Naice von Sam_Linnifer ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Das Ende der Welt. Einen Augenblick lang, war Elainor sicher jenen sprichwörtlichen Ort erreicht zu haben. Verunsichert glitt der Blick der jungen Adeligen über die kleine Ansammlung einfacher Holzhäuser, die sich als Dunkle Schemen gegen einen winterklaren Nachthimmel abhoben. Umgeben von Schnee, Eis und atemloser Stille. Warmes Licht strömte aus zahlreichen Fenstern und zeichnete bleiche Muster auf den gefrorenen Boden. Nicht weit einiger kleiner Ackerflächen erhob sich der Schatten der nördlichen Wälder, dunkel und bedrohlich. Um hierher zu gelangen hatte sie den südlichen Teil jener Wälder durchquert und so manche Nacht vor lauter Furcht kein Auge zugetan. Jetzt war sie am Ziel. Nach Wochen der Reise endlich am Ziel, doch Elainor war zu müde, um echte Erleichterung zu verspüren. Die Füße der Sechszehnjährigen schmerzten, so wie beinahe jeder Muskel in ihrem Körper und ihr Leib fühlte sich geschwollen und unförmig an. Die hochwertigen Kleider, die sie von zu Hause mitgenommen hatten halfen gegen den kalten Wind, und doch zitterte die Blonde, deren Atem in der klaren Luft weiße Wolken schlug. Dabei hatte der Winter noch nicht einmal begonnen. „Hier wird er uns niemals finden. Niemand wird uns finden.“, flüsterte beruhigend und strich mit einer behandschuhten Hand zärtlich über ihren gewölbten Bauch. Für den Augenblick regte sich das junge Leben darin nicht, aber sie wusste, dass es dort war, schöpfte Kraft daraus, wie sie es in den letzten Wochen unzählige Male getan hatte. „Hier bist du sicher.“ Sie tat einen tiefen Atemzug und packte ihr Bündel fester, steuerte das größte Gebäude des Dorfes an, aus dem sie näherkommend den klang gedämpfter Stimmen vernehmen konnte. Eine Taverne, wie es schien. Zahllose Blicke richteten sich auf die junge Frau, die nur mühsam dazu in der Lage war die schwere Tür aufzustoßen. Elainor lächelte den Dörflern offen entgegen, die sie über den Rand ihrer Krüge misstrauisch musterten. Heute war der erste Tag eines neuen Lebens… Es war so viel schwerer, als sie geglaubt hatte. Anfangs war Elainor fest überzeugt gewesen, dass sie die Herzen der Nordländer mit Zeit, Geduld und Freundlichkeit schon erweichen könnte. Sie bemühte sich, Tag um Tag, doch kaum jemand schien Interesse an ihr oder den Diensten zu haben, die sie anbieten wollte. Kaum jemand in Galieth konnte lesen und schreiben, doch noch weniger von ihnen hielten „dergleichen unnütze Flausen“ für notwendig. Die Menschen hier waren so hart und kalt, wie das Land, dem sie ihr Leben abtrotzten. Eine geschworene Gemeinschaft vielleicht, doch feindselig und verschlossen gegen all das, was ihnen fremd war. Sie nahmen ihre Münzen, später andere Besitztümer, die die junge Frau Stück für Stück veräußerte, doch hatten sie darüber hinaus selten mehr für sie übrig als ein harsches Wort oder einen unfreundlichen Blick. Die Blonde erstand für einen Großteil ihres Besitzes eine verlassene Hütte ein gutes Stück außerhalb des Dorfes. Offenbar stand das Gebäude schon lange leer und trotz aller Mühe gelang es ihr nur zwei der teilweise verfallenen Räume wirklich bewohnbar einzurichten. Wenn man es überhaupt so nennen wollte… Niemals in ihrem Leben war Elainor Joanna Acedia derart allein gewesen. Und selbst in der Zeit ihrer Reise, so beschwerlich ihr mancher Abschnitt auch vorgekommen war, hatte sie sich nie derart verlassen gefühlt. Doch auch wenn sich zunehmend Zweifel regten kam es nicht in Frage aufzugeben. Die Schwangerschaft war inzwischen weit fortgeschritten und wollte sie ihr Kind nicht unter den Bäumen des Waldes gebären würde sie ohnehin bleiben müssen. Und selbst wenn, wohin hätte sie gehen wollen? Wer wollte dafür garantieren, dass es andernorts leichter gewesen wäre? Vielleicht war dies eine Prüfung, die die Götter ihr auferlegt hatten. Vor allem aber ging es um die Sicherheit des Ungeborenen. Die Erinnerungen an Garien waren stetig und bittersüß. Noch immer konnte sie den Verrat nicht begreifen. Wieso hätte er ihr das gemeinsame Kind entreißen wollen? Die Herzogstochter wäre ihm überallhin gefolgt, es hätte nicht mehr bedurft als eines einzigen Wortes. Selbst bis ans Ende der Welt… Und doch, obgleich sie seinetwegen ihre Heimat hatte verlassen müssen, ihre Familie und all das, was ihr teuer und vertraut war… Spürte sie doch noch immer die Wärme seiner Berührungen, erinnerte sich an den Geschmack seiner Küsse. Sie liebte den Elben, allem zum Trotz und in manchen Nächten vermochte sie vor Sehnsucht und Heimweh kaum zu atmen. Sie war allein, als ihre Tochter das Licht der Welt erblickte. Allein Damastes schützende Hand schien über ihr zu liegen, wie sollte es ihr auch sonst gelungen sein, das alles unter diesen Umständen zu bewältigen? Doch als sie schließlich das winzige Bündel erschöpft an sich drücken konnte, waren Schmerz und Blut vergessen. Ein kleines Wunder mit schrumpliger, rosaner Haut und einem hellen Flaum auf den Kopf. Winzige Füße und Finger, große blaue Augen und ein helles Stimmchen, wie der Klagelaut eines neugeborenen Kätzchens. So furchtbar zart und zerbrechlich. Der Mutter aber schien es, als hätte sie in ihrem Leben niemals etwas Schöneres gesehen. Und ganz gewiss hatte sie nie einen Menschen mehr geliebt als Ishara. Umso schwerer war es bald zu ertragen, wenn das Kind vor Hunger jammerte, weil die Milch in Elainors Brust vorzeitig versiegte. Es war nicht einfach in Galieth an Milch zu kommen und die Mittel der Herzogstochter erschöpften sich zunehmend, ohne, dass sich bislang Möglichkeiten aufgetan hätten, um durch Arbeit etwas zu verdienen. So hartnäckig sie es auch versuchen mochte. Dabei war sich die junge Frau, ihrer Herkunft zum Trotz kaum für etwas zu schade. Allein für sich selbst zu sorgen, das Haus instand und die Feuer in Gang zu halten war schließlich harte Arbeit. Doch wann immer Verzweiflung ihr Herz übermannen würde genügte ein Blick in das zarte Gesicht ihrer kleinen Tochter, um sie daran zu erinnern, weswegen all das geschah. Selbst dann, als sich eine Möglichkeit auftat, die Elainor ohne ihre bittere Not niemals in Erwägung gezogen hätte. Lange mochte sie hadern. Wie die Geschichte ihrer Familie auch aussehen mochte. Wie ihre eigene Geschichte auch aussehen mochte. Sie war eine Acedia, die nächste Herzogin der südlichen Grünlande. Sie hatte so vieles gelernt, so viele Bücher gelesen… Wenn auch die Wirklichkeit nicht das Geringste mit ihren Büchern gemeinsam hatte. Doch hier in Galieth war nichts davon von Bedeutung. Hier war sie niemand, nur eine Fremde. Nur eine Mutter… Als sie sich zum ersten Mal von einem der Männer auf das einfache Strohlager drücken ließ, hätte sie weinen wollen. Furcht würgte sie, so sehr die junge Adelige auch versuchte, sich vorzustellen, dass es Gariens vertraute Berührungen wären. Gariens sanfte Lippen. Gariens warme Haut. Er zeigte sich weder übermäßig grob, noch war er besonders sanft. Sie bedeutete ihm nichts, nicht mehr als ein Stück warmes Fleisch und eine angenehme Nacht für den Wert weniger Münzen. Doch irgendwie gelang es ihr, das alles zu erdulden, während Ishara im Nebenraum friedlich schlief, sicher eingepackt in ein Bündel aus Kleidern und Decken, um sie vor der Kälte zu schützen, die von draußen hereindrang. Das danach war beinahe schlimmer. Das Gefühl beschmutzt zu sein, das einfach nicht verschwinden wollte, so sehr sie die schon gerötete Haut auch scheuerte. Das Gefühl wertlos zu sein. Was war aus ihr geworden? Elainor strafte sich selbst, konnte es nicht ertragen ihr Kind mit diesen Händen zu berühren, nicht, bis ihre Tochter im Nebenraum mit hoher Stimme zu jammern begann. Aus Hunger vielleicht. Eng drückte die junge Mutter den Säugling einen Augenblick später an sich, vor Verzweiflung geschüttelt und weinte bittere Tränen. Beinahe als würde Ishara die Not ihrer Mutter spüren streckte sie die winzigen Händchen aus, fasste eine der goldenen Locken und zog sacht daran. Schenkte Elainor ein strahlendes Lächeln, das jede Schmach vergessen machte. Für dich ging ich bis ans Ende der Welt… Für dich kann ich auch das ertragen. Es wurde besser, ein klein wenig. Nach und nach schien man sich zumindest an ihre Anwesenheit zu gewöhnen, sie zu dulden. Dann und wann suchte man ihren Rat, wegen der Dinge, die sie über Heilkunst wusste, der Kräuter, die sie voller Furcht am Rand des dunklen Waldes sammelte und verarbeitete. Wegen der geschickten Schneidereien. Und Ishara wuchs zu einem sonnigen, aufgeweckten Kleinkind heran. Auch dem kleinen Mädchen begegnete man zunächst mir Ablehnung, vor allem wohl der spitzen Ohren wegen, des langen, schmalen Wuchses, doch sie war so ein freundliches liebenswertes Kind, dass Elainor zu hoffen wagte. Es gab auf der Welt keinen schöneren Laut als das glockenhelle Gelächter ihrer Tochter, das muntere Geplapper. Nichts konnte ihr Herz mehr erwärmen als Lileths Lächeln. Nichts machte es leichter all jene Dinge zu vergessen, die Tag für Tag an Elainors Kräften zehrten. Dann und wann hatte die Herzogstochter mit dem Gedanken gespielt Galieth doch zu verlassen. Ihr Glück andernorts zu suchen. Doch sie war beinahe mittellos und die Straßen waren gefährlich, noch dazu mit einem so kleinen Kind. Selbst wenn sie in einer Stadt wie Audron vielleicht ein besseres Auskommen gefunden hätte… Sie hatte nicht einmal das Geld für den Zoll. Vielleicht war Elainors Blick durch die Liebe einer Mutter getrübt, doch sie fand sich schon früh oftmals von den raschen Fortschritten ihrer Tochter überrascht. Ishara war klug und endlos neugierig. Doch kaum zwei Jahre alt, als das Blatt sich erneut wendete. Eigentlich schien der Vorfall ganz harmlos. Im Nachhinein betrachtet hatte es zuvor ähnliche gegeben und vielleicht hatte die Mutter einfach nicht sehen wollen, was eigentlich leicht zu erkennen war, doch dieses Mal sahen es andere, die diesbezüglich weniger zimperlich waren. Mit der Zeit hatte die kleine Halbelbe begonnen auch die Welt jenseits der Hüttentür zu erkunden. Doch wenn man sie in Galieth auch misstrauisch beäugte und geneigt war, die anderen Kinder von ihr fern zu halten war das eigentlich kein echter Grund zur Sorge. Sie war nur ein Kind, ein quirliges kleines Mädchen. Und eines Tages tanzte sie lachend mit einer kleinen Schar von Sperlingen durch den Schnee und ließ sich von den Vögeln Nüsse aus einem nahegelegenen Baum herunterholen, die sie in der kleinen Schürze sammelte, die ihre Mutter ihr geschneidert hatte. Das jedoch versetzte das Dorfvolk und ihre Mutter gleichermaßen in Furcht. Die Nordländer, weil Magie und Hexerei gefährlich und unheilbringend war, etwas, von dem ein jeder mit nur einem Hauch gesunden Menschenverstand die Finger ließ. Ein schlechtes Omen. Elainor, weil sie wusste, was mit denen geschah, in deren Blut die Magie sang. Sie wurden vom Zirkel geholt. Weil es zu gefährlich war, mit ihnen zu leben. Und der Gedanke die Kleine, die sie so mühsam vor allem bewahrt hatte, auf diese Weise zu verlieren, lähmte Elainor vor Furcht. Sie war selbst ein Kind gewesen, wenn auch einige Jahre älter als Ishara, da ein Magier gekommen war, um sie auf etwaige Begabungen zu prüfen, so wie es für den Nachwuchs der Adelshäuser gemeinhin üblich war. Ihr Vater hatte es erklärt und Elainor hatte inbrünstig zu den Göttern gebetet, dass der feingekleidete Mann nichts finden und sie ihrer Familie nicht entreißen würde. Es war nicht geschehen. Aber ihre Tochter? Spätestens jetzt schien das Schicksal sie ans Ende der Welt zu ketten. Die Chancen in Galieth einen Magier zu treffen waren gering, geringer vielleicht als irgendwo sonst. Und wenn die Dörfler auch voll Furcht und Abscheu sahen, was sie nicht begreifen konnten, sie würden nicht auf die Idee kommen das Mädchen dem Zirkel auszuliefern. Wie auch? Eher wohl den Wölfen im Wald. Dennoch tat es weh zu sehen, wie man dem Mädchen plötzlich mit einem geschlossenen Wall aus Ablehnung begegnete. Mit bösen Worten und Blicken ja teilweise sogar kleineren Handgreiflichkeiten. Und wie Ishara sich, unfähig zu begreifen, was sie falsch gemacht hatte, umso mehr bemühte diese eisigen Herzen zu berühren. „Mammi? Warum können mich die anderen nicht leiden?“, fragte die Kleine eines Abends und der traurige Blick zerriss ihrer Mutter beinahe das Herz, als sie sie sanft in eine Umarmung zog und zärtlich den glatten Schopf blonder Haare streichelte. „Sie fürchten sich vor etwas, dass sie nicht verstehen können Lil. Versuch einfach geduldig zu sein und ihnen zu zeigen, dass es keinen Grund gibt Angst zu haben. Glaubst du das kannst du?“ Was hätte sie ihr auch sonst sagen sollen? Was tun? Ich will doch nur, dass du in Sicherheit bist. Ich will dich nicht verlieren. Es tat beinahe schon weh das Lächeln ihrer Tochter zu erwidern als Lileth eifrig nickte, verständig und entschlossen, so seltsam ihr der Gedanke auch scheinen mochte, dass jemand vor ihr Angst haben könnte. Vor der Dunkelheit vielleicht, vor Wölfen und Bären und vor den Monstern in den Geschichten, die sie so sehr liebte. Aber sie war nur ein kleines Mädchen… Vielleicht kannst du es wirklich schaffen. Wie könnte man dich nicht lieben? Doch alle Mühen waren vergebens. Mit einem Mal schien Elainor nicht mehr ganz so fremd, beinahe ein Teil des bekannten… Weil sich alle Feindseligkeit vornehmlich gegen Ishara zu richten begann. Arnor  Grobfang hätte sie sogar heiraten wollen. Nur ihre verfluchte Tochter, die wollte er nicht. Sie konnte ja neue haben, ein volles Dutzend, wenn sie wolle. Anständige Kinder ohne solche Flausen, dafür würde er schließlich sorgen. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Elainor einen anderen Menschen schlug. Das erste Mal, dass sie andere zu hassen begann. Nicht um ihretwillen, auch wenn die Spannungen aufs neue wuchsen, jedes Mal, da sie sich beschützend vor ihr Kind stellte, so gut sie es eben konnte. Sondern weil sie hilflos zusehen musste, wie Lileths Lachen langsam erstarb und ihr Strahlen matter wurde, das so lebhafte Mädchen immer stiller und ernster. Es war so schrecklich verkehrt. Ist das meine Strafe? Aber warum sie? Warum nicht ich? Sie ist ohne Schuld! Selbst der Glaube vermochte der jungen Mutter kaum noch Halt zu geben. Sie haderte, zweifelte, während ihre Tochter wuchs. Das ist falsch. Dachte sie, wenn sie einmal mehr die fieberheiße Stirn ihres Kindes zu kühlen versuchte. Du solltest nicht wissen, was Hunger heißt, nicht wissen, was Kälte ist. Ich habe es auch nicht gewusst. Du solltest eine Prinzessin sein. Umgeben von weichen Kissen und schönen Dingen, von Büchern und Geschichten, die du so sehr liebst. Du solltest nicht verstehen, was Sorgen sind. Du solltest nicht diejenige sein, die versucht mich zu trösten. Und doch schien es nichts zu geben, das sie tun konnte. Nicht als plötzlich ein Zirkelmagier in Galieth erschien, Tag um Tag und sie nichts Besseres wusste, als Lileth fortzuschicken, um am Waldrand nach Nüssen zu suchen. Nicht, als ein fremder Junge und jener Magier das Leben ihres Kindes retteten, weil sie es nicht konnte. Nicht an jedem Tag, an dem sie ihre Tochter heranwachsen sah. Sind sie der Grund für deinen Schmerz oder ist es meine eigene Schwäche? Ob du mich eines Tages für die Entscheidungen hassen wirst, die ich traf? Oder verstehen, dass ich dich zu sehr liebte, um ohne dich zu sein? Zu sehr brauchte? Denn das war es, so verkehrt auch das sein mochte. Je mehr Zeit verging, desto mehr war es Elainor, die ihre Tochter brauchte und nicht umgekehrt. Und so sehr sie sich dafür verabscheuen mochte, die junge Adlige war gelähmt vor Furcht und Unentschlossenheit. Jede Möglichkeit schien nur mehr schlimmeres heraufzubeschwören. Sie wurde jeden Tag dafür bestraft. Jeden Tag, an dem sie sah, wie Lileth litt. Jedes Mal wenn das Mädchen in den Wäldern verschwand, immer länger, immer tiefer, konnte sie vor Sorge kaum mehr atmen, kaum mehr denken. Aber wie hätte sie sie aufhalten sollen? Ishara tat, was sie selbst hätte tun sollen. Sie ist stärker als ich. Mutiger. Doch auch das war verkehrt. Du bist nur ein Kind, du solltest nicht wissen, wie man tötet. Nicht Abend um Abend zu erschöpft sein, um auch nur eine Geschichte zu Ende zu hören. Nicht krank werden, weil sie mehr zu schultern versuchte, als sie leisten konnte. Nicht in der Nacht weinen, wenn sie sich ungehört glaubte um ihrer Mutter keine Sorgen zu bereiten. Irgendwann endeten die Bemühungen der kleinen Halbelbe. Der Kampf gegen Windmühlen war zu kräftezehrend, wenn es so viel anderes zu tun gab. Und Elainor glaubte ihr Herz müsse brechen. Alles was ihr zu tun einfiel, war der Versuch, all die Liebe und all die Freundlichkeit, die das Mädchen von anderen nicht erfuhr selbst darzubringen. Wenigstens sollst du niemals daran zweifeln müssen, wie sehr ich dich liebe. Du bist das kostbarste, das die Götter mir jemals hätten schenken können. Ich wünschte nur… Ich könnte dir mehr geben als das. Du verdienst so viel mehr. „Mama?“, begann Ishara eines Abends ernst, während sie mit müden Augen auf ihre Näharbeit starrte. „Lass uns von hier fortgehen. Irgendwohin. Ich kann für dich sorgen, du musst keine Angst haben. Ich kann jagen und fischen und ich kenne die Wälder. Wir könnten nach Audron gehen. Oder sogar noch weiter südlich, dorthin, wo kein Schnee mehr liegt.“ Es gab eine Zeit, da hast du Schnee geliebt. Doch die Tage in denen Lil lachend versuchte die tanzenden Flocken zu fangen lagen lange zurück. Das Schweigen ihrer Mutter schien die junge Halbelbe zu beunruhigen und die dunkelblauen Augen legten sich unsicher auf Elainor. Ich sollte diejenige sein, die für dich sorgt. Die dir die Ängste nimmt. Dabei ahnte sie nicht einmal, was Lileth den Mut verliehen hatte, dieses Anliegen auszusprechen. Ein Alptraum in der Nacht zuvor, eine angelehnte Tür. Doch während sich der leblose Ausdruck in den Augen ihrer Mutter tief in des Kindes Seele gebrannt hatte, war derem leeren Blick die Anwesenheit des Mädchens im Türspalt entgangen. So wie auch dem Mann auf ihr. Doch hätte es den wohl ohnehin nicht gekümmert. Noch immer stumm streckte sie die Arme nach der nicht einmal Achtjährigen aus und zog den viel zu mageren, hochaufgeschossenen kleinen Körper auf ihren Schoss, als Lileth ein wenig näher heranrückte. Barg sie an ihrer Brust und wog sie in der Umarmung, um ihr wenigstens für einen kurzen Augenblick Sicherheit zu geben so gut sie es vermochte. Dünne Ärmchen umklammerten sie und Ishara barg das Gesicht an ihrem Hals. „bitte lass uns fortgehen“, wisperte das Kind und rang mit den Tränen. „Es muss überall besser sein als hier!“ Ich wünschte ich wäre nur ein klein wenig tapferer. Ein klein wenig stärker… „Es gefährlich dort draußen Lil. Du bist zu jung und hier sind wir sicher.“ „Sicher wovor?“ Sie umfasste das tränennasse Gesicht ihrer Tochter sanft mit beiden Händen, berührte sacht die heiße Stirn mit den Lippen. „Ich erkläre es dir, wenn du älter bist“, flüsterte die junge Frau, damit ihre Stimme nicht verräterisch brach. „Können wir fortgehen, wenn ich älter bin? Wenn ich lerne besser zu schießen?“ Die Verzweiflung in Isharas Stimme nahm ihr schier den Atem. „Ja“, war alles, was Elainor erstickt hervorbrachte. „Versprochen?“ „Ich verspreche es.“ Wie auch immer sie dieses Versprechen halten wollte. „Bitte… Bitte lass mich nicht allein!“, Isharas Stimme war nicht mehr als ein verzweifeltes Flüstern. Zitternd, wie die kühlen Hände, die sich um ihre fieberheißen schlossen. Zum ersten Mal seit Jahren ließen sich die Ängste deutlich in den blauen Augen erahnen. „Bitte, ganz egal, was ich tun muss. Lass mich nicht allein. Ich kann das nicht. Mama…“ Verzeih mir. Dachte sie, während sie sich vergeblich bemühte mit bebenden Lippen Worte zu formen. Ihr ausgezehrter Körper brannte im Fieber, doch sie spürte es kaum. Sie beide wussten, was geschehen würde, was geschah, doch das machte es nicht weniger unerträglich. Der Schmerz ihrer Tochter traf Elainor schärfer als jeder, den sie selbst je verspürt hatte. Verzeih mir, dass ich nicht sein konnte, was du gebraucht hast. Dass ich dir nicht geben konnte, was du verdienst. Ich habe dich schon viel zu lange allein gelassen und es nur nicht geahnt. Vergib mir, dass ich nicht so tapfer war, wie du. Ich hätte dich loslassen müssen. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass du stürzt statt dir nur aufzuhelfen. Ich hätte mich vor dich stellen und dich beschützen müssen, statt nur deine Hand zu halten, bis es nicht mehr wehtat. Ich hätte deine Ängste vertreiben und dich trösten müssen, dein Lächeln bewahren. Sei tapfer. Du hast schon so viel ertragen. Im Grunde war ich immer nur die Last, die dich am Boden hielt. Es ist Zeit zu fliegen mein Liebling. Du wirst deinen Weg finden, ich weiß es. Verlass das Ende der Welt, hier wartet nur der Tod. Da war noch so viel, dass sie hätte sagen wollen, doch die Zeit verrann unbarmherzig. Genügte nur für das wichtigste. „Ich bin so stolz auf dich“, wisperte die Mutter mit gebrochener Stimme, kaum hörbar, während sie schon die lindernde Kühle von Ereshkigals Präsenz zu spüren glaubte. „Ich liebe dich.“ ELainors Augen schlossen sich und die letzten Gedanken waren erfüllt von ihrer Liebe, als sie sich gen Himmel wandten: Ich flehe euch an! Gebt Acht auf mein Kind. Besser als ich. Bitte schenkt ihr das Leben, das sie verdient. Bitte gebt ihr ihr Lachen zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)