Je ne regrette rien von Memaiko ================================================================================ Prolog: Die Ruhe vor dem Sturm ------------------------------ „Wow!“, entfuhr es Roxas, als er seinen Blick über das in Honig getauchte Panorama schweifen ließ. Die blutende Sonne vergoldete in ihren letzten Atemzügen den Himmel und die Wolken, ließ ihr sterbendes Licht über die pulsierende Metropole gleiten und schenkte ihr im Angesicht des nahenden Untergangs ein klein wenig Glanz. „Im richtigen Licht kann sogar so etwas Abstoßendes wie dieses Drecksloch hier eine gewisse Schönheit zeigen“, meinte Axel grimmig und ließ sich auf dem sonnenwarmen Dach nieder. Xion setzte sich langsam neben Roxas hin, ohne auch nur einmal ihre Augen von dem Naturspektakel vor ihr abzuwenden. „Es ist wunderschön“, hauchte sie ehrfürchtig. Sie zuckte zusammen, als etwas Eiskaltes ihre Wange berührte. „Hier! Geht aufs Haus.“ Roxas nahm das angebotene Eis aus Axels Hand entgegen und packte es mit Fingerspitzen aus. „Was ist das für 'ne Sorte?“ Er drehte das türkise gefrorene Wasser am Stil einmal um die eigene Achse und betrachtete es misstrauisch. „Meersalzeis. Keine Ahnung wie's schmeckt.“ Axel biss probehalber in die Süßigkeit und spuckte den Eisklumpen prompt wieder aus. „Bäh, das ist ja salzig!“ „Ach echt?“, lachte Xion und nibbelte an ihrem Eis. „Salzig. Aber irgendwie auch süß. Ich weiß ja nicht, aber mir schmeckt es.“ „Nun“, meinte Roxas und schluckte mit verzerrtem Gesicht seinen Bissen herunter, „das erste Mal schmeckt es ein wenig widerlich, aber man gewöhnt sich an den Geschmack.“ Axel warf seinem Freund einen skeptischen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Hey, wisst ihr eigentlich, warum der Sonnenuntergang rot ist?“ Anscheinend war es eine rhetorische Frage, denn Axel wartete auf keine Antwort, sondern fuhr unbeirrt fort: „Licht besteht aus einer Vielzahl an Farben. Und Rot ist die Farbe, die den weitesten Weg zurücklegt.“ Er ließ das Gesagte bedeutungsschwanger in der Luft hängen, doch Roxas nahm dem Ganzen die Magie mit einem leisen: „Ja und?“ Xion lachte, als Axel verdutzt auf seine zwei jungen Freunde herabblickte. „Ich wette, die Erklärung hast du dir nur ausgedacht, weil Rot deine Lieblingsfarbe ist!“ „Nein“, erwiderte Axel mit gespielter Empörung, „zufällig bin ich eben einfach schlauer als ihr beiden. Und wie kommst du bitte drauf, dass Rot meine Lieblingsfarbe ist?“ Xion deutete grinsend auf die stachelige Mähne des anderen. „Sonst würdest du deine Haare doch nicht ständig feuerrot färben, hm?“ „Das ist ja wohl-!“ Axel verschränkte die Arme vor der Brust. „Die sind von Natur aus so! Alles an mir ist echt, 100% Axel-Goodness!“ „Wenn du das sagst“, erwiderte Roxas in einem neckendem Singsangton, der seinen Freund stutzig machte und Xion erneut in Gelächter ausbrechen ließ. Für einen kurzen Moment ließen die drei Stille einkehren und genossen die letzten Momente im Zwielicht, während sie ihr Eis verspeisten. „Glaubt ihr, wir bleiben für immer Freunde?“ Axel und Xion sahen verwundert zu dem blonden Jungen, der zwischen ihnen saß und gedankenverloren die Beine baumeln ließ. „Woher kam denn das auf einmal?“ Axel verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, legte sich zurück nach hinten auf seinen Rücken und wandte dem rötlich-violetten Himmel über ihm, auf dem sich bereits die ersten Sterne zeigten, sein Gesicht zu. „Ich weiß nicht. War nur so ein Gedanke.“ „Das kann man vorher nie genau sagen, Roxas. Vieles kann sich mit der Zeit ändern. Freundschaften zerbrechen. Neue entstehen.“, murmelte Axel, ein bitterer Unterton in seiner Stimme mitschwingend. Xion kaute nachdenklich auf ihrem Eisstab herum. „Du magst vielleicht Recht haben, Axel“, sagte sie, „aber ich weiß, dass ich mein Bestes versuchen werde. Sollten wir uns irgendwann einmal entfremden...“ Sie drehte sich zu ihren beiden Freunden und schenkte ihnen ein warmes Lächeln. „...dann erinnern wir uns einfach wieder an diesen Moment hier und machen das exakt selbe: Wir essen zusammen ein Meersalzeis und quatschen, bis es Nacht wird.“ Der Rothaarige lachte auf. „Hört sich nach einem Plan an. Aber muss es denn wirklich das selbe salzige Zeugs sein? Wie wär's mit Erdbeereis beim nächsten Mal?“ „Nee, Meersalzeis ist ab jetzt eine Tradition!“ „Pff, wer hat das denn entschieden?“ „Ich! Und Roxas stimmt mir zu, nicht wahr?“ Der Junge nickte der Schwarzhaarigen neben sich enthusiastisch zu. „Hey, ich hab 'ne Idee!“ Axel richtete sich plötzlich in einem Ruck auf, sodass Roxas und Xion fürchteten, er würde gleich vom Dach fallen. Stattdessen hielt er ihnen seine Faust entgegen, den kleinen Finger in die Luft gestreckt. „Wir machen ein Versprechen. Na los!“ Axel grinste den beiden Jüngeren entgegen, als sie es ihm gleichtaten und ihre kleinen Finger ineinander verhakten. „Von diesem Tage an sind wir beste Freunde für immer. Möge kommen was wolle, wir halten zusammen. Und wenn nicht-“ „Dann kauft uns Axel Eiscreme!“, platzte Roxas hervor und brachte seine zwei Freunde dazu, herzhaft zu lachen. Wie lang schien dieser Tag in seiner Erinnerung zu sein? Wie kostbar jeder einzelne Augenblick? Roxas wünschte sich wieder diese Tage mit Xion und Axel herbei. Wünschte sich aus vollstem Herzen die warmen Sommerabende zurück, versüßt durch Eiscreme und federleichten Worten. Insgeheim hatte er natürlich gewusst, dass diese schöne Zeit irgendwann einmal enden würde. Bloß hatte er nicht mit einem solch jähen Ende gerechnet. - - - „Warum du?“ Roxas sah auf den Jungen hinab, drückte die Waffe noch ein wenig fester an dessen Hals, sodass der andere erschrocken die Luft einzog. „Warum gerade du? Was hast du, was ich nicht habe?“ Der Hass – all die Jahre aufgestaut - färbte seine Sicht rot, ein Alarmsignal, ein Aufruf zur Aggressivität. „Warum darfst du existieren“, brachte Roxas zitternd hervor und sah Sora in die Augen, „und warum ich nicht?“ - - - Kapitel 1: Es irrt der Mensch, solang er strebt ----------------------------------------------- Es war ein lauer Sommerabend und die ersten Nachtschwärmer zogen aus in die Unterhaltungsviertel der großen Stadt. Menschen, die Ablenkung vom schnöden Lebensalltag suchten, von ihren banalen Problemen und der omnipräsenten Ennui, welche ihr Dasein wie penetranter Staub heimsuchte. Die grellen Neonlichter versprachen Abwechslung und Aufregung. Geheimnisse, die sich hinter den schweren Satinvorhängen der Bordelle und unter den Tischen der rauchumwaberten Tavernen abspielten, wollte man daheim im gewöhnlichen Alltag bei Kind und Kegel lieber unter den Mantel des Schweigens hüllen. Obwohl sie es doch eigentlich besser wussten, zog das Rotlicht die Leute an wie die Motten, in Scharen zogen sie durch die nächtlichen Gassen und ergötzten sich an dem Nachtleben, an all seinen sündhaften Vergnügen und unwiderstehlichen Versuchungen. Hörte man sich ein wenig bei den nächtlichen Vagabunden nach den besten Orten, seine Zeit und sein Geld zu verschwenden, um, so bekam man unter anderem rasch den Namen 'Tredecim' mit. Gegrölt wurde der Name von jenen, die das ominöse Etablissement für seine angenehme Atmosphäre und ausgezeichnete Verpflegung rühmten, geflüstert wurde er hingegen von den anderen, die andere Dienste als nur hirnlose Sauferei und charmante Gastgeber mit ihm verbanden. In jedem Fall stand fest, dass die Bar in der Seitengasse der Sunset City eine kleine Berühmtheit war: Tagaus wie tagein wurde sie besucht, wurde fleißig getrunken, gelacht, geschäkert. Das 'Tredecim' war die Anlaufstelle für Menschen, die genug von der Weltansicht und der Welt an sich hatten und ihre Sorgen in Fusel ertränken wollten. Aber nicht nur flüssige Ablenkung bot es, nein, vielmehr suchte man Ablenkung im schillernden Personal der Bar. Unterhaltungsprogramme versprachen Entertainment für die Gäste, cleveres, innovatives und kreatives Entertainment, welches sie in den Rotlichtvierteln, die auf traditionelle Triebbefriedigung setzten, einfach missten. So wurde hauseigens für Musik gesorgt, Taschenspielertricks neben Bier und Whiskey gezeigt, Poker mit den Gästen gespielt und zirkusreife Spektakel auf der kleinen Bühne am einen Ende des Geschäftsbereich aufgeführt. Auch heute war keine Ausnahme – ganz im Gegenteil - denn eine spezielle Darbietung sollte an jenem Tage Interessenten aus allen dreckigen Ecken und Löchern der Riesenmetropole ins 'Tredecim' locken. Die Geburt eines neuen Sterns. Vormals lautes Stimmengewirr verstummte zu leichten Vibrationen der Luft, als ein Mädchen von der einen Seite auf die Bühne trat und sich vor dem Gitarristen stellte. Jener junge Mann mit dem blonden Vokuhila hatte gerade noch mit geübten Fingern die Saiten seines Instruments gestimmt und machte es sich nun auf dem Hocker auf der Bühne bequem, nickte ihr zu. Das Startsignal. Das Mädchen umfasste das Mikrofon vor ihr, sanft strichen ihre Lippen über die schwarze Oberfläche. „Fly me to the moon And let me play among the stars Let me see what spring is like on Jupiter and Mars“ Sie breitete leicht die Arme aus und schloss kurz die Augen, um sich komplett im Rhythmus der sanften Gitarrenklänge zu verlieren. Als sie ihre Stimme abermals zum Singen hob, war es ihr, als ob da jemand anderes an ihrer statt singen würde. Als würde eine andere, übernatürliche Kraft ihre Stimmbänder zum Schwingen bringen und die Melodie durch die stickige, rauchgeschwängerte Luft der Bar tragen. „Fill my heart with song And let me sing for ever more You are all I long for All I worship and adore“ Als sie einen flüchtigen Blick durch die Menge der Besucher schweifen lies, bemerkte sie, wie unzählige Augenpaare gebannt auf sie gerichtet waren. Unter normalen Umständen hätte Xion vor Scham das Weite gesucht. Nun aber würde sie nichts aus der Ruhe bringen können. So lange sie singen konnte, konnte sie auch ihre Furcht vor dem Rampenlicht und den unbekannten Menschen vergessen. „In other words, please be true“ „In other words...“ Ihre Stimme ging in ein Wispern über, ein letzter melodischer Ton für diesen Abend. „I love you“ Durch die Bar dröhnte schallender Applaus, manche saßen mit geöffneten Mündern da, manche waren aufgestanden und andere riefen nach einer Zugabe. Wie aus einer Trance erwacht schüttelte das Mädchen den Kopf und blinzelte. So viele Leute. Sie hatte vor so vielen Leuten gesungen? Die Besucher riefen durcheinander, ein undurchdringliches Stimmengewirr verschiedener Oktaven, welches Xions Kopf schummrig werden lies. Sie tat einen zögerlichen Schritt nach hinten und suchte in der Masse an jubelnden Leuten nach den zwei Personen, denen sie dieses Lied eigentlich gewidmet hatte. Blaue Augen huschten über unzählige Köpfe und blieben schließlich an zwei Gestalten in dem Meer an Fremden hängen. Da! Da standen sie und grinsten ihr entgegen. Die stacheligen roten Haare stachen geradezu aus der Masse hervor und dicht neben dem jubelnden Träger der Mähne - ein wenig verdeckt von den größeren Gästen – stand ein blonder Junge, der enthusiastisch in die Hände klatschte. Xion lächelte erleichtert. Allein der Anblick ihrer zwei Freunde ließ die metaphorischen Steine auf ihrer Brust wieder leichter werden und die Panik ebbte langsam ab. „Du bist ziemlich gut, muss ich schon sagen!“, erklang eine jugendliche Stimme hinter ihr und sie drehte sich halb zu ihrem Gitarristen um. „Meiner Meinung nach sogar besser als Larxene, aber sag ihr das ja nicht! Ich will meinen Kopf noch behalten!“ Demyx hielt ihr grinsend einen Daumen in die Luft. Xion bedankte sich zögerlich und spürte, wie sie von all dem Lob ganz rot geworden war. Hastig hielt sie sich die Hände an die glühenden Wangen und versuchte, sich von dem überwältigenden Anblick zu fangen. Scheu schritt sie von der Bühne und bemerkte gerade noch einen blonden Schopf, der sich durch die Menge einen Weg zu ihr bahnte. „Das war einfach unglaublich, Xion!“ Roxas griff voller Freude nach den Händen des Mädchens und strahlte ihr entgegen. „Ich hab dich ja mit Demyx oft üben hören, aber das war besser als jede Probe!“ Sie spürte eine Hand, die sich auf ihre Schulter legte, gefolgt von der vertrauten Stimme Axels. „Dem kann ich nur zustimmen! Aber vergiss uns ja nicht, wenn du mal ein berühmtes Popsternchen wirst! Kannst du dir das merken?“ „Aber natürlich“, erwiderte das Mädchen lächelnd, „Wie könnte ich euch zwei jemals vergessen?“ Ja, wie könnte sie? Fast konnte Xion es gar nicht glauben, dass sie Axel und Roxas erst seit drei Wochen kannte. Es kam ihr so viel länger vor. Roxas hatte sie die ersten paar Tage durch die Bar geführt, ihr das eigene Zimmer im oberen Geschoss gezeigt und die anderen zwölf Bewohner des 'Tredecim' vorgestellt. Mit ihm hatte sie sich sofort verbunden gefühlt, vielleicht, weil sie im selben Alter und die beiden Neulinge unter den Mitgliedern waren. Kurz danach hatte sie Roxas auch mit Axel bekannt gemacht und in den nächsten paar Tagen hatte sich eine Freundschaft zwischen den dreien entwickelt. Xion war unendlich froh, dass sie Leute gefunden hatte, mit denen sie ihre Probleme, Bedenken und auch Fragen besprechen konnte. Denn Fragen über ihr neues Leben hatte sie zuhauf und es schien, als ob jeden weiteren Tag noch mehr Fragen auftauchten. Um Xions ersten Auftritt im 'Tredecim' gebührend zu feiern, zog Axel die beiden Teenager durch die gaffende Menge zur Getränketheke der Bar, wo ihnen der Barkeeper einen kostenlosen Drink spendierte. „Kaum zu glauben, dass es noch nicht einmal ein Monat her ist, seit du zu uns gekommen bist“, murmelte Axel, während er mit dem bunten Schirmchen in seinem Cocktail herumspielte. „Und schon eroberst du die Herzen der Kunden im Sturm! Wer soll sich da noch für meine Feuertricks interessieren, wenn man dir und deiner Engelsstimme lauschen kann?“ „Tch, wer hat sich denn schon jemals für deine seichten Kindergartenattraktionen begeistern können?“, kam es in einem eisigen Ton von hinter der Theke. Der Barkeeper, ein Mann mit langen, schmutzig blonden Haaren, die er in einem unordentlichen Dutt nach oben gesteckt hatte, warf Axel einen abschätzigen Blick zu, während er mit einem fleckigen Fetzen ein Glas säuberte. „Wer hat dich denn gefragt?“, erwiderte der Rothaarige patzig und wedelte mit der einen Hand in die Luft, als würde er ein lästiges Insekt verjagen. „Schu, schu, husch dahin, wo dich wer brauchen kann und du uns nicht den Abend versaust!“ Der Barkeeper schnaubte. „So ein Benehmen- Unerhört! Aber was kann man schon groß von einem solch infantilen, feuerspuckenden Clown erwarten?“ Mit diesen Worten stapfte er von dannen zu einem Gast, der etwas abseits von den drei Freunden an der Theke Platz genommen hatte. „Bist du dir sicher, dass du so mit Vexen reden solltest?“, fragte Roxas vorsichtig, woraufhin Axel nur keck auflachte. „Der alte Knacker kann mich mal! Spielt sich so auf, nur weil er die Schlüssel für den Spirituosenschrank vom Boss in die Hand gedrückt bekommen hat!“ „Trotzdem“, wandte nun auch Xion ein, „warst du nicht gerade nett zu ihm. Vielleicht rächt er sich ja irgendwann mal und mixt dir Abführmittel ins Getränk?“ „Psst, gib dem Alten doch keine Ideen!“ Axel warf einen verstohlenen Blick zu Vexen, der jedoch anscheinend zu beschäftigt war, um auf weitere Beleidigungen zu horchen. Der Abend schritt zügig voran, wurde schließlich vollends geschluckt von der Nacht und brachte mehr und mehr Leute in die Bar. Oft kam es vor, dass ein begeisterter Gast Xion auf die Schulter tippte und sie um eine Zugabe oder doch zumindest um ein wenig Zeit zu zweit bat. Das Mädchen lehnte beide Angebote stets höflich ab und sollte einer der Männer zu aufdringlich werden, schritt rasch Axel mit ein paar harschen Worten ein, die jeden potenziellen Störenfried Obszönitäten murmelnd in die Flucht schlug. „Ich bin wirklich froh, dass ich euch beide gefunden hab.“ Xion hob ihr Glas mit Orangensaft und nippte an dem fruchtigen Getränk. Die Süße war ein wenig krass, aber konnte zumindest ihre Nerven beruhigen. „Meine ersten Tage hier waren...schwer. Ich bin nicht sonderlich gut im Freunde finden.“ „Roxas kann ein Lied davon singen!“ Axel klopfte auf die Schulter des Jungen, der bloß verlegen seine Wange kratzte. „War ein richtiger Zombie damals, nachdem ihn der Boss hergeschleppt hat.“ „Ach, hör schon auf!“ Neckendes Gelächter. „Ich mach doch nur Spaß! Aber hey, Xion, du hast dich schon gut eingelebt hier, oder?“ Das Mädchen neigte den Kopf und spielte mit einer schwarzen Haarsträhne. „Schon, ja, dank eurer Hilfe fühl ich mich nicht mehr so verloren wie in der ersten Woche.“ Als ihre Gedanken zu jenem Zeitpunkt zurück drifteten, schüttelte sie den Kopf. „Leider kann ich mich noch immer nicht daran erinnern, was vorher war. Bevor Xemnas mich ins 'Tredecim' gebracht hat, meine ich.“ „Die Erinnerungen werden schon noch zurückkommen. Stress dich nicht damit!“ Xion wollte ihrem Freund glauben, doch ein nagender Gedanke fraß sich durch und bevor sie sich zurückhalten konnte, sagte sie: „Vielleicht sollte ich Xemnas fragen. Er weiß sicherlich mehr über mich und kann-“ „Nein.“ Xion und Roxas zuckten zusammen. Axels Antwort war wie aus der Pistole geschossen gekommen und für einen kurzen Moment verdunkelte sich sein Blick. „Frag ihn nicht. Red am besten so wenig wie möglich mit ihm oder mit Saix.“ Das Gesagte hing wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen und dämpfte die zuvor sorglose Stimmung. Und scheinbar war das Thema für den jungen Mann mit diesen Worten auch beendet, denn im nächsten Augenblick schwenkte er das Gespräch zurück auf die Qualität ihrer Drinks und wie schlecht doch Vexen im Mixen von Cuba Libre war - was für ein Dilettant! Gerade als Xion und Roxas den Zwischenfall wieder einigermaßen vergessen hatten, schälte sich eine Gestalt im nachtschwarzen Tuxedo plötzlich aus einer dunklen Ecke und adressierte Axel mit einem monotonem Lispeln: „Wir brauchen noch ein paar Aushilfskellner, Nummer 8.“ „Nicht dein Ernst, oder?“ Er seufzte theatralisch. „Ihr habt's ja gehört, die Pflicht ruft! Ohne mich ist der Laden so gut wie aufgeschmissen, stimmt's, Zexion?“ Der junge Mann wandte sich schnaubend ab. „Bleib in deiner Traumwelt.“ Axel stand augenrollend auf, nicht ohne den zwei Jüngeren vorher noch spielerisch zu salutieren. Roxas und Xion blickten ihm nach, bis sie ihn in der Menschenmasse verloren hatten. „Hey, Roxas“, setzte das schwarzhaarige Mädchen an, „Weißt du, was mit Axel vorhin los war?“ Der blonde Junge schüttelte zögernd den Kopf und ließ nachdenklich seinen Zeigefinger über den Rand des Glases gleiten. „Vielleicht hat er sich einfach an etwas Schlechtes erinnert? Er mag nicht so gern über Xem...über den Boss reden.“ „Wieso?“ Roxas zuckte mit den Schulter. „Keine Ahnung. Er hat mir nie so wirklich davon erzählt.“ Als er sah, wie verdrießlich diese Information das Mädchen neben ihm stimmte, fügte er hastig hinzu: „Aber mach dir keine Sorgen um Axel! Das ist sicherlich kein großes Ding, sonst hätte er uns doch schon längst davon erzählt. Wir sind schließlich Freunde!“ „Freunde.“ Xion schwieg für einen Moment. Dann nickte sie mehr sich selber als ihrem Gesprächspartner zu und spürte, wie sich ihre Mundwinkel automatisch zu einem Lächeln hoben. „Du hast ja Recht! Ich mach mir viel zu viele Sorgen. Wir sollten lieber zusehen, dass wir Axel vor einer potenziellen Vergiftung schützen können!“ Roxas erwiderte ihre Worte mit einem Grinsen, sichtlich erleichtert, dass er seine Freundin beruhigen konnte. „Du meinst so wie seine Bodyguards? Ich denke eher, du wirst die bald brauchen! Die Leute haben deinen Auftritt geliebt! Und ich mag das Lied wirklich gerne!“ Sie kicherte. „So gut war ich auch wieder nicht. Aber ich freu mich, dass dir der Song gefallen hat! Ich hab ihn hauptsächlich für dich gesungen.“ „M-mich?“ Auf Roxas' Wangen legte sich eine leichte Röte und er hob schnell sein Glas auf Gesichtshöhe, damit Xion seinen Teint nicht bemerken konnte. „Ja, für dich. Dich und Axel. Für euch wollte ich mich trauen, vor so vielen anderen Leuten zu singen. Und ich hab es geschafft, weil ich gewusst habt, dass ihr da seid und mir zuhört. Das hat mir Kraft gegeben.“ Roxas betrachtete Xion eine Zeit lang schweigend. Insgeheim bewunderte er sie, ihre Stärke und ihre Fähigkeit, einfach nach vorne schreiten zu können, ohne der Vergangenheit ins Auge blicken zu müssen. Er selber hatte am Anfang mehr schlecht als recht seinen Platz im 'Tredecim' gefunden, aber Xion schien sich so gut anpassen zu können. Um Längen besser als er selber. „Ich weiß, es hört sich vielleicht dumm an, aber“, begann das Mädchen abermals, „auch wenn ich mich nicht mehr an mein früheres Leben erinnern kann, bin ich froh, mit euch beiden neue Erinnerungen begründen zu können. Und auch mit all den anderen im 'Tredecim'. Fast wie eine neue Familie. Ein neues Kapitel in meinem Leben.“ Ja, sie war stark. Stark und mutig. Nicht so wie er selber, der stets mit störenden, negativen Gedanken haderte und sich vom Kummer zerfressen ließ. Beseelt von der Empfindung, es ihr gleichzutun und all die schlechten Erlebnisse und beklemmenden Gedanken an das Gestern abzuschütteln und stattdessen im Hier und Jetzt zu leben, hielt der Junge ihr sein Glas mit der letzten Neige Orangensaft euphorisch entgegen. „Auf ein neues Kapitel?“ Xion tat es ihm kurzerhand nach und ließ lachend ihre beiden Gläser klirren. „Auf ein neues Kapitel!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)