Nur durch dich von Daelis ================================================================================ Kapitel 3: Der Weiße Drache mit eiskaltem Blick ----------------------------------------------- Kisara strahlte. Dass der blasse Mann, der sie heute gerettet hatte, sich ihr bereits ebenso nahe fühlte wie ihr Seto, berauschte sie förmlich. Sie wollte, dass er blieb und war beinahe froh darüber, ihn nicht mit dem Priester teilen zu müssen, dem sie doch eigentlich uneingeschränkt vertraute. Wieso das so war, war ihr jedoch unverständlich. Doch wann immer sie einen Blick auf den hochgewachsenen Mann warf, dann wusste sie einfach, dass er ein Teil ihres Lebens sein musste und dass sie bereit wäre, ihm blind überall hin zu folgen, gleich, was dies für sie bedeutete. Andere hätten dieses Gefühl Liebe genannt, doch Kisara wusste es besser. Sie liebte Seto Kaiba nicht. Das war es nicht. Vielmehr verehrte sie ihn, fühlte sich als Teil von ihm und wollte nichts im Gegenzuge, als in seinem Schatten gehen zu dürfen, den Blick zu ihm gewandt. Allein in seiner Präsenz zu baden, die ihr einen Schauer durch Mark und Bein zu jagen vermochte, wann immer er in ihre Richtung sah, erfüllte sie mit einem Gefühl freudiger Erwartung. Was sie allerdings erwartete, war ihr selbst nicht klar. Die Zeit würde es zeigen. Wichtig war fürs Erste nur, dass er hier war und vielleicht ein Weilchen bliebe. Wenn er dann wirklich ginge, zurück in seine Heimat, dann würde sie mitgehen. Wer konnte es ihr schon verbieten? Priester Seto würde es nicht, das wusste sie genau. Er schätzte sie, war ihr Freund und ohne Frage wollte er das Beste für sie. Wenn Kisaras größter Wunsch wäre, Seto Kaiba zu dienen, dann würde er sie nicht aufhalten. Das durfte er einfach nicht. Kisara wusste, es mochte zu einem guten Teil Wunschdenken sein, aber sie wollte daran glauben, dass Seto ihren Wunsch respektieren würde, wenn es soweit war. Bis dahin würden die beiden Setos ja vielleicht sogar Freunde! "Dieser junge Mann sieht Priester Seto wirklich außergewöhnlich ähnlich", kommentierte Salama, keinen Hehl aus ihrer Verwunderung machend, während sie Kisara abtastete, die leicht zusammenzuckte, als die Heilerin des Tempels eine besonders unangenehme Blessur fand, die sich bereits blauviolett verfärbte. "Oh du meine Güte! Das sieht wirklich nicht gut aus. Du kannst wirklich von Glück sagen, dass dich... wie heißt er überhaupt?" "Seto", erwiderte Kisara leise. "Sein Name ist Seto Kaiba und er kommt von sehr weit her aus einer Stadt namens Domino City." Salama runzelte nur die Stirn. "Davon habe ich noch nie gehört. Seto also? Genau wie der hohe Priester? Welch ein Zufall, wo sie sich doch auch so ähnlich sehen! Und sie sind ganz bestimmt nicht verwandt?" Kisara schüttelte den Kopf, während Salama sich daran machte, die einzig offene Wunde, einen Kratzer an Kisaras linkem Bein, mit einer Salbe einzustreichen und dann zu verbinden. "Das hätte schlimm ausgehen können." Etwas lauter fügte sie hinzu: "Ihr habt meinen Dank, Seto Kaiba. Kisara ist ein gutes Mädchen und ich bin froh, dass Ihr sie beschützt habt." Der Blick der klugen Frau blieb jedoch auch an dem weißen Kleidungsstück hängen, welches noch immer über Kisaras Schultern hing, weil die Weißhaarige die Finger in dem Stoff vergraben hatte, als fürchte sie, man nehme es ihr ab. Mit einem Nicken gen Kisara beendete sie ihre Behandlung. "Ich bringe euch erst einmal eine Kleinigkeit zu essen. Doch sagt, Fremder, wie können wir Euch Eure Hilfe vergelten?" Sie sah zu dem sandfarbenen Vorhang, hinter der sie die schattenhaften Umrisse Seto Kaibas erahnen konnte. Er hatte ihnen wohl den Rücken zugewandt. "Antworten", fiel seine Antwort knapp aus. "Es gibt vieles, das ich über diesen Ort hier noch nicht weiß." Kisara schämte sich ein wenig dafür, doch sie war froh, als Salama ging und sie dafür zu Seto hinter den Vorhang trat. Sein Geruch stieg noch immer von seinem Mantel auf, sodass es sich für sie beinahe so anfühlte, als hielte er sie im Arm, als wäre sie ihm, ihrer Bestimmung ganz nah. Nur wenige Schritte teilten sie jetzt. Sie bräuchte nur die Hand ausstrecken und sie könnte ihn berühren, könnte die Wärme seiner Haut spüren, die einen Gegensatz zu der Kälte darstellte, die in seinem Blick lag. Ein Blick, der im Augenblick nicht ihr galt, sondern etwas in seiner Hand. Neugierig blickte sie über seine Schulter, doch er schloss das Medaillon eilig, sodass sie nur einen kurzen Blick auf das Bildnis eines Jungen werfen konnte. "Mein Bruder", erklärte Seto kurz angebunden. "Er sieht sehr freundlich aus. Ich würde ihn gerne kennenlernen." Sie sprach es nicht laut aus, doch in ihren Worten lag noch viel mehr. Sie wollte ihn kennenlernen, wollte Teil eines Lebens, seiner Welt werden. Sie wollte, dass er erkannte, dass sie beide ein unsichtbares Band verband, das das Schicksal selbst gewoben haben musste. Denn nicht anders konnte sich Kisara erklären, dass es sie so zu Seto hinzog, diesem Fremden, der ihrem Seto so ähnlich war und doch so ganz anders. Seto Kaiba schien eine Kälte und Stärke innezuwohnen, die dem Priester fehlte und die sie wie magisch anzog. So sehr, dass sie am liebsten seine Hand ergriffen hätte. Dieser Mann war ihr Schicksal. So musste es sein. Und sie wollte sich nicht wehren, ganz im Gegenteil. Nur zu gerne wollte sie dem stummen Ruf folgen und sich voll und ganz dem ergeben, was Seto Kaiba ihr bereitete. Verlangte er, dass sie zum Schwert griff, um für ihn zu kämpfen, sie täte es ohne zu zögern, obgleich sie weder eine Klinge zu führen wusste, noch einen Menschen angreifen oder gar töten wollte. "Das ist sehr unwahrscheinlich", holten Setos kühle Worte Kisara zurück in die Realität. So viel Nähe, wie sie empfand, so distanziert und kalt schien ihr Seto zu sein, was sie wiederum nur noch mehr anzog. Sie wollte keinen Blick durch das Eis werfen, sie wollte Teil dieses Eises sein, sein Schild, seine Waffe oder was immer er brauchte. Sie wollte es nicht nur, sie war überzeugt davon, dass es genau so sein musste. Daran konnten weder sie noch er etwas ändern. Er ließ den Anhänger um seinen Hals los und legte die Hand stattdessen an den einzig anderen, ihm wichtigen persönlichen Besitz, den er durch die Zeit mit hierher gebracht hatte: Sein Duel Monsters Deck. Kisaras Blick folgte seiner Geste. Sie fragte nicht sofort und Seto hatte nicht vor, von selbst eine Erklärung zu liefern, doch ehe er sich entscheiden konnte, sie am besten zuerst danach zu fragen, wer gerade herrschte und wie das Land regiert wurde, ergriff die weißhaarige Frau das Wort doch noch. "Was trägst du da bei dir?" Setos Miene verzog sich kurz, dann zog er den Stapel Karten aus der kleinen Tasche an seinem Gurt. "Sind das Spielkarten?" Kisara klang aufrichtig erstaunt. Seto hingegen war eher erstaunt, dass sie solche kannte. Papier gab es, soweit er das bisher hatte beobachten können, nur in Form von Papyri. Die hingegen standen in großen Rollen in hohen Vasen überall hier im Raum. "Ja. Das Spiel heißt Duel Monsters und ist überaus beliebt dort, wo ich herkomme", erklärte Seto und fuhr ganz ohne übermäßigen Stolz fort: "Ich bin einer der amtierenden Champions." So sehr die junge Frau auch vor Bewunderung strahlte, war ihm doch klar, dass sie die Bedeutung seiner Worte kaum ermessen konnte. Berühmtheit in dem Maße, wie er sie erfuhr, war in Zeiten wie diesen schlicht unmöglich, in denen es weder Kameras noch Internet gab, Nachrichten wochenlang reisten und viele Menschen weder lesen noch schreiben konnten. "Darf ich sie sehen?" Diese Frage überraschte Seto zwar, aber warum nicht? Dennoch zögerte er etwas, als er den Stapel Karten in die Hände Kisaras legte, die das Deck entgegennahm, als wäre es nicht nur etwas überaus kostbares, sondern könnte womöglich zerbrechen, wenn sie nicht behutsam war. Es fiel ihm nicht leicht, dieses Deck aus der Hand zu geben. Es hatte sein Leben nicht unmaßgeblich beeinflusst, hatte ihn immer weiter vorangetrieben. Allen voran natürlich die weißen Drachen mit eiskaltem Blick, die das Herzstück seines Decks bildeten. Über eine eben jeder Karten wanderte nun auch Kisaras Blick, der jetzt nicht mehr neugierig war, sondern unverkennbar erschrocken. Seto zog den für ihn naheliegendsten Schluss. Sie hatte keine Monsterabbildungen, sondern Menschen oder Motive erwartet. "Es ist ein Spiel, in dem Monster gegeneinander kämpfen", erklärte er ihr knapp. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Vor ihren Augen schien die Realität zu verschwimmen. Sie merkte, dass sie den Atem anhielt. Die Kreatur, die auf Seto Kaibas Karte abgebildet war, war unverkennbar der Weiße Drache mit eiskaltem Blick, eben jene Bestie, die in ihrer Seele verborgen war, die ein Teil von ihr war. Wie konnte das sein? Auf diese Frage fand sie einfach keine Antwort und doch... wie hätte es nicht so sein können? Vielmehr machte es perfekt Sinn. Setos Stimme erreichte sie nur wie durch einen Schleier und erst, als er ihren Namen nannte, merklich irritiert ob ihrer Reaktion, gelang es Kisara, den Blick von der Karte zu lösen. "Diese Karte", begann sie zögerlich und strich beinahe zärtlich über die bunte Farbe auf der Karte. Der Weiße Drache mit eiskaltem Blick. Von allen Monstern, die oben auf diesem Stapel hätten liegen können, war es ausgerechnet dieses. Von allen Motiven dieser Welt, war es dieses, das Seto Kaiba bei sich trug. Nein, ein Zufall konnte das nicht sein. Niemals. Kisara verstand nicht viel von Vorhersehung oder Schicksal, doch das hier konnte sie unmöglich ignorieren. "Dieses Monster ist...", rang sie mit den Worten und konnte doch nicht die richtigen finden. Wie sollte sie Seto nur erklären, was diese Kreatur ihr bedeutete? Die meisten Menschen flohen schon bei der Erwähnung, das ein Monster in ihr wohnte, selbst, wenn sie nicht erfuhren, was für eine mächtige Bestie es war. Wie würde Seto reagieren, wenn sie ihm offenbarte, dass sie in gewisser Weise dieser Drache war? Würde er sie dann auch Hexe schimpfen und sich von ihr abwenden? Das könnte sie nicht ertragen. Nein. Sie gehörten zusammen. Sie mussten zusammen sein. Um jeden Preis. Wenn sie nur die Chance bekäme, sich zu erklären, dann könnte sie ihm sicher klar machen, was es bedeutete, dass er diese Karte besaß und sie beide sich getroffen hatte. Sie war diese Bestie, war der Quell ihrer Macht und sie würde diese Macht voll und ganz in seinen Dienst stellen, würde sein Weißer Drache mit eiskaltem Blick sein, jedem Befehl folgen. Sie würde ihm gehören und an seiner Seite sein bis zu ihrem letzten Atemzug. Das musste sie einfach. Anders durfte es nicht sein. Sie beide gehörten zusammen, sie gehörte zu ihm. Dass sie sich dabei selbst ganz klar als Setos Untergebene einordnete, erfüllte Kisara mit Stolz, nicht mit Scham, wie es den meisten Menschen wohl ergangen wäre. Doch sie konnte keine Scham darin erkennen, sich einer so entschlossenen, starken Person unterzuordnen. Ihn würde sie als Meister anerkennen, ihn und nur ihn. Niemanden sonst. Sie hatte so viele Abgründe menschlicher Seelen erlebt, war geschlagen und getreten worden, doch Hochachtung und Ehrfurcht hatte sie dabei nie empfunden. Vielmehr Abscheu oder Mitleid. Ganz anders war es bei Seto, der sie gerettet hatte, bewiesen hatte, wie wenig er sich bereit war, irgendjemandem zu fügen. Er hatte Stärke bewiesen, Entschlossenheit, Willenskraft. An seiner Seite zu stehen, ihm zu dienen, war eine Ehre und sie sehnte sich danach. "Der Weiße Drache mit eiskaltem Blick." Kisaras Herz machte einen Satz. Er kannte den Namen der Kreatur. Er kannte... ihren Namen, schließlich waren sie und der Drache eins. Sie sah zu Seto Kaiba auf, der ihr das Deck und damit auch die Karte aus der Hand nahm, die sie niemandem sonst überlassen hätte. "Dieses Monster ist etwas Besonderes", erklärte der brünette Mann kurz angebunden und ließ damit bereits ahnen, dass er nicht hatte, das Thema zu vertiefen. Doch das brauchte er auch nicht. Kisaras Welt war längst in den Grundfesten erschüttert. Bis sie Seto getroffen hatte, hatte sie fest daran geglaubt, dass es ihre Bestimmung wäre, dem Priester Seto zu helfen, nachdem dieser ja auch sie gerettet hatte. Sie waren Freunde geworden, sie vertrauten einander. Er hatte ihr ein Heim gegeben und Sicherheit, sie hatte ihm bereits einmal die Kraft des Weißen Drachen geliehen und bereute dies auch jetzt nicht. Das alles ließ sich nicht leugnen, doch es verblasste neben der Anziehung, die Seto Kaiba auf sie ausübte. "Etwas Besonderes?", hörte sie sich fragen und ihr Herz raste. Sie war etwas besonderes. Auch wenn er es wohl noch gar nicht bemerkt hatte, er hatte sie indirekt bereits anerkannt, nicht wahr? Hoffnungsvoll suchte sie den Blick des hochgewachsenen, jungen Mannes. "Ja. Ich habe mein Deck auf ihn ausgelegt. Er ist eines der stärksten Monster im Spiel und gewissermaßen mein Erkennungsmerkmal", erklärte er beinahe ausweichend, als müsse er irgendein Detail verschweigen, doch Kisara kümmerte das nicht. Was immer er bereit war, ihr zu geben, wollte sie nur zu willens nehmen und wenn er etwas nicht mit ihr teilen wollte, stand es ihr, als seiner Untergebenen nicht zu, mehr zu verlangen. Wichtig war in diesem Moment nur, was er gesagt hatte. Sie war etwas Besonderes. Sie war sein Erkennungsmerkmal. Sein! Ganz speziell seines. Ein Teil von ihr wagte kaum zu atmen vor Aufregung und Anspannung. "Und du fürchtest ihn nicht?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)