Dilector Diaboli von Anemia ================================================================================ Epilog: -------- Epilog     "Manchmal habe ich das Gefühl, dass du dich verändert hast, Junge. Ich weiß auch nicht..." "Inwiefern meinst du das?" Der laue schwedische Frühling war ins Land gezogen und hatte der Welt neues Leben einverleibt. So wie die Schneedecke den ersten Krokussen und Märzenbechern Platz gewichen war und die wärmende Sonne die Menschen wieder vermehrt ins Freie zog, hatten sich auch die ersten zarten Linderungen der Krankheit meiner Mutter bemerkbar gemacht. Zunächst hatten die Ärzte geglaubt, sie wären einem Irrtum erlegen, ihre Geräte defekt oder irgendjemand hätte sie zu täuschen versucht, doch mit jedem Tag, mit dem der Feind aus dem Körper meiner Mutter schwand, zeigte sich immer deutlicher, dass man es hier mit einem medizinischen Wunder zu tun hatte. Einer schier unfassbaren Sensation; beinahe so spektakulär wie die Erweckung eines längst Totgeglaubten. Und genau dies war meine Mutter auch gewesen - eine Aufgegebene, eine ohne jeglichen Glauben an sich selbst oder an das Können der hohen Mächte, für was man Ärzte ab und an hielt. Doch Mediziner waren keine Götter, würden es niemals sein. Meiner Mutter allerdings war es gleich, wem sie ihre Genesungsfortschritte zu verdanken hatte. Im Gegensatz zu mir, der den einzig wahren Gott und damit ihren Heiler niemals mehr aus seinen Gedanken entlassen würde.   Noch schaffte es ihr schwacher Körper nicht, sich eigenständig über das Krankenhausgelände zu bewegen. Aber ihr sehnlichster Wunsch war es gewesen, die Blumen wieder zu sehen, den Frühling zu begrüßen und ich als ihr Sohn hatte mir zugleich einen Rollstuhl von einem der Krankenpfleger geben lassen, um mit ihr eine Spritztour zu unternehmen. Im Park schien die Sonne, ohne übermäßig vom Himmel zu knallen und uns mit ihrem strahlenden Licht zu blenden. Mama genoss die sanfte Wärme ganz offensichtlich, schloss sie doch gar die Augen für einen Moment, während ein seliges Lächeln sich auf ihr Gesicht stahl. Dennoch war sie in Gedanken ganz bei mir. "Weißt du noch, als du ein Teenager warst?", begann sie und blinzelte mich an, woraufhin ich feststellen musste, dass sie noch mehr kleine Runzeln um die Augen herum bekommen hatte in der Zeit, in der ich mit ihrer Rettung beschäftigt gewesen war. "Du hast die ganze Welt gehasst, sogar sterben wolltest du...wenn auch nie wirklich ernsthaft. Aber du hast die Menschen nicht mehr ertragen wollen. Du hast sie nie verstanden, warst immer dagegen, egal, was für eine Meinung zum Beispiel deine Mitschüler hatten." Ich starrte auf den Baum etwas weiter hinten, an dem allmählich kleine, hellgrüne Blätter zu sprießen begannen. Kniff die Augen zusammen, obwohl die Sonne mich nicht blendete. Ich dachte nicht gerne über meine Vergangenheit nach. "Right", nickte ich nur knapp und sah zu ihr rüber. "Mom, was willst du mir mitteilen?" "Na, du wirkst zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder einmal so richtig ausgeglichen." Sie lächelte ein Lächeln, welches nur Mütter ihren Kindern zu schenken vermochten. Eines, das vor Fürsorglichkeit strotzte und bedingungsloser Liebe. "So richtig glücklich...alles hättest du dich selbst gefunden. Manchen Menschen geht das ja so. Und meist ist es, weil sie endlich auf ihr Herz gehört haben, anstatt sich ihre Sehnsüchte zu verbieten." Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass sich mein Handy in meiner Hosentasche bemerkbar machte. Dieses Gespräch begann allmählich unangenehme Züge anzunehmen. Hätte meine Mutter nur im Ansatz geahnt, wie Recht sie mit ihren Worten hatte... Caris ernstes Gesicht schaute mich vom Display aus an. Kurz überlegte ich, ob ich rangehen sollte, schielte kurz zu meiner Mutter, doch die winkte nur großzügig ab. Also entschied ich mich für das Gespräch. "Hey." "Hey, Baby." Seine tiefe Stimme schaffte es noch immer, mir heiße Wangen und eine Gänsehaut zu bescheren. Wahrscheinlich würde das auch auf ewig so sein. Auf ewig... "Was machst du denn gerade Schönes?", wollte er wissen. "Ich bin gerade bei Mama", erzählte ich ihm mit einem Seitenblick auf meine Mutter, die neugierig die Ohren zu spitzen schien. Gehörte es denn nicht zum Mutterinstinkt, sofort zu spüren, wenn ihr Kind es mit der Liebe zu tun hatte? "Geht es ihr denn besser?" "Ja." "Schön. Sehr schön." Er hielt kurz inne. "Machen wir morgen was zusammen?" "Na klar." Sicherlich wunderte er sich, dass ich so kurz angebunden war und mich nicht gleich in wilden Flirts mit ihm verlor wie sonst immer, aber Kindern war es seit eh und je peinlich gewesen, ihren Eltern die Gefühle zu einem Partner zu offenbaren. Ich bildete da keine Ausnahme. "Wir können das ja noch heute Abend bequatschen, okay? Ich ruf dich an." "Gut. Aber versprich mir, dass du den Dildo bis morgen in der Schublade lässt. Sonst freust du dich nicht genug auf mich." "Ich freue mich immer auf dich", brachte ich durch zusammengepresste Zähne leicht verschämt hervor. Manchmal wünschte ich, er hätte mir meine menschlichen Emotionen doch geraubt. Aber das hatte nicht einmal er vollbracht. Oder aber vollbringen wollen. Eure Majestät. Ein ganz normaler Mann, wenn er es denn darauf anlegte. "Man will dich am liebsten vom Fleck weg bumsen, so süß bist du, wenn du schüchtern bist." Ich errötete wahrscheinlich wie ein kleines Mädchen. Auch an seine direkte, obszöne Ausdrucksweise würde ich mich wohl nie gewöhnen. Natürlich war er sich im Klaren darüber, dass ich mich in Gegenwart meiner Mutter zierte, offen mit ihm zu sprechen. Denn noch hatte ich es nicht über mich gebracht, mich zu outen. Und eigentlich wollte ich auch alles genauso belassen, wie es war. Aber Cari schien das anders zu sehen. Warum wohl? Meine Mutter würde er ganz sicher nicht als Mitglied für seinen Fanclub gewinnen können. Oder doch? Ich erinnerte mich daran, was sie über die Auslebung von Sehnsüchten gesagt hatte... "Na gut, dann bis heute Abend." "Bis heute Abend." "Ich liebe dich." "Mhmh." "Liebst du mich auch?" "Ja." "Sag es." Gerade wollte ich mich fragen, weshalb er mich so quälte. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass es seinem Charakter entsprach. Und zu dem gehörte, was er war. "Ich liebe dich", nuschelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und legte anschließend schnell auf, betrachtete eingehend das Display in der Hoffnung, Mama würde sich bezüglich meines Liebesgeständnisses ausschweigen. Aber selbstverständlich tat sie es nicht. "War das dein Freund?" Erstaunt blickte ich sie an. "Woher-" "Ach, Jamie", seufzte sie und tätschelte sanft meine auf dem Oberschenkel ruhende Hand. Und da war es wieder, dieses unbeschreiblich Mütterliche in ihren Augen. Diese bedingungslose Liebe, für die ich jeden Preis auf der ganzen Welt gezahlt hätte, um sie zu erhalten. "Das mit Emilie, das war doch nie das Richtige für dich gewesen. Aber seitdem es mir wieder besser geht, bist du ein ganz anderer Mensch und das konnte einfach nur damit zu tun haben, dass du deine Neigungen nicht mehr in dich hineinfrisst." Also stimmte es doch. Mütter besaßen ein untrügliches Gespür für die Dinge, die ihre Kinder beschäftigten. Die ihre Kinder ausmachten. Unangenehm war es mir auf eine Art, dass sie es bereits erraten hatte. Aber auf der anderen Seite wurde mir so mein Outing erspart. Offenbar musste ich mich mehr daran gewöhnen, dass ich nun mit einem Mann zusammen war, als sie. "Ich würde mich auch sehr freuen, wenn du ihn mir mal vorstellen würdest", verkündete sie nun mit einem strahlenden Lächeln. "Ich bin mir sicher, er ist ein ganz bezaubernder junger Mann, wenn du ihn derart in dein Herz geschlossen hast." Ich schwieg eine Weile. Dachte nach. Doch dann wusste ich, was ich zu erwidern hatte. "Das ist er", sagte ich fest von meinen Worten überzeugt. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er sei ein Engel." Zunächst fühlte es sich seltsam an, mich von Cari als ein Engel sprechen zu hören. Denn er war alles andere als das. Aber er hatte mir das Wertvollste erhalten, was es auf der ganzen Welt für mich gab. Ihm im Gegenzug meine ewige Liebe und Treue zu schwören stellte einen wahrhaft niedrigen Preis für das Leben meiner Mutter und seinen für die Dauer meines Lebens währenden Schutz vor den himmlischen Bestrafungen dar. Nun begriff ich, dass ich alles richtig gemacht hatte.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)