das so.“ Tony erwiderte das Lächeln humorlos. „Das trifft sich gut, denn in zwei Tagen werden wir vermutlich eh alle sterben. Oder mit sehr, sehr viel Glück das Geschehene rückgängig machen und uns an nichts mehr von dem erinnern, was wir gerade besprochen haben.“

Steve schloss die Augen und lehnte sich in seinem Sitz zurück.

„Dann soll es so sein“, sagte er. „Doch selbst wenn wir überleben und ich mich noch an unsere Gespräche erinnern kann – ich bereue kein einziges Wort.“

Tony seufzte. „Warum musst du nur immer so ehrlich sein, Rogers.“

Steve gab keine Antwort, sondern lächelte nur.

Wieder trat Stille ein, doch dieses Mal war es eine entspannte Stille, und während Tony erneut aus dem Fenster sah, war Steve bald eingeschlafen.

And Guides The Way Across The Ages Deep (Part 2)


 

Zweieinhalb Tage nach dem Verlassen des Raumhafens erreichten sie das Planetensystem um Zen-Whoberi.

„Wir sind da“, sagte Nebula leise, als der äußerste Planet in Sicht kam.

Okoye murmelte ein paar Worte auf Xhosa, während der Rest des Teams mit einem Mal ungewohnt still wurde. In den letzten Tagen hatten sie sich oft darüber unterhalten, was sie tun würden, sobald sie ihr Ziel erreicht hatten, doch jetzt, da es endlich so weit war, fehlten ihnen die Worte. Vielleicht, weil ihnen erst dann endgültig bewusst werden würde, dass sie Thanos erneut konfrontieren würden, wenn sie die Tatsache aussprachen.

Steve wusste als einziger, was ihnen bevorstand, doch er konnte nicht eingreifen. Denn dies waren nur Erinnerungen und er war in Tonys Körper gefangen und dazu verdammt, tatenlos zuzusehen, wie seine Freunde in ihre letzte, große Schlacht zogen. Es war das erste Mal, dass er seine Entscheidung bereute, Stranges Angebot angenommen zu haben, zu frisch waren noch seine eigenen Erinnerungen an den Kampf gegen Thanos und das Schicksal seiner Teammitglieder.

„Ja“, sprach Rocket über Funk, „und es sieht so aus, als müssten wir unsere Strategie noch mal überdenken.“

Nebula runzelte die Stirn und sah auf eine der Anzeigen im Cockpit.

Der Fluch, den sie daraufhin ausstieß, war so farbenfroh, dass selbst Tony für einen Moment beeindruckt aussah.

„Ich hätte es anders ausgedrückt, aber ja, du hast Recht“, erwiderte Rocket trocken.

„Was ist es?“, fragte Steve. „Was habt ihr entdeckt?“

„Eine planetare Blockade.“ Das war Bruce. „Für jemanden, der das halbe Universum auf dem Gewissen hat, ist Thanos erstaunlich paranoid.“

„Ist es etwas, womit wir fertigwerden können?“, fragte Tony, der gedanklich schon wieder drei Schritte weiter war und nach einer Lösung für das Problem suchte.

„Der Computer zählt mindestens sechs Dutzend Schlachtschiffe der Kategorie 4 im Orbit um Zen-Whoberi“, sagte Rocket. „Chitauri, wie es aussieht.“

„Kanonenfutter“, murmelte Clint.

„Ich könnte sie ausschalten“, schlug Thor vor.

„Kommt nicht in Frage“, erwiderte Steve und schüttelte den Kopf. „Du hast von uns allen die größte Chance, Thanos zu besiegen, es ist darum von größter Wichtigkeit, dass du unbeschadet den Planeten erreichst.“

„Was sollen wir dann machen?“, fragte Rhodey. „Die ganze Aktion abblasen und wieder nach Hause fahren...?“

„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns entdecken, wenn wir versuchen, durch die Blockade durchzufliegen?“, fragte Tony plötzlich. „Wie genau sind ihre Anzeigen?“

Nebula überlegte für einen Moment.

„Einzelne Objekte oder Personen sollten kein Problem sein“, meinte sie. „Aber ein ganzes Raumschiff, selbst ein so kleines wie unseres, würde sofort auffallen.“

„Na bitte“, sagte Rhodey zufrieden. „Also würde es niemand bemerken, wenn Thor, Tony und ich zwischen ihnen hindurchfliegen.“

„Wir sind viel zu weit von unserem Ziel entfernt“, warf Bruce ein. „Selbst wenn ihr bis dahin nicht verhungert oder erfriert, was zu hundert Prozent der Fall sein wird, dann würdet ihr von hier aus mehrere Monate brauchen, bis ihr den Planeten erreicht, mehr geben eure Rüstungen nicht her.“

„Und wenn wir mit den Schiffen erst näher ranfliegen?“

„Dann werden die Chitauri sie orten und angreifen“, sagte Nebula ruhig.

Steve rieb sich die Stirn.

„Okay“, sagte er. „Die Bedingungen sind nicht die besten. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass uns eine Lösung einfallen wird.“

Er richtete den Blick auf den äußersten Planeten des Systems, der langsam immer näher rückte.

„Wir werden auf der Rückseite dieses Planeten landen und in den einzelnen Teams Ideen zusammentragen. In zwei Stunden sprechen wir uns dann wieder.“

„Okay, Steve“, erwiderte Bruce. „Bis später.“

„Bis dann, meine Freunde.“ Das war Thor.

Dann wurde es still in der Leitung und die Schiffe setzten sich wieder in Bewegung, um einen geeigneten Landeplatz auf dem Planeten zu finden.

 

 

„Steve.“
 

„Hmm?“

„Es gibt nur eine Möglichkeit, Zen-Whoberi zu erreichen, ohne dass Thanos unnötig Verdacht schöpft“, sagte Tony leise. „Und ich denke, das weißt du auch.“

Steve reagierte für einen Moment nicht, doch dann hob er den Blick und sah den anderen Mann an.

„Ja, das weiß ich.“ Seine Stimme war kaum lauter, als die von Tony.

„Wir können das nicht von ihnen verlangen“, meinte Tony.

„Das müssen wir auch nicht“, erwiderte Steve. „Weil sie ihre Entscheidung bereits getroffen haben.“

„Steve...“

Doch Steve hob nur die Hand und Tony verstummte.

„Wir wussten alle von Anfang an, was das Ziel sein würde“, fuhr Steve fort. „Wir alle. Nicht nur du und ich. Auch die anderen. Sie wussten ebenso wie wir, was alles von diesem Kampf abhängt, und dass er vermutlich nicht ohne Opfer auskommen wird.“

Tony lachte bitter. „Sagt derjenige, der einst Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um das Leben eines einzigen Mannes zu retten.“

Steve erstarrte und seine Finger bohrten sich so fest in die Lehne seines Sitzes, dass die Knöchel weiß hervortraten. Dann entspannten sie sich wieder.

„Bucky ist vor meinen Augen zu Staub zerfallen und ich konnte nichts dagegen tun“, sagte er mit rauer Stimme. „Glaub mir, ich würde alles dafür geben, ihn noch ein letztes Mal zu sehen.“

Tony sog scharf die Luft ein.

„Steve, ich...“ Er räusperte sich. „Gott, das war gerade so daneben... ich hatte ja keine Ahnung...!“

Doch Steve schüttelte nur den Kopf. „Lass uns nicht weiter darüber sprechen.“

Er erhob sich von seinem Sitz.

„Wir haben alle jemanden verloren, der uns etwas bedeutet hat“, sagte er. „Jeder von uns weiß genau, was er in diesem Kampf riskiert – und warum.“

Tony nickte stumm.

Steve öffnete den Kommunikationskanal.

„Okay, wir sind so weit“, teilte er dem Rest des Teams mit. „Es kann losgehen.“

Er wandte sich an Nebula, die im hinteren Teil des Raumschiffes an einer kompliziert aussehenden Apparatur arbeitete, die die Größe eines Röhrenbildschirms hatte. „Wie sieht es aus?“

Sie stellte das Gerät ab und drückte dann eine Folge von Knöpfen auf seiner Oberfläche. Ein lautes Dröhnen erklang, und dann – Stille.

„Lasst uns gehen“, meinte sie.

Steve nickte, bevor er die Schleuse öffnete.

 

 

Der tragbare Generator auf ihrem Schiff hatte ein Kraftfeld erzeugt, das sich über alle drei Raumschiffe gelegt und eine Atmosphäre hergestellt hatte, die es ihnen erlaubte, sich zwischen den Schiffen zu bewegen, ohne auf der Oberfläche des Planeten zu ersticken.
 

Ihr Treffpunkt war das größte der drei Schiffe, das Rocket, Thor und die beiden ehemaligen S.H.I.E.L.D.-Agenten für sich beansprucht hatten. Es bot kaum genug Platz für sie alle, aber da dies voraussichtlich das letzte Mal sein sollte, dass sie sich in dieser Runde trafen, konnten sie über diesen Umstand hinwegsehen.

„Okay“, sagte Bruce. „Wir haben nicht wirklich eine Lösung gefunden. Also zumindest keine, die zum Erfolg führen wird.“

„Wir sind nach langem Überlegen zu dem Schluss gekommen, dass wir um einen Kampf nicht herumkommen werden“, fügte Okoye hinzu. „Wir müssen Thor nahe genug an den Planeten heranfliegen, damit er die Möglichkeit bekommt, dort zu landen und Thanos zu finden. Gleichzeitig dürfen die Chitauri nicht erfahren, dass Thor die Blockade überwunden hat, sonst werden sie Thanos unverzüglich darauf aufmerksam werden.“

„Da unsere Überlegungen also fruchtlos blieben, haben wir stattdessen versucht herauszufinden, wo genau sich die Infinity-Steine – und damit auch Thanos – auf Zen-Whoberi befinden.“

Rhodey hielt eine von Okoyes Kimoyo-Perlen in der Hand, über der sich plötzlich ein Hologramm öffnete, das Zen-Whoberi zeigte. Ein blinkender, roter Punkt markierte einen Ort auf einem der südlichen Kontinente des Planeten.

Steves Augen leuchteten auf. „Gute Arbeit, ihr drei. Damit erspart ihr uns schon mal die Mühe herauszufinden, wo Thanos sich aufhält.“

„Ja, das ist alles sehr beeindruckend“, meinte Rocket in einem Tonfall, der das genaue Gegenteil suggerierte. „Mein Team hat in der Zwischenzeit an einem Manöver gearbeitet, das uns zumindest eine sechzigprozentige Erfolgschance verschaffen sollte. Wir werden die Blockade der Chitauri angreifen. Mit allen drei Schiffen zugleich. Zwar ist unser Schiff das einzige mit Waffensystemen, aber ihre Schlachtschiffe sind groß und schwerfällig, genauso wie ihre Kanonen, es sollte theoretisch möglich sein, sie dazu zu bringen, sich gegenseitig abzuschießen. Thor wird in der Zwischenzeit das Chaos nutzen, um den Planeten zu erreichen.“

„Clint und ich haben uns bereits dazu entschieden, mit Rocket an Bord zu bleiben und die Kontrolle über die Kanonen dieses Schiffes zu übernehmen“, sagte Natasha.

„Wir werden so viele von diesen Mistviechern abschießen, wie nötig ist, um Thor den Rücken freizuhalten“, fügte Clint hinzu.

Steve musterte die beiden für einen Moment schweigend und sie erwiderten seinen Blick ebenso unverwandt.

Dann nickte er.

„Okay“, sagte er. „Wir werden es so machen.“

Okoye trat vor.

„Dann werde ich die Kontrolle über unser Schiff übernehmen“, sagte sie.

Bruce und Rhodey warfen ihr entsetzte Blicke zu.

„Was?“, fragte sie und sah die zwei Männer ruhig an. „Ich bin die einzige von uns dreien, die keine Rüstung hat. Ihr beide könnt den Kampf auch außerhalb des Schiffes weiterführen, doch für mich gibt es nur einen Platz in diesem Plan, und das ist dieser. Ich werde das Schiff fliegen. Und das ist mein letztes Wort.“

„Okoye...“, begann Rhodey.

„Einverstanden“, sagte Steve plötzlich und nickte ihr zu. „T’Challa erzählte mir einst, dass du seine beste Pilotin bist, und ich vertraue seinem Urteil. – Danke, Okoye.“

Sie neigte den Kopf.

„Gut, dann kommen wir zum letzten Teil des Plans“, fuhr Tony fort, bevor die Avengers Steves Entscheidung in Frage stellen konnten. „Steve, Nebula und ich sind unabhängig von euch zum selben Ergebnis gekommen, nämlich, dass wir die Chitauri direkt konfrontieren müssen, um Thor die Gelegenheit zu verschaffen, die Oberfläche des Planeten zu erreichen. Allerdings sind wir dabei auf weitere Probleme gestoßen...“

„Im Gegensatz zu den Fußsoldaten sind die Heerführer der Chitauri gefährlich berechnend“, sprach Nebula. „Sie werden nach einer Weile durchschauen, dass es sich nur um ein Ablenkungsmanöver handelt und mit ihren Schiffen ein Energiefeld generieren, das sämtliche organische Materie im Orbit des Planeten vernichten wird.“

„Das heißt, sobald Thor das Raumschiff verlässt, ist er Toast“, fügte Tony hinzu.

„Ja, danke für das Bild, Stark.“ Clint verdrehte die Augen.

„Wir müssen Thor also bereits ein ganzes Stück vor dem Schlachtfeld rauslassen“, sagte Steve. „Und nicht nur ihn, sondern auch alle anderen, die im leeren Raum überleben können: Iron Man, War Machine und Bruce in seiner Hulkbuster-Rüstung. Denn Thor wird so viel Unterstützung wie möglich im Kampf gegen Thanos benötigen.“

Er sah die genannten Personen der Reihe nach an. „Ihr werdet das Kampfgebiet weiträumig umfliegen, die Blockade überwinden und auf dem Planeten landen. Dort werdet ihr euch wieder sammeln und euch Thanos gemeinsam entgegenstellen.“

Die Avengers warfen sich angespannte Blicke zu.

Natasha trat hingegen vor und legte eine Hand auf Steves Unterarm.

„Und was ist mir dir?“, fragte sie leise und musterte ihn aufmerksam.

Er warf Nebula einen kurzen Blick zu, den diese mit einem knappen Nicken erwiderte.

„Nebula und ich werden das letzte Schiff fliegen“, entgegnete er dann. „Wir werden Thor und den anderen so viel Zeit wie möglich verschaffen.“

Für einen Moment herrschte völlige Stimme im Raumschiff.

Schließlich war es Thor, der seine Stimme erhob.

„So endet es also“, sagte er. „Und jeder einzelne von euch riskiert sein Leben, um mir einen zweite Chance zu ermöglichen, Thanos zu töten. Ich kann ein solches Opfer nicht annehmen.“

„Es ist nicht so, als würden wir dir eine Wahl lassen, Kumpel“, meinte Clint jedoch nur und grinste schief.

Sein Kommentar lockerte die Atmosphäre wieder etwas auf, und nachdem Steve verkündet hatte, dass die Besprechung an dieser Stelle beendet war, legten sie ihre restlichen Vorräte zusammen, um in der Enge des Raumschiffes ihre letzte gemeinsame Mahlzeit miteinander zu teilen.

 

 

Nachdem sich das Team nach letzten Abschieden und Umarmungen wieder aufgelöst hatte und die einzelnen Mitglieder der Avengers an Bord ihrer jeweiligen Schiffe zurückgekehrt waren, hielt Tony Steve für einen Moment am Unterarm fest, bevor er Nebula ins Cockpit folgen konnte.
 

Steve warf ihm einen fragenden Blick zu, blieb jedoch stehen. „Was gibt es? Hast du noch Bedenken?“

„Nein.“ Tony schüttelte den Kopf. „Ich denke, es ist der beste Plan, den wir unter den gegebenen Umständen entwerfen konnten.“

„Was ist es dann?“

Tony legte den Kopf zur Seite und sah Steve für einen Moment nur an.

„Ich wollte Lebewohl sagen“, sagte er dann. „Was auch immer passiert – sobald wir die Blockade erreichen, werden sich unsere Wege trennen. Und... und ich...“ Er suchte nach Worten. „... ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich deine Freundschaft geschätzt habe und schätze. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren.“

Er ließ Steve wieder los. Doch der andere Mann rührte sich nicht von der Stelle, sondern starrte ihn mit aufrichtigem Erstaunen an.

„Tony...“

„Ich weiß, ich war nicht immer leicht zu ertragen, aber danke, dass du es trotzdem versucht hast.“

„Tony.“

Steve streckte die Hand aus und legte sie sanft an Tonys Wange.

„Was auch immer passiert, wir werden uns wiedersehen.“

„Hey, ich bin ein alter Mann, ich darf meine Zweifel haben“, erwiderte Tony und lachte leise.

„Alter Mann? Ich bitte dich.“ Steve musste lächeln. „Ich bin ja wohl um einiges älter als du.“

„Sicher“, meinte Tony und tippte mit dem Zeigefinger gegen seinen Bizeps. „Erzähl das deinen Muskeln.“

Doch Steve lachte nur auf, und dann sahen sie sich für einen Moment in die Augen.

Und wie zwei Himmelskörper, die durch Gravitation voneinander angezogen wurden, machten sie einen letzten Schritt aufeinander zu.

Der Kuss war warm und flüchtig, schon vorbei, bevor er wirklich begonnen hatte.

Denn er war der Anfang von etwas Neuem... und zugleich sein Ende.

Er war ein Abschied.

Und mit einem Mal wurde Steve klar, was sein vergangenes Ich in diesem Moment tatsächlich verloren hatte.

 

 

Der Flug nach Zen-Whoberi verlief größtenteils in Stille.
 

Alle Teammitglieder waren nervös und angespannt, und je näher die Schiffe der Chitauri rückten, umso unruhiger wurde die Stimmung an Bord.

„Haben sie uns schon auf dem Bildschirm?“, fragte Bruce schließlich.

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit, ja“, erwiderte Nebula. „Wir sind allerdings noch zu weit entfernt, als dass sie unterscheiden könnten, ob wir zu ihrer Flotte gehören oder nicht.“

„Wann wissen wir, dass sie uns durchschaut haben?“, fragte Steve.

„Spätestens, wenn sie anfangen, auf uns zu schießen“, entgegnete Rocket trocken.

„Das ist... beruhigend“, kommentierte Rhodey, bevor wieder Stille einkehrte.

Nachdem sie einen der Monde von Zen-Whoberi passiert hatten, drosselte Rocket schließlich die Geschwindigkeit seines Schiffes, und Bruce und Nebula taten es ihm gleich.

Die Blockade der Chitauri war mittlerweile in Sichtweite gerückt und die massive Wand von Kriegsschiffen, die zwischen ihnen und der Oberfläche des Planeten schwebte, erfüllte sie sowohl mit Respekt, als auch mit Grauen.

„Okay“, sagte Rocket schließlich, „du bist dran, Thor. Mach’s gut und zeig Thanos, wo der Hammer hängt. Wie zählen alle auf dich.“

„Danke, meine Freunde“, erwiderte Thor.

„Stark, bist du so weit?“, fragte Natasha.

Tony stand vor der Schleuse ihres Schiffes, eine Hand auf den Hebel gelegt. Die Maske seiner Rüstung schloss sich gerade über sein Gesicht, als er sagte:

„Ich bin bereit.“

„Wie sieht es bei euch aus? Rhodey? Bruce?“, fragte Natasha dann.

„Wir sind startklar“, gab Rhodey über Funk zurück.

„Oh Gott, ja, bitte lasst uns endlich aufbrechen“, stöhnte Bruce. „Ich kriege jetzt schon Platzangst in dieser Rüstung.“

„Dann wollen wir euch nicht länger aufhalten“, meinte Steve. „Guten Flug und viel Erfolg.“

Tony öffnete die Schleuse und stieg hinein, und wenig später befand er sich im leeren Raum.

In einiger Entfernung sah er die beiden anderen Schiffe und die vagen Umrisse von Rhodey, Bruce und Thor.

„Haltet euch an den Plan“, erinnerte er sie. „Jeder durchdringt die Blockade an einer anderen Stelle. Treffpunkt ist erst auf dem Planeten.“

„Wir haben das alles ein Dutzend Mal besprochen, Tony“, meinte Rhodey. „Keine Sorge. Du bist nicht der einzige Profi hier.“

„Ha!“, machte Tony. „Das versuchst du mir schon seit zwanzig Jahren weiszumachen, Rhodes.“

„Du mich auch, Tony“, erwiderte Rhodey amüsiert. „Du mich auch.“

Dann flogen die vier Männer in unterschiedliche Richtungen davon.

„Okay, Leute, ich glaube, sie haben gerade gemerkt, dass wir nicht zu ihnen gehören...“, hörte Tony Rocket sagen, doch seine Stimme war bereits sehr undeutlich und in weiter Ferne, und wenig später brach der Kontakt komplett ab und er hörte nichts als Rauschen.

Von nun an war Tony auf sich allein gestellt.

Wenigstens war es keine völlig neue Erfahrung für ihn.

 

 

Die Mauer aus Kriegsschiffen zog sich nur wenige Kilometer in die Tiefe, aber Tony wagte es kaum zu atmen, während er zwischen den gigantischen Schlachtschiffen hindurchflog. Zwischendurch versuchte er immer wieder, den Kontakt zu seinen Teamkollegen herzustellen, jedoch ohne Erfolg.
 

Dafür bemerkte er nach wenigen Minuten aus dem Augenwinkel eine Reihe von Explosionen in der Ferne und wusste, dass der Kampf begonnen hatte.

„Wage es ja nicht zu sterben, Rogers“, sagte er leise.

Wie Nebula es vorhergesagt hatte, schenkten ihm die Chitauri-Schiffe keine Beachtung, und bereits nach wenigen Momenten hatte er auch schon ihre Blockade hinter sich gelassen und drang in die Atmosphäre des Planeten ein. Er reduzierte seine Geschwindigkeit, damit die Reibungshitze ihn nicht verbrennen konnte, und nach einem schier endlosen Fall landete er schließlich auf einer weiten, grasbewachsenen Ebene.

Japsend klappte Tony das Visier seines Helmes zurück und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, bevor er mehrmals tief durchatmete und die frische, kühle Luft einsog.

Erst dann wagte er es, seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung zu lenken.

Zen-Whoberi war ein unerwartet einladender und friedvoller Planet.

Vor seinen Augen erstreckten sich endlose grüne Hügel, auf denen Blumen in allen erdenklichen Farben blühten, die ihren süßen Duft verbreiteten, und er sah rauschende Laubwälder und Bäche mit kristallklarem Wasser. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er in der Ferne sogar die schneebedeckten Gipfel einer langgezogenen Bergkette aufblitzen sehen.

Kein Wunder, dass Thanos sich ausgerechnet hier zur Ruhe setzen wollte. Der Planet war ein einziges Paradies.

Tony öffnete den Kommunikationskanal.

„Thor? Rhodes? Bruce?“, rief er. „Irgendwer da?“

Doch es kam keine Antwort.

„Der Treffpunkt... richtig...“, murmelte Tony. „Vermutlich sind sie noch zu weit entfernt für das Signal.“

Er klappte sein Visier wieder zu und erhob sich in die Lüfte.

Für einen Moment sah er zum Himmel empor, an dem lediglich schwache Lichtblitze von dem Gefecht im Orbit zeugten, dann richtete er seinen Blick wieder nach vorn und flog über die paradiesische Landschaft davon.

 

 

Als er den Ort erreichte, an dem sich ihre kleine Gruppe wiedertreffen sollte, war außer Rhodey niemand anderes zu sehen.
 

„Du hast es geschafft!“, rief sein Freund erleichtert und klappte sein Visier hoch. „Ich dachte schon, ich wäre der einzige.“

„Wo sind Thor und Bruce?“ Suchend sah sich Tony um, doch sein Scanner konnte keine weiteren humanoiden Lebensformen im näheren Umkreis entdecken.

„Ich weiß es nicht“, sagte Rhodey besorgt. „Aber nachdem wir uns getrennt haben, brach der Kampf aus. Ich hoffe, es hat sie nicht erwischt... sonst liegt es allein an uns beiden, Thanos zu besiegen.“

Tony überlegte. Der Zeitfaktor spielte zweifellos eine wichtige Rolle, aber er musste auch zugeben, dass Rhodey Recht hatte. Zu zweit standen ihre Chancen gegen Thanos sehr schlecht.

„Lass uns noch eine Viertelstunde warten“, meinte er. „Wenn sie bis dahin nicht hier sind, brechen wir auf.“

Rhodey nickte, dann öffnete sich seine Rüstung und er trat heraus und ließ sich im Gras nieder. Nach kurzem Zögern setzte sich Tony neben ihn und Stille legte sich über sie, die nur vom entfernten Zwitschern fremdartiger Vögel durchbrochen wurde.

„Eigentlich irre“, sagte Rhodey nach einer Weile abwesend, während er die Grashalme durch seine Finger gleiten ließ. „Wir sind Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt auf einem Planeten, von dessen Existenz wir vor kurzem noch nicht mal wussten, nur um den Kampf zu beenden, den wir in Wakanda begonnen haben.“

Er ließ den Blick über die friedliche Landschaft schweifen.

„Ich wünschte, wir hätten unter anderen Bedingungen hierherkommen können.“

Seine Stimme war leise. Bedauern schwang darin mit.

Dann wandte er den Kopf und sah Tony an.

„Ich hätte nie gedacht – damals, als du deine erste Rüstung gebaut hast – dass wir eines Tages an diesem Punkt landen würden.“

„Wer kann schon wirklich die Konsequenzen seiner Taten überblicken“, erwiderte Tony und starrte auf einen Punkt in der Ferne.

„Wenn das ein Versuch sein soll, dir selbst die Schuld an dem zu geben, was passiert ist, dann ist er lausig“, sagte Rhodey kopfschüttelnd. „Du magst deine Fehler haben – ich bin weiß Gott gut genug mit ihnen vertraut – aber ich bezweifle, dass dir irgendwer im Universum die Schuld für das gibt, was passiert ist.“

Tonys Mundwinkel zuckte.

„Danke, Rhodey“, entgegnete er. „Es fällt mir zwar schwer, das zu glauben, aber... trotzdem danke.“

Dann kniff er die Augen zusammen, als eine Bewegung in einiger Entfernung seine Aufmerksamkeit erregte.

Jemand flog mit hoher Geschwindigkeit über die blühende Landschaft auf sie zu.

„Wir kriegen Besuch“, sagte Tony, während er sich bereits hochstemmte, und auch Rhodey kehrte eilig zu seiner Rüstung zurück.

Wenige Augenblicke später stießen sie ein kollektives Seufzen aus, als sie sahen, wer der Neuankömmling war.

„Thor“, begrüßte Tony ihn, nachdem er neben ihnen gelandet war, Sturmbrecher in der Hand.

Das Gesicht des Gottes war rußig und seine Kleidung versengt, und ein ungewohnt grimmiger Ausdruck lag auf seinen Zügen.

„Was ist los?“, fragte Rhodey. „Wo ist Bruce?“

Thor sah sie für einen langen Moment an und schüttelte dann abrupt den Kopf.

„Er wird nicht kommen“, entgegnete er und aus seiner Stimme sprach tiefe Pein.

Rhodey stieß einen leisen Fluch aus, während Tony nur stumm neben ihm stand und kein Wort sagte. Die Nachricht schien ihn zu lähmen.

„Wir müssen weiter“, fuhr Thor mit rauer Stimme fort. „Thanos wird bezahlen für das, was passiert ist...!“

Es dauerte eine Weile, bis Tony sich aus seiner Starre löste, doch schließlich erhob er sich schwerfällig in die Lüfte und folgte seinen beiden Freunden an ihr Ziel.

 

 

„Ich gebe zu, ich bin beeindruckt.“
 

Thanos saß neben dem Haus auf einer Bank aus Stein und hatte ihnen den Rücken zugewandt, dennoch schien er zu wissen, dass sie da waren – schien sie förmlich erwartet zu haben. So viel zum Überraschungsangriff.

„Dass ihr euch die Mühe machen würdet, hierherzukommen...“, fuhr er fort. „Ich sollte mich vermutlich geehrt fühlen.“

„Du hast das halbe Universum auf dem Gewissen“, erwiderte Tony mit bebender Stimme. „Du hast zahllosen Lebensformen unvorstellbare Schmerzen bereitet, indem du ihnen das Liebste genommen hast. Was hast du erwartet?“

„Ich habe ihnen eine Bürde genommen, der sie sich bis zu diesem Moment nicht bewusst waren.“ Thanos klang ruhig, gelassen. Im Einklang mit sich selbst.

„Niemandem steht es zu, eine solche Entscheidung für das Universum zu treffen“, grollte Thor und hob seine Axt. „Erst recht nicht jemandem wie dir!“

„Niemand sonst hätte die Kraft dazu gehabt“, entgegnete Thanos. „Niemand außer mir.“

„Du wirst für deine Verbrechen bezahlen!“, rief Thor und ließ die Axt auf den ungeschützten Kopf des Titanen niedersausen.

Zu spät erkannte er, dass es sich um eine Illusion handelte.

„Sag mir, Thor, Odins Sohn: wer sonst hätte tun können, was getan werden muss, wenn die Götter schweigen...?“, ertönte Thanos Stimme hinter ihm.

Mit einer fast beiläufigen Handbewegung fegte er Tony und Rhodey beiseite, bevor sie ihre Blaster auf ihn abfeuern konnten, und trat vor, um Thor am Hals zu packen.

„Du hältst dich für einen Gott“, fuhr Thanos leise fort, während Thor verzweifelt versuchte, den eisernen Griff seiner Finger zu lösen, „doch in Wahrheit bist du nur ein kleiner Prinz, der den Untergang seines Volkes und den Tod seines Bruders zu verantworten hat, weil er zu schwach war.“

„Wag... wag es nicht... von Loki... zu sprechen...!“, stieß Thor hervor, während sich sein Gesicht langsam rot färbte.

„Und warum nicht?“, fragte Thanos. „Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem er zu mir kam: ausgestoßen und verletzt – eine gebrochene Gestalt. Ich gab ihm eine Macht, von der er zuvor nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Er hat mir damals viel von sich erzählt, musst du wissen. Dass er dich mehr als alles andere geliebt hat, und dass du seine Liebe mit Füßen getreten hast.“

Tränen traten in Thors Augen. Ob vor Schmerzen oder aufgrund der Pein, die ihn bei der Erinnerung an seinen Bruder erfüllte, war schwer zu sagen.

„Betrachte seinen Tod als Erlösung für seine gequälte Seele“, sagte Thanos sanft. „Und sei unbesorgt – du wirst ihn bald wiedersehen.“

Thor hatte mittlerweile deutliche Probleme, Luft zu holen, und seine Augen begannen hervorzuquellen. Sein Griff um Sturmbrecher erschlaffte und langsam rutschte ihm der Stiel der Axt aus der Hand.

Ein Bombardement aus Blastern, Miniraketen und Lasersalven ließ den Titanen jedoch plötzlich zurücktaumeln, und er ließ Thor fallen, der sich keuchend und japsend wieder hochstemmte.

„Alles okay?“, fragte Rhodey besorgt, dessen Rüstung beim Aufprall gegen einen Felsen mehrere Dellen davongetragen hatte. Tony zog Thor derweil wieder auf die Füße.

„Ich werde es überleben“, entgegnete Thor mit heiserer Stimme. Sein Gesicht war immer noch rot, doch sein Atem ging wieder gleichmäßiger.

Thanos musterte die drei Männer still, dann wandte er sich mit einem Mal ab und setzte sich wieder auf die Steinbank.

„Geht“, sagte er. „Bevor ich es mir anders überlege. Lebt das Leben, das ich euch vergönnt habe.“

Tony ballte jedoch nur die Hände zu Fäusten.

„Ich glaube, du hast es immer noch nicht ganz verstanden“, entgegnete er. „Wir sind die Avengers, Aufgeben steht nicht in unserem Vertrag!“

Er trat vor und streckte die Hand aus. „Gib uns die Infinity-Steine!“

Thanos stieß ein bedauerndes Seufzen aus. Langsam hob er seine Hand, an der die sechs Steine in den goldenen Fassungen des Handschuhs leuchteten.

„Diese hier?“, fragte er.

Dann schnippte er mit den Fingern.

Nein!“, rief Tony, aber es war zu spät.

Thor begann plötzlich zu schwanken, bevor er auf die Knie fiel, als hätte ihn alle Kraft verlassen. Während er mit geweiteten Augen auf seine Hände herabstarrte, färbten sich seine Haut, sein Haar und seine Kleidung nach und nach weiß, und binnen wenige Augenblicke hatte er sich in eine Marmorskulptur verwandelt.

Noch ein Schnippen und die Statue zerfiel zu feinem, weißem Staub.

„Ich habe euch gewarnt“, sprach Thanos, und er klang beinahe traurig. „Was jetzt passiert, hätte nicht sein müssen.“

Er schnippte erneut, und sowohl Tony als auch Rhodey kniffen instinktiv die Augen zusammen.

Als sie sie wieder öffneten, stieß Rhodey ein Geräusch aus, von dem sich nicht genau sagen ließ, ob es ein Lachen oder ein Schluchzen war.

„Es tut mir leid“, stieß er hervor, während er an seinem Körper herabsah, der sich Stück für Stück in Luft auflöste. Dann hob er den Blick und sah ein letztes Mal in Tonys Gesicht. Er schenkte ihm ein schwaches Lächeln, bevor auch dieses zu Staub zerfiel.

Einen Moment später zeugte nur noch ein Aschehaufen von der Stelle, an der er gestanden hatte.

Tonys Beine gaben nach und er sank auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.

„Gib auf, Stark“, sagte Thanos. „Du hattest deine Chance und es gibt nichts, was du tun kannst. Du bist klug genug, um das mittlerweile erkannt zu haben.“

Er stand auf und schritt langsam näher.

„Dich zu töten wird mir keine Freude bereiten.“

Tony hob den Kopf – und erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde, als er einen Schatten hinter Thanos bemerkte, der sich in rasantem Tempo näherte.

Sofort änderte sich der Anzeigemodus seiner Rüstung und sein Visier begann das Objekt zu analysieren.

„Halt dich nicht zurück“, erwiderte er währenddessen mit metallisch klingender Stimme.

„Wenn das dein Wunsch ist“, sagte der Titan.

Eine lange Klinge materialisierte sich in seiner Hand.

Doch während er damit ausholte, aktivierte Tony seine Blaster und flog rückwärts von ihm fort. Keinen Augenblick zu früh, denn im selben Moment landete ein Raumschiff mit ohrenbetäubenden Krachen an der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte.

Tony, der mehrere Dutzend Meter entfernt im Unterholz des angrenzenden Waldes gelandet war, stieß einen heiseren Jubelschrei aus und erhob sich wieder in die Lüfte, um auf das Raumschiff zuzufliegen.

Es war dasselbe Schiff, das ihn zu diesem Planeten gebracht hatte.

Als er die Absturzstelle erreichte, kletterte gerade eine blaue Gestalt aus dem geborstenen Fenster des Cockpits. Nebulas Gliedmaßen schienen durch den Aufprall mehrfach gebrochen und schrecklich verdreht worden zu sein, doch mit jedem Meter, den sie über den vorderen Teil des Raumschiffs kroch, schienen sich ihre Gelenke wie von selbst zu regenerieren und wieder an der dafür vorgesehenen Stelle einzurasten.

Als sie schließlich ins Gras rutschte und mit den Füßen auf dem Boden aufkam, zeugte nichts mehr an ihr von den Schäden, die sie davongetragen hatte.

Anders verhielt es sich hingegen mit Thanos, dessen Körper fast bis zur Brust unter einem der tonnenschweren Metallflügel des Raumschiffes eingeklemmt war. Er stieß ein leises Stöhnen aus, als er langsam wieder zu Bewusstsein kam.

„Tochter...“, raunte er.

Nebula bückte sich und hob die Klinge auf, die der Titan hatte fallen lassen.

„Du hast das Recht, mich so zu nennen, schon lange vor dem Moment verwirkt, in dem du meine Schwester ermordet hast“, erwiderte sie und fletschte die Zähne, bevor sie die Klinge hob. „Für Gamora!“

Tony wandte den Blick ab, als sie Rache an dem Mann nahm, der ihr alles genommen und sie zu dem hasserfüllten, kaputten Ding gemacht hatte, das sie nun war. So sehr Tony Thanos für das hasste, was er getan hatte, dieser Moment gehörte Nebula allein.

Stattdessen suchten seine Augen nach dem zweiten Passagier – und weiteten sich, als er eine reglose Gestalt erblickte, die in einem der Sitze saß.

„Steve!“

Als er den bewusstlosen Mann scannte, blinkten sofort mehrere seiner Anzeigen in einem wütenden Rot auf.

Steve hatte beim Absturz unzählige Verletzungen erlitten, sowohl äußerliche als auch innerliche. Wenn er nicht bereits aufgehört hatte zu atmen, dann würde er es bald tun.

„Verdammt, Steve... bitte tu mir das nicht an!“, stieß Tony hervor, als er den Verletzten wenig später aus dem Wrack zog. „Komm schon, mach die Augen auf...!“

Langsam hoben sich Steves Lider, fast, als hätte er seine Worte gehört. Der Aufprall musste sein Augenlicht jedoch stark beschädigt haben, denn er schaffte es nicht, seinen Blick zu fokussieren.

„Haben... haben wir es geschafft...?“, fragte er stattdessen und hustete dann. Blut verklebte seine Lippen.

„Ihr habt es geschafft“, erwiderte Tony, bevor seine Rüstung sich plötzlich zurückzog. Er griff nach Steves Hand und drückte sie warm.

„Tony...“ Der Klang seiner Stimme ließ den anderen Mann lächeln. „Ich hatte gehofft, noch einmal deine Stimme zu hören.“

„Hör auf“, schniefte Tony. „Hör auf, solche Sachen zu sagen.“

Steve lachte leise, bevor er erneut hustete.

Sein Atem wurde immer unregelmäßiger und es war offensichtlich, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb.

„Der Handschuh“, sagte er. „Gib mir... den Handschuh...“

„Was?“ Tony starrte ihn an.

„Es geht mit mir zu Ende...“, stieß Steve hervor. „Ich sollte derjenige sein, der... der es tut.“

„Hast du Rocket nicht gehört?!“, widersprach Tony heftig. „Kein normaler Mensch kann einen Infinity-Stein verwenden, ohne dass es ihn zerstört – geschweige denn alle sechs! Thor war unsere einzige Chance, und er ist tot!“

„Es ist... schon okay, Tony“, entgegnete Steve. „Ich kann mit... mit den Konsequenzen leben...“

„Aber ich nicht“, sagte Tony und ließ seine Hand wieder los.

Dann stand er auf und ging zu Nebula hinüber. Sie stand mit ausdrucksloser Miene vor dem Leichnam des Mannes, der das halbe Universum ausgelöscht hatte, und sah auf ihn herab. In den Händen hielt sie den Handschuh, an dem das Blut des Titanen klebte.

„Du hast es geschafft“, sagte Tony behutsam und zog den Handschuh aus ihrem Griff. Sie ließ ihn ohne Widerstand los. „Du hast ihn besiegt.“

Sie nickte stumm, rührte sich aber nicht von der Stelle. Was auch immer ihr in diesem Moment durch den Kopf ging, sie schien weit fort zu sein.

„Tony...“, flüsterte Steve, als Tony den Handschuh über seine Finger zog. „Tu das nicht...!“

„Wir haben diese Reise in dem sicheren Wissen begonnen, das dies immer eine Option sein würde“, erwiderte Tony ruhig. „Und ich habe meine Entscheidung getroffen.“

Dann beugte er sich zu Steve herab und küsste ihn auf die Wange.

„Leb wohl“, murmelte er. „Was auch immer es wert sein mag: die letzten paar Tage an deiner Seite waren ein paar der besten meines Lebens.“

„Tony...!“ Steve versuchte verzweifelt, ihn festzuhalten, doch Tony entzog sich ihm und stand wieder auf. „Was auch passiert... ich werde nicht vergessen, was... was du getan hast...!“

„Doch, Steve“, entgegnete Tony sanft. „Doch, das wirst du.“

Dann schloss er die Augen...

... und das Universum begann in einem allumfassenden, grünen Licht zu erstrahlen.

 

 
 

~*~

 
 

„... –ve! Steve!

Das grüne Licht verblasste wieder, doch er war immer noch geblendet von seiner Helligkeit und wehrte sich wie ein Besessener, als Hände nach ihm griffen und ihn festhielten.

Er versuchte, sich loszureißen, doch die unnachgiebigen Metallfinger lockerten sich keinen Millimeter.

„Verdammt, Steve, beruhige dich!“, drang eine besorgte Stimme an sein Ohr. „Ich bin’s, Bucky!“

Steve blinzelte mehrmals, und bald konnte er wieder Formen und Farben ausmachen.

Für einen Moment wusste er jedoch weder, wo er war, geschweige denn, wem die Gesichter gehörten, die ihn umgaben.

Doch dann fokussierte sich sein Blick allmählich auf seine Umgebung und schließlich erkannte er auch die Züge der beiden Männer, die vor ihm standen.

„Steve“, sagte Bucky erneut. „Es ist alles okay. Du bist im Avengers-Hauptquartier. Erinnerst du dich?“

Steve schloss die Augen und rieb sich das Gesicht, während sein Körper und Geist sich allmählich daran gewöhnten, wieder im Hier und Jetzt zu sein. Nach einer Weile hatte sich sein Herzschlag halbwegs beruhigt und er öffnete die Augen wieder und nickte schwach.

„Ja“, entgegnete er mit rauer Stimme. Sein Hals fühlte sich so trocken an, als hätte er seit Tagen nichts mehr getrunken.

„Lassen Sie es ruhig angehen, Captain“, sagte Strange. „Sie haben fast sechs Stunden in der Illusion verbracht.“

Sechs Stunden nur? Für Steve hatte es sich wie Wochen angefühlt.

Seine eigenen Erinnerungen und die von Tony trennten sich nur langsam wieder voneinander, doch schließlich schaffte er es, die Frage zu stellen, die ihn in diesem Moment am meisten beschäftigte.

„Ist es wahr?“, fragte er leise. „Ist es wirklich so passiert?“

Strange zögerte kurz.

„Ja“, erwiderte er dann und nickte, einen überraschend mitfühlenden Ausdruck auf dem Gesicht.

„Ist was passiert?“, fragte Bucky. „Was hast du gesehen, Steve...?“

Steve gab keine Antwort.

Stattdessen barg er das Gesicht in den Händen, während seine Gefühle für Tony und seine Trauer um den anderen Mann wie eine Sturzflut über ihn hereinbrachen, und es sollte lange dauern, bis seine Schultern aufgehört hatten zu beben.
 

Epilog

Es war nicht fair, fand Steve, während er aus dem Fenster seines Zimmers zum wolkenlosen Himmel hinaufsah.

Es war nicht fair, dass die Sonne schien und die Welt sich weiterdrehte und alles wieder war, wie vor dem Krieg – und dass Tony nicht mehr da war, um es zu erleben.

Ein einziges Leben gegen das von Unzähligen im ganzen Universum.

Im Nachhinein hatte Stranges Warnung an ihn, die Reise in die Vergangenheit nicht anzutreten, sehr viel mehr Sinn gemacht. Tonys Opfer war verschwindend gering im Vergleich zu dem, was dadurch gerettet worden war, und doch hätte Steve keine Sekunde lang gezögert, um es ungeschehen zu machen.

Und vielleicht war das der Grund, weshalb der andere Mann ihm diese Entscheidung abgenommen hatte. Weil er Steve vor sich selbst hatte schützen wollen. Und weil er ihm die Chance geben wollte, ein Leben zu führen, das er bislang nie wirklich hatte führen können – ein Leben weg von Captain America, ein Leben als Steve Rogers, der bislang nie wirklich die Gelegenheit hatte, sich eine eigene Existenz aufzubauen.

Steve würde nie erfahren, was Tony letztendlich zu seiner Tat motiviert hatte, und auch der Fakt, dass er dabei seinen Frieden mit sich selbst gemacht hatte, war nur ein schwacher Trost.

Denn Tony hatte nicht damit gerechnet, dass Steve sich erinnern würde. Dass er sich seiner Gefühle für ihn bewusst werden und erkennen würde, was ihn Tonys Opfer tatsächlich gekostet hatte...

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.

„Ich komme gleich“, rief Steve. Er wandte sich um und ging ins Bad, um seine Krawatte vor dem Spiegel zurechtzurücken, bevor er in sein Zimmer zurückkehrte und ein Paar schwarzer Lederschuhe anzog.

Als er den Raum schließlich verließ, erwartet Natasha ihn bereits. Sie trug ein schwarzes, knielanges Kleid, das schlicht war, aber geschmackvoll, und dem Anlass angemessen.

Für einen Moment musterte sie ihn kritisch, bevor sie an ihn herantrat und einen Fussel von seinem Ärmel zupfte. Dann nickte sie ihm zu.

„Bist du bereit?“, fragte sie.

„Nein“, gab Steve zu. „Aber es ist etwas, was ich tun muss. Ich bin es ihm schuldig.“

Natasha schenkte ihm einen mitfühlenden Blick.

Sie gab keine Antwort, doch er wusste, dass sie verstand. Vielleicht sogar besser, als jeder andere.

Seite an Seite verließen sie das Hauptquartier der Avengers und stiegen in den Wagen, der sie nach New York City bringen würde.

 

Die Menge, die sich am Stark Tower eingefunden hatte, war sehr überschaubar.

Steve sah vor allem Journalisten und Mitglieder der Avengers, aber er entdeckte auch die Gesichter ehemaliger Verbündeter, mehrere Abgesandte aus Wakanda, sowie viele Neuzugänge, die dem Team seit Ende des Krieges beigetreten waren.

Sie alle waren gekommen, um offiziell Abschied von dem Mann zu nehmen, der die halbe Menschheit gerettet hatte, ohne dass sie jemals davon erfahren würde.

In Ermangelung von Fotos hatte Steve ein Portrait von Tony angefertigt, das vor der Menge auf einer Staffelei ruhte. Er hatte Tonys Gesicht während der Reise durch seine Erinnerungen oft genug im Spiegel oder anderen reflektierenden Oberflächen gesehen, dass er die dunklen, ausdrucksstarken Augen und markanten Züge aus dem Gedächtnis auf Papier hatte bannen können.

Pepper hatte zudem einen der Helme der Iron-Man-Rüstung beigesteuert, der vor dem Portrait auf einem Podest lag, umgeben von mehreren kunstvoll gestalteten Blumenkränzen.

Steve betrachtete das mit Kohlestift gezeichnete Portrait von Tony für einen Moment, bevor er sich einen Ruck gab und an das Rednerpult neben dem Bild herantrat.

„Es freut mich, dass ihr heute alle erschienen seid“, begann er seine Ansprache, während sein Blick über die Gesichter seiner Freunde in den ersten paar Reihen schweifte. Überall sah er Betroffenheit und Mitgefühl. Nur Natasha schenkte ihm ein kleines Lächeln und nickte ihm aufmunternd zu.

„Wir wollen an diesem Tag Abschied nehmen von einem Teamkollegen, der viel zu früh von uns gegangen ist“, fuhr Steve fort. „Er hat sein Leben im Kampf gegen Thanos gelassen und uns alle gerettet. Es ist ein Opfer, das wir niemals vergessen werden.“

Doch, das wirst du.

Plötzlich hatte er Tonys letzte Worte wieder im Ohr, und der nächste Satz blieb ihm im Hals stecken. Steve räusperte sich und musste mehrmals schlucken, bevor er weitersprechen konnte.

„Er war ein brillanter Erfinder und Entdecker“, sagte er. „Er war ein Avenger... und er war mein Freund.“

Er war mein Partner, wollte Steve sagen, doch diese Sache ging den Rest der Welt nichts an, sondern nur Tony und ihn.

Langsam ließ er den Blick über die versammelten Menschen wandern.

„Sein Name“, sprach er mit fester Stimme, „war Tony Stark.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  ChailaMing
2019-03-31T18:36:07+00:00 31.03.2019 20:36
Eine tolle Story mit einem traurigen, aber auch passenden Ende.
Wahrscheinlich wäre es für Steve besser gewesen, sich nicht an Tony zu erinnern, aber ihm hätte dann sicher immer was gefehlt.
Auf jeden Fall ist die FF gut geschrieben und hat mir ein wenig die Wartezeit auf den Film verkürzt. :D

Lg Chaila
Antwort von: Morwen
01.04.2019 12:55
Vielen lieben Dank. <3
Freut mich, dass es dir gefallen hat. :)
Ich denke, einen ähnlichen Ausgang dürfen wir wohl auch bei Endgame erwarten... die Darsteller und Produzenten wurden schließlich nicht müde zu betonen, dass es jeden im Film treffen kann. ~_~
Ich glaube auch, dass Steve es auf jeden Fall gebraucht hat, die Wahrheit zu erfahren. Nicht zuletzt deshalb, weil er ein absoluter Sturkopf ist, der nicht nachgelassen hätte, bis er auf den Grund des Mysteriums vorgedrungen wäre.
Jedenfalls noch mal danke fürs Mitfiebern & liebe Grüße,
Morwen~
Von:  ChailaMing
2019-03-25T20:43:55+00:00 25.03.2019 21:43
Ein schönes Kapitel!
Steve sucht verzweifelt, doch findet er nichts. Und endlich wieder ein Hoffnungsschimmer in Form von Dr. Strange.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht. :)

LG Chaila

Antwort von: Morwen
26.03.2019 12:25
Vielen Dank. ^^
Bis Steve herausgefunden hat, was passiert ist, hat er noch so einiges vor sich... Und Strange ist der Schlüssel zu allem. :)

Liebe Grüße,
Morwen~
Von:  ChailaMing
2019-03-24T15:11:14+00:00 24.03.2019 16:11
Niemand erinnert sich an Tony? Wirklich interessant.
Dein Schreistil gefällt mir, die FF liest sich gut.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht.

LG Chaila ^^
Antwort von: Morwen
25.03.2019 12:40
Danke schön! :)
Das Mysterium wird sich auf jeden Fall im Laufe der Geschichte klären, soviel kann ich schon mal versprechen. ;)
Heute Abend kommt ja auch gleich das nächste Kapitel.

Liebe Grüße,
Morwen~


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