Glückspiraten von Anyi ================================================================================ Kapitel 5: Vion, das Schlangennest ---------------------------------- Kapitel 3 – Vion, das Schlangennest Nüchtern betrachtet war Vion wirklich keine schöne Stadt. In der eingetroffenen Dunkelheit wirkten die Häuser grau, hässlich, alt und heruntergekommen, sodass Naruto befürchtete, sie würden beim nächsten falschen Windstoß zusammenfallen wie stümperhaft aufgebaute Kartenhäuschen. Er sah es geradezu bildlich vor sich wie sie nacheinander zusammenklappten, ähnlich einer Kettenreaktion mit Dominosteinen, weil sie sich dicht an dicht, so eng aneinander reihten, dass kaum noch eine Mülltonne dazwischen Platz fand. Regen- und Abwasser vermischte sich in einem schmalen Graben zu beiden Seiten der Straßen und selbst ohne groß nachzudenken wusste Naruto, wo es am Ende hinführen würde. Es stank. Selbst wenn es nicht so windstill in den engen Gassen gewesen wäre, würde es wohl trotzdem nicht nach frischen Blumen und saftigen Gras riechen. Im Gegenteil. Die Luft war verpestet, dick und hochschwanger durch allerlei ekelregenden Gerüchen. Verrottete Lebensmittel, die vom Schimmel bis zur Unkenntlichkeit verseucht waren, stapelten sich zwischen fetten Ratten mit blutunterlaufenen roten Augen, die durch den fahlen, giftig gelben Schein vereinzelter Laternen huschten und auf deren Anblick Naruto lieber verzichtet hätte. Sie offenbarten die schreckliche Wahrheit, die sich ihm schonungslos in ihrer Vollkommenheit präsentierte. Neben ihm, hinter ihm, vor ihm … sogar über ihm. Provisorische Wäscheleinen hingen schlaff von Fenster zu Fenster, auf ihnen ein paar Lumpen, die für ihre Besitzer wohl Hemd und Hose darstellen sollten, doch Naruto befürchtete, dass ihm der Dreck auf den Kopf tropfte, sollte er sich länger als nötig dort aufhalten. Einziger Lichtblick schien ein Brunnen zu sein, der sich einsam und verlassen in sein Sichtfeld schob. Von weitem konnte er noch nicht sehen, was genau die Steinfiguren darstellten, die sie kunstvoll auf dem massiven Brunnenrand drapiert hatten. Menschen und Tiere. Peitschen in ihren Händen und Messer im Hals des Tieres und unzählige Schlangen, die sich mit langen Zungen um abgemagerte Körper schlängelten. Naruto schluckte, als er näher an ihn herantrat, während Sasuke nur unbeachtet daran vorbei lief. „Sasuke“, rief Naruto vorsichtig. Wie lächerlich. Alles in seinem Körper war angespannt, vom kleinen Zeh bis zur letzten Wimper, und doch blieb er vor dem Brunnen stehen. Er sah Sasuke nur noch schemenhaft, als dieser eine Treppe aus ungleichen Stufen erreichte, die steil nach oben führte, an dessen Ende ein großes schwarzes Loch. „Sasuke, warte …“, rief Naruto beinahe abwesend ohne den Blick zu seinem Freund zu suchen. „Warum?“, hörte er seine Stimme entfernt, ehe er sich vorbeugte. „Ich will sie wenigstens waschen“, murmelte er und streckte die Hände der glänzenden Oberfläche entgegen. Kälte an seinen Fingerspitzen ließ ihn frösteln und sein Magen reagierte empfindlich auf den intensiven Geruch, der ihm dabei in die Nase stieg. Es war benebelnd, schwindelerregend. Naruto keuchte, beugte sich tiefer, obwohl er hier nicht sein wollte. Irgendwas zog ihn herab, näher und dichter, viel zu tief. Eine der Steinfiguren – vermutlich spitze Schlangenzähne – drückte sich schmerzhaft in seinen Bauch und Naruto glaubte den Boden unter seinen Füßen zu verlieren. Er fiel. Vor ihm schwammen Hände in braunem Wasser – unzählig viele Hände. Dazwischen nur blasse, knochige Glieder, mit magerem Fleisch. Er schluckte. „Was ist jetzt?“ Sasukes Stimme nahe seinem Ohr schreckte ihn auf, seine Hand an seiner Schulter ließ ihn zusammenzucken. Er stand aufrecht, apathisch starrend auf den Brunnen, der unschuldig eine Schrittlänge von ihm entfernt war. „Was?“, krächzte er mühevoll hervor. Sein Mund war trocken. Was bitte war das? Was für ein bescheuertes Spiel wurde hier gespielt? Naruto sah auf seine Hände, betrachtete das getrocknete Blut, die Spuren seines Missgeschicks und verstand gar nichts mehr. Er war verloren. Er und vor allem sein Verstand. „Du wolltest sie waschen, schon vergessen?“ Er hatte das Gefühl, dass Sasuke viel zu ruhig war dafür, dass er von ihm misstrauisch gemustert wurde. Irgendetwas schien hier faul zu sein. Gewaltig faul. „Schon, aber …“ Er wagte es nicht weiter zu sprechen. Er war nicht verrückt. Das ganze spielte sich nur in seiner lebhaften Fantasie ab, oder? Nur in seinem Kopf. Richtig? Er würde ganz bestimmt nicht verrückt werden. Das war nur ein blöder Brunnen, kein Leichenschauhaus, das ihn bei lebendigem Leib verschlingen würde. Gott, er war zu jung für sowas… „Mach jetzt … wir müssen uns beeilen“, drängte Sasuke und zog einen Eimer voll Wasser aus dem Brunnen, was Naruto nur mit offenen Augen beobachtete. Verdammt, warum war für Sasuke immer alles so einfach? Er seufzte und wusch sich eilig die Hände. Hätte er es gewagt, noch einmal in das Wasser zu blicken, wäre ihm die unnatürliche Farbe mit Sicherheit aufgefallen. „Du benimmst dich seltsam, Naruto“, stellte Sasuke schließlich kopfschüttelnd fest, als er den Eimer zurück in den Brunnen warf. Naruto schnaubte verächtlich. „Dieser Ort ist seltsam … nicht ich.“ „Hn, komm jetzt“, meinte er schulterzuckend und ging voraus. Die Treppe, die Naruto zuvor noch gesehen hatte, war allerdings nicht mehr da. Stattdessen schlängelte sich ein Kiesweg durch imposante Steinbögen und kleine Tunnel, die ihn verdächtig an eine Kanalisation erinnerten. Fuck, vielleicht erzeugten die Dämpfe ja doch irgendwie Halluzinationen? So ein bisschen? Ein ganz klein wenig? Hoffentlich, ansonsten war er gerade auf dem besten Wege seinen Kopf zu verlieren. Er war wirklich dumm. Wirklich und absolut richtig dumm und so maßlos bescheuert, weil er doch tatsächlich geglaubt hatte, dass es nicht noch schlimmer kommen konnte. Wie ahnungslos er sich doch an den Gedanken geklammert hatte, dass das, was er bereits von dieser Stadt sehen konnte, das Maß aller schrecklichen Dinge war. Seine Fähigkeit, sich positive Dinge regelrecht einzureden war schon immer besonders heftig ausgeprägt gewesen und trotzdem fühlte er sich jedes Mal von neuem davon überrascht. Der rasende Herzschlag, der auf erschreckende Weise zwei – drei Takte aussetzte, ehe er beinahe hyperventilierend gegen seinen Brustkorb einhämmerte, war eindeutig ein Indiz für seine unbedarfte Kindheit, sein reines und beschütztes Aufwachsen, wo er sowas niemals vorgefunden hätte. Kein Buch, kein Bericht, kein Gespräch mit einem Freund hätte ihn jemals auf das hier vorbereiten können. Nichts in der Welt könnte in seinen Augen grausamer sein als das, was sich in endloser Weite auf dem Platz abspielte, der sich nun unmittelbar vor ihm befand. Warum genau Sasuke darauf keinerlei Reaktion zeigte konnte er nicht sagen. Er hatte eine Ahnung, aber die würde er nicht aussprechen. Es würde nur bedeuten, dass er zugeben musste, dass Sasuke etwas getan hatte, was für ihn unmöglich erschien. Niemand konnte von jetzt auf gleich so kalt werden, so herzlos und abgebrüht werden, oder? Während er nur schluckend, starrend und regungslos dastand, blickte sich Sasuke suchend um. Dieser Platz ähnelte einem Markt, hatte die richtige Größe und lag zu Füßen der riesigen Burg, deren dunkle Eisentore weit geöffnet standen. Aus dem Inneren drang Licht nach draußen, das den Platz und die riesige Menschenmasse beleuchtete. Menschen, überall unzählig viele Menschen, die Naruto nicht erwartet hätte. Den ganzen Weg hier hoch hatte er keinen einzigen gesehen. Hatte geglaubt, sie würden in ihren Häusern sein, vielleicht sogar bereits schlafend in ihren Betten liegen, doch auch in diesem Punkt hatte er sich allem Anschein nach kräftig getäuscht. Auch wenn es sich bei näherem Hinsehen ganz eindeutig nicht um eine normale Bevölkerung handeln konnte. „Komm, hier lang“, raunte ihm Sasuke plötzlich ins Ohr, war ihm kurzzeitig nah und gleich wieder weg. Er spürte nur noch seine Hand, die sich um sein Handgelenk schloss und ihn an einer Wand entlang zerrte. „Was ist das hier, Sasuke?“, flüsterte er gegen den Rücken seines Freundes, der nur ein seltsames Geräusch von sich gab, ehe er antwortete. „Zählung“, murmelte er. „Zählung?“, wiederholte Naruto, doch Sasuke antwortete nicht. „Wieso müssen sie gezählt werden? So spät in der Nacht? Und warum tragen sie dabei Ketten an ihren Händen und Füßen? Scheiße man, sorgt sich da niemand um ihre Verletzungen? Sie bluten und haben offensichtlich Schmerzen. Sasuke, warum hilft ihnen niemand?“ Naruto konnte nichts dagegen tun, dass Worte unaufhörlich über seine Lippen sprudelten. Er sah in leblose Gesichter. Sah tote, glanzlose Augen. Das hier waren lebende Gespenster, die sich zwanghaft vorwärts bewegten wie Zombies. Absolut erschreckend. Sasuke zog sie an seltsamen Geräten und Werkzeugen vorbei, die Naruto in seinem ganzen Leben noch niemals zuvor gesehen hatte. Er hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, dass sie für Menschen bestimmt waren, wenn er nicht an jedem zweiten einen gefesselt vorgefunden hätte – blutüberströmt und mit röchelndem Atem. „Du stellst zu viele Fragen“, knirschte Sasuke genervt mit den Zähnen. Immerhin zeigte er jetzt doch, dass er zumindest irgendwie auch etwas unter Anspannung litt. Vielleicht nicht unbedingt in der gleichen Art und Weise wie Naruto, aber ungerührt zogen diese Bilder nicht an ihm vorbei. „Aber sie sehen so hilflos aus, Sasuke.“ „Es sind Sklaven, Naruto. Sklaven, die bereits verkauft wurden“, knurrte er ungehalten, während Naruto hinter ihm die Luft lautstark anhielt. "Sasuke ...", hauchte er fassungslos. Warum hatte ihm niemand erzählt, dass es sowas auf der Welt gab? War er wirklich so blind? Die Realität traf ihn schonungslos und hart, als sich Sasuke zu ihm umdrehte und mit den Augen rollte, als kämen Narutos Ansichten direkt vom Mond. "Was glaubst du, was wir hier wollen?", zischte er unterdrückt, woraufhin Naruto nur benommen schluckte. "Ich dachte ..." "Verdammt Naruto, hör auf zu denken. Wir brauchen fähige Männer, die kämpfen können", unterbrach ihn Sasuke ungehalten, drückte ihn dichter an die Wand. Rauer Putz bröckelte auf seinen Kopf und in seinen Nacken. "Du willst Sklaven kaufen ...", erwiderte Naruto ahnend und Sasuke nickte nur genervt. "Du willst sie für dich benutzen, selbst wenn sie es nicht wollen?", hakte er leise nach. In seiner Stimme schwang etwas mit, das bei Sasuke eine minimale Gesichtsregung zur Folge hatte. Ein kleines Zucken. Nur ein klitzekleines, kaum sichtbares Zucken seiner linken Augenbraue. "Ja", antwortete er und Naruto atmete stockend aus. Darauf wusste er nichts zu sagen. Auf diese Neuigkeit war er genauso unvorbereitet gewesen wie auf diesen ganzen Ausflug. Mehr noch, es erschütterte ihn zutiefst, wie sein bester Freund, der Mann, mit dem er früher kindliche Fang-mich-spiele gespielt und dabei herzlich gelacht hatte, jetzt so teilnahmslos über das Leben anderer Menschen entscheiden konnte. "Das geht nicht", stöhnte Naruto kleinlaut. "Was?" "Das hier. Wir können nicht ... Es sollte niemand gezwungen werden, Sasuke." Naruto klang flehend und verzweifelt zugleich. "Hn... dafür ist es zu spät…" "Sasuke bitte, diese Menschen da sind Monster. Und ich will nicht, dass wir genauso werden." Auch wenn Sasuke ihn weiterhin betrachtete, ihm eiskalt in die Augen sah, deutete Naruto auf eine Gruppe junger, starker Männer, die mit hämischen Grinsen im Gesicht und langer Peitsche in der Hand am Rand standen und mit widerwärtigen Sprüchen die Leute in Bewegung brachten, die nicht schnell genug ihren Platz in der richtigen Reihe fanden. "Du stellst dich schon wieder gegen mich." Naruto hatte das Gefühl, plötzlich nur noch diese Worte zu hören. Alles andere war Nebensache. Sasukes Stimme schnitt sich tief in sein Fleisch, ehe er protestierend mit dem Kopf schüttelte. "Nein, ich will mich nicht gegen dich stellen. Ich will nur vorher darüber reden." "Zum Reden fehlt uns aber gerade die Zeit. Falls du es nicht bemerkt hast, wir stehen schon mitten drin." "Okay ...", seufzte Naruto. "Ich bin nicht einverstanden... aber wenn du das hier durchziehst, dann nur unter einer Bedingung", fügte er hinzu und erwiderte eindringlich den dunklen Blick des Uchihas, der nur milde überrascht seinen Kopf neigte. "Wir kaufen sie frei und lassen ihnen die Entscheidung, ob sie mit uns kommen. Wenn sie nicht wollen, lassen wir sie gehen." "Ist das dein ernst?", schnaubte Sasuke verächtlich, dabei war sich Naruto sicher, dass er so etwas Ähnliches bereits erwartet hatte. "Ja, entweder so oder gar nicht." Vielleicht bildete sich Naruto ein, dass er Sasuke so eben etwas nervös gemacht hatte. Vielleicht war es wirklich nur purer Zufall, dass er sich unruhig umsah, wieder und wieder, geleitet durch die lauten Geräusche aus der Umgebung, die Naruto verbissen versuchte auszublenden. "Von mir aus", knurrte Sasuke schließlich nach endlos langem Schweigen und Naruto lächelte ihm dankbar entgegen, obwohl ihm überhaupt nicht danach zumute war. Aber immerhin hatten sie ihren ersten Kompromiss geschlossen. Auf einem furchteinflößenden Sklavenmarkt. Konnte nur besser werden. Irrglaube. Absolut bescheuerter Trugschluss, dem Naruto mit offenem Herzen und gutem Glauben auf den Leim gegangen war. Nachdem er nämlich das letzte bisschen Mut zusammengekratzt hatte, das er in sich trug, war er Sasuke ins Innere der Burg gefolgt. Mit dem Kopf voran durch dicke Steinmauern und felsenfest davon überzeugt, seine Unruhe im Zaum halten zu können. Er war losgestürmt wie ein unbezwingbarer Rammbock, der plötzlich nur noch ein kleines Schaf war, das lautlos mit seinen Hufen scharrte, während er sich schneller in der Mitte irgendwelcher fragwürdigen, dubiosen Gestalten wiederfand. Noch bevor er das Wort "Hilfe" überhaupt denken konnte. Bei näherer Betrachtung hätte dieser Ort vielleicht durchaus schön sein können. Durch die hohen, gewölbten Decken und den in Stein eingelassenen Tribünen bot sich eine Unmenge an Platz, die ganz entfernt an einen Festsaal erinnerte. Womöglich war das gar nicht so unwahrscheinlich, dachte Naruto, als er einige der Verzierungen an den Bänken, Säulen und Holzbalken betrachtete. Mit ein wenig Lippenstift und Rouge würde das hier bestimmt zu einem wunderschönen Ballsaal werden, wo man Feste und Hochzeiten feiern konnte und wo sich die Reichen und Schönen zum Tee am Nachmittag trafen, um über die neuesten Weltereignisse zu diskutieren. Naruto sah es beinahe bildlich vor sich, in schillernden, übertrieben bunten Farben. Hörte ihr hohes, künstliches Kichern zwischen lieblichen Klängen klassischer Musik, doch es war nur eine kurze, blendende Vorstellung, die sich in Luft auflöste, als ihn jemand hart an der Schulter traf. Er stand im Weg? Feuchte Worte schleuderten ihm entgegen, unverständlich und laut. Naruto wollte ihn verstehen, sich entschuldigen, für was auch immer, während er der groben Hand nach hinten auswich, die ihm gefährlich nah kam, doch kein Wort verließ seine Lippen. Nur ein gedämpftes Keuchen, als er mit dem Rücken auf Widerstand traf. "Hmpf..." Er hätte lieber nicht nach hinten sehen sollen. Hätte lieber gar nicht erst einen Fuß in diese Höhle aus fleischgewordenen Bestien setzen sollen, doch er war hier. Stand einem großen Kerl gegenüber, der zähnefletschend auf ihn herab sah. Faules Zahnfleisch umrandete gelbe Überreste auf wunden Kieferknochen und Naruto erwischte sich instinktiv dabei, wie er seine Lippen fester aufeinander presste. Vielleicht wäre sowas ansteckend? Das hier war die Hölle. Überall Menschen, zwischen Gerüchen, die einem den Magen umdrehten. Das flackernde Kerzenlicht hätte nicht sein müssen, stellte Naruto fest und versuchte sich unauffällig aus dem Sichtbereich des Mannes zu schieben, den er ungewollt angerempelt hatte. Er verkörperte ein ganz typisches, klischeehaftes Bild eines gesetzlosen Piraten. Schwarze Augenklappe, Holzbein und ein silberner Hacken anstelle von Fingern. Und er war nicht der einzige. Ein klassischer Verschnitt von Captain Hook in hundertfacher Ausführung, leider aber deutlich hässlicher als das Original. Dafür waren sie vermutlich aber auch gefährlicher. Naruto war nicht sonderlich scharf darauf das herauszufinden. Dementsprechend war er froh, als ihn Sasuke an die Hand nahm und eilig in eine andere Richtung zerrte. Was allerdings aber niemals erwähnt werden durfte. Zumindest nicht gegenüber Kiba oder Lee. Ganz besonders nicht im Beisein von Shikamaru, der sowieso nicht sonderlich viel von ihm zu halten schien. "Komm hier lang, ich habe ihn dort hinten gesehen", zischte ihm Sasuke zu, ohne seinen konzentrierten Blick von der Masse abzuwenden, die sich ungelenk und ständig provozierend hin und her bewegte, wie dickflüssiger Schleim in einem Goldfischglas. "Wen?", erwiderte Naruto perplex. Überall rasselten Ketten, schlürften träge Schritte über den Steinboden. Sasukes fordernder Zug wurde kräftiger. "Unseren Kontaktmann." "Hä? Seit wann haben wir ..." "Von Anfang an." Sasukes Stimme war nur ein Nuscheln, das Naruto durch den dröhnenden Lärm besoffener Männer, die lautstark nach ein paar willigen Weibern grölten, kaum verstand. Aber das Wort Anfang erzeugte ein unangenehmes Kribbeln in seinem Nacken. Von Anfang an? Bedeutete das, dass sie diesen Kontaktmann bereits in Konoha hatten? Selbst dann schon, als sie noch in ihrem Heimatdorf waren? Verdammt, warum sprach Sasuke erst jetzt davon? Wie viele Geheimnisse hatte er denn noch? Die Liste von nie besprochenen Dingen wurde immer länger … "Er wird Die Schlange genannt." Naruto schluckte automatisch. Na prima. Wie konnte denn jemand vertrauensvoll sein, der sich freiwillig Die Schlange taufte? Sasuke musste scherzen, oder? Irgendwas hatte ihn vielleicht am Hafen gestochen. Ein Insekt? Vielleicht irgendeine besondere Käferspezies? Wenn er es sich genau überlegte, dann lag die Ursache vielleicht auch noch in Konoha. Da gab es ein paar Pflanzen, denen man besser nicht zu nahe kommen sollte, vielleicht war Sasuke ja bei seinem letzten Spaziergang... "Überlass die Sache mir und erzähl ihm nichts. Weder wo wir herkommen, noch wo wir hinwollen, kein Wort über die Leute, die mit uns reisen und erwähne nicht unser Ziel. Auf keinen Fall erwähnst du unser Ziel. Er muss nichts über uns wissen, klar? Am besten ... am besten sagst du einfach gar nichts." Oh, nichts leichter als das. Seit er hier war, traute er seiner Stimme ohnehin nicht mehr wirklich. Als läge sein eigenes Verderben nur an einem falschen Wort. Oder an Sasuke, der mit jedem weiteren Schritt immer undurchsichtiger wurde. Falls er diesen Ort hier wirklich lebend verlassen würde, dann musste er dringend mit ihm reden. Das war so deutlich wie das Make-up des Mannes, den Sasuke mit einem kurzen, kräftigen Händedruck begrüßte. Sie mussten reden. Sie mussten wirklich ganz dringend reden. Mit so einem Menschen konnte man doch nicht einfach so in Kontakt treten, oder? Seine ersten Worte waren schmierig und schleimig, sodass Naruto alle Mühe hatte nicht vor lauter Ekel die Nase zu rümpfen. „Oh welch hübsche und seltene Überraschung den letzten noch lebenden Uchiha hier in meinem Haus begrüßen zu können. Verzeiht mir bitte diese Idioten, sie kennen kein wirklich gutes Benehmen“, säuselte er in jugendhaft hoher Stimme, während er in ausschweifender Geste auf die anderen Menschen deutete. Für Naruto wurde es immer schwieriger sie von wilden Tieren zu unterscheiden. Manche von ihnen saßen an runden Tischen, auf wackligen Holzhockern und warfen abgeknabberte Hühnerbeine und Rinderkeulen nach hinten. Wenig appetitlich und leider auch ziemlich mittelalterlich. „Du weißt, warum wir hier sind?“, hörte Naruto die Stimme seines Freundes, der etwas angespannt wirkte. Vielleicht sogar nervös, auch wenn diese Kleinigkeit sicherlich niemandem außer ihm auffallen würde. Es war die Art, wie er unbewusst mit den Fingern am Daumennagel polkte, während er abschätzende Blicke mit der Schlange austauschte. „Aber sicher, auch wenn ich ehrlich zugeben muss, dass ich mit diesem Besuch noch nicht gerechnet habe.“ „Unsere Pläne haben sich kurzfristig geändert“, gab Sasuke zu. Pff, von wegen … alles pure Berechnung! „Wenn das so ist…“ Er schmunzelte und in seinen Augen funkelte etwas gefährlich Gieriges auf, ehe er sich langsam in Bewegung setzte. „Dann sollten wir uns vielleicht setzen. Seit unserem letzten Treffen haben sich die Konditionen ein klein wenig verändert“, sagte er in einem süffisant niederträchtigen Ton, der selbst Sasuke ein Knurren abverlangte, das Naruto so noch nie gehört hatte. Dabei hätte er beinahe nicht mitbekommen, dass es scheinbar wirklich schon vorher ein Treffen gegeben hatte. Nur eins? Oder vielleicht doch schon mehr? Wann sollte das gewesen sein? In Konoha, als er noch etwas erledigen musste? In Banri Bay, als Naruto die Neuen, Kiba und Lee, zum Schiff gebracht hatte? Oder in Kaifuu, als er mit Magenschmerzen im Bett liegen bleiben musste, weil die Milch schlecht geworden war? Gott, Naruto hatte das Gefühl, dass sein Schädel bald platzen würde. Es pochte, dröhnte … roch immer stärker nach Schweiß und Alkohol und die Zunge der Schlange leckte sich genüsslich über die Lippen, als er Sasuke gegenüber saß. Zwischen ihnen nur ein ovaler Tisch. Eine Grenze, die sie nicht sonderlich gut abschirmte, ihnen kaum richtige Distanz bot. Wenn Naruto seine Beine nur ein klein wenig weiter strecken würde, dann würde er ganz sicher auf fremden Widerstand treffen. Aber das allein war nicht der Grund, warum er sich auf seinem Sitz so eingeengt fühlte. Neben ihm war ein Mann, der sein halbes Bauchfett auf der Bank verteilte und ihm schräg gegenüber saß jemand, der scheinbar nicht richtig trinken konnte. Roter Wein lief ihm aus den Mundwinkeln das Kinn herunter, bis es im dreckigen Leinentuch verschwand, das er sich leider locker um den Hals gebunden hatte. „Also, was für neue Konditionen?“ Während Sasuke direkt und beherrscht das Gespräch eröffnete, war ihm Naruto dafür unendlich dankbar seine Aufmerksamkeit von der Umgebung abzulenken. Auch wenn er dadurch Blicke einfing, die ihm unheimlich waren. Diese Schlange … Naruto hatte noch nie solche Augen gesehen. Sie waren schmal, trotz des schummrigen Lichts und Naruto stellte fest, dass Lila nicht unbedingt die beste Farbe war, um seine Augen positiv hervorzuheben. Sie starrten amüsiert und lüstern in Sasukes Richtung, der mit betonter Ruhe abwartete, doch Naruto sah, was in ihm vorging. In seinen Augen tobte ein Feuer. „Vielleicht erstmal ein Glas Wein, Sasuke?“ Seinen Namen von ihm zu hören war unangenehm. „Kein Wein. Ich will das, was mir zusteht, ich habe bereits bezahlt.“ Was? Nicht nur Naruto sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Aber er bezweifelte, dass die Schlange genauso überrascht wurde wie er selbst. „Sicher … aber ich sagte bereits, die Konditionen haben sich verändert.“ Naruto schluckte, als er zusehen musste wie er sich grinsend ein Glas weißen Weines einschenken ließ. Von einem Mädchen, das sicher nicht einmal zehn Jahre alt war. „Hn.“ Sasuke hörte er leise zischen. „Du musst wissen, Sasuke, sie für dich zu kaufen ist nicht gerade leicht, wenn dein Name nicht erwähnt werden soll.“ Naruto hätte schwören können, dass sich Sasukes Haltung verändert hatte. Er saß gerader, aufmerksamer, aber von der Wut, die tief in ihm schlummerte wich er nicht ab. „Wie viel?“, raunte er schließlich und das Grinsen wurde breiter und um ein vielfaches fieser. Eine lange Zunge leckte über reine, weiße Zähne, die ihn regelrecht blendeten. „1000“, lächelte er, während er das Glas an seine Lippen führte. „Du hattest bereits 1000“, erwiderte Sasuke. „Und jetzt will ich nochmal 1000 …“, säuselte er. Naruto wusste genau, warum sich Sasukes Hände verkrampften. Wusste, um was er im Verborgenen seine Finger schloss. „Nochmal 1000 pro Kopf!“ Vielleicht war Naruto genau deshalb hier. Möglicherweise war das seine Aufgabe, weil Sasuke geahnt hatte, dass es so kommen konnte. Dass er kurz davor stand seine Beherrschung zu verlieren und Naruto dafür sorgen konnte, dass er diesem waghalsigen Impuls nicht nachging. Ob das alles wirklich vom Uchiha so berechnet wurden war, wusste er nicht, als er einfach reagierte, seine Hand auf Sasukes Oberschenkel legte und sie dort ganz ruhig hielt, bis er sich sicher war, dass er nichts Dummes tun würde. Der anschließenden Diskussion konnte er jedoch nicht mehr folgen. Zu viele Zahlen. Zu viele unnötige Beleidigungen. Zu viele unverschämte Forderungen. Warum sich Sasuke darauf einließ war für ihn unbegreiflich. Ausgerechnet Sasuke. Er ließ sich binnen Sekunden auf ein Niveau herunter, das ihm nicht wirklich stand. Es machte ihn kälter … grausamer. Und je länger er das Profil seines Freundes betrachtete, desto ferner erschien es ihm. „500 für alle.“ „500? Und das von einem Uchiha?“ Naruto seufzte und wandte sich ab. Wenn es nach ihm ginge, dann würden sie diesem Mistkerl überhaupt nichts geben. Im Gegenteil, er würde ihm liebend gern die Haut abziehen. Nur nicht unbedingt hier und jetzt. Sie waren schon zu lange hier. Die meisten der Anwesenden waren mittlerweile so ausgelassen, dass sie sich kaum noch unter Kontrolle hatten. Naruto sah zwei Männer an einer Tür, in ihrer Mitte ein schmächtiger Junge, der mit leerem Blick ihren groben Befehlen nachkam. Erschreckend. Diese Welt … diese Welt ging unter. Er hörte Sasuke nicht mehr, als sein Blick jemanden erfasste, der ihn ganz offensichtlich beobachtete. Ein Mann im Schatten, dessen Gesicht von einer tiefliegenden Kapuze verdeckt wurde. Er sah ihn nicht, hatte keine Gewissheit und doch kribbelte es in seinem Körper. Die Luft war zäh. Schweres Rauschen erfüllte seine Ohren. Er konnte nicht wegsehen. „Wie wäre es mit ein Bisschen mehr Entgegenkommen, Sasuke?“ „500 für alle sind mehr als genug.“ Irgendetwas stimmte nicht. Diese Gestalt bewegte sich keinen Millimeter. Niemand schien ihn zu bemerken. Niemand außer Naruto. Er wollte etwas sagen, sich an Sasuke wenden, doch seine Lippen bewegten sich nicht. Nichts. „Was hältst du von einem Tausch?“ „Ein Tausch?“ Nur sein Puls schlug schneller. „Deine Ware gegen meine. Du hast einen hübschen kleinen Freund mitgebracht. Er würde sich perfekt als persönliches …“ Und dann sah er weiße Finger, die sich in die Luft hoben. Drei weiße, schlanke Finger. Drei … Was? Sasukes Messer flog über die Tischplatte, blieb im Holz stecken, als sich ein Arm vor sein Gesicht schob, der eindeutig zu Sasuke gehörte. Seine Finger schlossen sich um kalkweiße Haut, drehten das Handgelenk, bis es unnatürlich laut knackte. Naruto blinzelte irritiert, fühlte sich schwindlig und benommen, als wäre er aus einer ganz anderen Realität zurückgeschleudert wurden. Er hatte nicht bemerkt, dass sich die Schlange ihm genähert hatte. „Niemand legt auch nur einen Finger an Naruto“, knurrte Sasuke. Naruto hatte das Gefühl zwischen Eis und Feuer zu stehen, als der Mann mit schmerzlich verzogenem Gesicht auflachte. „Noch ein wunder Punkt, Sasuke? Erst Itachi und jetzt …“ Auch wenn er selbst die Augen aufriss, als er diesen Namen hörte, war Naruto überrascht von Sasukes plötzlich heftiger Initiative, als er über den Tisch sprang, hinter der Schlange landete und ihren Kopf nach unten presste, mit dem Hals so dicht an der Messerkante, dass sie problemlos die dünne Haut zerschneiden konnte. „Lass meinen Bruder aus dem Spiel“, zischte Sasuke und drückte ihn tiefer. Naruto war wie erstarrt. Ähnlich wie die Menschen um ihn herum. Alles war still. Kaum einer schien noch richtig zu atmen, während Sasuke keuchend an schwarzem Haar zog. Hinter ihnen stolperte ein Junge durch den Saal, als er versuchte sich ungeschickt seine Hose wieder hochzuziehen. „Du erregst ziemlich viel Aufmerksamkeit für jemanden, dessen Existenz geheim bleiben soll“, zischte es durch schmale Lippen. Sein Kehlkopf kratzte gefährlich dicht am Messer. „Ich habe nichts zu verlieren, im Gegensatz zu dir“, raunte Sasuke selbstsicher in die Stille des Raumes. Wäre es nicht so voll, würden seine Worte bestimmt an den hohen Decken wiederhallen. Genauso wie das spöttische Lachen. „Okay, Sasuke … nenn mir deine Bedingung“, gluckste er und während sich Sasuke zu ihm runterbeugte, fixierten gelbe Schlangenaugen Narutos Gesicht. Die Gänsehaut, die darauf folgte, war alles andere als gewollt. „Einhundert pro Kopf, nicht mehr … und du sorgst dafür, dass wir unbehelligt den Hafen verlassen können.“ Naruto hatte wirklich keine Ahnung, was genau Sasuke dort aushandelte und was das triumphierende Grinsen zu bedeuten hatte, ehe die Schlange zustimmte. „Einverstanden.“ Sasuke ließ ihn los, griff in einer flüssigen Bewegung nach seinem Messer, um es geschickt wieder in seiner Beintasche zu verstauen und richtete sich an Naruto, der leicht zusammenzuckte, als er den harten Blick seines Freundes bemerkte. „Komm, wir sind hier fertig.“ Selbst wenn er gewollt hätte, Sasuke ließ ihm keine Chance etwas darauf zu erwidern. Er lief bereits um den Tisch herum auf den Ausgang zu, nur Naruto zögerte. Hier stimmte etwas nicht. Verdammt. Er hatte gelächelt, ohne dass es Sasuke sehen konnte. Er hatte gelächelt und einem Verlustgeschäft zugestimmt? „Warte…“ Das erste Wort, das er laut aussprach, seit sie die Schlange getroffen hatten und Sasuke blieb abrupt stehen. „Was …?“ „Irgendwas stimmt hier nicht, Sasuke.“ Eigentlich hatte Naruto nur geflüstert und trotzdem schien es, als hätte es jeder gehört. „Doch ziemlich scharfsinnig, der Kleine“, erwiderte die Schlange. Fast schon provozierend massierten seine Finger den Hals, genau an der Stelle, wo zuvor die Klinge des Messers lag. „Was verheimlichst du?“, entgegnete Sasuke knurrend, ehe er in einigen großen Schritten wieder näher trat. „Du hast keine Ahnung, wer alles wirklich hinter dir her ist, Uchiha Sasuke.“ „Von wem sprichst du?“ Sasukes Augen verengten sich, seine Nase zuckte. Naruto kannte diese Angewohnheit. Sie zeigte sich immer dann, wenn Sasuke unsicher wurde. Wenn er nicht abwägen konnte, in welchem Gebiet er sich befand. „Rotauge hat schon lange seinen Blick auf dich gerichtet und er hat geschworen dich zu jagen … bis in den Tod.“ „Wer oder was ist Rotauge?“, fragte Naruto irritiert. Warum, verdammt nochmal, konnte sich hier niemand einen normalen Namen geben? War das irgendein Kodex, den er noch nicht mitbekommen hatte? So ein besonderes Ding unter Piraten? „Niemand, lass uns gehen“, riss ihn Sasuke jedoch aus seiner Verwirrung, bevor er sehen konnte, dass er sich umgedreht hatte und eilig quer durch die riesige Halle lief. Steif, gehetzt … vielleicht sogar ein wenig nervös. Rotauge… Wer auch immer das war, er hatte definitiv eine Wirkung auf Sasuke. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)