Midnight von YUUTO ================================================================================ Prolog: Dangerous Territory --------------------------- Eins -Gegenwart und Vergangenheit- (Dangerous Territory) Drei Uhr Morgens. Unbarmherzig fielen die ersten Regentropfen auf die asphaltierten Straßen, kündigten einen weiteren Wolkenbruch an. Ein Schauer blieb, um diese Zeit des Tages, für die Meisten unbemerkt. Bunte Neonlichter spiegelten sich in unzähligen Pfützen des vorherigen Unwetters wieder, tauchten die Fußwege in ein unwirkliches Farbenmeer. Obwohl die Stadt nie zu schlafen schien, wirkte sie nun gespenstisch leer. Ausgestorben. Außer des einzigen jungen Mannes, war niemand mehr unterwegs. Er schien es eilig zu haben, war vom Regen völlig unbeeindruckt. Sein Blick war nach vorn gerichtet , auch wenn er die Augen zu Schlitzen verengt hatte. Nichts von dem, was er bei sich trug, bot ihm Schutz vor dem Unwetter. Weder schien es ihn zu stören, dass der neue Hugo Boss Anzug dermaßen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wäre er klüger gewesen, hätte er sich schon vor Stunden ein Taxi für diese Uhrzeit reservieren können. So jedoch war es zwecklos, an der Straße auf eines zu waren, waren sie bei einem solchen Niederschlag doch alle restlos belegt. Der Mai hatte die Hitze mit sich gebracht und kaum hatte sich der Juni angekündigt, war es nahtlos in die Regenzeit übergegangen. Hohe Luftfeuchtigkeit zusammen mit Temperaturen, die die dreißig Gradmarke überschritten, gehörten hier zur Tagesordnung. Regenschauer brachten also keinerlei Abkühlung, im Gegenteil. Sie waren wortwörtlich ein Tropfen auf den heißen Stein, welche nur für eine noch schwülere Luft sorgten. Ein Teufelskreis. Regenschirme waren von Anfang Juni bis Mitte Juli ein unumgänglicher Gegenstand und dennoch sah es ganz danach aus, als würde der junge Mann einen jeden Tropfen, der sich in seine Kleidung sog, willkommen heißen. Seine Arbeit für heute war getan, lag hinter ihm. Nun war es ihm egal, ob das Make-up zerstört und das Hellbraune, vorher noch so kunstvoll aufgestellte Haar, ihm nun flach über die Schultern hing. Jetzt war es nichts mehr besonderes mehr und nur ein Teil der Person, die er in der Nacht vorgab zu sein; Kazuki, die Nummer Eins eines gut besuchten und angesehenen Host Clubs im Herzen Tokyos. Nicht unweit des Ost-Ausganges des verkehrsreichsten Bahnhof der Welt, lag der größte Entertainment und Rotlichtbezirk in ganz Asien. Shinjuki, Kabukichô. Tokyos heißestes Pflaster. Was sich hier hinter verschlossenen Türen abspielte, würde für die meisten Außenstehenden wohl für immer etwas Verborgenes bleiben, auch, wenn es nur zu einfach war, eine dieser Türen aufzustoßen. Ob man den betretenen Raum danach allerdings wieder verlassen konnte, war eine andere Frage. Denn oftmals blieb es bei einem einzigen erhaschten Blick, der an diese Welt fesselte und viele fanden selbst nach Jahren den Ausgang nicht mehr wieder, verliefen sich und bezahlten im schlimmsten Falle mit dem Leben. Von Spielhallen, über Host- und Hostess Clubs bin hin zu Bars und Restaurants gab es hier alles, was mancher Leute Herz begehrte. Und hier, unter den Neonlichtern der unzähligen Reklametafeln, begannen und endeten sie im selben Augenaufschlag: Die Träume vieler junger Menschen. Die Hoffnungen auf Ansehen und das große Geld. Er selbst war, vor über vier Jahren, nur durch einen dummen Zufall und einen Freund in dieses Etablissement gerutscht. Geldproblemen und Zukunftssorgen wegen. Geplant, so lange ein Teil des Ganzen zu bleiben, hatte er nicht. Der einzige Gedanke, der Kazuki begleitete, nachdem er die Arbeit beeendet und sich auf den Heimweg gemacht hatte, war der, auf dem schnellsten Wege nach Hause zu kommen. Jetzt allerdings wo aus den anfänglich, wenigen Tropfen, ein ausgewachsenes Unwetter geworden war, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich für eine Weile unterzustellen. Seine letzte Zigarette lag so oder so schon länger zurück, als es ihm lieb war. Kazuki wollte schon lange mit dem Rauchen aufhören. Es schmeckte ihm nicht einmal, war eine bloße Ablenkung. Die wenigen Minuten am Tag, die ganz allein ihm gehörten. Und angefangen hatte er nur seiner damaligen Schulfreunde wegen. Die Schulzeit war nichts, auf das er gern zurückblickte. Soweit er sich erinnerte, war er ab der Oberschule öfter abwesend, als das Schulgebäude überhaupt von Innen gesehen zu haben. Irgendwann war er an die falschen Leute geraten und dann, wie er seinen Vater noch immer sagen hörte, war sein Leben den Bach runter gegangen. Man hatte große Hoffnungen für ihn gehabt. Ein angesehener Geschäftsmann, vielleicht sogar Arzt, irgendeiner dieser Jobs um dem Armut-Fluch seiner Familie zu entkommen. Aber Kazuki hatte nichts dergleichen getan, endete mit 17 schließlich auf der Straße, geriet an Drogen und Alkohol. Er war von einer Szene in die Nächste gestolpert, hatte sich tiefer und tiefer in Dinge verstrickt, die er heute für genau so willkommen hieß, wie er sie verfluchte. Er war so naiv gewesen. Und schlussendlich, war da dieser Freund... »Willst du mich verarschen? Du hast mir gesagt, ich soll dir einen Job besorgen, um jetzt von dir zu hören, dass du den Schwanz einziehst?« Ein paar, zu Schlitzen verengte, Mandelaugen waren auf ihn gerichtet. Kazuki wusste nicht was ihn mehr einschüchterte. Ob es die zwielichtige Gegend war, in der sie sich gerade befanden, das fragwürdige Jobangebot oder ob es allein das bedrohliche Funkeln in den Augen des jungen Japaners vor ihm war. »Ich weiß nur nicht, ob es das Richtige für mich ist, ich hab sowas noch nie gemacht«, verteidigte er sich leise. Kazuki wusste, dass Yuuto ihm bloß die Haut retten wollte, ihm den nächst möglichen Job an Land gezogen hatte, bei dem es zumindest eine Chance auf schnelles Geld gab. »Das hier ist weder ein Puff, noch ein Stripclub. Hier wird niemand von dir verlangen, dass du mit deinem nackten Arsch auf Tischen rumwackelst. Du verkaufst hier lediglich dein gutes Aussehen, von dem ich behaupten möchte, dass du es wirklich besitzt. « Wie zur Bestätigung musterte Yuuto sein Gegenüber noch einmal genauer, blickte in die braunen, von langen Wimpern umrandeten Augen, die aufmerksam zurück sahen. Das schwarze Haar war fransig geschnitten und die hinteren langen Strähnen hingen ihm glatt bis über die, deutlich herausstehenden, Schlüsselbeine. Für einen jungen Mann, hatte Kazuki extrem feminine Züge. Hohe Wangenknochen zierten sein schmales Gesicht. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich für das heutige Vorstellungsgespräch von seinen Piercings zu trennen. Immerhin wartete hier kein Bürojob auf ihn. Es war nichts mehr Neues für ihn, als wandelndes Altmetalllager bezeichnet zu werden, hatte er sich doch mit den Jahren daran gewöhnt. Yuuto war kein großer Fan von von zu vielen Piercings, hatte sich irgendwann selbst von seinem Lippenpiercing getrennt. Dennoch musste er zugeben, dass es Kazuki wirklich stand, zu seinem Styling passte und ihn weniger verunstaltete, als die meisten anderen Leute in seinem Freundeskreis, die sich für Piercings entschieden hatten. Er räusperte sich, schob Kazuki schließlich ein Stück vorwärts. »Das Einzige, was du zu tun hast, ist dich zu betrinken und den Kundinnen schöne Augen zu machen. Und jetzt erzähl mir nicht, du hättest je etwas gegen Frauen oder Alkohol einzuwenden gehabt! « Ein leises Murren des Jüngeren. Wenn er sich nicht bald entschied, würde Yuuto ihn hier stehen und sich selbst überlassen. Immerhin hatte er besseres zu tun, als unschlüssige Kerle zu bemuttern. »Also?« Yuuto wurde ungeduldig. Zu Recht. Er war viel unterwegs, sollte sich um diese Zeit eigentlich um seine Geschäfte und seinen eigenen Probleme kümmern, als sich hier mit ihm die Zeit totzuschlagen. »Okay, schon gut. Ich versuche es«, meinte er schließlich kleinlaut, fand sich nur Sekunden später in einem, mit rotem Teppich ausgekleideten, Fahrstuhl wieder. »Es ist die achte Etage. Merks dir, okay? Die anderen Clubs sehen es nicht so gerne, wenn du irgendwo ungefragt hereinspazierst«, erklärte Yuuto nüchtern, pustete sich kurz darauf ein paar verirrte, braune Haarsträhnen aus der Stirn. Kazuki nickte nur leicht, konzentrierte sich gerade zu sehr darauf, das beklemmende Gefühl in seiner Magengegend zu ignorieren. Unter jedem der, in Gold umrandeten, Etagenknöpfe prangte ein kleines Schildchen mit dem jeweiligen Namen des Clubs. Die meisten von ihnen waren Englisch, also für Kazuki unverständlich. Und auch die japanische Lautschrift half ihm in den meisten Fällen nicht weiter, ließen das Fragezeichen auf seinem Gesicht höchstens noch größer werden. Beyond, las er auf dem weißen Schildchen der achten Etage. Eine einfache silberne Schrift auf einem kleinen, schwarzen Stern gedruckt. Was auch immer das heißen mochte, um umzukehren war es jetzt zu spät. Denn kaum einen Wimpernschlag später, öffnete sich die Aufzugtür mit einem leisen Klingeln. Yuuto ging voran, schritt durch den gedimmten Raum, als wäre er hier zuhause. »Shin? «, rief er in die Stille hinein wies Kazuki an hier stehen zu bleiben und auf ihn zu warten. Saubere schwarze Fliesen lagen zu seinen Füßen, die im Licht der vielen kleinen Leds, die in der hohen dunklen Decke eingearbeitet waren, glänzten. An den hellen Wänden zu seiner Linken befanden sich einige, bis auf einen einzelnen beigefarbenden Trenchcoat, leere Kleiderhaken. Rechts von ihm, an der Wand in einer Art Schaukasten, hingen gläserne Bilderrahmen. Professionelle Fotos von den hier angestellten Hosts. Gut aussehende, aufgestylte Männer in ihren Zwanzigern. Unter jedem Foto ein Name und eine Nummer. KEI, war der Name, den Kazuki unter dem Bild in der Mitte mit der Nummer Eins lesen konnte. Ein selbstbewusstes Lächeln zierte seine Lippen, während seine Augen, er trug graue Kontaktlinsen, fest in Richtung der Kamera blickten. Seine Züge waren, im Gegensatz zu Kazukis, markant und männlich. Alles in allem wirkte er auf Kazuki wie niemand, mit dem zu Spaßen war. In der einzigen Reihe darunter, acht weitere Rahmen. Die Zahlen zwei bis neun. Er wandte den Blick ab, folgte dem kurzen Flur ein paar Schritte. Zwei Stufen, die vor ihm lagen, führten direkt zu einer voll ausgestatteten Bar, vor der er einige mit schwarzem Leder bezogene, Barhocker ausmachen konnte. Kazuki war sich sicher, dass es nicht mal in seiner Stammkneipe eine so große Auswahl an Alkohol gab, geschweige denn so ein teures Gesöff. Champagnerflaschen der verschiedensten Sorten reihten sich entlang der Bar auf, ließen Kazuki nicht schlecht staunen. Er hatte nicht viel Ahnung von Champagner, aber das gute Wissen, dass ihn bloß eine verkaufte Flasche durch die nächsten zwei, wenn nicht sogar drei Wochen bringen könnte. »Hey, Kazuki. Komm! « Yuuto war es, der ihn schließlich wieder aus den Gedanken riss und ihn aus dem Eingangsbereich abholte. »Und guck mich nicht an wie ein verschrecktes Kaninchen, dich wird hier niemand fressen! « Yuuto setzte sich wieder in Bewegung, verschwand zur Rechten, während Kazuki ihm stolpernd folgte, zu allem Übel die Stufen vergaß, die er eben noch eingehend studiert hatte. Er wagte einen schnellen Blick zu seiner Linken, wo es allen Anscheins nach zu den Toiletten ging. Rechts, und Kazuki blieb einen Moment der Atem stocken, befand sich eine Art überdimensionales Wohnzimmer. Unzählige Ledersofas, sowie Glastische, umringten eine Bühne in der Mitte des Raumes. Kazuki konnte ein paar Plasmabildschirme ausmachen, die in den Wänden eingelassen waren und fand auch kurz darauf, die wahrscheinlich zugehörigen, Karaoke Maschinen. »Nun hör auf zu träumen, komm endlich!« »Shin, das ist Kazuki«, sagte Yuuto ruhig, hielt Kazuki noch immer am Oberarm fest und entließ ihn erst, als sie endlich zum Stehen kamen. Der Kerl mit dem 3-Tage-Bart machte sich nicht die Mühe für Kazuki aufzustehen, noch begrüßte er die zwei. Er sah ihn bloß an. Stumm. Abschätzend. Kazuki dagegen verneigte sich tief vor ihm, nannte ihm leise seinen Namen und bedankte sich für die Zeit, die er sich für ihn nahm. Er trug ein schwarzes Jackett darunter ein weit ausgeschnittenes, schwarzes Top, zu einer, ebenfalls schwarzen, engen Jeans. Seine linke Hand schmückten 3 schwere Ringe. Das dunkelbraune Haar mit der breiten schwarzen Strähne im langen Pony war aufgestellt. Er mochte in seinen 30ern sein. Kazuki war schon immer schlecht darin, anderer Leute Alter zu schätzen. »Du hast durchaus ein Auge für einzigartige Gesichter«, begann er mit rauchiger Stimme. »Allerdings kann ich so, wie er jetzt aussieht wenig mit ihm anfangen.« Kazuki senkte seinen Kopf, wo er sich von Anfang an doch keine allzu große Hoffnung auf einen Job wie diesen gemacht hatte. Zumal war er sich nicht einmal wirklich sicher, ob er sich hätte freuen sollen, wäre er denn angenommen worden. »Aber-«, wollte Yuuto einwenden, wurde aber gleich darauf wieder unterbrochen. »Lass mich ausreden, verdammt! « Shin bedachte ihn mit einem düsteren Blick, nahm ein Schluck aus dem Whiskyglas vor sich, ehe seine Augen wieder zurück zu Kazuki wanderten. »Schwarze Haare kann ich nicht gebrauchen. Wir leben in Japan. Wenn er herausstechen soll, färb sie ihm gefälligst! Und komm nicht wieder auf die glorreiche Idee solche Dinge selbst in die Hand zu nehmen, Tak. Den letzten Kerl hast du mir damit ordentlich versaut. « Er wartete, bis Yuuto nickte, schwenkte das Glas elegant in der Hand, woraufhin die Eiswürfel leise klirrten. »Warum bist du hier? Welcher Teil dieses.. Jobs interessiert dich am Meisten? « Es überforderte Kazuki, dass er plötzlich so direkt angesprochen wurde, nachdem man ihn mehr oder weniger außen vor stehen lassen hatte. Er schwieg, wiegte abschätzend den Kopf hin und her, suchte nach einer Antwort. »Ich bin arbeitslos, habe keine Unterkunft und ein paar Schulden am Hals, die ich gerne abzahlen möchte. Mir gefällt der Gedanke, dass ich hier viel verdienen kann, wenn ich was dafür tue.« »Kurz; er braucht Geld«, fasste Yuuto zusammen. »Nach deinen idiotischen Kommentaren hat hier keiner gefragt, ich bin nicht dumm, Yuuto! « Shin zischt ihn erneut an, ließ in Kazuki schon bald den Gedanken aufkeimen, dass dieser Kerl ihm alles andere, als sympathisch war. Shin seufzte genervt, drehte sich auf der Couch schlussendlich ein Stück in Kazukis Richtung. »Nicht alle hier machen das große Geld, musst du wissen und noch weniger von denen, die sich bei uns bewerben, bleiben länger als ein Jahr. Wenn du dich nicht verkaufen kannst, hast du keine Chance in diesem Business. So und nicht anders sieht es aus. « Kazuki nickte, hatte mittlerweile damit angefangen sich nachdenklich auf der Unterlippe herum zu beißen. »Der erste Monat ist eine bloße Probe. Ich kann keine ungelernten Neulinge zu den Kundinnen setzen, da gibt’s einfach zu viele Anfängerfehler die du machen kannst. Unbezahlt ist es nicht, du bekommst ein festes Gehalt, was allerdings nicht mehr ist, als würdest du in einem Konbini Teilzeit arbeiten. Den einzigen Bonus, den ich dir jetzt anbieten kann, ist ein Bett in einer meiner Trainee WGs. « Kazuki musterte Yuuto von der Seite. Alles, was er ihm versprochen hatte, war ein Job bei dem er, wenn er das Talent dazu hatte, sein Leben recht schnell wieder als Schuldenfreier Mann leben konnte. Dass er jetzt allerdings noch ein Dach über dem Kopf dazu angeboten bekam, war gerade mehr, als er sich erträumen konnte. Der Sommer war vorbei, die Tage wurden kürzer und vor allem kälter. Es wurde an der Zeit, dass er eine anständige Bleibe fand, als sich bloß weiterhin überall durchzuschnorren. Die Leute, die er auf der Straße kennengelernt hatte, besaßen größtenteils selbst nicht viel, konnten ihn nicht immer und immer wieder mit durchziehen und wenn er wieder zurück in die rechte Spur gelangen wollte, klammerte er sich jetzt besser an jeden Strohhalm. Schlussendlich nickte er, suchte Shins Blick, um ihn fest anzusehen. »Ich werde mein Bestes geben. Für den Club und für mich selbst.« Shins amüsiertes Lachen erfüllte den Raum. »Gut, Junge. Montagabend, 18 Uhr. Und wag dich nicht, hier nochmal so aufzutauchen. « Er wies Kazuki auf seine dunkle Jeans und das einfache schwarze T-Shirt hin. »Und vergiss nicht, was mit deinen Haaren zu machen. Verstanden? « Er wartete auf Zustimmung. »Gut. Abflug.« »Sieht ganz danach aus, als würden deine Schulden bei mir noch um ein ganzes Stück wachsen«, bemerkte Yuuto, nachdem sie den Club verlassen hatten und nun durch die, sich langsam füllenden, Straßen schlenderten. »Ein Anzug, Hemden, Schuhe noch dazu ein Friseurbesuch. Kindchen, du siehst besser zu, dass sich diese Investition in dich lohnt. Ansonsten haben wir beide nicht viel davon. Und du noch viel weniger.« Er steckte sich in einem Hauseingang, geschützt vom scharfen Ostwind, eine Zigarette an, hielt Kazuki augenblicklich die Schachtel hin, damit auch er sich bedienen konnte. »Ich habs dir schon oft gesagt und ich sag es dir noch einmal; nichts von meiner Freundlichkeit für dich, ist umsonst. Nicht das geringste bisschen.« »Warum tust dus dann für mich? «, stellte Kazuki nach all der Zeit, in der sie sich nun kannten, die Gegenfrage mit der Zigarette zwischen seinen Lippen . »Weil ich weiß, dass du auf mich angewiesen bist. Und du eine ordentliche Stange von dem Geld, was du irgendwann verdienst, so oder so zurück zu mir bringst. Noch dazu hast du jetzt schon eine Menge an Schulden bei mir. Also behalte ich dich besser im Auge. Ich will ja nicht, dass sich unsere Wege trennen...« Kazuki sah ihn kurz, wenn auch ertappt an. Yuuto hatte Recht mit dem, was er sagte. Nur wurde er nicht all zu gern an seine Schulden erinnert, wo er doch nicht einmal genug Geld in seiner Brieftasche hatte, um die nächste Woche über die Runden zu kommen. Für einen Moment schwiegen sie beide. Eine unangenehme Stille, in der Kazuki lediglich mit gesenktem Blick an seiner Zigarette zog. Yuuto checkte sein Handy, drückte einen einkommenden Anruf weg. Er runzelte die Stirn, bedachte Kazuki für eine Sekunde, ehe er das schwarze Gerät in eine Hosentasche gleiten ließ. »Ein paar Klamotten, hm? Lass uns mal sehen...« Keine Aussicht auf Besserung. Als er den Club verlassen und sich auf dem Heimweg gemacht hatte, war sein Gedanke gewesen, auf dem schnellsten Wege nach Hause zu kommen. Dennoch war er nicht umhin gekommen, sich für einen Augenblick unterzustellen, sich Zeit für eine Zigarette zu nehmen. Kazuki hatte schon vor langer Zeit mit dem Rauchen aufhören wollen. Doch wenn der Alkohol täglich in dermaßen rauen Mengen floss, vergaß er seine Prinzipien jedes Mal aufs Neue. Nichts war mehr so, wie er es für sich geplant hatte und das anfangs so reizvolle, neue Leben hatte seinen Glanz schon lange verloren. »Du trinkst, unterhältst dich mit schönen Frauen und wirst dafür bezahlt.« Das war es, was man ihm damals erzählt, mit dem man ihm diesen Job schmackhaft gemacht hatte. Niemand hatte ihn je auf die Schattenseiten hingewiesen. Oder ihm gar erzählt, dass er sich jede Nacht mutwillig erbrechen würde, aus Angst sich erneut bewusstlos zu trinken. Seine Leber funktionierte schon lange nicht mehr so, wie sie sollte. Dabei war er gerade einmal vierundzwanzig. Viele seiner Kundinnen waren einmal normale Mädchen gewesen. Mädchen mit Zukunftsplänen, mit Träumen. Teilweise schon mit Männern an ihrer Seite. Kazuki hatte dies alles zu Bruch gehen, sie von der geraden Spur abkommen sehen. Und nun arbeitete ein Großteil eben dieser Mädchen nicht unweit von seinem Club entfernt. Hostessen, Prostituierte, Stripperinnen. Es war sein Beruf, diese Mädchen wie Prinzessinnen zu behandeln, ihnen gut zu zureden, sie mit Komplimenten zu überhäufen. Er verkaufte ihnen eine heile Welt. Einen Ort, an den sie immer wieder zurückkommen konnten, wenn sie jemanden um sich brauchten. Er verkaufte ihnen falsche Liebe. Anfangs war es ihm schwer gefallen, diese Tatsache nicht so nahe an sich heran zu lassen und seine Kunden auszunehmen, wie Weihnachtsgänse. Er hatte sie gebeten, sich selbst an die erste Stelle zu setzen, nicht jede Nacht aufs Neue herzukommen. Etwas, was ihn beinahe seinen Job gekostet hatte. Dennoch hatte er es sich nicht nehmen lassen, mit einigen auszugehen, hatte mit ihnen geschlafen. Manche von ihnen waren danach nie wiedergekommen, hatten erreicht, was sie wollten. Und er somit aus Fehlern gelernt. Kazuki hatte begonnen auf Vertrauen zu verzichten, kam seinen Kundinnen nicht mehr näher, als nötig. Es war eine Kunst für sich, sie auf diesem gewissen Abstand zu halten, der sie abhängig von ihm machte, ihnen aber nicht das Gefühl gab, sie wären ungeliebt. Ein Blick auf die goldene Rolex ließ ihn aufseufzten. Hatte er nicht geplant, heute früher Feierabend zu machen? Eigentlich hatte es bis Mitternacht gut für ihn ausgesehen, wären dann nicht noch gleich zwei Reservierungen für ihn eingegangen, zudem auch noch von Stammkundinnen. Es war nicht so, als würde er am Hungertuch nagen, ganz im Gegenteil. Aber wenn er seinen Job und vor allem seinen Ruf behalten wollte, hatte er zu bleiben. Was er letztendlich auch getan hatte. Jetzt, ganze vier Stunden und einem pochenden Schmerz in den Schläfen später, konnte er dem stickigen Club endlich entkommen, auf die nächtlichen Straßen Shinjukus fliehen, die normalerweise selbst zu dieser Zeit nicht schliefen. Die meisten seiner Arbeitskollegen blieben bis zum frühen Mittag im Club, schliefen den ersten Rausch schon dort auf den Sofas aus, ehe sie sich auf den Weg nach Hause machten, um dort den Tag zu verschlafen. Natürlich hatte Kazuki selbiges schon oft getan, war manches Mal gar nicht mehr in der Lage gewesen, sich noch großartig von Ort und Stelle zu bewegen und oftmals auch mit der Toilette im Arm eingeschlafen. Heute Nacht allerdings, vollkommen gleich ob es in Strömen regnete oder nicht, wollte er in seinem eigenen Bett einschlafen, vielleicht sogar noch ein heißes Bad nehmen. Der Regen hatte ihn nicht nur durchweicht, sondern auch ausgekühlt. Da war selbst der Alkohol der letzten Stunden keine große Hilfe mehr. Und wenn er nicht auch noch krank werden wollte, sah er besser zu, dass er sich bald wieder in Bewegung setzte. Es wunderte ihn nicht, dass selbst die Obdachlosen aus dieser Gegend ihre Lager für die Nacht wo anders aufgeschlagen hatten und mit ihren Kartons an geschütztere Orte gezogen waren. Wahrscheinlich hätte er selbst nichts anderes getan, würde er nun in ihrer Haut stecken. Kazuki nahm den letzen Zug seiner Zigarette inhalierte den bläulichen Rauch, ehe er ihn in die kühle Nachtluft ausstieß, für einen Augenblick versuchte alles auszublenden, was ihn die Tag über beschäftigt hatte. Erst dann schnippte er den Stummel achtlos in eine große Pfütze zu seinen Füßen und verließ Unterschlupf, setze seinen nach Hause Weg fort. »Das ist dein Bett. Ein eigenes Zimmer bekommst du nicht. Toiletten sind den Gang runter und Duschen hier um die Ecke.« Der schlanke Japaner mit dem ungebändigten, abstehendem Haar sah Kazuki fest an, während er ihm die Räumlichkeiten erklärte. “Ich bin ab heute dein Zimmergenosse. Wenn du irgendwelche Fragen hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden. Ich bin übrigens Manabu.« Kazuki stand eine ganze Weile stumm da, besah sich die kahlen Wände und die zwei Etagenbetten, die den kleinen Raum fast komplett ausfüllten. Das einzige Fenster im Raum, wurde zur Hälfte von einem großen, metallenen Spint versperrt. Hemden und Jackets, zusammen mit gewaschener Alltagskleidung hingen von Kleiderhaken an den Gitterbetten hinab. Platz sparen und nicht in die Privatsphäre der anderen eindringen war hier das Motto. »Hast du das schon mal gemacht? Oder bist du komplett neu hier? Ich hab auch erst vor drei Wochen angefangen«, begann Manabu erneut, versuchte ein Gespräch zwischen ihnen aufzubauen, musste Kazuki doch gerade relativ verloren aussehen. Wie aus einer Trance gerissen, wandte Kazuki sich schlussendlich an Manabu, ließ seinen Rucksack, in dem all sein Hab und Gut verstaut war, langsam zu Boden gehen. »Ich bin neu. Das ist mein erster Tag heute. Tut mir leid, falls ich Schwierigkeiten machen sollte, ich neige dazu in Fettnäpfchen zu springen« Manabu lächelte leicht, war froh darüber, dass der Neue sich schlussendlich doch auf ein Gespräch einließ. »Mach dir nichts drauß. Fehler machen hier alle und jeder fängt klein an. Allerdings.. Je weniger Anfängerfehler du machst, je positiver fällst du Shin auf.« »So?« Mittlerweile war er in sein Bett gestiegen, hatte damit begonnen es zu beziehen. »Ja. Nur helfen, wird dir hier niemand. Immerhin ist sich hier jeder selbst der Nächste.« »Heißt soviel, wie: Vertraue hier besser niemandem?«, vergewisserte Kazuki sich, warf einen Blick ins Bett unter sich, wo Manabu gegen die weiße Wand gelehnt saß. Er nickte auf seine Frage hin, erwiderte Kazukis Lächeln jedoch nicht. »Soll genau so viel heißen. Halt den Ball flach, halt Abstand zu denen, die schon länger im Spiel sind und pass auf dich auf. Es geht hier nicht immer mit rechten Dingen zu« Manabu seufzte, fand jedoch kurz darauf sein Lächeln wieder. »Aber ich will dich nicht schon am ersten Tag einschüchtern. Willkommen in deinem neuen Zuhause!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)