Brightest Light von Flordelis (Miracle) ================================================================================ Kapitel XII - Das ist der dümmste Rat, den ich je gehört habe. -------------------------------------------------------------- Selbst am Montag schaffte Kieran es kaum, sich selbst im Spiegel zu betrachten. Richard war kurz nach dem zweiten Kuss eingeschlafen und erst am Morgen danach mit Kopfschmerzen wieder aufgewacht. Aydeen war dabei nicht mehr als Thema aufgekommen, schon allein weil Richard sich hinausgeschlichen hatte, um dem noch immer schlafenden Cathan zu umgehen. Seitdem hatten sie nicht miteinander gesprochen und auch keine Nachrichten ausgetauscht und Montag morgen vermied Kieran es, in derselben Bahn wie Richard zu fahren. Er wollte das eigentlich notwendige Gespräch so lange wie möglich hinauszögern und in der Schule würde es garantiert nicht stattfinden, egal wie sehr sie augenscheinlich allein sein würden. Ruhe fand er dennoch keine, denn er hatte großes Pech und war direkt in Allegra und Albert hineingeraten, die ihm nun beide gegenübersaßen. Sie befand sich genau auf dem Sitz ihr gegenüber, ihr Freund saß neben ihr und war in ein Buch vertieft, aber Kieran wusste aus Erfahrung, dass er dennoch jedes einzelne Wort mitbekam und sich auch gern in Unterhaltungen einmischte, ohne seine Augen von den Seiten zu lösen. Während Allegra mit Kieran befreundet war, handelte es sich bei Albert um einen Freund von Richard. Die beiden waren seit dem Kindergarten befreundet, weswegen es niemanden gewundert hatte, dass Albert Richard auf den zweiten Bildungsweg gefolgt war – dass er allerdings mehr Interesse an einer anderen Sprache besaß und deswegen in ihrer Parallelklasse war, verwunderte durchaus. Je länger Kieran mit Richard befreundet gewesen war, desto mehr war ihm die Bindung zwischen diesem und Albert ein Dorn im Auge geworden. Als Kieran dann schließlich Allegra kennen gelernt hatte, war von ihm sofort die Chance ergriffen worden, sie Albert vorzustellen – und sein Plan war tatsächlich aufgegangen und seitdem verbrachte Richard weniger Zeit mit seinem früheren bestem Freund. Im Moment wünschte er sich allerdings, Allegra allein antreffen zu können, denn so musste er nun beiden von dem erzählen, was am Samstag geschehen war, um Hilfe zu bekommen. Albert reagierte nicht im Mindesten. Selbst das braune Haar, das ihm in die Stirn fiel, störte ihn nicht, seine dunklen Augen wanderten, hinter seinen Brillengläsern, hin und her, während er las. Allegra hatte allerdings genauestens gelauscht und sogar leise gequietscht – was ihn immer noch irritierte – und neigte nun den Kopf. „Wo ist denn jetzt genau das Problem?“ Offenbar war es im Moment doch keine gute Idee, mit ihr zu sprechen. Aber Kieran gab nicht auf und erklärte es daher direkt: „Ich habe Aydeen betrogen! Und wie soll ich Richard jetzt noch sagen, dass das zwischen uns niemals etwas werden wird?“ „Ooooh“, sagte Allegra, als wäre ihr das bei der Erzählung gar nicht aufgefallen. „Richtig, da war ja auch noch Aydeen ... mit der du nur zusammen gekommen bist, um von Richard loszukommen.“ „Das war am Anfang so. Aber inzwischen ...“ Allegra quietschte noch einmal leise, was dazu führte, dass Kieran seine Stirn runzelte. „Jetzt bist du in zwei Personen verliebt? Das ist genau wie in diesem einen Film, du weißt welchen ich meine, Albert, oder? Wir haben ihn neulich erst gesehen.“ Der Angesprochene löste sich immer noch nicht von seinem Buch, als er antwortete: „Ja, haargenau. Es fehlen nur noch Zombies und einige Waffen.“ Seine Stimme war vollkommen tonlos, aber Kieran wusste auch selbst, wie es gemeint war. Allegra schmunzelte darauf amüsiert, ehe sie sich wieder ihrem eigentlichen Gesprächspartner zuwandte: „Aber dieser Film ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, weil einer der Nebenbuhler sterben musste.“ Er fragte sich, warum sie überhaupt damit kam, wenn es mit dem Tod einer der drei Personen geendet hatte, aber statt es laut auszusprechen, kehrte er zu seinem Problem zurück: „Jedenfalls weiß ich nicht, was ich jetzt tun soll. Wie soll ich mich zwischen einem der beiden entscheiden?“ Obwohl er überzeugt war, dass Aydeen ihm diese Entscheidung selbst abnehmen würde, wenn sie wüsste, dass es am Samstag zu Küssen und Liebesgeständnissen gekommen war. Deswegen plante er auch, ihr vorerst nichts davon zu erzählen, bevor er eben nicht wusste, wie er vorgehen sollte. „Du bist wirklich in beide verliebt, was?“ Allegra wirkte plötzlich überraschend ernst. „Und du kannst keine Pro- und Contra-Liste aufstellen, oder?“ „Was soll diese Liste denn bringen?“, erwiderte er und fuhr sich dabei durch das Haar, das er an diesem Morgen zu kämmen vergessen hatte. „Sie haben beide gleich viele Pro-Punkte!“ Das brachte Allegra tatsächlich wieder zum Schmunzeln. „Du hast wirklich eine Liste angefertigt, huh?“ „Ich habe gestern den ganzen Tag damit verbracht.“ Sie kicherte begeistert und es war, seltsamerweise, ein Laut, der bei ihr richtig niedlich klang, statt nervig und kindisch wie bei anderen Frauen in ihrem Alter. „Das ist ja so süß~.“ „Das hilft mir gerade nicht. Ich brauche einen Ratschlag, wie ich vorgehen soll.“ Allegra wurde wieder ernst und nickte. „Natürlich, natürlich. Wie mir scheint, hast du im Moment zwei Möglichkeiten: Wenn du den einfachen Weg haben willst, solltest du mit Aydeen zusammen bleiben. Als normales Paar werdet ihr sicher keinen Ärger haben und alle werden euch ganz toll finden, besonders wenn du dich bei ihr so niedlich verhältst, wie im Moment.“ Er spürte, wie seine Ohren heiß wurden, ging aber nicht darauf ein, damit sie ihn nicht weiter aufziehen würde. Sie dankte ihm das, indem sie einfach fortfuhr: „Wenn du mit Richard zusammenkommst, wird es schwerer. Gleichgeschlechtliche Paare sind immer noch nicht überall gern gesehen, dein Vater könnte das vielleicht nur ungern sehen und du und Richard neigt dazu, nicht direkt miteinander zu sprechen. Nur deswegen konnte es ja so lange dauern, bis ihr euch das endlich gegenseitig gestanden habt.“ Aber das war ja nun wirklich nichts, woran man nicht arbeiten könnte, deswegen überging Kieran dieses Argument. Das erste war allerdings durchaus ernstzunehmen. Nicht zwingend wegen ihm, aber vielleicht würde Richard das auch nach kurzer Zeit bereits bereuen, eben weil es so schwer war. Kieran wollte immerhin, dass es ihm gut ging, nicht, dass er litt. Aber Aydeen sollte auch nicht leiden. Und genau genommen hatte er das auch alles schon durchdacht ... der Sonntag war lang gewesen. Er wollte mit einem lauten Seufzen an seinen Kopf greifen, ließ es aber bleiben, um keinem der beiden das Gefühl zu geben, dass er genervt von ihnen war. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, sagte er. „Aber das bringt mich auch nicht zu einer Entscheidung.“ „Warum willst du dich überhaupt entscheiden?“, fragte Albert plötzlich, die Augen immer noch stur auf seinem Buch. „Dafür gibt es keinen Grund.“ Kieran sah zu ihm hinüber, die Stirn gerunzelt. „Soll ich etwa beide betrügen?“ Das vertrug sich nicht im Mindesten mit seiner Lebenseinstellung. Er fand es schon schlimm genug, dass er Richard die Dämonenjagd verschwieg. Das war zwar nicht zwingend Betrug, aber er wusste, dass es genug Menschen gab, die auch Verschweigen als eine Form von Lüge ansahen. Deswegen könnte er das nicht im Mindesten durchziehen. Albert hob den Blick ein wenig, nur ganz leicht, um Kieran über den Rand seiner Brillengläser hinweg tadelnd anzusehen und diesen überkam sofort das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, auch wenn er nicht glaubte, etwas falsch gemacht zu haben. Doch bevor er es wirklich tat, sah Albert zu Allegra hinüber. „Erinnerst du dich an diesen Film mit den Rettungsschwimmern und den Haien?“ Sie überlegte einen kurzen Moment, dann hellte sich ihr Gesicht schlagartig auf. „Oh ja! Mit diesen furchtbar schlechten Animationen.“ Kieran fragte sich, was das mit dem aktuellen Thema zu tun hatte, wagte aber auch nicht, sich bei ihnen einzumischen, da er die Gedankengänge der beiden nicht im Mindesten verstand. „Richtig“, sagte Albert. „Und wie ist die Dreiecksgeschichte ausgegangen?“ Allegra begann zu strahlen. „Ich weiß genau, worauf du hinauswillst.“ „Ich aber nicht“, meldete Kieran sich. Selbst wenn er sich öfter Filme ansehen würde, gehörte dieser, der Beschreibung nach, sicher nicht zu jenen, die er mögen könnte – und er sah sich nie einen Film zu Ende an, wenn dieser ihn nicht interessierte. Albert gab Allegra mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie antworten sollte und vertiefte sich dann wieder in sein Buch. Sie wiederum wandte sich Kieran zu: „Den ganzen Film über haben sich zwei Männer um die weibliche Hauptfigur gestritten – und am Ende wollten sie beide eine Entscheidung von ihr. Und sie sagte darauf Erwachsene sollten sich nicht um ihr Spielzeug streiten.“ Sie sah ihn so erwartungsvoll an, als müsste er nun schon lange darauf gekommen sein, was sie ihm sagen wollte. Aber er war nach wie vor ratlos und zeigte ihr das auch offen, indem er eine Augenbraue deutlich hochzog. Allegras Lächeln riss dennoch nicht ab. „Na, es ist doch offensichtlich, was Albert und ich dir sagen wollen. Du solltest den beiden eine Dreiecksbeziehung vorschlagen.“ Kieran wartete darauf, dass sie zu lachen begann und ihm sagte, dass es lediglich ein Scherz gewesen war. Aber leider tat sie das nicht und sah ihn nach wie vor begeistert an. „Das ist der dümmste Rat, den ich je gehört habe“, erwiderte Kieran schließlich, ohne jede Rücksicht auf die Gefühle der beiden zu nehmen. Tatsächlich riss Allegras Lächeln weiterhin nicht ab und auch Albert zeigte nicht im Mindesten, dass es ihn störte, derart kritisiert zu werden. Sie seufzte nur theatralisch. „Oh, komm schon. Das ist eine wunderbare Idee. Albert sagte, wenn ich die richtige Person finde, dann würde er auch einer Dreiecksbeziehung zustimmen. Warum sollte man sich denn entscheiden, wenn man auch alles haben kann?“ „Weil es unfair gegenüber den beiden ist?“, wandte er ein. „Weil nicht jeder so seltsam ist wie ihr beide?“ „Das hat nichts mit seltsam zu tun“, konterte Albert. „Monogame Beziehungen sind eine kulturelle Ansichtssache. Rein menschlich gesehen gibt es keinerlei Gründe dafür, deswegen verlieben sich die meisten Menschen ja auch in mehrere Personen, statt nur in eine.“ Kieran sah ihn wortlos an. Er wollte nicht mit diesem Mann über irgendwelche wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen, da er da nur verlieren könnte, wie er wusste. Aber eigentlich wollte er das auch nicht einfach so akzeptieren. Es konnte doch einfach nicht sein, dass dieser Vorschlag wirklich die Lösung für sein Dilemma darstellte. „Du siehst nicht überzeugt aus“, stellte Allegra fest. „Ich glaube auch nicht, dass sich einer der beiden darauf einlassen würde.“ Und selbst wenn einer der beiden es tat, dann gab es immer noch den anderen, der das möglicherweise nicht wollte – noch dazu war er auch noch nicht sonderlich angetan von diesem Vorschlag, wenn er ehrlich war. Albert hob wieder den Kopf und diesmal klappte er sogar sein Buch zu, was Kieran sofort mit einem unguten Gefühl erfüllte. Sein Blick war so hart und finster, dass sogar Allegra nur überrascht blinzeln konnte. „Seien wir doch ehrlich, Kieran“, sagte er ernst. „Egal für wen du dich entscheidest, einer von beiden wird immer leiden – und du wirst ebenfalls leiden. Findest du das etwa fair?“ Natürlich tat er das nicht, aber ihm fiel auch keine Begründung ein, die ihm helfen könnte, eine Dreiecksbeziehung auch nur in Erwägung zu ziehen. Nachdem er Albert das mitgeteilt hatte, kam dieser sofort mit einer entsprechenden Erwiderung: „Wenn ich ganz offen sein darf, Kieran, empfinde ich dich als viel zu bescheiden.“ „Bitte?“ Bislang hatte noch nie jemand seine Bescheidenheit als Kritik gegen ihn verwendet, weswegen er Albert ratlos ansah. „Du läufst hier nachts durch die Stadt, bekämpfst Dämonen und rettest regelmäßig Menschen, die du gar nicht kennst und die nicht einmal wissen, dass du existierst.“ Im Moment bereute Kieran, Albert eingeweiht zu haben, um zu erklären, woher er Allegra kannte und weswegen sie so viel mit ihm sprach. Wüsste Albert nichts davon, könnte dieser ihn nun immerhin nicht mit einer solchen Masche zu überzeugen versuchen. Er unterbrach ihn nicht und lauschte ihm stattdessen weiter: „Wenn es jemanden in dieser Stadt gibt, der alles Glück der Welt verdient hat, dann du, Kieran. Und wenn du das nur erreichst, indem du die Personen, die du liebst, darum bittest, dass sie dich teilen, dann solltest du das tun. Wenn sie dich wirklich lieben und dir vertrauen, dann werden sie dir zustimmen. Egal wie unkonventionell das ist.“ Da er Alberts Worten nicht so recht glauben konnte, sah er zu Allegra hinüber, die lächelnd nickte. „Er hat recht. Du hast sämtliches Glück verdient, das es gibt – und ich bin sicher, sowohl Richard, als auch Aydeen werden es genauso sehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)