Wo dich dein Leben hinführt von tatosensei ================================================================================ Kapitel 9: Orakel von Delphi ---------------------------- Er schaute aus dem Fenster, nachdem er sich von seiner Arbeit auf dem Laptop abgelenkt hatte. Die letzten Tage ihres Aufenthaltes waren das gleiche gewesen. Es waren nun fünf lange eintönige, langweilige Tage, die sie damit verbracht hatten sich aus dem Weg zu gehen. Es machte ihm äußerlich nicht viel aus, da er sich seiner vernachlässigten Arbeit widmen konnte. Nun könnte man streiten, ob eine Arbeit während der Flitterwochen überhaupt das Recht hatte sich vernachlässigt zu fühlen, aber entsprechend dem Charakter des CEO würde man dies durchaus so bezeichnen. Innerlich aber wollte er eigentlich was anderes tun. Er wollte bei ihr sein. Er konnte nicht richtig begreifen, aber sie zog ihn an, nicht nur körperlich, wie die erste gemeinsame Nacht oder der spontane Kuss in ihrem Zimmer gezeigt hatte, sondern auch seelisch. Bedeutete sie ihm mehr als er sich vorstellen konnte?  So einen Quatsch, natürlich nicht! So unsozial er auch zu sein pflegte, ab und zu brauchte er die Gesellschaft von anderen Personen. Und diese einzige andere Person auf dieser fast menschenleeren Insel hielt sich von ihm fern.   Er könnte es ihr nicht übel nehmen, er war wieder mit ihr grob umgegangen. Er konnte sich aber selbst nicht erklären, warum er sie geküsst hatte. Er hat in diesem Moment an alles andere als ans Küssen gedacht. Er war sauer auf sie, genervt, aber gleichzeitig packte ihn in dieser Situation ein begehren ihre weichen Lippen auf seinen zu spüren. Er müsste sich besser unter Kontrolle halten. Sie brachte ihn aber jedes Mal außer Kontrolle.   Er müsste es aber irgendwie schaffen mit ihr sanfter umzugehen. Bald würden sie die sichere Insel verlassen und nach Domino fliegen, wo jeder Schritt und Tritt, die sie machen würden, von neugierigen Augen der Öffentlichkeit beobachtet werden würde. Er könnte es nicht riskieren, dass Gerüchte kreisten, dass sie sich nicht leiden können. Es würde dann nicht lange dauern bis das Jugendamt und die Staatsanwaltschaft bei ihnen klopften.   Sie hatte sich mit der älteren Hausangestellten angefreundet und verbrachte ihre Zeit entweder am Strand, wo sie hauptsächlich spazieren ging, oder sie war im Gemüsegarten und in der Küche mit Daphne. Obwohl er sich wünschte selbst an der Stelle der netten Hausangestellten zu sein, so war er trotzdem froh, dass sie hier irgendjemanden hatte, der sie ablenkte.   In den Gedanken vertieft und aus dem Fenster blickend – er beobachtete sie, wie sie am Strand spazierte – bemerkte er erst spät, dass jemand ins Arbeitszimmer gekommen war. Nun drehte er seinen Kopf Richtung diese Person und blickte in die trübsinnigen Augen von Daphne.   „Ja?“, knurrte er sie fragend an. Diese, sichtlich nervös, weil ihre Schürze nahezu unaufhörlich knetend, antwortete ihn: „Verzeihen Sie mir, ich habe geklopft und dachte, nachdem Sie nicht geantwortet hatten…“   „Ich war in Gedanken. Was gibt es für ein Problem?“, unterbrach er sie, er brauchte keinen langen Vorspann, wenn sie ihn schon gestört hatte.   „Verzeihen Sie meine offene Art, aber ich erlaub mir dies, weil ich Sie schon einige Jahre kenne, Mr. Kaiba und ich respektiere Sie“, sie merkte, dass ihr Vorwort zu lange war, also musste sie zur Sache kommen, sie wusste nur zu gut, dass ihr Chef nicht sehr geduldig in solchen Sachen war.   „Ja also, ich wollte sagen… Warum gehen Sie mit ihrer Frau nicht mal irgendwo hin? Es gibt so viele schöne Orte hier in Griechenland. Die Ärmste langweilt sich sehr und deshalb ist sie zutiefst betrübt und freudlos.“   Er schaute in ihren Augen. Sie hatte es auch gemerkt, dass Tea traurig war? Das war ein schlechtes Zeichen. Er nickte und gab ihr zu verstehen, dass sie nun gehen konnte. Er müsste was an der Situation ändern, auch wenn er wieder ein wenig autoritär und herrisch wirken würde.                                   ***   Sie machte schon die zweite Runde auf dem Sand. Ihre Route immer dieselbe: von der einen Ecke des Strandes in die andere laufen, dann auf dem Steg bis hin zu der Spitze und dann zurück. Zwar taten ihr das kalte aber angenehme Wasser auf den Füßen und die stille Umgebung gut, aber ihr war langweilig.   Sie war dabei sich auf dem Steg umzudrehen und zurückzulaufen, als sie ihn in seine Richtung kommen sah. Sie blieb automatisch stehen und hielt inne. Ihr Herz fing an schneller zu schlangen.   Er erreichte sie und blieb stehen.   „Ich hoffe du hast nichts dagegen, wenn wir was zusammen unternehmen? Es gibt schöne Orte hier, die dir gefallen werden,  du brauchst dich hier nicht zu langweilen.“, ohne auf ihre Antwort zu warten, nahm er ihre Hand und zog sie in Richtung seiner Yacht, die angekettet am Steg auf dem Wasser vor sich hin schwankte. Sie zog ihre Hand zurück, konnte aber seinen Griff nicht lösen. Er bemerkte die Bewegung, blieb stehen und sah sie an. Er verstand ihr Zögern.   „Vertraue mir. Ich hab dir mein Wort gegeben.“   Sie hatte keine Ahnung was sie nun machen sollte. Sie wollte ihn nicht Vertrauen, das war schon einmal schief gelaufen, sie wollte ihn auch nicht jedes Mal trotzen, dies würde, wie er ihr gezeigt hatte, ihr Zusammenleben ziemlich beeinträchtigen. Aber etwas in ihr flüsterte, dass sie ihn diesmal glauben sollte. Es war entweder die Stimme der Vernunft oder die Stimme der Langweile.   Sie folgte ihn auf die Yacht. Sie war noch nie in ihrem Leben auf einer Yacht gewesen und wusste auch nicht viel über sie, aber sie hatte das Gefühl, dass sie ein halbes Vermögen wert war. Kaiba machte den Motor an und setzte die Yacht in Bewegung. Durch den Ruck und den entgegenkommenden Wind hätte sie fast ihren Strohhut verloren, aber er konnte gerade noch den fliegenden Hut in der Luft einfangen und ihr zurückgeben.   „Vielen Dank.“   Kaiba nickte nur und konzentrierte sich aufs Fahren. Sie sah ihn an. Er wirkte nun auf ihn genauso, wie nach ihrer Verlobung. Ausgeglichen, zurückhaltend und höflich. So hatte er ihr am besten gefallen.   „Wo gehen wir hin?“, fragte sie zögerlich, zum Teil, weil es sie interessierte, zum Teil, weil sie das Schweigen endlich brechen wollte.   „Wir fahren nach Itea, das ist eine kleine griechische Stadt. Von dort aus ist es nicht mehr sehr weit bis nach Delphi.“   Seine Antwort zauberte ein Strahlen in ihre Augen, den er lange an ihr vermisst hatte. Er wusste, dass sie begeistert war von jeglicher Art von Mythologie, sei es ägyptische, japanische oder eben griechische, alle ihre Referate in der Schule waren über Götter und deren Intrigen. Sie freute sich sehr, das stand ihr im Gesicht geschrieben.   Am Hafen angekommen, stellten sie die Yacht neben unzählige andere ab und machten sich auf den Weg zu einer Autovermietung. Sie wartete im Salon des kleinen Geschäftsraumes, während er den Papierkram für die Miete eines Wagens erledigte. Sie war verwirrt von den zwei Persönlichkeiten, die in dieser einen Person steckten. Wieso könnte er im einen Augenblick so verständnisvoll sein, aber im nächsten sich wie ein Barbar benehmen?     Kaum fünf Minuten hatte die Prozedur gedauert, schon saßen beide in einem weißen Audi Cabrio und fuhren Richtung Inneren des Landes. Sie saß neben ihn, er fuhr. Ein Bild, welches von einem harmonischen Paar zeugte, die ihre Zweisamkeit in der wunderschönen Landschaft von Griechenland verbringen wollten. Der Wind, der ihnen entgegenkam, wollte jedes Mal Teas Strohhut wegblasen und mit auf eine eigene Reise nehmen. Sie nahm ihn ab und legte ihn auf den Schoß.   „Du wirst es nicht schaffen, den Hut anzubehalten. Ich glaube du müsstest beim klassischen Kopftuch und Sonnenbrille bleiben“, sprach Kaiba und blickte sie durch den Innenspiegel des Wagens an.    Sie lächelte. Das erste Mal in fünf Tagen.   „Wenn ich gewusst hätte, dass wir Cabrio fahren, dann würde ich das tun.“ Sie drehte ihren Kopf auf die Seite und blickte ihn an. Er schaute zurück. Einen kurzen Augenblick lag ein wortloses Einvernehmen zwischen den Beiden vor, welches so lange unmöglich erschien.   In Delphi angekommen eröffnete sich ihr ein Bild der schöner nicht sein könnte. So fühlt es sich an, wenn Träume wahr werden, dachte sie. Wie viele Geschichten hatte sie damals über den Orakel von Delphi gelesen, wie viele Male hatte er Helden wie Odysseus oder Alexander den Großen auf ihren Abenteuern nach Delphi begleitet, damit diese um Prophezeiung  für ihre Reisen baten. Wie sehr hatte sie gelitten, als beide Prophezeiungen des Orakels bezüglich Ödipus wahr wurden und wie gerne hatte sie sich vorgestellt den Gott der Künste, Apollon, über dem Orakel wachen zu sehen.   „Komm mit, wir gehen näher ran.“ Ihre Gedanken unterbrach Kaiba, als er ihre Hand in seine nahm und sie langsam ins Innere des Orakels führte. Dieses Mal hatte sie nichts dagegen, dass er ihre Hand hielt. Auch fühlte sich seine Hand auf einmal sehr warm und zuverlässig an. Sie hatte wieder das Herzklopfen, das sie einige Male bei ihm damals verspürt hatte. „Woher wusstest du, dass ich den Ort schon immer sehen wollte?“, endlich konnte sie die Frage stellen, die ihr die ganze Zeit im Kopf kreiste.   „Wie konnte ich es nicht wissen, wenn der Ort dem Gott der Künste gewidmet ist und dieser gewissermaßen dein Schutzpatron ist.“   Nun breiteten sich ihre Augen und er sah in ihrem perplexen Gesichtsausdruck, dass sie sich zurückerinnerte. Sie hatte einen Vortrag über Delphi und Apollon gehalten, damals in der Schule. Sie hatte sich sehr viel Mühe gegeben, und, als die Lehrerin danach gefragt hatte, weshalb sie gerade über Apollon erzählt hatte, wo es doch andere viel bedeutsamere Götter im griechischen Olymp gab, hatte sie ihr damals geantwortet, dass jeder einen Schutzpatron braucht, um an ihn zu glauben und von ihm Kraft und Energie zu bekommen. Ihr Schutzpatron war Apollon, der Gott der Künste, der Musik, des Gesanges und des Tanzes.   „Du hast dich daran erinnert?“, sie konnte selber das Gefühl nicht beschreiben, aber sie verspürte in diesem Moment eine grenzenlose Dankbarkeit. Er hatte sich nach so vielen Jahren an ihr Referat erinnert, an ihre Begeisterung für die Antike und ihren Wunsch diesen Ort zu besuchen. Nun hatte er ihr diesen einen Wunsch erfüllt.   Sie verbrachten den ganzen Nachmittag in Delphi, redeten über die Mythen und welcher ihnen am besten gefallen hatte. Kaiba bewunderte Athena, wie sich herausstellte, und sie wusste genau warum. Irgendwie waren sich die beiden ähnlich. „Du bist mir aber eher wie Ares, vor allem als du dich duelliert hast.“, sagte Tea, als sie auf einem Felsen saßen und sich den Sonnenuntergang in Delphi ansahen.   „Hmm, mache ich denn so einen kriegerischen Eindruck?“ Beide lachten. Es war sonnenklar, dass die Antwort ja war.   „Ich habe damals immer gewünscht wie Aphrodite zu sein. So hübsch und immer für die Schönheit da… Die beiden sind… verheiratet… Ares und Aphrodite…“ Sie sahen sich an, ohne Worte. Worte könnten nicht das ausdrücken, was in ihren Köpfen war. Jeder verarbeitet das Gesagte auf seiner Weise.   „Für mich bist du im Moment Persephone*" Er wandte seinen Blick von ihr ab und sah in Richtung des endlosen Horizonts. An ihrem Blick erkannte er, dass sie den Vergleich verstanden hatte. An seinen Worten erkannte sie, dass er das erste Mal zugab schuldig zu sein an dem was passiert war. Seine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit berührte sie zutiefst. Am liebsten würde sie ihn die Last und die Schwere dieses Gefühls der Schuld nehmen. Aber dann sah sie ihn aufstehen.   „Wir sollten langsam aufbrechen, es scheint ein Sturm zu kommen und wir müssen noch auf die Insel.“   Mit diesen Worten brachen sie auf. Die Fahrt, nunmehr mit einem zugedeckten Dach, weil sich schon die ersten Regentropfen auf dem Weg zur Erde machten, verlief ohne Gespräch, in aller Stille. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Das einzige was man hörte, war das leise Summen des Autos und die Regentropfen, die an die Fensterscheiben klopften.   Am Hafen angekommen wurde ihnen gesagt, dass ein Sturm auf dem offenen Meer sein unrecht trieb, und dass sie heute Abend lieber nicht mit der Yacht fahren sollten. Deshalb mussten sie ihren Plan umstellen und gingen in ein kleines Hotel, wo sie das größte Zimmer buchten. Sie müssten die Nacht in Itea verbringen.   Bevor sie sich aber in das geräumige Zimmer - welches ebenfalls über eine Couch verfügte, wo Kaiba die Nacht verbringen würde - zurückzogen, aßen sie im Restaurant des Hauses. Und obwohl der Abend relativ wortkarg ausfiel und sehr schnell zu Ende war, war sie einer der entspannten der letzten Tage gewesen.   Kaiba schloss die Tür des Zimmers und ging zu ihrem Bett, wo sie schon drin lag und schlief. Er zog einen der Bettvorhänge leicht zur Seite und sah sie an. Sie sah sehr friedlich und zufrieden aus und er verspürte ein inneres Bedürfnis sie zu beschützen, wie er nur gegenüber Mokuba verspürt hatte.   Am liebsten würde er versprechen wollen, sie nie wieder zu verletzten, aber er war sich sicher, dass er dieses Versprechen nicht halten konnte.   ______________________________________________ *Nach der griechischen Mythologie ist Persephone (Kore) die Tochter von Demeter, der Göttin der Erde. Eines Tages verliebt sich Hades, Gott der Unterwelt in Persephone und will sie zur Frau nehmen. Er bittet daher bei Zeus um ihre Hand. Zeus gibt sich weder einverstanden noch lehnt er ab, weil er weiß, dass Persephone nicht freiwillig in die sonnenlose Unterwelt gehen wird. Eines Tages entführt Hades Persephone unter ihrem Protest und ihren Schreien. Diese ruft verzweifelt nach ihrer Mutter Demeter, die sich dann auf der Suche nach der Tochter macht. Durch ihre Trauer um die verlorene Tochter lässt Demeter die Pflanzen und Bäume verwelken. Zeus sieht die Gefahr, dass bald die ganze Erde vor Hunger sterben wird, wenn Demeter weiterhin die Pflanzen und Bäume nicht aufblühen lässt. Also vereinbart er mit Hades einen Deal: Persephone darf 6 Monate des Jahres auf der Erde bei ihrer Mutter sein, die restlichen 6 Monate muss sie in die Unterwelt. Während den 6 Monaten, die sie bei ihrer Mutter ist, blüht die Erde, es wachsen Blumen und Bäume, es wird Sommer, während den 6 Monaten, die sie in der Unterwelt verbringt, hört die Erde auf zu blühen und es wird Winter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)