Leben im Sommer von nataschl91 ================================================================================ Kapitel 4: Kalte Dusche, Sternschnuppen und Liebeslieder -------------------------------------------------------- Gabriell und Julius joggten wieder zusammen dieselbe Strecke wie gestern, es war also vorherzusehen, dass sie wieder bei Clarissas Haus vorbei kommen würden. Kurz vor der Kurve bevor ihr Grundstück begann blieben die beiden stehen um sich zu dehnen. „Was meinst du…?“, keuchte Julius, „sie steht heute wieder im Bikini da?“ „Das hoff ich doch!“, grinste Gabriell schelmisch. Innerlich kochte er. Auch wenn dieser Julius nicht sehr gesprächig war trafen seine wenigen Worte immer genau ins Schwarze. Auch bei Gape. „Noch zwanzig Liegestütze…dann geht’s weiter!“ „Okay“, schmunzelte Julius, „dann bis gleich!“ Er rannte plötzlich weiter. Ne jetzt, oder? Gabriell sprang so schnell wie ihm nur möglich wieder auf die Beine und eilte seinem Teamkollegen hinterher. Dieser war bereits an der Hecke angekommen, starrte jedoch auf ein leeres Grundstück. Er winkte Gape ab. „Die ist nicht da.“ Gabriell staunte. War das gestern zu viel für Clarissa gewesen? Nein. Dann hätte sie ihn heute in der Schule wieder zur Schnecke gemacht was aber nicht der Fall war. Julius hatte schnell das Interesse verloren und meinte, dass er weiterjoggen würde. „Lass mich noch schnell das Set Liegestützen fertigmachen. Ich komm nach“, entgegnete der falsche Engel und begab sich auf den Boden. „Wie du meinst…“ Erst als sein Teamkollege um die nächste Kurve verschwunden war und er bis 30 gezählt hatte sprang Gape auf und eilte zu dem Rosengitter an Clarissas Fenster. Nachdem er sich versichert hatte, dass weder Frederik noch Anna im hinteren Garten aufzufinden waren nahm Gabriell kleine Kieselsteinchen und warf sie behutsam an die Scheiben. Nichts. „Okay…du willst mich also zappeln lassen…?“ Er nahm eine komplette Hand voll Kies ging zwei Schritte zurück und warf genau in dem Moment, als Frederik mit seinem Wagen in die Einfahrt fuhr. Schnell schmiss sich Gape so flach er konnte auf den Rasen in der Hoffnung unentdeckt zu bleiben. „AH!“, rief Clarissa plötzlich wütend aus, „welcher Idiot hat Kies in mein Zimmer geworfen?!“ Gape stutzte. Das Fenster war also offen gewesen? Vorsichtig guckte er nach oben. Tatsache! Das Fenster hatte sich bei dem leichten Wind in Kombination mit den ersten zwei Kieselsteinchen ein wenig geöffnet. „Upps…“, gab Gabriell peinlich berührt von sich. Das Mädchen riss die Fensterscheiben auseinander und starrte ihn ungläubig an, wie er da flach auf dem Rasen lag. „Gabriell?“ „Hi, Clarissa.“ „Warum liegst du da auf dem Boden?“ „Ähm…ich bin ausgerutscht.“ „Oh! Sag jetzt bloß nicht, dass du die Steine in mein Zimmer geworfen hast?!“ „Ähm…“ „Du bist unmöglich!“, rief sie laut aus und knallte die Fenster wieder zu. Gabriell stand auf und registrierte, dass sein Plan voll nach hinten losgegangen war. Er huschte an die Hauswand, so dass ihn Clarissa nicht mehr sehen konnte, falls sie noch einmal aus dem Fenster blickte. Gabriell presste sich so nah er konnte an die Fassade und bemerkte in der Sonne Clarissas Kopf, der als Silhouette auf den Rasen geschmissen wurde. Er wartete geduldig und schnaufte so flach wie es ihm gelang. „Ich…kann…dich doch atmen hören!“, knurrte Clarissa plötzlich. Gabriell stutzte. Er stand direkt neben dem Rosengitter, also konnte sie ihn zumindest nicht sehen. „Ach…was soll’s…“, seufzte er und ging von der Wand weg und blickte zu ihr hoch. „Wusste ich’s doch!“, fauchte Clarissa, „Onkel Frederik! Ich glaub da unten stalkt mich jemand!“, rief sie durch das ganze Haus. „Bist du jetzt völlig irre? Ich stalke dich doch nicht!“ „Ach, und warum hast du dich an der Hauswand versteckt?“ Touché. Gabriell stemmte die Arme in die Hüfte und versuchte sie grantig anzusehen. „Ich will mit dir reden!“, rief er plötzlich, wie aus einem Impuls nach oben. Clarissa sah ihn kurz verdutzt an. Sie schien zu überlegen, was sie erwidern sollte. Vor allem wie. „Schön für dich! Aber ich nicht mit dir!“, zickte das Mädchen Gabriell schließlich an. „Argh! Dann hör mir wenigstens zu!“ „Ich will dir auch nicht zuhören, Gape!“ „Nur fünf Minuten!“ „Lass mich einfach in Ruhe“, erwiderte sie entschlossen und schloss erneut das Fenster. „Zimtzicke!“, fauchte er und hielt noch kurz ihrem Blick stand. Jetzt stand er da. Alleine. Schon wieder! Gabriell seufzte, kratze sich im Nacken und überlegte seinen nächsten Schritt. Sollte er einfach auf gut Glück an der Tür klopfen und hoffen, dass ihm Anna öffnete, oder sollte er weiterhin Steine an Clarissas Fenster werfen…vor allem: was könnte im schlimmsten Falle passieren, wenn Frederik ihn tatsächlich erwischen sollten? „Shit!“, brummte der falsche Engel und trat von einem Fuß auf den nächsten. „Sag mal, hast du kein zu Hause mehr oder warum stehst du immer noch hier?“, rief Clarissa plötzlich von ihrem Fenster aus zu ihm runter. „Dafür, dass du nicht mit mir reden willst siehst du aber verdammt oft nach mir.“ Sie knurrte irgendetwas, setzte sich jedoch auf ihr Fensterbrett und horchte der Musik, welche von ihrem Radio erklang. Gabriell wiegte in Gedanken ab, wie schnell er wirklich am Rosengitter hochklettern konnte, bevor ihm Clarissa die Entscheidung erleichterte und erneut nach ihrem Onkel rief. „Fuck, fuck, fuck, fuck…!!“, fluchte Gape und raufte sich die Haare, „anstatt da oben zu sitzen und mich zu ignorieren solltest du lieber mal Arsch in der Hose beweisen und runterkommen!“ „Ich habe einen tollen Arsch“, erwiderte Clarissa tonlos und blätterte weiter in ihrer Zeitschrift. Gabriells Herz pochte ihm bis zum Hals und seine Kehle schnürte ihm die Luft ab, seine Fingerspitzen wurden eisig und kalter Schweiß rannte über sein komplettes Gesicht. Jetzt ist alles vorbei, dachte er, schloss die Augen und holte tief Luft. Alles ober nichts. „Du…hast…einen…FETTEN ARSCH!“, rief er. Clarissa schnappte entsetzt nach Luft und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen und Mund an. „WAS?!“ „Du hast mich schon richtig verstanden! Einen richtig fetten Arsch!“ „Du Wix…“, begann sie, hielt jedoch inne um sich kurz zu sammeln, „anscheinend tut dir die Hitze nicht gut? Bis vor kurzem hat er dir noch gefallen, so wie du da rein gegriffen hast!“ „Bilde dir nicht’s darauf ein...“, grinste er finster, „ich war nur so perplex, weil er so fett war, dass ich mehrmals zupacken musste, um es mir nicht nur einzubilden!“ „Oh! Du…! Du…!“ Clarissa verschwand plötzlich vom Fenster und Gabriell überlegte ernsthaft, ob er nicht wirklich zu weit gegangen war und sie jetzt weinend auf ihrem Bett lag. Oder noch schlimmer, Frederik würde gleich wieder mit seinem Psychostrohhut und der Sense um die Ecke kommen. Gabriell hielt den Atem an und horchte, was um ihn herum geschah. Er konnte nichts hören, außer den Liedern, welches das Radio in derselben Lautstärke abspielte wie es vor einigen Minuten noch der Fall war. „Hm…ich glaube wirklich, dass ich zu weit gegangen bin…“, raunte der Junge zu sich selbst, „ich sollte mich lieber entschuldigen, nicht das es noch ernsthaft böse wird!“ „Das kannst du dir sparen!“, hörte er plötzlich Clarissas Stimme. Gabriells Herz setzte einen Schlag aus, als kurz vor dem Fenster stehen blieb, Luftholte und schließlich einen großen Schwarzen Eimer auf ihr Fensterbrett hievte. „Und…was genau soll das werden, wenn’s fertig ist?“ „Deine Waschstraßenabkühlung!“, rief sie sarkastisch und kippte den Eimer um. Mit einem Mal zogen sich Gabriells Poren zusammen, als das eiskalte Wasser auf ihn traf. Er senkte den Kopf auf die Brust und hoffte, dass der Schreckensschrei, welchen er gerade von sich gegeben hatte nicht allzu laut gewesen war. „So! Bist du jetzt zufrieden?“ Der falsche Engel horchte seinem wildpulsierenden Herzen und legte die flache Hand darauf. Er zitterte am ganzen Körper und war bis auf die Knochen nass geworden. Ja…, dachte er sich, jetzt hab ich den Salat… *** „Wieso werdet ihr Weiber immer gleich handgreiflich, wenn man euch auf die Nerven geht?“, tadelte Gabriell Melinarés, als er diese in dem kleinen Café sitzen sah. „G…G…Gape…? Woher…kommst…du…denn jetzt?“, gab diese erschrocken von sich und stieß beinahe ihren Eiskaffee vom Tisch. „Warum?“, fragte Gape und sah sich um, „ich komm von der anderen Straßenseite. Melinarés sah ihn nur groß an: „Du…bist…pitschnass…“ „Das war Clarissa.“ „Oh.“ „Ja…so könnte man die Situation auch beschreiben…“, seufzte der falsche Engel. Melinarés schmunzelte und bedeutete ihm, dass er sich setzten durfte. Die Bedienung nahm Gabriells Bestellung auf, während Melinarés ihre Bücher wegpackte und ihn leicht verwirrt anlächelte: „Also? Was liegt dir auf dem Herzen? Du suchst mich doch nicht ohne Grund nass bis auf die Knochen mitten in der Stadt auf?“ „Ich bin fast schon wieder trocken“, knurrte Gabriell. Melinarés lächelte ihn honigsüß an. „Bevor wir uns mit euch streiten seit ihr die liebsten Wesen auf dem Erdball!“, knurrte der falsche Engel erneut und nahm sein Getränk entgegen, „aber wehe…man kommt euch zu nah, oder man entspricht nicht euren Vorstellungen, oder man macht einfach einen kleinen Fehler und ihr zerreißt uns in der Luft!“ „Mit deiner letzten Bemerkung musst du die Geschehnisse von vor einer halben Stunde meinen…?“ Gabriell guckte die Blondine ungläubig an, welche mit einem triumphierenden Grinsen an ihrem Eiskaffee nippte. „Es war nicht sehr nett, Clarissa zu sagen, sie hätte einen fetten Hintern.“ „Arsch…ich habe Arsch gesagt“, berichtigte Gabriell. „Du weißt doch, wie sensibel sie ist…“ „Ja…“ „Warum hast du’s dann doch gesagt?“ „Ich wollte nur sichergehen, dass Clarissa mir zuhört.“ Melinarés hob anerkennend die Augenbrauen: „Das…hast du geschafft.“ „Nicht wirklich…sie hat mich mit kaltem Wasser überschüttet.“ „Ich habe gehört, dass das zu dieser Jahreszeit ziemlich erfrischend sein soll?“, grinste Melinarés. Gape seufzte und ließ fassungslos die Schultern hängen. Er blickte das Mädchen niedergeschlagen an und seufzte: „Du könntest mir einen Gefallen tun“ „Könnte ich?“, grinste Melinarés und nippte erneut am Eiskaffee. „…du bist Clarissas beste Freundin und dir hört sie wenigstens zu. Hoffe ich zumindest.“ „Anscheinend nicht…“, erwiderte das Mädchen und setzte das Glas wieder ab, „ich habe ihr mehrmals den Wurm ins Ohr gesetzt, sich mal in Ruhe mit dir zu unterhalten, damit ihr zwei wenigstens die Fronten klären könnt.“ „Was glaubst du, was ich seit einer Woche versuche? Aber sie will mir nicht zuhören!“, knurrte Gabriell. Melinarés schien einen kurzen Augenblick zu überlegen und hielt schließlich Gabriell die Hand hin. „Einverstanden.“ Die beiden schlugen darauf ein und das Mädchen horchte gespannt dem zu, was Gabriell ihr jetzt erzählen würde. *** 15.30 Uhr. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel und ließ mich regelmäßig zur Wasserflasche greifen. Der Lehrer hatte gleich zu Beginn des Schultages die Fenster aufgerissen und gab sich große Mühe uns den Unterricht so schmackhaft zu machen wie nur möglich. Als der Gong für das Ende des Schultages ertönte lockerte ich sofort meine Krawatte und eilte nach draußen, wo ich wie gegen eine Wand lief. „Oh mein Gott ist das heiß!“, wimmerte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn und suchte nach einem Deo in meiner Tasche. Plötzlich prallte jemand oder etwas gegen mich und ich ging auf die Knie. Als ich nach oben sah erblickte ich Shane, welche ihr selbstverliebtes Grinsen aufgesetzt hatte. „Oh…du warst es nur…“ „Wen hattest du denn erwartet? Gabriell?“, gab sie schnippisch von sich. Ich hielt in meiner Bewegung inne und überlegte, ob ich ihr meinen Geldbeutel gegen den Schädel werfen sollte. Gestern hatte ich gut Trinkgeld gemacht, er wog also ordentlich. Shane ging in die Hocke und sah mich mit ihren perfekt geschminkten Augen an. Wieso schmierte ihre Schminke nicht?! „Natürlich…du hast ihn erwartet…“, raunte sie. „Mach dich nicht lächerlich…“ „Also heulst du Gabriell nicht mehr nach?“, fragte Shane gespielt erstaunt. „Ich habe ihm nie nachgeheult!“ „Sicher…“ Sie erhob sich wieder, ging ein paar Meter vorwärts und drehte sich in der Hüfte zu mir. „Dann wird es dir sicherlich nichts ausmachen, wenn ich mein Glück versuche, oder?“ Mein Magen verkrampfte ruckartig und ich hatte Mühe, was da auch immer meine Speiseröhre hochkletterte wieder nach unten zu befördern. „Ich dachte, du willst Gape nicht mehr?“ „Eigentlich…“, begann Shane und machte eine unschuldige Geste, „will ich dir nur heimzahlen, was du mir am Frühlingsball angetan hast…“ Ups…, dachte ich verlegen. „…und wenn ich Gabriell dafür gebrauchen kann, dann nehme ich ihn mir auch!“ „Meinst du nicht auch, dass du gerade ein wenig übertreibst?“, wollte ich die Situation runterspielen. „Nicht im Geringsten.“ „Okay…gibst du dich mit einer ehrlich gemeinten Entschuldigung zufrieden?“ „Nein.“ War einen Versuch wert gewesen… „Alles klar, Shane…ich erwarte also demnächst, dass du mich in der Luft zerreißen wirst…“, spaßte ich. „Du hast keine Ahnung…nicht mal ansatzweise, was ich mit dir anstellen werde…“, raunte das Mädchen, „danach wirst du dir wünschen, ich hätte dich zerrissen!“ Ich holte tief Luft und hielt diese an, bis Shane aus meinem Sichtfeld verschwunden war und stieß sie wieder aus. Shit. Eigentlich war alles, was ich jetzt noch machen konnte meine Sachen zu packen und wieder abzureisen… „Waterproof?“, fragte mich plötzlich jemand. Och ne…nicht schon wieder…, seufzte meine innere Stimme genervt. Ich drehte meinen Kopf und bemerkte Julius hinter mir. Er grinste breit. Er grinste mich an. „Was…ist?“, fragte ich kleinlaut nach. „Wasserfestes Make up. Bei ihr ist es nicht so verschmiert wie bei dir und den anderen Mädchen während dieser Hitze. Solltest du mal ausprobieren.“ „Aha…danke für den Tipp“, gab ich dezent genervt von mir. „Gern“, lächelte Julius erneut. Arsch. „Ja…das war eindeutig ein Fehlkauf, weil eigentlich habe ich eine andere Marke…hattest du sicher auch schon mal.“ Erneut grinste er mich breit an und half mir aus der Hocke auf. „Eigentlich nicht. Nein.“ „Noch nicht mal, wenn du in Eile warst?“ „Nein.“ Ich hatte eindeutig Shanes Gegenstück gefunden…genauso selbstbewusst, eitel und selbstverliebt…und gutaussehend. „Hast du etwa deinen Hausschlüssel verlegt?“, erkundigte sich Julius, als hätten wir die letzten vier Sätze nie gewechselt. „Nein. Ich suchte nach meinem Deo…das habe ich anscheinend verlegt…oder es ist leer und ich habe nur vergessen, ein neues einzupacken.“ „Hier nimm meins“, schmunzelte Julius und reichte mir nach einem gezielten Griff in seinen Rucksack eine kleine Dose. „Nein, danke…“, wehrte ich ab. „Nimm es lieber“, bestand Julius, „wäre besser…kannst dich später bei mir bedanken.“ „D…danke?“, gab ich zögernd von mir, da ich dezent überrumpelt war. „Kein Problem. Aber dafür krieg ich auch was von dir.“ Mir fiel beinahe die Dose aus der Hand, als seine Worte an meine Ohren drangen. Ich musste Julius mit weit aufgerissenen Augen angestarrt haben, denn er hob entschuldigend die Hände und kicherte. „Keine Angst! Ich tu dir nichts…“ „Aber?“ „Aber du hast bestimmt noch etwas Zeit für mich?“ „Eigentlich muss ich nach Hause.“ „Aha?“ Er sah mich auf irgendeine Art herausfordernd an, welche mich einzuschüchtern schien. „Habe ich anscheinend…doch“, seufzte ich geschlagen. „Gut“, Julius‘ Grinsen schien gar nicht mehr aufhören zu wollen, „dann gehst du jetzt was mit mir trinken.“ „Alkohol? Am Nachmittag?“, wollte ich argwöhnisch wissen und reichte ihm seine Deodose zurück. „Warum nicht? Da es mittlerweile 35 Grad im Schatten hat tendiere ich ehr zu einem kalten Getränk...trinken wir ein Bier.“ „Okay.“ Na toll, dachte ich und klatschte innerlich mit der flachen Hand gegen meine Stirn. Jetzt musste er von mir denken, dass ich eine Säuferin bin! „Komm schon!“, forderte Julius mich auf, „wenn wir uns beeilen, dann erwischen wir die Straßenbahn noch!“ Brav ging ich neben ihm her, die Beine wurden mir weich und meine Fingerspitzen eiskalt, als mich Melinarés plötzlich rief. Yay, dachte ich erleichtert, ich bin gerettet! „Clarissa! Warte auf mich!“, rief sie und rannte uns hinterher. Sie besaß eine perfekte Kondition, denn als sie uns eingeholt hatte war sie kein bisschen außer Puste. Und ich? Mir floss der Schweiß in kleinen Bächen über den ganzen Körper, meine Bluse klebte an meiner Haut und ich hatte einen dicken, fetten Kloß im Hals. „Du…ich muss mit dir reden. Dauert auch nur eine Minute“, meinte sie ernster als sonst und sah zwischen mir und Julius hin und her, „unter vier Augen…“ „Sie hat aber keine Minute mehr“, erwiderte Julius, nahm mich am Handgelenk und zog mich einfach mit. „Hey!“ Melinarés sah uns für einige Sekunden wortlos und entgeistert hinterher, dann löste sie ihre Starre und holte im Nu wieder auf. „Es ist wichtig, Clarissa…“, raunte sie mir zu, „sehr wichtig!“ „Wir können später telefonieren?“, entschuldigte ich mich. „Wohin geht ihr eigentlich?“ „Sie löst ihre Schulden bei mir ein“, entgegnete Julius und grinste ironisch. „Deine…was?“ „Er hat mir sein Deo geliehen…daraufhin gehen wir was erfrischendes Trinken.“ „Bier“, berichtigte mich der Junge. „Du trinkst doch gar kein Bier mehr…“ „Dann wird sie es gleich wieder tun!“ „Nein.“ Melinarés und ich sahen Julius sprachlos mit großen Augen an. Was dachte er sich eigentlich, wer er war? Geschickt zog er mich mit in die Straßenbahn. Ich konnte nur noch sehen, wie sich die Türen automatisch vor Melinarés schlossen. *** „Sie wird dich hassen, das ist dir doch klar, oder?“ Julius saß mir in irgendeiner Bar gegenüber, lockerte seine Krawatte und grinste helmisch. „Nicht die Erste und sicher auch nicht die Letzte“, erwiderte und machte mir der Hand eine wegwischende Bewegung, nachdem er einen großzügigen Schluck seines Bieres genommen hatte. Ich hob irritiert beide Augenbrauen und nippte an meiner Glasflasche, während mein Gegenüber die ersten Knöpfe seines Hemds öffnete. „Du wirst dir mit dieser Einstellung hier nicht viele Freunde machen…“ „Für was denn?“ Ich hielt inne. So sehr fehl am Platz fühlte ich mich das letzte Mal, als ich damals im Rausch mit Gabriell auf Juliens Party diskutiert hatte. „Du bist also der festen Überzeugung, dass du keine Freunde brauchst…?“ „Nö“, meinte er desinteressiert und sah mich mit seinen hellblauen Augen an, „du magst mich doch. Das reicht mir völlig.“ „W…was?“ Ich spürte, wie die Röte in meine Wangen schoss, wie meine Knie zitterten und ich meine Flasche beinahe umstieß. Julius beäugte das Schauspiel, welches ich ihm bot und lachte. „Wie kommst du da drauf?“ „Du bist mitgegangen.“ „Ja! Weil du mich mitgezogen hast!“, erwiderte ich aufgebracht. „Du hättest heim gehen können“, zuckte er mit den Schultern. „Du hast doch darauf bestanden, dass ich mitgehe!“ „Du hättest auf dein ‚nein‘ bestehen können“, grinste Julius, „es sei denn, du wolltest unbedingt mit mir was trinken gehen?“ Ich schien ihm nicht schnell genug geantwortet zu haben, denn plötzlich lachte er schallend. „Wusste ich‘s doch!“, gab er triumphierend von sich. Ich schloss meine Augen und betete, dass das nur ein böser Traum war, von welchem ich gleich erwachen würde. Ich würde mich in meinem Bett wiederfinden und drüber lachen, wie ich mich angestellt hatte. Als ich meine Lider wieder öffnete sah mich Julius erwartungsvoll an. Shit…doch kein Traum. „Ich gefalle dir doch, oder?“ „Ähm…“, zögerte ich überrumpelt. „Ja oder nein?“ „Dein hübscher Knackarsch sollte jetzt eigentlich auf dem Trainingsplatz sein“, erwiderte plötzlich eine andere Stimme, „vor allem, wenn demnächst ein neuer Teamchef gewählt wird.“ Ich war noch nie so froh Gabriell zu sehen, wie in diesem Moment. Ich atmete erleichtert auf, während sich Gape mit seiner Coladose zwischen mich und Julius setzte. Dieser tippte mit dem Zeigefinger herausfordernd auf die Tischplatte. „Hey Gabriell“, gab Julius von sich und funkelte den falschen Engel herausfordernd an, „sorry, aber ich hatte heute schon was wichtigeres vor…“ „Heute? Das ist schon das dritte Mal!“ „Warum regst du dich so auf?“ „Bitte was?!“ „Ich hatte halt was besseres vor“, grinste Julius und zeigte mit dem Finger auf mich. Ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte und trank gierig von meinem Bier, während ich die glühenden Augen des falschen Engels spürte. Gabriell nahm ebenfalls einen kräftigen Schluck seines Getränks und wandte sich wieder an den rothaarigen. „Ich soll dir vom Trainer ausrichten, falls du noch einmal schwänzen solltest, fliegst du.“ „Okay“, gab Julius gleichgültig von sich, „war’s das? Dürfen wir unser Date jetzt fortführen?“ „Unser was?“, fragte ich erschrocken drei Töne höher. „Euer was?“, fragte Gabriell ungläubig und verkniff sich ein Lachen. Julius nickte nur eifrig und ich war immer noch damit beschäftigt, den Klos in meinem Hals loszuwerden. Gabriells Augen leuchteten vor Aufregung, als keine Antwort von mir kam, er schluckte jedoch jede weitere Bemerkung einfach runter. „Morgen bist du wieder beim Training“, raunte er Julius zu, stand auf und ging einfach. Ich brauchte einen Augenblick, um diese zwei glühenden bernsteinfarbenen Murmeln zu verdauen, welche sich in mein inneres Auge gefressen hatten. Ich versuchte dieses unbehagliche Gefühl in meinem Bauch loszuwerden, doch es wurde immer schlimmer und die peinliche Stille zwischen mir und Julius machte es auch nicht besser. *** Zuhause angekommen schloss ich hinter mir die Haustür, und stand für ein paar Minuten regungslos da. Meine Knie zitterten und mein Atem ging unregelmäßig. „Schatz?“, rief meine Tante aus der Küche. „Ich bin’s nur, Anna…“, rief ich mit zittriger Stimme zurück. „Oh“, gab sie von sich und linste zu mir, „du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen? Ist alles in Ordnung?“ „Jupp. Ist nur die Hitze.“ „Du musst mehr trinken“, lächelte sie mich fürsorglich an und ging wieder in die Küche, „übrigens: Melinarés hat vor einer halben Stunde angerufen. Du sollst sie doch bitte mal zurückrufen.“ „Mach ich gleich.“ „In zwei Stunden gibt’s Abendessen!“ „Ist gut…“ Die Treppen zu meinem Dachbodenzimmer kamen mir steiler vor denn je, mal abgesehen davon, dass ich nach jeder vierten Stufe erneut grundlos inne hielt. „Clarissa!“, ertönte Melinarés‘ Stimme an meinem Ohr, als ich es endlich in mein Zimmer geschafft hatte, „sag mal, was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein, wer er ist?“ „Oh hör mir auf…“, seufzte ich tief, öffnete mein Fenster und guckte an der Hauswand runter, ob da vielleicht jemand stehen könnte. Enttäuscht ging ich ein paar Schritte zurück. „Ich brauch dir wohl nicht zu sagen, dass er bei mir unten durch ist?“, fauchte meine Freundin. „Nein. Das hat mir dein Blick bereits mitgeteilt.“ „Was wollte der eigentlich von dir?“ „Anscheinend…“, begann ich meinen Satz und schluckte schwer, „hatten wir ein Date…“ „EIN WAS?“ „Hör auf mich anzuschreien! Ich bin nicht taub!“ „Clarissa wie ist es denn dazu gekommen? Wenn ich es vorhin richtig mitbekommen habe, hat Julius dir doch nur sein Deo geliehen?“ „Er hat anscheinend kurzfristig entschieden, dass es ein Date ist. Zumindest hat er das Gape so gesagt.“ „Ich habe Gabriell angerufen, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe…“, gestand Melinarés. „Wie jetzt?“ „Sorry…“ „N…nein…schon in Ordnung.“ „Und…was hat er gesagt?“ „Er hat Julius lediglich mitgeteilt, dass er demnächst aus dem Team fliegen wird, wenn er nicht regelmäßig zum Training kommt.“ „Also habt ihr nicht miteinander geredet…“, seufzte das Mädchen auf der anderen Leitung. „Nein.“ „Clarissa. Ich weiß, dass du mich dafür jetzt hassen wirst…aber es gibt da etwas, was du dir unbedingt anhören musst!“ Ich blieb mitten in meinem Zimmer stehen und blickte ungläubig auf mein Handy. „Clarissa…ich bitte dich nie um etwas. Nie! Aber diesmal flehe ich dich an!“ Ich schwieg. Mir fielen im Moment einfach nicht die Richtigen Worte ein. Nicht nach dem, was in der letzten Stunde alles passiert war. „Bitte. Du sollst ihn nicht gleich an den Hals springen wie eine tollwütige Hyäne…“ „Hast du mich gerade ernsthaft als sabbernden und stinkenden Aasfresser bezeichnet?“, lächelte ich niedergeschlagen. „Clarissa…“, seufzte Melinarés erledigt. „Ich weiß…“, erwiderte ich tonlos und legte auf, „ich weiß…“ *** Am nächsten Tag in der Schule hatte ich das schlechteste Gewissen, solange ich mich überhaupt zurück erinnern konnte. Ich traute mich nicht mal Gabriell anzusehen, geschweige denn ihn anzusprechen. Als ich zur Mittagsause gehen wollte hielt mich Julius auf. „Hey! Was geht ab?“, fragte er und stellte sich genau vor mich. „Oh tut mir leid…“, zuckte ich zusammen, „aber mein Kreislauf spinnt bei diesem Wetter ziemlich…“ „Aha.“ „Sorry, Julius.“ „Hey warte doch mal!“ „Ich hab Hunger…“, schmollte ich. „Dann essen wir zusammen was.“ In diesem Moment liefen Melinarés und Julien herzhaft lachend an uns vorbei. Ich sah den beiden kurz nach und ballte die Hand zur Faust. Ich entschied mich dazu, ihn einfach stehen zu lassen und den restlichen Tag zu ignorieren. Ich nahm mir gleich zwei große Stücke Wassermelone, einen Becher Joghurt und eine große Flasche Wasser und setzte mich neben Melinarés und Julien. Die beiden hörten abrupt mit ihrem Gerede auf und ich sah beide argwöhnisch an. „Soll…ich wieder gehen?“, fragte ich vorsichtig. „N…nein! Ist alles in Ordnung!“, versicherten die beiden im Chor. Ich zog die Augenbrauen hoch erwiderte jedoch nichts und biss genüsslich in mein Stück Wassermelone. Als nach einigen Minuten weder Melinarés noch Julien ein Wort sprachen platze mir der Kragen. „Hey! Hab ich irgendwas gemacht, dass ihr beiden mich so eiskalt ignoriert?“ „Es hat wirklich nichts mit dir zu tun!“, versicherte mir Julien und riss seine grünen Augen ängstlich auf. „Aber?“ „Nichts aber.“ Ich funkelte Julien düster an was ihn schaudern ließ. „Wir haben gerade unser Gespräch beendet, als du dich zu uns gesetzt hast und wir haben bis jetzt noch kein neues Thema gefunden!“, regte sich Melinarés künstlich auf. „Flipp gleich nicht so aus…“ „Wer hat denn damit angefangen hier rum zu stänkern?“ „Wer stänkert hier rum?“, wollte Gabriell wissen und schob sich neben Julien auf die Sitzbank. „Melinarés und Clarissa…“, raunte Julien Gabriell zu. Julius folgte gleichauf. Ich verschluckte mich am meiner Melone, als er mir zuzwinkerte. „Yeah!“, johlte der falsche Engel, „hast du Popcorn mit?“ „Sehr dünnes Eis…Gabriell…sehr dünn!“, zischten Melinarés und ich gleichzeitig, worauf der Junge aufgeregt hin und her rutschte. „Wir haben uns nur darüber unterhalten, dass sie heute Nachmittag im Radio eine ‚all you can wish‘ Sendung bringen“, versuchte Julien das Thema zu wechseln, „dort kann man sich Lieder wünschen oder jemanden grüßen.“ „Also eine ‚happy hour‘ wie jedes Wochenende?“, erkundigte ich mich. „Genau so was.“ „Und wieso nennen sie es dann nicht einfach so?“ „Ich habe keine Ahnung“, grinste Julien unschuldig. „Und wen willst du grüßen?“, fragte Gabriell und klaute sich eine Traube aus meinem Obstbecher. Ich erstarrte zu einer Salzsäule und wich seinem Blick immer wieder aus. „Was denn?“, erkundigte er sich. „Nichts.“ „Sonst verteidigst du deinen Obstbecher immer…“ „Ach so…“ „Clarissa! Ich mag doch gar keine Trauben!“, beschwerte sich Gape. „Natürlich magst du Trauben.“ „Seit wann?“ „Seit…“, ich brach mitten im Satz ab und blickte auf meine Hände, welche auf meinem Schoß ruhten. Gabriell warf mir einen vielsagenden Blick zu und nahm sich noch eine, um sie schließlich Julien zu geben. „Ich warne dich…ich pieks dich mit der Gabel!“ „Die ist aus Plastik“, lachte der falsche Engel auf, „seh ich etwa so aus, als könnte mir Plastik etwas anhaben?“ „Wenn ich genug Schwung hole?“, knurrte Julien gespielt und brachte meinen Obstbecher in Sicherheit, worauf Gape einen Schmollmund zog. Melinarés stieß mich vorsichtig in die Seite und nickte fast unauffällig in seine Richtung. Ich hob entschuldigend die Arme und brachte damit meinen Snack gefährlich nahe in Gabriells Reichweite. „Ha!“, lachte er erneut auf und schnappte sich den Becher, „meins!“ „Lass ihn dir schmecken“, erwiderte ich lustlos. „Wahnsinn! Ist da Ananas mit drin?“, versuchte er mich aus der Reserve zu locken. Keine Chance. Ich seufzte lustlos vor mir her und blickte in der Gegend rum. *** Auf dem Weg zum Bus, welcher mich nach Hause bringen sollte holte mich Gabriell ein, schnappte sich meinen Hausschlüssel, den ich schon mal herausgesucht hatte und rannte damit vor mir weg. „Hey!“, rief ich aufgebracht, als er keine Anstalten machte anzuhalten. Ich rannte ihm hinterher in der Hoffnung meinen Schlüssel wieder zu bekommen, bis ich bemerkte, dass ich ihn gar nicht einholen konnte, wenn er es nicht wollte. Gabriell hatte eine noch bessere Ausdauer als Melinarés, wie sollte ich da mithalten können? „Na komm, komm her“, lachte der falsche Engel, „butt, butt, butt, butt!“ Ich sah ihn niedergeschlagen nach und war bereits dabei, stur an ihm vorbeizulaufen, als der Junge mir plötzlich vor die Füße sprang und vor mir her tänzelte. Er spielte mit dem Schlüsselbund herum und hielt ihn mir vor die Nase. „Du kannst ihn behalten!“, erwiderte ich gereizt, „Anna ist zu Hause und macht mir auf…“ Gabriell sah mich groß an, würdigte dem Schlüsselbund einem kurzen Blick und reichte ihn mir wieder. „Wa…? Was soll das denn jetzt?“ „Jetzt will ich ihn auch nicht mehr.“ „Sag mal, weißt du eigentlich was du willst?“, wollte ich genervt wissen und stemmte die Hände in die Hüfte. „Ja, das weiß ich“, meinte er mit einem nebensächlichen Ton und steckte mir den Schlüsselbund in meinen Rucksack. „Danke.“ „Bitte.“ Ich ging bereits ein paar Schritte weiter Richtung Bus als Gabriell erneut aufholte. „Ich will dich.“ „Oh ja“, lachte ich schon fast hysterisch auf, „das hab ich gemerkt!“ Erneut blickte der falsche Engel mich ungläubig an. „Hab ich dir irgendwas getan?“, protestierte er, als ihm dämmerte, was er da eigentlich gesagt hatte. Ich sah ihn herausfordernd an und er stutzte. „Sorry…“, murmelte er niedergeschlagen, „so war das nicht gemeint… Ich hab dir gesagt was ich will.“ „Oh fuck! Wegen dir hab ich jetzt den Bus verpasst! Scheiße! “, meckerte ich und schlug nach ihm. Gabriell sah mich fragend an: „Seit wann kannst du fluchen?“ „Ich fluche gerade, weil du mir tierisch auf die Nerven gehst!“ „Okay ich mach dir einen Vorschlag“, meinte Gape und blickte ziemlich siegessicher zu mir, „wenn du dich bereit erklärst, mir endlich zuzuhören, dann werde ich scheiße nochmal damit aufhören dir auf die Nerven zu gehen. Deal?“ „Und was, wenn ich scheiße nochmal dir nicht zuhören möchte?“ „Dann werde ich dir scheiße nochmal solange damit auf die Nerven gehen dir deinen Hausschlüssel zu klauen und dich solange bei deinen Dates stören, bis du mir zuhörst“, grinste er fies. „Das war kein Date…“ „Sag bloß! So wie du dich gestern amüsiert hast?“ Ich blickte ihn finster an. „Sorry…“, entschuldigte sich der falsche Engel erneut. „Dein Ernst?“, fragte ich argwöhnisch und zog eine Augenbraue hoch. *** Die Luft im nächsten Bus war unerträglich heiß, weswegen ich mehr damit beschäftigt war, mir meine Stirn abzuwischen, als mich festzuhalten und natürlich verlor ich deshalb in einer Kurve mein Gleichgewicht. „Na? Macht dir dein Kreislauf wieder zu schaffen?“, lachte Julius und fing mich auf, „jetzt musst du wieder was mit mir trinken gehen.“ „Du hast eine komische Art, dich an ein Mädchen ran zu machen, weißt du das?“, fauchte ich ihn an. „Ich denke eher, es ist eine Art, die nie langweilig wird.“ „So nennst du es also, wenn du dich mir aufdrängst?“ „Ich dräng mich nicht auf“, grinste Julius neckisch. „Na gut“, seufzte ich. „Siehst du?“ Ich drehte mein Gesicht von ihm weg, so dass er nicht sehen konnte, wie ich genervt mit den Augen rollte. Wir stiegen zusammen an der Haltestelle aus und gingen nebeneinander zur Bar, wo wir uns an denselben Tisch wie beim letzten Mal setzten. „Und? Was machst du heute Abend?“ „Hä?“ „Was du heute Abend vorhast.“ „Lernen? Duschen gehen? Zu Abend essen? Schlafen gehen? Schon mal was von routinierten Tagesablauf gehört?“ „Ich halte nicht viel von Routine.“ „Merk ich.“ Er nippte genüsslich an seinem Bier, als ich Julius‘ seinen Blick auf mich fixierte. Etwas irritiert erwiderte ich diesen Blick und stellte das Glas vorsichtig ab. „Ja…?“, fragte ich. „Ich stell mir dich gerade nackt vor“, kommentierte Julius, als wäre es das Normalste auf der Welt. „W…WAS?“ „Bist du noch Jungfrau?“ „Was bildest du dir eigentlich ein?“, fauchte ich ihn an und stand so schwungvoll auf, dass mein Stuhl nach hinten umflog. „Oh ich steh auf Frauen mit deinem Temperament“, grinste er und leckte sich über die Unterlippe. „Pass auf, sonst schlägt sie noch nach dir“, kicherte niemand anderes als Gabriell und ließ sich auf den Stuhl neben Julius nieder, „was geht ab?“ „Hast du kein zu Hause?“, knurrte der rothaarige Junge und nahm einen großen Schluck seines Getränks. „Doch. Aber hier bei euch ist es viel spannender“, grinste er breit und warf mir einen vielsagenden Blick zu, „willst du dich nicht wieder setzen?“ Ich ließ kampflos die Schultern sinken und erinnerte mich an seine Drohung von heute Mittag. Er würde mir wirklich auf die Nerven gehen… „Tut einfach so, als wäre ich gar nicht hier…“, erwiderte Gape mit einer wegwischenden Handbewegung und biss genüsslich in seinen Apfel. „OKAY!“, rief ich so laut aus, dass sämtliche Passanten zu uns sahen, „WENN DU UNBEDINGT REDEN WILLST, DANN REDEN WIR! UND WEHE DIR, DU TAUCHST MORGEN ABEND NICHT VOR MEINEM FENSTER AUF!“ Gabriell sah mich verwundert an: „Das ging ja einfach…“ „Halt die Klappe!“, knurrte ich, nahm meinen Rucksack und ging nach Hause. Ich saß Samstagnachmittag frisch geduscht auf meinem Fensterbrett und war gerade dabei meine letzten Hausaufgaben zu machen, als ich mich spontan entschied das Radio anzumachen. Vielleicht würde ich ja jemand mir bekannten in der Sendung hören, wie er oder sie Grüße mit einem Song sendete. Ich nahm wieder auf dem Fensterbrett Platz und gab eine Gleichung in den Taschenrechner ein, als Gabriell fest gegen die Hausfassade klopfte. Ich zuckte zusammen und warf den Kopf regelrecht in seine Richtung. „Gape! Ich hätte runterfallen können!“, rief ich aufgebracht zu dem Jungen, welcher breit grinsend am Rosengitter stand. „Dann hätte ich dich aufgefangen“, lachte er und griff nach der ersten Strebe. „Oh nein! Du bleibst schön da unten!“, knurrte ich und funkelte ihn böse an. „Wie jetzt? Ich dachte wir würden uns endlich mal unterhalten?“, erwiderte Gape ungläubig. „Tun wir auch. Ich hör dich perfekt von hier oben aus.“ „Du erwartest allen Ernstes, dass ich hier unten stehen bleibe und mir die Seele aus dem Leib schreie?“ „Von mir aus kannst auch gerne singen…also? Ich höre.“ Ich konnte ihn knurren und seufzen hören, was mich zum schmunzeln brachte. Er stemmte sich gerade wütend die Hände in die Hüfte und stierte zu mir hoch, was mich nun doch zum Lachen brachte. „Das ist nicht lustig, Clarissa!“, rief Gabriell. „Wenn du dich so sehen könntest…“, kicherte ich immer noch und stieg vom Fensterbrett auf den kalten Holzboden meines Zimmers, „dann würdest du auch lachen.“ Als ich erneut nach unten blickte breitete der falsche Engel gerade hilflos seine muskulösen Arme aus und machte mir nicht bekannte Gesten. „Es tut mir leid!“ „Was tut dir leid?“ „Das ich dich in der Stadt so angegiftet habe!“ Ich guckte verwundert von meiner Gleichung auf und entgegnete: „Deswegen bin ich doch gar nicht sauer!“ „Ach echt?“, fragte Gabriell künstlich erschrocken, „oh mein Gott! Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, was ich sagen soll!“ „Du hast mir gestern Mittag noch gesagt, dass du weißt, was du willst.“ „Aha.“ „Nun…ich merk nicht sonderlich viel davon.“ „Oh du…“, knurrte er und streckte mir sauer die Faust entgegen. Ich kicherte gehässig und schrieb nebenbei meine Aufgaben fertig, bevor ich mich erneut auf das Fensterbrett niederließ und den Sommerwind genoss. Gabriell stampfte aufgeregt mit einer Hand fuchtelnd durch den Garten und schien mit irgendjemanden zu telefonieren. „Naja…“, seufzte ich, „dann wird wohl gleich mein Handy klingeln und Melinarés verpasst mir eine ordentliche Standpauke…“ In diesem Moment ließ der Moderator des Radiosenders sein aktuelles Lied ausklingen und kündigte die Nachrichten an. Ich sah gen Himmel und bemerkte das wunderschöne Abendrot. „Willst du es morgen nochmal versuchen?“, rief ich dem falschen Engel zu. „Warum?“ „Weil es bereits dämmert.“ „Sind die 20 Uhr Nachrichten schon im Radio?“ „Ähm…ja?“ „Würdest du sie bitte etwas lauter machen? Opa ist heute nicht zu Hause und ich soll sie für ihn hören…“ Mit einer simplen Handbewegung drehte ich den Knopf für die Lautstärke etwas höher und blätterte in einer Zeitschrift, während die Frau im Radio die aktuellsten Geschehnisse vorlas. Gabriell hingegen setzte sich in das perfekt gemähte Gras und horchte aufmerksam zu. Ich war bereits beim Modeteil meiner Illustrierten angekommen, als sie das Wetter für die nächsten Tage ankündigten und wollte den Radio wieder leiser stellen. „Warte! Stell noch nicht leiser“, bat mich Gabriell plötzlich und streckte sich auf dem Gras. „Warum? Die Nachrichten und sogar das Wetter sind um!“ „Ich weiß“, grinste er und ich konnte seine bernsteinfarbenen Augen aufgeregt funkeln sehen, „aber das nächste Lied könnte dich interessieren.“ Mir klappte die Kinnlade nach unten und ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an: „Du hast…doch nicht…?“ Mit einem zufriedenen Seufzer ließ sich der falsche Engel nach hinten fallen und deutete mir mit einer Geste, dass ich genau zuhören sollte. „Hey Everybodey! Hier ist eurer Lieblings DJ mit dem nächsten Song“, moderierte der junge Mann im Radio, „gerade habe ich einen von Euren Wünschen per Telefon reinbekommen und ich muss euch sagen, dass nach dieser Bitte sogar mir eine kleine Träne runtergekullert ist.“ „Oh nein…“, murmelte ich peinlich berührt. Natürlich war mir bewusst, was Gape getan hatte. Oder besser gesagt, was gleich jeder aus meiner Klasse im Radio hören würde. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und blätterte in meiner Zeitschrift weiter. „Gerade hat mich, und diesen Namen hat er wirklich zu mir gesagt, der falsche Engel angerufen und geklagt, dass seine schönste und hell leuchtenste Sternschnuppe nicht mehr mit ihm reden will. Man! Dem Kerl muss das Herz bluten, wenn er schon solche Titel auspackt? Er ist ratlos und hofft mit diesem Song die Gefühle seiner Angebeteten wieder neu entfachen zu können, nachdem seine für sie niemals erloschen sind. Alter, ich drück dir die Daumen und hier ist dein Song für deine Sternschnuppe!“ Oh man…, dachte ich und legte mir die flache Hand peinlich berührt auf die Augen. Noch kitschiger hätte er es nicht mehr machen können? Doch in diesem Moment spielte der DJ das von Gabriell gewünschte Lied an und ich vergaß für die gesamte Songlänge meinen Groll gegen ihn. Es zauberte mir sogar ein Lächeln auf die Lippen. „I got a pocket, got a pocketful of sunshine. I got a love and I know that it's all mine, oh, oh oh oh…do what you want but you're never gonna break me sticks and stones are never gonna shake me, oh, oh oh, oh …take me away, a secret place, a sweet escape, take me away, take me away to better days, take me away, a hiding place…“ „Du bist verrückt!“, rief ich den Tränen nahe zu dem Jungen runter, welcher immer noch zufrieden grinsend im Gras lag, alle viere von sich gestreckt. Ich konnte das kribbelnde Gefühl in meiner Magengrube nicht weiter unterdrücken, welches ich so schmerzhaft vermisst hatte, also schlüpfte ich in meine Jeansjacke und sprang schon fast die Treppen runter. „Liebling?“, fragte meine Tante, als sie mich aus der Haustür hüpfen sah, „wohin gehst du?“ „Draußen auf meinem Rasen liegt Gabriell wie erschossen. Entweder hat sie einen Stein nach ihm geworfen oder er hat endlich einen Weg gefunden das Schweigen zwischen ihnen zu brechen“, erwiderte Frederik aus dem Wohnzimmer. „Du!“, rief ich aufgebracht dem falschen Engel zu, „du bist wahnsinnig!“ „Möglich“, kommentierte er und starrte an mir vorbei in den fast dunklen Himmel. Ich kniete mich neben ihn und versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken, zwickte Gape stattdessen in die Seite und machte einen auf ziemlich unberührt. „Ich wusste doch, dass du dieses Lied magst.“ „Mögen?“, wiederholte ich außer mir, „ich liebe dieses Lied!“ „Aha.“ „Und du hast es nicht vergessen…“ „Wie könnte ich das Lieblingslied meiner schönsten und hell leuchtensten Sternschnuppe nur vergessen?“, fragte Gabriell und fixierte mich mit seinen bernsteinfarbenen Augen, „hörst du mir jetzt zu?“ Als ich wortlos nickte und mir über meine feuchten Augenwinkel wischte stand er auf und reichte mir die Hand. „Dann komm. Es gibt da jemanden, den ich dir vorher noch vorstellen möchte…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)