Ein einfaches Ende von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 13: ------------ Regungslos liege ich im Bett. Mein Blick ist ins Nichts gerichtet. Es ist inzwischen mehr als eine Woche vergangen, seit Masao bei seinem Besuch versuchte, mich von meinem Vorhaben, aus der Band auszusteigen, abzuhalten. Seine Bemühungen waren jedoch vergebens. Bis heute bin ich kein einziges Mal bei den Proben erschienen. Ich gehe weder ans Telefon noch öffne ich die Tür, wenn es klingelt. Die meiste Zeit verbringe ich im Bett. Lediglich vor ein paar Tagen verließ ich die Wohnung, um zu Shinya ins Krankenhaus zu fahren, nachdem ich bei einem Anruf die Auskunft erhielt, dass er aufgewacht ist. Zwar erleichterte mich die Nachricht, andererseits war es auch gleichbedeutend mit dem neuerlichen Abschied von ihm. Ich beschloss, ehrlich zu sein, und erklärte ihm die Beweggründe für mein Handeln. Er hatte Verständnis, seinen Zweitschlüssel nahm er allerdings nicht zurück. Mit einem traurigen Lächeln gestand er mir, dass sich an seinen Gefühlen für mich nie etwas geändert hat und dass er trotz allem hofft, mich nicht ganz verloren zu haben. Deshalb soll ich seinen Schlüssel behalten, damit ich jederzeit Zugang zu seiner Wohnung habe. Meiner Frage, ob er versuchte sich zu töten, begegnete er mit einer Entschuldigung bezüglich seines Verhaltens in den vergangenen Wochen. Insbesondere, dass er mich im Drogenrausch mehrfach gewaltsam zum Sex zwang. Er sprach leise und seine Stimme zitterte bei diesen Worten hörbar. Unfähig auf seine Aussage einzugehen, nahm ich ihn einfach nur in den Arm. Ich habe Angst, ihn allein zu lassen, fühle mich schuldig, weil ich ihn erneut aufgebe. Vor allem in seiner augenblicklichen Situation. Für Taichi muss ich es tun. Bevor ich ging, versprach Shinya mir, die stationäre Behandlung, die sich über Monate erstreckt, nicht abzubrechen. Er möchte seinen Drogenkonsum und sein Leben wieder in den Griff bekommen, wieder arbeiten gehen. Ich halte nicht viel von Therapien, hoffe aber, dass Shinya es schafft. Auch für Shota. Die erneute Trennung von meinem einstigen Freier, der zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben wurde, war nahezu unerträglich. Ich hatte das Gefühl, zu ersticken. Am liebsten wäre ich sofort nach Hause gefahren, nahm jedoch die Bahn nach Shinjuku, um im Koki meine Kündigung abzugeben. Ich weiß, dass der Chef immer nach seinem Urlaub die liegengebliebenen Büroarbeiten vor Ladenöffnung erledigt. Außerdem war die Wahrscheinlichkeit gering, Reiji um diese Zeit anzutreffen. Meine Kündigung nahm der Chef, ohne Fragen zu stellen, entgegen. Vermutlich hatte Reiji ihn bereits informiert. Seufzend drehe ich mich auf die Seite und schließe meine Augen. Das Pulsieren in meinem Kopf ist schmerzhaft stark. Schon seit Tagen. Allerdings achtet Taichi darauf, dass sich nur eine sehr geringe Menge Schmerzmittel in der Wohnung, und für mich zugänglich, befindet. Zudem kontrolliert er in regelmäßigen Abständen sämtliche Schränke und potentielle Verstecke, sodass ich davon absah, einen heimlichen Vorrat anzulegen. Genervt wälze ich mich auf die andere Seite, öffne meine Augen wieder und starre die Wand an. Die vorherrschende Stille im Raum erdrückt mich, Musik ertrage ich im Moment jedoch erst recht nicht. Nach einer Weile höre ich, da die Tür zum Schlafzimmer nicht geschlossen ist, wie der Schlüssel im Schloss der Wohnungstür gedreht wird. Kurz darauf betritt Taichi den Raum. Seufzend setzt er sich zu mir ans Bett. „Was willst du mit deinem offensichtlichen Dahinvegetieren eigentlich beweisen? Dass es ein Fehler ist, von dir zu verlangen, die Menschen, die dir schaden, aufzugeben? Oder willst du mir mit deiner Teilnahmslosigkeit wehtun?“ „Nein“, antworte ich knapp, ohne ihn dabei anzusehen. „Dann steh auf.“ „Wozu sollte ich aufstehen? Eine neue Arbeit brauche ich mir nicht zu suchen, da du bei jedem männlichen Kollegen denkst, ich würde mit ihm ins Bett gehen. Selbst wenn er heterosexuell ist und keinerlei Interesse an mir zeigt. Oder soll ich mir einen Job mit ausschließlich weiblichen Mitarbeitern suchen?“ „Nein, das verlange ich nicht von dir. Ich denke auch nicht, dass du das lange aushalten würdest“, meint mein Freund ungewohnt verständnisvoll. „Konzentriere dich auf deine Band. Geh wieder zu den Proben und arbeite daran, einen Plattenvertrag zu bekommen. War das nicht dein eigentliches Ziel?“ Nun schaue ich Tai an, der aufmunternd lächelt. Mein Gesichtsausdruck bleibt ernst. „So funktioniert das nicht, Taichi. Du kannst die Miete und den Lebensunterhalt für uns beide nicht allein tragen. Wie stellst du dir das vor, wenn in Zukunft mein Einkommen vom Koki wegfällt? Du weißt, dass ich für einen Aushilfsjob gut bezahlt wurde.“ „Klar, weil du mit Sicherheit nicht nur für die Arbeit in der Bar bezahlt wurdest“, bemerkt mein Freund bissig. „Du bist wirklich paranoid. Was meinst du, warum ich dir Reijis Avancen nicht verheimlichte? Ich hoffte, mehr Vertrauen von dir entgegengebracht zu bekommen, wenn ich dir freiwillig davon erzähle. Würde ich mit Reiji schlafen wollen, wäre Schweigen sinnvoller gewesen.“ „In deinem Fall kann Ehrlichkeit aber auch kalkuliert sein, um einen falschen Anschein zu erwecken. Ist es nicht so?“ Betreten wende ich meinen Blick ab, um nicht Taichis schmerzlichen Gesichtsausdruck sehen zu müssen. Eine Antwort bleibe ich ihm schuldig, wobei die Frage ohnehin rhetorisch gemeint war. „Allerdings will ich versuchen zu glauben, dass du Reiji und Shinya tatsächlich aufgegeben hast und somit beginnen erneut Vertrauen zu dir aufzubauen. Gib mir nur etwas Zeit, okay?“ Das Läuten der Türklingel unterbricht unser Gespräch. Mein Freund erhebt sich und geht in den Flur, um zu öffnen. Ein knapper Wortwechsel, dessen Inhalt ich nicht verstehe, ist zu hören. Kurz darauf kommt Taichi zurück, gefolgt von meinem Chef aus dem Koki. „Er muss etwas mit dir klären. Aber nur in meinem Beisein“, erklärt Tai bestimmt. Mein Chef scheint einverstanden zu sein. Er setzt sich zu mir ans Bett. Verwundert richte ich mich auf. „Bist du krank?“, fragt er besorgt. Ich lächle matt. „Nein, ich bin nicht krank. Warum sind Sie hier?“ „Wegen deiner Kündigung. Oder vielmehr wegen Reiji.“ Unwillkürlich schaue ich zu Taichi, dessen Blick sich bei der Erwähnung des Namens meines einstigen Arbeitskollegen sofort verfinstert. „Was ist mit Reiji?“ , will ich wissen, ohne meinen Freund aus den Augen zu lassen. „Er bat mich, deine Kündigung nicht anzunehmen und dir stattdessen unbezahlten Urlaub zu geben. Seiner Meinung nach ist es nicht deine Entscheidung und mit der Erkenntnis wirst du den Schritt garantiert bereuen. Deshalb will er dir Zeit geben, damit du alles noch einmal überdenken kannst. Bis dahin übernimmt er deine Schichten zusätzlich. Dass ich dagegen bin, interessiert ihn nicht, weshalb ich ihn vorerst gewähren lasse. Du musst ihm wirklich sehr viel bedeuten. Auf Dauer kann und will ich diesen Zustand jedoch nicht tolerieren. Die Doppelbelastung wird für Reiji zu viel. Entschuldige, falls ich unsensibel bin, aber ich brauche eine verbindliche Stellungnahme von dir. Besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass du zurückkommst, oder ist es lediglich Reijis Wuschdenken? In diesem Fall sehe ich mich leider gezwungen, eine andere Aushilfe zu beschäftigen. Mit Sicherheit wird Reiji ziemlich sauer werden, trotzdem ist mir seine Gesundheit wichtiger. Ich hoffe, du verstehst meinen Standpunkt, Yamato.“ Es fällt mir schwer, Taichis durchdringendem Blick standzuhalten. Gefügig senke ich meinen Kopf. „Ich bleibe bei meiner Kündigung“, erkläre ich leise und versucht emotionslos, dabei klingt meine Stimme einfach nur brüchig. „Das ist schade. Besonders für Reiji hoffte ich auf eine positive Antwort. Nun, es lässt sich nicht ändern. Allerdings wäre ich dir dankbar, wenn du ihm deine Entscheidung noch einmal verdeutlichst.“ „Ich werde mit ihm sprechen“, mischt sich Tai unerwartet in das Gespräch ein. „Allein. Sollte dieser Typ einsichtig und kooperativ sein, verlange ich nicht mehr von dir, den Job aufzugeben.“ Die Mimik meines Chefs nimmt bei diesem mutmaßlichen Kompromiss einen seltsamen Ausdruck an. Auf ihn muss die Situation wirken, als sei ich meinem Freund hörig. Bin ich es inzwischen vielleicht sogar? Wann habe ich aufgehört, mich zu wehren? Wann verlor ich meinen eigenen Willen? Puppe, eine Bezeichnung, die ich in letzter Zeit häufiger hörte. Leblos und nur zum Ficken zu gebrauchen. „Taichi, ich möchte nicht, dass du Reiji triffst. Schon gar nicht allein“, widerspreche ich mit Nachdruck. „Meinetwegen. Dann halte dich in Zukunft von diesem Laden fern, hast du verstanden?“ „Allmählich verstehe ich Reijis Wut auf deinen Freund“, wirft mein Chef plötzlich ein und wendet sich dann direkt an ihn. „Merkst du nicht, dass du Yamato mit deiner Eifersucht und dem daraus resultierendem Verhalten quasi entmündigst? Ich bestreite nicht, dass du ihn liebst, denn das ist offensichtlich. Im Gegenteil, ich befürchte, dass deine Gefühle zu stark, gefährlich stark sind. Dabei bedeutet Kontrolle nicht unbedingt Unterdrückung. Indem du auf Yamatos Bedürfnisse eingehst, kannst du ebenfalls Kontrolle ausüben.“ Tai beginnt zu lachen. „Sie lassen sich von Yamatos manipulativer Art täuschen. Er ist kein unbeschriebenes Blatt. Und würde ich auf seine Bedürfnisse eingehen, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit bereits tot. Sie kennen die Hintergründe nicht, also unterlassen Sie es, zu urteilen, vor allem, zu verurteilen.“ Der Tonfall meines Freundes ist freundlich, höflich. Wie immer zeigt er diese widerliche Maske geheuchelten Respektes, die ich so sehr hasse und die auf mich oft bedrohlich wirkt. „Du hast recht. Es liegt mir fern, mich in eure Beziehung einzumischen. Ich bin hauptsächlich wegen Reiji hier.“ „Lieben Sie Reiji?“, frage ich unvermittelt. Mit ernster Miene schaut mein Chef mich an. „Ja“, gesteht er unerwartet und mit gefestigter Stimme. „Sie haben es ihm nie gesagt.“ „Nein. Das werde ich auch nicht. Eine Beziehnung mit ihm einzugehen, wäre unverantwortlich. Meinetwegen wandte sich seine Familie von ihm ab. Weil ich meine Gefühle und mein Verlangen nach ihm nicht im Griff hatte.“ „Reiji erwähnte den Vorfall“, bemerke ich mitfühlend, da ich an Hiroaki und meine Beziehung zu ihm denken muss. „Vor einiger Zeit traf ich seinen Vater zufällig. Die wenigen Sätze, die er mir feindselig entgegenbrachte, schockierten und ernüchterten mich gleichermaßen. Eigentlich hatte ich die Hoffnung, dass Reiji irgendwann wieder Kontakt zu seiner Familie haben wird. Sein Vater jedoch empfindet nichts als Abscheu, Ekel und Verachtung für seinen Sohn.“ Die Finger meines Chefs verkrampfen sich im Stoff seiner Hose. „Um ehrlich zu sein, habe ich nach dieser Begegnung sogar Angst, der Vater könnte Reiji wegen der Schande für die Familie etwas antun, sollte er ihn jemals wiedersehen. Zumindest machte er dahingehend Andeutungen. Am schlimmsten war jedoch die Schilderung, wie er seinem Sohn zuvor die Perversion austreiben würde.“ Im Augenwinkel sehe ich Taichi, dessen Gesichtsausdruck keinerlei Emotionen zeigt. Seine Augen sind starr auf meinen Chef gerichtet. „Ich denke, ich kann Reiji besser schützen, wenn ich einen gewissen Abstand wahre.“ „Warum gehen Sie dann trotzdem mit ihm ins Bett? Kennen Sie Reijis Gefühle eigentlich?“ „Sein Interesse gilt eindeutig dir. Im Übrigen muss ich mich bei dir entschuldigen. Ich wusste nicht, dass du einen Freund hast, sonst hätte ich nie versucht, dich mit Reiji zu verkuppeln.“ Trotz der Aussage bleibt Taichi unerwartet reglos. „Sein Interesse ist rein körperlich. Eigentlich bin ich nicht einmal sein Typ. Ist Ihnen wirklich nie aufgefallen, was er für Sie empfindet? Die vielen wechselnden Sexualpartner sind meiner Meinung nach lediglich Ablenkung. Zudem weiß er, dass Sie ihn abweisen würden. Gefühlsmäßig kann er sich dennoch auf keinen anderen Mann einlassen. Wahscheinlich auch deshalb, weil er die Art Ihrer Zuneigung richtig deutet. Können Sie sich vorstellen, wie schmerzhaft diese Tatsache für ihn sein muss? Bitte tun Sie ihm nicht noch mehr weh und überdenken Sie Ihre Entscheidung, denn...“ „Yamato! Es reicht“, weist Taichi mich schroff zurecht. „Ich sagte vorhin zu deinem Chef, er soll sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen. Das gleiche gilt für dich. Seine Beziehungsprobleme gehen dich nichts an.“ „Wäre diese Verbindung nicht auch für dich von Vorteil?“, gebe ich zu bedenken. „Es gibt Menschen, die sich trotz festem Partner von jedem ficken lassen“, erwidert mein Freund gespielt beiläufig. Ich lächle sanft. „Nicht Reiji. Er kann unerwartet konservativ sein.“ „Dann brauchst du wegen meines Gespräches mit ihm keine Angst zu haben. Er wird meine Bedingungen verstehen und du kannst deinen Job behalten.“ „Nein. Taichi...“, versuche ich einzuwenden, doch mein Freund ignoriert mich und wendet sich an meinen Chef. „Wann hat er Schicht? Ich möchte diese Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich bringen.“ Der abfällige Unterton ist deutlich zu hören. „Wenn es dir zeitlich passt, kannst du mich gleich begleiten.“ „In Ordnung. Ich tausche nur schnell den Anzug gegen etwas Bequemeres.“ Mein Chef nickt, woraufhin Tai sich erhebt und zum Kleiderschrank geht. Missmutig beobachte ich, wie er sich direkt im Zimmer umzieht und dabei ebenso von meinem Chef genau gemustert wird. Ich bin mir sicher, dass diese Provokation beabsichtigt ist. „Tai, führst du das Gespräch bitte draußen?“ Er sieht zu mir. Seine Mimik zeigt, dass er weiß, worauf ich hinaus will. Meinen Chef hingegen scheint die Aufforderung zu irritieren. Offenbar erzählte Reiji nichts von Taichis Alkoholabhängigkeit. Insbesondere aufgrund des kürzlichen Rückfalls habe ich Angst, dass er der Versuchung in der Bar nicht standhalten kann. Wie Reiji auf die Konfrontation reagieren wird, wage ich mir kaum vorzustellen. Zuletzt war er ziemlich wütend auf Tai. Mein ungutes Gefühl verstärkt sich. Gedankenversunken sitze ich in der Küche, meine Hände umschließen eine Tasse wärmenden Kaffees. Als Taichi gestern Abend vom Koki nach Hause kam, sprach er kein einziges Wort mit mir. Er legte lediglich einen Zettel, auf dem mein Dienstplan für die kommende Woche im Koki notiert war, auf den Schrank im Flur, ging duschen und dann ins Bett. Kein Augenkontakt, keine Berührung. Allerdings wirkte er weder wütend noch genervt, wie ich es eigentlich erwartete. Wollte er mich auf Abstand halten, weil er erneut rückfällig wurde und es vor mir zu verbergen versuchte? Den Geruch von Alkohol nahm ich jedoch nicht wahr. Vielleicht reagiere ich über und Tai war nur müde und erschöpft, immerhin kam er gerade erst von der Arbeit, bevor mein Chef mit ihm zum Koki fuhr. Trotzdem wüsste ich gern, wie das Gespräch zwischen meinem Freund und meinem Arbeitskollegen ablief. Insbesondere, wie es Reiji gelang, Taichi bezüglich meines Aushilfsjobs umzustimmen, denn normalerweise beharrt Tai stur auf seiner Meinung. Anzeichen einer gewaltsamen Auseinandersetzung konnte ich nicht erkennen. Welche Argumente brachte Reiji an? Ich greife nach der Schachtel, die vor mir auf dem Tisch liegt, und entzünde eine daraus entnommene Zigarette. Mir darüber Gedanken zu machen, ist Unsinn. Ich muss einen der beiden fragen, wenn ich Antworten bekommen möchte. Allerdings fürchte ich, dass sowohl mein Freund als auch Reiji schweigen werden. Tais Verhalten gestern Abend zeigte mir eindeutig, dass er nicht vorhat, über das Geschehene zu sprechen. Und sollte Taichi meinen Arbeitskollegen dazu angewiesen haben, wird auch dieser nichts sagen. Diesbezüglich ist Reiji ziemlich loyal. Unzufrieden ziehe ich an meiner Zigarette. Das ungute Gefühl wird immer stärker. Eine unbestimmte Angst, die allmählich übermächtig zu werden droht. Ich atme tief durch. Der sinnlose Versuch, ruhiger zu werden. Mein Herzschlag beschleunigt sich, meine Muskeln verkrampfen, ich bekomme kaum Luft. Je mehr ich mich zwinge, die Kontrolle zu behalten, desto mehr verliere ich sie. Fahrig drücke ich die erst zur Hälfte gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. Ein unangenehmer Druck legt sich auf meine Kehle und erschwert mir das Schlucken. Dass Tränen über meine Wangen laufen, realisiere ich kaum. Wie fremdgesteuert taumle ich in den Flur, inzwischen krampfhaft weinend. Immer wieder muss ich mich an der Wand abstützen, um einen Zusammenbruch zu verhindern. Im Bad jedoch sinke ich kraftlos zu Boden. Verzweifelt schlage ich wiederholt mit der Faust auf die kalten Fliesen. Den dumpfen Schmerz spüre ich kaum, weshalb ich wütend härter zuschlage. Kurz verspüre ich den Drang, zur Rasierklinge zu greifen, mein offenbar noch vorhandener Überlebensinstinkt hält mich allerdings davon ab. Ebenso der Gedanke an Taichi und das ihm gegebene Versprechen, nicht mehr selbst Hand an mich zu legen. Ich sacke vollends in mich zusammen und bleibe schluchzend auf dem Boden liegen. Das Gefühl der Überforderung lastet schwer auf mir und ich bin kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Unzählige Stimmen schreien in meinem Kopf durcheinander, treiben mich an den Rand des Wahnsinns, doch gleichzeitig empfinde ich nichts als Leere. Warum gelingt es mir nach wie vor nicht, das Weinen zu unterdrücken? Generell begreife ich nicht, was gerade passierte. Wie kam es zu diesem Kontrollverlust, der in einem Zusammenbruch endete? Meine Erinnerungen sind verschwommen, alles fühlt sich irgendwie irreal an. Es dauert lange, bis ich aufgrund von Erschöpfung schwer atmend, aber ansonsten reglos liegen bleibe. Stille umgibt mich. Erst als mein Körper wegen der Kälte zu zittern beginnt, stehe ich angestrengt auf, wobei ich mich am Wannenrand abstützen muss. Langsam schleppe ich mich zurück in die Küche, entzünde fahrig eine Zigarette. In kurzen Abständen führe ich sie immer wieder an meine bebenden Lippen, inhaliere den Rauch tief. Geschwächt lasse ich mich auf den Stuhl fallen und schließe die Augen. Das schmerzhafte Pulsieren in meiner Hand, welches ich nun bewusst wahrnehme, ist angenehm, beruhigend. Nur auf Dauer wahrscheinlich nicht ausreichend, da ich bereits jetzt keine wirkliche Befriedigung mehr empfinde. Plötzlich höre ich, wie ein Schlüssel in der Wohnungstür gedreht wird. Gleich darauf schaut mein Vater in die Küche. „Papa?“, frage ich überrascht. Meine Stimme klingt kratzig. „Was machst du hier?“ Er weicht meinem Blick aus. Offenbar ist ihm die Antwort unangenehm. „Na ja... ich habe heute einen freien Tag und... also, Taichi bat mich, nach dir zu sehen. Weil er arbeiten muss und du... allein bist.“ Nachdem er sich seiner Schuhe und Jacke entledigte, betritt mein Vater den Raum und nimmt mir gegenüber am Tisch Platz. Mein Blick verfinstert sich. Ich ziehe noch zwei Mal kräftig an meiner Zigarette und drücke sie anschließend resolut im Aschenbecher aus. Wortlos gehe ich an meinem Vater vorbei, um die Küche zu verlassen, doch der hält mich am Handgelenk fest. „Lass mich los! Du kannst wieder gehen. Und hör auf, Taichis Kontrollsucht zu unterstützen.“ „Yamato, er macht sich nur Sorgen um dich. Offenbar zurecht. Was hast du mit deiner Hand gemacht? Die ist total geschwollen.“ Genervt winde ich meinen Arm aus der Umklammerung, beschließe aber, ehrlich zu sein. „So richtig kann ich mir mein Handeln auch nicht erklären, aber ich glaube, mein Selbsthass wurde für einen Moment übermächtig. Im Nachhinein fühlt es sich nicht einmal real an. Meine Erinnerungen sind wie vernebelt.“ Besorgnis zeichnet sich im Gesicht meines Vaters ab. „Du solltest die Schwellung kühlen. Und einen Arzt aufsuchen, um sicher zu gehen, dass es sich bei der Verletzung nur um eine Prellung handelt.“ „Ich kann die Hand ohne Einschränkung bewegen. Darüber hinaus bin ich an einer Schmerzlinderung oder Heilung nicht interessiert. Im Gegenteil, es reicht nicht.“ Mit diesen Worten beuge ich mich zu meinem Vater hinab, streife mit meinen Fingern durch seine kurzen Haare und küsse seine Stirn. Dann blicke ich ihm mit einem Lächeln in die Augen. „Würdest du mir wehtun, wenn ich dich darum bitte, Hiroaki?“ „Was soll das, Yamato? Und du wunderst dich bei solchen Aussagen und derartigem Verhalten wirklich, dass ich an deinem Verstand zweifle?“ „Es ist ganz einfach.“ Aus einer der Schubladen entnehme ich ein Messer, welches ich meinem Vater in die Hand lege und mit seinen Fingern fest umschließe. Dann ziehe ich den linken Ärmel meines Pullovers nach oben und führe die Hand meines Gegenübers so, dass die Klinge meine Haut leicht berührt. „Verewige dich auf mir, Hiroaki“, flüstere ich voller Begierde. „Bist du weiterhin der Meinung, dass du ohne Therapie noch zurecht kommst? Ich habe das Gefühl, dass dein Drang zur Selbstzerstörung wieder mehr und mehr deine Gedanken und dein Handeln bestimmt. Auch scheint dir vieles, was dir früher etwas bedeutete, mittlerweile egal zu sein, wenn du deine Hand inzwischen bereitwillig deiner Wut opferst, obwohl du Gitarre in einer Band spielst.“ Während er spricht, verharrt sein Blick auf den Vernarbungen. „Dein Unterarm ist völlig zerschnitten, die Haut bereits uneben wegen der zahllosen Narben. Obwohl ich nach all den Jahren daran gewöhnt sein müsste, schockiert mich der Anblick deines Körpers, die Resultate deines Selbsthasses, jedes Mal zutiefst, wenn ich damit konfrontiert werde.“ Behutsam legt mein Vater das Messer aus der Hand, streicht mit seinen Fingern vorsichtig über die von mir entblößten Male. Anschließend zieht er mich in eine innige Umarmung. „Bitte denk noch einmal über eine Therapie nach, okay?“ Wortlos schiebe ich meinen Gegenüber von mir und verlasse die Küche. Im Flur ziehe ich Jacke sowie Schuh an. „Wohin willst du?“, fragt mein Vater, der mir folgte, alarmiert. „Raus.“ „Ich begleite dich.“ „Nein“, entgegne ich bestimmt. „Ich brauche keinen Aufpasser. Geh wieder nach Hause und verschwende meinetwegen nicht deinen freien Tag.“ Zu wissen, dass er nur auf Taichis Befehl hier ist, macht die Situation für mich unerträglich. „Auch ich mache mir Sorgen um dich. Schließlich bist du mein Sohn.“ Schmerzhafte Zuneigung erfüllt mich und Hitze durchströmt meinen Körper bei dem Gedanken, von meinem Vater berührt zu werden, mit ihm zu schlafen. Vergeblich versuche ich das Verlangen und meine Erregung niederzukämpfen. Doch es scheint egal zu sein, wie viele Jahre vergehen, meine Gefühle für ihn werden offenbar nicht schwächer. Dabei wollte ich mit der Trennung von Shinya niemanden mehr, abgesehen von Taichi, an mich heranlassen. Hastig nehme ich mein Portemonnaie und den Schlüssel vom Flurschrank und öffne die Tür. „Yamato, warte!“ Ohne zu reagieren, laufe ich eilig aus der Wohnung. Mit gemischten Gefühlen betrete ich die Bar in Shibuya, die ich vor einigen Jahren das letzte Mal aufsuchte und an die ich nicht die besten Erinnerungen habe. Am Eingang lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Die Anzahl der Gäste ist noch überschaubar, was sich im Laufe des Abends mit Sicherheit ändern wird. Ich schaue zum Barkeeper, den ich ohne Zweifel wiedererkenne. Noch mehr zieht jedoch der vor ihm sitzende Mann meine Aufmerksamkeit auf sich. Offenbar habe ich Glück. Zielgerichtet gehe ich auf die beiden zu. Sie unterhalten sich angeregt, ihr Umgang miteinander wirkt sehr vertraut, nahezu intim. Schweigend setze ich mich neben den Mann, der mich damals auf der Straße ansprach, in diese Bar mitnahm und mir Drogen verabreichte, um meinen Körper gemeinsam mit seinem Freund als Sexspielzeug zu benutzen. Als dieser sich mir zuwendet, um die Bestellung aufzunehmen, hält er plötzlich inne und mustert mich nachdenklich. „Bist du nicht der kleine Junkie, der für Drogen alles mit sich machen lässt? Ich hätte nicht gedacht, dass du noch lebst.“ Jetzt betrachtet mich auch der Mann neben mir eingehend. Ein Lächeln legt sich auf seine Lippen, als er mich zu erkennen scheint. „Es ist lange her.“ Anzüglich legt er seine Hand auf meinen Oberschenkel. Dann beugt er sich zu mir, wobei seine Finger zwischen meine Beine gleiten. „Nur schade, dass dich nicht die Sehnsucht nach mir hierher führte“, haucht er gespielt deprimiert in mein Ohr. Ich bleibe unbewegt. „Gibst du mir bitte den Schlüssel für die Wohnung?“, wendet sich mein Gegenüber nun an seinen Freund. „Ich ziehe es vor, meine Geschäfte nicht in der Öffentlichkeit abzuwickeln.“ Zunehmend nervös folge ich in die Räumlichkeiten, in denen ich schon einmal rückfällig wurde. „Es hat sich nicht viel verändert“, bemerke ich, während ich auf dem Bett Platz nehme. „Stimmt. Abgesehen davon, dass ich inzwischen die Firma meines Vaters übernommen habe.“ „Trotzdem dealst du weiter?“ „Natürlich. Das ist für mich der einfachste Weg, meine Vorlieben zu befriedigen.“ „Wie ich sehe, hast auch du dich nicht verändert.“ Der Angesprochene kommt auf mich zu und bleibt dicht vor mir stehen. Grob dreht er mein Gesicht mit seinen Fingern an meinem Kinn zu sich, um mich zu zwingen, ihn anzusehen. „An welche Substanz dachtest du?“ „Heroin“, antworte ich, ohne überlegen zu müssen. „Wie willst du zahlen? Mit Geld oder mit deinem Körper?“ Da die Finanzierung der Droge auf Dauer nicht unbemerkt bleiben würde, habe ich keine Wahl. „Mit meinem Körper.“ Ich möchte meinen Kopf von ihm abwenden, doch mein Gegenüber verstärkt seinen Griff schmerzhaft. „Hast du einen Freund? Ich nehme keine Rücksicht auf verräterische Spuren.“ „Das erwarte ich auch nicht. Allerdings bitte ich dich, mich auf Heroin zu vögeln.“ In dieser Wohnung besteht keine Gefahr, von Taichi oder meinem Vater zugedröhnt gefunden zu werden, und ein besserer Ort, um mir einen Schuss zu setzen, fällt mir momentan leider nicht ein. Zudem will ich Taichi vergessen, solange ein anderer Mann in mir ist. Solange ein anderer Mann seine Perversion an mir auslebt. „Stehst du nicht mehr auf Schmerz? Oder kannst du deine Schuldgefühle nicht ertragen?“ Ich antworte nicht. Gebieterisch drückt mich der Dealer auf die Matratze des Bettes und zwingt mir einen heftigen Kuss auf, dabei öffnet er mit seiner Hand meine Hose. Dann löst er sich von mir, entledigt mich dieser und drückt meine Beine auseinander. Mit zwei Fingern dringt er in mich ein, meine Mimik genau beobachtend. „Wie heißt du eigentlich? Unsere Namen haben wir damals nicht genannt, oder?“ „Yamato“, bringe ich keuchend hervor. Inzwischen spüre ich einen dritten Finger in mir. „Ich bin Katsuro“, stellt er sich mit einem Lächeln vor. Kurz darauf entfernt er seine Finger aus mir und öffnet seine eigene Hose. „Nein... nicht so...“, wende ich schwach ein. „Keine Angst, du bekommst deinen Schuss gleich. Aber zuvor will ich dein erregtes Gesicht sehen.“ Mit harten Stößen dringt Katsuro in mich ein. Je intensiver ich ihn spüre, desto präsenter wird Taichi in meinen Gedanken. Ich versuche mir vorzustellen, dass er gerade mit mir schläft, doch es gelingt mir nicht. Ungewollt entweicht leises Stöhnen meiner Kehle. „Obwohl ich dich gegen deinen Willen ficke, gefällt es dir. Du bist mindestens genauso pervers wie ich, Yamato. Nur in umgekehrter Weise. Aber das macht den Reiz aus, dich zu erniedrigen. Ich will deinen unterwürfigen Stolz brechen.“ Unerwartet lässt Katsuro von mir ab. „Erledige den Rest mit deinem Mund.“ Schweigend befolge ich seinen Befehl, bis die warme Körperflüssigkeit meinen Rachen hinabläuft und Übelkeit in mir hervorruft. Gefühlstaub sinke ich wieder auf die Matratze und starre teilnahmslos zur Decke, während Katsuro sich ins Nebenzimmer begibt. Nach einer Weile kommt er mit einer aufgezogenen Spritze samt Gurt in der Hand zurück und setzt sich zu mir auf das Bett. Sanft streichelt er über meine Wange. „Ich habe hier dein Ticket ins Land der Träume. Nur eine Formalität muss noch geklärt werden. Gibt es Sexpraktiken, die untersagt sind, also die du mir verbietest?“ „Nein. Es sollten nur langfristig keine schweren körperlichen Schäden bleiben. Über derartige Praktiken möchte ich selbst entscheiden und diese dann auch bewusst erleben.“ Lachend beugt sich Katsuro über mich. „Du bist echt unglaublich.“ Sanft küsst er meine Lippen, dann legt er den Gurt um meinen rechten Oberarm und zurrt ihn fest. Ich schließe meine Augen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. „Träum süß, Yamato“, flüstert Katsuro, anschließend setzt er mir den ersehnten Schuss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)