Zwei Seiten einer Medaille von Shino-Tenshi ================================================================================ Kapitel 30: ------------ Vergangenheit: Ich saß im Zug nach Hause. Mein Blick war starr durch das Fenster nach draußen gerichtet. Bäume flogen vorbei. Häuser und Lebewesen. Alles schien still zu stehen, während der Zug daran vorbei rauschte. Ich wusste, dass der Gedanke lächerlich war, doch es fühlte sich gerade so an. Ruhig kam mir die letzte Nacht bei Luzifer in den Sinn. Wir schliefen aneinander gekuschelt und ich hatte das Gefühl, dass ich seinen Duft immer noch riechen konnte. In dieser Nacht konnte ich seit langem wirklich gut schlafen. Klar, bei Tayaka war es auch erholsam gewesen, aber dort. Ich fühlte mich einfach sicher und so war ich am nächsten Morgen gut ausgeschlafen aufgewacht. Nur ein kurzes gemeinsames Frühstück und dann ging es schon wieder runter zum Bahnhof. Luzifer hatte seit meiner Erwähnung die kommende Aussprache mit meinem Vater nicht mehr erwähnt. Es war das erste Mal, dass ich ihn wirklich sprachlos erlebt hatte und irgendwie erfüllte mich dies mit einem leichten Stolz. Aber das Hochgefühl war nicht von langer Dauer. Es verschwand, als ich in den Zug stieg und die Hand von Luzifer los lassen musste. Kurz sehe ich auf meine Finger und schließe sie. Wie konnte eine simple Berührung so viel Macht haben? Ich verstand es nicht, doch es war so. Luzifer gab mir so viel Sicherheit, die ich an sich für meinen Vater brauchte und die jetzt mit jeder weiteren Haltestelle, die ich meinem Zuhause näher kam, immer mehr verschwand. Verdrängt von der Angst, die mein Vater schon so lange erfolgreich in mir säte. Ich holte tief Luft und versuchte noch den letzten Mut beisammen zu halten, als der Zug schon anhielt und ich langsam ausstieg. Jetzt wollte ich nicht mehr über die möglichen Konsequenzen nachdenken. Nicht darüber, wie wütend mein Vater sein würde, wenn ich nach Hause kam. Ich wollte diesen Kreislauf endlich durchbrechen und frei sein. Meine Hände begannen zu zittern, als ich den Bahnhof verließ und in Richtung Heimat ging. Es war ein seltsames Gefühl hier zu sein und dorthin zu gehen. In diesem Moment wirkte es nur falsch auf mich, doch ich konnte nichts daran ändern. Klar, ich hätte mich bei Luzifer noch weiter verstecken können, doch das würde die Situation nicht besser machen. Nicht für mich und auch nicht für ihn. Irgendwann musste ich schließlich zurück. Der Weg war kürzer als ich gehofft hatte und so fand ich mich vor meinem Zuhause wieder. Es war Zeit für das Mittagessen. Sie würden also alle da sein. Alle... Erneut musste ich trocken schlucken und spürte, wie das Zittern in meinen Händen stärker wurde. Ich musste ruhig bleiben. Stärke bewahren. Sonst hätte ich schon sofort verloren. Wenn ich meinen Vater nicht mit Entschlossenheit entgegen treten würde, dann würde er mich nicht ernst nehmen. Das Geräusch, als sich der Schlüssel im Schloss herumdreht, hallte in meinem Kopf nach, als wäre es dort gerade explodiert. Meine Hände fühlten sich nass vom kalten Schweiß an. Oh Gott! Ich konnte das nicht. Nicht ihm sagen, dass es aufhören musste. Er würde mir eh nicht zuhören. Vielleicht sollte ich wieder verschwinden? Doch die Tür ging schon auf und ich sah in den leeren Flur. All ihre Schuhe standen da. Sie waren wirklich alle da. Jeder, der das Leid geschehen ließ. Wegsah. Vollführte. Zusah. Alle... Ich schluckte trocken und versuchte noch den letzten Rest Mut zusammen zu kratzen, der irgendwo in der Tiefe meiner Seele herumkroch, doch es war kaum noch etwas da. Wie sollte ich damit bestehen? Ein Schritt in das ewige Leid. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Schien eine Flucht unmöglich zu machen und vor mir eröffnete sich die Hölle, die mich immer wieder aufs Neue verschlang. Trautes Heim, Glück allein? Das war lächerlich! Dieser Satz schien über mich zu spotten und erneut spürte ich den Fluchtinstinkt in mir. Umdrehen und weglaufen. Noch hatten sie mich nicht bemerkt. Jetzt wäre es noch möglich. Doch meine Beine waren wie erstarrt, als ich weiter in das an sich helle Haus blickte. So luxuriös eingerichtet, um einen Schein zu wahren, der nicht mehr existierte. „Nathan?!“ Die Stimme meines Vaters fegte jeden letzten Gedanken aus meinen Gehirn und die Angst eroberte mit einem Jubelgeschrei den frei geworden Platz. Ich spürte, wie selbst mein Kiefer zu zittern begann, während ich verzweifelt die Zähne zusammenbiss und meine Hände zu Fäusten schloss. Nur keine Schwäche zeigen. Ich musste Haltung wahren. Sonst hätte ich verloren. Er kam um die Ecke und sein eiskalter Blick traf mich. Ich konnte den Zorn in seinen Augen sehen und spürte, wie mein Herz noch einmal schwerer wurde. Es schien plötzlich nur noch Blei durch meine Adern zu pumpen. „Warum antwortest du nicht, wenn man dich ruft?! Was fällt dir überhaupt ein einfach so zu verschwinden und dann nicht einmal erreichbar zu sein?!“ Er stürmte auf mich zu. Ich sah seine erhobene Hand und befahl meinen Körper sie abzuwehren, doch er rührte sich nicht. Im nächsten Moment erfüllte ein lauter Knall das Zimmer und ich spürte den stechenden Schmerz auf meiner Wange. „Ich hab einen Zettel hinterlassen. Es war schon spät als ich ging.“ Meine Stimme war ruhig und ich versuchte Haltung zu wahren. Mir diese Demütigung nicht anmerken zu lassen. Vielleicht konnte ich ja doch mit ihm normal reden. „Und du meinst wirklich, dass du machen kannst, worauf du Lust hast?!“ Erneut kommt eine Ohrfeige, die mir fast die Tränen in die Augen trieb, doch ich schluckte sie herunter und versuchte stehen zu bleiben. Den Schlag solltest du dir für deinen Alten merken. Ich wollte meinen Vater nicht schlagen. Gewalt konnte man nicht mit Gewalt bekämpfen. Auch wenn alles in meinem Körper danach schrie, doch ich unterdrückte es. Versuchte es wegzusperren und zu vergessen, doch ich spürte, wie es tief in mir vor sich hin kochte. „Es war nur ein kurzer Ausflug. Ich hatte meine Schularbeiten schon erledigt und dachte, dass es nicht so schlimm sein würde.“ Ich zuckte mit den Schultern und mein Vater spannte sich an, bevor er mir erneut eine verpasste, doch ich blieb stehen. „Und warum rennst du vor der Polizei weg?! Sie hätte dich nach Hause bringen sollen! Wo warst du danach?! Warst du bei ihm?“ Es lag etwas bedrohliches in der Stimme meines Vaters und erneut musste ich kurz schlucken, als sich die Angst in eine leichte Panik verwandelte und ich kurz davor war die Kontrolle zu verlieren. „Und wenn es so wäre?“ Ich wusste, dass es auf seine Frage keine richtige Antwort gab. Nur das Verleumden, doch das konnte ich nicht. Ich wollte die Zeit mit Luzifer nicht ungeschehen machen und geheim halten. Das hatte sie nicht verdient. Diese paar Stunden mit ihm hatten mir so viel Kraft gegeben, dass es unfair gewesen wäre. Ich wollte nicht sehen, dass es schlecht sein sollte. Es war ein reiner Reflex. Ich sah meinen Vater auf mich zu eilen. Die Faust zum Schlag erhoben und mein Körper reagierte von selbst. Meine Faust krachte hart auf sein Brustbein und ich hörte, wie er mit einem Keuchen kurz zurückwich. Es fühlte sich gut an. Dieser kurze Schlag hatte sich so unfassbar gut angefühlt, dass ich durch das Hochgefühl das bedrohliche Knurren nicht wahrnahm. Genauso wie das Geräusch von schleifenden Leder. „Du wagst es deine Hand gegen deinen Vater zu erheben? Ernsthaft?!“ Schmerz funkelte in seinen Augen, als ich den Gürtel in seiner Hand erblickte und das Hochgefühl von der Panik überrannt wurde. „Ich habe dir gesagt, dass du dich von diesem Jungen fern halten sollst und was tust du?“ Mit langsamen Schritten kam er mir immer näher und ich wich instinktiv zurück. Doch viel Platz hatte ich nicht. Dort war schon die Haustür und ich konnte meinen Vater nur ängstlich ansehen. Ob mir noch einmal so ein Treffer gelang? „Es ist nichts geschehen.“ Ich wollte mehr sagen, doch er unterbrach mich mit einem Schnauben und einem Lederknall. „So wie dort oben nichts passiert wäre. Ich sagte, dass ich keine Schwuchtel als Sohn haben will. Du hast mir dein Wort gegeben und jetzt spuckst du mir quasi ins Gesicht! Ich werde dir das Rumschwulen schon austreiben!“ Er holte aus und dann war dort nur noch Schmerz. Ich hatte versucht den Gürtel abzufangen, doch es gelang mir nicht so gut, wie ich es mir gewünscht hatte. Bei jedem weiteren Schlag sank ich tiefer zusammen. Ich versuchte alles Wichtige zu schützen, wodurch er irgendwann nur noch meinen Rücken traf. Es war mir egal, was er von mir hören wollte. Seine Worte drangen nicht mehr zu mir durch. Alles wurde nur noch von den Schmerzen eingenommen. Die Sicherheit, die Luzifer mir gegeben hatte, verschwand unter den Schlägen gänzlich. Ich hätte es nicht tun sollen. Nicht zu ihm gehen. Nicht zu Tayaka. Aber dennoch bereute ich es nicht. Keine Sekunde mit Tayaka und seinem Bruder. Keine Berührung von Luzifer. Ich würde es wieder tun. Immer wieder... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)