Die unerträgliche Schwere des Sterbens von SnoopFroggyFrog ================================================================================ Kapitel 7: Musik ---------------- Erwachen war nie schwer gewesen für Hermione. Seit sie fünf oder sechs war – so genau wusste sie es selbst nicht – stand sie jeden Morgen pünktlich um sieben Uhr auf, es sei denn, sie war krank. Ihre Eltern hatte das nie gestört, vielmehr waren sie stets stolz gewesen, gegenüber Familie und Freunden, gelegentlich auch einigen Patienten, ungeniert davon erzählen zu können, wie selbstständig und erwachsen ihre kleine Tochter doch war. Hermione hatte sich nichts dabei gedacht, bis ihre Tante Sophie auf einem Familientreffen großes Lob für sie ausgesprochen hatte und dann sich wünschte, ihr Stiefsohn wäre auch nur halb so gut erzogen wie sie. An dem Tag hatte dieses kleine Bücherwürmchen zum ersten Mal gespürt, dass sie gelobt werden wollte, auch wenn sie es nicht in Worte hatte fassen können. Je mehr Zeit vergangen war und je mehr ähnlichere Vorfälle aufkamen, desto hungriger wurde sie nach Anerkennung und dem Bedürfnis, etwas Besonderes zu sein. Mit sieben Jahren las sie einen Bericht über ein fünfjähriges Wunderkind, das bereits vier Sprachen beherrschte, und sie fühlte sich so minderwertig, dass sie die Zeitschrift kurzerhand zerriss und dann in den Mülleimer warf. In ihrer steten Suche nach einem Weg, bewundert zu werden, hatte Hermione viele Projekte begonnen. Schule hatte sie nicht lange faszinieren können, nachdem sie eifrig genug gearbeitet hatte, um für Monate oder sogar ein, zwei Jahre ihren Mitschülern voraus zu sein. Also investierte sie die übrige Zeit und Energie darin, Französisch zu lernen. Sie las so gut wie jedes Buch, das sie in die Finger bekam, bis sie entdeckte, dass die Leute bewundernder dreinschauten, wenn man Klassiker las. So las sie Klassiker, angefangen mit Jane Austen und den Geschwistern Brontë, bis hin zu Shakespeare, dem sie ihren Vornamen verdankte. Je mehr sie las, desto schneller lernte sie auch zu lesen und bald hatte sie mehr und mehr Zeit zur Verfügung, die sie dazu nutzen konnte, etwas für ein Kind Ungewöhnliches zu lernen oder es bis auf ein für ein Kind ungewöhnliches Niveau zu bringen. Klavier war das Mittel der Wahl gewesen und selbst, nachdem sie in Hogwarts angefangen hatte, hatte sie es nicht aufgegeben und in jeden Ferien, die sie darauf verwenden konnte, viel und eifrig gespielt. Als sie an diesem Morgen, früher als für sie üblich, aufwachte war es noch nicht ganz hell, doch vor den Fenstern hörte man bereits einige Vögel zwitschern. Während sie noch blinzelte und sich wieder darauf besann, was alles am Vortag geschehen war, drangen schwach die Töne eines Klaviers an ihre Ohren. Sofort erhob sie sich vom Bett – wobei ihr auffiel, dass sie dringend neue Kleider bräuchte und eine Dusche gewiss auch nicht schaden würde – und schlich zur Tür. Sie folgte den Klängen durch die Flure und kam vor einer einzelnen Tür zum Stehen, hinter der das Instrument stehen musste. Verständlicherweise zögerte sie – nur eine andere Person war im Haus, welche die Freiheit genoss, Klavier zu spielen. Wollte sie ihn tatsächlich stören, auch auf die Gefahr hin, sich zumindest einen Rüffel einzufangen? Ihre Neugier obsiegte. Vorsichtig drückte sie die Klinke hinunter und spähte in den Raum, dann trat sie leise ein. Dort stand in der Tat ein Klavier, ein Flügel sogar, und Voldemorts Finger flogen wie in Ekstase über die Tasten. Jedoch – war das Voldemort? Er sah anders aus, als sie ihn gestern noch gesehen hatte. Verschwunden waren die schlangengleichen Gesichtszüge, der kahle Kopf und der klägliche Rest einer Nase. Stattdessen saß dort ein älterer Mann, vielleicht Ende Sechzig, mit angegrautem Haar und einigen Falten, sowie einer Nase. Seine Augen waren fast geschlossen, darum konnte sie nicht erkennen, ob sie noch rot waren. Trotz all dieser Unterschiede erkannte sie schließlich, dass dieser Mann Voldemort war. Ein Hinweis darauf war die große, beängstigende Schlange, die sich auf einem Sessel am Kamin zusammengerollt hatte, die gewiss die Schlange Nagini war, von der Harrys Vater, der Ordenskämpfer, berichtet hatte und die sich nahezu ausschließlich in der Nähe ihres Meisters aufhielt. Der eindeutigste Beweis war allerdings, dass er die Kleider vom Vortag trug, was sie durchaus verwirrte. Andererseits sah er auch nicht so aus, als wäre er überhaupt im Bett gewesen. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, die sicher von mehr als nur einer Nacht ohne Schlaf kamen. Versunken lauschte sie der wunderschönen Melodie, die er spielte. Es war, in steter Wiederholung, „Für Elise“, von Ludwig van Beethoven, eines ihrer liebsten Klavierstücke. Jedoch traf es sie ein wenig, dass er es so viel besser beherrschte als sie: Beinahe bekam sie den Eindruck, seine Finger würden die Tasten nicht einmal berühren, so eilig und vogelflatterhaft tanzten sie hin und her. Plötzlich stoppte er abrupt, riss die Augen auf und starrte sie an. Sie spürte, wie das Blut ihr Gesicht verließ und ihr Herz sich beinahe dafür entschieden hätte, das Schlagen einzustellen. Bilder diverser Folter- und Tötungsmethoden, die er an ihr austesten könnte, huschten an ihrem inneren Auge vorbei und sie wollte schon wieder flüchten, um diesem Schicksal zu entkommen, als ihr Blick von seinen starren, dunklen Augen auf seine Hände fiel, die wie unentschlossen über den Klaviertasten schwebten. Sie zitterten. Auf einmal sah sie ihn mit völlig anderen Augen. Das hier war nicht der große, böse Dunkle Lord, der die schönen Träume von Kindern fraß, sobald sie schliefen, dies war ein alter, ein zerbrechlicher Mann, der sich in Friede und Isolation von Musik geflüchtet hatte. Und sie hatte ihn dabei gestört. Sie war ein Eindringling in der schillernden Seifenblase seines Inneren, die er mit dem Klavierspiel zu beschreiben vermocht hatte und die nun geplatzt war. Ihre Wangen wurden heiß und sie sah zu Boden. „Es... es tut mir Leid“, flüsterte sie. Kurz blieb es still, dann hörte sie, wie er sich erhob. „Raus hier.“ Seine Stimme war um keinen Deut lauter geworden als am Vortag, doch die Kälte darin war so eindeutig, dass sie sich frieren glaubte. Sofort gehorchte sie und flüchtete aus dem Raum, rannte zurück zu ihrem Zimmer, das sie mehr durch Glück denn durch schon ausgezeichnete Wegkenntnisse fand, warf die Tür hinter sich ins Schloss und dann sich selbst auf das Bett. Sie war, nach wie vor, nur ein fünfzehnjähriges Mädchen und sie schämte sich dafür, sich auch so verhalten zu haben, als sie ihn einfach gestört hatte. Mit Grauen dachte sie daran, dass gewiss keiner etwas mit so einem dummen Gör zu tun haben wollen würde, wie sie es eben gewesen war, und ihr wurde heiß und kalt zugleich bei dem Gedanken, den einzigen Menschen, der ihr zu ähneln schien, wieder zu verlieren, während die Schuldgefühle darüber, ihre Freunde und Ideale mit der Entscheidung für ihn zu verraten, ihr die Luft abschnürten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)