Zwei Seiten einer Medaille von Shino-Tenshi ================================================================================ Kapitel 43: ------------ Ich saß auf einer Bank am Bahnhof und wartete auf meinen nächsten Zug. Ruhig hielt ich mein Handy in der Hand und scrollte durch ein paar Nachrichten. Hier und da überflog ich die Titel, aber irgendwie war nichts Interessantes dabei. Es würde noch eine geraume Weile dauern bis mein nächster Zug nach Hause kam und so begann ich eine Sprachen-App zu starten, um ein wenig Englisch zu üben. Vielleicht verging so die Zeit schneller. „Da ist er! Ich hab dir doch gesagt, dass er da war!“ Die Stimme ließ mich hochfahren und ich sah erschrocken zur Tür. Dort waren Alexy und Tayaka. Ich verstand es nicht. Wieso waren sie beide hier? Das war doch totaler Irrsinn! „Gabriel?!“ Tayaka wirkte überrascht und rannte dann zu mir, bevor er mich breit angrinste. „Was machst du hier? Stimmt es, was Alexy behauptet hat? Du wolltest zu unserem Treffen kommen? Woher weißt du davon?“ Was? Wieso? Das durfte nicht sein! Verdammt! Ich wollte doch ungesehen verschwinden! Was sagte ich jetzt? Warum musste Alexy es Tayaka stecken? Das machte es doch nur unnötig kompliziert und schmerzhaft! „Du hättest nicht kommen sollen, Tayaka.“ Ich senkte meinen Blick und spürte die Enttäuschung, dass nicht Luzifer bei ihnen war. Wusste er nichts davon? Wollten die anderen mich nicht mehr sehen? Mein Gefühl war also doch richtig gewesen. Ich war kein Teil mehr von dieser Gruppe. „Wieso nicht? Ich würde gerne verstehen, warum du das Spiel verlassen hast. Klar, in letzter Zeit lief es nicht so gut. Es wurde viel Scheiß erzählt und na ja...“ Er schien sichtlich nach Worten zu suchen, doch er fand sie nicht. Scheinbar ging es ihm ähnlich. Warum war er also dann hier? Das ergab keinen Sinn für mich. „Die Spannungen zwischen dir, Luzifer und Xenia waren echt unschön, aber vielleicht kann man sie mit Reden aus der Welt schaffen.“ Er lächelte unsicher und irgendwie musste ich es erwidern. Auf meine gelernte falsche Art und Weise. „Nein, kann man nicht.“ „Ach, komm schon.“ Tayaka sah mich verzweifelt an. „Du bist ein wertvolles Mitglied unserer Band.“ „Das bin ich nur, weil ich Schlagzeug spiele. Wäre ich Gitarrist, dann würdest du mir jetzt nicht so bettelnd hinterher rennen.“ Ich umschloss mein Handy fester und spürte, wie ich mich woanders hin wünschte. Nur noch weg von hier. Warum kam mein Zug nicht? „Nein, wir mochten dich auch als Mensch.“ Tayaka klang verletzt und irgendwie taten mir die Worte Leid, doch ich schwieg erst einmal. Hoffte, dass noch mehr kam und wurde nicht enttäuscht. „Es hat Spaß gemacht mit dir zu spielen. Du warst immer korrekt.“ „Und dennoch habt ihr den Worten von Xenia geglaubt.“ „Wir kennen sie einfach schon länger. Vielleicht haben wir falsch gehandelt. Aber...“ „Nichts aber. Es hat wirklich Spaß gemacht mit euch. Aber die letzte Zeit hat mir gezeigt, dass ihr mich entweder nicht kennt oder nicht kennen wollt. Dass ihr Xenia all die Sachen geglaubt habt, tat unheimlich weh und deswegen kann und will ich auch nicht mehr zurückkommen.“ „Warum bist du dann hier aufgetaucht?“ Tayaka war sichtlich verwirrt und ich spürte wieder, wie das falsche Lächeln in mein Gesicht kam. Würde es mich jemals wieder verlassen oder war es schon eine Art Reflex für mich? „Ich wollte euch noch einmal sehen und vielleicht mit euch reden. Aber als ich euch dort sitzen sah, war mir klar, dass ich kein Teil dieser Gruppe mehr bin. Vielleicht war ich es sogar nie. Wer weiß.“ „Das ist Unsinn!“ Tayaka fuhr hoch und ich konnte direkt Zorn in seinem Gesicht sehen, doch auch jetzt konnte ich nur lächeln. „Nein, ist es nicht. Ich war nur ein guter Schlagzeuger für euch. Niemals mehr.“ „Jetzt tust du ihnen Unrecht.“ Alexy war die ganze Zeit still gewesen, aber er sah mich jetzt traurig an und ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Es fühlt sich aber dennoch so an.“ „Ja, am Anfang warst du nur ein Schlagzeuger, den wir nach unserem Willen formen konnten. Aber du wurdest zumindest für mich zu einem Freund. Meinst du wirklich, wenn du mir so egal gewesen wärst, dass ich dich dann zu mir nach Hause eingeladen hätte?“ Tayaka versuchte ruhig zu bleiben, doch ich konnte ihm ansehen, dass es ihm schwer fiel und er wahrscheinlich am Liebsten irgendetwas anderes tun würde. „Warum hast du dann Xenia geglaubt?“ Dieser eine Satz hing schwer zwischen uns und ich konnte sehen, wie tief die Wunde war, die langsam auf Tayakas Seele aufklaffte. Aber ich nahm die Frage nicht zurück, sondern schwieg. Es war nur ein Teil der Schmerzen, die sie mir zugefügt hatten. Dieser Glaube, dass ich zu all diesen Dingen fähig gewesen wäre. Wir schwiegen. Unendlich lange und auch Alexy hielt seinen Kopf gesenkt. Ich spürte, dass sie beide sprachlos waren. Etwas, was wohl eher selten passierte, doch für alles gab es ein erstes Mal. Manchmal war es nur leider auch gleichzeitig das letzte Mal. Ich seufzte und erhob mich. Es hatte keinen Sinn weiter hier zu sein. „Ich muss los. Mein Zug kommt bald und die anderen werden dich bestimmt auch schon vermissen, Tayaka. Mach es gut, okay?“ Ich zwang mich erneut zu einem Lächeln und hob die Hand zum Abschied. Sie konnten nur meine Geste erwidern und ich sah im Augenwinkel, wie Alexy nach dem Arm seines Bruders griff, um mit ihm das Gebäude zu verlassen. Es war nicht sonderlich angenehm gewesen, doch ich spürte, dass es mir den endgültigen Schlussstrich ermöglicht hatte. Sie waren nicht mehr Teil meines Lebens. Es würde ohne sie irgendwie weitergehen. Aber dennoch war ich ihnen dankbar. Dankbar für eine Zeit, die mir vielleicht die Kraft gegeben hat, um auch noch die letzten Jahre überstehen zu können... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)