Ein einfaches Ende von GotoAyumu (Yamato Ishida x Taichi Yagami) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Ich öffne meine Augen. Für einen kurzen Moment bin ich orientierungslos, erkenne dann allerdings die Kücheneinrichtung. Müde richte ich mich auf, dabei bemerke ich, wie eine Decke von meinen Schultern rutscht und zu Boden fällt. Anscheinend war Taichi noch einmal hier und fand mich schlafend vor, wollte mich jedoch nicht wecken. Ich wünschte, er hätte es getan, denn durch die unbequeme Haltung schmerzt mein gesamter Körper. Durch Strecken versuche ich mich etwas zu lockern, anschließend reibe ich über meine brennenden und vom Weinen salzig verklebten Augen. Ich trinke einen Schluck des inzwischen kalten Kaffees, zünde mir eine Zigarette an und versuche mich gedanklich auf den Rohentwurf des Textes für das neue Lied zu konzentieren. Die Melodie schrieb ich bereits vor einigen Tagen, nur die Feinheiten, die Anpassung von Melodie und Text sind abschließend noch vorzunehmen. Ob Taichi schon schläft? Sein Blick, als er vorhin die Küche verließ, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Er drückte Besorgnis, aber auch Verärgerung sowie Haltlosigkeit aus. Zwar ist mir bewusst, dass ich für diese Gefühle verantwortlich bin, trotzdem schaffe ich es nicht, sie ihm wieder zu nehmen. Warum bleibe ich in solchen Situationen immer völlig reglos, obwohl ich Tai einfach nur umarmen, ihm Kraft und Halt geben möchte? Ich liebe ihn, auch wenn ich es manchmal nicht fühlen kann. Mein Selbsthass und der Drang, mir Schmerz zuzufügen, mich endgültig zu zerstören, sind zu egoistisch, um mich in solchen Situation auf meinen Freund reagieren zu lassen. Viel zu sehr bin ich in mir, in meiner Apathie gefangen. Doch wenn mir all das bewusst ist, warum schaffe ich es dann nicht, mein Verhalten zu ändern? Will ich es ändern? Oder will ich nicht vielmehr Taichi verletzen, weil ich auch mich damit verletze? Weil ich mich am meisten verletzen kann, wenn ich ihn verletze? Weil ich mich auf diese Weise am meisten hassen kann? Ich nehme einen letzten Zug von meiner Zigarette, dann drücke ich sie im Aschenbecher aus und verlasse die Küche. Im Bad putze ich meine Zähne, vermeide es dabei, in den Spiegel zu sehen. Routiniert schlucke ich einige Kopfschmerztabletten mit etwas Wasser hinunter, gehe anschließend leisen Schrittes ins Schlafzimmer und entkleide mich mit bedächtigen Bewegungen. Vorsichtig, um Taichi nicht zu wecken, lege ich mich ins Bett und schließe die Augen. „Hast du den Song fertigbekommen?“, fragt Tai unerwartet, mit rauer Stimme. „Du bist wach? Meinetwegen?“ „Nein, ich war schon wach.“ Er rutscht an mich heran und umfängt mich von hinten mit seinen Armen. Ich lasse es geschehen, schmiege mich sogar enger an ihn. „Die Probe ist erst am Nachmittag. Wenn ich zeitig aufstehe, dürfte die Zeit noch reichen. Momentan bringt es einfach nichts, an dem Lied zu arbeiten, da ich mich nicht darauf konzentrieren kann.“ Sanft streichelt Tai durch meine Haare. „Du wirkst auch sehr unausgeglichen. Bist du in der Lage, zu reflektieren, woran es liegt?“ „Nein. Ich merke zwar, dass nicht alles in Ordnung ist, habe jedoch keine Ahnung, worin das Problem liegt.“ „Sprichst du deshalb nicht mit mir darüber?“, hakt mein Freund nach, während er mit seinen Fingern über meine nackte Haut gleitet. „Taichi…“, keuche ich eher gequält als lustvoll, während ich versuche seine Hand daran zu hindern, mir einen runterzuholen. „Ich will dich, Yamato.“ „Es ist bereits nach drei Uhr und du musst heute arbeiten, oder?“ „Ich muss aber erst gegen sieben Uhr aufstehen. Wir haben somit genügend Zeit.“ Meine Gegenwehr lässt nach und ich kann ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. „Ich liebe den Klang deiner Stimme, wenn du erregt bist.“ Ein unangenehmes Gefühl ergreift Besitz von mir, welches unterschwellig eigentlich schon die ganze Zeit präsent ist. „Nimm mich, Taichi“, hauche ich kaum hörbar. Zwar gebe ich mich meinem Freund hin, meine Gedanken jedoch sind noch immer bei Shota. Genervt lange ich zum sechsten Mal zu meinem Nachtschrank und schlage suchend nach meinem Wecker, um ihn für die nächsten fünf Minuten zum Schweigen zu bringen. Dann ziehe ich die Decke über meinen Kopf und brumme missmutig in mein Kissen. Ich hasse den Morgen. Ich hasse es, Tag für Tag zu erwachen. Ich hasse es, aufstehen zu müssen. Immer wieder dieselben Gedanken. Nichts ändert sich. Zumindest solange nicht, bis ich dem Ganzen ein Ende setze. Eine Erkenntnis, die ich letztlich doch nie umsetze. Ein weiteres Mal ertönt der Alarmton. Ich ändere meine Taktik und ignoriere ihn, was den Nervtöter lediglich dazu veranlasst, hysterischer zu werden. Aber ich bleibe hartnäckig, bis er aufgibt und verstummt. Nach einer gefühlten, meinen Geduldsfaden prüfenden Ewigkeit. Vorerst. Um mich in Sicherheit zu wiegen. Ich blinzele unter der Decke hervor und starre auf die leere Stelle neben mir. Taichi sollte dort liegen, doch wenn ich aufwache, ist er meist schon auf Arbeit. Eingewickelt in meine Bettdecke robbe ich auf seine Seite und vergrabe mein Gesicht in seinem Kopfkissen. Sein Duft haftet noch in dem Stoff. Sehnsucht erfasst mich und ich muss an die letzte Nacht denken. Ich glaube, Taichi bemerkte, dass meine Gedanken nicht ihm galten. Zudem konnte ich mich nicht richtig fallen lassen, war zu verkrampft, weshalb andererseits durch den Schmerz der Sex sehr intensiv wurde. Der Wecker erinnert mich erneut auf penetrante Art daran, endlich aufzustehen. Mürrisch schalte ich ihn aus und gebe seinem Begehren nach, ohne jedoch darauf zu verzichten, ihm einen giftigen Blick zuzuwerfen. Bevor ich meine Zähne putze, setze ich in der Küche Kaffee auf. Im Bad fällt mein Blick auf den Spiegel. Für einen kurzen Moment schaue ich mein Ebenbild an. Ich verstehe nicht, warum manche Menschen sich selbst so gern betrachten. Vor allem frage ich mich, was sie eigentlich sehen. Sehen sie wirklich sich selbst? Mir starrt meist eine fremde Person entgegen, das Gesicht oft ausdruckslos, so wie jetzt auch. Ich wende mich ab, gehe unter die Dusche und kleide mich dann im Schlafzimmer an. Es ist kalt in der Wohnung, weshalb ich über mein langärmliges Shirt noch einen dicken Pullover ziehe. Anschließend gehe ich zurück in die Küche, fülle eine Tasse mit Kaffee und zünde mir am Tisch eine Zigarette an. Ich versuche über das Lied nachzudenken, doch meine Konzentration ist genauso schlecht wie in der Nacht. Wenn ich mich nicht endlich zusammenreiße, werde ich bis zur Probe nicht mehr fertig. Unzufrieden drücke ich die Zigarette im Aschenbecher aus und gehe zum Kühlschrank. Nahezu leer. Bevor ich mich also auf den Weg mache, sollte ich noch schnell im Konbini das Nötigste einkaufen, damit Taichi sich nach seiner Arbeit nicht auch noch darum kümmern muss. Wieder ergreift das Verlangen, ihn sehen zu wollen, Besitz von mir. Mein Herz schlägt schmerzhaft gegen meinen Brustkorb und ich atme tief durch. Warum bin ich in letzter Zeit so abweisend zu ihm, obwohl ich es eigentlich nicht möchte? Seufzend ziehe ich im Flur meine Jacke sowie Schuhe an. Ich weiß es nicht. Aber ich wünschte, ich könnte meinem Freund meine Gefühle mehr zeigen. Vielleicht sollte ich ihm von Shota erzählen. Nein, besser nicht. Mit Sicherheit würde ich dadurch einen weiteren Streit provozieren. Und selbst wenn nicht, muss ich dieses Problem allein lösen. Er kann mir in dem Fall nicht helfen, also sollte ich ihn damit auch nicht belasten. Ich verstaue mein Portemonnaie und meinen Schlüssel in meiner Tasche. Als ich ins Freie trete, schlägt mir kalte Winterluft ins Gesicht. Ich ziehe den Kragen meiner Jacke enger an meinen Hals. Hinter mir höre ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. „Hallo Yamato“, begrüßt mich Kozue mit einem Grinsen. „Ausnahmsweise bist du nicht der Letzte.“ Ich lächle matt und schweife mit meinem Blick durch den Raum. „Wo ist Masao?“, erkundige ich mich, da es untypisch für ihn ist, derart spät zur Probe zu erscheinen. „Keine Ahunung“, wirft Naoki ein. „Bisher hat er sich weder bei Kozue noch bei mir gemeldet. Bei dir offenbar auch nicht. Möchtest du einen Kaffee?“ Auf mein Nicken hin füllt er eine Tasse mit dem koffeinhaltigen Getränk und hält sie mir entgegen. „Zieh deine Jacke aus, Yamato. So kalt ist es hier nicht. Masao kommt schon noch, mach dir keine Sorgen.“ Die Gitarre abstellend lasse ich mich auf einen der Stühle fallen und krame aus meinem Rucksack einen kleinen Schreibblock hervor. „Wenigstens die Melodie ist weitestgehend fertig. Die Feinarbeit nehmen wir, wie immer, beim Einstudieren vor. Allerdings bin ich mit dem Text nicht gut vorangekommen. Dennoch schlage ich vor, dass ihr euch bereits etwas mit diesem Song vertraut macht, während ich mich noch einmal an die Lyrics setze.“ „Du willst den Song unbedingt beim nächsten Gig spielen, oder?“ „Ja, eigentlich schon.“ „Warum, Yamato?“, will Kozue wissen, legt ihre Drumsticks, mit denen sie die ganze Zeit in der Hand spielte, beiseite und langt nach den Zigaretten, die auf dem Tisch liegen. Sie hält mir die Schachtel entgegen. „Danke. Ich will einfach die Gelegenheit nutzen, das Potential des Liedes vor Publikum zu testen. Sollte es gut ankommen, nehmen wir es mit auf das neue Demotape.“ Unruhig ziehe ich an meiner Zigarette, während mein Blick von Kozue zu Naoki schweift und anschließend wieder auf das Blatt Papier, welches vor mir liegt. Flüchtig drückt unsere Schlagzeugerin ihre Zigarette im Aschenbecher aus und setzt sich an ihre Drums. „Du machst mich neugierig.“ Sie fixiert mich prüfend mit ihren durch Kontaktlinsen stechend blauen Augen. „Offenbar bist du mit deinem neuen Werk sehr zufrieden, wenn du sogar Erwartungen für das Demotape in den Song setzt.“ „Ich bin dann damit zufrieden, wenn er ‘So easy’ zu einem Plattenvertrag verhilft.“ Vorsichtig nippe in an meinem noch immer heißen Kaffee, nehme einen letzten Zug von meiner Zigarette, bevor ich sie im Aschenbecher ausdrücke. Gleich darauf drückt auch Naoki die seine aus. Masao ist der einzige Nichtraucher in unserer Band, allerdings stört es ihn nicht, wenn in seiner Gegenwart geraucht wird. „Ich weiß, dass ich mir die Frage eigentlich sparen kann, aber einen Versuch ist es wert. Wir wollen nach der Probe noch etwas trinken gehen. Kommst du mit, Yamato?“ Naoki beginnt zu lachen. „Die Frage kannst du dir wirklich sparen, Kozue“, meint er zu ihr, sieht dabei jedoch in meine Richtung. „Ich muss heute noch arbeiten“, lehne ich, wie offenbar erwartet, ab. „Ah, deine Standardausrede. Diese ominöse Arbeit, über die niemand etwas weiß. Ganz ehrlich, Yamato, existiert sie überhaupt?“, zieht Kozue mich mit einem Augenzwinkern auf. „Denkst du, ich lüge?“, begegne ich ihr gespielt empört. „Keine Ahnung, sag du es mir.“ Eine Antwort meinerseits bleibt aus, da Masao völlig außer Atem die Tür öffnet. „Entschuldigt, dass ich so spät komme“, keucht er. „Schon gut, du hast nur das gegenseitige Necken von Kozue und Yamato verpasst“, witzelt Naoki und spielt beiläufig ein paar Akkorde auf seiner Gitarre. „Also nichts Wichtiges. Ging es wieder um Yamatos geheimes Doppelleben?“ Masao stellt seinen Rucksack ab, entledigt sich seiner Jacke und nimmt sich ebenfalls eine Tasse Kaffee. „So in etwa.“ Naoki lacht erneut. „Was denn?“, bringt sich Kozue plötzlich ein. „Er will sich mit seiner Heimlichtuerei doch nur interessanter machen.“ „Bei dir scheint seine Strategie auch aufzugehen.“ Als Reaktion auf seine Bemerkung dreht sich Kozue vorgeblich beleidigt von Naoki weg. „Strategie?“, murmle ich verdutzt und radiere genervt auf meinem Blatt herum. Nach fünf Jahren habe ich mich daran gewöhnt, dass meine Bandmitglieder über mich sprechen, als befände ich mich nicht im Raum. Anfangs reagierte ich noch darauf, doch inzwischen tue ich einfach so, als wäre ich tatsächlich nicht anwesend. „Bei euch funktioniert es wohl nicht?“, fragt Kozue schmollend. „Ehrlich gesagt, nein. Ob Yamato etwas von sich erzählen möchte, ist seine Sache. Für mich ist beides in Ordnung.“ „Für mich ist es doch auch in Ordnung“, erwidert Kozue seufzend, kommt zum Tisch zurück und zündet sich eine weitere Zigarette an. Mir ist nicht entgangen, dass Masao mich während des gesamten Gesprächs beobachtet hat. Nun widmet er sich seinem Keyboard. Ich frage mich, womit ich immer wieder seine Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Vielleicht sollte ich ihn wirklich endlich einmal darauf ansprechen. Mit der Zeit ist es nämlich anstrengend, ihn zu ignorieren. Zudem bin ich normalerweise ohnehin eher der direkte Typ. Warum fällt es mir bei ihm nur so schwer? Der Klang der Instrumente reißt mich aus meinen Gedanken. Die drei haben sich offenbar meine Noten angesehen und beginnen mit der Probe des neuen Liedes. Ich schaue wieder auf meine Notizen. Shota warf mir vor, ich hätte seine Familie zerstört. Irgendetwas muss in den letzten Jahren also vorgefallen sein. Erzählte Shinya seiner Frau letztlich doch von seiner pädophilen Neigung? Aus Angst, die Kontrolle zu verlieren? Ließ seine Frau sich daraufhin von ihm scheiden und nahm Shota mit sich, um ihn zu schützen? Oder macht Shota mich für das Verhalten seines Vaters verantwortlich? Möglicherweise gibt er mir die Schuld an dem, was sein Vater mit ihm machte. In gewisser Weise hat er damit sogar Recht, weil ich Shinya damals auf Abstand hielt. Jetzt sehe ich auch, dass es ein Fehler war, mich generell von ihm zu trennen. Wie so oft habe ich damals egoistisch gehandelt und ihn einfach im Stich gelassen. Verdammt, auf diese Weise wird der Text nie fertig. Ich schaue zu meinen Bandmitgliedern, die vollkommen konzentriert und wie von mir gewünscht die neue Melodie einstudieren. Seufzend schließe ich meine Augen und versuche einen klaren Kopf zu bekommen. Als Shota vor mir stand, waren seine Augen voller Schmerz und Verachtung. Seinen Hass konnte ich deutlich fühlen. Aber was, außer Rechtfertigungen, könnte ich ihm entgegenbringen? Eine Entschuldigung? Die würde nichts ungeschehen machen. Zudem gibt es nichts, wofür ich mich rechtfertigen oder entschuldigen müsste. Hätte ich seinem Vater meinen Körper nicht zur Verfügung gestellt, hätte er andere Strichjungen gevögelt. „Yamato, die Melodie ist irgendwie…“ „Ich habe noch etwas Dringendes zu erledigen“, unterbreche ich Kozue, packe hastig meine Sachen zusammen und lasse meine Bandmitglieder ratlos zurück. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, nach so langer Zeit wieder vor dieser Tür zu stehen. Das Schild mit der Aufschrift Takano gibt mir jedoch ein wenig Sicherheit. Offenbar wohnt zumindest er noch hier. Trotz allem nervös berühre ich den Klingelknopf und warte. Sogleich vernehme ich Schritte von der anderen Seite, bis die Tür geöffnet wird. Shinya schaut mich müde an, dann allerdings zeigt sich Erkennen auf seinem Gesicht. „Yamato.“ „Ja“, bestätige ich schüchtern. Für einen kurzen Moment stehen wir uns schweigend gegenüber, ohne dass sich die Atmosphäre unangenehm anfühlt. „Komm rein, es ist kalt“, bittet Shinya mich schließlich und tritt einen Schritt zur Seite. Ohne ihn anzusehen, gehe ich an ihm vorbei in die Wohnung. Er schließt hinter mir die Tür. „Zieh deine Jacke aus, wir gehen ins Wohnzimmer. Möchtest du etwas trinken?“ „Wäre Kaffee in Ordnung?“, frage ich und entledige mich dabei meiner Schuhe. Shinya lächelt matt. Es ist die erste halbwegs positive Gefühlsregung, die er mir seit meiner Ankunft entgegenbringt. „Zum Glück gibt es Dinge, die sich nie ändern. Geh bitte schon ins Wohnzimmer, ich bereite in der Küche schnell den Kaffee zu. Noch immer sehr stark und schwarz, nehme ich an.“ Ich nicke, woraufhin er sich abwendet. Beim Betreten des Wohnzimmers fällt mir auf, dass sich die Einrichtung von damals sehr verändert hat. Sie ist wesentlich spartanischer und weniger familiär. Dass ich mit meinen Befürchtungen falsch liege, wird immer unwahrscheinlicher. Eine Tasse in jeder Hand tragend durchquert Shinya den Raum und stellt sie auf dem kleinen Tisch ab, bevor er neben mir auf dem Sofa Platz nimmt. Keiner von uns sagt ein Wort. „Hier hat sich vieles verändert“, beginne ich das Gespräch direkt in die von mir angestrebte Richtung zu lenken, während ich meinen Blick starr auf den Dampf des heißen Kaffees richte. „Ich wohne seit einigen Jahren allein in dieser Wohnung“, bestätigt Shinya letztlich meine Vermutung in monotonem Tonfall. „Was ist passiert… Shinya?“, frage ich nun unvermittelt. Er schweigt. „Shinya“, hake ich nach, schaue ihn aber noch immer nicht an. „Er war dreizehn… als ich mit ihm geschlafen habe.“ Der Stimme meines einstigen Freiers entnehme ich keinerlei Emotionen. Irritiert blicke ich auf und drehe mich zu ihm. „Shota meinte, du hättest ihn nicht vergewaltigt.“ Als er den Namen seines Sohnes hört, sucht mein Gegenüber zum ersten Mal Blickkontakt. „Ihr habt euch getroffen?“ „Mehr zufällig.“ Shinya beugt sich vor, stützt seine Ellenbogen auf seine Oberschenkel und berührt mit seiner Stirn die Daumen seiner sonst zur Faust geballten Hände. „Er tut also nach wie vor so, als wäre nichts geschehen. Aber durch Leugnen oder Schweigen kann er sich nicht davor schützen, an meinem Übergriff zu zerbrechen. So einfach vergisst man nicht und so einfach kann er seinen Hass für mich nicht überwinden.“ Meine Eingeweide ziehen sich schmerzhaft zusammen. Ich fühle widersprüchliche Gefühle in mir aufkommen und schaffe es nicht, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen. „Erst nachdem ich mich an ihm vergangen hatte, realisierte ich meine Tat. Shota weinte nicht, doch der Ausdruck seiner Augen war nicht mehr der eines Kindes. Er verweigerte mir eine Selbstanzeige, weil niemand von dem, das nie passiert ist, erfahren darf. Zudem will er nicht, dass ich durch eine Verurteilung die Möglichkeit bekomme, mein Gewissen zu bereinigen. Er war voller Verachtung, als er sagte, ich soll lieber an meinen Schuldgefühlen zugrunde gehen. Um ihn wenigstens in Zukunft vor mir zu schützen, blieb mir letztlich nur die Scheidung. Seitdem habe ich ihn weder gesehen noch mit ihm gesprochen. Meine Frau kontaktiert mich aber in regelmäßigen Abständen, um mir von Shota zu erzählen. Sie weiß bis heute nicht, was ich unserem Sohn angetan habe. Seine zurückgezogene Art, das teils aggressive Verhalten sowie die strikte Ablehnung meiner Person schreibt sie der Scheidung zu. Sie denkt, dass Shota mir die Schuld am Zerbrechen unserer Familie gibt, womit sie nicht einmal falsch liegt. Er untersagte es ihr sogar, mir ein Foto von ihm zukommen zu lassen. Vermutlich glaubt er, ich benutze es als Wichsvorlage und hole mir bei seinem Anblick einen runter.“ Ich bilde mir ein, ein verzerrtes Lächeln auf seinen Lippen zu sehen, doch gleichzeitig tropfen Tränen auf den Stoff seiner Hose. Hilflos schaue ich zu Boden, unfähig der Situation angemessen zu reagieren. „Du hast deinen Kaffee noch gar nicht angerührt“, bemerkt mein Gegenüber, um Fassung bemüht. „Du auch nicht“, gebe ich sanft zurück. „Shinya?“ Mit ernstem Gesichtsausdruck betrachte ich ihn. „Du siehst furchtbar aus. Was und wie oft konsumierst du, um mit deinem Übergriff und Shotas Verhalten klarzukommen?“ „Alkohol, GHB, Kokain, LSD, Heroin. Täglich. Je nach Verfassung eine oder mehrere Substanzen.“ „Wie schaffst du es, in diesem Zustand zu unterrichten?“, frage ich skeptisch. „Gar nicht. Ich wurde vorübergehend suspendiert und muss mich einer psychologischen Behandlung unterziehen, weil ich alkoholisiert in der Schule erschien. Den Dienst darf ich nur wieder antreten, wenn der Psychologe es bescheinigt.“ Erst jetzt fällt mir der Aschenbecher auf, der sauber, scheinbar unbenutzt auf dem Tisch steht. „Du rauchst?“, hake ich nach. „Gelegentlich etwas Cannabis. Wenn du willst, zünde dir ruhig eine Zigarette an.“ Ich nicke und stehe vom Sofa auf. Das Nikotin brauche ich jetzt wirklich. „Die sind in meiner Jackentasche“, erkläre ich knapp, werde jedoch am Gehen gehindert, da Shinya mich am Handgelenk festhält. Durch die unerwartete Berührung zucke ich heftig zusammen. „Erzählst du mir dann bitte, warum du hier bist?“ Ohne zu antworten löse ich mich aus seinem Griff und verlasse den Raum. Ich fühle mich unsicher und meine von ihm berührte Haut brennt noch immer, verlangt nach mehr. Wäre ich damals nicht so egoistisch gewesen, hätte Shinya seinen Sohn nicht vergewaltigt. Wut und Hass auf mich selbst kriechen in mir empor, erschweren mir das Schlucken. Letztlich veränderte die Lossagung von meinem einstigen Freier nichts in meinem Leben, zerstörte dafür aber das von Shota und Shinya. Wieder zurück im Wohnzimmer setze ich mich an dieselbe Stelle wie zuvor und entzünde eine Zigarette. Tief inhaliere ich den Rauch und schließe meine Augen. „Die Begegnung mit Shota ließ mich nicht mehr los. Ich wollte dich sehen und gab diesem Begehren schließlich nach. Das ist alles.“ „Ich freue mich, dass du hier bist“, gibt er sehr zurückhaltend zu. „Bist du momentan drauf?“ Meine Worte sind weniger als Frage formuliert, da ich mir sicher bin, die Antwort bereits zu kennen. „Nur etwas GHB.“ Geräuschvoll ausatmend drücke ich die Zigarette im Aschenbecher aus und wende mich meinem einstigen Freier zu. „Bitte verzeih mir“, flüstere ich mit gesenktem Kopf. „Yamato. Du fühlst dich schon wieder für meine Fehler verantwortlich.“ Ich spüre seine Finger, die leicht über meine Wange streichen. „Wenn du nicht möchtest, dass ich dich anfasse…“ „Ich möchte es“, unterbreche ich ihn sofort und schiebe seine andere Hand unter meinen Pullover. „Shinya…“ Mit einem Kuss bringt er mich zum Schweigen. Die Vertrautheit seines Geruchs sowie seines Körpers, mit dem er mich behutsam zurück, in eine liegende Position drängt, lässt mich allmählich entspannen. Ich schließe meine Augen, als Shinya mich meiner Hose entledigt und damit beginnt, mir einen zu blasen. Erregt greife ich in seine Haare, lege meinen Kopf in den Nacken und versuche meine beschleunigte Atmung zu kontrollieren. Trotzdem gelingt es mir nicht, ein Stöhnen zu unterdrücken. Ohne sein Tun zu unterbrechen, dringt er mit zwei Fingern in mich ein. Ich bäume mich auf und presse mir eine meiner Hände auf den Mund, um mein lauter werdendes Keuchen zu unterbinden. „Nicht, Yamato. Ich möchte deine Stimme hören.“ Er entfernt seine Finger, um unvermittelt derb in mich einzudringen und mich mit kräftigen Stößen zu penetrieren. Erleichtert stelle ich fest, dass sich an seiner brutalen Art, mich zu nehmen, nichts geändert hat. Ich lasse mich fallen, gebe mich Shinya und dem Schmerz bedingungslos hin. Dennoch gelingt es mir nicht, Taichi für den Augenblick zu vergessen. Vielleicht aber auch gerade deshalb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)