Ich bin immer für dich da von mikifou (Island Story) ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ Er stand auf und fühlte sich wie gerädert. Ein Blick aus dem Fenster machte auch gleich klar, woher seine so gedrückte Stimmung kam. Der Himmel hing voller Wolken. Grauer wie weißer Wolken, die gemächlich dahin zogen. Selbst wenn es keine Regenwolken waren, so drückten sie doch sein Gemüt. Daan war ein Wettermensch. Bei schönem Wetter war er gut drauf und sehr produktiv. Ihm sprudelten die Ideen einfach so in den Kopf. Doch bei solchem Wetter blieb er eher phlegmatisch und würde auch gerne das Bett hüten. Doch das ging ja nicht. Heute war erst Donnerstag und er musste noch zwei elendige Tage arbeiten. Als Daan ins Bad ging, wusste er schon irgendwie, was ihn im Spiegel erwarten würde, doch wie immer sah er viel schlimmer aus. Grinsend über sich selbst schüttelte er nur den Kopf und tat sich Zahnpasta auf seine Zahnbürste. Sein Morgenritual war immer gleich. Aufstehen, Radio anmachen, dann ins Bad. Er putzte sich die Zähne, wusch sich das Gesicht und kontrollierte es. Ja, in seiner Pubertät hatte er viele Pickel, doch das hatte sich zum Glück gelegt. Seine Haut war wieder glatt und leicht gebräunt. Seine wirren dunkelbraunen Haare waren an den Seiten kürzer gehalten. Auf dem Haupt waren sie länger, aber nur so lang, dass er sie noch etwas stylen konnte. Er hatte glatte Haare, die nur, wenn sie zu lang wurden, leichte Wellen aufwiesen; oder etwa nach dem Schlafen. Daan ging sich nur mit den Fingern durch die Haare und legte sie mit einigen geschickten Fingerstreichen so, wie sie liegen sollten. Dann kontrollierte er seinen Bart. Einem gepflegten Drei-Tage-Bart konnte doch niemand wiederstehen. Seine Wangen und die Mundpartie hielt er sich dabei frei. Er wollte ja nicht zugewachsen aussehen. Nachdem er im Bad mit seiner morgendlichen Pflege soweit fertig war, ging er zurück in sein Schlafzimmer und suchte sich frische Shorts und Klamotten für den heutigen Arbeitstag heraus. Eigentlich war es egal, was er anzog, da er sich eh auf Arbeit noch mal umziehen musste. Dann ging er in seine kleine spärlich eingerichtete Küche und machte sich ein ebenso spärliches Frühstück bestehend aus einem Kaffee und trockenem Toast. Für die Arbeit nahm er sich gerade mal einen Apfel und Wasser mit. Mittag durfte er dort essen, das wurde ihnen vom betriebsinternen Lieferdienst gebracht. In den ersten Wochen hatte Daan sich schon gut eingewöhnt. Da er in Reykjavik wohnte, hatte er einen recht kurzen Arbeitsweg und konnte diesen mit dem Fahrrad zurücklegen. Die Arbeit machte ihm Spaß und er kannte sogar einige der Module, die er herstellen sollte, noch nicht, weswegen er sich auch erstmal intensiv mit deren Einsatz und Handhabung beschäftigte. Sein Chef Herr Grimsson hatte noch die ersten zwei Wochen nach ihm gesehen. Nun stand erst am Ende seiner Probezeit wieder ein Personalgespräch an. Mit seinen Kollegen war er auch schon ins Gespräch gekommen. Es folgten die üblichen Fragen wie (etwa): Wo kommst du her? Warum hierher? Hast du Familie? Wie alt bist du? Was sind deine Hobbies? Daan musste die meisten davon gefühlte hundertmal beantworten. Im Schnitt hatte er aber erfahren, dass es hier die ‚Alteneisen‘ wie auch viele ‚Frischlinge‘ gab. Mit seinen 24 gehörte er demnach zum unteren Mittelfeld. Viele waren in den Dreißigern, nur die Lehrlinge unter Zwanzig und der Rest gehörte zu den Fünfzig Plus. „Morgen Daan! Warst du schon beim Chef?“ Gunnlaugsson kam ihm entgegen. Er war schon einunddreißig, aber total auf seiner Wellenlänge. Sie hatten sich auch vom ersten Gespräch an super verstanden. Eigentlich heißt er ja Bjarni Tristansson Gunnlaugsson. Er meinte zu ihm, dass er eigentlich noch mehr Namen hätte und erklärte ungefragt gleich mal die Tradition, in Island seinem Kind den Namen eines der Elternteile mitzugeben. Diese Tradition hat sich bis heute noch aufrechterhalten. So wird auf dem Zweitnamen das Anhängsel –son oder –dottir verliehen, um zu zeigen, ob es sich um ein Mädchen oder Jungen handelt. Ziemlich albern wie Daan fand, da es eigentlich offensichtlich sein sollte, ob es ein Mädchen oder Junge war. Gegen Zweit- oder Mehrnamen hatte er nichts. Schließlich hatte er selbst einen recht ansehnlichen Zweitnamen. Aber wie sagte man so schön: Andere Länder, andere Sitten. „Nein, ich bin gerade erst gekommen. Hab meine Karte abgestempelt. Warum muss ich zum Chef“, fragte Daan ziemlich überrasch zurück. Grunnlaugsson war die Frühschicht. Er sorgte immer dafür, dass das Gebäude sozusagen betriebsbereit war, wenn alle anderen Arbeiter kamen. Daher traf er auch den Chef mit als ersten. Woher also sollte er, der wesentlich später zur Arbeit kam, schon von irgendwas wissen? „Stimmt ja. Ich vergesse immer, dass du erst jetzt kommst. Tja, also er will dich sehen. Hast du was ausgefressen?“ Sein Kumpan grinste ihn an und klopfte ihn auf die Schulter, während Daan wirklich nachdachte, ob er irgendwas verpfuscht hatte. „Nicht, dass ich wüsste…“ „War nur’n Scherz. Mach dir keine Sorgen und sag liebe Grüße von mir.“ Grunnlaugsson winkte ihn mit erhobenem Arm, als er schon längst an ihm vorbei gegangen war. Daan war nun doch leicht irritiert. Sollte er den Chef grüßen? Um nicht länger im Trüben zu fischen, machte Daan sich auch schon auf den Weg zum Chefbüro im zweiten Stock. Dieses war recht groß und hatte eine große Scheibe, von er aus der Grimsson auf die Hauptbetriebsstelle in der Firma immer einen prüfenden Blick haben konnte. Er klopfte an und wartete auf ein ‚Herein‘. Erst jetzt öffnete er die Tür und trat in das Büro. Die Wände hatte man in einem Mintgrün gestrichen, welche aber schon sehr abgenutzt waren und könnten einen neuen Anstrich gut vertragen könnten. Die Möbel waren die üblichen Standardbüromöbel. Ein Tisch und unzählige große Schränke für viele, viele Akten. Ein PC der älteren Art stand auf dem Tisch, dazu ein Ventilator und einige persönliche Dinge wie Fotorahmen. „Guten Tag. Sie wollten mich sprechen?“ „Guten Morgen, Van Hoeff. Ja, aber kommen Sie erstmal herein.“ Daan tat wie man von ihm wünschte und ließ seinen Blick weiter durch den Raum schweifen. An den Wänden hingen Zertifikate und alte schwarz-weiß Bilder von der Gründung der Firma. „Eigentlich hatte ich Ihnen ja das letzte Mal gesagt, wir sprechen uns dann in einem halben Jahr wieder zum Personalgespräch. Aber ich habe einen dringenden Auftrag von einem alten Freund rein bekommen und fand, dass es eine gute Möglichkeit für Sie wäre, sich auch die Außenstellen und die mit uns zusammen arbeitende Firma mal anzusehen und sich vorzustellen.“ „Ähm, danke schön. Aber gibt es nicht fähigere Mitarbeiter? Ich bin ja nun wirklich noch ein Neuling.“ „Schon, schon, aber für diesen speziellen Fall brauche ich sogar einen Neuling“, zwinkerte ihm der Chef zuversichtlich zu. „Setzen Sie sich, es dauert einen Moment.“ Daan kam der Aufforderung nach und zog den graugepolsterten Stuhl zurück. Dann setzte er sich und blickte seinen Chef erneut an. Dieser hatte sich über den hölzernen Schreibtisch gelehnt und einige Dokumente vor ihm ausgebreitet. „Sie sind ja schon mit einigen unserer Formulare bekannt gemacht worden. Dies hier sind ganz besondere, die müssen Sie sich gut einprägen. Es sind Sonderaufträge, für die ich dann und wann mal einen Arbeiter abziehe, damit er sich dieser Dinge voll und ganz widmen kann.“ Daan hörte genau zu, doch wusste er bisher immer noch nicht, was er genau tun sollte. „Mögen Sie Holz?“ „Bitte?“ „Mögen Sie Holz?“ Daan überlegte und war nun wirklich verwirrt. „Nun ja, es ist ein guter Rohstoff und man kann viel aus ihm herstellen, aber eigentlich interessieren mich mechanische Vorgänge eher. Das Zusammenspiel von Öl und Metall. Zahnrädern und Gewinden, Schrauben und Nieten und dergleichen“, antwortete Daan und hoffte eigentlich, sich damit nicht gleich disqualifiziert zu haben. Doch sein Chef lächelte und schlug erfreut mit den Händen auf dem Tisch, was ihn beinahe überrasch zusammenzucken ließ. „Gut, dann habe ich ja den richtigen Mann. Hier haben Sie eine Adresse, wo Sie die nächste Zeit arbeiten sollen. Ich hoffe doch, dass Sie das Gewünschte gut herstellen werden. Sie haben drei Monate Zeit. Dann ist Liefertermin.“ „Drei Monate? Bitte, was soll ich denn herstellen?“ „Einen halbautomatischen Schreibtisch aus Holz. Die Pläne liegen ihrem Partner schon vor. Es sind aber nur Rohfassungen und keine fertigen Pläne. Also wundern Sie sich nicht, sollte es nicht sofort funktionieren. Eigentlich bin ich davon überzeugt, dass Sie mehr als drei Monate brauchen werden. Aber ich freue mich, wenn Sie mich eines Besseren belehren können.“ Daan nahm die Adresse in die Hand und stand eine Minute später vor der Tür des Chefbüros. Irgendwie fühlte er sich noch mehr überfahren als heute Morgen und da hatte es eindeutig nur am Wetter gelegen. Mit eiligen Schritten fand Daan seinen Weg zu Gunnlaugsson, der gerade bei seinem Brot im Aufenthaltszimmer saß und ihn nur fragend ansah, als er ihm die Adresse auf den Tisch legte. „Ich steh auf’m Schlauch. Was soll ich machen?“ „Warst du nicht beim Chef?“ „Ja, eben und er gab mir diese Adresse.“ „Na dann hin da und fang an zu arbeiten. Wie lange soll der Auftrag gehen?“ „Drei Monate“ „Ui, dann viel Spaß und schick Grüße von mir mit.“ „Warum?“ Gunnlaugsson schluckte hinter und musterte Daan für eine Weile, eh er feststellte, dass dieser immer noch nicht geschalten hatte. „Alter, du gehst du Elvar. Davon hat Kravig dir doch erzählt. Er ist unser Holzspezi auf der Insel. Und alle Holzarbeiten, die zu erledigen sind, macht er. Das Projekt ist aber zu groß für einen alleine, also darfst du diesmal Elvar helfen. Glaub mir, es gibt einige, die dich darum beneiden.“ Daan erinnerte sich an den Kommentar von Kravig, als sie vor dem mit Holz beladenem Hänger standen. An diesen Zusammenhang hatte er so gar nicht mehr gedacht, weil ihn Holz mal nicht die Bohne interessierte. War er dann nicht der Falsche für den Job? Eigentlich hatte Daan noch sehr viele Fragen, doch hob er sich diese auf. Der Chef schien so freudig, dass ihn wohl demnächst nichts mehr umstimmen konnte. So machte er sich auf den Weg nach Grindavik. Er hatte sich dazu ein Betriebsauto geliehen, ein älteres Modell eines Chevrolet Trucks, der aber genügend Platz auf seiner Ladefläche hatte, um große Teile transportieren zu können. Sei es nun Holz oder Metallzubehör. Von den Skizzen wusste Daan nun schon, dass das Gehäuse aus Holz sein sollte. So dachte er, während seiner vierzig minütigen Autofahrt schon emsig nach, was wie sein könnte, wo Holz und wo Metall zum Einsatz käme. Die Autofahrt bis Grindavik war sehr ruhig. Er fuhr teils an der Küste entlang und das flache baumlose Lang umgab ihn. Es war ein eigentümliches Gefühl für jemanden, der mehr Sträucher und Bäume gewohnt war. Man fühlt sich auf eine Weise ungeschützt und nackt. Dennoch empfand Daan gerade dieses Gefühl als befreiend. Er war so lange eingeschränkt gewesen und nun endlich konnte er sich wahrlich frei fühlen. Hier kannte ihn niemand und er konnte sich ganz neu finden. Es war schön, keine Vorgaben bedienen zu müssen. Einfach nur leben, arbeiten für Geld und die kleinen alltäglichen Dinge erledigen. Aber bei all dem immer frei zu sein und sich nach niemanden richten zu müssen, war wirklich das Schönste, was ihn bisher auf dieser Insel begegnet war. Nach knapp dreiundvierzig Minuten kam Daan in Grindavik an. Er fuhr durch den Stadtkern und weiter wieder zur Küste. Das Haus oder besser der Hof, den er suchte, lag wenige Kilometer abseits des städtischen Lebens. Den Hof umgab ein alter, krumm wirkender Holzzaun, welcher vom Wetter schon stark angegriffen war. Ein schmaler Schotterweg führte zum Haus, das einem alten, nordischen Bauernhof entsprach. Es war ein einfacher Bau, ebenerdig und langgezogen. Daneben stand eine Scheune, die auch schon uralt aussah. Überall auf dem Hof und dem hausnahen Gelände lagen Holz oder Holzreste. Alles schien nach einem System geordnet zu sein. Einiges stand draußen, akkurat hingelegt und vielleicht zum Trocknen gedacht. Anderes schien frisch lackiert worden zu sein. So viel Holz wie hier, hatte er bisher noch nirgends auf der Insel gefunden. Daan parkte seinen Truck vor den vielen Holzhaufen und stieg aus. Selbst die Luft schien hier anders zu riechen. So nach Holz. Leicht modrig vom feuchten Holz, es kam beinahe dem Duft eines Waldes nah. Es fehlte nur das frische Grün. „Hallo?!“ Daan rief laut vor sich her, während er sich umsah und instinktiv weiter zur Scheune ging. Die Tür dort stand offen und das Auto mit dem Hänger, den er letztens gesehen hatte, stand direkt davor. Je näher er kam, desto lauter wurden kleine Geräusche. Jemand arbeitete da und just als Daan nur noch wenige Meter von der Tür entfernt stand, kam ein Jugendlicher aus eben dieser. „Hi, ich suche Elvar.“ Der angesprochene blieb stehen und sah Daan nun direkt an. Er war schlank, hatte aber einige Muskeln an den Armen. Er trug feste Arbeitsschuhe, sicherlich mit Stahlkappen verstärkt, eine blaue Latzhose, die von Späne und hölzernem Feinstaub übersät war. Darunter ein Shirt von Tom Tailor, da er das Emblem auf der Brust lesen konnte. Es war blaugrau und schien zur Arbeitskleidung zu gehören. Das Holz, das er gerade raubringen wollte, stellte er vor sich auf den Boden ab. Er hatte eine gute Marke von Arbeitshandschuhen an, die Daan selbst gerne nutzte. Sie lagen eng an und hatten auf der Handinnenseite eine besondere Beschichtung, waren aber auf dem Handrücken atmungsaktiv. So konnte man lange mit ihnen arbeiten. Anders als die zehnfach verstärkten Handschuhe der Schweißer, die es nur in Einheitsgrößen gab. Daan hasste Einheitsgrößen. „Und wer will was von ihm?“ Die Stimme des Jungen klang nicht so jung wie erwartet. Er musste doch schon älter sein, vielleicht frühe Zwanziger? Dazu hatte er ein schlankes Gesicht und recht feine Züge für einen Mann. Dennoch zeigten seine grünen Augen Stärke und Ausdauer. Die hellbraunen Haare waren länger und wohl mit einem Zopf zusammengebunden. Genau konnte Daan das nicht erkennen, da eine graue Beani das Haar verdeckte. „Ich bin Daan van Heoff. Mir wurde gesagt, dass ich mit ihm an einem Projekt zusammenarbeite.“ „Ach“, nun stellte er das Holzstück beiseite und lehnte es an die Scheunentür. Dann zog er einen Handschuh aus und kam auf Daan zu. „Ich bin Elvar Laxness. Du bist unerwartet früh. Freut mich.“ „Ja, mein Chef hat mir nicht viel erzählt und Gunnlaugsson meinte, ich soll gleich los.“ Daan ergriff die Hand und schüttelte die schlanken Finger, die auf eine Weise rau und weich waren. Eine seltsame Mischung. Ebenso diese Art der Isländer einen blassen Teint zu haben und dabei doch leicht gebräunt auszusehen. Es war ähnlich seiner Haare, die ja dunkelbraun waren, doch in der Sonne schien es immer, als habe er sich die Spitzen gebleicht. Je nach Sonnenstrahlung schimmerten sie hellgrau oder silbern. Daan grinste. Dieses Land und seine Leute machten ihm Spaß. „Ach, Gunnlaugsson? Sag ihm schöne Grüße von mir.“ „Stimmt, er hat gesagt, ich soll Sie grüßen. Dann richte ich es ihm auch noch mal aus.“ Elvar sah ihn mit einem ernsten und beobachtenden Blick an, dann schüttelte er den Kopf. „Dutz mich ruhig. Ich bin sicher nicht älter als du und finde siezen schrecklich. Außerdem, wenn du Scheiße baust, kann ich dir direkt eine runter hau‘n und muss nicht erst zu deinem Chef laufen.“ Elvar grinste kurz fies, dann sah er sich um und ging seiner Arbeit wieder nach. Daan war überrascht. Er wusste den anderen noch nicht einzuschätzen. Auf einer Seite war er nett, dann aber wieder recht feindselig. Daan zuckte mit den Schultern. Ihm konnte das egal sein. Wichtig war, dass sie zusammen arbeiten konnten. Sie mussten sich ja nicht vertragen oder Freunde werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)