Sternenzelt von Miwakosato1412 ================================================================================ Kapitel 2: Neue Prinzen ----------------------- Die Segel der feanorschen Flotte machten sich langsam auf den Weg zum Horizont und ließen die beiden jungen Elben allein im Palast zurück. Elrond stand am Geländer des Balkons und sah zu, wie die Schiffe mit dem vertrauten Stern Feanors verschwanden. Sie waren nicht gefragt worden, als die Elbenlords entschieden hatten, dass sie hierbleiben würden und obwohl Maedhros und Maglor ihnen ihren Plan schon vor Wochen dargelegt hatten, hatte er doch immer gehofft, dass sich noch etwas ändern würde. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, Balar zu hassen und bei ihrer Rückkehr den Feanorern zu berichten, wie schrecklich es sei und er besser bei ihnen aufgehoben wäre, doch der Ort machte es ihm viel zu schwer, an diesem Plan festzuhalten. Nachdem sie sich heute Morgen von den Feanorern verabschiedet hatten, war Círdan zu ihnen gekommen und hatte sie durch die Stadt hinauf in den Palast geführt. Balar war aus hellem Stein gebaut und erstreckte sich den gesamten Hügel von den Klippen hinab ins Tal, in dem grüne Felder bestellt wurden. Auf einem anderen Hang wuchsen auf kleinen Plateaus Obstbäume, die Elrond an den Geschmack von Pfirsichen denken ließ. Er erinnerte sich nicht, je einen gegessen zu haben, doch wusste er auf einmal wieder, wie sehr er sie mochte. Der Wind in den Gassen war warm und roch nach Salz, die schmalen Häuser besaßen hohe, große Fenster, alles wirkte hell und freundlich und erschreckend vertraut. Ob die Häfen Sirions auch so ausgesehen hatten? Elrond erinnerte sich kaum noch an sie. Der Palast befand sich an der höchsten Position der Klippen und wirkte mit den drei großen, ineinander verschlungenen Türmen und den vielen kleineren daneben, wie eine wogende Welle aus weißem Stein. Er und Elros hatten ihre eigenen Zimmer bekommen und wollten schon protestieren, da sie nicht getrennt werden wollten, doch Círdan schien dies geahnt zu haben und zeigte ihnen nur mild lächelnd den Balkon, der die beiden Räume verband. Wie perfekt es doch war. Elrond strich über den kalten Stein des Geländers, wie um sich zu versichern, dass er ihn wirklich spürte und es kein Traum war. Er hatte manchmal Träume, die erschreckend real wirkten, doch dies schien keiner von ihnen zu sein. „Elrond! Komm mal schnell!“, gluckste Elros aus seinem Zimmer. Als Elrond dieses betrat, musste er laut loslachen. Elros hatte die Truhe in seinem Zimmer geöffnet und ein paar Kleider gefunden, von denen er eines nun trug. Es war ihm viel zu groß, sodass er mit dem zartgelben Stoff nun den Boden wischte, während er versuchte, die weiten Ärmel irgendwie sinnvoll umzuschlagen. „Die sind doch viel zu lang! Wie isst man denn damit? Die hängen doch bestimmt im Essen!“ Elrond kicherte. „Das musst du König Gil-galad fragen, der hatte gestern doch auch sowas an.“ „Dein Ernst? Das ist ein Gewand für Männer?!“ „Na ja, Círdan trägt auch sowas – nur weniger... voluminös.“ Elros betrachtete sich irritiert im Spiegel an der Wand. „Meinst du, sie tragen Hosen darunter?“ „Also das würde ich lieber keinen von ihnen fragen wollen.“ Beide prusteten los, bis sie ein Klopfen an der Tür unterbrach. Sie tauschten einen panischen Blick aus, bis Elrond flüsterte: „Das ist deine Tür!“ „Oh, ja... herein?!“ Círdan betrat den Raum und lächelte beide mild an. „Wie ich sehe, habt ihr schon die Kleidung gefunden, die wir für euch herausgesucht haben.“ „Was?!“ - „Sowas ziehen wir nicht an!“ - „Es ist auch viel zu groß!“ Der alte Elb hob beschwichtigend die Hände. „In der Truhe gibt es verschiedene Gewänder – in unterschiedlichen Größen, da wird bestimmt auch etwas für euren Geschmack dabei sein.“ „Aber warum brauchen wir denn solche Kleidung? Wir haben unsere eigene mitgebracht!“ Elros deutete auf seine Kiste, die heute Morgen vom Schiff hierhergetragen worden war. „Die meiste Zeit dürft ihr auch eure Kleidung tragen, aber heute Abend zum Beispiel, braucht ihr etwas Feineres, deshalb wurde euch etwas bereitgestellt.“ „Aber wir haben auch eine feine Gewandung!“ Elros zog sich das Gewand über den Kopf und ließ es auf den Boden fallen, bevor er seine Kiste öffnete und in dieser zu kramen begann. Elrond hob das Gewand auf, er wollte nicht, dass Círdan sie für unordentlich hielt. Der Stoff glitt durch seine Finger wie Wasser, fasziniert betrachtete er es einen Moment, bevor er versuchte, es zusammenzulegen, was nach kurzem Ausprobieren eher zu einem Zusammenrollen wurde. Wie viel Stoff es doch war. „Hier!“ Elros zog das purpurne Gewand aus schwerem Samt hervor, bestickt mit einem großen Stern auf der Brust. Es war typisch feanorisch geschnitten, knielang, leicht tailliert, mit schmalen Ärmeln, deren Enden einfach geschlitzt waren und einem engen Kragen um den Hals. „Elrond hat das Gleiche nur in blau.“ Círdan trat näher und betrachtete es lächelnd. „Gut, das dürfte angemessen sein.“ „Angemessen wofür denn?“, fragte Elrond, während er das Gewand in der Kiste verstaute. „Ihr werdet heute Abend mit dem König und seinem Rat speisen.“ Die Jungen sahen ihn überrascht an. „Wie kommen wir zu der Ehre?“ „Der König hat keine Kinder und ihr seid seine nächsten Verwandten, man könnte euch Prinzen nennen. Hat Maglor dies nie erwähnt?“ Die Zwillinge schüttelten den Kopf. „Er sagte uns, wir seien die Kinder eines Fürstens, der viel zur See gefahren sei“, begann Elros und Elrond fügte hinzu: „Er hatte ein Schiff in Form eines Schwans, ich kann mich daran erinnern, wie Ihr es mit ihm gebaut habt.“ Círdan nickte. „Das ist richtig, eure Eltern haben nie besonderen Wert auf ihre Herkunft gelegt. Auch wenn beide königliches Blut in sich trugen.“ „Trugen? Heißt das, sie sind beide tot?“ Elros versuchte neutral zu klingen, doch zitterte seine Stimme etwas, denn sie hatten sich nie getraut, Maglor oder Maedhros danach zu fragen, was aus ihren Eltern nach der Schlacht geworden war. „Nein, euer Vater war nicht in Sirion und eure Mutter konnte entkommen. Doch sie glaubten, dass ihr tot seid und sind mit der Vingilot, dem Schiff in Schwanenform, Richtung Valinor gesegelt, um die Valar zu bitten, uns im Krieg gegen Morgoth zu unterstützen. Seitdem haben wir nichts mehr von ihnen gehört.“ Die Zwillinge sahen sich an und wussten nicht, was sie sagen sollte. Sie hatten ihre Eltern für tot gehalten, doch nun waren sie vielleicht noch am Leben, aber an einem Ort, von dem es keine Rückkehr gab und den die Meisten nie betreten durften. Círdan musterte sie. „Wenn ich fragen darf... was haben euch Maglor und Maedhros erzählt, wie ihr zu ihnen gekommen seid? Könnt ihr euch daran erinnern?“ Die Jungen schwiegen zunächst, doch irgendwann begann Elrond zu berichten, ohne Círdan anzusehen: „Unsere Mutter hatte das Silmaril und wollte es nicht hergeben. Maglor und Maedhros hatten Boten nach Sirion geschickt, um zu verhandeln, aber diese wurden weggeschickt. Sie haben einen weiteren Boten geschickt, der Mutter warnte, dass sie angreifen werden, doch dachten die Bewohner Sirions wohl, dass ihre Stadt dem Angriff standhalten würde und blieben. Die Armeen der Feanorer waren stärker und gewannen. Sie kämpften sich ins Schloss durch und dort fanden sie uns. Maglor nahm uns mit, da er Mitleid hatte, weil man uns allein zurückgelassen hatte. Er hat sich immer gut um uns gekümmert!“, fügte er hinzu, ohne so richtig zu wissen warum. „Das glaube ich euch.“ „Aber jetzt hat er uns auch zurückgelassen, wie Mutter damals“, grummelte Elros und blickte finster auf Meer hinaus. Círdan nickte, denn seine Überlegungen der letzten Stunden, seit die Zwillinge aufgetaucht waren, schienen sich zu bestätigen. Er hatte damit gerechnet, dass sie ein positiveres Bild der Feanorer hatten, als von ihren Eltern, doch zeigte dies wenigstens, dass Maglor sie gut behandelt haben musste. Das Beste würde es wohl sein, die Jungen mit beiden Seiten auszusöhnen. Wer wusste schon, was ihre Zukunft bringen konnte? Vielleicht war es eines Tages einer von ihnen, der die Elben wieder vereinen konnte, wenn Gil-galad und die Feanorer es nicht schafften. „Ihr seid jetzt schon älter, wahrscheinlich geht er davon aus, dass ihr gut auch ohne ihn zurechtkommen werdet und eure Mutter hat euch sicherlich nur zurückgelassen, weil sie euch nicht mehr fand oder euch bereits für tot hielt.“ „Sie ist aus dem Fenster gesprungen.“ Elronds Stimme war leise, doch die Bestürzung darin war unüberhörbar. Círdan sah ihn überrascht an. Elwing hatte nie berichtet, wie sie entkommen war und er hatte die Situation für zu belastend für sie empfunden, um nachzufragen. „Sie ist aus dem Fenster gesprungen, als Maglor anfing, die Tür aufzubrechen“, ergänzte Elros. „Sie hat uns einfach dort gelassen! Wir dachten, sie sei in den Fluten unter den Klippen ertrunken und -“ Er brach ab. Einen Moment sagte niemand etwas, selbst dem weisen Círdan schienen die Worte zu fehlen. Schließlich holte Elrond tief Luft und wechselte das Thema: „Wann findet das Abendessen statt?“ „Zur zwölften Stunde – bei Sonnenuntergang. Ich werde euch abholen. Ihr könnt bis dahin das Bad benutzen. Es ist gleich das erste Zimmer neben Elronds, ein Diener steht dort bereit und hat schon das Wasser erhitz.“ „Danke, dann sehen wir uns zur zwölften Stunde.“ Círdan nickte und verabschiedete sich. Er musste vor dem Essen noch mit Gil-galad über die Jungen sprechen. Er fand den König im Garten am Fuße der höchsten Türme auf einer Bank. „Círdan, setzt Euch.“ Der alte Elb ließ sich auf der Bank neben Gil-galad nieder. „Was lest Ihr?“ „Einen Bericht über den Fall von Gondolin.“ Er betrachtete nachdenklich die Schriften. „Viele Elben hätten gerettet werden können, wenn mein Onkel auf die Warnungen gehört und sich nicht auf die gute Lage Gondolins verlassen hätte. Auch Balar mag sich zwar sicher anfühlen, aber darauf können auch wir uns nicht verlassen. Ich würde gerne auch die anderen Sindar auf unserer Seite wissen, nicht nur Eure Leute. Doch ich weiß nicht, ob auch Celeborn eine Allianz mit den Feanorern eingehen würde.“ Círdan nickte zustimmend. „Es ist kompliziert. Die Elben von Doriath kämpften gegen Morgoth, gegen die Feanorer und zuletzt gegen die Zwerge, die ihre Heimat im Wald zerstörten. Nun leben sie schon fast 50 Jahre an der Küste, doch nur wenige setzten zu uns über und schlossen sich uns an. Sie vertrauen nicht vielen und auch Celeborn hat bisher jede Einladung hierher abgelehnt.“ „Was ist mit den Jungen? Sind sie nicht Urenkel des letzten Königs von Doriath? Vielleicht kann ihr Überleben bei den Feanorern Celeborn davon überzeugen, wenigstens an ihrer Seite zu kämpfen?“ Círdan seufzte. „Ja, sie sind neben Euch die letzten Nachfahren Fingolfins und damit Prinzen der Noldor, sie sind die Ziehsöhne der ältesten Söhne Feanors, und die verschollenen Urenkel des verloschenen Königshauses Doriaths und die Enkel des Königs der Menschen. Und sie wissen davon nichts.“ „Nichts?“ Gil-galad starrte ihn überrascht an. „Habt Ihr mit ihnen gesprochen?“ „Ja, sie dachten, sie seien die Kinder eines Fürsten und seiner Elbenfrau. Nun, das stimmt ja in gewisser Weise auch, nur waren sie sich bis eben nicht bewusst, welche Bedeutung dies hatte.“ „Ihr habt es ihnen gesagt?“ „Nur, dass sie hier als die Kronprinzen gesehen werden können. Ich befürchte, das war schon Schock genug für sie. Wir sollten sie nicht mit zu vielen Dingen belasten, sie haben schon zu viel durchgemacht und kämpfen gerade damit, nun schon wieder alleine unter Fremden zu sein.“ Gil-galad nickte. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, zu früh zu viele Erwartungen erfüllen zu müssen. „Ich möchte, dass Ihr ein genaues Auge auf sie habt. Ihr habt auch meine Ausbildung geleitet, ich sehe sie bei Euch in guten Händen. Doch sie sollten auch zur Schule gehen. Vielleicht hilft ihnen Kontakt zu anderen Kindern, sich hier wohler zu fühlen.“ „Eine gute Idee. Heute Abend werden auch die Lehrmeister anwesend sein, wir sollten nach dem Essen mit ihnen beraten, wie die Jungen unterrichtet werden sollten.“ Der König nickte und sah einer Weile einem Eichhörnchen zu, welches zwischen den Bäumen umhersprang, dann kam ihm ein Gedanke: „Wisst Ihr, wer der Ältere von beiden ist?“ „Ihr denkt an Eure Nachfolge, nicht wahr?“ Gil-galad betrachtete die Schriften in seiner Hand. „Es wird Krieg geben, ich wäre nicht der erste König, der im Krieg stirbt.“ Die Stimme des jungen Herrschers war fest und wenn er Angst vor dem Tod hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. „Ich bedauere, mein König. Ich weiß nicht, welcher der beiden älter ist.“ „Wir werden es ihnen nicht sagen, wenn sie es nicht wissen“, stellte Elros entschieden fest und wusch sich den Schaum aus den Haaren. „Wenn sie es nicht wissen, ist das ihr Problem, aber keiner von uns wird anders behandelt, nur weil er vielleicht König werden könnte.“ Elrond seufzte und betrachtete die Malereien an der Decke des Bads. Sie hatten den Diener weggeschickt, der das Wasser temperiert hatte und waren seitdem allein in dem marmornen Raum mit all den Tiegeln voller Seifen gewesen. Elros hatte an ein paar davon gerochen und sie ins Wasser gekippt, sodass dieses nun eine zartrosa Farbe hatte und nach Tannen und Rosen duftete. Elrond wollte ihn erst aufhalten, da er sich nicht sicher war, ob sie wirklich die Seifen benutzen durften, war dann jedoch so angetan vom entspannenden Geruch, dass er ihn machen ließ. „Sie wissen es doch vermutlich ohnehin. Wenn wir wirklich so wichtig sind, wie Círdan gemeint hat, wird sowas wahrscheinlich irgendwo aufgeschrieben worden sein.“ „Ja, in Sirion! Aber das ist niedergebrannt. Elrond, wenn sie es wissen, werden sie einen Unterschied zwischen uns machen. Möchtest du das?“ „Nein.“ Die Vorstellung auch noch von Elros getrennt zu werden, drückte schwer gegen seinen Magen, dennoch fügte er hinzu: „Auch wenn du kein schlechter König wärst.“ „Pah, und dann so komische Kleider tragen und auf 'nem großen Stuhl hocken und Reden schwingen? Wir sollten beide große Krieger werden, Elrond. Dann beschützen wir einfach Gil-galad so gut, dass es nie wichtig wird, wer von uns der Ältere ist und bleiben immer Seite an Seite!“ „Na ja, Gil-galad bräuchte nur ein Kind, dann wäre das auch egal...“ „Ich möchte dich ja nicht enttäuschen, mein lieber Bruder, aber das ist etwas, was wir ihm beide nicht geben können“, meinte Elros mit ernster Miene. Elrond stieß ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht. „Das hab ich auch nicht gemeint!“ Elros kicherte und lehnte sich gegen die Beckenwand zurück. „Man kann's hier schon aushalten, oder?“ Elrond nickte. Eine Weile saßen sie schweigend und genießend im Wasser, bis Elros aussprach, worüber Elrond nachdachte. „Hättest du gedacht, dass sie noch leben?“ Sein Bruder schüttelte den Kopf. Es war eine seltsame Vorstellung, dass ihre Eltern noch irgendwo da draußen waren. „Kannst du dich an sie erinnern?“ „Ein bisschen – aber meist nur, wie sie sprang.“ „Meinst du, sie hat gewusst, dass Maglor uns nichts tun wird?“ „Dann hätte sie uns nicht für tot gehalten“, stellte Elros trocken fest. Elrond nickte und stand auf. „Ist ja eigentlich auch egal, wer nach Valinor geht, kommt nicht zurück. Komm raus, unsere Haare müssen noch trocken bis zum Essen.“ Elros murrte etwas, folgte aber schließlich seinem Bruder, hoffentlich würde das Essen nicht so steif werden, wie ihr erster Empfang beim König. „...und Ihr sprecht nur, wenn man euch anredet“, beendete Círdan seine Anweisungen an die Jungen auf dem Weg die Treppen hinauf zum Kleinen Speisesaal. Als die großen Flügeltüren geöffnet wurden, musste Elrond sich unwillkürlich fragen, wie gewaltig der Große Speisesaal war, wenn man diesen hier klein nannte. Er befand sich ein Stockwerk unterhalb des Thronsaals jedoch mit Blick auf die Stadt und die Hügel dahinter. Eine große Tafel war in der Mitte des Raumes Gedeckt worden mit Platz für gut zwei duzend Personen, doch man hätte mit Leichtigkeit noch doppelt so viele am Tisch Platz nehmen lassen können. Im Moment, in dem sie eintraten, erhoben sich die anwesenden Elben und blickten sie gespannt an. Ein paar hatten die Jungen bereits bei ihrer Ankunft im Thronsaal gesehen, doch wurden sie ihnen nun erst durch Círdan vorgestellt. Im Rat waren Kriegsminister, Minister für Landwirtschaft, die oberste Heilerin, Lehrer, der Leiter der Bibliothek und viele weitere, deren Namen und Rang die Jungen zwar versuchten zu behalten, jedoch teilweise so ähnlich klangen, dass sie Schwierigkeiten hatten, sie auseinander zu halten. Ein paar jedoch waren recht einprägsam, unter ihnen Annael, ein Elb mit weißblondem Haar, der sich auf einen Stock stützte und ihnen als Lehrmeister der höheren Klasse vorgestellt wurde, Guilin, der oberste Heeresführer, der anders als die anderen Elben ein Kettenhemd unter seiner Kleidung zu tragen schien, und Oropher, ein Elb mit so heller Haut und Haaren, dass man ihn für ein Wesen aus Schnee hätte halten können. Den Jungen wurden Plätze am Ende der Tafel zugewiesen, gegenüber eines noch leeren, deutlich größeren Stuhls neben dem Guilin und Círdan saßen. Nachdem Círdan den letzten Anwesenden vorgestellt hatte, öffnete ein Page die Tür hinter dem leeren Platz und die Elben erhoben sich erneut, als Gil-galad den Raum betrat. Diesmal trug er keine Krone und auch sein Gewand war etwas einfacher, wenn auch deutlich aufwendiger bestickt, als das jedes anderen im Raum. Er schritt zu dem leeren Platz, ließ sich nieder, blickte in die Runde und erlaubte ihnen mit einem Nicken, sich ebenfalls zu setzen. Daraufhin öffneten sich eine weitere Tür an der Seite der Tafel und mehrere Diener brachten Teller mit Suppe und weitere mit Brot hinein, während einige die Gäste fragten, welchen Wein sie zum Essen wünschten. Als letztes wurden auch die Zwillinge gefragt, die sich unsicher ansahen. Bei Maglor hatten sie nie Wein bekommen, lediglich von dem wässrigen Bier durften sie trinken und auch dies nur in Maßen. „Nehmt den Rosé“, riet ihnen eine Elbin zu ihrer Rechten lächelnd. Die Jungen hörten auf sie und schon bald nach der cremigen Suppe folgte ein Zwischengang mit etwas Tatar auf einem einzelnen Salatblatt. Die Gespräche am Tisch hatten sich zunächst um die Aussaht gedreht, dann die Frage, wie schnell man eine bestimmte Kompanie von Fußsoldaten zu berittenen Streitkräften ausbilden konnte und ob dies sinnvoll sei, doch schließlich wandte sich die Aufmerksamkeit den Zwillingen zu. Sie wurden gefragt, wie sie nach Balar gelangt waren und sie berichteten über ihre Schifffahrt den Gelion hinab bis zum Meer und letztendlich wieder hinauf nach Balar. „Die Feanorer müssen eine recht große Flotte haben, wenn sie ihr gesamtes Volk mit ihr aus dem Gebirge evakuieren konnten“, stellte Guilin fest. Gil-galad nickte und sah die Jungen ernst an. „Wie groß ist die Flotte der Feanorer?“ Elros, der bis vorhin noch hauptsächlich berichtet hatte, schwieg nun. Er war sich nicht sicher, ob sie so etwas verraten sollte, doch Elrond hielt es für klüger, dem König eine Antwort nicht völlig schuldig zu bleiben: „Groß genug.“ Ein Elb atmete scharf ein, ein anderer, der bisher tief in seinem Sitz zurückgelehnt gesessen hatte, setzte sich auf, um Elrond besser sehen zu können, der rasch begriff, dass seine Antwort durchaus frecher klingen konnte, als sie gemeint war. Gil-galad sah den jungen Elben einen Moment überrascht an, dann lächelte er anerkennend. Er sah aus, als wollte er etwas erwidern, wurde jedoch von den sich öffnenden Türen unterbrochen, durch die die Diener nun den Hauptgang brachten, Lachsfilet auf Zitronenreis. Als alle ihre Speisen bekommen hatten, richtete Annael das Wort an die Jungen. „Wie seid ihr bisher unterrichtet worden?“ „Maglor hat uns unterrichtet und manchmal hat Maedhros mit uns trainiert, wenn er zu Besuch kam“, berichtete Elros. „Und was habt ihr gelernt? Welche Fächer hattet ihr?“ „So ziemlich alles eigentlich.“ Unsicher sah Elros zu Elrond, der sich ebenfalls nicht sicher war, was Annael mit Fächern meinte. „Wir lernten Lesen und Schreiben, Musik, Reiten, Kämpfen und vieles anderes Nützliches“, fügte er hinzu. „Was ist mit Rhetorik? Geschichte? Kriegsführung? Diplomatie?“ Die Zwillinge sahen sich unsicher an. Hätten sie das alles lernen sollen? Was war überhaupt Rhetorik? Und wie erlernte man Diplomatie? „Also... wir haben Geschichtsbücher gelesen...“, Elros blickte in die Runde und kam sich auf einmal sehr fehl am Platz vor, zwischen den feinen Elben in ihren weiten Gewändern mit den kleinen Portionen auf den blanken Tellern. Er wollte wieder zu Maglor und die wunderbar gegarten Hirschrippchen mit bloßen Händen am Kamin verputzen. Elrond betrachtete lieber sein Weinglas. Er mochte den Wein nicht besonders, doch jetzt spürte er auf einmal, wie er ihm die Hitze auf die Wangen trieb, oder war es nur das Gefühl, viel dümmer zu sein, als alle anderen im Raum, die ihm die Schamesröte ins Gesicht malte? Am liebsten wäre er gegangen. „Nun, vielleicht könnt ihr vieles von dem schon, ohne es zu wissen.“ Círdans Stimme war mild und hatte etwas Beruhigendes, umso mehr, als er das Thema auf etwas Anderes lenkte: „Wo wir gerade von Schiffen redeten, unsere drei Flaggschiffe brauchen neue Takelagen und ich fürchte, dass der Rumpf der Morgenröte zu große Schäden genommen hat, um noch repariert zu werden.“ Während der nächsten beiden Gänge wurden die Zwillinge nicht weiter beachtet, während es um irgendwelche kleineren Staatsprobleme ging. Erst als sie den Nachtisch beendet hatten, wandte sich Círdan wieder an sie: „Elros, Elrond, es ist spät. Ab morgen werdet ihr die Schule besuchen. Geht nun zu Bett.“ Dankbar, keine weiteren Fragen beantworten zu müssen, verabschiedeten sich die beiden Jungen, so wie Círdan es ihnen vorher erklärt hatten. Gil-galad blickte wieder in den Rat, als sich die Tür hinter ihnen schloss. „In welche Klasse sollen wir sie schicken?“ Die Lehrerin der jüngsten Elblinge räusperte sich: „Sie sind vom Alter her eigentlich in der untersten Stufe aufgehoben, doch sind sie deutlich schneller gealtert, als es Elbenkinder für gewöhnlich tun und wären wohl wenig begeistert, mit halb so großen Elblingen zu lernen. Auch die mittlere Stufe wirkt jünger als sie, doch scheint ihnen Erhebliches an Wissen zu fehlen, um sie in die oberste Stufe zu schicken, auch wenn sie äußerlich dorthin gehören.“ „Es ist schwierig mit ihnen“, stimmte Annael zu. „Doch ich glaube, sie würden sich mit Elblingen, die ihrem äußeren Alter entsprechen ernst genommener fühlen, als wenn wir sie zu den jüngeren schicken. Natürlich müssten sie viel nachholen, doch die Art, wie der eine von ihrer Fahrt berichtete, scheint mir durchaus auf Potential zu deuten. Ich unterrichte die oberste Klasse und bin gerne bereit, mich ihrer anzunehmen, wenn sie gewillt sind, hart zu arbeiten und ihre Lücken zusätzlich zu füllen.“ „Ist es nicht schon schwierig genug für sie, hier neu anzukommen? Sollten wir sie dann wirklich mit noch mehr Inhalten, als die oberste Klasse ohnehin schon hat, beladen?“, warf ein anderer Elb ein. „Und wir vergessen etwas Entscheidendes“, begann Guilin. „Die oberste Klasse wird in nicht allzu ferner Zeit soweit sein, dass auch sie in den Krieg ziehen können. Die beiden mögen mit Maedhros trainiert haben, doch würde es mich wundern, wenn sie mit Klassenkameraden, die drei Jahrzehnte länger trainieren konnten, mithalten können. Zudem wäre es nicht klug, sie in den Krieg ziehen zu lassen, sie sind immerhin die einzigen Erben nach euch, Eure Gnaden.“ „Aber ist nicht genau das eine Chance?“, warf Círdan ein. „Wenn ihre Klassenkameraden in den Krieg ziehen, können die beiden in der Zeit alles nachholen, was sie sich bis dahin nicht erarbeiten konnten. Die mittlere Klasse wird dann noch nicht soweit sein, dass Meister Annael sie übernimmt, und er kann selbst nicht mehr kämpfen, er hätte somit die Zeit sich um sie zu kümmern und wüsste bereits, wo die beiden stehen, wenn sie seine Klasse zuvor schon besucht haben.“ Gil-galad dachte über die Vorschläge und Einwände nach, stimmte aber letztendlich Círdan zu. „Die beiden werden in die oberste Klasse gehen, aber nicht mit ihr kämpfen, wenn sie soweit ist. Círdan, teilt dies den Jungen mit.“ Er erhob sich und der Rat tat es ihm gleich. „Das genügt für heute.“ Verabschiedete er sich und verließ den Raum in Richtung seiner Gemächer, in Gedanken noch immer bei den Zwillingen. Sie waren ihm sympathisch. Elros konnte interessant erzählen, auch wenn er dabei, für den Geschmack einiger Ratsmitglieder, etwas zu gefühlsbetont gewesen war. Er wirkte ungestüm und irgendwie wild, doch hatte er anscheinend bereits gelernt, wann er besser schwieg, als das Falsche zu sagen. Sein Bruder war völlig anders, auch wenn die beiden sich äußerlich ähnelten, wie zwei Schalen eine Walnuss. Elrond war ruhiger und zunächst hatte er ihn für eingeschüchtert gehalten, doch hatte er nun das Gefühl, dass Elrond vielleicht einfach lieber nur dann sprach, wenn er es für nötig hielt, was neben einem recht gesprächigen Bruder einfach seltener der Fall war. Wenn er die Zeit fand, wollte er morgen sehen, wie sie sich beim Waffentraining schlugen. Er war gespannt darauf zu sehen, ob Maedhros' Training sie nicht doch ihren Klassenkameraden ebenbürtig gemacht hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)