Camp Kawacatoose von Vampyrsoul (Boston Boys 1) ================================================================================ Kapitel 5: Der sich öffnet -------------------------- Noch bevor ich die Situation richtig begreifen konnte, erklärte Peter: „Sorry, wollte dich nicht stören... Ich hab dich gesucht. Du bist spät dran, wir müssen gleich rein.“ Wie lange stand er schon da? Was ich hier getan hatte, war wohl kaum zu übersehen, immerhin hatte ich noch immer meine Hand in der Jogginghose. Aber hatte er auch mitbekommen, an wen ich dabei gedacht hatte? Vermutlich nicht, sonst hätte er wohl nicht mehr dort gestanden und ruhig auf mich gewartet. Oder war gerade das ein Zeichen? Vielleicht stand er ja auch auf mich und wollte mehr sehen? Sofort verwarf ich den Gedanken wieder. Er war einfach nur albern. Für den Fall, dass die anderen recht hatten und er und sein Bruder auf Jungs standen, hätte er dann auch immer noch auf mich stehen müssen. Sofern sie nicht sowieso ein Paar waren. Nein, er hatte sicher nichts gehört. „Ich komm gleich. Ich geh nur noch eben duschen.“ „Bis gleich.“ Ein kurzes Schmunzeln zeigte sich auf Peters Lippen und nach einem Nicken entfernte er sich. Erst da wurde mir bewusst, was ich gerade gesagt hatte. Warum hatte er mich auch finden müssen? Der Wald war doch nun wirklich groß genug. Selbst das Stück, das auf dem Gelände lag. Wie sollte ich ihm denn jetzt noch in die Augen sehen? Langsam lief ich zur Hütte zurück und zerbrach mir den Kopf, wie ich die letzten knapp eineinhalb Wochen überstehen sollte nach der Aktion. Vielleicht hätte Terrence einen Tipp für mich, wenn er am Wochenende wieder mit zu Besuch kam. Ich betete darum. In der Nacht wurde ich durch Peters unruhiges Wälzen und Atmen wach. Noch im Halbschlaf griff ich automatisch nach ihm, um ihn durch ein paar Streicheleinheiten zu beruhigen. In den letzten Wochen hatte ich gemerkt, dass das häufig schon reichte, damit er ruhiger weiterschlief. Kaum hatten meine Finger seinen Schopf berührt, um ihn zu kraulen, wurde er auch schon ruhig. Das ging ja diesmal schnell... Augenblicklich war ich wach. Nein, das war zu schnell gewesen. Und er klang auch nicht, als würde er schlafen. Dafür ging sein Atem zu schwer. Hastig zog ich meine Hand wieder zurück. Verlegen stotterte ich: „Tut... Tut mir leid... Ich... Ich dachte du... du hättest wieder einen Alptraum... Ich... Ich hab noch halb geschlafen... Sorry.“ Oh Gott, war das peinlich. Sogar fast noch peinlicher als selbst dabei erwischt zu werden. Immerhin war ich schon fertig gewesen. Wie konnte er das auch hier im Zimmer tun? Gut, er war nicht der erste, ich hatte auch einige der anderen schon dabei gehört, aber er wusste doch, dass ich einen leichten Schlaf hatte! „Sorry. Ich wollte dich nicht wecken. Ich hab nicht gedacht, dass du so schnell aufwachst.“ Peters vor Erregung raue Stimme jagte mir Schauer über den Rücken. Wie es wohl klang, wenn er mit dieser Stimme meinen Namen raunte? Ich schluckte, um den Gedanken abzuschütteln. Leise lachte er auf. „Ich würde sagen, damit sind wir dann wohl quitt.“ Zustimmend grummelte ich und murmelte dann ein „Schlaf gut“, bevor ich mich unter der Decke verkroch. Mein Gesicht glühte. Ich hörte noch, wie er es erwiderte, dann war es völlig still im Raum. Auch wenn ich eigentlich versuchte, nicht zu lauschen, horchte ich dennoch automatisch, ob er weitermachte. Doch ich hörte nichts mehr in der Richtung. Langsam fielen mir die Augen zu. Natürlich träumte ich in dieser Nacht von ihm. Wie hätte es nach den Ereignissen des Tages auch anders sein sollen? Immerhin hatte er mich mit meiner Hand in der Hose im Wald erwischt und ich ihm durch die Haare gekrault, als er sich gerade Erleichterung verschafft hatte. Ob es wohl wirklich so etwas wie Rache gewesen war? Schon der Gedanke, er könnte dabei in irgendeiner Form an mich gedacht haben, machte mich wieder ganz konfus. Es wurde wirklich Zeit, dass das Camp zu Ende ging und ich ihn vergessen konnte. Oder zumindest am Wochenende Terrence zum Reden kam. Denn so ganz war ich mir nicht mehr sicher, dass ich Peter wirklich vergessen wollte. Zu meiner Freude saß Terrence am Samstag tatsächlich wieder mit meinen Eltern am Tisch und grinste zu mir herüber, als ich mit Mat und Peter den Speisesaal betrat. Ich lehnte mich zu den beiden herüber: „Wollt ihr dann mit euren Eltern zu uns kommen?“ „Klar, gern.“ Mit suchenden Blicken gingen sie weiter in den Raum hinein, während ich mich zu meiner Familie setzte. „Und?“ Terrence grinste mich hämisch an, kaum, dass ich alle gegrüßt und mich gesetzt hatte. Es war schon ziemlich klar, was er mir damit sagen wollte. "Nichts, und sie kommen gleich mit ihrer Familie rüber, okay? Könntet ihr die Andeutungen dann bitte lassen?" „Du bist also immer noch nicht weiter?“, fragte Terrence unnötigerweise weiter nach. Meine Familie sah mich ebenso neugierig an. Natürlich, sie hofften auch, dass ich irgendwann mal einen Freund finden würde. Gut, dass wir fünf allein am Tisch saßen und uns durch die Umgebungslautstärke niemand hören konnte. „Nein, und ich weiß immer noch nicht, ob ich das will.“ Vorsichtshalber sah ich mich nach den beiden um, bevor ich antwortete. Sie standen bei dem Mann, der sie auch zum Bus gebracht hatte, und unterhielten sich mit ihm. Peter berichtete etwas, woraufhin der Mann grinste und sie sich dann zu dritt auf den Weg in unsere Richtung machten. In Terrence’ Richtung schob ich hinterher: „Ich muss dir aber unbedingt nachher noch ein paar Sachen erzählen. Allein.“ Sie kamen bei uns an und begrüßten alle. Ihr Vater stellte sich uns als Chris Allen vor, bot uns aber an, ihn beim Vornamen zu nennen. Einen Moment stutzte ich beim Nachnamen. Das hieß ja, dass nicht nur beide Brüder unterschiedliche Namen trugen, sondern auch ihr Vater einen anderen. Denn sonst hätte mindestens einer von ihnen vor mir aus dem Bus aussteigen müssen. Die Familie wurde wieder ein Stück seltsamer. Gemeinsam aßen wir unser Frühstück und hielten Smalltalk. Chris schien tatsächlich nicht sonderlich gesprächig zu sein. Dadurch konnte ich ihn nicht wirklich einschätzen. Er machte einen sehr sympathischen Eindruck, zumal er sehr alternativ gekleidet war, aber das wissen, dass er seine Söhne geschlagen hatte, wollte mir einfach nicht aus dem Kopf. Außerdem schien er zu Peter ein besseres Verhältnis zu haben als zu dessen Bruder. Während er mit Peter ab und zu scherzte, lächelte Mat, wenn überhaupt, nur verhalten darüber. Meine Eltern schienen den Mann aber sehr gut leiden zu können. Daher luden sie ihn und seine Söhne auch ein, mit uns zusammen in die Stadt und den Zoo zu fahren. Gerne nahmen die drei das Angebot an. Aber erstmal standen wieder Gruppenspiele auf dem Plan. Doch schon auf dem Weg zum großen Versammlungsplatz kam Luther auf uns zu. „Guten Tag, Mr. und Mrs. Blanchett. Dürfte ich Sie kurz stören? Ich würde gerne noch einmal mit Ihnen und Ihrem Sohn über den Vorfall vorletzte Woche reden.“ „Natürlich. Terrence, kannst du etwas auf Lena aufpassen?“ Mein bester Freund nickte und nahm sie an der Hand, um mit ihr zum Platz zu gehen. Währenddessen fiel Luthers abschätzender Blick auf Mat und Peter, sowie ihren Vater. „Und zu wem gehören Sie, Mr. ...?“ „Allen. Ich bin der Vater von Peter und Mat“, stellte er sich vor und reichte dem Betreuer die Hand. Dabei schien er sich überhaupt nicht an dem Blick des Mannes vor sich zu stören. „Ah, das trifft sich gut, mit Ihnen müssten wir ebenfalls reden. Würden Sie und Ihre Söhne bitte auch mitkommen?“ Chris sah einmal fragend zu seinen Söhnen und legte ihnen dann die Hände auf die Schultern und führte sie hinter uns her. Wir gingen in den Gemeinschaftsraum unserer Gruppe, wo bereits einige Erwachsene, die fünf Angreifer, sowie die Betreuer Hank und Derrick warteten. Die Erwachsenen wurden einander vorgestellt. So wie es aussah, waren lediglich Kylians und Aydens Eltern nicht beim Gespräch dabei. Luther begann das Gespräch einzuführen. „Wir haben Sie alle noch einmal zum Gespräch gebeten, um gemeinsam über das Vorkommnis am vorletzten Donnerstag zu sprechen. Da wir Sie ja alle über die Vorkommnisse informiert haben, möchte ich sie hier nur noch einmal zusammenfassen: Ayden, Malachi, Blaine, Jeffery und Kylian behaupten, Mat hätte sie bedrängt und belästigt, nachdem er mit Peter die Dusche betreten hat. Er hätte gegenüber seinem Bruder anzügliche Bemerkungen über die anderen Jungen gemacht und dabei deutlich Interesse an ihnen geäußert. Mr. Allen, lassen Sie mich bitte ausreden! Die Jungen hätten ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er das sein lassen sollte. Als dies nicht geschah, hätten sie sich dann körperlich gegen die Angriffe gewehrt. Dann sei Toby dazu gekommen und habe direkt Partei für Mat und Peter ergriffen. Dabei hat er nicht nur Kylian fast die Nase gebrochen, sondern auch Blaine in die Weichteile getreten. So viel zu den Vorwürfen. Wir möchten Ihnen als Eltern und Ihren Kindern noch einmal die Möglichkeit geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Mr. Allen, wollen Sie anfangen? Immerhin wollten Sie mich schon unterbrechen und Mat war der Auslöser des Streits.“ „Ich weiß ja nicht, was die Jungen da gehört haben wollen, aber Mat hat sicher keine anzüglichen Bemerkungen über sie gemacht.“ Chris klang bei der Aussage sehr sicher. Gut, das machte ihn deutlich sympathischer, wenn er so hinter seinen Kindern stand. „Vielmehr habe ich gehört, dass es ein paar Tage vorher schon mal einen Vorfall gegeben haben soll, bei dem er und Peter bedroht wurden.“ „Ich nehme an, Sie sprechen von dem Vorfall beim Essen drei Tage zuvor?“ Chris nickte. „Dabei handelte es sich lediglich um eine Auseinandersetzung zwischen Ayden, Mat, Peter, Toby und Kylian wegen des Essens, die mit dem anderen Vorfall nichts zu tun hat.“ „Komisch nur, dass ausgerechnet die zwei Jungen, die meinen Söhnen drei Tage zuvor angedroht hatten, ihnen ihre Weichteile zu zerstören, wie sie es vorher an den Würsten des Mittags demonstriert hatten, auf einmal Opfer von Belästigungen geworden sein sollen.“ Wenigstens davon schienen Mat und Peter ihrem Vater erzählt zu haben, das war doch schon mal gut. Meine Eltern sahen mich fragend an. Natürlich, ich hatte ihnen nichts von der Sache mit dem Essen gesagt. Mir war es nach den ganzen anderen Sachen einfach entfallen. Mit einem Schulterzucken deutete ich ihnen an, dass nichts weiter passiert war. Sie wussten, dass ich es ihnen später genauer erklären würde. Kylian riss das Wort an sich: „Die Schwuchtel hat mir seine Würstchen in den Mund gestopft und gesagt, ich könnte den Mund nicht voll genug bekommen von Schwänzen!“ „Du hast die Würste doch vorher als solche bezeichnet, nicht ich“, war Mats trockene Antwort darauf. „Aber was man anfasst, dass muss man auch essen. Ich wollte dir nur dabei helfen.“ „Sehen sie, das Problem ist nicht, ob ihr Sohn einen der Jungen direkt belästigt hat, sondern dass Mat und Peter sehr offensiv mit ihrer Sexualität umgehen. Davon fühlen sich die anderen Jungs verständlicherweise bedroht“, mischte sich Hank ein. Chris lachte ungläubig. Jetzt konnte ich nicht mehr an mich halten. „Wo sind die beiden bitte offensiv? Die anderen behaupten doch immer, dass sie schwul sind. Die beiden haben nie etwas in die Richtung von sich gegeben.“ „Aber sie haben sich geküsst! Und es nie abgestritten“, machte Blaine zum ersten Mal auf sich aufmerksam. „Wenn sie es nicht wären, dann hätten sie es abgestritten!“ Chris sah die beiden Brüder kritisch an. Das schien Peter dazu zu veranlassen, sich zu rechtfertigen. Er sah seinen Vater an, während er berichtete: „Malachi hat beim Flaschendrehen Mat ärgern wollen und gesagt, dass derjenige, auf den die Flasche zeigt, ihn mit Zunge küssen muss. Ich hab nur die Flasche angehalten, bevor es komplett eskaliert. Nur weil die zu feige sind, dazu zu stehen, dass sie mal mit ’nem Jungen knutschen wollen, müssen sie das nicht an Mat auslassen!“ „Wer will denn diesen widerlichen, kleinen Schwanzlutscher schon küssen?“, gab ausgerechnet Kylian von sich. Das schien Mat genauso zu sehen, denn man konnte sehen, wie ihm der Kragen platzte. Dann brüllte er den Jungen an: „Wer wollte denn den Schwanz gelutscht bekommen und konnte ein ‚Nein‘ nicht akzeptieren? Stattdessen musstest du mit deinen Freunden wiederkommen. Wie armselig muss man sein, nicht dazu stehen zu können und sich stattdessen lieber an Schwächeren zu vergreifen?“ Alle sahen geschockt zu Kylian, der erbleicht war, da er wohl nicht damit gerechnet hatte, dass Mat verraten würde, was passiert war. Und seine Freunde wussten wohl nichts vom ersten Versuch. Genauso wie ich und wohl auch Peter, der seinen Bruder verwundert ansah und ihn dann in den Arm nahm, da er wieder zu zittern begann. Der Vater der beiden sah sie eher fragend an, genauso wie meine Eltern mich. Doch ich konnte mich gerade gar nicht darauf konzentrieren, denn irgendwie hatte mich Mats Aussage getroffen. Nach einem Moment schockierter Stille brach es aus Kylian heraus: „Was fällt dir ein, hier so ’nen Mist zu erzählen? Das hast du dir doch alles ausgedacht!“ „Hat er nicht!“, zischte Peter zwischen den beruhigenden Worten, die er an seinen Bruder gerichtet hatte. Wütend zeterte Kylian zurück: „Du bist doch...“ „Jetzt ist hier mal Ruhe!“, brüllte Hank in den Raum. Und sofort herrschte auch Stille. „Toby, du bist erst später dazu gekommen und am Unparteiischten. Wie war die Situation, als du dazu gekommen bist?“ Etwas verwundert sah ich auf und dann fragend zu Peter. Der nickte mir nur kurz zu. Das hieß wohl, dass ich erzählen sollte, was wirklich passiert war. „Ich hab Mat und Peter gesucht. Schon im Gang hab ich gehört, dass sie sich mit jemandem gestritten haben, was etwas komisch war, da sie sonst eigentlich nur allein duschen gehen. Also hab ich nachgesehen. Jeffery und Blaine haben Peter an der Wand festgehalten, Malachi und Ayden haben Mat auf den Knien auf den Boden gedrückt. Bis auf Peter und Mat waren alle angezogen. Kylian hat vor Mat gestanden mit heruntergelassener Ho...“ „Das ist nicht fair! Der will den beiden doch an den Ar...“ „Kylian, du hast gerade Sendepause! Sonst gehst du raus“, unterbrach ihn Derrick. „Wenn das wirklich stimmt, was ihr da gerade erzählt, warum habt ihr dann zuerst etwas anderes behauptet?“ Nun mischte sich auch meine Mum ein: „Fragen sie das gerade ernsthaft? Natürlich ist es einem jungen Mann peinlich, wenn jemand versucht ihm so etwas anzutun.“ „Nein, ich versteh das schon, aber wir können ihnen das jetzt deutlich weniger glauben, als wenn sie es gleich erzählt hätten. Was sagt ihr vier denn dazu?“, wendete sich Derrick an die anderen vier Angreifer. Malachi, Jeffery und Blaine waren unter den Augen ihrer Eltern zusammengesackt und sahen zu Boden. Lediglich Ayden sah uns hasserfüllt an, bevor er behauptete: „Die lügen doch alle drei! Als würde jemand...“ „Es stimmt, was sie erzählen“, gab Malachi leise zu. „Eigentlich wollte ich mich nur an den beiden rächen, weil Peter mich blöd dastehen lassen hat beim Flaschendrehen. Ich wusste nicht, dass es dann so eskaliert. Am Donnerstag meinte Kylian dann, dass wir die beiden mal aufreiben sollten, weil sie uns ständig auflaufen lassen. Natürlich war ich dabei. Ich wusste nicht, dass Kylian so etwas vorhatte. Ich dachte, wir verprügeln sie etwas und das war’s.“ „Toby hat gesagt, du hast Mat festgehalten?“, fragte ihn seine Mutter. Reumütig nickte er. „Als ich verstanden hab, was Kylian vorhat, konnte ich nicht mehr kneifen.“ Auch Jeffery und Blaine bestätigten, was passiert war, nachdem ihre Eltern noch einmal streng nachgefragt hatten. Malachi war der erste der drei, der danach einfach aufstand, zu Mat ging und ihm die Hand hinhielt. „Ich weiß, dass es das nicht wieder gut macht, aber: Tut mir leid.“ Mat nahm ohne etwas zu erwidern zuerst Malachis, dann die Hände der anderen beiden. Ich hätte an seiner Stelle vermutlich auch nicht gewusst, was ich dazu sagen sollte. Dann trat Derrick zu uns. „Mr. Allen, wenn Sie möchten, können wir die Polizei rufen, damit Sie Anzeige erstatten können.“ „Das muss Mat entscheiden, ob er das will.“ Dieser schüttelte jedoch einfach nur den Kopf. „Dann nicht.“ „Mat, du weißt aber schon, was da mit dir passiert ist, oder? Das war nicht einfach...“, versuchte der Betreuer ihn aufzuklären, wurde jedoch harsch von ihm unterbrochen. „Ja, ich weiß, was er versucht hat, war ja nicht das erste Mal, dass es jemand versucht. Und nein, ich will ihn nicht anzeigen, bringt ja eh nichts. Außerdem hat der doch ganz andere Probleme, mit denen er erst mal klarkommen muss.“ Mit den Worten stand er auf und verließ gemeinsam mit seinem Bruder den Raum. Verdutzt sah ich ihm nach. Das war doch jetzt nicht wirklich sein Ernst gewesen, oder? Verdammt, was stimmte nur mit diesem Jungen nicht? „Wir können dann auch gehen?“, fragte mein Vater. „Ja, natürlich“, bestätigte Luther. Ich verließ gemeinsam mit meinen Eltern und Chris den Raum. Kaum waren wir im Gang, fasste mich mein Vater an der Schulter und zwang mich ihn anzusehen. „Toby, es ist ja löblich, dass du deinen Freunden helfen willst, aber du darfst deswegen nicht lügen und auch niemandem die Nase brechen!“ „Tut mir leid.“ Ich versuchte möglichst reumütig zu klingen, obwohl es mir nicht im geringsten leid tat. „Ich hab einfach nicht mehr nachgedacht, sondern nur zugehauen. Und Mat wollte nicht, dass es jemand erfährt.“ „So was kommt nie wieder vor, hast du verstanden?“ Ich nickte. Damit gaben sich meine Eltern dann auch zum Glück zufrieden. Vor dem Gebäude stellten wir fest, dass Mat und Peter nirgendwo zu sehen waren. Chris stöhnte genervt. „Toby, weißt du, wo die beiden hingehen, wenn sie allein sein wollen?“ „Klar. Entweder aufs Zimmer zum Musikhören oder in den Wald“, antwortete ich sofort. Wieder stöhnte er genervt. „Schön, dann such ich eben den Wald nach ihnen ab.“ „Ehm... Ich weiß, wo sie im Wald sind.“ Mit großen Augen sah er mich an. „Oh... Kannst du mich hinbringen?“ Ich nickte, worauf meine Eltern sich wieder an mich wandten. „Wir gehen schon mal zurück, wir wollen ja Terrence nicht zu lange als Babysitter hinhalten. Bis gleich.“ „Und du bist dir sicher, dass du weißt, wo sie sind?“, fragte Chris noch einmal, als wir losliefen. „Ja. Wir sind häufig zusammen dort. Und wenn sie allein sein wollen, dann sagen sie das einfach, dann geh ich schwimmen oder joggen.“ Skeptisch betrachtete mich der ältere Herr. „Du bist ihnen wirklich ein guter Freund geworden, oder?“ Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste nicht, ob ich es als guten Freund bezeichnen würde, aber Freunde waren wir auf jeden Fall. „Keine Ahnung. Vielleicht.“ „Magst du uns mal in Boston besuchen kommen, wenn deine Eltern das erlauben?“, bot er an. Diesmal war es an mir, ihn skeptisch anzusehen. Wäre es nicht normalerweise an den Brüdern gewesen, mich einzuladen? „Ich weiß nicht, ob Mat und Peter das wollen.“ Leise lachte der Mann. „Glaub mir, wenn du weißt, wo sie sich verstecken, dann haben sie dich wirklich gern. Nicht mal ich weiß, wo sie hingehen, wenn sie allein sein wollen. Und außer mir haben sie nicht wirklich jemanden.“ „Oh.“ Irgendwie klang das traurig. Aber hatte Peter nicht etwas von weiteren Geschwistern erzählt? Was war denn mit denen? Und mit ihrer Mutter? Doch mir blieb keine Zeit danach zu fragen, denn wir hatten die Stelle fast erreicht und ich konnte die beiden durch das Blattwerk schon erahnen. Vorsichtshalber kündigte ich uns an. „Hey, euer Dad hat euch gesucht.“ „Hallo, Chris.“ Die beiden saßen am Boden und Peter hatte seinen älteren Bruder mal wieder im Arm, was immer noch sehr grotesk wirkte. Jetzt wusste ich auch wieder, woher der Gedanke gekommen war, die beiden könnten ein Paar sein. Peter sah zu seinem Vater auf und fragte: „Hast du was für uns?“ „Ist das jetzt dein Ernst?“, fragte der zurück. „Ja! Falls du es nicht gemerkt hast: Mat ist völlig am Ende und mir geht es auch nicht wirklich gut“, antwortete der Jüngere. „Die lassen uns hier nicht mal rauchen! Die haben uns alles abgenommen“, empörte sich Mat mal wieder. „Dafür habt ihr euch aber echt gut gehalten“, war die überraschte Antwort des Vaters. Peter deutete über die Schulter hinweg zu mir, der ich gerade meine Zigaretten aus der Tasche fummelte. Resigniert seufzend sah der Vater auf die Packung in meiner Hand und zog dann ebenfalls eine Packung hervor, die er öffnete und Peter und Mat etwas daraus gab. Das sah eindeutig nicht nach Kippen aus. „Euch ist schon klar, was passiert, wenn Mrs. Estrada rausfindet, dass ich euch den Mist rauchen lasse, oder? Du auch?“ Skeptisch sah ich auf das Angebotene und schüttelte den Kopf. Nein, ich hatte wirklich nicht vorgehabt Joints auszuprobieren. Krass, dass ihr Vater ihnen einfach so welche gab. Mat nahm ihm das Feuerzeug ab und zündete sich seinen an, bevor er auch seinem Bruder Feuer gab. Beide nahmen einen Zug, bevor Mat antwortete: „Die hat doch keine Ahnung, die alte Schnepfe. Was glaubt die denn? Dass wir einfach so, plötzlich mit allem aufhören können? Selbst mit dem Zeug ist es schon übel genug.“ „Jaja, ich weiß. Aber ihr solltet wirklich versuchen, damit aufzuhören.“ Chris zündete sich selbst eine Zigarette an und gab jedem von ihnen eine verschweißte Packung. „Also Mat, was sollte das?“ Mat seufzte genervt und zuckte mit den Schultern. „Ich hab keine Lust auf die Bullen und denen das erzählen zu müssen. Außerdem: Ich hätte es ja einfach machen können, als er gefragt hat und dann wäre es gut gewesen. Selbst schuld.“ Irritiert sah ich Mat an. Bitte? Er hätte Kylian auch einfach so... Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Chris plötzlich auf Mat zuging und ihm kräftig eine Ohrfeige verpasste. „Noch einmal und es setzt richtig einen!“ „Aua! Ich hab’s doch nicht gemacht!“, antwortete Mat trotzig. „Es geht nicht darum, ob du’s gemacht hast, sondern dass du darüber nachdenkst, es zu tun.“ Wow, war ihr Vater so homophob? „Wie kam es überhaupt dazu?“ „Im Gegensatz zu Peter hab ich einfach nichts zu erzählen, wenn es um Mädchen geht. Und ich wollte meine Ruhe haben, es sind einfach zu viele Menschen. Immer! Die ganze Zeit! Irgendwann fingen die dann mit dem Schwuchtelkram an. Was soll ich denn sagen? Oh, ja, stimmt, ich steh auf Männer? Seid ihr jetzt so nett und hört auf? Oder soll ich ihnen lieber was von irgendwelchen Frauen vorheucheln, die ich angeblich gehabt hätte? Und dann auch irgendwann anfangen mich an Schwächeren zu vergreifen?“ Schon wieder machte Mat mir mit seiner Aussage ein schlechtes Gewissen. Aber immerhin hatte ich mich nicht getäuscht, was seine Homosexualität anging. Nur wohl leider bei Peter. Schade. Doch Chris milderte das schlechte Gewissen wieder ab. „Mat, es ist ein Unterschied, ob du dir und anderen dein ganzes Leben lang versuchst einzureden, dass du auf Frauen stehst, und dich dann an irgendwem vergreifst, oder ob du für ein paar Wochen mal einfach das Spiel mitspielst, damit es nicht schon wieder Stress gibt. Jungs, ihr wisst doch, dass noch immer nicht alles geklärt ist und jedes Mal, wenn es Ärger gibt, wird es wackeliger.“ „Sorry. Aber ich kann das einfach nicht“, entschuldigte sich Mat direkt und klang dabei fast verzweifelt. „Schon gut. Wollt ihr heimfahren?“ Chris fuhr seinem älteren Sohn kurz tröstend durch die Haare. Gut, er schien doch kein Problem mit Mats Vorlieben zu haben. Das beruhigte mich. Immerhin wurde er dann dafür nicht geschlagen. Die beiden Brüder sahen kurz sich gegenseitig an, dann ging ihr Blick zu mir. Peter lächelte mich an, bevor er antwortete. „Nein, die Woche halten wir schon noch aus.“ Chris’ Blick war ihrem gefolgt und auch er lächelte. „Keine Sorge, ich hab Toby schon zu uns eingeladen. Aber schön, dass ihr bleiben wollt. Euch scheint es doch ganz gutzutun, mal mit anderen zu tun zu haben. Besonders du siehst ziemlich erholt aus, Peter. Gehen wir zurück?“ Wir nickten alle und löschten die Glimmstängel, bevor wir uns in Bewegung setzten. Peter warf mir einen kurzen Blick von der Seite zu, bevor er leise antwortete: „Ich schlaf die letzten Wochen einfach recht gut.“ „Oh, na wenn es hilft, kann ich auch jede Nacht mit dir Händchen halten, kein Problem“, feixte Mat und grinste mich an. Er hatte das mitbekommen? Ich spürte, wie ich rot wurde und sah verlegen zu Boden. Ja, das war sicher unauffällig, damit niemand mitbekam, dass ich auf Peter stand. Aber Mat setzte noch einen drauf: „Aber ich schlaf nicht bei dir im Bett, das kannst du vergessen! Du machst dich immer fett und fängst an zu kuscheln!“ „Du bist ’n Arsch!“ Peter schlug seinem Bruder gegen die Schulter, der darauf zurückschlug, aber verfehlte. Beide kabbelten sich lachend etwas, während wir uns dem Waldrand näherten. Nachdem wir die Gemeinschaftsspiele hinter uns gebracht hatten, saßen wir auch beim Mittag wieder alle zusammen an einem Tisch. Wir redeten alle durcheinander, das meiste war Smalltalk, bis meine Mutter mit ihrer Frage meine Aufmerksamkeit auf Chris und ihr Gespräch lenkte. „Warum ist Ihre Frau eigentlich nicht mitgekommen?“ Dieser grinste etwas und antwortete: „Weil ich keine Frau habe.“ „Oh. Und was ist mit der Mutter der beiden Jungs?“, fragte mein Vater und die Vorsicht war ihm anzuhören. Er befürchtete wohl eine tragische Antwort. Chris zuckte mit den Schultern. „Gute Frage, das wissen die Jungs wohl besser als ich.“ Fragend, ob der merkwürdigen Antwort, sahen wir zu den Geschwistern. „Tot, kurz nach meiner Geburt. Hab sie nie kennengelernt“, antwortete Mat nur emotionslos und knapp, bevor er weiter mit Lena in ihrem Malbuch malte. Doch als wäre Mats Reaktion nicht schon schockierend genug, antwortete Peter mit eisigem Ton: „Ich wünschte in der Hölle.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)