If looks could kill von Flordelis ([Demonic Reverie]) ================================================================================ Kapitel 5: Wie komme ich hierher? --------------------------------- Nur wenig später erfolgte der nächste Einsatz für die Traumbrecher in Ausbildung. Diesmal hielt Morte sich bei der Vorbesprechung fern von Ciar und Kian, aber auch weit weg von allen anderen. Sie lehnte an einer Wand, abseits der anderen Schüler und vermied auch jeden Blick in Richtung der Lehrer. Sie hielt die Augen gesenkt, blendete alle Unterhaltungen aus und versuchte, an nichts zu denken – was gar nicht so einfach war, wie sich herausstellte. Im Gegensatz zu anderen Menschen, deren Köpfe in solchen Momenten von den unterschiedlichsten Gedanken gefüllt wurden, befand sich in ihrem nur ein schwarzer Sog, der sie mit in die Verzweiflung reißen wollte. Es war auch ein Überbleibsel ihrer Mutter und ein Teil der Rache der Albträume für ihren Verrat. Die Verzweiflung war dunkel, kalt, kein Ort, an dem man sich lange aufhalten wollte, egal unter welchen Umständen. Sie konnte gut verstehen, dass auch die Albträume dort weg wollten und den Wunsch nach Zerstörung entwickelten. So viel Verzweiflung musste irgendwann einfach in Hass umschlagen, wenn sie den Wirt nicht vorher vernichtete. Erst als sie eine Bewegung bei den Schülern bemerkte, fand sie die Kraft, sich aus dem Sog herauszuziehen, ehe ein Anfall auftreten könnte. Die Mission war offensichtlich eröffnet. Also schloss sie sich dieser rasch an, um sich endlich etwas anderem widmen zu können. Es war wieder eine abgelegene Gegend, in die der Auftrag sie führte. Hohe, gesichtslose Gebäude, deren einstmals strahlende Fassaden inzwischen von Graffiti getrübt waren, säumten ihren Weg. Im Erdgeschoss der Gebäude befanden sich Ladenlokale, manche waren geschlossen, andere standen leer, in einem konnte sie eine Ansammlung von Akten sehen, deren Sinn sich ihr nicht erschlossen. Einfache Straßenlampen mit einem hässlichen orange-farbenen Schein. Müll, der direkt neben den Mülleimern lag. Nichts, was sie wirklich von ihren Gedanken ablenken könnte. Einstmals mochte es ein interessantes Viertel für junge Familien gewesen sein, vielleicht hatte man sich sogar etwas davon erhofft. Ein Ort, an dem sich möglicherweise eines Tages sogar die Schickeria treffen könnte. Aber irgendwann musste auch der letzte eingesehen haben, dass diese Träume lediglich Schäume waren – und nun trieben sich Albträume hier herum. Wie passend. Sie ging mit langsamen Schritten voran, entdeckte einige erleuchtete Fenster, aber viel mehr Dunkelheit. Möglicherweise standen manche der Wohnungen auch leer. Es gab nichts, was die Verzweiflung ablenken könnte, nichts, was die Einsamkeit vertrieb. Sie war dieser Situation vollkommen ausgesetzt, ohne die Möglichkeit, davor zu fliehen. Was für eine dumme Idee von mir, Traumbrecher werden zu wollen. Selbst wenn es einem höheren Zweck diente, da sie immerhin Ärztin werden wollte, um Vane abzulösen, erschien es ihr gerade absolut unsinnig, wenn sie dafür immer allein unterwegs sein musste. Kein anderer Traumbrecher, außer Rowan, war allein bei seinen Aufträgen. Sie alle waren zu zweit, so dass sie sich aufeinander verlassen konnten. Rowan benötigte niemanden, auf den er sich verlassen musste. Kräftemäßig gesehen brauchte sie auch niemanden, aber für ihre Psyche wäre jemand vielleicht doch ganz sinnvoll. Sie musste einfach darauf hoffen, dass sich irgendwann noch jemand für sie fand. Sie machte einen weiteren Schritt – und fand sich plötzlich auf der Blumenwiese ihrer alten Heimat wieder. Irritiert blieb sie stehen, starrte auf die Stadt vor sich, beleuchtet durch die Scheinwerfer einer Lichtanlage. Selbst die nahen Geräusche waren genau wie früher – und der schwere Duft der Blumen, den sie in ihren Träumen normalerweise nie wahrnehmen konnte, ließ ihre Verwirrung nur ansteigen. „Wie komme ich hierher?“ Während sie ihren Blick noch schweifen ließ, hörte sie ein leises Singen, das ihr Herz fast zum Stillstand brachte. Es war eindeutig jenes ihres Großvaters. Sie fuhr herum, suchte nach dem Ursprung des Gesangs – und entdeckte tatsächlich jemanden, der haargenau so aussah wie Vane. Seine große Gestalt überragte alles andere bei weitem, das lange braune Haar fiel ihm offen über die Schultern, er trug sogar eine Brille, aber keinen Arztkittel, sondern nur einfache Kleidung, wobei die feinen goldenen Stickereien auf seinem braunen Mantel auf die Klasse eines Aristokraten hinwies – es war eben genau so wie früher, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Er sang mit ausgebreiteten Armen, die Morte einluden, ihn zu umarmen – und dem ging sie auch sofort nach, indem sie auf ihn zustürmte. Nach nur wenigen Schritten drückte sie ihren Kopf an seine Brust und brachte immer wieder angestrengt, zwischen Tränen, hervor, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Vergessen war in diesem Moment, dass er eigentlich nicht hier sein dürfte und es deswegen keine vernünftige Erklärung dafür gab, dass er es doch war. In ihr herrschte einfach nur Freude darüber, dass er entgegen aller Umstände doch zu ihr gekommen war, besonders in dem Moment, in dem sie ihn am meisten gebraucht hatte, in dem ihre Einsamkeit am größten geworden war. Er hörte auf zu singen, strich ihr über das Haar und sagte: „Alles wird gut. Endlich sind wir wieder zusammen, Morte.“ Selbst sein Geruch, angenehm holzig, wie in einem Sägewerk, war derselbe wie damals. Seine Stimme der wohltuend tiefe Bass, der nie gänzlich aus ihrem Gedächtnis verschwunden war. Auch die Wärme seiner Umarmung … einfach alles war genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. „Ich werde dich niemals wieder allein lassen“, versprach er. Sie konnte nur mit weiterem Schluchzen antworten, unfähig, noch ein vernünftiges Wort von sich zu geben. Also drückte sie sich einfach weiter an ihn, entschlossen, ihn niemals wieder freiwillig loszulassen. Er war derjenige, der sie endlich aus seiner Einsamkeit befreien könnte. Niemals wieder müsste sie- Ihr Gedanke fand ein abruptes Ende, als sich die friedliche Atmosphäre wandelte. Auf einmal war die Luft gefüllt mit Elektrizität – und Hass. Widerwillig löste sie sich wieder ein wenig von ihrem Großvater, den sie eigentlich nie mehr loslassen wollte, so dass sie sich umsehen konnte. Die Scheinwerfer bewegten sich nun nicht mehr, stattdessen zeigten sie auf einen jungen Mann, der zuvor nicht hier gewesen war. „Faren ...“ Sie wollte nicht, dass er hier war, sie in einem Moment beobachtete, in dem es nur sie und ihren Großvater geben sollte. Dennoch war er unerlaubt einfach eingedrungen. Gerade er! Ihre Brust schmerzte allein bei der Erinnerung daran, wie er einst, in einer anderen Welt, versucht hatte, ihr das Herz herauszureißen. „Du bist hier nicht erwünscht“, sagte ihr Großvater für sie in gebieterischem Ton. Faren schirmte seine Augen mit einer Hand ab, um nicht geblendet zu werden, so dass er sie beide mustern konnte. Etwas, das sie sich noch weniger wünschte, deswegen drückte sie sich wieder an ihren Großvater. Wo war überhaupt sein Partner? Ihr Blick glitt suchend umher – bis sie glaubte, einen Schemen ausmachen zu können, der nicht in diese Welt gehörte. Er tarnte sich wirklich gut, aber es war einfach nicht gut genug. „Ich dachte mir, dass ich mir nicht viele Freunde mache, wenn ich herkomme“, bemerkte Faren. „Mit dem Spotlight habe ich aber nicht gerechnet.“ Sein Blick ging in eine andere Richtung, genau dorthin, wo der Schemen zu sehen war, vermutlich um Ferris irgendetwas mitzuteilen. Ein starker Windstoß befreite die Blumen von ihren Blütenblättern. Für einen kurzen Moment schwebten sie in der Luft – dann wandelten sie sich in scharfe Klingen, die auf Faren zuschossen. Er wich aus, ließ eine Sense in seiner Hand erscheinen, um sie abzuwehren, und schaffte es damit sogar überraschend spielend. Die Klingen lösten sich allesamt auf, wenn sie von seiner Waffe abprallten und ließen einen hochmütig lächelnden Faren zurück. Morte verabscheute dieses Lächeln gerade mehr als je zuvor in ihrem Leben. Sie wollte ihn nur noch fort aus dieser Welt wissen, egal mit welchen Mitteln dies geschehen sollte. Ihr Großvater löste einen Arm von ihr, damit er auf Faren deuten konnte. Ein hoher Pfeifton erklang für einen Sekundenbruchteil in ihren Ohren – im nächsten Moment wurde Faren bereits zu Boden geschleudert, ohne dass er etwas dagegen ausrichten konnte. Aber damit nicht genug, eine Sekunde später begann er bereits grauenvolle Schreie auszustoßen, während er sich den Kopf hielt. Ihr Großvater lächelte zufrieden, Morte dagegen bekam von seinem Geschrei regelrecht Migräne und es wurde nicht besser, als plötzlich auch noch Ferris dazukam. „Schluss damit!“, fauchte er, während er gleichzeitig schon mit der Pistole auf sie beide schoss. Morte fuhr herum und ließ die entstandene Energiekugel mit einem einzigen Wink ihrer Hand sofort verpuffen. Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie sich selbst oder doch eher ihren Großvater schützen wollte – oder ob es ein reiner Instinkt war, der sie hatte handeln lassen. Sie spürte Ferris' von glühendem Hass erfüllten Blick auf sich, aber da deutete Vane auch bereits auf ihn und im nächsten Moment lag er genau wie Faren auf dem Boden, schrie allerdings nicht, sondern rollte sich zusammen und wimmerte so klagend, dass es Mortes Herz schmerzen ließ. Mit hämmerndem Kopf und brennender Brust, schmiegte sie sich wieder an ihren Großvater – nur um festzustellen, dass das wohltuende Gefühl vollkommen verschwunden war. Es war ihr, als umarme sie einen Fremden, der noch dazu eine Gefahr darstellte. Sie spürte deutlich, wie sich jedes noch so feine Haar auf ihren Armen und ihrem Nacken aufstellte, gleichzeitig wandelte sich die Gestalt ihres Großvaters, wurde zu einer metallenen Konstruktion, deren Zweck und genaue Figur sich ihr nicht erschloss. Sie versuchte, sich von ihm zu lösen, aber in dem Moment wickelte sich Stacheldraht um ihren Körper, ihre Arme, schnitt ihr so tief in die Haut, dass sie zu bluten begann und sie einen leisen Schmerzenslaut von sich gab. „Ich habe dich so lange gesucht.“ Die Stimme, die zu ihrem Großvater gehören musste, klang plötzlich verzerrt, als fiele es ihm schwer, überhaupt noch zu sprechen und er unfähig war, seine Tonlage aufrechtzuhalten. „Ich werde dich niemals wieder gehenlassen.“ Morte wollte sich losreißen, dieses Wesen dafür auslöschen, dass es sich anmaß, die Rolle ihres Großvaters zu imitieren, aber bei jeder Bewegung schnitt der Stacheldraht tiefer in ihre Haut, forderte mehr Blut von ihr und lähmte ihre Versuche. Sie hatte bereits mehr Schmerzen hinter sich, wusste, wie es sich anfühlte, Opfer zu bringen, egal wie schrecklich sie auch waren, aber in diesem Moment erschien es ihr wie der absolut passende Zeitpunkt, all ihre Qualen endlich hinter sich zu lassen. Wenn sie nun ihr Leben losließ, könnte sie sterben – oder zumindest mit diesem Albtraum – um einen solchen musste es sich einfach handeln – leben, so wie es sich für jemanden ihrer Art gehörte. Doch gerade in dem Moment, in dem sie ihr Aufgeben bekunden, versprechen wollte, für immer bei diesem Wesen zu bleiben, egal in welcher Form, zersplitterte der Traum, die gequälten Schreie verstummten. So gut es ihr möglich war, wandte Morte den Kopf und entdeckte, zu ihrer Überraschung, Rowan, der mit seinem üblichen grimmigen Gesichtsausdruck nicht weit entfernt stand. In seiner Hand hielt er einen Hammer, der eigentlich viel zu schwer erschien, von ihm aber stets spielend geführt wurde. „Warum funktioniert es bei dir nicht?“, fragte die verzerrte Stimme, ein Hauch Frustration war deutlich wahrzunehmen. Rowan ließ sich aber auch davon nicht beeindrucken und deutete stattdessen mit dem Kopf seiner Waffe auf das Wesen. „Deine Tricks kannst du dir bei mir sparen, Albtraum!“ Es stieß tatsächlich ein wütendes Fauchen aus, alles andere als erfreut über dieses unvorhergesehene Ereignis. Herausgerissen aus seiner Illusion, unfähig diese Beeinflussung durchzuführen … Morte war derart auf Rowan und dessen Anspannung gegenüber dem Wesen fixiert, dass sie kaum bemerkte, wie der Schmerz in ihren Armen, der Druck auf ihren Körper nachließ. Erst als sie plötzlich gepackt und von dem Albtraum fortgerissen wurde, fiel ihr auf, dass der Stacheldraht in Stücke zerschnitten auf dem Boden lag. Diese Erkenntnis sickerte nur langsam in ihr Gehirn, das noch immer bereit war, einfach aufzugeben, wenn es sein musste. Aber kaum war die Information endlich verarbeitet worden, ruckte ihr Kopf abrupt herum, damit sie sehen konnte, wer sie da eigentlich gerade mit sich zog. Alles in ihr protestierte schmerzhaft, als sie feststellte, dass es Faren war, der sie einfach hinter sich herschleifte, näher in Richtung Ferris, der sich auch bereits wieder aufgerichtet hatte. Ihr Brustkorb füllte sich mit einer zornigen Hitze, als sie daran dachte, dass beide jeweils versucht hatten, sie einmal umzubringen, wenn auch in anderen Welten und wenn auch aus sehr guten Gründen. Sie wollte sich losreißen, ihm sagen, dass er nicht einfach so mit ihr umspringen konnte, aber ihr Kopf war immer noch darauf eingestellt, einfach aufzugeben und akzeptierte bereits, dass die beiden sie töteten, sobald sie bei Ferris wäre. Der Albtraum akzeptierte das aber offenbar nicht so einfach. Sie hörte ihn, wie er hinter ihr voller Verzweiflung einen gurgelnden Schrei ausstieß, in dem sie ihren Namen erkennen konnte. Aber sie wandte nicht den Kopf, drehte sich nicht um, damit sie sehen könnte, was aus ihrem Großvater geworden war, nur um auch zu beobachten, wie Rowan gleich darauf seinen Hammer auf das Wesen niederfahren ließ. Ihr genügte der dumpfe Laut, dem sich sofort ein schriller Schmerzensschrei anschloss, um zu wissen, was geschehen war. Heiße Tränen liefen ihr über das Gesicht, als sie sich vorstellte, wie ihr Großvater spätestens nach einem solchen Hieb wohl aussehen mochte. Aber sie sah sich nicht um, auch nicht mit der verschwommenen Sicht, auch nicht um sich nur davon zu überzeugen, dass dieses Etwas nicht ihr Großvater war, der schon vor langer Zeit von einer viel größeren Bedrohung als Rowan sie jemals sein könnte, getötet worden war. Nur undeutlich hörte sie, wie Faren etwas zu ihr sagte, ohne die Worte wirklich zu verstehen, weswegen er es wohl aufgab. Aber immerhin kamen sie endlich bei Ferris an. Dieser wirkte ungesund blass, für einen kurzen Moment flackerte sogar Mitleid in ihr auf, aber es war auch fast genauso schnell wieder erloschen. „Fertig jetzt?“, fragte Ferris, wie sie undeutlich verstehen konnte. Farens Erwiderung blieb ihr dagegen wieder vollkommen fern, aber sie sah, wie er mit dem Kopf nickte. Ferris' Uhr, die er sich um den Hals gehängt hatte, leuchtete auf, worauf sie sofort wusste, dass er sie alle drei teleportieren wollte. Im selben Atemzug wusste sie, dass sie sich einfach nochmal umdrehen musste. Doch genau in dem Moment, in dem sie den Kopf wandte, setzte die Teleportation ein und so war das letzte, was sie sah, nur noch Rowan, der ihr über diese Entfernung hinweg einen wütenden Blick zuwarf, der sie mit ziemlicher Sicherheit direkt getötet hätte, wenn das möglich wäre. Dann übernahm ein blauer Schleier ihr Sichtfeld und erlöste sie von dem Anblick, den ihr der niedergeschlagene Albtraum möglicherweise geboten hätte – auch wenn sie nach wie vor Reue darüber spürte, nicht einfach mit ihm gegangen zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)