Wie durch die Hölle von Aredra ================================================================================ Kapitel 8: Zeit für Gestern --------------------------- {Mittag} [Jakotsu] „Also, wer ist diese Midoriko-Person?“, fragte der junge Mann in die Runde. Sie waren bereits seit einigen Stunden unterwegs, würden das vorgesehene Dorf allerdings nicht vor morgen Mittag erreichen. Er streckte sich ausgiebig, bevor er die Arme hinter seinem Kopf verschränkte. Zu wenig Schlaf konnte tödlich sein... Immerhin hatte er keine Kopfschmerzen dank Suikotsu. 'Auch wenn das Kräuterzeug einfach nur widerlich war...', fuhr es ihm bei dieser schrecklichen Erinnerung durch den Kopf. Dann blickte Jakotsu wieder seine Gefährten an, wartete noch immer auf eine Antwort, die bis jetzt ausgeblieben war. Letztendlich schien sich Renkotsu zu erbarmen. Es war allerdings nicht verwunderlich, dass der Feuerbruder die Geschichte kannte. „Midoriko war eine Priesterin, die vor ungefähr 500 Jahren gelebt hat.“, erklärte Renkotsu ruhig. Auch die anderen schienen ihm gespannt zuzuhören, was ihn jedoch vermutlich nicht dazu bringen würde, fortzufahren. Dazu brauchte er meistens einen etwas größeren Anstoß. „Und was war an der so besonders?“, fragte der Transvestit daher nach. Der einzige Grund, warum es ihn interessierte, war, dass sie der Grund für ihren Umweg war. Wenn er ehrlich war, hatte er nie so ganz verstanden, was an spirituellen Kräften so toll war. Seiner Meinung brachten sie nur Schwierigkeiten. Ja, natürlich, sie verkörperten Reinheit und das Gute - aber den Sinn und den Terz, der darum gemacht wurde, war einfach nur nervig. Sogar die Dorfbewohner aus seiner Kindheit hatten seine Schwester deswegen unter Druck gesetzt. Das einzig Gute, das der Schwarzhaarige daran erkennen konnte, war das Töten von Dämonen. Sein Blick schweifte in die Ferne, als er sich an Einzelheiten erinnerte. Erst Renkotsus rauhe Stimme brachte ihn in die Gegenwart zurück. „Damals, als noch der Adel regierte, waren schlimme Zeiten, es gab viele Tote und Kranke. Kontinuierlich gab es Kriege und Hungersnöte. Es war sehr viel schlimmer, als es heute ist. Dadurch konnten die Dämonen sich sehr gut ernähren und plagten das ganze Land. Viele Mönche und Priesterinnen versuchten daher, die Yokai endgültig zu erledigen. Und die Mächtigste unter ihnen war Midoriko.“ Der Kahlköpfige hielt kurz inne, überlegte offensichtlich, was wichtig genug war, um es zu erwähnen. Der durchdringende Blick seiner schwarzen Augen lag nun direkt auf Jakotsu. Anscheinend war diese restliche Erklärung explizit für ihn bestimmt. „Sie galt als der mächtigste Mensch ihrer Zeit. Diese Miko besaß nämlich die Fähigkeit, die Seelen von Dämonen zu extrahieren und unschädlich zu machen. Sie starb letztendlich durch die Yokai. Es ist interessant, dass solch mächtige Personen immer ein tragisches Ende nehmen. In der Geschichte gibt es so viele tragische Geschichten...“ „Aha. Aber was hat das jetzt mit uns zu tun?“, erwiderte der Schwarzhaarige etwas gelangweilt. Was hatte er schon von einer Lektion in Geschichte? So etwas interessierte ihn nun einmal nicht im geringsten. Und für seine Begleiter galt eigentlich dasselbe – Renkotsu war dabei eine große Ausnahme. Mukotsu zum Beispiel schien bereits im Gehen zu schlafen, während Suikotsu schon wieder tief in Gedanken war. „Nichts. Zumindest nicht direkt.“, seufzte Akira schließlich, ihre hellbraunen Augen trafen auf seine. In ihnen lag etwas, was er nicht genau bestimmen konnte. Nach einigen Sekunden verschwand dieser Ausdruck wieder. Aber der junge Mann wusste mittlerweile, was es gewesen war: Tief sitzender Schmerz. Die Frage war nur, warum. Oder täuschte er sich etwa? „Die Waffe ihrer Wahl war ein Schwert, das angeblich nur von bestimmten Personen benutzt werden kann. Midoriko soll ihre spirituelle Energie durch dieses Schwert geleitet haben.“ „Und das soll dann dein Dämonenschwert bändigen?“, hakte Bankotsu gespielt desinteressiert nach. Das war das erste Mal seit sie aufgebrochen waren, dass er ein Wort sagte. Allerdings hatte er auch nichts mehr gegen den Umweg gehabt, als er Akiras Wunde gesehen hatte. Aber er hatte seitdem halt auch nichts mehr gesagt. Und das sah dem Anführer nicht ähnlich. „Falls du es beherrschen kannst, natürlich...“ „Laut Totosai, ja.“, antwortete die Kupferhaarige sachlich, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie schien Distanz mal wieder für die beste Lösung zu halten. Das machte sie sogar ihm gegenüber. Wie bei ihrem letzten Gespräch. Die junge Frau hatte einfach nur abgeblockt und gemeint, es sei nichts. Jakotsu seufzte leise. „Wenn meine spirituellen Kräfte ausreichen...“ „Wenn nicht, bist du noch auf ganz andere Arten und Weisen noch ein Kind, als ich schon vermutet habe.“, stichelte der Zopfträger breit grinsend und bewegte Banryu beiläufig auf seiner Schulter in eine andere Lage. Bestimmt tat ihm diese Stelle jetzt besonders weh. 'Hab mich geirrt. Er ist wieder ganz der Alte.', dachte Jakotsu erleichtert. „Mag sein...“, murmelte die junge Miko zerstreut, blickte den Anführer jedoch nicht an. Dieser blinzelte kurz verwirrt aufgrund der ungewohnten Reaktion ihrerseits, zuckte dann aber nur mit den Schultern. Stattdessen ließ sie sich etwas dem Kahlköpfigen zurückfallen. Auch der Transvestit verlangsamte seine Schritte. „Weißt du, dass du den wichtigsten Teil der Geschichte weggelassen hast, Renkotsu?“ „Ach ja?“, fragte der Angesprochene scheinheilig mit einem sarkastischen Lächeln im Gesicht. Er hatte es mit Sicherheit gewusst. Wahrscheinlich, um seine Freunde zu verschonen. Welch Freundlichkeit seinerseits... Allerdings war nun Jakotsus Neugier geweckt. „Der Haufen hier interessiert sich nicht für Mythen oder Geschichten. Aber du hast natürlich Recht. Die Geschichte birgt noch mehr, nämlich das Fatalste...“ „Ja. Ausgerechnet menschliche Schwäche...“ Doch seine Schwester wurde unterbrochen, als sie das Gespräch weiter vertiefen wollte. Dabei hatte sein Interesse gerade angefangen, zu steigen. „Trödelt nicht so rum, Leute!“, hallte Bankotsus Stimme von vorne zu ihnen. Jakotsu warf seinem besten Freund einen beleidigten Blick zu, bevord die Drei schnell anfingen, zu den anderen über den unbefestigten, braunen Weg aufzuschließen. {Früher Abend} [Bankotsu] Es war wirklich merkwürdig, was Geld – oder die Aussicht darauf – alles bewirken konnte. Sonst hätten sie nicht so schnell eine Unterkunft bekommen, zumindest nicht in einem solchen Etablissement. Vor etwa einer Stunde war in dieser ausgesprochen ländlichen Region ein Anwesen aufgetaucht. Und wie sich überraschenderweise herausstellte, war es der Versammlungsort für Männer aus der Region. Aus offensichtlichen Gründen: Denn die Mädchen hier waren durchschnittlich recht attraktiv. Es schien auf jeden Fall nicht schlecht zu laufen. Im Großen und Ganzen wirkte das Anwesen keinesfalls zwielichtig, sondern eher wie ein normales Fürstenhaus. Wenn die Mädchen nicht wären... Der junge Anführer bezweifelte allerdings, dass der Hausherr ein rechtschaffener Mensch war. Wahrscheinlich war er wieder nur ein durchschnittlicher Verbrecher, der Glück gehabt hatte. Aber ihm sollte es recht sein. Ein selbstsicheres Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht, als der besagte Mann in Sicht kam. Offensichtlich hatte ein Mädchen von ihrer Ankunft oder von neuer Kundschaft berichtet. Das Gesicht des Fremden zeigte eine gewisse Vorsicht, die die Meisten bestimmt schlicht und ergreifend übersehen hätten. Vielleicht hielt er die Acht für Aufräumer von Adligen aus der Region... Der junge Mann konnte regelrecht den abschätzenden Blick des Älteren auf sich spüren. Sein Blick blieb verdächtig lange an Banryu hängen. „Was kann ich für Euch tun?“, fragte der Mann unverbindlich, während Bankotsu ihn nun eingehender musterte. Wenn auch unauffälliger als sein Gegenüber. Seine schwarzen, gepflegten Haare waren zurückgebunden und er trug recht teure Kleidung. Ein weiterer Hinweis auf das gut laufende Geschäft. Der Mann war etwas größer als er selbst. Seinem Gesicht merkte man schon einige Jahre an. Bankotsu schätzte ihn etwas älter ein als Suikotsu. Doch er bezweifelte, dass dieser Mann in jüngeren Jahren ein Frauenschwarm gewesen war. „Ich will Unterkunft und Essen für eine Nacht.“, erklärte der Anführer schließlich und hielt kurz inne. Er wollte nicht unnötig Geld ausgeben. Aber wer wusste schon, was sich später noch ergab? Vermutlich würde er es ihnen dann erlauben. Eine solche Dienstleistung vorher zu beantragen, war töricht, da es meistens sowieso stimmungsabhängig war. „Acht Personen. Keine weiteren Dienstleistungen.“ „Mhm... Wenn das so ist, kommt herein. Allerdings...“ Der Mann schien etwas enttäuscht zu sein, kommentierte aber nicht weiter, sondern wandte sich einem Thema zu, das unvermeidlich gewesen war: der Preis. Die Beiden verhandelten kurz, doch der Besitzer gab schneller nach, als erwartet. Der Preis war sogar geringer als an normalen Unterkünften. Es war akzeptabel. Nachdem der Zopfträger ihm das Geld ausgehändigt hatte, zählte der Mann schnell die erhaltenen Münzen. Dann verbeugte er sich respektvoll. „Ich lasse sofort Zimmer für Euch vorbereiten. Solange könnt ihr im Hauptraum speisen.“ Bankotsu nickte nur als Antwort und wandte dem Mann den Rücken zu. Hinter sich hörte er eilige, schon fast geschäftig klingende Schritte, die sich entfernten. Gemächlich ging er zu seinen Freunden. Sie alle warteten leise miteinander redend auf dem erdbraunen Feldweg. Kyokotsu erblickte ihn als Erster. „Sieht so aus, als könnten wir etwas Bequemeres benutzen als den Erdboden.“, sagte er amüsiert, doch bei ihm klang es wie immer wie ein amüsiertes Grollen. Sein Gesicht wurde durch ein Grinsen erhellt. Auch auf den Gesichtern der sechs Anderen zeigte sich Erleichterung. „Nein.“, erwiderte Mukotsu breit grinsend, als erwarte er etwas Besonderes. Der junge Anführer kannte seinen alten Begleiter gut genug, um zu wissen, was er wollte. Jakotsu schien ebenfalls zu wissen, was kommen würde, da er gerade einen Vogel fasziniert beobachtete. Sein Bruder hingegen zog allerdings nur fragend die Augenbrauen hoch. „Sieht so aus, als würden wir heute Abend Spaß haben.“ [Renkotsu] „Vor allem spirituelle Personen scheinen besonders häufig von einem tragischen Ende betroffen zu sein.“, behauptete der junge Mann, während sie aßen. Renkotsu hob seine Brauen. Er hatte nicht so häufig Gelegenheit für so etwas. Es hatte sich nämlich gerade ein recht interessantes Gespräch mit Akira entwickelt. Jakotsu saß ebenfalls bei ihnen und hörte zu. Vielleicht träumte er auch vor sich hin. 'Von seinem Traumprinzen...' Dieser Gedanke ließ den Kahlköpfigen etwas grinsen, bevor er sich wieder seinem Gesprächspartner zuwandte. Er hätte allerdings nicht erwartet, dass der Junge solche Geschichten kannte. Andererseits hatte er auch eine angefangene, spirituelle Ausbildung erwähnt. Auch der Rest seiner Freunde hatte sich in kleiner Gruppen aufgeteilt, die jeweils eigene Gespräche führten. „Besonders Priesterinnen.“ „Kannst du mir Beispiele nennen?“, hakte er nach. Im Moment kam sich Renkotsu vor wie ein Lehrer, der seinen Schüler abfragte. Akira stellte seine Schüssel vor sich ab und blickte ihn aus seinen braunen Augen interessiert an. „Midoriko, zum Beispiel. Tsukiyomi.“ Er senkte nachdenklich seinen Blick. Auch Renkotsu fragte sich, ob er das Mädchen-Thema ansprechen sollte. Im Moment waren sie gerade im Gespräch und das musste ja nicht jeder mitbekommen, wenn er ihn das fragte. Wenn er falsch lag, wäre das vor den anderen unangenehm. Und wenn er doch Recht hatte, könnte sich für ihn ein Vorteil ergeben. Irgendwie. „Kikyou hätte ich fast vergessen. Dabei ist das gerade mal ein halbes Jahrhundert her.“ „Könntet ihr mal aufhören, fremde Namen in den Raum zu werfen? Da kriege ich ja Kopfschmerzen...“, beschwerte sich Jakotsu endlich. Auch er senkte seine Schüssel und blickte von Akira zu dem Feuerbruder. Immer hin und her.„Ich würde lieber die Geschichte von dieser Midoriko zu Ende hören.“ Der Kupferhaarige nahm seine Schüssel wieder in die Hand und aß weiter. Anscheinend wollte er ihm das Erzählen überlassen. Der Feuerbruder seufzte. „Nun gut. Dann hör auch zu.“, ermahnte Renkotsu seinen Gefährten, der jedoch wieder etwas abwesend nickte. Und schon wieder war er weg. Ihr junger Begleiter lehnte sich entspannt an die Wand, stupste den Transvestiten beiläufig mit seinem Fuß an, während er weiteraß. Sofort war er wieder in dieser Welt. „Es wird gesagt, dass sie zehn Dämonen auf einmal töten konnte. Daher hatten die Yokai Angst vor ihr und suchten nach einem Weg, die Priesterin loszuwerden. Daher verschmolzen sie am Ende in dem bösen Herz eines Mannes, der sie begehrte, zu einem Yokai, der ebenso mächtig war wie sie. Sieben Tage und Nächte kämpften sie, doch Midoriko war mittlerweile erschöpft und sah ein, dass sie den Dämon nicht besiegen konnte. Sie war gerade von seinen Klauen gepackt worden, als sie ihre letzte Kraft zusammen nahm. Sie fing die Seele des Yokai ein und fesselte sie an ihre eigene. Dann stieß Midoriko die Seelen aus ihrem Körper, was sowohl den Dämon als auch sie selbst tötete. Angeblich entstand daraus das Shikon no Tama, aber das ist nur eine Geschichte. Das Juwel ist vor langer Zeit verschwunden.“ „Es heißt, in dem Juwel kämpfen die beiden Seelen noch immer gegeneinander.“, vollendete der Jüngste die Sage. Jakotsu wirkte recht beeindruckt und schien über den Mythos nachzudenken, bevor er gleichgültig mit den Schultern zuckte. War ja klar gewesen. Akira hingegen lächelte leicht. „Du bist ein recht guter Geschichtenerzähler, Renkotsu.“ „Das lernt man.“, erwiderte der Angesprochene schulterzuckend. Früher im Kloster hatte er manchmal sogar Kindern sowas erzählen müssen. Er musterte sein Gegenüber und beschloss, seine Frage zu riskieren. Seine und Jakotsus Reaktionen würden ihm endlich Gewissheit verschaffen. Er war nicht dumm. Zumindest der Transvestit musste es wissen. Der Feuerbruder blickte den Kupferhaarigen daher scharf an. „Du bist ein Mädchen, richtig?“ „Was?“, fragte Jakotsu an Akiras Stelle ziemlich erstaunt, die Augen überrascht geweitet und erstarrt. Die Reaktion des – oder der? – Kupferhaarigen war noch interessanter: Akira fing an, lautstark zu husten. Offensichtlich hatte er/sie sich an seinem/ihren Reis verschluckt. Damit wäre seine These wohl bestätigt. Doch bevor Akira wieder sprechen konnte, beschloss der Transvestit zu antworten. „Ja, ist sie.“ „Nii-chan! Was machst du?!“, zischte Akira wütend, seine... nein, ihre Augen glühten kupferrot. Renkotsu lehnte sich entspannt zurück, genoss das Schauspiel, das sich ihm bot. Warum der Transvestit es so einfach verraten hatte, wusste der Kahlköpfige nicht. Aber es war schließlich Jakotsu. Dieser blickte seine Schwester gerade irritiert an. „Aber er wusste es doch schon längst.“, erwiderte der Schwarzhaarige, erstaunt von ihrer Wut. Das hielt die junge Frau nicht davon ab, sauer auf ihn zu sein. „Wusste er nicht!“, erwiderte Akira leise, bevor sie tief Luft holte und ihren Blick auf Renkotsu richtete. Sie wirkte nun eher unsicher, vielleicht etwas ängstlich. „Renkotsu...“ „Keine Sorge, ich werde niemandem was sagen. So ist das doch viel amüsanter.“, erwiderte Renkotsu grinsend und klopfte Akira ein Mal freundschaftlich auf die Schulter. Jakotsu wirkte irgendwie erleichtert. Wahrscheinlich, da Akira nicht mehr wütend auf ihn zu sein schien. „Danke...“, murmelte sie und ließ ihren unsicheren Blick durch den Raum wandern, vermied den Blickkontakt. Renkotsu sollte es Recht sein. Er hatte das Rätsel gelöst und das war ihm für den Abend Belohnung genug. Nun waren seine Gedanken wieder ruhiger. Die Kupferhaarige erstarrte auf einmal und ließ ihren Blick schnell auf den Boden wandern. Was war denn nun? Der Kahlköpfige schaute zu seinen Gefährten, doch alles war bei bester Ordnung. Suikotsu, Mukotsu und Bankotsu tranken in Gesellschaft von zwei schönen Frauen, wobei diese verdächtig an dem Anführer und dem Giftmischer hingen. Suikotsu schien kein Interesse zu haben. Etwas weiter daneben saßen die beiden Riesen und taten wer-weiß-was. Neben ihm erhob sich Akira und verschwand mit einem „Ich geh schlafen.“ aus dem Raum. Renkotsu zuckte nur mit den Schultern. Frauen waren nun mal launisch... „Jetzt weiß ich, warum ich die Geschichte nicht mag. Da spielt schon wieder eine Frau die Hauptrolle...“, brach es aus Jakotsu heraus. Er schien endlich einen Grund für seine Abneigung gefunden zu haben. Die Mundwinkel des Feuerbruders zuckten verdächtig. „Und ausgerechnet du hast eine Schwester.“, lachte Renkotsu los, woraufhin Jakotsu zu schmollen begann. Er schloss die Augen. „Nein, nein, nein!“, wehrte der Transvestit ab. Das brachte den Kahlköpfigen dennoch nicht vom Lachen ab. Erst die Korrektur. „Zwei, Aniki.“ [Akira] Die junge Frau schloss verärgert die Schiebetür zu ihrem Zimmer. Sie wusste nicht einmal, warum sie eine so schlechte Laune hatte. Die Enthüllung Renkotsu gegenüber war nicht so schlimm gewesen, wie sie gedacht hatte. Eher erleichternd. Aber seit sie... Die Kupferhaarige stoppte unmittelbar, riss ihre Brustpanzerung ab, schleuderte sie irgendwo hin und ließ sich auf ihren Futon fallen. Zumindest hatte sie dieses Mal einen eigenen Raum. Es war ja eigentlich gar nicht so schlimm, einen Raum mit Männern zu teilen – meistens war es ja sowieso Jakotsu – aber das war nichts verglichen mit einem eigenen, ruhigen Raum. Aber auch diese Begebenheit konnte Akira nicht wirklich genießen. Zu viel beschäftigte sie. Sie seufzte tief und schloss ihre Augen im Versuch, etwas Schlaf zu bekommen. Als die junge Frau endlich halbwegs weggedämmert war, drehte sie sich auf die Seite und bemerkte ein unangenehm hartes Gefühl an ihrer Hüfte. 'Mein Schwert...?', fuhr es durch ihren schlaftrunkenen Kopf. Genervt entfernte sie Surudoi von ihrem Körper und schleuderte es in die Richtung ihres Brustpanzers. 'Was ist bloß los mit mir?' Die Kupferhaarige seufzte, schloss ihre Augen und legte sich wieder hin. Sie hob ihre Hand und rieb sich die Stirn, bevor sie anschließend ihr Gesicht mit den Händen verdeckte. 'Oh Mann...' Einige Minuten später war sie noch immer tief in Gedanken, sodass die junge Frau das Öffnen und Schließen ihrer Schiebetür nicht bemerkte. Noch nicht einmal die Schritte, die sich ihr näherten. Erst, als sich jemand direkt neben sie kniete, realisierte sie, dass sie nicht mehr allein war. Und das war im Moment ihr einziger Wunsch. „Nii-chan, ich bin nicht in der Stimmung für deine...“ Sie drehte ihren Kopf in die entgegengesetzte Richtung ihres Besuchs. Sie wollte jetzt einfach nur allein sein. Und sie wollte wissen, warum sie wütend und traurig zugleich war. 'Naja, es ist eher Traurigkeit...' „Ich bin nicht dein Bruder.“, unterbrach eine weibliche Stimme ihre Gedankengänge und brachte Akira dazu, ihre Augen schnell zu öffnen. Sie setzte sich schnellstmöglich auf und beobachtete die durchaus schöne Frau vor ihr mit großen, überraschten Augen. „Was tust du dann in meinem Raum?“, fragte sie, noch immer zu überrascht, um anders zu reagieren. Eine böse Ahnung stieg in ihr auf. „Ein Freund von dir meinte, du bräuchtest ein bisschen... Entspannung.“, antwortete die Frau weich, ein verführerisches Lächeln im Gesicht. Sogar ihre Augen wirkten lockend. Zu dumm, dass es bei ihr nicht wirkte. 'Oh nein...', dachte Akira, konnte sich aber nicht bewegen, als die Frau ihre Hand nach ihrem Gesicht ausstreckte und über es strich. Die junge Frau war zu schockiert. Aber als die Frau sich auf die Kupferhaarige zubewegte, fiel sie auf ihren Hintern. „I-Ich... Ich kann nicht...“, stammelte sie, sprang auf die Beine und stürmte zu der Tür. „E-Entschuldige. Ich muss jemandem danken.“ Sie konnte den neugierigen Blick der Frau auf ihrem Gesicht spüren. Wahrscheinlich wurde sie nicht häufoig zurückgewiesen. 'Ich bin mir sicher, dass er es war.' Eine tiefgreifende Verlegenheit durchströmte sie. Dann folgte ein tiefer Ärger, der die Gefühle, die sie zuvor beschäftigt hatte, ersetzten. Aber die junge Frau rief noch nicht seinen Namen. Sie wusste, dass er sonst abhauen konnte, bevor sie sein Zimmer erreichen konnte. 'Dieser Idiot! Warum ist dieser sture, rücksichtslose, egoistische Esel so sagenhaft unverschämt?!' Akira hielt direkt vor der Tür, hinter der sich der Grund für ihren Ärger und ihre schlechte Laune verbarg. Sie riss die Schiebetür auf und starrte sein Bett wütend an. „BANKOTSU!“ [Bankotsu] Er erstarrte, als er Akira seinen Namen von der Tür aus rufen hörte. Seinen vollen Namen. Es klang bedrohlich, wütender als jemals zuvor. Er setzte sich auf und blickte seinen Freund irritiert an. Der Kupferhaarige starrte ihn an, seine Augen glühten vor Zorn. „Was ist passiert, Kumpel? Warum so wütend?“ Er warf etwas Unidentifizierbares nach ihm, aber der Schwarzhaarige wich rollend zur Seite aus. Wenn Akira kochend vor Wut war, ließen seine Kampfkünste nach. Er war quasi nur noch in Rage. Es machte zwar normalerweise immer Spaß, mit ihm zu kämpfen und zu streiten, aber jetzt... Jetzt war der Kupferhaarige viel zu gefährlich für sich selbst. „Wirklich? DU fragst MICH, was passiert ist?!“, zischte er mit einem drohenden Unterton und bewegte sich langsam auf ihn zu. Der Schwarzhaarige stand so schnell auf, wie er konnte, und sprang an das andere Ende des Raumes. Dann bemerkte er die schöne Frau, die hinter seinem Freund aufgetaucht war und dem Streit zusah. „Du warst derjenige, der diese Frau zu mir geschickt hat! Gib es zu! Weißt du, wie BESCHÄMEND das ist?!“ „Ich habe dieses Mal wirklich nur versucht, nett zu sein!“, antwortete er lauter, als er gewollt hatte. Und offensichtlich machte das den Kupferhaarigen noch zorniger. Er stand nun neben seinem Ruheplatz, griff nach dem Kissen und schmiss es nach ihm. Bankotsu trat einfach zur Seite. Das Kissen traf nur die Wand, allerdings härter, als er es vermutet hätte. Akira hatte ja doch etwas Kraft in seinem kleinen Körper. “Ach ja?! Dann versuch's NOCHMAL!” Dieses Mal zerschlug der junge Mann etwas Hölzernes, wodurch Splitter hoch in die Luft flogen. Der Schwarzhaarige begriff es noch immer nicht. Warum war Akira so wütend? „Du wirktest deprimiert! Ich...“ „Nun nicht mehr!!“ „Warum bist du so wütend? Ich finde sie sehr hübsch!“ Seine Aussage machte es noch schlimmer. Sein Begleiter wurde nun so laut, dass jeder in der Nähe ihren Streit mitbekommen würde. Sogar seine Aura verstärkte sich immens. Die Frau, die in der Tür stand, zuckte sichtbar zusammen. „Es geht nicht um sie! Es geht darum, dass du ein unverschämter, rücksichtsloser, gleichgültiger, sturer Trottel bist!!“ Und mit jeder Beleidigung warf er etwas nach ihm. Bankotsu sprang rückwärts über Banryu und versuchte immer noch, nur auszuweichen. „Dann sag mir, was ich getan habe!“, verteidigte er sich und wurde selbst sauer. Er grinste herablassend. Er konnte ihm nichts vorhalten, er hatte nichts getan. Akira stand nun exakt neben seiner Hellebarde – das Einzige, was er nach ihm werfen konnte. Aber er wusste auch, dass er der Einzige war, der Banryu ohne die Hilfe von anderen hochheben konnte. Das schien der Kupferhaarige auch zu wissen. Der junge Anführer hatte allerdings die Schnelligkeit seines Freundes vergessen. Auf einmal stand er direkt vor ihm. „Du denkst niemals über die Gefühlen von ANDEREN nach, du Idiot!“ Offenbar hatte Akiras Frustration den Höhepunkt erreicht, denn er atmete hörbar. Dann wandte er sich um, um aus dem Raum des Anführers zu verschwinden. Akira schien sich gerade noch so beherrschen zu können. Doch der Schwarzhaarige wollte dieses Mal nicht nachgeben. Er würde ihm nicht erlauben, seine nette Tat in einen Fehler umzumünzen. Dieses Unverständnis verletzte ihn aus einem unerfindlichen Grund sehr. Und das sollte sein Gegenüber auch zu spüren bekommen. „Gut, wie du willst. Du bist mir sowieso sowas von egal.“, knurrte Bankotsu aufgebracht, was Akira sofort erstarren ließ. Aber nur für einen kurzen Moment. Dann wirbelte er herum und holte schneller aus, als der junge Anführer es erfassen konnte. Ein lautes Klatschen erfüllte den Raum. Langsam und perplex berührte Bankotsu seine schmerzende Wange und blickte den Kupferhaarigen an, die Augen überrascht geweitet. Er biss sich fest auf die Lippe, er schien mit sich zu kämpfen. In seinen braunen Augen konnte der Schwarzhaarige sogar Tränen erkennen. Den Grund dafür konnte er allerdings nicht benennen. Das war das Letzte gewesen, womit er gerechnet hätte. Akira drehte sich schließlich wieder um und stürmte aus dem Raum, direkt an der Frau vorbei, die im Prinzip die Ursache für diesen Streit war. Auch sie hatte entsetzt ihre Hände vor dem Mund zusammengeschlagen. [Jakotsu] Noch etwas müde öffnete er leise seine Tür, huschte durch sie hindurch und schloss sie wieder. 'Ich brauche nur etwas frische Luft...', murmelte er geistig, versuchte sich selbst zu überzeugen. In der letzten Nacht hatte der junge Mann etwas unruhig geschlafen – nicht zu vergessen der ohrenbetäubende, nächtliche Streit – und nun war ihm ein wenig schwindelig. Seufzend lehnte er sich gegen die Wand und legte seinen Kopf ebenfalls gegen das kühle Holz. Eine Weile genoss er die kalte Luft, den leichten Wind. Als er leicht die Augen öffnete, konnte er sehen, dass die Sonne gerade im Begriff war, aufzugehen. Der dunkelblaue Himmel wurde nun von einem breiten Spektrum an Orange- und Gelbtönen gefärbt. Diese ruhige Idylle beruhigte und weckte seinen Geist zugleich. Es war einer der friedlichsten Momente in den letzten Wochen. Vielleicht sogar der letzten Monate. Auf einmal hörte er ein leichtes Zischen. Jakotsu schreckte hoch und stieß sich alarmiert von der Wand ab. Das war eindeutig das Geräusch eines abgeschossenen Pfeiles gewesen. Wie von selbst brachten ihn seine nackten Füße hinter eine Dachstütze. Das Geräusch war aus dem Garten gekommen. Ein weiterer Pfeil wurde abgeschossen. Neugierig lugte der Transvestit hinter dem Balken hervor – und seufzte erleichtert, aber leise. In der Mitte des Gartens stand Akira und schoss Pfeile auf imaginäre Ziele. Sogar äußerst präzise. Ihr Haar leuchtete im aufgehenden Sonnenlicht, während sie schnell und elegant ihre Pfeile verschoss. Aber warum war sie schon so früh auf und trainierte? Jakotsu wollte gerade auf sich aufmerksam machen, als eine weitere Person – für die junge Frau sichtbarer – auftauchte. Es war Bankotsu. Sie erstarrte und sicherte schnell den Pfeil, den sie gerade in seine Richtung hatte abschießen wollen. Sein Freund wirkte allerdings nicht im geringsten besorgt, sondern blieb einfach nur stehen und blickte die Kupferhaarige durchdringend an. Für einige Augenblicke starrten sie sich ausdruckslos in die Augen. Jakotsu trat hinter dem Balken hervor, was ihm einen besseren Überblick über die Situation ermöglichte. Keiner der Beiden schien ihn zu bemerken. Auf einmal senkte Akira ihren Blick. Der junge Anführer hingegen ließ sich noch nicht mal zu einem überheblichen Grinsen herab, sondern ging einfach in die Richtung des Speisezimmers, wo sie auch gestern zu Abend gegessen hatten. Doch seine Schwester schien es sich auf einmal anders überlegt zu haben, denn sie hob ruckartig ihren Kopf. „Bankotsu.“, sagte sie gepresst. 'Bankotsu? Seit wann?', fragte sich Jakotsu im Stillen, doch er wollte sich nicht einmischen. Er begann leise den Rückzug anzutreten. Einen Schritt, dann noch einen. Bankotsu blieb stehen, zeigte aber keine andere Reaktion. Er wartete vielleicht. Eine Weile war es still. Nur das Rascheln der Blätter war zu hören. Die folgenden Worte waren nur leise wahrnehmbar. „Es tut mir leid.“ „Schon gut.“, erwiderte er ruhig. Jakotsu konnte seine Neugier nicht mehr im Zaum halten und spitzte seine Ohren. Täuschte er sich oder hörte er in seinen Worten ein gewisses Bedauern heraus? Der junge Anführer senkte seinen Kopf, blickte sie nicht an. Vielleicht hatte er deshalb ihr Zittern nicht bemerkt. „Mir tun meine gestrigen Worte auch leid.“ Dann verschwand er endgültig und ließ die Beiden zurück. Das Mädchen ging langsam und mit ebenfalls gesenktem Kopf auf die Veranda zu. Genau dort, wo er sich befand. Sie ließ sich auf das Holz plumpsen, legte ihren Bogen neben sich und fuhr sich mit einer Hand durch ihren Pony. Jakotsu wusste nicht, ob sie seine Präsenz bemerkt hatte, aber er wollte sie nicht allein lassen. Einmal war genug. Er hatte schon längst vergessen, warum er überhaupt rausgekommen war. Leise ließ er sich neben Akira nieder, die ihr Gesicht mittlerweile mit ihren Händen verdeckte. Spätestens jetzt wusste sie, dass er da war. „Lass mich bitte allein.“, murmelte die junge Frau in seine Richtung. Ihr Tonfall klang verdächtig beherrscht. Wahrscheinlich weinte sie und wollte ihre Schwäche niemandem zeigen. Das war schon immer so gewesen, auch als sie klein gewesen waren und ihr Vater zu viel von ihr gefordert hatte. Warum sie dieses Mal weinte, wusste er nicht. „Nein.“, antwortete Jakotsu daher einfach. Dann legte er aus einem Impuls einen Arm um ihre zitternden Schultern und zog sie zu sich. Das hatte sie früher immer für ihn gemacht und jetzt konnte er sich revanchieren. Akira wehrte sich nicht einmal, sondern vergrub nur ihr Gesicht in seinem Kimono. Sie weinte wirklich, leise vor sich hin. Alles, was die junge Frau bis jetzt unterdrückt hatte, schien nun an die Oberfläche zu kommen. Zumindest war das seine Einschätzung. „Warum weinst du?“ „Wegen allem und wegen nichts.“, erklärte die Kupferhaarige mit rauher Stimme. Eine sehr kryptische Aussage. Irgendwie hatte der Schwarzhaarige gehofft, dass sie ihm endlich mal etwas mehr vertrauen würde. Das sie ihm Dinge sagte, die sie belasteten. Enttäuschung machte sich in ihm breit. „Es ist einfach zu viel...“ „Weißt du... Wenn du dich niemandem anvertraust, kann dir auch niemand helfen.“ Eine Weile sagte niemand mehr etwas. Jakotsu hob seinen Kopf und blickte in den Himmel. Ein paar kleine, braune Vögel waren bereits aktiv und flogen zwitschernd umher. Man könnte fast meinen, sie hätten keine Sorge in der Welt. Hatten sie wahrscheinlich auch nicht. Langsam schienen Akiras Tränen nachzulassen, denn nun war sie ziemlich ruhig geworden. Als der Transvestit wieder nach unten blickte, schaute er in ein vertrautes, ernstes Gesicht. „Du hast Recht.“, sagte die junge Miko entschlossen. Der Schwarzhaarige vermutete hinter ihren Worten eine tiefere Bedeutung, die er gar nicht gemeint hatte. Und dann begann sie zu erzählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)