SKAM Season 3 "ISAK" (Special Extended) von -Sian- ((S 1 und 2 sind NICHT notwendig für die Story)) ================================================================================ Kapitel 9: 03x09 - ES GEHT VORBEI - (Det går over) -------------------------------------------------- Der Anblick der nächtlichen Straßen auf dem Weg vom Radisson Blu Hotel nach Hause fühlte sich kalt an. Eisig. Einsam. Dunkel. Trist. Die wenigen Menschen, die Lichter der Geschäfte und Autos konnten daran nichts ändern. Ich lief die ganze Strecke zu Fuß. Brauchte Abstand und Zeit, das Geschehene zu verkraften. Je näher ich dem Wohnhaus kam, welches ich derzeit mein zu Hause nenne, desto weniger wollte ich mich gegen das Chaos wehren, was in mir herrschte. In meinem Kopf, in meinem Herzen. Wiedereinmal durch Even verursacht... Ich sah erst auf, als ich nur noch wenige Meter entfernt war, von unserer blauen Tür. Jemand lehnte davor an der Hauswand und stieß sich nun von eben jener ab. Eskild. Ich bin einen Moment stehen geblieben, eh ich ihn registriert hatte. Meine Augen taten weh und mein Kopf war heiß. Doch ich lief weiter auf ihn zu und erkannte nun auch langsam sein Gesicht im Licht der Straßenlaternen, wie es mich besorgt ansah. Fragend ansah. Ich blieb erneut vor ihm stehen und schüttelte wortlos den Kopf. Eskild überwand die kurze Distanz und legte seine Arme um mich. Ich konnte mich nicht rühren. Am liebsten hätte ich mich selbst treten wollen, als auch jetzt wieder die Dämme brachen. Es kotzte mich an, diese einfach nicht mehr zu kontrollierende Gefühlsscheiße in mir. Und jetzt ist Even auch noch eingebuchtet und wer weiß was die da mit ihm anstellen, wenn er nicht mehr mit sich oder der Umwelt klar kommt. Ich hätte mich nie auf diese ganze Sache einlassen sollen... Samstag, 03.12.2016 – 10:38 Uhr Natürlich war die restliche Nacht beschissen. Das war mir klar seit ich mich ins Bett fallen ließ und im Dunkeln die Decke anstarrte. Ja, ich lag mal wieder ewig wach und dachte nach, bis mir der Schädel weh tat. Eigentlich tat mir alles weh. Früher hätte ich nie verstanden, was so ein heraus gerissenes Herz wirklich mit einem macht. Jetzt weiß ich, dass man noch viel mehr aus einem raus reißen kann. Bis man sich regelrecht ausgeweidet fühlt. Ich hatte es an diesem Samstag morgen lediglich geschafft irgendwie aus dem Bett zu steigen und mir was anzuziehen, nur um mich dann wieder drauf zu legen und mir weiter das Hirn zu zermartern, wie das alles nur passieren konnte. Sonja sagte, für Even ist das mit uns nur eine kranke Idee. Dass er mich deswegen nicht wirklich liebt und demnach nur rumspinnt. Die ganze Zeit schon. Dass er manisch sei. Manisch... Was ist das eigentlich? Ich nahm meinen Laptop auf den Schoß und googelte das Wort, klickte dann den Wikipedia-Artikel* dazu an und überflog ein paar Stellen: Eine Manie ist ein krankhafter Geisteszustand mit sehr hohem Stimmungslevel oder Energieniveau, welcher meistens in Perioden von Wochen oder Monaten auftritt. Wochen oder Monate... Also hat Sonja wahrscheinlich recht damit, dass Even die ganze Zeit über nur manisch war. Erklärt vielleicht irgendwie auch seine... eigenwillige Art und seine verrückten Ideen. Eigentlich war das etwas, was ich ziemlich an ihm mochte... Aber... Fuck, Isak... du bist so ein Idiot... Und dieses verdammte Handy piepte auch schon die ganze Zeit... Der Maniker gibt Geld aus, das er nicht hat, kauft teure Dinge,... was dann wohl die Buchung für diese Suite erklärt... Verträge und Vereinbarungen eingehen die unrealistisch sind... Bin ich so ein unrealistisches Ding, was er im Normalzustand nicht eingehen würde? ... sexuell sehr ausdauernd und aktiv... Japp, im Hotel war er kaum zu bremsen. ... und erwerben viele Partner (Promiskuität). Sonja... ich.. und was weiß ich, ob da noch mehr sein könnten... Immerhin ist er ja gern mal für ein paar Tage komplett vom Radar verschwunden. Sie schlafen oft zu wenig, meistens 3-4 Stunden am Tag. Kann ich nur bestätigen, ich hab ihn kaum schlafen sehen... Die Manie entwickelt sich oft zu einer Psychose, bei der der Erkrankte die Realität nicht mehr im Griff hat. Ich nehme an, dass ich diesen Hochzeitsmonolog einer solchen Psychose, oder was immer es war, zu verdanken habe? Oder seine spontane nächtliche Nacktwanderung zu McDonalds, trotz eisiger Kälte. Dreht Even dann eigentlich genauso am Rad wie meine Mutter? Wenn sich die manische Episode dem Ende nähert, manifestieren sich Wut und Selbstkritik, und viele gehen direkt über in eine tiefe Depression. Was genau meinen die mit Depression? Einfach miese-Laune depri, wie ich jetzt oder vor-den-Zug-werfen depressiv? Plötzlich stand Eskild in der Tür und unterbrach rabiat meine Gedankengänge: „Hey.“ Ich sah auf und wartete ab, was er von mir wollen könnte. „Brauchst du was?“ fragte er vorsichtig, während mein Telefon zum gefühlt hundertsten Male einen Benachrichtigungston von sich gab. „Alles gut“, antwortete ich. Obwohl es das nicht war. Gar nichts war gut... Doch ich konnte und wollte einfach jetzt mit niemandem so wirklich reden... Mein Blick richtete sich wieder auf den Text vor mir, doch tatsächlich gelesen hab ich nicht. Nur drauf gestarrt, während Eskild wieder das Wort ergriff: „Es wird vorbei gehen, Isak.“ Ich schaute stur weiter auf die Buchstaben vor mir, die mir erklären sollten, wie es nur soweit kommen konnte. „Auch wenn es jetzt nicht danach aussieht... Auch wenn es sich schmerzhaft anfühlt... Es tut beschissen weh, an Liebeskummer zu leiden und auch wenn du nicht glaubst, dass es vorbei geht... Wird es das“, redete mein Mitbewohner weiter auf mich ein. Ich wünschte in dem Moment, dass das 'Vorbei gehen' schneller eintreten würde. Auch wenn Eskild selbst scheinbar nicht wirklich wusste, was er sagen oder wie er mir helfen soll, so nahm ich es dennoch zur Kenntnis, dass er es versuchte: „Aber... ähm... Ja, sag uns wenn du reden willst... Wenn du was brauchst.“ Ich nickte nur und hielt mein Augenmerk weiterhin auf den Artikel vor mir, bis er den Rückzug antrat und meine Tür einen Spalt offen ließ. Ich hasse offene Türen... Noch einmal meldete sich mein Handy und abermals überlegte ich, ob ich mir das geben soll, was da für Nachrichten eingeflogen waren. Ich entschied mich dann doch dafür es zu lesen, nahm mein Telefon und öffnete sie. Und wie es aussah, war Even wieder zu Hause, oder er hatte zumindest sein Handy zurück, denn die sieben Mitteilungen waren alle von ihm: The noise of my head, the curse of the talented strong communicator, vagabond. I gallivant around the equator And that would get me off the radar. - It's so intens, I'm on my Lilo an Stich. Pour my Pino Grigio with some lime what is this? An immaculate version of me and my baby. With all respect 'cause you the only one that gets me - Where is he? The man who was just like me. I heard he was hiding somewhere I can't see. Where is he? The man who was just like me. Heard he was hiding somewhere I can't see. - And 'm alone and I realize that when I get home. I wanna go through my red and my cherry. Yes, I'm alone and I realize when I get home. I wanna go through my red and my cherry. - Yeah, yeah, let's pour some cherry wine. Everything's good, everything's fine. Yeah, yeah, we bring it every time. Yeah, pour a little cherry wine. - Yeah, hey yo, salaam, yeah, I think they know the time. Everything's good, everything's fine. Yeah, pour a little cherry wine, yeah. Life is good, life is good, yeah. - Life is good, no matter what. Life is good, life is good. Life is good, no matter what. Life is good. Also...ich glaube... er dreht wirklich gerade voll am Rad. Auch wenn ich meinen würde, es handelt sich um den Songtext von dem Lied, welches Nas mit Amy Winehouse gemacht hat, aber ob er nun das zitiert und mich damit voll spamt, oder ob es meine Mutter mit dem Bibelmist ist. Das macht im Grunde keinen großen Unterschied für mich. Okay, gut. Die Bibelbelehrungen, in welcher Sünde ich lebe, sind vielleicht doch noch was anderes. Argh! Es ist zum verrückt werden, wenn man nicht weiß, was man von all dem halten kann oder muss! Ich brauchte einfach erstmal Luft zum Atmen. Daher beschloss ich ihm zu schreiben: Hi Even. Ich versteh gerade 'nen Scheiß. Hör auf mir zu schreiben. Ich las noch einmal drüber und überlegte, ob ich es wirklich abschicke, aber auch dies tat ich letztlich. Ich brauchte erst mal Abstand von allem, um zu verstehen was überhaupt abgeht. Mit ihm. Mit mir. Mit uns. Wieder glitt mein Augenmerk zurück zum Wikipedia-Artikel auf meinem Laptop, als erneut eine Nachricht einflog. Hat Even überhaupt gelesen was ich ich ihm schreibe? Unschlüssig nahm ich mein gerade beiseite gelegtes Telefon wieder auf und sah, dass es diesmal nicht von ihm war. Mama schrieb mir. Und es war auch kein Bibelvers. An Isak, meinem Sohn: Von der ersten Sekunde an, als ich dich am 21. Juni 1999 um 21:21 Uhr sah, habe ich dich geliebt und das werde ich für immer und ewig tun. Als ich das las, kamen mir leise Tränen. Tränen der Freude. Das hatte ich gebraucht. Eigentlich hab ich schon viel zu lange auf so etwas gewartet. Und es ließ mich lächeln. Wer hätte das gedacht? Dass ausgerechnet eine Nachricht von meiner Mutter mich gleichzeitig lächeln und heulen lassen würde? Besteht noch Hoffnung? Für sie? Oder für ihn...? Vielleicht auch für uns Alle... Mein Blick fiel abermals auf den Bildschirm. Ich suchte die Zeile, die ich las, eh Eskild ins Zimmer kam: …beinhaltet auch starke positive Gefühle und Erfahrungen... bla bla bla … direkt in eine tiefe Depression. Ja, an der Stelle war ich. Zu Beginn ist es oft niemand anderes als die nahestehende Familie, die feststellt, dass sie oder er in eine manische Episode eintreten wird... Also hat Sonja mich womöglich warnen wollen, als sie mich mehrmals kontaktiert hat. Fand Even ja offenbar nicht so toll … aber wenn die Erkrankung fortschreitet, wird sie für jeden sichtbar. Sichtbar, wie nackt durch die Hauptstadt zu rennen... Eine manische Episode ist eines der Kriterien für die Diagnose von Bipolar-I, einer der zwei Arten von bipolarer Störung. Ich klickte auf den verlinkten Text: 'Bipolar'. Bipolare Störung oder manisch-depressive Störung (auch bipolare affektive Störung genannt) ist eine psychiatrische Diagnose, die eine Gruppe von Stimmungsstörungen beschreibt, die durch das Vorhandensein einer oder mehrerer Episoden anormal erhöhter Energie und Stimmung und einer oder mehrerer depressiver Episoden gekennzeichnet sind... bla bla bla... Also im Grunde... versteh ich nichts... Nur das Even offenbar bipolar ist und die ganze Zeit einen Film gefahren hat, oder haben soll oder... was weiß ich. Irgendwann werd ich selbst noch völlig verrückt... Ich studierte hier und da noch ein paar Zeilen in diesem Artikel, aber alles was ich dem hier entnehmen konnte ist, dass diese Störung jede Menge 'Vielleichts' und andere Unklarheiten enthält und jeder Betroffene anders tickt bzw. austickt. Es nichts wirkliches greifbares für mich ersichtlich ist. Andererseits ist mein Hirn im Moment sowieso schon gefickt genug, auch ohne den ganzen Mist hier. Daher beschloss ich, mich mit dem Kram im Moment nicht weiter zu befassen und meine Gedanken damit zu zerstreuen, ein paar Serien aufzuholen, die ich in den letzten Wochen vernachlässigt hatte. Hätte ich vielleicht auch dabei bleiben sollen, dann würde ich hier jetzt nicht rumhängen und mich beschissen fühlen. Am Nachmittag gab ich mein bestes meine Hausaufgabe für Montag auf die Reihe zu kriegen, doch mehr als das in Sachen Schule, war für mich im Augenblick echt nicht drin. Rausgehen und irgendwen sehen wollte ich genauso wenig. Dann lieber meine Serien nacheinander abarbeiten. Eben dies tat ich den ganzen restlichen Samstag und auch den Sonntag über, um mich abzulenken und die bescheidene Welt um mich herum zu vergessen. Da konnte mich wenigstens keiner schief von der Seite anmachen. Alles verdrängen, klappte jedoch nur mäßig, aber es war besser als nur die Wand anstarren und mein Leben zu verfluchen. Sonntagabend piepte auch mein Handy das erste mal wieder und so warf ich einen Blick drauf. Eskild fragte im WG-Chat: Ich bin in 'nem Laden, braucht jemand was? Noora meldete sich als erste: Da ist kein Klopapier mehr. Wenn sogar sie einen Einkauf an einem Sonntag kommentarlos bewilligt, dann muss der Klopapiermangel akut sein. Selbst ich hatte nicht mehr viel hier bei mir im Zimmer... Isak, brauchst du was?, wollte mein Mitbewohner von mir wissen und ich antwortete: Vielleicht 'ne Fanta. Meine Getränke waren, ebenfalls dank Even, seit letztem Wochenende stark reduziert. Was auch kein Problem gewesen wäre, wenn die Welt noch so in Ordnung wäre, wie vor einer Woche und wir einfach wieder zusammen einkaufen gegangen wären. Aber nein, das Leben fickt mich nur allzu gern. Nun hatte ich weder Even, noch was zu trinken... Ich hatte auch schon mal Liebeskummer gehabt, Isak. Und das war echt schrecklich. Hab mich eingeschlossen und den ganzen Tag geschlafen, meldete sich auch Linn im Chat zu Wort und gab mir die Bestätigung, dass ich recht hatte. Damit, dass ich am liebsten niemanden hätte wissen lassen wollen, dass ich was mit Even hab. Oder hatte... What ever. Denn jeder weiß nun seinen Senf beizutragen, damit ich auch ja immer wieder daran erinnert werde. Hast du immer noch Liebeskummer?, hakte Noora nach und bezog sich wahrscheinlich darauf, dass Linn sich sowieso den ganzen Tag verkriecht und schläft. Zugegebenermaßen war das auch mein erster Gedanke dazu... Nein?, antwortete sie und setzte dann fort: Zuerst fühlst du dich depri, traurig und sauer. Aber dann kommt der Hass. Bei allem was mir gerade im Kopf herum ging, wusste ich doch eine Sache ziemlich sicher und schrieb: Werde Even niemals hassen. Egal wie sehr er mich verarscht haben mag oder nicht, oder was immer da los ist. Wie kann man denn auch jemanden hassen... wenn man ihn dummerweise liebt..? Warte nur, dass kommt. Hass ist eine gute Sache. Es bedeutet, dass du anfängst über ihn hinweg zu kommen. Und wenn du fertig bist mit hassen, wirst du total gleichgültig und dann schaffst du es dich in einen Neuen zu verlieben. Dann siehst du zurück auf euch, als eine nette Erfahrung und thats it, führte meine Mitbewohnerin ihre Tirade weiter aus und dies mal war es Eskild, dem dasselbe dazu einfiel wie mir: Linn war noch nie zuvor so aktiv in diesem Chat. Noora war zudem der Meinung, ich hätte mit meiner Fanta den Soft Spot getroffen. Was immer das heißen mag. Das Problem mit dem Hassen ist, glaube ich... leider dieses, dass man erst mal was richtig haben, erleben und lieben muss, eh man an irgendeinen Abschluss mit Hass oder sowas denken kann. Soweit waren Even und ich aber offensichtlich noch nicht. Wir waren erst am Anfang und auf dem Weg etwas zu haben. Zumindest, wenn man mich fragen würde, wie ich es empfand. Aber abgesehen davon, allein dieser verhältnismäßig ausschweifende Beitrag von Linn spricht mehr als für sich, dass sie mit ihrer Liebeskummer-Geschichte auch noch immer nicht wirklich durch ist und für sich damit noch nicht abgeschlossen hat. Seufzend und mit wenig Hoffnung widmete ich mich weiter meinen Serien. Als ich am späten Abend schlafen gehen wollte, ereilte mich das selbe Problem welches mir die Wochen zuvor schon meinen Schlaf raubte. Ich konnte nicht aufhören zu denken und das hielt mich bis etwa gegen sechs Uhr morgens wach, bis ich dann doch einschlief. Kaum eine Stunde später weckte mich mein Handy wieder und ich war sowas von im Eimer, ich konnte nicht aufstehen. Geschweige denn zur Schule gehen. Ich probierte es eine weitere Stunde lang mich irgendwie aufzuraffen. Doch nichts. Ich zückte, genervt von mir selbst, mein Telefon und schrieb Sana: Ich schwänze heute Schule. Kannst du meine Hausaufgaben für mich abliefern? Es dauerte einen Augenblick, bis sie mir antwortete: Selbstverst., schick's per email, dann kann ich's drucken. Gesagt, getan. Ich tastete lustlos nach meinem Laptop im Regal und fuhr das Ding hoch, um kurz darauf die Datei zu verschicken. Thx, bedankte ich mich knapp, woraufhin Sana fragte: Alles gut? War klar, dass sie das fragen würde, aber ich wollte mich dazu einfach nicht äußern. Nicht jetzt, nicht heute... Mein Handy landete auf dem Nachtschrank und der PC neben mir im Bett ging in den Ruhemodus, während ich mich auf den Rücken drehte und die Decke anstarrte. Und wirklich schlafen konnte ich auch nicht mehr, auch wenn ich verdammt müde war. Doch jedes mal, wenn ich halbwegs am wegdösen war, hatte ich irgendwelche Träume, die einen aus dem Schlaf schrecken lassen. Nach drei oder vier Versuchen hatte ich es aufgegeben und das getan, was ich auch das ganze Wochenende schon tat. Serien schauen. Immerhin irgendwas positives in dieser ganzen Scheiße. Oh Gott... woher kommt dieser neuerliche Optimismus...? Ist ja gruselig... Dienstag, 06.12.2016 – 11:46 Uhr An diesem Morgen hatte ich es tatsächlich geschafft aus dem Bett zu kommen, nachdem ich eine Nacht hinter mir hatte, die zwar mehr Schlaf beinhaltete als die vorige, aber auch ihre Hürden hatte. Ich sollte mich echt von Stress fern halten. Das kann nicht gesund sein. Und es kann auch erst recht nicht gut sein, wenn es ein einzelner Mensch so leicht hat mich komplett aus der Bahn zu werfen. Immer und immer wieder. Und ich Idiot lass mich auch immer wieder drauf ein... Wieso tu ich mir das nur an? Gerade war Mittagspause. Mahdi und Jonas saßen bereits an einem Tisch in der Kantine und unterhielten sich, während ich in der Schlange stand. Magnus war unweit hinter mir in der Reihe und mehr als ein Zunicken zur Begrüßung kam von mir nicht. Eigentlich wollte ich meinen Käsetoast, doch der war heute aus. Natürlich... wenn ich mal 'nen gottverdammten Käsetoast will ist keiner da. „Waffeln. Zwei“, bestellte ich daher, als ich fragend angesehen wurde. Ich legte das Geld dafür auf den Tresen und nahm meine Waffeln kurz darauf entgegen: „Danke...“ Mit meinem Essen machte ich mich auf zu meinen Bros und klatschte lieblos meinen Pappteller auf den Tisch: „Hi...“ „Hallo“, grüßte mein bester Kumpel zurück, Mahdi warf interessiert einen Blick auf meinen Teller und fragte: „Machst du Witze, die haben Waffeln in der Kantine?“ Etwas verwirrt, wie ich damit 'scherzen' sollte, beantwortete ich seine Frage, ebenso einsilbig: „Ja“, und setzte mich dazu, während Mahdi aufsprang und sich offenbar selbst umgehend Waffeln sichern wollte. „Was ist los, dass du nicht in der Schule bist?“, wollte Jonas wissen und irgendwie hatte ich ja auch damit gerechnet, dass er fragen wird. Also entgegnete ich dem: „Eh... ich fühl mich nicht so.“ „Was ist los?“, hakte er besorgt nach und so kam ich wohl nicht drumherum zu erklären: „Ähm... Even ist durchgedreht.“ „Oh. Was hat er gemacht?“ fragte er und ich erzählte ihm, wieso er dann auch von den Bullen eingebuchtet wurde: „Er ist nackt raus gegangen. Mitten in der Nacht.“ „Huh?“, kam es ungläubig von Jonas und ich nickte: „Er ist... wohl bipolar.“ Plötzlich klatschte noch jemand seinen Pappteller voll Essen vor meiner Nase auf den Tisch. „Wer iff wifolar? Meine muffer iff auch wifolar“, sprach Magnus mit randvollem Mund und setzte sich eifrig kauend ebenfalls dazu, während er mich abwartend ansah. Hab ich das jetzt richtig verstanden? Mags Mutter ist auch bipolar? „Hast du auch 'ne verrückte Mutter?“ Zwar biss er noch mal von seinem Brötchen ab, eh er sprach: „Sie ist nicht verrückt, sondern bipolar“, aber immerhin war er diesmal besser zu verstehen. Okay, vielleicht ist ja ausgerechnet erderjenige, der meine Fragen beantworten kann: „Ja, aber... wie ist sie?“ „Verdammt großartig. Sie ist... eh... Du hast sie doch getroffen, oder?“, kam es von ihm und ich überlegte kurz. „Ähm... ja, hab ich. Aber sie ist normal“, entgegnete ich dem und Magnus bestätigte: „Ja, sie ist total normal. Sie... hat nur... eh, so Phasen, wo sie depri oder aufgekratzt ist.“ Mhm... „Von wem redest du?“, wollte er nun von mir wissen und ich holte tief Luft, bevor ich antwortete: „Ehh.. Even. Er ist auch bipolar.“ „Oh“, vernahm ich es relativ gelassen von Mags, weshalb ich auch ihm erzählte was Even gemacht hatte: „Er ist nackt rausgegangen, mitten in der Nacht.“ Doch Magnus fing an zu lachen: „Echt?!“ Er feierte regelrecht: „Verdammt ulkig!“ Huh? Ich schüttelte den Kopf: „Das ist nicht lustig.“ „Doch, das ist schon komisch! Wisst ihr was meine Mom mal gemacht hat? Sie war so angepisst von der Bahngesellschaft... Sie hat rausgefunden wer der Regionalleiter ist und schickte eine Kündigung in seinem Namen. Sie schrieb irgendwie: 'Ich gebe auf, ich kann das nicht mehr', oder so“, erzählte er und giggelte weiter. Ist sowas etwa normal für ihn? „Wo.. wo ist Even jetzt?“, wandte er sich erneut an mich. Woher soll ich das wissen? Verwirrt sprach ich: „Zu Hause, sicher.“ „Nicht physisch, sondern eher... im Kopf. Ist er aufgekratzt oder depri?“, definierte Mags nun seine Frage und so gab ich zu: „Ich hab nicht mit ihm geredet.“ Jedenfalls nicht, seit ich ihm vor ein paar Tagen schrieb, dass er mich in Ruhe lassen soll. „Wieso nicht?“, hakte er nach und ich verteidigte mich: „Weil... alles war Bullshit von seiner Seite.“ Nun hörte Magnus auf mit kauen und hakte mit ernster Stimme nach: „Was meinst du?“ „Er war manisch?“, erklärte ich und mein Gegenüber schien irritiert: „Du warst doch für 'ne lange Zeit bei ihm, er war nicht die ganze Zeit manisch. Wenn meine Mom manisch ist, dann ist das so, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihr kriege. Du hattest doch eine Menge Kontakt zu ähm... Even.“ Wie jetzt? Nun war ich erst recht verwirrt: „Ja. Aber... Sonja sagte, er war die ganze Zeit manisch.“ „Wer ist Sonja?“, fragte Mags und ich antwortete ihm: „Seine Ex.“ Die ernste Mine des vor mir Sitzenden erhellt sich wieder: „Ach... Also du denkst... Du vertraust seiner Ex, wenn sie dir sagt, dass er keine Gefühle für dich hat? Smart, Isak! Das ist des beste, was heute gehört habe. Wow! Wow...“ Er schüttelte ungläubig mit dem Kopf und setzte fort: „Wie wär's, wenn du Even fragst, was er fühlt? Er ist nicht... hirntot, nur weil er mal 'ne manische Episode hatte. Rede mit ihm, wenn er wieder runter gekommen ist.“ Ich war echt konfus. Eigentlich wurde gerade alles in meinem Kopf total aufgewühlt. Aber irgendwie... hat Magnus recht. Wieso vertrau ich Sonja mehr als Even? In dem Moment fiel mir das Gespräch zwischen uns in der Küche wieder ein. ... Nur du kannst fühlen, was du fühlst... ... Ich hab noch nie... so was gefühlt, wie das hier... Jemals... Aber... wieso... ich meine... ich... bin... Ein Idiot, bin ich. „Du bist ja eigentlich ganz cool, Mags“, merkte Jonas an und der Gemeinte konterte: „Mhm, das merkst du erst jetzt?“ „Ja“, entgegnete dem mein bester Freund und Magnus schmunzelte: „Danke, Jonas, du bist auch ganz cool.“ Recht haben sie. Alle beide. Und ich bin einfach nur bescheuert. Oh mein Gott, bin ich bescheuert, man...! Und jetzt? Will er überhaupt noch was mit mir zu tun haben? Ich meine... ich würde auch nicht mehr mit mir reden, nach der Nachricht, die ich ihm geschickt hatte. Oh shit, Isak, du hast mal wieder alles abgefuckt... Abermals klatschte ein Pappteller auf unseren Tisch: „Waffeln for the win, man!“ Mahdi war zurück, setzte sich ebenfalls wieder hin und fragte in die Runde: „Hab ich was verpasst?“ „Magnus gibt Beziehungstipps“, antwortete Jonas und Mahdi zog skeptisch die Augenbrauen hoch: „Na, ob das zu gebrauchen ist...“ „Ey, wieso traut mir keine Sau zu, ein gewisses Maß an Sozialkompetenz zu haben?“, moserte der Gemeinte und stopfte sich den Rest seines Essens in den Mund, bevor er sprach: „Ich win schufällig grofarfig, jungf!“ Damit stand er auf und brachte seinen Teller weg. Jonas und Mahdi fingen an zu giggeln und ich merkte an: „Ich hab kein Wort verstanden.“ Nach Mags' drop of wisdom hatte ich für diesen Schultag und vor allem später zu Hause noch mehr, worüber ich mir den Schädel zerbrechen konnte und wofür ich mich selbst schlagen könnte. Auch diese Nacht sollte Schlaf zu finden wohl wieder mal ein Glückstreffer von nur wenigen Stunden werden. Hab mich bis dahin mit Einkaufen und Wäsche waschen versucht abzulenken, und sogar mit Putzen. Putzen! Ich. 'Freiwillig'... Es war die Verzweiflungstat eines Verzweifelten... Eskild nannte es 'ungewöhnliche Aktivitäten'. Den ganzen Abend hatte ich, während meines – selbst für mich – bizarren Verhaltens überlegt, wie ich jetzt weiter mit der Sache um Even verfahren soll. Anrufen? Schreiben? Abstand halten? Persönlich aufschlagen? Für alle erdenklichen Szenarien die mir einfielen, arbeitete mein Hirn unablässig ein mannigfaltiges Repertoire an Möglichkeiten aus, wie diese stattfinden könnten und ich sie vergeige. Das passiert sowieso immer automatisch. Entweder ich denke viel zu viel nach, oder gar nicht. Aus beidem entstehen meist nur Probleme. Ich konnte nicht mal mehr meine verdammten Serien weiter sehen, da es überhaupt keinen Sinne hatte, wenn ich nicht ein bisschen Konzentration dafür übrig hatte. Einmal mehr verstand ich, wie es Even gehen musste, mit all den Gedanken im Kopf. Fuck, ey... Auch jetzt versuchte ich die Wut auf mich selbst mit ein wenig abendlichen Sport in den Griff zu kriegen. Das würde zwar an der Situation nichts ändern, aber so konnte es wenigstens raus und frisst mich nicht zu sehr von innen auf. Anschließend duschen und ab ins Bett, damit ich mich endlich wieder stundenlang im Selbstmitleid wälzen kann. Herrlich. Die Fragen in meinem Kopf wurden allerdings nicht weniger und blöderweise hatte ich Magnus nicht finden können, als ich ihn am nächsten Tag in der Schule suchte. Weshalb ich ihn direkt nach dem Unterricht anschrieb: Yo[/style]. Einige Minuten später schrieb er zurück: *sup, hast du das Finale von ww gesehen? Heeeeeilge Scheiße!!! Ich war ja dabei, alle Serien aufzuholen, aber: Hab's noch nicht gesehen, man. Schaff ich vielleicht aber noch in den nächsten Tagen. Da Even womöglich eh nichts mehr mit mir zu tun haben wollen könnte, hätte ich sicher genug Zeit und bald auch wieder die Nerven dazu. Hab's gerade gesehen, verdammt großartig, ließ er mich wissen, was mich vermuten ließ, dass er schon 'ne Weile länger zu Hause war. Fett, entgegnete ich dem knapp und las was er nun schrieb: Mit Even geredet? - Nee. Dachte, vielleicht ruf ich ihn an, teilte ich Magnus einer meiner vielen Ideen mit und er antwortete: Do it. Wenn das so einfach wäre... Aber was glaubst du ist er, glaubst du er ist manisch?, fragte ich und er schrieb: Weiß nicht. Hast du was von ihm gehört? - Nein, entgegnete ich dem und Mags vermutete daher: Er ist sicher runter gekommen. Also... meint er jetzt damit: Dass er deprimiert ist? - Ja wahrscheinlich, aber weiß nicht. Das machte mir gleich noch mehr Sorgen: Wie lange wird er so sein? - Weiß nicht, war auch hier seine Antwort, doch so richtig zufriedenstellend war das nicht: Aber wie lange ist deine Mutter normalerweise so? Vielleicht kann man da ja irgendwie was abschätzen. Das ist verschieden, und die Sache ist die, dass es komplett verschieden ist von Person zu Person. Kommt drauf an, ob er Medikamente nimmt ect., erklärte er. Also gibt’s da Pillen oder so Zeug, was man nehmen kann? Nimmt er die? Oder kann ich irgendwas anderes für ihn tun, oder helfen? Vielleicht kann ich doch persönlich zu ihm gehen? Aber denkst du dass er zu Hause ist?, wollte ich daher wissen und Mags schrieb: Sicher Isak. Woher soll ich wissen, ob Even zu Hause ist? Ehh ja, nee... Ich meine das doch anders: Ja, aber mehr so, ob er eingeliefert wurde oder was weiß ich, wenn man üblicherweise eingeliefert wird irgendwo, oder irgendwie sowas? Kann doch sein, dass es sie ihn in eine psychiatrische Einrichtung stecken, bis er wieder.. naja normal ist... Meine Mutter wird normalerweise nicht irgendwo eingeliefert. Er ist sicher nur zu Hause mit seiner Familie, gab Magnus mir Entwarnung und so atmete ich erleichtert durch:Ok. Ich hatte mal wieder vor lauter Sorge den Teufel an die Wand gemalt. Rede einfach mit ihm, er wird sich sicher freuen von dir zu hören. Gut. Ok, brachte ich dem abermals entgegen und hatte beinahe schon wieder so etwas wie Hoffnung. Nur eine Sache, wenn du mit ihm redest ist es wichtig, dass du KEINE Worte benutzt, die mit P beginnen, denn P-Laute sind krass triggernd für bipolare Leute. Huh? Ich wusste nicht was ich mit dieser Info anfangen sollte und sendete daher: ??? Doch Mags löste die Sache schnell auf und teilte mir mit, mich mal wieder nur zu verarschen. Als wäre ich nicht schon gestresst genug wegen der Sache. Chill! Sei einfach du selbst, man. Zitat Henrik Ibsen. Der macht mich fertig... Henrik Ibsen hat das nie gesagt, entgegnete ich dem und las daraufhin von ihm: Whatever, schreib mir, wenn du mit ihm geredet hast, Zitat von Henrik Wergeland. Ich musste bei dem Blödsinn tatsächlich schmunzeln, den er hier so von sich gab und verabschiedete mich damit: Haha. Ok. Thx. Ich ließ mir das im Chat besprochene noch mal durch den Kopf gehen und legte mir zurecht, was ich sagen würde, wenn ich Even anrufe. Denn fürs Anrufen und erst mal vorsichtig heran tasten hatte ich mich letztlich entschieden, statt gleich mit der Tür ins Haus zu fallen oder nur 'ne Mitteilung dazulassen Mittwoch, 07.12.2016 – 17:01 Uhr Am Ende hat es eine ganze Stunde gedauert, bis ich wusste was ich sagen wollte. Ich hatte die ganze Zeit mein Handy in der Hand und betrachtete immer wieder den kleinen Bildschirm, auf welchem 'Even Kosegruppe' stand. Ich atmete noch einmal tief durch und... traute mich dann doch nicht, vor lauter Aufregung. Ich ging meinen zurechtgelegten Text im Kopf noch mal durch, sammelte meinen Mut und drückte endlich auf den grünen Hörer. Mein Herz drohte jeden Moment auszusetzen vor lauter Anspannung. Es klingelte ein mal, ein zweites mal... ein drittes und viertes mal. Beim fünften wies er den Anruf ab und die verdammte Mailbox ging ran. Ich wollte nicht drauf sprechen. Nicht sowas persönliches... Außerdem tat es irgendwie gerade verdammt weh, abgewiesen worden zu sein. Heißt das, er will nicht mit mir reden? Nie mehr? Ich hab's verkackt... So richtig. Oh fuck... Ich legte auf und sah noch einen Moment auf mein Telefon, eh mir mal wieder tausend Gründe durch den Kopf schossen, wieso Even nicht ran gegangen sein könnte. Von 'er will nichts mehr mit mir zu tun haben' bis 'etwas schlimmes ist passiert' ging mir alles mögliche durch den Kopf. Wobei ich es für am wahrscheinlichsten hielt, dass er das mit mir abgehakt hat. Plötzlich klingelte es und ich sah ein wenig erschrocken aufs Display. Es war nicht Even, sondern mein Vater. Irgendwie hatte ich keine große Lust mit ihm jetzt zu reden, weshalb ich einen Augenblick überlegte, ob ich das Gespräch annehme und tat es dann doch. „Hi...“, meldete ich mich zu Wort und hörte seine Stimme: „Hi, Isak! Hi du.“ Diese doppelten Begrüßungen hierzulande hab ich nie verstanden und auch nie wirklich gern gemacht, aber was soll's. „Hi...“, wiederholte ich mich, eh sich Papa zu seinem Anliegen äußerte: „Wie ist's..ehh... Ich wollte nur sicher gehen, dass du am Freitag kommst?“ Da ich sowieso schon zu gesagt hatte, antwortete ich ziemlich leise: „Ja, ich komme. Wann-...“ „Gut“, unterbrach er mich, weshalb ich also noch einmal meine Frage stellte: „Wann beginnt das?“ Da ich nicht wirklich die Muse hatte laut und deutlich ins Telefon zu sprechen, kann ich es ihm nicht mal übel nehmen, mich überhört zu haben. „Halb neun“, entgegnete er dem und ich hauchte nur ein „Ja...“, eh ich mich noch einmal zu einem deutlicheren: „Yes“, hinreißen ließ. Nicht, dass ich noch drei mal gefragt werde. „Du, aber ähm... Schön, dass du jetzt einen Freund hast“, sprach er ausgerechnet auch noch das Thema an und ich wusste im ersten Moment nicht was ich sagen sollte und brummte dann: „Ach das, war'n Witz...“ Was hätte ich sagen sollen, wenn die Sache mit Even eh gegessen ist, nach allem? „Ja... oh, ja... Aber wir werden uns dann ja am Freitag sehen, Isak. Ich freu mich dich zu sehen. Und Mama auch.“ „Ja...“, kam es wieder sehr leise von mir. Sollten sich meine Eltern jetzt doch zusammenreißen können? Jetzt, wo bei mir alles den Bach runter geht? „Ja, aber gut-“, wollte er sich wahrscheinlich gerade verabschieden, als ich ihm ins Wort fiel: „Papa?“, und mich spontan dazu entschied mich nicht wieder zu verstecken. „Ja?“, hörte ich es aufmerksam von ihm und so gestand ich: „Das war kein Witz... Ist nur Schluss... Also.. ja...“ Denke ich zumindest. „Okay“, vernahm ich es am anderen Ende der Leitung, doch allein der Gedanke, dass 'Schluss ist', ließ die Emotionen in mir wieder hochkochen, weshalb ich das Gespräch so schnell wie möglich beenden wollte, eh alles aus mir heraus bricht: „Also, ja...“ Doch er fragte mich: „Ist es... Bist du traurig darüber.. oder...?“ „Nein“, log ich und schon kamen die ersten Tränen, die ich verfluchte, weil ich sie nicht zurückhalten konnte. „Alles toll...“, kam es fast schon stimmlos aus meiner Kehle und vielleicht hatte er ja auch gemerkt, dass ich nicht drüber reden konnte oder wollte. „Ähm... fein“, sprach er und ich wischte mir die Tränen weg: „Ja... Ja.“ „Dann sehen wir uns-...“, begann er sich aufs Neue zu verabschieden, doch ich schaffte es nicht ihn seinen Satz beenden zu lassen: „Tschüss...Tschüss!“ und legte auf. Es ging nicht mehr. Ich hätte auch keine weitere elterliche Rede darüber ertragen können, dass ich noch viele Beziehungen haben werde oder was weiß ich was für'n bescheuerter Rat. Ich wollte nicht 'viele', ich wollte nur diese eine. Und die hab ich vergeigt... Noch einmal wischte ich diese verdammten, salzigen Tropfen aus meinem Gesicht, die mich mal wieder daran erinnerten, wie wenig ich mich mich zusammenreißen konnte, bei allem was Even betrifft. Langsam weiß ich nicht mehr was ich tun oder lassen soll... Ehrlich... ich weiß es nicht... Ich hielt mein Telefon noch immer fest. Meine Handflächen waren klatschnass, seitdem ich Even angerufen hatte und er mich abwies. Daher ließ ich es auf dem Bett neben mir fallen und wischte meine Hände an meiner Hose ab. Meine Fingerspitzen waren kalt, während die Innenflächen glühten. Vor dem Fußende meines Bettes ließ ich mich nieder, starrte auf meine angezogenen Knie und legte meine Hände an die Fußknöchel. Mein Kopf kippte nach hinten, weshalb ich nun an die Decke schaute und nach klaren Gedanken suchte. Im Gegensatz zu sonst, verspürte ich im Augenblick nicht mal Wut. Wut, die ich abbauen konnte, indem ich Liegestütze mache oder sonst was tue, um den Kopf frei zu kriegen. Selbst diese Energie fehlte jetzt einfach nur. Ratlos, machtlos, energielos und Even bin ich auch los... Ich hing eine Weile so da, bis mir der Nacken von dieser Position weh tat und ich aufsah, mir mit den Fingern durchs Haar raufte und die Augen schloss. Und nachdachte. Magnus wollte, dass ich es ihn wissen lasse, sobald ich Even angerufen hab, also angelte ich nach meinem Telefon und schrieb ihm: Er hat aufgelegt, als ich anrief. Mags meldete sich auch gleich zurück: Dann depri. Vielleicht. Schreib ihm 'ne Nachricht. Ist voll fett 'ne Nachricht zu kriegen. Zitat Bjørnstjerne Bjørnson. Er und seine komischen Zitate neuerdings... Hatte dieser Bjørnson nicht die Nationalhymne geschrieben? Was weiß ich... Ok, entgegnete ich dem und begann zu überlegen, was ich Even schreiben könnte. Lieber 'nen langen Text? Aber vielleicht hat er null Bock einen Roman zu lesen, wenn er deprimiert und angepisst ist. Dann eher was ganz kurzes? Und dann denkt er womöglich, dass er mir eine längere Nachricht nicht wert ist... Gott! Meine verdammten Nerven, man! Ich stand auf und ging in die Küche, suchte irgendwas Essbares im Kühlschrank und kaute auf einer trockenen Toastscheibe herum, während ich mir unaufhörlich den Schädel darüber zerbrach, was ich schreiben könnte, um nicht noch mehr Schaden anzurichten. Zurück in meinem Zimmer, schnappte ich mein Handy und nahm es mit ans Fenster, schaute auf die nächtlich beleuchtete Straße hinaus und erinnerte mich an den Tag zurück, als ich ebenfalls schon hier stand und über Probleme nachdachte, die mir damals so riesig vorkamen, heute aber 'ne Lachnummer sind, gegen das, womit ich nun zu kämpfen hatte. Ich erinnerte mich auch daran zurück, wie Evens Arme sich in diesem Moment um mich gelegt hatten und er mich fragte ob mir kalt sei. Auch jetzt waren meine Fingerspitzen eisig, wie damals. Nur blieben sie es jetzt wohl auch. Mir fehlte seine Wärme so sehr. Sein Lächeln. Seine Berührungen. Sein Duft. Einfach alles was mich glücklich gemacht hat. Ich hob mein Telefon an und begann ihm einfach aus dem Bauch heraus eine Nachricht zu schreiben: Hab versucht dich anzurufen. Hoffe, dir geht’s gut. Melde dich, wenn du dich danach fühlst. Er las es nicht. Jetzt nicht und auch Tags darauf hatte er es nicht gelesen und meine Sorgen wurden immer größer. In der Schule war nicht viel mit Konzentration, doch zum Glück wird vor den Ferien kein neues großes Thema angefangen, sondern meistens nur das bisherige mit kleineren Übungen und Aufgaben gefestigt, damit wir über die Weihnachtsferien nicht wieder alles vergessen. Das hab ich gerade noch hinbekommen, wenn auch alles andere als enthusiastisch. Am Abend schrieb mir Vilde. Als ich ihr Bild samt Namen im Messenger aufploppen sah und den Anfang ihrer Nachricht, war ich doch etwas irritiert, weshalb ich las, was sie mir mitzuteilen hatte: Hi Isak. Ich will ja nicht tratschen, aber ich dachte, ich sollte es dir erzählen, für den Fall, dass du was mit ihm laufen hast und du es vielleicht wissen willst, aber ich hab gehört, dass Even psychologische Probleme hat/Psychopath ist. Jeez, Vilde?! Wo hast du das her?, fragte ich also schon ziemlich sauer zurück. Ich meine, welcher Penner verbreitet sowas und wieso will sie ihn damit bei mir schlecht machen? Sie tippte: Jemand, der letztes Jahr mit ihm in Bakka war sagt, er ist komplett ausgeflippt und er schrieb einen Haufen verrückter Dinge auf die Revue-Facebook Seite und so. - Ok, war das einzige was ich dazu schreiben konnte. Ich wusste, ich war ohnehin gereizt davon, was sich Vilde in seine Angelegenheiten mischt und erst recht auf diesen Unmenschen, der den Scheiß verbreitet. Wahr oder nicht wahr. Mir scheiß egal! Ich dachte, du würdest das wissen wollen, las ich nun von ihr und ich antwortete so gut es ging beherrscht: Warum sollte ich das wissen wollen? Sie entgegnete dem: Weil, wenn ich mit jemandem zusammen wäre, der so einen Ruf hat, würd ich jedenfalls gerne davon wissen wollen. Dann hast du so jemanden sicher nie geliebt... Ok. Was wenn du Scheiße gebaut hättest. Willst du, dass die Leute Gerüchte über dich verbreiten sollten, ein Jahr später? Grow up Vilde. Verdammt, man! Diese möchte-gern Gossip-Girls immer. Wenn Even davon erfährt und sowieso schon depressiv ist, wer weiß was er dann anstellt. Können diese Leute nicht einfach mal ihre verfluchten Klappen halten und sich um ihren eigenen Scheiß kümmern? Hat echt niemand eigene Probleme, mit denen er sich beschäftigen kann, statt so einen Mist vom Stapel zu lassen? Im Laufe dieses Gesprächs hatte sich dann doch ein wenig Wut angesammelt. Aber offenbar war nicht nur ich davon angefressen. Hallo, du brauchst nicht sauer zu werden, ich sag das nur als Freundin, war ihr Abschlussplädoyer und ich entschloss mich dazu lieber nichts mehr dazu zu sagen, eh ich wirklich ausraste und wir, Even und ich, irgendwann als die Gay-Psychos der Schule abgestempelt werden. Was dann sicher auch nur ein ach so gut gemeinter Rat von Leuten wie Vilde ist, dass man sich besser von uns fern halten sollte. Whatever... Ein Freund würde demjenigen aus Elvebakken, wo sie das her hat, die Meinung geigen, und nichts anderes. Damnit! Ich setzte die Energie, welche sich eben in Form von Ärger angesammelt hatte, dann doch noch in ein kleines Workout um und ging anschließend duschen. Die paar Stoppeln in meinem Gesicht kann ich auch morgen vor diesem Kirchenkonzert noch mal glätten. Will ja nicht bei meinen Eltern auftauchen, als wäre ich nicht im Stande mich um mich selbst zu kümmern. Ein paar weitere Folgen von meinen Serien holte in den wenigen Stunden vorm Schlafengehen noch auf. Als ich gerade bei der letzten Episode, zumindest für heute, von Westworld war, vernahm ich eine Nachricht von Jonas. Wollte eigentlich erst Narcos zu Ende ansehen, aber wie ich Magnus kenne, würde der mich bei jeder Gelegenheit fragen, ob ich denn schon mal zum großartigen Finale dieser Serie gekommen wäre. Und ich hatte echt keine Lust mir das die nächsten drei Wochen anzutun. Dennoch drückte ich auf Pause, denn jetzt war erst mal mein bester Freund dran. Er meldete sich mit: Shalom, weshalb ich ihm mit leichtem Schmunzeln entgegnete: Salaam. Das ist so ein Ding zwischen uns. Man hielt Jonas schon für jemanden mit orientalischer oder jüdischer Abstammung. Dabei sagt sein Nachname, Vasquez, doch eigentlich mehr darüber aus, wo die Wurzeln hinreichen. Ich bin dankbar darum, denn damals in der Grefsen Sekundarschule hatte man uns einfach in alphabetischer Reihenfolge platziert. Valtersen und Vasquez bildeten somit die Schlusslichter ganz hinten in der Ecke, wo unsere Freundschaft begann. Seitdem sitze ich immer ganz hinten und in der Ecke, auch wenn ich jetzt, in der Oberstufe, leider nur noch wenige Fächer mit Jonas gemeinsam habe. Von Even gehört?, fragte er mich und ich antwortete: Nee. - Geh zu ihm, schlug er vor und ich entgegnete dem geknickt: Er hätte geantwortet, wenn er reden wollte. Wochenende abwarten. Da werd ich sehen, ob er sich meldet oder nicht. Aber du kannst mit uns morgen mitkommen, schrieb er und meinte sicher irgendwo zu irgendeiner Party, aber ich hatte meinem Vater schon zugesagt: Ich soll zu 'nem Konzert mit der Fam. Doch Jonas dachte scheinbar, ich erfinde wieder Ausreden: Jeez. Ich musste grinsen, als ich tippte: Ehehehe. Diesmal stimmt es. Vielleicht später. - Ok. Aber flipp nicht bei Mahdi aus, wenn er fragt wo du gewesen bist, las ich von ihm und entgegnete dem: Haha, Ok, bevor ich seine nächste Nachricht erhielt: Peacenluv. Muss schlafen. - Nacht, war daraufhin meine letzte Message für heute und anschließend schaute ich die restliche Folge zu Ende, eh auch ich versuchte ein wenig Schlaf zu finden. Wie immer: zunächst holprig, aber irgendwann hatte es doch geklappt. Am nächsten Morgen, mein Handy-Wecker hatte mich gerade aus dem Bett terrorisiert, vernahm ich wieder einmal eine Mitteilung von Vilde. Mit gemischten Gefühlen las ich auch das: Hi Isak, wollte nur Entschuldigung sagen, wegen dem was ich gestern über Even sagte, hab realisiert wie idiotisch das war. Reichlich verpennt und auch ein wenig überrascht von ihrer Einsicht schrieb ich: Das ist cool. Es folgten ein paar Emojis und die Frage, was ich, Magnus und die anderen Beiden dieses Wochenende machen. Nur hatte ich schlicht keinen Bock drauf, gerade ihr zu erzählen was ich persönlich vor habe, weshalb ich mich dazu nicht äußerte. Wenn sie mit den Jungs rumhängen will, soll sie sie selbst fragen. Ich will nicht wieder der Idiot sein, der Allen alles verspricht und recht machen will und dann als 'Verräter' geächtet wird, nur weil sich meine Pläne spontan ändern könnten. Even hat gerade Priorität für mich. Wenn er anruft, reden will oder was auch immer, dann lass ich alles andere fallen. Wunderbarerweise zog sich der Schultag heute auch nicht ewig. Ich nutzte die Freistunde, um ein paar Hausaufgaben gleich abzuarbeiten. Früher wäre ich wahrscheinlich zu den Jungs gegangen, hätte sie zum schwänzen überredet und wir wären in den nächsten Imbiss. Die Hausaufgabe hätte ich dann solange verdrängt, bis ich sie vergessen hätte und mir kurz vorher mit Schrecken bewusst geworden wäre, dass da ja noch was war. Okay, vergessen hab ich in den letzten Wochen auch viel, und statt mit den Jungs was Essen oder Saufen zu gehen, hab ich lieber Even vernascht. Aber irgendwann muss ich ja mal damit anfangen Ordnung in mein Chaos zu kriegen. Und wieso nicht jetzt die Zeit nutzen und dann hab ich den Scheiß hinter mir und kann mich gechillt ins Wochenende begeben. Am Abend vor dem Weihnachtskonzert in Sagene, hatte mir meine Mutter geschrieben, als ich gerade triefend nass mit einem Handtuch um der Hüfte aus dem Bad kam: Ich freue mich darauf dich heute in der Kirche zu sehen, in der du getauft wurdest. Das wird sehr schön. Kurz nahm ich das Handtuch ab und rubbelte mir damit durch die Haare, eh ich es wieder um mich klemmte und brav zurück schrieb: Bis dahin. Umarmung. Schließlich wollte ich ja mit gutem Beispiel vorangehen und so. Als ich vorm Spiegel stand und durch die feuchten Strähnen auf meinem Kopf fuhr, beschloss ich mir die Haare doch lieber zu föhnen. Sie sind mittlerweile zu lang, als dass sie schnell genug trocknen und wenn ich mit 'nem Cap in 'ner Kirche aufkreuze, dann errege ich womöglich nur Unmut. Daher zog ich mir schnell ein paar halbwegs ordentliche Klamotten an und lief ins Wohnzimmer: „Kann ich euren Föhn benutzen? Muss halb neun wo sein.“ „Klar, sicher doch“, entgegnete Eskild mir, obwohl es gar nicht sein Föhn ist, um den es hier ging. Noora warf ihm einen entsprechenden Blick zu, aber lächelte dann: „Nimm nur.“ „Danke“, brachte ich ihr nickend entgegen und ging zurück ins Bad. Das Geräusch des Gerätes erinnerte mich nur zu gut an das letzte mal, als ich solch ein Ding benutzt habe. In diesem Hotel, vor ziemlich genau einer Woche. Als ich fertig war und mich im Spiegel betrachtete, fiel mir auf, dass meine Haare glatter sind und meine Locken nicht so wild herum springen, wenn ich sie föhne, als wenn ich sie an der Luft trocknen lasse. Was Even wohl mehr gefällt? Glatt oder wild? Oder sie sind ihm zu lang... Oder es interessiert ihn auch gar nicht mehr. „Fuck...“, murmelte ich meinem Spiegelbild zu und versuchte einen Scheitel zu kämmen. Freitag, 02.12.2016 – 20:24 Uhr Kurz nach acht Uhr macht ich mich auf den Weg zur Haltestelle, dessen Straßenbahn mich bis fast vor die Kirche bringen würde. Die letzte Strecke von nur einigen Metern nahm ich zu Fuß und traf wenige Minuten vor halb neun pünktlich ein. Ich hatte nie viel für Kirchen übrig, aber diese hier ist echt beeindruckend. Riesengroß und irgendwie... schön. Gothic Revival Style nennt man das, glaube ich. Es fühlte sich dennoch komisch an, eine Kirche zu betreten. Hab es immer gemieden, soweit ich mich erinnern kann. Vielleicht hatte ich bisher geglaubt, der Blitz würde mich treffen, sobald ich in ein solches Gebäude gehe. Doch es passierte nichts. Hier drin war es ein wenig wärmer als draußen. Vermutlich durch die unzähligen Kerzen überall. Weiter vorn, am Rand des Ganges in der Mitte, sah ich meine Eltern stehen, zusammen. Was Weihnachten so alles bewirken kann. Auch dieses blau leuchtende Kreuz ganz vorne auf dem Altar fiel mir ins Auge. Es brachte irgendwie... ein modernes Flair ins altertümliche Bild. Und an irgendwas erinnerte es mich, doch mir wollte nicht einfallen woran. Mit Bedacht ging ich vorwärts. Jedes Wort was jemand hier sagte und jeder Schritt den ich nahm, hallte in diesem großen Raum. Faszinierend, aber auch beängstigend. Meine Eltern; sie unterhielten sich. Wie zivilisierte Menschen. Es ging gerade um seine Arbeit, wie ich hörte. Mein Herz klopfte, als ich mich ihnen näherte. Ich weiß nicht mal warum, es waren ja nur meine Eltern, aber... sie zusammen zu erleben, ohne Streit und völlig normal im Umgang... das war irgendwie beruhigend zu sehen. Sie drehten sich zu mir, als sie mich bemerkten. „Hi“, versuchte ich zu lächeln, auch wenn mir trotz allem weihnachtlichen Zauber wenig danach war. „Isak, mein wunderschöner Junge. Komm her“, begrüßte mich Mama und so legte ich einen Arm um sie, während sie mir einen Kuss auf die Wange drückte. Papa tat es ihr nach. Auch wir umarmten uns kurz und er fragte: „Wie geht’s dir, Großer?“ „Alles gut“, antworte ich schnell und hoffte, wir würden beim Smalltalk bleiben. Jetzt die Sache mit Even anzusprechen wäre irgendwie der Worst Case. Doch stattdessen fielen nur ein paar obligatorische Sätze, zu denen ich nur weiter lächeln und nicken musste. Zum Beispiel fragte meine Mutter: „Was macht die Schule?“ „Läuft“, war meine knappe Antwort und auch mein Vater sprach sich stolz dafür aus, wie gut ich das alles unter einen Hut kriege. Ich lächelte auch hier und war froh, dass sie das dachten und nicht noch Salz in offene Wunden kippten. In dem Moment bemerkte ich einen Benachrichtigungston. Ich holte mein Handy hervor, eigentlich um es während der Vorstellung auszumachen, traute dann aber meinen Augen kaum. Es war von Even, und er schrieb: Liebster Isak. Ich sitze jetzt hier, wo wir uns das erste mal trafen und denke an ich. Bald ist es 21:21 Uhr. Ich möchte dir tausend Dinge sagen. Entschuldige dafür, dass ich dir Angst gemacht hab. Entschuldige dafür, dass ich dich verletzt habe. Entschuldige dafür, dass ich dir nicht gesagt habe, dass ich bipolar bin. Ich hatte Angst dich zu verlieren. Hatte vergessen, dass man niemanden verlieren kann, dass alle Menschen sowieso alleine sind. An einem anderen Ort im Universum sind wir zusammen, bis in alle Ewigkeit; erinnere dich daran. Liebe dich. Even. Ich war unglaublich erleichtert, dass er mir nun endlich geschrieben hatte. Es ließ mich lächeln, und dieses Lächeln war auch das erste heute, welches ich auch wirklich so meinte. Er liebt mich, schrieb er. Mir wurde warm. Während ich auf die letzten drei Worte seiner Nachricht starrte, vernahm ich am Rande, wie sich ein Gruppe von Musikerinnen mit ihren Instrumenten vorn in der Kirche aufbauten. Geht wohl jetzt los. „Ich glaube, sie wollen anfangen. Wir sollten uns setzen“, bestätigte meine Mutter den Gedanken und so rutschten wir in die Reihe, nahmen Platz und lauschten den ersten Klängen, und dem Typen, der da vorne 'O Helga Natt'* in Schwedisch sang. Auch wenn mich dabei die Nachricht von Even einfach nicht loslassen wollte… Ich verstand einigermaßen den Text des Liedes und versuchte ihm weiterhin zu folgen. 'Um die Verbrechen und Sünden der Welt zu vergeben, für uns hat er den Todesschmerz erlitten. Und ein Strahl der Hoffnung geht durch die Welt, und das Licht scheint über Land und Meer. Volk, fall nun nieder und begrüße deine Freiheit' ... 'Vom Himmel brachte der Erretter uns Frieden, für uns stieg er hinab in sein stilles Grab.' Ich wusste nicht wieso, aber diese Zeilen drangen wahrscheinlich so tief in mein Unterbewusstsein, dass nicht nur der direkte Blick des Sängers da vorne mir eine einen eisigen Schauer einjagte. Es war, als hätte dieser Typ die Macht dazu mich wach zu rütteln. Dass es hier um mehr ging, als nur die letzten drei Worte einer Nachricht. Es war, als wäre Even mein persönlicher Erlöser, von dem da gesungen wird und ich das errettete Volk. In meinen nun rasenden Gedanken, ergab so vieles jetzt Sinn und mein Blick driftete ab auf das große blau leuchtende Kreuz weiter hinten. Ich wusste wieder woher ich es kannte. Der Film. Romeo und Julia. Da waren auch viele dieser Kreuze, als beide am Ende starben. Dieses Interview-Video von Even... er sprach darüber, dass die Hauptdarsteller in epischen Liebesgeschichten sterben müssen, sonst wäre es nicht episch. Er hatte auch davon geredet, dass es nur den einen Ausweg gibt; zu sterben, um seinen Gedanken zu entkommen. Genauso wie er im Hotel sagte, dass die einzige Möglichkeit, etwas für immer zu haben, die sei, genau das zu verlieren. Diese vielen Puzzleteile in meinem Kopf, mit denen ich bisher nicht viel anfangen konnte, setzten sich zusammen und ein Bild entstand. Alles ergab plötzlich einen verdammt erschreckenden Sinn. Und... er ist jetzt gerade wahrscheinlich depressiv. Was, wenn er... Wenn er... Mir blieb der Atem weg, mein Herz begann fast schon schmerzhaft zu Wummern und mir lief es heiß und kalt über den Rücken. Ich holte erneut mein Handy hervor und öffnete diese Nachricht noch einmal. Vor allem das Ende las sich jetzt ganz anders: Hatte vergessen, dass man niemanden verlieren kann, dass alle Menschen sowieso alleine sind. An einem anderen Ort im Universum sind wir zusammen, bis in alle Ewigkeit; erinnere dich daran. Liebe dich.... Das... das ist ein verdammter Abschiedsbrief... oder? Scheiße, Even... Du willst... dich doch nicht...? Dermaßen schockiert stand ich mitten in der Aufführung auf und lief mit den grauenhaftesten Szenearien vor Augen einfach los. Hinaus aus dieser Kirche, auf die Straße und immer an den Bus- und Bahnlinien entlang, in der Hoffnung, es käme irgendeine dieser Mitfahrmöglichkeiten gelegen, die mich schneller die 3,5 Kilometer zum Ziel bringen würde, als meine Füße mich tragen könnten. Ich rannte einfach drauf los, während die Bilder, die ganzen Erinnerungen in meinem Kopf auf mich ein prasselten. … Als wir uns im Aufzug hoch über Oslo küssten. Einer der schönsten Moment in meinem Leben. Das hat nur er mir ermöglicht... Ich lief auf die nächste Bushaltestelle zu, doch es kam kein Bus, also hetzte ich weiter. … Als Even vor zwei Wochen alles stehen und liegen lassen hat, nur um zu mir zu kommen, nachdem ich ihm das Ultimatum gestellt hatte... Oder in der Umkleide, als er mir sagte, dass er sich für mich von Sonja getrennt hat... und... ich hirnloser Idiot ihm an den Kopf geknallt habe, dass ich keine psychisch kranken Leute um mich haben will... Vollkommen klar, dass er Zeit und Abstand brauchte, um das zu verarbeiten. Wie konnte er danach nur noch immer lächeln? Ich bin so dämlich... Ich könnte mich dafür selbst treten. … Unsere erste gemeinsame Nacht bei mir im Zimmer... und der Pool. Unser erster Kuss. Unter Wasser. Diese Neon Pre-Party, als er mich das erste mal mit diesem Blick angesehen sehen hatte. Ein Blick, der mich alles drumherum vergessen ließ und von dem ich innerlich gespürt habe, dass das zwischen uns mehr sein würde, auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt beide jemand anderen küssten. Ich rannte und rannte und nur am letzten Stück stand eine Straßenbahnlinie, von der ich wusste, sie würde mich in Richtung Süden ins Zentrum bringen. Ich hechtete völlig außer Atmen hinein und blieb direkt an der Tür stehen. Kaum setzte sich die Bahn in Bewegung, zückte ich mein Handy. Zum Einen wollte ich wissen, ob er noch was geschrieben hatte und zum Anderen, tippte ich selbst hektisch eine Nachricht ein: Bleib da, ich komme! Ich wartete ab, ob er es liest, doch auch jetzt schien er es nicht zu sehen, was ich ihm schrieb und so sah ich seufzend auf in mein unscharfes Spiegelbild im Glas der Tür. Es wandelte sich in meiner Vorstellung wie von selbst in Evens Gesicht. Ich sah sein alles erhellendes Lächeln und wie er mich angesehen hatte, als ich das erste mal bei ihm zu Hause war; mit ihm im Fenster saß und wir kifften. Seine wunderschönen blauen Augen, in die ich mich am Anfang so gar nicht zu blicken traute. Ja... schon vor drei Monaten wusste ich, dass ich nie wieder wegsehen könnte, wenn ich es nur einmal wage. Es begann zu regnen. Nicht doll, aber es reichte, um das gespiegelte Gesicht vor mir zu sehen, übersät mit vielen Tropfen, die an Tränen erinnerten. Nun hatte ich es auch verstanden. Even glaubte lange, wenn er seine epische Lovestory bekommt, dass er sterben müsse, weil die Umstände nichts anderes zulassen würden und es sonst nicht episch wäre. Aber er musste zuletzt seine Denkweise geändert haben. Wieso sollte jemand so offensichtlich über die Zukunft und so etwas wie Heiraten nachdenken, wenn er noch immer davon überzeugt wäre, sowieso den Tod zu finden? Even hatte sich entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen. Er glaubte nicht mehr daran, dass jemand sterben muss. Das wollte er mir zeigen, letzte Woche im Hotel. Er wollte 'zurück gerettet' werden. Schließlich hatte er ja mich gerettet; aus einem verdammt tristen Leben. „Fuck..!“, entkam es mir fluchend. Ich werde 'nen Scheiß tun und zulassen, dass du deine Geschichte jetzt wieder umschreibst! Das ist nun auch meine. Und unsere Geschichte wird nicht in einem verdammten Drama enden! Ich lass' dich nicht alleine. Nie mehr! Ich hatte meinen Seelenverwandten gefunden, auch wenn ich damals nicht nicht sicher war, ob er das genauso empfinden würde. So schnell und so frei wie mit ihm, konnte ich noch nie mit jemandem reden. An der nächstgelegenen Haltestation sprang ich aus dem Abteil und sprintete in Richtung Nissen Schule. Da haben wir uns zum ersten mal gesehen. Irgendwo dort war er. Nur wo? Er schrieb vorhin, er wäre an der Stelle, wo wir uns das erste mal trafen. Die Bank auf dem Schulhof bestimmt. Unsere Bank! Dort saßen wir und haben das erste mal zusammen gekifft, geredet und er hat mich zum Lachen gebracht. Es war damals schon ein seltenes, ehrliches Lachen. Eines, dass ich so meinte und nicht vortäuschen musste, weil man irgendwie erwarten würde, dass ich es witzig finde. Das schaffte auch noch niemand. Jedenfalls keiner, der mir fremd war, oder es zumindest sein sollte. Wenn ich drüber nachdenke, Even fühlte sich nie wirklich fremd an... So schnell mich meine Beine trugen hetzte ich um das Gebäude herum und durch das Tor. Ich ging auf unsere Bank zu. Doch er war nicht da. Wo.. wo ist er..? Vor drei Monaten war die Hecke hinter dieser Bank noch grün, die Luft war lau und mein Bauch voller Schmetterling bei seinem Anblick. Doch jetzt, war es kahl, eisig kalt und nass. Und Even war nicht hier. Ich kam zu spät. Zu spät... Aber... Moment mal. War unser allererstes Aufeinandertreffen nicht auf dem Jungsklo beim ersten Kosegruppe-Meeting? Oder doch die Kantine? Kaum hatte ich den Gedanken im Kopf, hörte ich wie hinter mir jemand die Tür des Schulgebäudes öffnete und so wandte ich mich um. Ein tonnenschwerer Stein fiel in dem Augenblick von mir ab. Es war Even. Er kam gerade heraus und lief mit dem Blick nach unten ein paar Schritte in meine Richtung, eh er mich realisiert hatte und stehen blieb. Er schien gerade genauso wenig zu glauben, dass wir uns endlich sehen konnten, wie ich selbst. Ich kam doch nicht zu spät! Mein Herz nahm erneut Anlauf mir bis zum Hals zu springen, als ich mich gänzlich herum drehte und auf ihn zu ging. Auch Even lief mir langsamen Schrittes entgegen und je näher er mir kam, desto genauer konnte ich sein Gesicht sehen. Er sah aus wie das wandelnde Elend. Glasige Augen mit tiefen Schatten darunter, dazu rote Wangen und auch die Nasenspitze war rot. Scheinbar traute er noch immer nicht ganz seinen Augen. Er blieb abermals stehen und so trat ich ganz nah an ihn heran, nahm seine eiskalten Hände in meine und wagte es kaum mehr zu atmen. Mir gingen in dem Moment noch immer so viele Gedanken durch den Kopf. Dass ich ihn hätte nie wieder sehen können, nie wieder küssen und ihn nie wieder lächeln sehen dürfte. Allein der Gedanke tat so verdammt weh. Doch nun konnte ich Even fühlen, seinen Duft riechen und den leisen Atem hören. Ich schmiegte meine Wange an seine, um alles drei dieser Dinge auf einmal zu haben. Um sicher zu sein, dass ich nicht träume. Trotz seiner vielen Schichten Klamotten fühlte sich seine Haut kühl an. Ich ließ seine Hände los und fasste an seinen Kopf, als ich ihm direkt in die Augen schaute, so wie er nun auch mich ansah. „Du bist nicht allein“, sprach ich mit leiser Stimme. Sein Blick wich dem meinem aus, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass er es nicht hören wollte. Er wirkte eher ein Stück weit erleichtert das zu hören. Vielleicht war es egoistisch, aber ich brauchte es jetzt ihn zu küssen. Even ließ sich da nie lange drum bitten. Eigentlich war es meistens er, von dem das ausging und dann auch mit verdammt viel Leidenschaft. Doch jetzt... ich musste fast schon darum betteln. Er wollte es, das konnte ich spüren. Aber ich musste hier den ersten Schritt machen. Nicht nur, um mich selbst zu beruhigen, sondern auch um ihm zu zeigen, dass ich es ernst meine. Er erwiderte, wenn auch nicht annähernd mit dem Feuer, dass ich von ihm gewohnt bin, aber es reichte. Uns beiden. Wir sahen uns noch einmal an, eh ich meine Arme um seinen Nacken legte. Even wankte dabei, doch ich hielt ihn fest, bis ich auch seine Arme um mich spürte. „Entschuldige... dafür, dass ich so ein Idiot bin“, flüsterte ich. Auch jetzt sagte er kein Wort. Er schüttelte nur leicht mit dem Kopf und seine Finger griffen den Stoff meiner Jacke kurzzeitig etwas fester. Wir standen eine ganze Weile einfach nur so da, Arm in Arm. Der Regen ließ allmählich wieder nach und man hörte dadurch immer mehr irgendeine Musik von dem Restaurant in der Nähe. Als ich meine Umarmung lösen wollte, um Even anzusehen, geriet er abermals ins Schwanken und so hielt ich ihn wieder fest, bis er von selbst los ließ. Ich schaute ihm abermals in die Augen. Ihm stand das Leid förmlich ins Gesicht geschrieben, das er mit sich herumzutragen hat. Even wich erneut meinem Blick aus und schloss die Lider. Die Frage, wie es ihm geht, brauchte ich nicht zu stellen, das war mehr als offensichtlich. Er wirkte... völlig fertig. Weshalb ich so langsam eine Ahnung hatte und mit ruhiger Stimme wissen wollte: „Wie lange hast du schon nicht mehr geschlafen?“ Er öffnete kurz die Augen und schaute auch gleich wieder weg; atmete ein und aus. Ich strich mit den Daumen über seine kühlen Wangen, was ihm dann doch leise Worte entlockte: „Drei Tage, vielleicht...“ Oh..Fuck... Ich drückte den vor mir Stehenden wieder an mich, was ihn auch jetzt mit bedenklicher Leichtigkeit aus dem Gleichgewicht brachte und er gegen mich kippte. So gut es sich für mich anfühlte, Even einfach nur festzuhalten, wir konnten hier unmöglich ewig stehen bleiben in seinem Zustand. Ich sah mich nach Sitzmöglichkeiten um, doch alle Bänke waren nass und die Luft wurde immer kälter. Er musste hier weg, ins Warme. „Komm, wir gehen nach Hause“, sprach ich und legte einen seiner Arme um meine Schulter und meine Hand zur Stabilisierung an seine Hüfte. „Geht schon...“, hörte ich ihn brummen, doch mir war's im Moment lieber, dass er mich als Stütze nutzt, auch wenn er deswegen ein wenig grummelte, als wenn er vor Müdigkeit stolpert und noch was viel schlimmeres passiert. Wir gingen das Stück zur Haltestelle zurück und warteten auf die nächste Bahn. Den ganzen Weg zu Fuß zurück legen, hielt ich für keine gute Idee. Even wollte sich tatsächlich auf die metallenen Sitze dort niederlassen, doch die waren ebenfalls nass und kalt. Ich wusste auch nicht, ob ich ihn da wieder hoch kriege, wenn er sich hinlegen und schlafen will, deshalb hielt ich ihn einfach bei mir. Viel Kraft und Elan sich zu wehren hatte er im Augenblick scheinbar eh nicht. Zum Glück fährt auch nachts und am Wochenende immer noch dann und wann eine Straßenbahn ins Zentrum rein, hindurch oder raus. Deshalb mussten wir so lange auch nicht warten, bis wir in die nächste Bahn einsteigen konnten. Ich setzte Even gleich auf einen der Plätze direkt neben der Tür ab und mich daneben. Hier drinnen war es wenigstens wärmer und vor Regen und Wind geschützt. Als die Straßenbahn noch stand und erst in wenigen Minuten losfahren würde, schrieb ich meinen Eltern kurz weshalb ich plötzlich verschwunden bin und überlegte dann was ich mit Even jetzt anfangen würde. Natürlich dachte ich zuerst daran, ihn zu sich und seinen Eltern nach Hause zu bringen, doch wusste ich nicht, ob überhaupt jemand da ist, oder wie ich jemanden erreiche, wenn nicht. Oder ob er wenigstens Schlüssel dabei hat. Ich wollte ihn auch nicht mitten in der Bahn filzen und ihn im schlechtesten Falle noch mal durch die halbe Stadt schleifen. Das ging einfach nicht. Daher beschloss ich, dass ich Even erst mal mit zu mir nehmen würde. Hauptsache er ist von der Straße weg und kann schlafen. „Fahrkarten bitte“, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, kaum, dass sich die Bahn in Bewegung gesetzt hatte und daher schaute ich etwas konfus auf die Kontrolleurin neben mir. „Die Fahrkarten hätte ich gern!“, wiederholte sie sich und ich murmelte: „Ja... ich... ja, sorry...“ Da ich aufstehen musste, um an mein Portemonnaie aus hinteren Hosentasche zu gelangen, wo sich die Dauerkarte befand, war ich gezwungen Even zur anderen Seite zu lehnen. Ich holte meine Karte hervor und zeigte sie ihr. Die Angestellte besah sich das Ding, gab es mir wieder und fragte: „Und dein betrunkener Kumpel?“ Mir fiel dezent das Gesicht runter: „W-was?“ „Ich brauche von euch beiden einen gültigen Fahrschein, sonst muss ich davon ausgehen, dass er schwarz fährt und seine Daten aufnehmen. Das wäre ein Bußgeldverfahren“, erklärte sie ausführlich. Zwar machte das Sinn, aber zu pauschalisieren, dass 'mein Kumpel' betrunken ist, das regte mich schon verdammt auf. Dennoch schluckte ich meinen Ärger runter, denn Even hatte schon genug am Hals. Auch ohne, dass die mich hier wegen Beleidigung des Personals oder so 'nem Scheiß dran kriegen könnten. Ich wandte mich an den neben mir Sitzenden: „Baby? Wo hast du deine Fahrkarte?“ Er hing da wie ein Häufchen Elend, reagierte kaum und nun musste ich ihn auch noch wegen dem Mist ausfragen. „Sag mir wo sie ist, ich helfe dir“, sprach ich leise mit ihm, drehte seinen Kopf zu mir und sah wie er müde blinzelte und mit kratziger Stimme sprach: „Im Telefon...“ Verdammt, sein Kreislauf schien komplett runterzufahren. „Okay“, entgegnete ich dem, lächelte ihm zu und tastete seine Jackentaschen ab. „Wenn er den Fahrschein auf dem Handy hat, brauche ich den Personalausweis dazu“, warf sie uns noch mehr Steine in den Weg. Toll, das Ding hatte er doch schon mal verlegt... Ich suchte nervös weiter. Erst in einer Innentasche fand ich das Telefon samt Brieftasche und stand vor dem nächsten Problem: „Das Passwort für die Tastensperre?“ „Dein Kostüm...“, krächzte er und ich geriet langsam so arg in Stress, dass ich wortwörtlich 'dein Kostüm' eintippen wollte. Doch stoppte ich, löschte alles und schrieb 'Caesar'. Es klappte, Gott sei dank, auf Anhieb. Denn ich war mir nicht sicher, ob ich richtig lag. Ich atmete erleichtert aus und sah, dass dort eine ungelesene Nachricht war, von 'Mann meines Lebens'. Ich musste unweigerlich schmunzeln. Jedoch war es jetzt erst mal wichtig, darüber nachzudenken, wo er sowas wie Fahrkarten gespeichert haben könnte. Unter 'persönliche Daten' fand ich jedenfalls nichts und in anderen in Frage kommenden Orten auch nicht, doch ein extra Ordner mit Namen: 'Wichtig' schien mir da sehr verdächtig. Hier fand ich eine ziemlich chaotische Ansammlung vor, durch welche ich mich erst mal kämpfen musste. „Wenn's geht, heute noch“, vernahm ich es von der neben mir Stehenden, welche schon die ganze Zeit genervt seufzte, weshalb ich mindestens genauso angepisst war. Aber ich versuchte mich zu beherrschen: „Kommen sie bitte auf dem Rückweg noch mal.“ Augen verdrehend nahm sie meinen Vorschlag an und ging hinüber in das andere Abteil, als die Straßenbahn an einer Zwischenstation Halt machte und noch irgendjemand im Anzug einstieg, eh es weiter ging. Neben einigen fotografierten Telefonnummern von Visitenkarten, anderen Bildern und irgendwelchen Namen, fand ich hier auch endlich das verfluchte Ticket. Ich ließ es offen und nahm seine Geldbörse in die Hand: „Hoffentlich hast du das Teil dabei...“, flüsterte ich, auch wenn ich nicht wusste, ob er mich mitbekommen hatte. Hier fand ich ebenfalls ein einziges Durcheinander an Karten, anderen Ausweisen, Zetteln, Kalendern... und Gott sei dank auch den verdammten Perso! „Fuck..!“, atmete ich erleichtert aus und sah die Frau schon wieder im Anflug. Eilig zeigte ich ihr beide Sachen, denn an der nächsten Haltestation mussten wir auch wieder aussteigen. Das Ticket segnete sie relativ schnell ab und gab mir das Handy wieder, doch beim Ausweis wollte sie genauer hinsehen: „Wäre es möglich, dass er die Mütze ab und den Kopf hoch nimmt?“ Ehrlich jetzt? „Ihm geht’s beschissen!“, fauchte ich und sie konterte: „Und ich hab Vorschriften! Wenn ich Jeden einfach durch winke, dann kann ich meinen Job vergessen!“ Die Bahn hielt. Hier mussten wir raus. Daher sprach ich Even an und zog ihn mühsam auf die Beine. Er überragte die Straßenbahnmitarbeiterin, trotz Haltungsschwierigkeiten, um fast zwei Köpfe, weshalb sie zu ihm hinauf sehen musste und endlich nachgab: „Okay, ich lass es durchgehen. Aber dein... Freund sollte so nicht draußen rumlaufen.“ Ach was... Ich verkniff es mir so derbe irgendwas dazu zu sagen und sah im Gehen noch wie sie ein Fake-Smile aufsetzte und wünschte: „Schönen Abend noch!“ „Ja, Danke...“ Du mich auch... Wieder mit einem seiner Arme um meine Schulter und meiner Hand an seiner Hüfte liefen wir los. „So eine... blöde Bitch...“, knurrte ich, als wir außer Reichweite waren und musste mein übereiltes Tempo erst mal an das seine anpassen. Even kam nur gemächlich vorwärts und zupfte nun auch noch seine Jacke zu: „Scheiße....is's kalt...“, nuschelte er. Mein erster Impuls war es ihm die Jacke zu zumachen, aber nach der Durchsuchung im Zug wollte ich ihn nicht auch noch bemuttern. „Even, je schneller wir bei mir sind, desto eher wird es warm und du kannst schlafen, Okay?“, sprach ich ihm gut zu, weshalb wir nicht langsamer werden sollten, und auch Bewegung bekanntlich Wärme erzeugt. Es dauerte deutlich länger als sonst, bis wir bei mir waren. Ich versuchte ihn den ganzen Weg über zum Reden zu bringen, damit er nicht einschlafen würde. Als wir bei mir zu Hause zum Stehen kamen, stemmte ich ihn an die Wand direkt neben mir und öffnete etwas umständlich die Tür, bugsierte uns hinein und hatte auch echt damit zu tun, die Haustür wieder zuzumachen, denn Even hing mittlerweile mehr an mir, als dass er noch stand. Und ich musste ihn ja noch irgendwie die Treppe hoch kriegen. Wir liefen die paar Schritte bis kurz vor den ersten Stufen und dort lehnte ich ihn erneut an die Wand, fasste an seinen Kopf und sprach ihn an: „Baby?“ Seine Augen blieben geschlossen und er ließ den Kopf nach hinten kippen. Ich legte meine Hand an seine Wange und streichelte darüber. Es tat mir leid, aber ich musste ihn mit leichten Klapsen wieder halbwegs wach kriegen: „Even! Wir sind fast da. Wir müssen nur noch da hoch.“ Er legte die Stirn in Falten und knurrte leise, nickte jedoch anschließend. „Okay, komm. Die paar Stufen schaffen wir auch noch“, sprach ich ihm und auch mir selbst gut zu, denn er geriet mindestens drei oder vier mal ins Stolpern und hatte kaum mehr Körperspannung sich abzufangen, sollte er wirklich fallen. Schritt für Schritt kämpften wir uns hoch. Oben angekommen war ich außer Atem. Es ist wirklich nicht leicht einen Menschen mit sich herum zu wuchten, der vielleicht an sich ein Fliegengewicht ist, für seine Größe, aber immer noch schwerer als man selbst ist. „Wir haben es geschafft!“, ließ ich ihn wissen, als ich die Wohnungstür aufmachte und das Licht im Flur anschaltete. Hinter uns trat ich die Tür mit dem Fuß so sachte wie möglich zu und ging mit Even direkt durch in mein Zimmer. Er ließ sich wie ein nasser Sack auf dem Bett nieder und kippte zur Seite weg. Schnell zog ich ihm die Schuhe aus und stellte sie samt den meinen in den Flur, löschte dort das Licht und schaltete dann, zurück in meinem Zimmer, die weniger grelle Tischlampe an. „Ich zieh dir noch die Klamotten aus, dann hast du deine Ruhe. Okay?“, redete ich mit ihm, doch ich bekam keine Antwort. Daher legte ich einfach los und zerrte die Bettdecke unter ihm hervor. Die Mütze vom Kopf zu kriegen war noch das leichteste. Die Jacke war deutlich schwerer, weshalb ich Even noch mal in eine sitzende Position hieven musste, auch um den darunter liegenden Hoodie los zu werden, bis er nur noch das T-Shirt an hatte. Danach konnte er sich wieder ablegen und ich mit der Hose weiter machen. Er knurrte unwillig bei all meinen Versuchen die Klamotten los zu werden, doch da mussten wir beide noch einmal durch. Baby, glaub mir, ich wünschte die Umstände wären andere, wenn ich dir die Sachen vom Leib reiße... Kaum hatte ich es geschafft, rollte Even sich in meinem Bett zusammen. Ich deckte ihn zu und entledigte mich auch meiner Klamotten. In meiner Jacke fand ich noch sein Handy und das Portemonnaie. Beides legte ich ihm griffbereit in das Regal neben ihm. Anschließend kroch ich zu ihm unter die Decke und machte das Licht aus. Seine Beine waren eiskalt, genau wie seine Hände. Weshalb ich mich an seine Kehrseite schmiegte und hoffte ihn wärmen zu können. Even rührte sich kein bisschen mehr, sein Atem war flach und als ich meinen Arm um seinen Oberkörper legte, spürte ich den nur sehr langsamen Herzschlag. Was auch immer er die letzten Tage gemacht hatte, es musste total erschöpfend gewesen sein, dass jemand so am Ende ist. Ich war unendlich froh und erleichtert darüber, dass er hier ist. In Sicherheit. Mag mir nicht ausmalen, wenn er jetzt irgendwo ganz alleinr da draußen auf einer Bank liegen und frieren würde... Mein Daumen strich sachte über seine Brust, die sich selbst durch den Stoff des Shirts nicht wirklich warm anfühlte. Ich presste meine Lippen an seine Schulter, atmete durch die Nase ein und durch den Mund aus, versuchte damit etwas mehr Wärme zu erzeugen und hoffte mit allem hier, das Richtige getan zu haben. *Habe, wie im Clip auch, den norwegischen Artikel verwendet, nicht den deutschen. Dort ist der Aufbau und alles ganz anders. Und die Wortwahl klingt ins deutsche übersetzt irgendwie nicht sehr wissenschaftlich formuliert, daher Sorry. Aber der Inhalt sollte dennoch ersichtlich sein. Des weiteren ist mir bewusst, dass es weitere Formen gibt, die zu der Gruppe von bipolaren Störungen gezählt werden, jedoch weder unter 1 noch 2 fallen. Und einige andere Fakten und Erkenntnisse darüber nicht aufgelistet sind. Jedoch verwende ich, wie erwähnt, genau das was da steht. *sup = 'ne Kurzform von what's up, und ww steht für die Serie 'Westworld'. *O Helga Natt (Oh Heilige Nacht) Der deutsche Text unterscheidet sich in Wortform ein wenig vom Schwedischen, aber ich hab auch hier die schwedische Version so gut es ging übersetzt. Wie schon im Vorwort erwähnt, gab es Gullruten Awards (eq. zu den Emmys in USA oder Bambi in D-Land.) TV-Moment des Jahres für die Szene 'O Helga Natt' (von der Kirche bis zur Umarmung auf dem Schuldhof) Zwar nicht exakt diese Szene (gab es mal, gibt’s leider nicht mehr auf Youtube aber ein Fan-Video. Außerdem gab's einen Publikums Award (welcher durch mehrere Voting-Runden entschieden wurde.) Ein Mix aus Verleihung, Interview und After Show-Party in diesem Video. Es stimmt mich schon ein wenig glücklich und ich hoffe, dass man bald auch mehr solcher Szenen in Deutschland sieht (vor allem bei 1:33 *zwinker*) und es auch keinen gesonderten 'Gay-Award' bedarf. Auch, dass der Zuschauer entscheidet, dass ein solches Format mit dem Inhalt was ganz großes werden kann und vor allem, dass es hier keinen Unterschied macht, ob homo oder hetero oder sonst irgendeine Schublade. Da mir schon länger aufgefallen ist, dass die Skam Seite aus irgendwelchen Gründen derzeit doch einige ihrer Clips für Deutschland sichtbar hat, verlinke ich diese in den entsprechenden Kapitel. Leider sind es nicht alle, nur einzelne und ob das irgendwann geändert wird, keine Ahnung. Aber zu diesem Kapitel gibt es leider nur zwei: http://skam.p3.no/2016/12/06/klikka/ http://skam.p3.no/2016/12/07/sees-fredag/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)