Pirates of Japan von Bambusbesen ================================================================================ Kapitel 4: Tumult in Singapur ----------------------------- Sasori stand mit verschränkten Armen vor dem massigen Tisch der Messe. Die Seekarten lagen sorgfältig aufgefaltet vor ihm. Der prüfende Blick aus den braunen Augen folgte Deidaras Händen. In den schlanken Fingern hielt der Bursche einen Abgleichzirkel und einen Winkelfasser. Er sollte die beste Route nach Singapur berechnen. Bisher stellte er sich passabel an. Die schwierigen Gewässer hatte er sich gemerkt und suchte einen geeigneten Weg, sie zu umschiffen. Sasoris Augen glitten von den fremden Fingern ab über die dünnen Linien auf dem Papier. Die Karten hatte er eigens angefertigt. Bei den gepfuschten Darstellungen der ach so hoch geschätzten Meister entsprachen die Maßstäbe nicht annähernd seinem Bedürfnis nach Perfektion. Gutgläubige Seemänner liefen Gefahr, auf See zu verdursten, bevor sie einen sicheren Hafen ansteuerten. Oder sie manövrierten ihr Schiff geradewegs in einen tödlichen Strudel. Es war immer besser, sich auf die eigenen Fähigkeiten zu verlassen. Sasoris Berechnungen waren exakt. Deidara beugte sich tiefer über den Tisch. Die blonden Haarspitzen streiften federleicht das Papier. Langsam trat der Steuermann näher zu seinem Schützling. Sein Blick wanderte an dessen Rücken hinab zu dem kleinen Hintern, der unter dem Stoff verborgen lag. Der Bengel war garantiert unberührt. Allein der Gedanke an die betörende Enge löste einen gierigen Schauer in ihm aus. Genervt schnaubte Sasori. Deidara hielt inne und wandte sich zu ihm um. „Hab ich was falsch gemacht, hm?“, fragte er. Dieser fragende Ausdruck in den blaugrauen Augen reizte ihn. Der Bursche stellte mit diesen widersprüchlichen Signalen seine ohnehin geringe Geduld gehörig auf die Probe. Betrunken küsste er Sasori, aber nüchtern benahm er sich wie jedes andere Mannschaftsmitglied. Der Rotschopf wollte sich nicht länger von einem 16jährigen Bengel an der Nase herumführen. Als Kind hatte er über ein Jahr auf Mutter und Vater gewartet, weil seine Oma zu feige gewesen war, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie waren nie heimgekehrt. Seitdem wartete Sasori auf niemanden mehr. Und das sollte Deidara nun lernen. Zur Hölle mit der eigens auferlegten Regel, kein Mannschaftsmitglied anzurühren. Mit einem flinken Schritt trat er dicht vor Deidara. Die Hände stützte er links und rechts neben ihm auf die dicke Tischplatte. Verwirrung flackerte in dem sichtbaren Auge. Der Blonde lehnte sich nach hinten. „Was wird das, hm?“ In der tiefen Stimme schwankte Unsicherheit. Krampfhaft umschlossen die Hände vor Deidaras Oberkörper Abgleichzirkel und Winkelfasser. „Ich nehme mir, was du mir in Aussicht gestellt hast.“ Sasoris Arm legte sich um Deidaras Taille und zog ihn an sich. Der Körper des Blonden spannte sich fühlbar an. Die Hände mit den Werkzeugen zum Kartenlesen stemmten sich gegen Sasoris Brust. Das blaugraue Auge war schreckgeweitet. „Ich hab dir gar nichts in Aussicht gestellt. Lass gefälligst los, hm!“ Sasoris Griff um die schmale Taille festigte sich. Er löste die Hand von der Tischplatte und vergrub die Finger unnachgiebig zwischen den langen Strähnen in Deidaras Nacken. „Du hast mich geküsst.“ Er lehnte sich weiter vor, brachte sein Gesicht nah an das des Jüngeren. Hektischer Atem streifte Sasoris Lippen. „Wenn du nicht ficken willst, darfst du anderen kein Interesse signalisieren.“ Die Worte waren nur noch ein dunkles Flüstern. Der Rotschopf ließ Deidara keine Zeit zu antworten. Mit einem harten Ruck überwand er den letzten Abstand. Gierig presste Sasori seinen Mund gegen Deidaras. Im Geist erstrahlten ersonnene Bilder eines nackten Deidara, der sich verschwitzt und rau stöhnend unter ihm wand. Das wollte er sehen, jetzt. Zähne gruben sich in Sasoris Unterlippe. Vom scharfen Schmerz gepeinigt zuckte er zurück. Der metallische Geschmack von Blut entfaltete sich in seinem Mund. Deidaras Auge hatte sich zu einem wütenden Schlitz verengt. Die Hände zwischen ihnen bewegten sich. Schmerzvoll Sasori keuchte und ließ endgültig von dem Blonden ab. Der freche Bengel hatte den Abgleichzirkel als Waffe missbraucht. Polternd fiel das Messgerät auf den Holzboden. Die Spitze des Zirkels war nicht groß, aber in der Brust triezte sie ihn dennoch unangenehm. Sein Schützling holte aus und warf den Winkelfasser nach ihm. Instinktiv duckte Sasori sich zur Seite. Haarscharf entging er dem ungewöhnlichen Wurfgeschoss. „Tu das nie wieder, hm!“ Deidaras Worte drangen zornentbrannt an Sasoris Ohren. Abrupt drehte er sich um und rannte aus der Messe. Die Tür flog krachend hinter ihm gegen die Wand. Mürrisch schnaufend lehnte der Rotschopf sich an den großen Tisch. Er sah an sich hinab. Auf dem schwarzen Stoff des Gi sah man Blutflecken nicht. Behutsam wischte er über die malträtierte Lippe. Der Anblick des frischen Blutes an seinen Fingern zügelte das brodelnde Verlangen. Da war nicht nur Zorn in Deidara gewesen. Hinter dieser Flucht verbarg sich etwas anderes. Der Schreck in dem graublauen Auge gab ihm einen Hinweis. Hatte der kleine Bengel Angst? Doch wieso näherte er sich betrunken, wenn ihm genau das nüchtern Furcht einjagte. Sasori gab sich die Antwort selbst. Alkohol enthemmte. Tief in seinem Inneren wollte Deidara mit ihm ficken. Aber etwas hinderte ihn. Das hier war nur ein unbedeutender Rückschlag. Frustriert fuhr Sasori sich durch das kurze Haar. Er hatte keinen Bock auf diesen Gefühlsquatsch. Deidara rannte an Hidan und Kakuzu vorbei, zum Bug. Das irritierte Geplärre des Silberhaarigen ignorierte er. Schwer atmend stützte er sich auf die Reling. Sein Blick senkte sich hinab auf die Wellen, die am Schiffsrumpf weiße Schaumkronen erschufen. Ein flaues Gefühl krallte sich hartnäckig im Bauch fest. Die blonden Strähnen rahmten sein Gesichtsfeld. Sie zitterten leicht. „Scheiße“, fluchte Deidara verhalten. Er ließ die Stirn auf die Reling sinken. Der Schreck saß tief. Sasoris plötzliche Nähe, seine Worte jagten ihm selbst jetzt noch einen kalten Schauer über den Rücken. Könnte er doch abhauen, wie ein Vogel. Aber auf einem Schiff kam er nicht weit. Ihre Wege kreuzten sich zwangsläufig. In jenem Moment, als der Rotschopf ihn an sich gepresst und seine Lippen eingenommen hatte, waren die Erinnerungen an den Verwalter der Tokugawa hochgeschossen. Der fette Alte hatte ihn genauso bedrängt. Deidara hatte sich das nicht gefallen lassen und ihn abgewehrt. Einem Sklaven war ein solches Benehmen nicht gestattet. Für diese Dreistigkeit hatte er die Strafe kassiert. Mit dem Bambusstock war er so lange geschlagen worden, bis er bewusstlos zusammengebrochen war. Wochenlang hatte er nur auf dem Bauch liegen können, bis Fleisch und Haut verheilt waren. Deidara war weggelaufen. Die Wachen hatten nicht bemerkt, wie er sich von den anderen Sklaven entfernt hatte. Offenbar waren sie davon ausgegangen, dass er sich nach einer solch harten Strafe keine neue Dummheit beging. Es war reines Glück gewesen, dass die Flucht geglückt war. Immer weiter war er gelaufen, bis das Meer ihn aufhielt. Von einem Fischer hatte er ein Boot gestohlen, mit dem festen Ziel vor Augen, aus diesem grässlichen Land zu entkommen. Deidara hatte angenommen, als Pirat passiere ihm so etwas nicht mehr. Und doch hätte Sasori ihn gegen seinen Willen genommen, hätte er ihm nicht Einhalt geboten. Was geschah jetzt? Welche Konsequenzen kamen jetzt auf ihn zu? Kleine Streitereien regelte die Mannschaft unter sich. Nur, wenn keine Einigung zustande kam, griffen Yahiko und Konan ein. Und wie begegnete er Sasori nach diesem Vorfall? Bis vor wenigen Minuten hatte er den eigenwilligen Rotschopf gern gehabt. Er erinnerte ihn an eine biestige Katze, meist übel gelaunt, schnell mit den Messern bei der Hand, aber grandios in seinen Fähigkeiten. Es machte Spaß, von ihm zu lernen. Deidara war sich bewusst, was er betrunken getan hatte. Das Verlangen in ihm hatte ihn gedrängt, Sasori zu küssen. Dessen Forderung, er solle nüchtern zu ihm kommen, hallte wieder und wieder in seinem Kopf nach. Unsicherheit hielt Deidara zurück. Der Tokugawa-Verwalter hatte mit ihm gespielt. Er war ein Sklave gewesen, ein Rechtloser. Und Sasori zeigte mit seinem Verhalten, wie wenig er andere Personen schätzte. Der arrogante Blick, die abwertenden Aussagen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Sasori einen gleichberechtigten Menschen in ihm sah. Deidaras Fingernägel schabten über das harte Holz. Er war niemandes Spielzeug oder Eigentum sein. Er wollte gleichwertig behandelt werden. Und Sasori zeigte mit seinem Verhalten vor allem eins, dass ihm alle auf die Nerven gingen. „Deidara.“ Kisames Stimme schallte zu ihm herüber. Tief atmete der Blonde durch, um sich zu sammeln. Dann richtete er sich auf. Es war Zeit für die Gefangenenfütterung. Er schlug den Weg zur Kombüse ein. Ein misstrauischer Blick huschte Richtung Tür zur Messe. Diese blieb geschlossen. Er nahm die linke Tür zur Schiffsküche. Kisame hatte die Hände im Eimer und spülte das Geschirr. Er blickte über die Schulter. „Essen steht da.“ Mit dem Kopf ruckte er zur Anrichte. Dort stand wie üblich die Schüssel für Gaara. „Hm.“ Deidara griff nach dem Gefäß und machte sich durch die Luke auf den Weg hinab in den Schiffsbauch. An der Treppe hing eine Laterne bereit. Er entzündete sie und nahm sie mit. Unten in der Brig angelangt empfing ihn der muffige Geruch von brackigem Wasser. Die Lampe fand ihren Platz am Haken. „Hey, Gaara“, begrüßte er den Rotschopf. Deidara schloss die Zelle auf und trat ein. Die Schüssel reichte er dem Prinzen. Dann hockte er sich zu ihm. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen die Schiffswand. Er drohte Gaara nicht mehr mit der Pistole. Selbst wenn er zu fliehen versuchte, kam er auf dem Schiff nicht weit. Bevor er die Treppe erreichte, würde Deidara ihm ins Bein schießen. Still beobachtete er Gaara beim Essen. Dessen Anwesenheit lenkte Deidara von Sasori ab. Ab und an unterhielten sie sich. Der Prinz sprach nicht viel, sondern packte das, was er sagen wollte, in wenige Worte. Dessen Stimme empfand er als angenehm beruhigend. Sie hatte einen harmonischen Klang. Anfangs hatte ihn die stoische Art bis aufs Blut gereizt, jetzt entspannte sie ihn sogar. „Sag mal, wie viele Sklaven hat deine Familie, hm?“, fragte Deidara. Er konnte die schrecklichen Erinnerungen nicht wieder in eine dunkle Ecke seines Geistes verbannen, nachdem Sasori sie herausgezerrt hatte. Gaara sah von der Mahlzeit auf. „Die königliche Familie hat keine Sklaven.“ Verdutzt zogen sich Deidaras Augenbrauen zusammen. „Aber ihr seid die mächtigste Familie Japans. Ihr müsst doch Sklaven haben, so wie die Tokugawa, hm.“ Langsam ließ Gaara die Schüssel in den Schoß sinken. „Die Shogune verfügen über Macht. Der Tennô hat kaum Einfluss auf politische Entscheidungen.“ Nach einer kurzen Pause fuhr der Prinz fort. „Es ist eine Ehre, der königlichen Familie zu dienen. Wir haben viele Diener. Es sagt nichts Gutes über einen Herrscher aus, der Sklaven besitzt.“ Deidara blinzelte. Mit dieser Erklärung hatte er nicht gerechnet. Es klang zu anständig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein einflussreicher Klan sich dagegen aussprach, Menschen wie Eigentum zu behandeln. Die Adligen hielten sich doch für etwas Besonderes. Nur Gaara wirkte anders. Er sah ihn beim Sprechen direkt an. Und er ging auf das ein, was Deidara sagte. Obwohl Gaara ein Gefangener war und er jeden Grund hatte, den Blonden zu hassen für das, was er anfangs getan hatte, sprach er mit ihm, als seien sie auf derselben Ebene. „Warum warst du eigentlich auf dem Schiff? Die anderen haben gesagt, für einen Prinzen war der Schutz echt armselig, hm.“ Gaaras Blick senkte sich zu seinem Essen. „Ich befand mich auf Bildungsreise.“ Dann hob er die Schale und aß weiter. Kein Kommentar zu der geringen Bewachung. Gaara wollte darüber nicht sprechen. Das musste ein wunder Punkt sein, so wie die seltsame Narbe auf der Stirn. „Ist deiner Familie egal, was mit dir passiert, hm?“ Für Deidara war es leichter, sich nicht mit seinen eigenen Sorgen zu beschäftigen. Für einen Moment hielt der Rotschopf inne, ehe er weiter kaute. Dieses Zögern reichte, um zu wissen, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Er gab Gaara keine Zeit mehr, um doch zu antworten. „Kriegen wir dann überhaupt Geld für dich, hm?“ Erneut sank die Schüssel in Gaaras Schoß. Seine Schultern fielen nach vorn. Der Prinz versuchte, Haltung zu bewahren, aber es gelang ihm nicht. Deidara fragte sich, was für ein Mann der Tennô sein musste, der den eigenen Sohn ohne genügend Schutz in die Welt segeln ließ und sich nicht um sein Verschwinden kümmerte. Was für ein grausamer Vater. Wie Gaaras normales Leben aussah? Deidara war sehr klein gewesen, als man ihn den Eltern geraubt hatte. Aber die Erinnerungsfetzen, die er wie einen Schatz hütete, gaukelten ihm ein liebevolles Elternhaus vor. Daran hatte er sich all die Jahre festgeklammert. Er fragte sich oft, ob seine Familie noch lebte und wie er sie finden konnte. Sein einziger Anhaltspunkt war London. Dort hatte er gelebt, bis die Menschenhändler ihn gefangen und verschleppt hatten. „Das ist ziemlich scheiße, hm“, stellte Deidara auf das Schweigen des Prinzen fest. Der Blonde rückte näher und drückte mit den Fingern Gaaras Kopf höher. Unweigerlich sah dieser ihm in die Augen. „Wenn dein Alter dich nicht will, kannst du Pirat werden, hm.“ Deidara grinste. Verblüffung zeichnete sich in Gaares Gesicht ab. Es gab weitaus Schlimmeres als das Leben eines Piraten. Er fand es aufregend. Deidara erhob sich. Das Gespräch hatte seine aufgebrachten Nerven besänftigt. Vor Sasori weglaufen konnte er ohnehin nicht. Und als Mannschaftsmitglied hatte er Rechte. Wenn der Navigator ihm noch mal ohne sein Einverständnis zu nahe kam, würde er ihm die Eier wegblasen. Itachi mochte Singapur nicht. In Japan herrschte eine solch hohe Luftfeuchtigkeit nur in der Regenzeit. Aber in diesem Teil der Welt war es das ganze Jahr heiß und feucht. Auf dem Schiff war das Klima ertragbar, da stetig eine frische Brise über das Deck wehte. An Land jedoch staute sich die Hitze zwischen den Häusern und Bäumen. Kaum hatten sie die Akatsuki verlassen und schritten durch den belebten Hafen, klebten Haarsträhnen und Kleidung unangenehm auf der Haut. Zetsu war heute auf der Galeone zurückgeblieben, um diese zu bewachen. Yahiko hatte ihm befohlen, am Landgang teilzunehmen mit dem Argument, dass er sich nicht immer auf der Akatsuki verstecken sollte. Dabei war Itachi gern auf dem Schiff. Er vermisste nichts aus seinem früheren Leben. Außer Sasuke. Die Akatsuki gewährte ihm die Illusion, vor den Konsequenzen seines Handelns davon zu segeln. Nur vor den eigenen Gedanken und Schuldgefühlen konnte er nicht flüchten. Die verschiedensten Menschen passierten die kleine Mannschaft. Müde Fischer, ungewaschene Freibeuter, nach billigem Duftwasser stinkende Huren, wohlhabende Kaufleute. Singapur war eine blühende Handelsstadt mit zwielichtigem Ruf, denn sie galt als Piratennest. Der Herrscher gestattete den Piraten, in seinem Hafen zu ankern und Geschäfte zu machen. Sie mussten nur den Waffenstillstand beachten. Entsprechend viele Sprachen summten in Itachis Ohren. Chinesisch, Englisch, Malaiisch und Tamil erkannte er. Es waren nur wenige Sprachen von denen, die man hier hörte. Yahiko steuerte auf eine der Tavernen an. Über der Tür baumelte ein Holzschild mit der Aufschrift „Zum goldenen Löwen“. Die gelbe Farbe war an einigen Stellen aufgeplatzt und gab darunter von Sonne und Regen verschont gebliebenes Holz frei. Die Tür stand weit offen. Ausgelassene Stimmen schallten ihnen entgegen. Das Lokal war ordentlich gefüllt. Hidan stampfte eifrig auf den freien Tisch in der Mitte des großen Raumes zu. Niemand beachtete ihn. Obwohl der Grauhaarige zwei Jahre auf der Akatsuki verbrachte, merkte er sich einfach nicht, dass Yahiko immer einen Platz in Wandnähe bevorzugte, weil er auf die Art einen besseren Überblick hatte. Hidan wurde ignoriert und sie nahmen den anderen freien Tisch in Beschlag. Motzend folgte der Grauhaarige ihnen und pflanzte sich zu Kakuzu. Itachi ließ sich wie üblich neben Kisame auf einem Sitzkissen nieder. Sein Blick streifte durch die Taverne. Eine Bande Piraten prahlte lautstark vor leicht bekleideten Frauen mit ihren Abenteuern. Ein paar müde Seemänner nahmen ihre abendliche Mahlzeit zu sich. Eine Gestalt, in einen unscheinbaren grauen Umhang gehüllt, schlüpfte durch die Tür ins Freie. Vermutlich ein Spion. Diese waren stets darauf bedacht, kein Aufsehen zu erregen. Itachi fielen sie gerade durch das unauffällige Verhalten auf, denn er war laute, polternde Piraten und Seeleute gewöhnt. Eine in die Jahre gekommene Wirtin schwirrte zu ihnen. Das Haar war zu einem strengen Zopf gebunden. Ein paar graue Strähnen durchzogen das satte Schwarz. Sie nahm ihre Bestellung auf und nur wenige Minuten später standen gefüllte Metallbecher mit weißer Schaumkrone auf dem Tisch. Itachi verzichtete auf dieses ausländische Gebräu namens Bier. „Itachi, du Spießer“, blaffte Hidan. Der Schwarzhaarige ignorierte ihn und goss aus der Kanne etwas von dem heißen Tee in seine Schale. Wenn alle anderen dem Alkohol zusprachen, sollte wenigstens einer einen klaren Kopf behalten. „Lass ihn, der hat doch sowieso nie Spaß, hm.“ Behutsam nahm der Geschützmeister die Teeschale in die Hand. Er pustete und nippte von der heißen Flüssigkeit. Der grüne Tee hätte etwas länger ziehen können. „Doch, mit Kisame, regelmäßig. Wenn man drauf steht, was im Arsch stecken zu haben.“ Itachi hob den Blick und sah Hidan über die Schale hinweg an. Der Ausdruck in seinen Augen versprach grausame Schmerzen. Der Grauhaarige verstand die nonverbale Warnung. Es wäre nicht das erste Mal, dass Itachi sich auf dem brachialen Weg Respekt verschaffte. Oft reagierte er nicht umgehend auf eine Beleidigung oder Herausforderung. Aber die Revanche folgte, dann, wenn derjenige es am wenigsten erwartete. Einmal hatte er Hidan bei Sturm über Bord gehen lassen. Das rettende Seil hatte er ihm erst zugeworfen, als er kurz vorm Ersaufen gewesen war. Deidara grinste Hidan frech an. „Im Gegensatz zu dir hat er wenigstens wen zum ficken, hm.“ Der Blonde streckte dem Grauhaarigen die Zunge raus. Der Metallbecher krachte auf Holz. „Deidara…“ Drohend erhob sich Hidan. „Hidan, hinsetzen, sofort!“ Yahikos Stimme schwappte wie ein Tsunami über den Tisch. Augenblicklich sank Hidan wieder auf seinen Hintern. Frustriert grummelte er vor sich hin. Die unangenehme Stille wurde von der Wirtin durchbrochen. Sie stellte Schalen mit Reis, Gemüse und Fleisch vor ihnen ab. Teller und Besteck wurde ihr von Hidan aus der Hand gerissen. Als ob er gleich verhungerte, wenn er nicht zwei Sekunden wartete, bis sie alles serviert hatte. In der Gruppe fiel der grauhaarige Schreihals immer zuerst auf. Mit Deidara hatte Hidan endlich einen Kumpel, mit dem er sich streiten, prügeln und albern sein konnte. Sasoris Seitenblicke zu Hidan zeigten deutlich, wie sehr er das Geplänkel hasste. Denn die beiden putschten sich gegenseitig hoch. Alkohol verstärkte den Effekt. Die meisten in der Piratenbande waren eher stille Zeitgenossen. Hidan und Deidara, die jüngsten, brachten die Energie von balgenden Frischlingen in die Gruppe. Als müssten sie einen Ausgleich schaffen. Bisweilen empfand Itachi das anstrengend. Er nahm sich etwas von den aufgetragenen Speisen und aß. „Für den Fraß kriegt die Alte nicht den vollen Preis“, murrte Kakuzu. Es wäre völlig egal, ob er ein Gericht von einem angesehenen Koch oder von einer Hausfrau zu sich nahm. Er handelte jeden runter. Ein lautes Scheppern wie von einem berstenden Krug erfüllte den Raum. Itachi sah sich um. Im nächsten Moment wallte dichter, schwarzer Rauch vom Boden auf, breitete sich aus und verschluckte in wenigen Augenblicken Tische und Menschen. Hastige Rufe und Husten züngelten im Nebel. „Raus hier.“ Yahikos Stimme drang an Itachis Ohren. Sehen konnte er nichts mehr. Der Dunst raubte den Atem. Itachi zog sich das rote Tuch, welches locker um den Hals hing, über Mund und Nase. Ein grässliches Brennen setzte in den Augen ein. Er kniff die Lider zusammen. Der Geschützmeister erhob sich. Eine Hand legte sich an den Griff seines Katana, mit der anderen tastete er sich durch den Raum vorwärts. Jederzeit war er auf einen Angriff gefasst. Jemand hatte eine Rauchgranate in eine Taverne geschmissen. Das Ziel war unweigerlich, die Personen darin in Panik zu versetzen und wie Hasen aus ihrem Bau zu treiben. Der Angreifer wartete draußen, bereit, sein orientierungsloses Opfer hinterhältig zu erledigen. Menschen taumelten auf ihrem Weg durch den Rauch gegen ihn. Mehrfach stieß Itachi gegen einen flachen Tisch und fiel beinahe. Er rettete sich mit einem Ausfallschritt. Es wäre fatal, jetzt hinzufallen. Die panischen Menschen nahmen keine Rücksicht auf die, die am Boden lagen und trampelten jeden nieder. Itachis Hand ertastete eine Wand vor sich. An dieser schob er sich entlang, bis er Glas erfühlte. Mit den Fingern spürte er nach dem Rahmen. Er fand den Riegel und stieß das Fenster auf. Eilig kletterte er hindurch. Der Rauch folgte ihm ins Freie und wurde dünner. Itachi erkannte Schemen. Mit schnellen Schritten entfernte der Schwarzhaarige sich von der Taverne. Mit jedem Meter klarte die Luft auf. Das Brennen in den Augen ließ nach. Er konnte das Tuch von der Nase herabziehen. Die Silhouetten formten sich zu klaren Häuserstrukturen. Er sah sich um. Weitere flüchteten mit ihm. Doch aus seiner Mannschaft war niemand in der Nähe. Eine kleine Gruppe aus vier Menschen mit grauen Umhängen stellte sich ihn den Weg. Die anderen Flüchtenden wichen angstvoll zurück. Itachi verharrte, das Katana kampfbereit in den Händen. Der mutmaßliche Spion von vorhin hatte genauso einen Überwurf getragen. Einer der Fremden trat vor, vermutlich der Anführer. Er hob langsam die Arme und schob die Kapuze nach hinten. Itachis starrte sein Gegenüber fassungslos an. Ein eisiger Schauer durchfuhr ihn. Schwarze Augen blickten ihn voller Hass an. Er war gewachsen und doch erkannte er in dem jungen Mann sofort seinen kleinen Bruder Sasuke. „Was tust du hier, Sasuke?“ Itachi ließ die innere Aufgewühltheit nicht nach außen dringen. Sein Bruder öffnete den Umhang. Der graue Stoff fiel zu Boden. Nun griff auch er zu seiner Waffe. In einer wilden Bewegung zog er das Katana aus der Saya und verharrte in Angriffsposition. „Ich nehme Rache für das, was du unserem Clan angetan hast!“ Mit einem wütenden Schrei stürmte Sasuke auf ihn zu. Itachi riss seine Klinge hoch. Metall prallte klirrend aufeinander. Er ließ die fremde Waffe routiniert abgleiten. Mit einer fließenden Bewegung brachte er sich hinter seinen kleinen Bruder. Kälte grub sich in den Schwarzhaarigen. Er hatte Sasuke ein unbeschwertes Leben ermöglichen wollen, frei von den Intrigen und Zwängen ihres Clans. Doch sein Bruder hatte die Rache vorgezogen. Heute war also der Tag gekommen, an dem er nicht mehr vor den Konsequenzen seines Handelns davon segeln konnte. Er musste sich ihnen stellen und das Monster, welches er erschaffen hatte, aufhalten. Die Klinge sauste nieder. Sasuke wich knapp aus. Im Ärmel klaffte ein Schnitt. „Geh zurück nach Japan!“, befahl Itachi. Der Hass in Sasukes Augen schmerzte entsetzlich in seinem Herzen. Die bedingungslose Liebe, mit der er Itachi früher angesehen hatte, war erloschen. Diese Erkenntnis riss tiefere Wunden, als eine Klinge je imstande wäre. „Wenn du tot bist!“, zischte sein kleiner Bruder wild entschlossen. „Hör endlich mit der Flennerei auf!“, herrschte Kakuzu Hidan an und versenkte die Nadel in den Wundrändern. Trotz des Beißklotzes zwischen den Zähnen jaulte Hidan, als würde er ihm nüchtern mit einem rostigen Küchenmesser ein Bein absäbeln. Er zog den Faden fest. Die Wunde schloss sich allmählich. Zwei Stiche später verknotete er die Naht sorgsam. Der Grauhaarige spuckte das Holz aus. Klappernd landete es auf dem Holztisch, auf den er Hidan für die Behandlung verfrachtet hatte. Mit zittrigen Fingern griff er nach der Rumflasche und schüttete den Inhalt in sich hinein. Ein Rinnsal lief an seinem Hals hinab und versickerte in dem blutbeschmierten Hemd. „Du bisdn scheis Arsd.“ Genervt knurrte der Schiffsarzt. Wie lange musste er sich das Geheule noch anhören? Er nahm einen Verband und wickelte ihn fest um Hidans Unterschenkel. Er ging gröber vor als notwendig, um dem Burschen eine Lektion zu erteilen. „Wer nicht richtig kämpfen kann, muss mit Verletzungen leben.“ Die Tür zur Messe wurde aufgestoßen. Kisame trat keuchend ein und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Wo ist der Rest?“, fragte Kakuzu. Er fixierte den Verband und wandte sich gänzlich Kisame zu. Hidan setzte sich auf dem Tisch auf und nölte beduselt vor sich hin. „Sauf weiter“, murrte Kakuzu. Er drückte dem Grauhaarigen eine volle Flasche in die Hand. Wenn Hidan besoffen einschlief, schnarchte er nur und ging ihm nicht mehr auf den Sack. Der Schiffsarzt wischte sich das Blut von den Händen. „Es sind alle wieder da, nur Itachi fehlt noch.“ Ein verstehendes Brummen entrang sich Kakuzus Kehle, während er Kisame genau musterte. An einigen Stellen war seine Kleidung blutbeschmiert. Bei einem fachkundigen Tasten stellte sich heraus, dass es nicht sein eigenes Blut war. Bis auf ein paar oberflächliche Schrammen hatte der Blauhaarige keine Verletzungen davon getragen. „Ist noch jemand verletzt?“ Kisame fuhr sich mit einer Pranke durch das zerzauste Haar. „Der Captain hat einen Streifschuss abgekriegt.“ Kakuzu nickte verstehend. „Soll zu mir kommen.“ Er sah zu Hidan. „Schaff den Trottel ins Quartier und leg ihn auf den Boden.“ Mit einem verletzten Bein und stockbetrunken kam der nicht mehr in eine Hängematte. Warum musste er sich auch ausgerechnet den Unterschenkel verletzen lassen. Ein lahmer Pirat war ein Klotz am Bein. Konan verdonnerte ihn garantiert zum Küchendienst, damit Kisame Hidans Arbeit übernehmen konnte. Allein bei dem Gedanken an Hidans armselige Kochversuche drehte sich ihm der Magen um. Kisame erhob sich. Er packte Hidan in der Taille und schwang sich den Grauhaarigen wie einen Sack Reis über die Schulter. Erschrocken plärrte der Betrunkene. Die Flasche rutschte ihm aus der Hand. Mit einem Klirren zerbarst sie. Die Reste des Inhaltes bildeten eine Pfütze am Boden. Tief durchatmend schloss Kakuzu die Augen und rieb sich die Schläfen. Kaum fiel die Tür hinter Kisame zu, verstummte Hidans nerviges Quaken. Eine Wohltat für seine geschundenen Ohren. Er wandte sich den Utensilien zu und reinigte diese vom Blut. Sorgfältig verstaute er sie in der Ledertasche. Die Tür öffnete sich erneut. Yahiko betrat den Raum. Der Captain musste nichts sagen. Kakuzu sah den aufgerissenen Ärmel und die offene Abschürfung darunter. „Zeig her“, forderte er. Yahiko setzte sich zu ihm. Langsam streifte er den blauen Marinemantel ab und knöpfte das Hemd auf, schob es weit genug herab, dass der Streifschuss gut sichtbar wurde. Blut sickerte träge aus der Verletzung. Kakuzu betastete die Wundränder. „Ich hab nicht viel mitgekriegt bei dem Chaos. Was genau war los?“, fragte er. Der Dunkelhaarige griff zur Rumflasche und kippte den Alkohol großzügig über die Wunde, um sie zu desinfizieren. Yahiko zischte. „Der Angriff galt uns. Die Lakaien des Kaisers wollten sich nicht an den Deal halten.“ Der Schiffsarzt nahm einen frischen Verband und wickelte den Stoff sorgfältig um Yahikos linken Oberarm. Wie vermutet waren sie das Ziel gewesen. „Wir sitzen in der Scheiße.“ Mit diesem hinterhältigen Angriff in Singapur war der Waffenstillstand gebrochen. Die Wache des Herrschers eröffnete auf jeden die Jagd, der in einen Kampf involviert war. Obwohl Akatsuki sich nur verteidigt hatte, mussten sie jetzt erst mal abhauen. „Sobald Itachi zurück ist, lichten wir den Anker.“ Yahikos Stimme klang angespannt. Ansonsten merkte man ihm den Schmerz nicht an. „Was wird aus dem Deal?“ Kakuzu knotete die Enden des Verbandes zusammen. Mit dem Handrücken wischte er sich über die feuchte Stirn. Der Captain schnaubte abfällig. „Hinfällig.“ Das bedeutete, sie hatten einen nutzlosen Esser in der Brig sitzen. „Was wird aus dem Prinz...“ Die Tür flog auf und krachte gegen die Wand. Beide Köpfe ruckten herum. Kisame schob Itachi vor sich hinein. Der Schwarzhaarige schien im Blut seiner Widersacher gebadet zu haben. Nur wenige Stellen der hellen Haut waren nicht besudelt. Die Kleidung klebte an ihm. In nassem Rot glänzte die ehemals hellgraue Hose. Kisame drückte Itachi auf einen freien Stuhl. Kakuzu runzelte die Stirn und trat zu dem Geschützmeister. Er beugte sich hinab und sah ihm in die Augen. Itachi sah an ihm vorbei. Sein Blick schien regelrecht leer, als sei sein Geist weit weg. „Itachi.“ Kakuzu wartete ein paar Sekunden, dann wiederholte er nachdrücklicher den Namen. Es folgte keine Reaktion. Der Schiffsarzt legte die Hände auf Itachis Schultern und schüttelte ihn. Der Schwarzhaarige war wie eine willenlose Puppe in seinem Griff. Mit einem Schnaufen ließ er ihn los. Ein kurzer Blick auf seine blutigen Handinnenflächen bestätigte die Vermutung, dass auch der dunkelblaue Haori und das Hemd darunter mit Blut getränkt waren. Da er von Itachi keine Reaktion erwartete, fragte er ihn gar nicht erst, was geschehen war und wo er Schmerzen hatte. Kakuzu zog dem Geschützmeister die Kleidung bis auf die Unterhose aus. Selbst auf dem Kleidungsstück schimmerten rote Flecken. Aber es war nicht Itachis Blut. Kakuzu fand keine offenen Wunden. Sicherheitshalber tastete er den dürren Körper des Schwarzhaarigen ab, um innere Verletzungen auszuschließen. Sein Blick huschte immer wieder zu Itachis Gesicht. Dieser verzog die Meine nicht einmal. Entweder verspürte er keine Schmerzen oder er war komplett weg. Zumindest stellte Kakuzu nichts fest. Seufzend richtete er sich auf. „Ich kann nichts machen. Körperlich hat er nichts.“ Kakuzu und Yahiko sahen zu Kisame. „Weißt du irgendwas?“, fragte der Captain. Der Blauhaarige schüttelte den Kopf. „Ich hab ihn eben vom Pier aufgelesen. Er hat auf keine Frage geantwortet. Er scheint mich nicht mal wahrzunehmen.“ Einmal mehr wischte Kakuzu sich die blutverschmierten Hände an einem Tuch ab. „Der nimmt aktuell niemanden wahr.“ Yahiko stemmte sich von seinem Stuhl hoch. „Darauf können wir jetzt keine Rücksicht nehmen. Kisame, bring Itachi unter Deck. Wir legen ab. Ich will hier weg sein, bevor die Soldaten mitkriegen, dass wir in diesen Angriff involviert waren.“ Sasori erklomm die Treppe zum Achterdeck. Sein Blick erfasste den blonden Bengel. Die Stirn runzelnd trat er näher. Deidara sollte das Schiff steuern, aber er hing an dem großen Steuerrad wie ein loses Tau. Die Finger krampften sich um die Holzgriffe, er lehnte mit dem Oberkörper gegen das Holz, die Haut war bleich und schweißüberzogen. Er keuchte. „Du siehst scheiße aus.“ Sasori verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist los?“ Zwei Tage war ihre Flucht aus Singapur her und bisher hatte Deidara einen ordentlichen Eindruck gemacht. Er hatte eine Schramme von dem Kampf davongetragen, aber mehr nicht. Es wäre ätzend, wenn noch ein Mannschaftsmitglied ausfiel. Yahiko hatte den grauhaarigen Schreihals mit seinem lahmen Bein in die Kombüse verbannt, obwohl Hidans Kochkünste dem eines Kleinkindes glichen, das mit Matsch spielte. Was für eine Verschwendung von Speisen. Und Itachi benahm sich wie eine seelenlose Puppe. Er saß die meiste Zeit in der dunkelsten Ecke des Quartiers, eine Decke um den Körper geschlungen, und starrte teilnahmslos vor sich hin. Kisame bewies eine Engelsgeduld mit ihm. Sasori hätte nicht die Nerven dafür, einen Menschen zum Essen und Trinken zu bewegen, der geistig in einer anderen Welt schwebte. Itachi sollte nicht so ein Theater veranstalten. Was konnte schon bitte so grauenvoll sein? Sie waren nicht zum ersten Mal angegriffen worden und Mord war ihr täglich Brot. „Bin nur etwas müde, hm.“ Sasoris Augenbraue wanderte steil in die Höhe. Das glaubte er ihm nicht, aber er war nicht Deidaras Mutter. Wenn er nicht reden wollte, war ihm das egal. „Ruh dich aus.“ Er legte die Hände an das Steuerrad, um den Posten des Steuermanns zu übernehmen. Deidara löste seine verkrampften Finger von den Griffen. Dann sackte er neben ihm zusammen. Reglos blieb der Blonde auf den Planken liegen. Sasori sah auf das Bündel hinab. Genervt seufzte er. Ausgezeichnet. Noch ein nutzloser Pirat. Sein Blick richtete sich zum Horizont. Die Strecke kannte er. Hier gab es keine gefährlichen Strömungen oder Riffe. Der Himmel war klar, der Wind beständig. Für ein paar Minuten konnte er seinen Posten verlassen. Sasori verknotete ein Tau sorgfältig am Steuerrad, damit es die Position behielt. Der Rotschopf beugte sich hinab und lud sich Deidara auf die Arme. Kurz schwankte er, bis er einen festen Stand hatte. Mit der schweren Last nahm er den Weg über das Deck zur Messe. Dabei sah er sich nach Kakuzu um. In den Wanten hängend und ein Segel flickend fand er ihn. „Kakuzu, Arbeit für dich!“ Ein Brummen drang an Sasoris Ohren. Er schob die Tür zur Messe mit dem Ellenbogen auf und legte Deidara auf dem Tisch ab. Erleichtert atmete er auf. Der dunkelhaarige Schiffsarzt erschien in der Tür. „Was ist…?“ Sein Blick fiel auf Deidara. „Verstehe.“ Der knurrige Unterton verschwand aus Kakuzus Stimme. Er schlurfte zum Tisch und begann routiniert die Untersuchung. Dabei öffnete er den Yukata. Kurz haftete seine Aufmerksamkeit an dem Sklaventattoo, dann bemerkte er den Verband am Bauch. An der rechten Seite hatte sich der helle Stoff rot verfärbt. Kakuzu schnaufte grantig. „Wie oft hab ich gesagt, ihr sollt eure Wunden nicht selbst verloren? Sasori, pass auf ihn auf, ich hol mein Zeug.“ Sasoris Augenbrauen zogen sich zusammen. „Mach hinne. Ich muss das Schiff steuern.“ Kakuzu verließ die Messe. Leise hörte er noch das Murmeln: „Alles Idioten.“ Mürrisch ließ Sasori sich auf einem Stuhl nieder. Die Finger trommelten auf die Tischplatte. Er sah in das fahle Gesicht des Blonden. Warum hatte er sich nicht gleich von Kakuzu behandeln lassen? Dann wäre ihnen dieser Ausfall erspart geblieben. Immer wieder huschten Sasoris Augen zur Tür. Was brauchte Kakuzu denn so lange? So groß war das verdammte Schiff nicht! Sasori hasste warten. Es erinnerte ihn unweigerlich an seine Vergangenheit. Sasoris Eltern betrieben eine Apotheke und waren regelmäßig Kräuter sammeln gegangen. Manchmal stiegen sie sogar in der Nacht auf einen Berg, weil spezielle Heilpflanzen nur zu einem gewissen Zeitpunkt geerntet werden durften, damit sie ihre Wirkung entfalteten. In dieser Zeit passte die Oma auf das Geschäft und den kleinen Jungen auf. Doch von einem Ausflug kamen seine Eltern nicht zurück. Ein Jahr erzählte Sasoris Oma, sie wären auf einer langen Reise, um seltene Kräuter für die Apotheke zu holen. Er hatte ihr geglaubt und brav gewartet. Eines Tages hatte er die Nachbarn miteinander reden gehört. Hinter einem Busch versteckt, war Sasori unbemerkt geblieben. Mutter und Vater waren bei einem Erdrutsch ums Leben gekommen. Der Schmerz des Verlustes der zwei wichtigsten Menschen hatte sich tief in sein Herz gegraben. Von da an war jeder Tag bei der Oma und in der Apotheke eine Qual gewesen. Alles erinnerte ihn an ein sorgloses Leben mit seinen Eltern. Mit fünfzehn Jahren packte er die wenigen Habseligkeiten und kehrte seiner Heimat den Rücken. Er brauchte einen klaren Schnitt. Und er wollte nie mehr warten. Ziellos war er umher gewandert. Eines Tages erreichte er das Meer und heuerte auf einem Schiff an. Schnell war er zu einem herausragenden Steuermann geworden. Und wenn es langweilig wurde, nahm er sich die Karten vor, überprüfte sie und zeichnete neue, bessere. Es war eine Aktivität, der er stundenlang nachging. Und jetzt saß er hier sinnlos herum und musste auf einen bewusstlosen Bengel aufpassen, der sowieso nicht weglief. Endlich öffnete sich die Tür. Sasori sprang auf und eilte an dem Schiffsarzt vorbei. Er konnte sein Steuerrad nicht länger unbeaufsichtigt lassen. Angst strahlte durch Deidaras gesamten Körper. Der kahlköpfige Verwalter der Tokugawa packte ihn. Fest presste er den jungen Mann an den fetten Leib. Der saure Geruch nach altem Menschen stieg Deidara in die Nase. Er drehte sich weg. Dicke Wurstfinger umfassten seinen Kiefer und drückten den Kopf zurück. Fremde Lippen zwangen sich ihm auf. Der Blonde wand sich in dem Griff, stemmte die Hände gegen die wabbelige Brust des Verwalters. Eine feuchte Zunge schob sich zwischen seine Lippen. Für einen Moment erstarrte Deidara, als habe jemand einen Eimer mit Eiswasser über ihn geschüttet. Dann biss er zu. Der metallische Geschmack von Blut verteilte sich in seinem Mund. Grob wurde er zurückgestoßen. Deidara fiel auf den harten Holzboden. „Dreggiger Schklave“, spuckte der fette Verwalter undeutlich. Blut lief an dem Doppelkinn herab. „Wachen!“ Obwohl schwer verständlich, wallte die Stimme kräftig über den Flur. Nur wenige Sekunden später erschienen zwei Samurai. Der Tokugawa-Verwalter zeigte mit dem Finger auf ihn. „Schperrd ihn weg. Er had mich angegriwen.“ Die Krieger packten ihn an den Armen und zerrten ihn hoch. „Lüge!“, brüllte Deidara, aber niemand beachtete, was ein Sklave sagte. Die folgenden Tage verbrachte er in einem dunklen Verlies. Er verlor jegliches Zeitgefühl. Nach einer gefühlten Unendlichkeit ließ man ihn raus, doch nur, um ihn zu bestrafen. Mit einem Bambusrohr schlug der Vollstrecker wieder und wieder auf seinen Rücken. Feurige Schmerzen fluteten ihn. Jeder weitere Schlag nährte den grausamen Brand, bis er das Gefühl hatte, sein Rücken bestand nur noch aus Schmerz und blutigen Fleischfetzen. Die Schmerzen begannen zu wandern. Vom Rücken krochen sie zur rechten Seite und ballten sich dort… Keuchend schreckte Deidara auf. Augenblicklich fluteten Schmerzen ihn. Kraftlos sackte er zurück. Jeder hektische Atemzug versetzte ihm einen Stich in der Flanke. Ach ja, die Wunde. Was war passiert? Er hatte Sasori das Steuer übergeben und jetzt lag er irgendwo. Sein Körper fühlte sich unendlich erschöpft an, fast als wäre er noch einmal durch diese Hölle gegangen, die sein Geist hervorgezerrt hatte. Langsam hob er die schweren Lider und sah sich um. Das vertraute Halbdunkel des Mannschaftsquartiers umgab ihn. Neben ihm schwebte eine der Hängematten. Er lag auf dickem Teppich. Der Kopf war auf eine zusammengeknorkelte Decke gebettet. Über ihm lag eine weitere Decke. Deidara stemmte sich mühsam auf die Ellenbogen. Sofort protestierte der Schnitt schmerzhaft in seiner Seite. Geschafft sah er sich um. In der Ecke sah er die Schemen von Itachi. Ansonsten war niemand hier. Behäbig schob er die Decke hinab. Der Yukata war schlampig geschlossen. Das verhasste Sklaventattoo lugte hervor. Ein prüfender Blick glitt zu dem Geschützmeister. Der bemerkte das wahrscheinlich nicht. Trotzdem zog er den Stoff über die tätowierte Haut. Die rechte Seite zog er langsam zurück. Um seinen Bauch war ein frischer Verband gewickelt. Die Schwertwunde pochte wütend, aber es war ein anderes Pochen als davor. Dabei hatte er die Wunde doch ausgewaschen und verbunden. Wieso hatte sie sich entzündet? Seufzend schloss er den roten Yukata komplett und ließ sich zurücksinken. Sobald er lag, entspannte sich sein Körper und der Schmerz pulsierte nur noch dumpf. Hatte Kakuzu ihn behandelt? Dann wusste der jetzt, dass er ein Sklave gewesen war. Wer hatte es außer dem Schiffsarzt erfahren? Was geschah nun? Kam die Piratencrew auf die Idee, dass man ihn verkaufen konnte? Der Prinz würde niemals einen brauchbaren Sklaven abgeben. Der konnte sich bestimmt nicht einmal die Sandalen selbst binden. Sein Blick glitt zum Bullauge. Warme Strahlen der Abendsonne wurden von umher schwebenden Staubkörnern reflektiert. Er wollte nicht wieder wie Eigentum behandelt werden, das keinen freien Willen besaß. Nur weil er den Übergriff des fetten Verwalters abgelehnt hatte, war er halb tot geprügelt worden. Es war ein Wunder, dass seine Flucht geglückt war. Vermutlich hatte niemand erwartet, dass er sich mit den teilweise verheilten Blessuren am Rücken bewegen konnte. Deidara war über das Meer geflüchtet, um dieses elende Dasein hinter sich zu lassen. Und jetzt holte ihn die Vergangenheit ein. Er wollte nicht sein restliches Leben als Sklave verbringen. Die Tür öffnete sich und Sasori trat ein. Der Rotschopf hockte sich neben ihn. In der Hand trug er eine Schüssel. „Endlich bist du wach“, brummte der Ältere. Die Schale hielt er ihm hin. „Iss.“ Mühsam stemmte Deidara sich hoch und lehnte sich gegen die Bordwand. Sofort wuchs der Schmerz in der Seite wieder. Der Blonde nahm die Schüssel. Reis mit eingelegtem Gemüse und verbranntem Fleisch. Er rümpfte die Nase. Das hatte Hidan gekocht. „Mach schon.“ Sasori wurde ungeduldig. Deidara griff nach dem Löffel und begann zu essen. Es schmeckte zwar nicht, aber wenigstens füllte es den Magen. Trotzdem ließ ihn dieser eine Gedanke keine Ruhe. „Wie geht es jetzt weiter, hm?“ Sasori sah ihn schief an. „Was meinst du?“ Sein Blick senkte sich auf die linke Brust hinab. „Na Kakuzu hat es doch …gesehen, hm.“ Verächtlich schnaufend winkte der Rotschopf ab. „So wichtig bist du nicht. Es interessiert hier niemanden, wo du herkommst und was passiert ist, bevor du auf das Schiff gekommen bist. Solange du nützlich bist, gehörst du zur Mannschaft.“ Deidara hob erleichtert den Blick. In Sasoris Augen spiegelte sich ungeduldige Aufforderung, wie er es von ihm kannte. „Also mach hinne mit essen. Wir können uns nicht noch mehr Ausfälle leisten!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)