What's it for von Schneckenkind ================================================================================ Prolog: You know me well ------------------------ Es war die gleiche Prozedur wie beim letzten Mal. Und beim vorletzten Mal. Und die inzwischen zahllosen Male davor. Hatte er ihre merkwürdigen Kreationen anfangs noch mit Entsetzen aufgenommen, so war er inzwischen derart abgehärtet, dass er für noch so absurde Zusammenstellungen nur noch ein müdes Augenbrauen-Zucken über hatte. Während er einen Teigfladen vom Tablett nahm und diesen routiniert und mit einer Anmut, die man nur dann hatte, wenn man seit seinem 12. Lebensjahr Pizzateig durch dir Luft schleuderte, in eine runde Form brachte, beobachtete er sein Gegenüber. Ihre Haare, lang und dunkel, lagen wie immer - gar nicht. Sie fielen ihr wirr ins Gesicht, halbherzig von einem Haarband zusammen gehalten. Schludrig, hätte man sagen können. Als hätte sie es eilig gehabt und daher nicht besonders viel Wert auf den Zustand ihrer Haare gelegt. Er breitete den Teig auf dem Blech aus und griff nach links, ohne dabei den Blick von ihr abzuwenden. Seine Hand fand wie von selbst die Kelle mit der Tomatensauce. Großzügig häufte er eine Portion auf den Teig und strich sie glatt. Die rote Masse verteilte sich fast wie von selbst, er musste kaum etwas tun. Er senkte den Blick. Die Sauce leuchtete so intensiv rot, dass ihm leicht die Augen flirrten. Und gekleckert hatte er auch. Unwillkürlich musste er an Blut denken. Kein sehr appetitlicher Gedanke. Wie sie es schaffte, die unangenehmen Nebeneffekte ihres Berufes, kaum das Feierabend war, abzuschütteln war ihm ein Rätsel. Ein Besuch bei ihr im Labor hatte ihn noch drei Tage später belastet und sein sonst so sonniges Gemüt getrübt. Ein kurzer Blick auf sein Gegenüber veriet ihm, dass sie gedankenverloren den Rand ihres Glases streichelte. Ginger Ale. Ein weiterer Stich in sein Gastronomen-Herz. Er hängte die Kelle zurück in den Topf und griff nach rechts, wo die Frischebehälter mit den Belägen standen. Großzügig wie er war, besonders zu ihr, häufte er Salami, Schinken, Pilze, Zwiebeln und Oliven auf, eine an sich nette Mischung... die er kurz darauf jedoch zerstören musste, in dem er eine Banane und Rosinen zum Abschluss drüber schnibbelte. Bah. Mit verkniffener Miene krönte er alles mit einer Portion Gouda und Oregano, öffnete den Steinofen und hob die kulinarische Scheußlichkeit mittels des Pizzaschiebers auf die Backfläche. Als das Geräusch der sich schließenden Ofentür ertönte, hob sie den Kopf und sah ihn an. Zum ersten Mal, seit sie an diesem Abend das Lokal betreten hatte, schien sie ihn richtig wahr zu nehmen. Sie lächelte das für sie typische Lächeln und schwenkte auffordernd ihr Glas in seine Richtung. Leer. Er griff über den Thresen und nahm ihr das Glas ab, stellte es in die Spüle, griff nach einem frischen und füllte es erneut mit Ginger Ale. Sie trank das Zeug wie andere Leute Wasser. Zuhause bei ihr stand mindestens immer eine Flasche gekühlt, ein ganzer Kasten wartete in ihrer Speisekammer. Die Freundschaft mit ihr hatte dazu geführt, dass er auch immer die ein oder andere Flasche vorrätig hatte, ebenso, wie es das Getränk auf die Karte im Moretti's geschafft hatte. Man wusste nie so richtig, wann sie zufällig herein schneien würde, und er war gerne vorbereitet. Er stellte das Glas vor ihr ab, griff nach dem Pizzaschieber und warf einen prüfenden Blick auf das Backgut im Ofen. Noch ein paar Minuten. Er wusste, wie sehr sie es liebte, wenn der Rand so richtig schön krachte beim kauen. Er schloss den Ofen abermals und ließ dann den Blick durch das Restaurant schweifen. Die Pizzeria seines Onkels war gut besucht. Eigentlich wie immer, hatte sie sich doch im Laufe der 20 Jahre, die Antonio Moretti das Geschäft nun führte, doch zu einem wahren Geheimtipp gemausert. Heute war die Stimmung jedoch anders. Gedrückt. Herrschte sonst lebhaftes Getöse, so war heute nur ein Gemurmel zu hören, das in seinen Ohren zu einem stetigen Summen verschmolz. Ihr musste es ähnlich gehen, hörte sie doch ebenso gut wie er selbst. Seine Mitarbeiter schienen die Lage gut im Griff zu haben. Er konnte sich voll und ganz auf seine Besucherin und ihre kulinarische Beleidigung konzentrieren. Eben jene war nun offensichtlich fertig gebacken, denn als er sie aus dem Ofen zog, hatten sich die Ränder von knackig braun zu leicht verkohlt gefärbt. Hupsa. Er fluchte leise. Ein solcher Fauxpas war ihm seit mindestens zehn Jahren nicht mehr untergekommen. Jedem anderen Gast hätte er das Unding nicht mehr anbieten können. Aber ihre Augen begannen zu strahlen, als er ratlos mit dem Pizzaschieber vor ihr stand und überlegte, das ganze einfach neu zu machen, und da wusste er, dass er sich einen Augenblick lang umsonst gesorgt hatte. Er lud die Pizza auf einen Teller und stellte ihn vor sie hin, nicht ohne ihr die obligatorische (und bei ihr vor allen Dingen notwendige) Serviette daneben zu legen. Cory beugte sich über den Teller und langte zu, mit aller Hingabe, die man für eine fast verkohlte Salami-Schinken-Pilze-Zwiebel-Oliven-Bananen-Rosinen-Pizza aufbringen konnte, und Scott fühlte wieder einmal dieses angenehme Kribbeln im Magen, das ihn überkam, wenn er seiner besten Freundin beim essen zu sah. Er brauchte keine Worte, er verstand auch so, dass diese Pizza und seine Anwesenheit und das Flair des Lokals ihr gerade einen vermutlich mehr als verkorksten Tag versüßt hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)