Zwei Seiten einer Medaille von Shino-Tenshi ================================================================================ Kapitel 12: ------------ Vergangenheit „Langsam wird es ja direkt etwas.“ Luzifers Stimme klang schwer in meinem Kopf nach, als wir nur zu zweit im Proberaum standen. Es passierte immer wieder, dass alle schon gegangen waren und nur noch wie Zwei übrig blieben. Auch jetzt öffnete er das nächste Lied und wir begannen zu spielen. Meine Eingabemöglichkeiten waren schon komplexer geworden und jedes neue Stück begann erst einmal eine Herausforderung zu werden, doch sobald ich es ein paar Mal gespielt hatte, konnte ich die Bewegungen schon fast im Schlaf. „Ja, danke, dass du so viel mit mir übst.“ Ich musste leicht lächeln und Luzifer schnaubte nur kurz. Schmetterte so das Kompliment ab, wie er es immer tat. „Reiner Eigennutz. Morgen haben wir ein Konzert. Ich hoffe, dass du pünktlich sein wirst. Ist schließlich leicht vor deiner Zeit. Keine Ahnung, was sich Azrael da gedacht hatte.“ Ich lächelte kurz gequält, doch dann zuckte ich mit den Schultern. „Ja, dürfte schon klappen. Ich habe keine Schulpflichten und Hausaufgaben kann ich auch später machen. Sollte also kein Problem sein.“ Alleine bei dem Gedanken an das Konzert wurde mir ein wenig flau im Magen. Es wäre mein erstes und ich wusste nicht, ob ich wirklich bereit dafür war. Andererseits war ich mittlerweile schon auf Level Vierzig angekommen und stand somit den anderen in nichts nach. Das Spiel machte Spaß und ich verbrachte jede freie Minute damit. Manchmal sogar Zeit, die ich an sich nicht hatte, doch ich fühlte mich frei, wenn ich mit ihnen sprach. „Du bist immer noch wach?“ Amber öffnete einfach die Tür und sah mich ein wenig verschlafen an. Sie trug ein leichtes Nachthemd und in ihren Haaren waren Lockenwickel. Davon mal abgesehen, dass sie ungeschminkt mehr als ungewohnt war. Ich hatte sie schon ewig nicht mehr so gesehen und konnte ein überraschtes Zusammenzucken daher nicht vermeiden. „Amber! Klopf gefälligst an!“, zischte ich sie an, doch sie ignorierte meinen aggressiven Ton und trat neben mich. „Du spielst das echt immer noch? Echt jetzt? Und dann auch noch zu so später Stunde. Papa wird das gar nicht gefallen.“ Ich konnte ein diabolisches Aufblitzen in ihren Augen sehen und verdrehte genervt die Augen, bevor ich sie dann wieder sanft zur Tür hinausschob. „Es kann dir und ihm egal sein. Jetzt verschwinden und geh schlafen. Sonst kriegst du noch Falten.“ Auf meinen letzten Satz hin wurde sie weiß wie eine Wand, doch sie fing sich relativ schnell wieder und ging dann zurück in ihr Zimmer. Leider nicht ohne eine letzte Drohung auszusprechen: „Wir werden es ja sehen.“ Sie war meine Zwillingsschwester und dennoch war sie so bestialisch zu mir. Ich würde sie so gerne hassen, doch irgendwie konnte ich es nicht wirklich. Aber auf ihre Nähe konnte ich dennoch verzichten und so schloss ich mit einem schweren Seufzer die Tür. Was sollte ich denn bitte jetzt tun? „Wer war denn das?“ Luzifer wirkte irritiert und ich winkte schon ab. „Nur meine Schwester. Nicht so wichtig.“ „Echt ein reizendes Ding.“ Man hörte deutlich, dass Luzifer auf eine Bekanntschaft mit ihr verzichten konnte und Gott sei Dank schien ihm das auch erspart zu bleiben. „Hast du auch Geschwister?“ „Nein.“ Mehr sagte er nicht, sondern schwieg erneut, bevor ich spürte, wie ich langsam unruhig wurde. Die Worte meiner Schwester ließen mich nicht los und so versagte auch meine Konzentration. Immer mehr Fehler schlichen sich in mein Spiel und Luzifer bemerkte dies verwirrt. „Was ist denn jetzt los? Hast du nen Schlaganfall erlitten?“ „Nein, ich bin nur abgelenkt. Vielleicht sollte ich für heute auch Schluss machen. Wir haben genug geübt. Ich werde morgen schon nicht versagen.“ Meine Hände zitterten leicht, wodurch ich sie zu Fäusten ballte und Luzifers Antwort lauschte: „Scheint so. Na ja, man sieht sich morgen. Gute Nacht.“ Er loggte sich aus und verschwand nach meiner Verabschiedung aus dem Chat. Ruhig schloss auch ich das Fenster, um dann aufzustehen und mich ins Bett zu legen. Doch schlafen konnte ich nicht. Immer wieder rollte ich mich von einer Seite zur anderen. Versuchte irgendwo Ruhe zu finden, doch es ging nicht. Alles schien unbequem. Nichts schien zu passen. Ich wusste nicht, wie lange ich mich herum wälzte, bevor mich dann doch der Schlaf übermannte und ich erst wieder von meinem Wecker aufgeschreckt wurde. Doch es passierte viel zu spät. Als das Piepen erklang, fühlte ich mich wie vom Bus überfahren. Meine Glieder waren schwer und ich konnte die Augen nur mit größter Mühe aufmachen. Ich drehte mich herum und wollte nur noch für ein paar Sekunden die Augen schließen, als mich dieses Mal das Klopfen meiner Mutter aus den Schlaf riss. „Nathaniel! Aufstehen! Du kommst sonst zu spät zur Schule!“ Warum machte sie so einen Stress? Es war doch noch gar nicht so... Scheiße! Ich fuhr erschrocken hoch, als ich die Ziffern auf meinem Wecker erkannte und sprang schon fast aus dem Bett, um mir nur noch die Sachen von gestern überzuwerfen. Ich war wieder eingeschlafen! Keine Zeit mehr für irgendetwas! Ich musste wirklich los! Und so rannte ich an der Küche vorbei. Schnappte mir nur kurz einen Apfel für unterwegs und noch eine Orange für die Pause. Für mehr war wirklich keine Zeit. Meine Haare richtete ich mit einer gezielten Handbewegung und schnappte dann auch schon die Hand meiner Schwester, die ungeduldig neben der Haustür wartete. „Los! Wir müssen uns beeilen!“ Sie hatte Probleme am Anfang mitzuhalten und begann sich gegen meinen Griff zu wehren. „Nath! Was soll das? Jetzt mal langsam! Du weißt, dass ich es hasse zur Schule zu laufen! Ich will nicht verschwitzt dort ankommen!“ Schließlich schaffte sie es sich loszureißen und ich stoppte kurz, bevor ich dann langsamer weiterging. „Ist ja gut. Ich will nur nicht zu spät kommen.“ „Das werden wir schon nicht. Hast wohl gestern zu lange das dumme Spiel gespielt, hm?“ Ihre Stimme ist schnippisch und ich ignorierte den böswilligen Unterton in ihr. Der war immer da und ich glaube, dass ich ihn vermissen würde, wenn er mal fehlen sollte. „Eigentlich nicht. Nach deinem nächtlichen Besuch habe ich zeitnah ausgemacht. Der Wecker hat mich nur blöd erwischt.“ „Das sage ich Papa. Wenn das nicht sogar schon Mama tut.“ Dieses schadenfrohe Grinsen begleitete mich nun schon mein ganzes Leben. Solange, wie ich immer den Ärger bekam und sie die Prinzessin war. Ein Umstand, den ich langsam nicht mehr ertrug, aber dem auch noch nicht entkommen konnte. „Schon einmal etwas von Solidarität gehört?“ Ich sah sie böse von der Seite an, doch sie fuhr sich nur arrogant durch ihre langen, blonden Haare. Ein Fakt, der bei uns gleich war, doch ebenfalls anders. Ihre waren lang und wellig. Meine dagegen kurz und glatt. Na ja, sie half halt über Nacht immer nach. „Das bist du auch nicht, Bruderherz.“ Ein eigentlich schöner Kosename, der aber schon lange seine positive Wirkung verloren hatte. Sie war schon seit Jahren nicht mehr meine Verbündete, sondern der Feind in den eigenen Reihen. Alles steckte sie brühwarm unseren Eltern. Sei es mein Versagen oder Fehlverhalten in der Schule oder meine Grenzübertretungen im privaten Bereich. Manchmal würde ich gerne wissen, was sie dafür bekam. Ich schwieg schließlich. Diese Diskussion hatte keinen Sinn und so durchschritten wir das Schultor, um das Gebäude zu betreten. Mein Körper fühlte sich immer noch schwer und bleiern an. Auch spürte ich, dass ich mich nur schlecht konzentrieren konnte, was dazu führte, dass ich die ein oder andere Frage nicht richtig beantworten konnte. Bis die Lehrer einsahen, dass man mich heute nicht gebrauchen konnten. Sie hatten Verständnis. Meine Familie nicht. Ich wusste nicht mehr, wie ich den Schultag herum brachte, doch es gelang mir und so befand ich mich mit meiner Schwester auf den Heimweg. Sie hatte ihr Handy in der Hand und tippte wild irgendwelche Nachrichten. Das war mir ganz Recht. Dann würde sie sich nicht mit mir unterhalten wollen. Etwas wofür ich jetzt definitiv keine Energie mehr hatte. Schließlich kamen wir Zuhause an und ich spürte plötzlich den Anflug von purer Panik. Etwas schien mein Unterbewusstsein bemerkt zu haben, was nichts Gutes bedeutete. Ich sollte hier verschwinden und zwar so schnell wie möglich, wodurch ich überhastet aus meinen Schuhen schlüpfte und über den Flur in mein Zimmer eilen wollte. Ein Ort, an dem ich so schnell nicht ankommen sollte. „Nathaniel!“ Die eiskalte Stimme meines Vaters hallte durch das Wohnzimmer zu mir und ich stoppte. Mein Körper war wie gelähmt. Wieso war er schon hier? Ich musste weg. In mein Zimmer und den Schlüssel umdrehen. Ich lachte in Gedanken auf. Mein Zimmer besaß gar keinen Schlüssel. Zumindest war er nicht in meinem Besitz. Es gab keinen sicheren Ort vor ihm und so blieb ich weiter wie erstarrt stehen. Sah die Treppenstufen hinauf und wünschte mich nach dort oben. „Komm her!“ Scheinbar hatte er gehofft, dass er es nicht aussprechen hätte müssen, doch auch jetzt brauchte ich einige Atemzüge, um auf seinen Befehl zu reagieren, bevor ich mit zitternden Beinen näher kam. Alles in mir sträubte sich dagegen diesen Raum zu betreten. Das edel eingerichtete Zimmer mit dieser schönen Couch, auf der meine Mutter und meine Schwester saßen. Amber grinste mich wie immer schadenfroh an, während die Miene meiner Mutter schon fast ausdruckslos war. Mein Vater stand zu mir gewandt nur wenige Schritte in Richtung Tür von ihnen entfernt und in seinem Gesicht war purer Zorn zu sehen. „Du warst heute unkonzentriert in der Schule und bist kaum aus dem Bett gekommen. Stimmt das?“ Seine Stimme war scharf und schneidend. Ich zuckte unter ihnen wie unter Schläge zusammen. Was sollte ich tun? Egal, was ich antwortete. Nichts würde richtig sein. Mein Blick glitt hilfesuchend zu meiner Mutter. Doch sie erhob sich und nahm Amber bei der Hand, um dann das Zimmer zu verlassen. „Es kommt nicht wieder vor“, flüsterte ich und machte mich unbewusst kleiner. „Stimmt es, dass du deine Zeit mit einem dämlichen Spiel vergeudest?!“ Meine Entschuldigung prallte an ihm ab. Wie immer hörte er eh nichts von dem, was ich sagte. Es war egal. Er glaubte schon alles von den anderen Zwei gehört zu haben und ich log ihn in seinen Augen eh nur an. Verzweifelte Ausflüchte hatte er sie früher immer genannt. Damals, als er noch auf meine Worte reagiert hatte. „Du wirfst deine Zukunft deswegen nicht weg!“ Der erste Schlag traf mich obwohl ich ihn kommen sah total unvorbereitet. Ich wusste, dass ich mich wehren sollte. Zumindest sie irgendwie abfangen, doch mein Körper war wie gelähmt. Als er weiter auf mich einschlug. Überall in meinem Körper explodierte der Schmerz und ich begann mich zusammen zu kauern. Mich irgendwie zu schützen, aber egal, was ich tat. Er fand immer wieder ein Ziel. In solchen Momenten bestand meine Welt nur noch aus Schmerzen. Ich vergaß die Zeit und manchmal entglitt mir sogar mein eigenes Selbst. Keine Ahnung, wann er von mir abließ, aber ich wusste, dass es noch nie so schlimm war wie dieses Mal. Es fing mit festen Drücken der Schultern an. Nach und nach wurden diese Berührungen schmerzhaft. Dann ging es über zu Schlägen auf den Hinterkopf. Meine erste Ohrfeige bekam ich, als ich mal die Zeit in der Schule übersehen hatte und nicht pünktlich zum Essen Zuhause war. Aus der Ohrfeige wurden irgendwann richtige Schläge. Aber sie waren bis zu diesem Moment immer einzeln gewesen. „Steh auf, Junge. Ich hoffe, dass du es jetzt endlich verstanden hast. Du musst lernen, um etwas im Leben zu erreichen. Ich will nur dein Bestes. Lass dich nicht von solchen Unsinn ablenken und jetzt... hilf deiner Mutter in der Küche.“ Er reichte mir die Hand und half mir hoch. Ich hatte Angst sie zu ergreifen, doch dadurch griff er nur nach meinen Arm und zerrte mich unsanft in die Höhe. Schmerz raste durch meinen Körper und ich zog scharf die Luft ein. „Verstanden, Junge?“ Er sah mir fest in die Augen und ich konnte nicht anders als zu nicken, wodurch ich mich auf den Weg in die Küche machte. Ich wusste, dass ich so die Verabredung mit den anderen nicht einhalten konnte. Aber... ich konnte nicht. Ich konnte ihm nicht widersprechen. Schließlich war er mein Vater. Er hatte immer gut für mich gesorgt und... irgendwie war ich doch selbst schuld daran. Hoffentlich könnten sie mir mein Fehlen verzeihen. Ich... ich machte immer alles falsch.... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)