Gebrandmarkt von Sydney (Eine Fullmetal Alchemist Brotherhood - Fanfiction für Peacer) ================================================================================ Kapitel 1: Tag 0 ---------------- Gebrandmarkt ~ * ~ Eine Fullmetal Alchemist Brotherhood - Fanfiction für ~ * ~ Tag 0: an dem alle Ruhe wirklich dringend gebrauchen können Es war weit nach Sonnenuntergang als der letzte Besucher das Krankenzimmer verließ. Ärzte und Militärpersonal hatten sich bis in die Abendstunden die Klinke in die Hand gegeben und sogar zwei Reporter hatten versucht sich auf die Station zu schleichen. Erstere hatten sich schließlich durchgesetzt und sämtliche Störenfriede des Zimmers verwiesen. Ihre Patienten bräuchten dringend Ruhe und würden auch morgen noch zur Verfügung stehen. Zumindest dann, wenn man ihre Heilung nicht gefährdete. Wachposten wurden stationiert um keinen Zweifel an dieser Regel aufkommen zu lassen. Nach schier endlos erscheinenden Stunden kehrte so an diesem schicksalshaften Tag endlich etwas Ruhe ein. Oberleutnant Riza Hawkeye wusste nicht, was sie von diesem Umstand halten sollte. Sie war ausgelaugt. Körperlich und geistig müde. Zwar hatte sie zuvor eine Weile gedöst, doch war zu viel passiert um ihren Geist zur Ruhe kommen zu lassen. Jetzt gab es nichts mehr, das sie von ihrem Inneren und ihren Ängsten ablenkte. Bereits zuvor war sie in Gedanken die Liste an Dingen durchgegangen, die kurzfristig (Sicherstellen, dass der Oberst in Sicherheit war; Den Ärzten erklären, dass andere dringender das Blut brauchten, das sie ihr transfundieren wollten) und mittelfristig (Black Hayate gut unterbringen - Fuery hatte das fürs Erste übernommen; Die Garderobe nun endgültig auf rein Rollkragen-orientiert umstellen) wichtig waren. Doch wie es nun weitergehen sollte war eine Frage, die auch einen ausgeruhten, unverletzten Menschen länger beschäftigt hätte. Zu viele unbekannte Variablen tauchten in dieser Gleichung auf. Der Kampf gegen Vater hatte vieles verändert. Sämtliche Karten waren neu gemischt worden. Ob das Ziel, sein Ziel, für das sie jahrelang gearbeitet hatte, noch zu erreichen war lag in den Sternen. Dreimal hatte sie am heutigen Tag gedacht, sie würde ihn verlieren. Den Mann, ohne den sie nicht leben konnte. Wer nun die Macht in Amestris ergreifen würde und ob er sich behaupten konnte war ungewiss. Das Letzte, dass die Menschen gebrauchen konnten, war ein Bürgerkrieg. "Oberleutnant?" Die leise Frage durchbrach die Stille. "Noch wach?" Offensichtlich war Riza nicht die einzige Person im Raum, bei der sich der Schlaf nicht einstellen wollte. "Ja, Sir? Brauchen Sie etwas?" Sie erhielt lediglich ein Seufzen als Antwort. "Sir?", versuchte sie es erneut. "Gibt es ein Problem?" Langjährige Erfahrung mit dem Oberst hatte sie gelehrt, dass es etwas geben musste, dass ihn massiv beschäftigte. Grundlos hätte er sie nicht angesprochen. Sein gegenwärtiger Zustand machte es nur um so wahrscheinlicher, dass er ein Problem hatte. "Soll ich eine Schwester holen?" "Die kann mir nicht helfen." Roy Mustang war niemand, der sich gerne wie ein Baby behandeln ließ. Riza hatte mitbekommen, wie unangenehm es ihm war, nicht einmal eine Mahlzeit ohne fremde Hilfe zu überstehen. Geschweige denn das Drama mit dem Bad. Umständlich richtete sich in ihrem Bett auf. Mit dem Verband um ihren Hals hatte sie sowieso keine angenehme Position gefunden. Als sie den Vorhang, der ihre Betten trennte zur Seite schob, fiel ihr Blick auf die leeren Augen ihres Vorgesetzten, die in ihre Richtung starrten. "Nicht aufstehen", begann er, als er die kleinen Metallhäckchen klicken hörte, die das dünne Stück Stoff an seinem Platz gehalten hatten und nun unsanft gegeneinander gezogen wurden. "Das ist ein Bef..." "Zu spät", antwortete sie, als sie sich vorsichtig erhob und ihren Morgenmantel überstreifte. Die Nachtluft war nicht besonders kühl, doch sie vermutete stark, dass es auch bei warmen Wetter ziemlich normal war, sich kalt zu fühlen, wenn man am selben Tag die gefühlte Hälfte seines Blutes auf dem Fußboden gelassen hatte. Jetzt wo er sich schuldig fühlen würde, sie aus dem Bett geholt zu haben, würde er hoffentlich auch bereit sein, zu sagen, was ihm fehlte. Den Infusionsständer als Stütze benutzend durchquerte sie den Raum. "Ich werde mich jetzt auf die Bettkante setzen", warnte sie ihn vor. "Und mich erst wieder hier wegbewegen wenn ich weiß, was los ist." Sie konnte spüren, wie seine rechte Hand nach ihr suchte und nahm sie in ihre eigenen. Vorsichtig, um ihm keine Schmerzen zu bereiten. "Immer noch eiskalt..." "Was...?" "Die Hände", antwortete er. "Noch genauso kalt wie vorher. Fast wie tot..." "Nicht ablenken." "Aber genau das ist doch das Problem Riza!", herrschte er sie plötzlich an. "Es ist verdammt hart, nichts sehen zu können. Aber wenn dann auch kein Geräusch zu hören ist..." Er stoppte kurz sichtlich um Fassung ringend. "Ich liege hier und habe keine Ahnung, wie es dir am anderen Ende des Raumes geht. Die Wunde könnte aufgegangen sein, sich infiziert haben, oder irgendein anderer Mist. Du könntest verbluten und ich würde nur hier liegen. Vollkommen ahnungslos! Ich werde kein Risiko eingehen, dich wegen so etwas Dummem zu verlieren." Riza wusste nicht, wann er sie das letzte Mal mit ihrem Vornamen angesprochen hatte. Zu sehr waren sie seit Jahren in ihren Rollen gefangen. Hier und jetzt war Roy Mustang jedoch dermaßen außer sich, dass die Regeln nicht mehr galten. "Oh". Riza wusste, dass er sich um sie sorgte. Nicht erst, seit diesem Tag. Doch dass er so verzweifelt war, hatte sie nicht geahnt. "Aber ich bin doch hier." Vorsichtig drückte sie seine Hand. "Ja. Jetzt", sagte er, und Riza wusste, auch ohne, dass er es aussprechen musste, dass er "Und was ist später?" gemeint hatte. Mit erstaunlicher Treffsicherheit tastete er nach dem Verband an ihrem Hals, als ob er sich vergewissern wollte, dass die Wunde noch immer sicher verschlossen war. "Bleib bei mir. Hier. Wo ich weiß, dass es dir gut geht." Er zog die Hand zurück. "Oder zumindest, dass du lebst." "Man wird uns sehen." "Egal." "Das klingt jetzt vielleicht nach einer guten Idee, aber das könnte weitreichende Konsequenzen haben, die wir morgen bereuen." Sie hatte immer mehr Sinn dafür gehabt, wann es Zeit war, sich nicht von den eigenen Gefühlen leiten zu lassen, als er. "Riza, ich bin ein Kriegsverbrecher, ich habe Alchemisten gedeckt, die eine menschliche Transmutation begangen haben, Herrgott nochmal ich war selbst in eine verwickelt! Ich habe den Tod einer gesuchten Verbrecherin inszeniert, ich habe Einrichtungen der Armee beschädigt und das ist nicht harmlos ausgedrückt. Ich habe einen Staatsstreich verübt und kein Mensch weiß, ob ich dafür morgen als Held gefeiert werden, oder nicht doch am nächstbesten Laternenmast aufgeknüpft werde... Wahrscheinlich wird man mich so oder so aus dem Militärdienst entlassen. Was wollen die denn auch mit einem Blinden. So kann ich nicht einmal Büroarbeit erledigen, geschweige denn... Ich bin nutzlos... Ich scheiße auf die Konsequenzen!" Erschrocken starrte sie ihn an. "Ich dachte nie, dass ich einmal so etwas tun müsste...", murmelte sie. "Was?" "Einen blinden Mann schlagen." Mit diesen Worten versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige. "Ich will nie, nie wieder hören, dass du dich für nutzlos hältst!" Geschockt fasste er sich an die Wange. "Beantworte mir eine Frage: Als Havoc verletzt wurde, hast du ihn da aufgegeben?" Er schüttelte den Kopf. "Aber er wollte nicht mehr. Er hat den Dienst quittiert. Er hat mich angeschrien, dass er gehen will." "Aber er hat sich nicht aufgegeben. Ohne ihn hätte dieser ganze Plan vielleicht nicht funktioniert. Denkst du also, dass er nutzlos ist?" Roy schüttelte erneut den Kopf. "Ich will es hören." "Nein, ich denke nicht, dass er nutzlos ist." "Warum glaubst du dann, dass du nutzlos bist?" Riza lehnte sich erschöpft an seine Schulter. "Selbst wenn nicht alles nach Plan läuft kannst du immer noch viel Gutes tun." Zögerlich, fast ängstlich legte er den Arm um sie. Als sie ihn gewähren ließ wurde er selbstsicherer und drückte sie gegen seinen Körper. Eine Weile lang saßen sie einfach nur nebeneinander. Riza verfiel wieder in einen dösenden Zustand. "Du bist ein Eisklotz..." "Ich sagte doch: Nicht ablenken". "Ich lenke nicht ab. Meine erste gute Tat wird sein, meinen Oberleutnant aufzuwärmen." Zu erschöpft und zu zufrieden um dagegen zu protestieren ließ sie sich von ihm mitziehen als er sich zurücklehnte. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust während er die Decke über sie beide zog. "Zur Not können wir uns zumindest immer noch auf die Schmerzmittel rausreden...", murmelte sie, während der gleichmäßige Rhythmus seinen Herzschlages ihre kreisenden Gedanken verdrängte und sie endlich einschlafen konnte. ______________________________________________ Statistik: - Skandale: einer (natürlich hatte man die beiden entdeckt, bevor sie aufgewacht waren) - Schlafstatus: äußerst zufriedenstellend Kapitel 2: Tag 1 ---------------- Tag 1: an dem es Krankenbesuche gibt Der Tag hätte gut anfangen können. Doch Riza wusste, dass diese Chance von Anfang an relativ gering gewesen war. Wie unangenehm es allerdings tatsächlich werden würde, hatte sie nicht voraussehen können. Anstatt friedlich in Roys Armen aufzuwachen war der Drachen von Oberschwester über sie Hereingebrochen wie eine ganze Horde dieser widerlichen Puppenmenschen. Ihre lautstarke Ansprache, warum es eine absolut hirnrissige Idee war, zwei Leute, die an Infusionsschläuchen hingen in einem Bett schlafen zu lassen, hatte wohl das halbe Krankenhaus mitbekommen. Auf jeden Fall Edward Elric, der es sich nicht nehmen ließ das Krankenbett seines Bruders zu verlassen und den Oberst damit aufzuziehen. Riza war froh, dass man ihm am Vortag seine Handschuhe abgenommen hatte. So musste sie sich keine Gedanken darum machen, dass es hier unkontrollierte Feuer und Tote geben würde, während man sie wieder in ihr eigenes Bett verfrachtete. Den Jungen anschreiend gefiel er ihr trotzdem wesentlich besser als trübsinnig und depressiv. Als ob der Himmel sie tatsächlich für das kleine Bisschen Nähe bestrafen wollte, tauchte dann der Drachen im Laufe des Vormittags ständig auf. Es schien als hätte sie sich unweigerlich den Zorn der Krankenschwester zugezogen. Während ihr Vorgesetzter in den Augen des weiblichen Pflegepersonals offensichtlich nur das arme ausgenutzte Opfer war, wurde sie gepiesakt und traktiert. Riza war sich sicher, dass es nicht normal war jemandem, dem man am Vortag noch unbedingt eine Bluttransfusion anhängen wollte, alle paar Stunden mit Nadeln zu quälen und röhrchenweise seines Restblutes zu berauben. "Sie sollten sich nicht so aufregen. Wenn Ihr Blutdruck steigt, könnte die Wunde wieder zu bluten beginnen. Vielleicht sollte ich den Arzt holen, damit er Ihnen etwas zur Beruhigung gibt. Ja, das sollte ich wohl tun", plauderte die Krankenschwester fröhlich vor sich hin, als sie zum dritten Mal versuchte die Vene zu treffen. Nur Rizas jahrelang gestähltes Scharfschützentemperament bewahrte den Drachen vor einem langsamen, schmerzhaften Tod. Die Besucher, die sich einstellten waren eine willkommene Abwechslung. Jedoch war niemand auf den Muskelberg vorbereitet der kurz nach dem Mittagessen das Zimmer stürzte um alles zu umarmen, was sich darin befand und nicht gesund genug war um ihm zu entkommen. "Major Armstrong, sollten Sie sich nicht schonen?", rief Riza überrumpelt als sich die starken Arme des Mannes um sie legten und ihr die Luft aus den Lungen presste. "Und warum tragen Sie kein Hemd?!" "Das Personal gibt ihm kein Oberteil mehr. Er hat seit gestern schon drei zerrissen." Olivier Mira Armstrong trat aus dem massiven Schatten ihres Bruders heraus. "Deshalb läuft diese Peinlichkeit auch schon den ganzen Vormittag über halbnackt durch das Krankenhaus." Unwillkürlich musste sich Riza fragen, wie viele Menschen sich heute schon unerwartet in der schraubstockartigen Umarmung des Majors wiedergefunden hatten. "Diese Technik zur Verbesserung der Heilung wurde seit Generationen in der Armstrong-Fam..." "Klappe Alex und lass' Oberst Mustang los! Der läuft schon blau an! Ich verstehe sowieso nicht, was du hier machst. Ich dachte, du hättest nur geringfügige Verletzungen? Pffff..." Ohne darauf zu warten, dass ihr jemand den einzigen Besucherstuhl im Raum anbot, ließ sich Olivier Mira Armstrong auf das Möbelstück fallen. Trotz der vielen Verbände trug sie bereits wieder ihre Uniform. "Gratulation Mustang. Der Plan scheint aufzugehen. Nachdem uns noch kein Erschießungskommando vor eine Wand gestellt hat, dürfte sich Grumman in seiner Position behaupten." "Ich habe nichts anderes erwartet. Auch wenn Sie die Kommandozentrale im Osten für unfähig halten, kann man wohl nicht leugnen, dass hier gute Arbeit geleistet wurde. Aber auch wir haben noch keine Nachrichten erhalten, sondern müssen uns auf die Gerüchte verlassen, die wir hier aufschnappen. Meine Männer sind gerade dabei näheres herauszufinden", antwortete der Oberst. "Das selbe gilt für mich. Ich werde Sie benachrichtigen, wenn ich Informationen bekommen habe." Fragend hob Riza eine Augenbraue. Zwar hatte diese Frau eine tragende Rolle in der Verschwörung zur Rettung Amestris gespielt, doch hatten alle vermutet, dass die Zusammenarbeit damit beendet sein würde. "Aber eigentlich bin ich hier um Sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich in den Norden zurückkehren werde. Für's Erste gibt es hier für mich nichts mehr zu tun." Sie erhob sich. "Passen sie mir nur auf den Hornochsen hier auf. Jetzt, wo er damit beginnt sich nicht mehr vollkommen wie eine Schande aufzuführen", fügte sie mit einem Seitenblick auf ihren Bruder hinzu. "Aber so wie es aussieht, war das sowieso nur vorübergehend." "Puh", stöhnte Roy, als der Generalmajor das Zimmer verlassen hatte. "Die Frau ist schon beängstigend, wenn man alle seine Sinne beisammen hat." "Wollte wohl sicher gehen, dass die Konkurrenz ausgeschaltet ist." "Wahrscheinlich..." Nun wirkte er wieder niedergeschlagen. Auch in dieser Nacht fanden die beiden Sicherheit in der Nähe des anderen. Schließlich hatte die Oberschwester nichts gesagt, was das Zusammenschieben der Betten verboten hätte. Doch ungestört verlief die Nachtruhe nicht. Riza erwachte, als der Oberst sich im Schlaf unruhig hin und herwälzte. Schweiß stand auf seiner Stirn und für einen Moment sorgte sie sich, dass sich seine Wunden infiziert hatten. Doch als er begann im Schlaf zu sprechen, wusste sie, dass es die Alpträume waren, die ihn quälten. Sie hatte dieselben. Jeder der in Ishval dabei gewesen war und sich einen Rest Menschlichkeit behalten hatte, wurde davon heimgesucht. Die schrecklichen Bilder unauslöschbar ins Gedächtnis eingebrannt. Vorsichtig griff sie nach seinem Arm. Noch bevor sie ihn wachrütteln konnte, saß er plötzlich kerzengerade in seinem Bett. Die blicklosen Augen weit aufgerissen. "Ich weiß was ich tun werde." _________________________________________ Statistik: - Blutabnahmen: viel zu viele* - Krankenhausessen: schlecht - Schlag: verbesserungswürdig - Konzept des äquivalenten Tausches: widerlegt - wenn man nicht einmal einen Tag Ruhe bekommen konnte, nachdem man die Welt unter Einsatz seines Lebens gerettet hatte, dann stimmte diese Theorie mit Sicherheit nicht Kapitel 3: Tag 2 ---------------- Tag 2: an dem neue Pläne geschmiedet werden Ein Zimmer abseits der Intensivstation zu bekommen war das beste, das ihnen passieren konnte. Keine ständigen Überwachung von Ärzten und Krankenschwestern mehr. (Der Drachen hatte erneut einen Tobsuchtsanfall bekommen, befand sich aber nun Gott sei Dank am anderen Ende des Krankenhauses und hatte hier keine Macht mehr.) Nur noch ein einzelner Soldat, der die Tür bewachte, sich sonst aber nicht weiter für die Patienten interessierte. Es ergaben sich nur wenige Unannehmlichkeiten und an einer dieser arbeitete Riza gerade. Der Oberst stöhnte zum wiederholten Male missgelaunt auf. Mit verschränkten Armen saß er auf der Kante seines Bettes und gab sein Bestes um genervt auszusehen. Sie kannte diese Pose. Zuweilen ertappte man ihn auch im Büro dabei. Jedes Mal wenn er das tat musste Riza an einen schmollenden Jungen denken, der seinen Willen nicht bekam. Momentan zeigt nur der Rasierschaum in seinem Gesicht deutlich, dass es sich hier um einen erwachsenen Mann handelte. Während sie seine Mätzchen beim Einschäumen noch toleriert hatte, würde sie es ihm mit der Klinge in der Hand nicht mehr gestatten. "Still halten", wies sie ihn an als sie das Messer ansetzte um die paar kleinen Stoppeln zu entfernen, die sich in den letzten Tagen in seinem Gesicht angesammelt hatten. "Und ich dachte ich wäre derjenige, dessen Rang es ihm erlaubt hier die Befehle zu geben." Riza überging diesen Kommentar und setzte das Rasiermesser erneut an. "Ich kann das alleine." "Ja, das Ergebnis Ihres Versuches sehe ich, Sir." Sie würde ihn mit nichts mehr hantieren lassen, dass schärfer als ein Buttermesser war. Der Schnitt an seiner linken Wange war schlimm genug. Er würde seine unüberlegte Aktion spätestens dann bereuen, wenn das Aftershave an der Reihe war. "Vielleicht sollte ich mir auch einfach einen Bart wachsen lassen." "Um Himmels Willen!", rief Riza aus. "Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist", fügte sie beherrschter hinzu und fasste sein Kinn etwas stärker. Er murmelte etwas, dass wie "werden wir schon sehen" klang, vor sich hin. "Ich denke, ich will doch lieber eine Schwester." "Eine, die alles sagt und tut was Sie wollen, Oberst?" "Ja. Genau so eine." Doch dann fügte er sich und ließ Riza endlich arbeiten. Die Aussicht auf weitere schmerzhafte Kratzer gefiel ihm wohl doch nicht besonders gut. Als sie ihre Aufgabe beendet hatte strich sie prüfend über sein Gesicht. Aus dem einfachen Testen, ob nicht doch ein paar Härchen übersehen worden waren, wurde eine zärtliche Geste. Beide genossen den Kontakt. Eine erwartungsvolle Stimmung lang in der Luft. Der Raum wirkte auf einmal viel kleiner. Und Riza Hawkeye, kampferprobte Scharfschützin, wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Einiges hatte sich zwischen ihnen geändert, doch es fiel ihr schwer die jahrelang praktizierten, gefestigten Verhaltensweisen abzulegen. Nicht instinktiv zurückzuweichen, wenn sich eine Chance ergab, einander näher zu kommen. "Glatt wie ein Babypopo", stellte sie fest als die Atmosphäre zu überwältigend wurde und machte sich daran aufzustehen und die Utensilien wegzuräumen. Doch dann legte sich Roys Hand auf ihre und hielt sie zurück. "Da fehlt noch eine Stelle. Ich kann es spüren." "Aber..." Er verschob ihre Hand um ein paar Zentimeter. "Genau da." Sie zog die Hand weg um die Stelle zu begutachten. "Da ist nichts." "Vielleicht müssen Sie einfach nur genauer hinsehen, Oberleutnant?" In dem Moment, in dem sie sich vorbeugte, hatte sie seinen Plan durchschaut und musste grinsen. Etwas ungeschickt tasteten seine Hände nach ihrem Gesicht. Sie hinderte ihn nicht daran, sondern half ihm den richtigen Weg zu finden. Ihre Lippen trafen sich. Und auf einmal fühlte sich nichts mehr seltsam an. "Hervorragend. Einfach hervorragend." Applaudierend betrat der Übergangsstaatschef von Amestris das Zimmer. "Ich bin so froh, dass Sie sich meine Worte endlich zu Herzen nehmen, Oberst Mustang." Wie von der Tarantel gestochen fuhren die beiden auseinander. "Nur keine Umstände meinetwegen. Jetzt ist es sowieso zu spät um irgendetwas zu verheimlichen." Der alte Mann wirkte äußerst zufrieden mit sich selbst. "Berührt - geführt, Oberst. Aus der Sache kommen Sie jetzt definitiv nicht mehr heraus." Verständnislos blickte Riza von einem zum anderen. Sie hatte keine Ahnung was da gerade ablief. "Was...? Worum geht es hier?" Sie sah Roy an, der ihren Blick instinktiv spüren musste und das Gesicht abwandte. "Der Kommandant liegt mir schon seit Jahren damit in den Ohren, dass ich eine Ehefrau finden soll", gestand ihr Vorgesetzter ihr schließlich zögerlich. "Nicht nur irgendeine, wie ich betonen will. Nur um dieses Detail nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Irgendwann wird man das schließlich in den Geschichtsbüchern erwähnen. Und da sollte doch alles seine Richtigkeit haben, nicht wahr?" Riza war sprachlos. Wie konnten diese beiden hinter ihrem Rücken über solche Dinge diskutieren? Sie hatte immer alles dafür getan, dass keine Gerüchte aufkamen. Zumindest keine, die über das Maß hinausgingen, dass zwangsweise entstand, wenn ein als Frauenheld verschriener Junggeselle mit einer Frau zusammenarbeitete. Niemandem hatte sie einen Grund für ernsthafte Tuscheleien geboten. Aber das ausgerechnet der Kommandant des East City-Hauptquartiers über solche Dinge nachdachte? Sie wusste, dass Roy Mustang gelegentlich dazu tendierte ein manipulativer Bastard zu sein und dass er es von eben diesem Kommandanten gelernt hatte - aber dass dieser sich für solche Dinge interessierte? Und dann traf es sie wie ein Schlag. Ehefrau?! "Ehefrau?!" Rizas Abzugfinger zuckte unwillkürlich. Sie atmete einmal tief durch. "Bei allem Respekt... aber das wäre wohl doch etwas voreilig." Während der Oberst rot anlief schüttete sich der Kommandant vor Lachen aus. "Das ist wohl wahr." "Sir, berührt - geführt gilt nur, wenn ein Zug möglich ist, der den Regeln entspricht", warf der Schwarzhaarige ein. "Dann müssen Sie sich wohl anstrengen in eine Situation zu kommen, in der der Zug regelkonform wird. Wie gesagt, da gibt es kein Entkommen mehr." Grumman strich sich über den Bart. "Ich bin sowieso gekommen um die weiteren Optionen zu diskutieren." Der Moment der Wahrheit war gekommen. Riza verkrampfte sich innerlich. Würde man den Oberst aufgrund seiner Behinderung aus dem Militärdienst entlassen? "Ich will Ishval wieder aufbauen!", platzte es aus ihm heraus noch bevor Grumman ein weiteres Wort sprechen konnte. "Offiziell, im Namen der Regierung. Es wird Zeit, dass wir damit beginnen unsere Fehler einzugestehen und denjenigen beistehen, an denen wir uns damals so schändlich vergriffen haben." Ein Lächeln schlich sich bei diesen Worten auf Rizas Züge. Genauso wie in dem Moment, mitten in der Nacht, in der ihr das erste Mal von seinen Plänen erzählt hatte. Genauso wie am Morgen als er sein Team losgeschickt hatte um all das Wissen zusammenzutragen, dass für so eine Mission nötig war. Doch es würde nichts gegen den Ausdruck von unbändiger Freude sein, der sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, als Dr. Marcoh später am selben Tag erschien. Den Stein der Weisen und ein Angebot mit sich führend. "Ehefrau?", fragte sie noch einmal, als Ruhe im Krankenhaus eingekehrt war und sie wieder in einem Bett lagen. "Roy Mustang, wie lange redest du hinter meinem Rücken davon mich zu heiraten?" "Hey! Ich habe nie davon geredet, dich zu heiraten. Das war alles die Idee von dem alten Mann!" "Das will ich auch hoffen! Ehefrau..." Riza amüsierte sich göttlich als sie seine Mimik studierte. "Dir mag mein Herz gehören, Roy Mustang, aber meine Hand musst du dir erst verdienen!" ____________________________________________ Statistik: - Küsse: zu wenige - Privatsphäre: inexistent - Hoffnung: mehr als jemals zuvor - Hochzeitspläne: auf einen späteren Zeitpunkt verschoben Epilog: Epilog -------------- Epilog: in dem die Zukunft wieder Gestalt annimmt "In Wahrheit bin ich hier doch nur das Versuchskaninchen", grummelte Jean Havoc vor sich hin. "Und dafür kann ich in dem Schuppen noch nicht mal eine Rauchen." "Als ob die letzte Zigarette länger als eine Viertelstunde her wäre..." "Jetzt lasst doch einem armen Krüppel seine letzte Freude." Der Leutnant verschränkte die Hände hinter dem Kopf. "Selbstmitleid steht einem erwachsenen Mann nicht. Außerdem stinkst du wie ein Aschenbecher." "Derjenige der nach Hund stinkt sollte nicht über den Geruch von anderen urteilen" "Ruhe! Keiner von euch duftet nach Rosenblüten. Der Doktor muss sich konzentrieren!", ging Roy dazwischen. Riza bekam die Kabbelei ihrer Kameraden nur am Rande mit. Nervosität lag in der Luft. Während die Männer damit umgingen, in dem sie sich wie kleine Kinder benahmen wurde sie immer stiller. Dr. Marcoh war mehr als zuversichtlich, doch keiner konnte wissen, mit welchem Ergebnis der heutige Tag zu Ende gehen würde. Noch nie hatte jemand den Stein der Weisen auf diese Art benutzt und das Alchemie nicht risikolos war, war jedem der Anwesenden nur allzu schmerzlich bewusst. Jeder von ihnen war durch diese Macht gebrandmarkt. Auch wenn die meisten die Folgen nicht so sichtbar am Körper trugen wie sie selbst. Der Doktor blätterte schon seit geraumer Zeit in seinen Unterlagen. Komplizierte alchemistische Kreise zierten die einzelnen Blätter. Der Stein der Weisen konnte den Effekt nur verstärken. Die Wirkungsweise musste dem Alchemisten bekannt sein. Doch der Mann wirkte zuversichtlich. * "Versuchen Sie Ihre Beine zu bewegen", wies Dr. Marcoh seinen Patienten an. Gebannt starrten die Anwesenden auf Havocs Beine. Sekunden vergingen. Und nichts passierte. Das konnte selbst Riza vom anderen Ende des Raums aus erkennen. Die hoffnungsvolle Stimmung der letzten Stunden war schlagartig verschwunden. Keiner sprach ein Wort. Jean Havoc kramte mit zittrigen Händen eine Zigarette aus seiner Taschen. Das Rauchverbot war ihm nun scheißegal. Nur der Arzt schien sich durch dieses Ergebnisse nicht entmutigen zu lassen. Ohne Vorwarnung schlug er gegen das Schienbein des Soldaten. "Au!" "Herzlichen Glückwunsch Leutnant Havoc." Er erntete ungläubige Blicke. "Aber... Ich kann meine Beine immer noch nicht bewegen!" "Aber Sie können wieder spüren! Ein wichtiger prognostischer Faktor", antwortete der Arzt. "Sagen Sie Leutnant haben Sie auch versucht mit den Zehen zu wackeln?" "Ähm... nein." "Dann probieren Sie das!" Der junge Mann zögerte. Es war offensichtlich was ein weiterer Fehlschlag mit ihm anstellen würde. Mit dem einem Gesichtsausdruck, der von höchster Konzentration geprägt war, starrte er auf seine Zehen. Und diese beugten sich seinem Willen. "Es ist vollkommen normal, dass Sie Ihr ganzes Bein nicht bewegen können. Ihre Muskeln waren monatelang absolut inaktiv." Er schüttelte seinem Patienten die Hand. "Gratulation - Sie haben soeben eine monatelange schmerzhafte Physiotherapie gewonnen - aber auch die Chance wieder gehen zu können! * "Und jetzt raus mit euch Vieren!" "Aber Oberst?" "Geht einen Trinken. Es gibt schließlich etwas zu feiern!" "Seien Sie doch kein Spielverderber! Warum sollen wir gehen?" Eine große Ader pulsierte deutlich sichtbar auf Roy Mustangs Stirn. "Weil ich nicht Gefahr laufen will, dass das erste was ich sehe eure Visagen sind! Also raus mit euch." "Schon klar Boss", grinste Havoc. "Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich Hawkeyes bezauberndes Gesicht auch dem Quadratschädel von Breda vorziehen". Die Männer kicherten und Riza streichelte beruhigend über die Hand ihres Obersts. Sie hatte es längst aufgegeben diese kleinen Gesten vor ihren Kameraden zu verstecken. "Gentleman, das Zimmer wird sowieso bis auf eine einzelne Kerze abgedunkelt. Es gibt also so oder so nicht viel zu sehen", sprang Dr. Marcoh ein, während er Roy zusätzlich noch eine Sonnenbrille aufsetzte. Es fühlte sich an, als wären Stunden vergangen, auch wenn es nicht mehr als zehn Minuten gewesen sein konnten, bis der Arzt seine Vorbereitungen abgeschlossen hatte. "Schließen Sie die Augen. Öffnen Sie sie erst wieder wenn ich es Ihnen sage. Und dann nur langsam. Die Sinneseindrücke könnten sonst zu viel für Sie sein." Riza drückte Roys Hand. Dieser nickte dem Doktor zu. Wie zuvor dauerte der eigentliche Vorgang nur den Bruchteil einer Sekunde. Unspektakulär. Ein zufälliger Beobachter könnte dem Eindruck erliegen, dass die Heilung kein Wunder, sondern ein Kinderspiel war. Roys Hand umklammerte ihre, so fest, dass es weh tat, als Dr. Marcoh schließlich die sehnsüchtig erwartete Anweisung gab. Riza verfluchte die Sonnenbrille, die seine Augen versteckte und verhinderte, dass sie das Ergebnis sah. Sie wollte fragen, doch brachte sie die Worte nicht über die Lippen. Roys Griff wurde lockerer. Dann entdeckte sie die kleine Träne, die sich ihren Weg über die Wangen des Schwarzhaarigen bahnte. Langsam folgte der kleine Tropfen der Schwerkraft. Roy ergriff ihre andere Hand, die sich selbstständig gemacht hatte um die Flüssigkeit aus seinem Gesicht zu wischen. Mit der anderen entfernte er die Brille. Und strahlte, die Augen zusammengekniffen, aber auf sie fokussiert. Riza zog ihn an sich und küsste ihn. Stürmisch, jegliche Zurückhaltung fallen lassend. Die Welt um sich herum vollkommen ignorierend, bemerkten sie nicht, wie der Arzt seine Sachen an sich nahm und sich unauffällig zurückzog. Seine Arbeit hier war getan. Irgendwann löste Roy sich von ihr. Nur widerstrebend ließ sie dies zu. Verwirrt wollte sie ihn aufhalten, als er von der Bettkante glitt, auf der er gesessen hatte. "Riza Hawkeye, du hast mir vor langer Zeit ein Versprechen gegeben. Das Versprechen, dass du mich dabei unterstützt mein Ziel zu erreichen. Jetzt frage ich dich, ob du mir ein weiteres Versprechen geben willst. Für die Zeit danach." Er holte tief Luft. "Du hast gesagt, dass ich mir deine Hand verdienen muss und nichts anderes hätte ich erwartet. Also... Willst du mich heiraten, wenn wir Ishval wieder bewohnbar gemacht haben und ich Generalfeldmarschall geworden bin?" Das "Ja!" kam ihr so natürlich über die Lippen, wie sie es nie von sich erwartet hatte. Die Dinge mochten sich geändert haben. Doch daran war nichts Seltsames mehr. Es war nur ein weiteres Versprechen, dass die Leben dieser beiden gebrandmarkten Menschen für immer miteinander verwob. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)