Vergeltung von Nochnoi (Version II) ================================================================================ Kapitel 8: Scheinheilig ----------------------- London, England (2012): Das Rauschen des Wassers drang an Alecs Ohren, als er die Eingangstür der Wohnung geräuschlos hinter sich schloss. Zwar hätte er auch lässig galant durchs Fenster einsteigen können, so wie Hollywood es wahrscheinlich von ihm erwartet hätte, doch Alec hatte schon immer den direkten Weg bevorzugt. Possenreißerei und überquellendes Selbstbewusstsein, das schnell in Peinlichkeit umzuschlagen vermochte, war noch niemals sein Stil gewesen. Er mochte es stattdessen simpel und fast schon ein wenig unspektakulär. Alecs Blick schweifte durch die Wohnung. Es war nichts Besonderes daran, eine unauffällige Einrichtung, wie sie in vielen Häusern Englands zu finden war. Alles wirkte vollkommen gewöhnlich und nichts deutete darauf hin, dass in diesem Appartement zwei Jägerinnen wohnten. Keine antiken Waffen, die demonstrativ an der Wand hingen, und auch keine Bücher über Okkultismus in den Regalen. Es machte den Anschein, als wollten sich die Frauen wenigstens zu Hause von ihrer Arbeit distanzieren. Als wäre dies ein kleiner Zufluchtsort, an dem sie alle Dämonen und Vampire vergessen konnten. Alec schmunzelte angesichts dieser Erkenntnis. Er liebte es einfach, perfekte kleine Reiche, die die Menschen für sich selbst erschaffen hatten, zu entweihen und damit zu zerstören. Schon sehr bald würden sich die Jägerinnen nicht mehr so sicher fühlen in ihren eigenen vier Wänden, wenn sie erst einmal bemerkten, welch unheiliger Besucher ihre Welt betreten hatte. Alecs Aufmerksamkeit blieb an einigen Fotos hängen. Das größte von ihnen zeigte die beiden Mieterinnen, wie sie Arm in Arm in die Kamera strahlten. Die blonde hochgewachsene Schönheit entblößte dabei ein Perlweißlächeln, dass einem fast schon mulmig werden konnte. Diese Frau schien wohl zu der Sorte Mensch zu gehören, die sich gern in den Vordergrund drängte und nach Aufmerksamkeit heischte. Ihre Freundin hingegen war offenbar von gänzlich anderer Art. Sie wirkte zurückhaltender, beinahe schon ein wenig genervt vom Treiben ihrer Mitbewohnerin. Obwohl ihr Lächeln ehrlich schien, konnte Alec den Missmut in ihren Augen erkennen. Offenbar hatte sie von früh auf gelernt, sich perfekt zu verstellen. Die anderen Bilder zeigten weitere Personen, wahrscheinlich Familienmitglieder und Freunde. Zumindest entdeckte er ein etwas älteres Foto, das einen Ehrenplatz an der Wand erhalten hatte, und ein glücklich lächelnden Paar zeigte, das, der Ähnlichkeit zur unter der Dusche stehenden Jägerin nach zu urteilen, vermutlich ihre Eltern waren. Alec wandte sich dem Wohnzimmertisch zu. Dort lag die Post übereinander gestapelt – Briefe und Zeitschriften –, die man achtlos dort hingeworfen hatte. Alec nahm sich einen der Briefe – dem Logo auf dem Umschlag nach zu urteilen die Stromrechnung – und betrachtete ihn genauer. Dort stand, in unschuldigen Druckbuchstaben, ihr vollständiger Name: Eve Hamilton! Alec hatte, als er ihn unten am Briefkasten entdeckt hatte, kurz die Stirn gerunzelt, sich daran erinnernd, dass Necroma diesen Namen in den letzten Jahrzehnten des Öfteren erwähnt hatte. Zwar immer im Zusammenhang mit irgendwelchem rätselhaftem Unsinn, sodass Alec nicht imstande war, irgendeine Verbindung zu knüpfen, aber es hatte auf jeden Fall irgendeine Bedeutung. Auch wenn noch nicht wirklich ersichtlich war, welche. Es hatte auf jeden Fall ausgereicht, dass Asrim ihn, als er sich im Red Foxy der Jägerin unangenehm genähert und ernsthaft erwogen hatte, Gewalt anzuwenden, um die ersehnten Antworten zu erhalten, zurückgepfiffen hatte. Sein Schöpfer hatte ihm daraufhin mehr als deutlich gemacht, dass der Frau kein Haar zu krümmen wäre, da sie noch eine entscheidende Rolle zu spielen hätte, war jedoch nicht weiter ins Detail gegangen und hatte Alec verwirrt und ratlos zurückgelassen. Er hatte keine Ahnung, was los war. Er wusste nur noch, dass Necroma den Namen Eve Hamilton bei mehreren Gelegenheiten erwähnt hatte, während sie im selben Atemzug von verlorenen Kindern, blutigen Straßen und rachsüchtigen Dämonen gesprochen hatte. Und das alles mit einem solch breiten Lächeln, dass sich Alec deswegen keine großen Sorgen gemacht hatte. Nun jedoch wurde er das Gefühl nicht los, dass er ihr damals besser hätte zuhören sollen. Das Rauschen des Wassers verstummte plötzlich und es drangen Geräusche an Alecs Ohr, die darauf schließen ließen, dass Eve aus der Dusche kletterte. Ein kurzer Schmerzensschrei und ein äußerst undamenhafter Fluch waren zu hören, als sie sich irgendwo anstieß. Es dauerte nicht lange und die Badezimmertür öffnete sich. Heraus trat eine frisch geduschte und sichtlich belebte Jägerin. Alec musste bei ihrem Anblick unweigerlich schmunzeln. Wenn all seine Gegner so aussehen würden, dann wäre es ihm sicher schwer gefallen, zu entscheiden, ob er sie hassen oder lieben sollte. Eves nasse Haare waren von einem hellgrünen Handtuch zerrubbelt, welches sie locker um ihren nackten Körper geschlungen hatte. Sie summte leise eine Melodie, während sie über den leichten, dennoch nicht zu übersehenden Bluterguss an ihrem Hals strich, den Alec ihr am vorherigen Abend beigebracht hatte. „Hallo, Schatz!“ Die Stimme des Vampirs riss sie augenblicklich aus ihren Träumereien. Wie vom Donner gerührt hielt sie inne und starrte Alec in ihrem Wohnzimmer dermaßen ungläubig an, als würde sie ihn für eine Illusion halten. Für einen kurzen Moment war sie zur Salzsäule erstarrt, einer hübschen Statue gleich. Ihre Lähmung dauerte jedoch nur wenige Sekunden an. Eilig stürmte sie zur nächsten Kommode und schnappte sich die Waffe, die dort neben den Schlüsseln platziert lag. Alec hätte sie zwar mühelos daran hindern können, doch er verspürte wenig Lust dazu. Solch ein Schießeisen konnte ihm sowieso nichts anhaben, es würde bei ihm nicht mehr Schaden anrichten als ein Mückenstich. Eve reckte ihm mit entschlossener Miene die Pistole entgegen, während sie mit der anderen Hand geradezu krampfhaft ihr Handtuch festhielt. „Was ... was tust du hier?“, stieß sie hervor. Sie zitterte ein wenig, dennoch versuchte sie eisern, furchtlos auszusehen. „Wie kannst du es wagen, hier einzudringen?“ Alec lachte auf. Sie sah wirklich entzückend aus, wenn sie wütend war. „Ich wollte dich doch nur besuchen“, meinte er, als wäre es das Natürlichste der Welt. „In diesem Club war es viel zu laut, um sich zu unterhalten, aber hier ist es wunderbar still.“ Tatsache war, dass er auch dort an Ort und Stelle irgendwie die Wahrheit aus ihr herausbekommen hätte. Er hätte sie sogar aufschlitzen und langsam verbluten lassen können und niemanden wäre es aufgefallen. Sie hatte es allein Asrim zu verdanken, dass sie an diesem Abend verschont geblieben war  „Du willst reden?“, fragte sie spöttisch. Man sah ihr an, dass sie angestrengt darüber nachdachte, welch finstere Pläne er wohl verfolgen mochte. „Wieso glaube ich dir das nur nicht?“ Alec legte seinen Kopf schief. Ihre Skepsis überraschte ihn wenig, im Grunde hatte er auch mit nichts anderem gerechnet. Hätte sie ihn mit offenen Armen empfangen und gleich zu einer Tasse Tee eingeladen, hätte sich sein so sorgsam erarbeitetes Weltbild von einem Moment auf den anderen völlig auf den Kopf gestellt. Dennoch sah er in ihren Augen kurz etwas aufblitzen, das er nicht recht einzuordnen wusste. „Du kannst von mir aus glauben, was du willst“, erklärte Alec. „Aber ich bin wirklich nur hier, um über ihn zu reden? Den, den eure Zeitungen 'Feuerteufel' nennen.“ „Seth“, sagte sie fast schon automatisch. Besonders erstaunt schien sie nicht zu sein. „Seth? So heißt er also?“ Alec konnte nicht unbedingt behaupten, dass dieser Name eine Erinnerung in ihm hervorrief. Allerdings war es ein Allerweltsname und darüber hinaus sowieso nicht besonders originell, sich nach einem alten Gott zu benennen.  „So hat er sich mir zumindest vorgestellt“, meinte Eve bissig. Ihr Blick huschte schnell zu einem dunklen Trenchcoat, der an der Garderobe neben der Eingangstür hing. Offenbar überlegte sie, ob sie ihr Leben riskieren würde, sollte sie nach dem Kleidungsstück greifen und es sich überziehen, um ihre nackte Haut zu bedecken. „Hat er sonst noch etwas gesagt?“, hakte Alec derweil nach. „Wo er herkommt, zum Beispiel?“ Eve biss sich unruhig auf ihre Unterlippe. „Er war nicht besonders gesprächig, was seine Vergangenheit angeht.“ Alec spürte jedoch, dass da noch mehr war. Dass sie noch weitere Informationen besaß, die sie wahrscheinlich erst herausrücken würde, wenn das Maß an Drohungen und Gewaltanwendungen ein Level erreicht hatte, bei dem sie sich nicht automatisch schämen musste, dass sie ihren Mund nicht hatte halten können. „Ich habe keine Ahnung, wer er ist“, erklärte sie, nachdem Alec eine Weile geschwiegen und sie stattdessen bloß mit einem intensiven Blick gemustert hatte, der ihr mehr als unangenehm zu sein schien. „Ich weiß nicht, aus welchem Loch er plötzlich geklettert ist und warum er so scharf darauf war, Walker in ein Brikett zu verwandeln.“ „Walker?“, fragte Alec mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Eve verzog gequält ihr Gesicht. „Bloß ein dummer Vampir. Nichts weiter.“ Alec lehnte sich ein wenig vor. Immer noch saß er auf der bequemen Couch und ließ keinerlei Anzeichen erkennen, dies in unmittelbarer Zukunft ändern zu wollen. Eve jedoch wusste sehr wohl, dass es für ihn nicht mal eine Millisekunde bedurft hätte, um den Raum zu durchqueren und ihr das Genick zu brechen. Dennoch bemühte sie sich weiterhin um Fassung, während sich gleichzeitig unter den Duft von Shampoo und Körperlotion der Geruch von Unsicherheit und Angst mischte. „Ich mag es nicht, angelogen zu werden“, stellte Alec unmissverständlich klar. „Ich lüge nicht!“, erwiderte Eve nachdrücklich. Die Hand, mit der sie immer noch die Schusswaffe umklammert hielt, zitterte derweil derart stark, dass sie langsam ihren Arm sinken ließ. Trotzdem erkannte man aufgrund ihrer Haltung und dem Funkeln in ihren Augen, dass sie weit davon entfernt war, einfach aufzugeben. „Du erzählst mir aber nicht, was ich wissen will“, korrigierte Alec sie wie ein begriffsstutziges Kind. „Mir ist durchaus bewusst, dass du kaum etwas über diesen Seth weißt. Aber trotzdem möchte ich erfahren, wie eure Begegnung abgelaufen ist. Was er gesagt und getan hat. Wie er gesprochen und sich bewegt hat. Einfach alles.“ Unwillkürlich schüttelte sie daraufhin ihren Kopf. „Ich werde einem Monster wie dir sicher nicht helfen.“ Alec lachte auf. „Ihr Jäger seid ganz schön mutig. Und dumm noch dazu.“ Er legte seinen Kopf schief. „Allein schon euer Titel: Dämonenjäger!“ Er schnaubte verächtlich. „Ich vermute, ihr habt Dämon bloß als allgemeinen Überbegriff gewählt, um uns Vampire, Lykaner und all die anderen ‚Monster‘ unter einen Hut zu bringen, aber nichtsdestotrotz ist das mehr als scheinheilig und heuchlerisch. Hat denn einer von euch schon jemals einen realen Dämon gesehen? Irgendeiner von euch?“ Eve starrte ihn auf eine Art und Weise an, die deutlich machte, dass ihr noch niemals zuvor eine solche Frage gestellt worden war. „Das dachte ich mir“, meinte Alec. „Selbst ich bin in meinem langen Leben bisher nur drei Dämonen begegnet und ich hätte wirklich jedes einzige Mal sehr gut darauf verzichten können. Diese Kreaturen haben mir eine Scheißangst eingejagt!“ Alec war nicht zu stolz, sich dies einzugestehen. Es wäre mehr als töricht gewesen, überhaupt etwas anderes zu behaupten. Eve betrachtete ihn derweil nachdenklich. „Du denkst, dass dieser Seth ein Dämon ist, nicht wahr?“ „Ich hoffe es nicht“, gab Alec ehrlich zu. Ein Dämon, der Lust auf Vampirblut verspürte, war nicht unbedingt das, was er sich in seinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Vielmehr kam es einem Albtraum gleich, aus dem es kein Erwachen gab. „Wenn es nämlich wirklich so ist, dürfte London bereits verloren sein.“ Eve musterte ihn mit einer Miene, die deutlich machte, wie sehr sie versuchte, die Fassung zu bewahren. Im Angesicht eines Vampirs wollte sie ganz sicher keinen Nervenzusammenbruch erleiden, auch wenn sie sichtlich kurz davor stand. „Also, was hat dir Seth noch gesagt?“, lenkte Alec das Gespräch wieder in die vorherige Richtung. „Nichts“, entgegnete sie sofort. „Er sprach nur davon, dass ihr hier auftauchen würdet, was ja, wie man unschwer erkennen kann, der Wahrheit entspricht. Und sonst …“ Alec spürte, dass da noch etwas war, das sie zurückhielt. Nicht etwa aus kalter Berechnung oder dummen Stolz, sondern aus der simplen Tatsache heraus, dass sie selbst nicht genau wusste, was es zu bedeuten hatte. „Und was noch?“, hakte der Vampir herausfordernd nach. „Hat er dich belästigt? Dir einen Heiratsantrag gemacht?“ Eve musterte ihn irritiert, als wäre sie tatsächlich nicht sicher, ob er dies ernst meinte oder nicht. „Er ... er kannte meinen Namen“, gab sie schließlich zögernd zu. Alec musste zugeben, dass es ihn wenig erstaunte. Sie war ganz sicher keine gewöhnliche Jägerin, wenn man bedachte, dass Necroma einst vor etlichen Jahren ein Gedicht über ihre haselnussbraunen Augen und ihre Blue Jeans verfasst und ihre Umgebung damit tagelang genervt hatte. Sie spielte einen wichtigen Part und Alec juckte es gerade sehr unter den Fingernägeln, die Vampirin aufzusuchen und sie danach zu fragen, auch wenn er wahrscheinlich keine klare Antwort von dieser verrückten Frau erhalten würde. „Du wirkst nicht, als würde dich das überraschen“, bemerkte Eve derweil argwöhnisch. „Was weißt du darüber?“ Alec zuckte mit den Schultern. „Wo wäre denn da der Spaß, wenn ich es dir verraten würde?“ Dass er im Grunde genauso wenig Ahnung hatte wie sie selbst, ließ er einfach außen vor. Er liebte es viel zu sehr, Menschen zu provozieren. „Sag es mir!“, zischte sie daraufhin, für einen Augenblick völlig vergessend, mit wem sie eigentlich sprach. Mit übermenschlicher Geschwindigkeit stand Alec von der Couch auf und trat direkt vor Eve, die erschrocken zusammenzuckte, aber genug Selbstbeherrschung besaß, um keinen einzigen Schritt zurückzuweichen. Stattdessen hob sie ihre Waffe wieder an und drückte sie gegen seinen Oberkörper, während sie sich gleichzeitig nicht daran zu stören schien, dass nur wenige Zentimeter Platz zwischen ihnen war. „Du bist wirklich süß, mein Engel“, sagte Alec amüsiert. „Dir ist aber schon klar, dass eine lächerliche Kugel mich nicht töten kann, oder?“ Eve hob eine Augenbraue. „Und dir ist bewusst, dass ich keine normale Munition verwende, nicht wahr? Diese lächerliche Kugel würde dir höllische Schmerzen bereiten.“ Alec lachte auf. „Ihr Menschen und euer Erfindungsreichtum. Ihr seid so gut darin, Dinge zu erschaffen, weswegen ich es noch nie verstanden habe, warum ihr es gleichzeitig darauf anlegt, so gottverdammt viel zu zerstören.“ Er hob seine Hand und fuhr sanft über den Bluterguss an ihrem Hals. Sie verkrampfte sich bei dieser Berührung zusehends, schaffte es aber immer noch, nicht zurückzuweichen. „Du riechst immer noch nach ihm, mein Schatz“, flüsterte der Vampir, nachdem er noch ein bisschen nähergekommen war. „Ich habe dir ja bereits gesagt, so schnell wirst du diesen Gestank nicht mehr los.“ „Seth!“, rief ihm Eve daraufhin wieder ins Gedächtnis, offenbar nicht erpicht darauf, über ihren Körpergeruch zu reden. „Was weißt du über ihn, das du mir nicht sagen willst?“ Alec musste sich eingestehen, dass sie ziemlich amüsant war, wie sie dort halbnackt vor ihm stand und Forderungen aussprach, als hätte sie tatsächlich irgendeine Macht über ihn. „Ich bin nicht verpflichtet, dir irgendeine Auskunft zu erteilen“, erklärte der Vampir. „Du brauchst also wirklich nicht zu erwarten, dass ich ein lieber, netter Vampir bin und dir alles erzähle, was ich weiß. Wo wäre denn da der Spaß?“ Eve knirschte daraufhin lautstark mit den Zähnen und schien tatsächlich kurzzeitig zu überlegen, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Doch stattdessen verkrampfte sie den Griff um ihr Handtuch, während sie sich zu erinnern versuchte, dass sie fast unbekleidet vor einem der ältesten Vampire der Welt stand und nichts weiter zur Verteidigung aufzuweisen hatte als eine Waffe, die ihn nicht töten konnte. „Ist dir kalt, Prinzessin?“, erkundigte sich Alec schmunzelnd. „Wenn du willst, bringe ich dich gerne ins Bett.“ Eve verzog missmutig ihre Mundwinkel nach unten. „Danke, ich verzichte.“ Dennoch erschauerte sie ein wenig – und das gewiss nicht nur aus Angst –, als Alec sich noch etwas weiter zu ihr vorbeugte. „Du weißt nicht, was du verpasst.“ Eve schien für eine kurze Weile mit ihrer Fassung zu ringen. Ihre Augen wurden leicht glasig, als sie mit aller Mühe versuchte, Alecs Blick standzuhalten. „Er will euch umbringen“, sagte sie schließlich kalt. „Wer? Seth?“ Alec lachte spöttisch auf. „Da wäre er nicht der erste, der es versucht. Ihr süßen kleinen Jägerlein habt es auch schon öfters ausprobiert. Und bisher ist es noch niemanden gut bekommen.“ Eves Körper versteifte sich immer mehr. „Seth ist kein gewöhnlicher Jäger. Er kann Vampire mit Magie töten.“ „Bist du sicher, dass es das war, was du gesehen hast?“, wollte Alec wissen. Sowohl der Vampir in Deutschland als auch lokale Untote hatten ähnliches berichtet, aber da die wenigsten auf diesem Planeten überhaupt Erfahrung mit wirklich mächtiger Magie hatten, war Alec bei solchen Aussagen immer vorsichtig. Was für die einen Magie war, war für die anderen nur ein billiger Trick aus Verblendung und Täuschung. Eve zumindest schien absolut von ihren Worten überzeugt, aber Alec kannte sie nicht einmal ansatzweise gut genug, um zu wissen, ob sie solch eine Situation auch richtig einzuschätzen vermochte. Allerdings deckte sich ihre Aussage mit den zahllosen anderen Berichten. Entweder hatten sich alle von diesem Seth blenden lassen oder es steckte doch etwas Wahres dahinter. Alec gefiel keine von beiden Varianten, denn so oder so trieb sich hier jemand herum, der durchaus gefährlich werden könnte, wenn man ihm nicht rechtzeitig Einhalt gebot. „Und habe ich es demnach richtig verstanden, dass Seth bereits wusste, dass wir hierherkommen würden?“, hakte Alec nach. Eves Mundwinkel zuckten kurz. „Es scheint mir fast, als hätte er es bewusst darauf angelegt. Als hätte er euch hierherlocken wollen.“ Was ja offenbar wunderbar funktioniert hat, schoss es Alec durch den Kopf. Er musste zugeben, dass ihm das alles nicht sonderlich gefiel. Es klang irgendwie unangenehm nach einer Falle, auch wenn dies im Grunde unmöglich war. Asrim und Necroma hätten dies eigentlich meilenweit gegen den Wind riechen müssen. Eigentlich. Asrim war seit ihrer Ankunft unglaublich wortkarg gewesen und hatte sich gleich rar gemacht. Zwar war er schon immer gerne geheimnisvoll geblieben und ließ sich meistens nur dann blicken, wenn er Lust und Laune dazu verspürte, aber trotzdem hatte es sich für Alec irgendwie anders als sonst angefühlt. Irgendetwas ging vor sich, über das ihr Schöpfer unter gar keinen Umständen reden wollte. Alec schob diese Gedanken jedoch vorerst zur Seite. Er wollte in der Gegenwart einer Jägerin sicher nicht den Anschein erwecken, besorgt zu sein. Stattdessen ergriff er unsanft die Haare an ihrem Hinterkopf und zwang sie, ihn direkt anzuschauen. Eve verkrampfte sich noch mehr und verzog kurz vor Schmerz ihr Gesicht, doch immer noch hielt sie ihre Waffe umklammert, als wäre es das einzige auf der Welt, das ihr noch Halt gab. „Ich komme langsam zu der Überzeugung, dass ihr netten Jägerlein tatsächlich nicht mit Seth zusammenarbeitet“, meinte Alec. „Ihr wärt niemals so dämlich, uns hierherzulocken. Niemand wäre so dämlich!“ Abgesehen von diesem Seth, fügte er noch in Gedanken hinzu. „Außerdem legt er die Stadt in Schutt und Asche und es wäre wirklich traurig, wenn ihr da eure Hände im Spiel hättet“, fuhr er fort. „Er ist euch wahrscheinlich ebenso sehr ein Dorn im Auge wie uns, nicht wahr?“ Eve versuchte zu nicken, schaffte es aber nicht ganz. „Er ... er vertreibt die Untoten“, sagte sie, so gut es ging um Fassung bemüht. „Aber er tötet Menschen. Das ist eine vampirfreie Stadt einfach nicht wert.“ Alec nickte. „Fein. Demnach stehen wir ausnahmsweise auf derselben Seite.“ Er lächelte unheilvoll. „Ich erlaube euch also großzügig, dass ihr eure Ermittlungen weiter fortführt. Und solltet ihr tatsächlich etwas Interessantes herausfinden, wäre es für euer aller Seelenheil das beste, wenn ihr es uns mitteilen würdet.“ Eve schluckte schwer. „Wie ...?“, begann sie, kam jedoch nicht weiter, als Alec ihren Kopf immer weiter in ihren Nacken legte. „Oh, das werde ich schon erfahren“, erklärte der Vampir schmunzelnd. „Denn da du im Moment die einzige Spur in ganz London bist, werde ich ab jetzt dein Schatten sein. Und das wird ein wahres Vergnügen, das kannst du mir glauben.“ Eve erschauerte sichtlich und taumelte einige Schritte zurück, als Alec nach diesen Worten von ihr abließ. Mit großen Augen musterte sie ihn und schien nicht zu wissen, was sie denken oder fühlen sollte. „Also seid schön brav und fleißig und wir werden, nachdem das Ganze ausgestanden ist, vielleicht darüber hinwegsehen, euch weiter zu belästigen“, bot er an. „Aber wenn ihr Zeit vertrödeln solltet, wird Oscar euch wahrscheinlich einen nach dem anderen in Stücke reißen. Und das wird sicherlich kein Vergnügen.“ Eve antwortete nicht. Stattdessen starrte sie ihn einfach nur bewegungslos an und schien zu ihrem Gott zu beten, dass Alec endlich aus ihrer Wohnung verschwand. „Es war trotz alledem schön, dich kennenzulernen, Eve Hamilton“, sagte der Vampir mit einem teuflischen Lächeln. „Und es wird gewiss nicht lange dauern, bis wir uns wiedersehen.“ Und mit diesem Worten zog er sich zurück. Zumindest vorerst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)