Der Traumtänzer von Nocturnus ================================================================================ Kapitel 1: Treffen unter dem singenden Baum ------------------------------------------- Diese Welt hier, sie war immer noch gleich. Sie veränderte sich niemals wirklich. In dieser Beziehung war sie nicht wirklich anders als die Welt da draußen, und doch war sie anders in jeglicher Form. Spannender, bunter, freundlicher. Zumindest kam es dem Jungen, mit der eigentümlichen Haarfarbe so vor. Der Himmel hier war schöner anzusehen und auch der Wind war frischer und irgendwie voller. Man musste es selbst spüren um es wirklich verstehen zu können. Er hatte, wenn man es denn so sagen konnte, eine eigene Stimme. Der frische Wind schien zu lachen oder bildete es sich der Junge diese Stimme des Windes nur ein? Nein, es war keine Einbildung! Um sich zu vergewissern schloss der Junge mit dem violetten Haar seine Augen und lauschte angestrengt dem sanften Luftzug, der an seinen Ohren vorbeizog und säuselnd lachte. Es verstärkte nur den Eindruck, dass es wirklich so war, wie es der Junge auch hörte. Doch nun stand er vor einem weiteren Problem. Zwar war sie der Junge sicher, dass er sich das Lachen im Wind nicht nur eingebildet hatte, es also wirklich und wahrhaftig echt war, aber woher kam es nur? Der Wind selbst schien keinen wirklichen Ursprung zu besitzen. Er kam von allen Seiten und es kam dem Violetthaarigen auch so vor, als wäre der Wind lebendig und würde nur um ihn herum tanzen. Doch das war streng genommen gar nicht möglich, oder doch? Alsdann der Junge seine Augen wieder öffnete konnte er etwas sehen. Die weite, völlige Leere Ebene, die nur mit Gras bewachsen war, die nun aber auch einem Baum eine Heimat bot. Man konnte die Verwirrung in den verschiedenfarbigen Augen des Violetthaarigen deutlich sehen. Woher war dieser Baum auf einmal gekommen? Vor nicht einmal einem Augenblick hatte er nicht dort gestanden. Vor wenigen Momenten war diese Ebene noch gänzlich leer gewesen und es hatte nur das rote Band des Flusses gegeben, welches diese Ebene mit etwas Abwechslung füllte. Nun aber war da etwas anderes. Das war mehr als nur seltsam. Doch im nächsten Moment, kurz nachdem der Junge mit der eigentümlichen Haarfarbe diesen Gedanken auch nur gedacht hatte, lächelte er und schüttelte leicht den Kopf. Er ließ seinen Blick schweifen, streifte das blassblaue Gras, den farbenfrohen Himmel, die beiden Sonnen, die sich an diesem nachjagten, und schließlich ruhte der Blick auf dem Fluss, in seiner eigenen, roten Farbe. Was war hier schon wirklich normal? Nichts! Also warum sollte ausgerechnet ein Baum hier eine Ausnahme bilden? Es war nur recht und billig, dass auch ein Baum sich anders verhalten konnte, als er es in der Welt dort draußen tat. Da draußen wuchs er vom kleinen Samen heran zum Baum mit einem Stamm, der zu groß war, als dass ein einziger Junge ihn umfassen konnte, doch dort dauerte es Jahre, Jahrzehnte wenn nicht sogar länger. Hier, in dieser Welt aber, dauerte es nur einen Wimpernschlag. Allein der Gedanke an einen Baum schien schon zu reichen und er war da. Doch was den Jungen dann noch mehr verwunderte, als er wieder zu dem Baum sah, war, dass dieser nun näher schien als zuvor. Hatte der Baum sich tatsächlich bewegt und war auf ihn zugekommen? So fantastisch diese Welt auch wirkte, so war diese Tatsache doch eine gänzliche Unmöglichkeit. Baume bewegten sich nicht, genauso wenig, wie Flüsse einfach ihre Flussrichtung ändern konnten, oder Regen immer zur Erde fiel. Bäume waren fest verwurzelt und konnten nicht gehen. Oder? Wer sagte denn, dass sich hier, im Traum, alles Dinge an Regeln hielten, die da draußen galten? Schließlich waren zwei Sonnen am Himmel, der Fluss war rot wie Wein und das Gras war nicht saftig grün sondern eher bläulich und kühl. Aber auch dieser Baum sah seltsam aus, als würde er nur hierher gehören. Sein Stamm war nicht von der bräunlichen dunklen Farbe, die man immer kannte. Sein Stamm war weiß, fast wie bei einer Birke, nur, dass dieses Weiß reiner war, strahlender. Fast war es dem Jungen so, als schimmere dieses Weiß sogar ein wenig. Dann raschelte es in der Krone, leise, fast kaum zu hören. Sie neigte sein einmal leicht nach links, dann nach rechts und schon war der Baum wieder ein Stückchen näher gekommen. Voller Erstaunen und Verwunderung riss der Junge seine Augen auf, tat einen Schritt rückwärts und stolperte. Im nächsten Moment fand er sich, auf dem Hosenboden sitzend, im Gras wieder. Dennoch, sein Blick war immer noch wie gefesselt von diesem Baum, der sich doch tatsächlich bewegt hatte und nicht starr an ein und derselben Stelle stand und nur seine Blätter in die Sonne hielt. Die Blätter. Erst jetzt viel es dem Violetthaarigem auf. Die Blätter waren nicht grün oder gar blassblau wie das Gras selbst. Nein, sie waren eher wie Glas. Wie dünnes, hauchfeines Glas und das, was er vorher von dem Baum gehört hatte war auch kein Rascheln gewesen. Es war ein helles Klirren, das entstand, wenn die Glasblätter aneinander  schlugen. Es war ein Zusammenspiel der verschiedensten Töne und Tonlagen. Eine so unendlich feine Komposition, dass der Eindruck des Rauschens verstärkt wurde, doch wenn man genau hinhörte, dann hörte man sie alle. Die tiefen und die hohen Töne. Das sanfte Klirren des feinen Glases und  die süße Melodie einer Musik, die so fein und so lieblich klang, dass sie nur aus einem Traum entstehen konnte. Diese Klänge, sie alle luden regelrecht zum Träumen ein und der Junge folgte schon bald ihrem lieblichen flüstern. Er schloss die Augen und lauschte einfach nur noch dem Wind und der seltsamen, eigentümlichen Musik dieses Baumes, der sich bewegte, als würden nicht Wurzeln ihn an diesen Platz binden, denn wie sollte er auch sonst hierher gelaufen sein? Dieser Baum musste etwas Besonderes sein, das erkannte der Violetthaarige nicht an dem Material, aus dem die Blätter bestanden. „Ah, dir gefällt wohl, was der Baum dir vorsingt?“, klang eine Stimme aus dem Geäst dieses wundervollen Baumes. Sofort schnellten die Augen des Jungen auf und verwirrt schaute er sich um, suchte nach etwas, das er im Baum selbst ausmachen konnte, doch da war nichts. Ein helles, raues Lachen erklang und mit einem Geräusch, als würden tausende kleine Glöckchen läuten, schob sich ein Ast zur Seite und dahinter hervor kam ein Gesicht eines Mannes. Er lächelte freundlich und irgendwie hatte der Junge nicht das Bedürfnis nun wegzulaufen. Er besah sich hingegen das Gesicht dieses Mannes genauer. Er musterte die Augen, die auch ihn genauer ansahen. Sie waren von einem grau, das nur an einigen Stellen von einem leichten, blauen Glitzern durchbrochen wurde. Das Gesicht war eher markant, das Kinn leicht spitz zulaufend und um die Augen fanden sich viele, kleine Falten wieder, die die augenscheinliche Freundlichkeit noch zu unterstreichen schienen. Dieser Mann schien viel zu lachen und zu lächeln. All dies wurde von einem rotbraunen Bart komplett eingerahmt und von schulterlangen Haaren abgeschlossen, die hinter dem Kopf des Mannes zu einem kunstvollen Zopf geflochten waren. „Vielleicht sollte ich mich vorstellen. Man nennt mich Phantasus und auch ich lauschte diesem singenden Baum“, meinte der Mann mit dem freundlichen Gesicht und schon im nächsten Moment war er aus dem Geäst des singenden Baumes herausgesprungen. Seine Kleider waren merkwürdig anzusehen. Sie waren weit und lang, ließen nicht erahnen, wie nun genau der Körper dieses Mannes gestaltet war und doch konnte man die freundliche und warme Art auch hier wiederfinden, denn seine Kleider waren bunt und auffallen. Das Oberteil, mit den weiten Ärmeln, war in einem goldenen Ton gehalten, der ab und an von orangen Streifen oder roten Punkten durchbrochen wurde. Die Hose, die mit einem Gürtel in Regenbogenfarben gehalten wurde, war ein Karre aus verschiedenfarbigen Flicken, die eher wahllos zusammengenäht worden schienen. Auch das benutzte Garn war nicht in einer einheitlichen Farbe gestaltet, so dass einem der Eindruck von Unordnung aber auch von einer tief sitzenden Wärme aufkam. „Phantasus? Ist das nicht ein recht seltsamer Name?“, fragte nun der Junge, nachdem er seinen Gegenüber so genau gemustert hatte und tatsächlich schien der Mann, der diesen seltsamen Namen trug, einen Moment inne zu halten und nachzudenken. Er legte seine Hand an sein Kinn und schaute in den farbenfrohen Himmel auf, während er, wie in einem Takt zu einer Musik, die nur er hören konnte, immer wieder mit dem rechten Fuß trippelte. Es schienen mehrere Minuten zu vergehen, bevor er geräuschvoll schnippte und wieder zu seinem kleineren Gegenüber sah. „Junge, du hast Recht. Dann machen wir es so, du nennst mich, der Einfachheit halber, Phantasus, okay?“, meinte der Mann und lächelte, hielt dem Jungen aber die Hand entgegen. Der Junge mit dem violetten Haar wollte noch etwas erwidern, schüttelte aber dann den Kopf und lächelte nur, während er in die Hand seines Gegenübers einschlug: „Dann also Phantasus, ja. Kannst du mir dann etwas erklären? Was ist das hier für ein Baum?“ „Eine sehr gute Frage, junger Freund. Das hier ist einer der berühmten singenden Bäume. Seine Blätter sind hauchzarte, fein schimmernde Kristalle, die im Wind hin und her wiegen und dabei diese liebliche Melodie von sich geben. Wenn dann der Wind selbst günstig steht und durch die Krone rauscht, dann hört es sich manchmal so an, als würden diese Bäume singen“, erklärte Phantasus mit einem Lächeln im Gesicht, das an einen Schuljungen erinnerte, der seinem Vater endlich einmal die Welt erklären konnte. Dennoch war es erstaunlich. Ein Baum, dessen Blätter kleine Kristalle waren und der auch noch singen konnte. So etwas gab es eben nur in dieser Welt. „Und, äh, warum kann er sich bewegen?“, wollte der Junge nun wissen, doch daraufhin schaute ihn Phantasus nur verwirrt an, als hätte er gerade eine besonders dämliche Frage gestellt, doch dieser leichten Verwirrung machte schon bald diesem Lächeln Platz. „Na ist doch klar, oder würde es dir gefallen immer am selben Ort zu stehen? Irgendwann wird das doch weißlich langweilig, findest du nicht auch?“, meinte der Mann mit der farbenprächtigen Kleidung und der Junge an seiner Seite musste durchaus gestehen, dass Phantasus mit diesen Worten Recht hatte. Dennoch war es doch mehr als seltsam einen laufenden Baum zu sehen. Sogar für einen Traum. „Und wohin geht der Baum nun?“ Nun hörte er das Lachen wieder, welches der Junge schon vor einiger Zeit gehört hatte, als er geglaubt hatte, dass der Wind um ihn herum lachte. Es war ein helles, befreites Lachen, welches aus tiefstem Herzen zu kommen schien: „Das, mein junger Freund, ist leicht erklärt. Der Baum zieht nach Osten hin. Immer weiter nach Osten, bis an die Hänge der kahlen Berge und darüber hinaus bis hin zu den Ebenen der ewigen Melodie. Dort entstehen dann die neuen singenden Bäume und werden vom Wind in die Welt hinaus getragen“, erklärte Phantasus, wobei dem Jungen, der ihm aufmerksam zuhörte, auffiel, dass der Mann zu seiner Seite sehr stark mit den Händen gestikulierte, wenn er etwas zu erklären hatte, er aber am Erklären an sich scheinbar große Freude hatte. Allein dieser Umstand ließ den Violetthaarigen doch schmunzeln. „Und wir wenden uns nun nach Westen“, stellte Phantasus fest, als wäre es beschlossene Sache, dass auch sein junger Begleiter mitkommen würde. „Warum?“, fragte der verwirrte Junge auf diese all zu sicher klingende Feststellung. „Na ist das nicht offensichtlich? Man erwartet dich bereits, also los. Auf, auf, mein junger Freund. Der Weg zur nächsten Stadt ist weit und wir wollen doch nicht zu spät kommen.“ „Stadt?“ Phantasus schüttelte leicht belustigt den Kopf und wies dann mit seinem ausgestreckten, rechten Arm in Richtung Westen: „Ja, Stadt. Elysien, um genau zu sein. Die Stadt aus weißem Stein“, bemerkte der Mann und schaute dabei schwärmend in den Himmel auf, als würde er etwas beobachten, das nur er selbst sah, das aber so wunderschön war, als dass er die Augen davon losreißen konnte. Dann, im nächsten Moment, setzte er sich einfach in Bewegung und schien auch zu erwarten, dass der Junge ihm folgte, was dieser, nach einigen Momenten des Zögerns, auch wirklich tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)