Wechselbalg von halfJack (Farfarello x Schuldig) ================================================================================ Kapitel 2: Kehrseite der Klinge ------------------------------- Der Tod ist ein Geschäft, das sich immer lohnt. Wenn man jemanden per Auftrag tötete, war es geradezu der Gipfel des Hohns, seine Taten vor sich selbst oder anderen zu rechtfertigen. Ein Zeichen von Schwäche und schlechtem Gewissen, wenn man sich gut zuredete, jene Opfer hätten ihren Tod verdient und die Welt sei ohne sie ein besserer Ort. Nach Schuldigs Meinung hatte jeder den Tod verdient. Oder zumindest keiner mehr oder weniger als ein anderer. Mord war Mord, nichts weiter, und kein Mord konnte die Welt irgendwie besser machen. Hatte man sich den Tod zum Geschäft gemacht, bestand der einzig ehrbare Lohn dafür aus einer ordentlichen Summe auf einem Gehaltsscheck. Daneben konnte man außerdem noch ein bisschen Spaß haben. Manchmal brauchte Schuldig diesen Nervenkitzel und die Macht der eigenen Überlegenheit. Doch die Tage, in denen Schwarz die Früchte ihrer Arbeit genießen konnten, waren ihm gleichfalls recht. Bei Farfarello war das anders. Zuerst scheute er sich stets davor, die Zwangsjacke abgenommen zu bekommen. Selten wollte er auf sie verzichten. Sobald er sie nicht auf seiner Haut fühlte, ersetzte er ihren weißen, festen Stoff meist durch etwas, das er genauso liebte und brauchte: die Klinge eines Messers. Das schwache Fleisch musste gezüchtigt werden. Es fand sein Refugium in jeder einzelnen Blutbahn, die sanft über die blassen Ebenen der Haut floss. „Warum hast du ihm das Messer nicht abgenommen?“ Schuldig machte einen genervten Eindruck, als er Nagi anklagend taxierte und Farfarello das Mordinstrument entriss, mit dem sich dieser eine klaffende Wunde am Oberarm zugefügt hatte. Der Ire musterte verwundert seine leere Hand, als könne er nicht begreifen, weshalb das Gewicht darin plötzlich verschwunden war. „Bin ich sein Kindermädchen?“, warf Nagi überheblich zurück, wandte sich ab und verließ trotzig den Raum, ließ Schuldig mit Farfarello allein. Der Deutsche schickte ihm eine abwertende, von jenem nicht bemerkte Geste hinterher, anstatt seiner latenten Frustration durch telepathische Beleidigungen Luft zu machen. Wenn er sich mit dem jungen Hacker ein mentales Gefecht lieferte, würde er an diesem Abend vermutlich nicht mehr zur Ruhe kommen. Er drehte sich zu Farfarello herum, der es irgendwie bewerkstelligte, ihn gleichzeitig böse und teilnahmslos anzustarren. Schuldig verzog seinen Mund zum gewohnten Grinsen. „Wenn ich mir deine Neigungen so anschaue, dann ist Schwarz womöglich dein Schicksal“, stellte er in übertriebener Unbefangenheit seine Vermutung in den Raum. „Wo sonst könntest du existieren?“ Auf die Worte nicht achtend fixierte Farfarello das Messer in Schuldigs Hand, eines der Lieblingsstücke aus seiner Sammlung. Lediglich die schmale Linie am geschärften Rand war metallisch hell, dagegen war der Rest der Klinge angeraut und vollkommen schwarz, der Griffschutz leicht gebogen. „Solche wie wir“, fuhr Schuldig fort, wobei er den Blick des Anderen genau registrierte, „können nicht normal in der Gesellschaft leben. Doch diese Welt braucht uns, um sich selbst am Leben zu erhalten.“ Während Schuldig zum Schrank ging, ihn aufschloss und einen Verbandskasten herausnahm, setzte sich Farfarello auf das Bett und richtete seine Aufmerksamkeit schweigend auf eine Ecke seines Zimmers, wo sich Wand und Boden im rechten Winkel trafen. „Damit etwas Neues entstehen kann, muss etwas Altes zerstört werden.“ Schuldig legte das Messer auf die Bettdecke und ließ sich sorgsam zwischen dem Instrument und Farfarello nieder. „Wir vernichten und zerstören für den Fortbestand der Wirklichkeit.“ Er wollte soeben den Arm des Iren ergreifen, um ihn zu verarzten, als dieser sich ihm entzog. Dennoch sprach Farfarello kein Wort. Er dachte keinen Gedanken. Sein Gesicht blieb ausdruckslos. „Was ist denn?“ Stirnrunzelnd suchte Schuldig nach einer Reaktion in der Mimik oder Gestik des anderen Attentäters. Irgendeine Reaktion, die ihm zur Antwort auf seine Frage gereichte. Die einzig wahrnehmbare Regung blieb allerdings ein leichtes, kaum sichtbares Zittern. Vertieft in diese ungewohnte Beobachtung erschrak Schuldig ein wenig, als Farfarello nach einer Weile doch noch die Lippen bewegte. „Was du Schicksal nennst“, sprach er monoton und ohne eine Miene zu verziehen, „damit meinst du eigentlich...“ Das allerletzte Wort wollte er mit etwas begleiten, das unbeholfen an seinem Mundwinkel zerrte. Schuldig wusste nicht, was es war. Vielleicht ein Lächeln. „Glück“, sprach Farfarello schließlich jenes allerletzte Wort aus, das sich leer und inhaltlos im Raum verlor, als habe es keinerlei Bedeutung. „Werden ihn die Verletzungen behindern?“, fragte Brad Crawford kühl, den Blick desinteressiert auf die vor ihm liegenden Akten geheftet. „Bisher ist es nicht weiter gefährlich und Schmerzen verspürt Farfarello ohnehin nicht“, antwortete Schuldig vage. „Vermutlich also nicht.“ „Mit Vermutungen können wir in unserem Geschäft nichts anfangen.“ Eine steile Falte grub sich in Crawfords Stirn, als er seine Brille absetzte, sich die Nasenwurzel massierte und Schuldig daraufhin mit den Augen durchdrang. „Mehr als das kann ich nicht liefern“, verteidigte sich dieser bissig. „Wer ist denn dafür zuständig, unsere Zukunft abzusichern?“ Den peitschenden Laut, mit dem Crawfords flache Hand auf die Tischplatte knallte, registrierte Schuldig schneller als die eigentliche Bewegung. Ein untypisches Verhalten. Brad Crawford war normalerweise ein Mann, der stets die Ruhe bewahrte. Nun stand er mit aufgestemmten Armen vor seinem lederbespannten Bürostuhl und beugte sich über den massiven Schreibtisch hinweg nach vorn. Selten verströmte er eine derart schneidende Aura wie bei seinen folgenden Sätzen. „Solange Farfarello uns keine Schwierigkeiten bereitet, kann er meinetwegen so viele unbeteiligte Personen abmetzeln, wie er will. Könnte ich sicher sein, dass es sich in Grenzen hält, dürfte er sich von mir aus auch selbst aufschneiden. Es wäre dennoch von Vorteil, wenn er sich nicht irgendwann sämtliche Extremitäten abtrennt. Und was deine Bemerkung anbelangt“, betonte Crawford pointiert jedes einzelne Wort, während er dazwischen eine aggressive Pause machte. „Derzeit gibt es zu viele Optionen für eine unfehlbare Berechnung. Du, Schuldig, bist unsere Absicherung, weil nur du Farfarellos Gedanken lesen kannst. Aber du wirst uns nicht helfen, indem du dich nur um seine äußere Befindlichkeit kümmerst. Geh tiefer! Unter die Oberfläche.“ „Wie soll ich das anstellen?“ Schuldig merkte, wie sein Kiefer zu schmerzen begann, je stärker seine zusammengebissenen Backenzähne übereinander schabten. Er hasste Autoritäten. Und er hasste es, ohne seine Kenntnis eine Verantwortung aufgebürdet zu bekommen, um die er nie gebeten hatte. „Es gibt verschiedene Wege“, sagte Brad Crawford sachlich und setzte sich wieder. Plötzlich war sie zurück, seine allumfassende Beherrschung. „Du weißt, was ich meine.“ Schuldigs Miene und Tonfall verdunkelten sich. Ja, er wusste, was gemeint war, weil ihm die fremden Gedanken den nötigen Einblick gewährten. „Warum sollte ich das tun?“ „Wofür wirst du denn bezahlt, Schuldig? Bestimmt nicht für deine weiße Weste. Du kannst ihn verstehen und kontrollieren.“ „Er kann nicht kontrolliert werden!“ „Doch, kann er.“ Crawford sprach gelassen, mit einer Stimme wie Sandpapier. „Sonst hätte ich ihn nicht in unser Team aufgenommen. Wenn du meine Befehle befolgst, wird immer alles unter Kontrolle sein. Verstanden?“ Der Telepath schwieg. Gleichzeitig öffnete und verschloss er seinen Geist, er suchte und floh vor den mentalen Schwingungen, die im Luftstrom flossen wie magnetische Wellen. Für Brad Crawford war Kontrolle der Fels in der Brandung. Für Außenstehende manifestierte sich darin eine Furcht vor den unentdeckten Bruchstellen im Stein. „Verstanden, Schuldig?“ „Das war ja wohl mehr als deutlich“, antwortete Schuldig endlich. Ein bitteres Grinsen flog über sein Gesicht. Er wandte sich zum Gehen. Trocken gab ihm Crawford noch mit auf den Weg: „Be cruel to be kind.“ Schuldig fühlte sich dreckig. Obwohl Crawford ihn nicht nah genug an sich herangelassen hatte, um den Grund dafür zu erfahren, war ihm jenes unterschwellige Gefühl sofort aufgefallen. Ein gefährliches Etwas, das sich ihr Anführer normalerweise nie erlaubte. Es war keine Emotion, die man wirklich als schlecht bezeichnen konnte, nicht wie Verzweiflung oder Tobsucht. Was Schuldig ungewollt erspürte, war die Kehrseite von Zufriedenheit. Und er kannte dieses kalte Unwohlsein, das wie ein Schweißfilm aus Angst die Haut bedeckte. Eine unbestimmte, ziellose Angst, die er für seinen Geschmack viel zu oft aus den unzähligen Köpfen all der sorgenschweren Menschen da draußen filterte, die sich auf den Pfaden ihres Lebens verirrten. Crawford hatte Unrecht. Selbst wenn Schuldig Farfarellos Gedanken las, konnte er ihn weder verstehen noch kontrollieren. In dessen Kopf war keine Stimme der Vernunft zu hören, sondern das Schweigen des Wahnsinns. Dennoch wusste Schuldig, dass ihn diese Stille gleichermaßen belastete wie beruhigte. Allein das blutrote Haar des Iren spiegelte die Farbe dessen wider, was unsichtbar an seinen Händen klebte. „Wie viele von den scheiß Dingern hast du diesmal eingeworfen?” Farfarello bewegte sich nur langsam, drehte sich auf dem kargen Bett zu Schuldig herum und starrte ihn böse an. Seine fensterlose Zelle war grell erleuchtet, kein Tageslicht erkennbar und trotzdem war es nach elf Uhr. Abends. „Ich war müde“, sagte Farfarello. „Wenn du müde bist, dann brauchst du die nicht.“ Schuldig deutete auf die Tablettendosen und Packungen neben dem Bett. Einige davon waren von der Spitze des Berges herunter gerutscht und verteilten sich um die Tischbeine. Sofern man davon sprechen konnte, handelte es sich zwar um verschreibungspflichtige Medikamente und Schuldig achtete darauf, seinem Teammitglied nie genügend davon auszuhändigen, als dass er sich damit hätte umbringen können, aber Farfarello neigte dazu, zumindest eine Kategorie seiner Tabletten nicht immer vorschriftsgemäß einzunehmen. Ein Arzneimittel aus der Gruppe der Butyrophenone, so hatte Schuldig es in der Packungsbeilage gelesen. Was auch immer das heißen mochte. Verlangte Farfarello wirklich nach Schlaf? Konnte es sein, dass seine Nerven unruhiger waren, als es den Anschein erweckte? Schwermütig atmete Schuldig ein. „Was brauchst du denn?“, wollte er in Erfahrung bringen. „Brauchen?“ Sofort fügte Farfarello seiner Frage eine weitere hinzu: „Einen Freund?“ Diese fragende Antwort oder antwortende Frage ließ Schuldig unmittelbar auflachen. Er wusste nicht, warum er lachte, und nicht, warum er traurig war. „Einen Freund also.“ Erneut holte er tief Luft. „Bin ich denn dein Freund, wenn ich dir dein selbstverletzendes Verhalten gestatte oder wenn ich dich davon abhalte?“ „Freunde können einen verletzen. Das habe ich gehört.“ Bis eben noch drückte Farfarello das schützende Bündel aus Stoff, Riemen und Schnallen an seinen Körper, das ihn seit Stunden nicht fesselte. Jetzt ließ er es los und offenbarte die verkrusteten Schnitte an seinen Armen. Das Weiß der Zwangsjacke wies stellenweise braune Flecken auf, verunreinigt vom getrockneten Blut. „Ja“, sagte Schuldig tonlos und hatte halb vergessen, worauf er gerade antwortete, „weil sie einem wichtig sind.“ „Das verstehe ich nicht. Aber Freunde verletzen.“ Farfarello streckte die Hand nach dem besudelten Messer aus, das auf dem Boden lag. „Kannst du mein Freund sein? Kannst du mich verletzen?“ „Ich weiß nicht.“ „Versuch es.“ Farfarello hielt ihm das Messer entgegen. „Wenn du mein Freund bist, dann verletze mich.“ Entgeistert blickte Schuldig ihn an. Er schwankte und war unsicher, ob er im Anflug von verzweifelter Belustigung „fantastisch“ oder „nein“ sagen sollte. Letztlich vermischte er es zu einem in seinen eigenen Ohren lächerlich klingenden: „Fein.“ „Ich wusste, dass du das tun würdest.“ „Du wusstest es!?“ Die Kontrolle, von der Crawford gesprochen hatte, vollzog sich nicht durch eine vollständige Unterdrückung von Farfarellos Neigungen, sondern durch Kompensation. Während der Aufträge ließ Schwarz ihn wüten, dazwischen ließ man ihn warten und falls der Druck zu groß wurde, half Schuldig ihm, sich seinen Autoaggressionen geregelt hinzugeben. Am Ende war das Prinzip jedoch einfacher als die Umsetzung. „Farfarello kann oder will seine Kraft nicht richtig einschätzen“, erklärte Crawford unbeeindruckt. „Indem du das übernimmst, verhindern wir, dass er es übertreibt.“ „Wir? So wie ich das sehe, bin ich der Einzige, der hier einen Kontrollverlust verhindert.“ „Alle Seiten sind zufrieden. Fall erledigt.“ „Du hältst mich wohl für sadistisch genug, damit ich das nicht nur freiwillig, sondern voller Vergnügen tue?“, zischte Schuldig respektlos. „Tust du das sonst nicht auch? Wo ist das Problem?“ Ein schmutziges Grinsen vermischte sich mit der Wut auf Schuldigs Gesicht. „Das Problem ist vielleicht“, entgegnete er, „dass ich es sonst zu einem Abschluss bringe.“ „Tiefer“, sagte Farfarello ohne Emotion und ohne Schmerz. Er sagte es jedes Mal, wenn Schuldig neben ihm saß und der Forderung nach mehr Gewalt nur bedingt folgte, ein Messer in der ruhigen Hand, mit dem er über die bereits vernarbte Haut fuhr. Geregeltes Verletzen. Verletzen ohne zu töten. Das Prinzip dieser Kontrolle, dachte Schuldig wie so oft, war einfacher als die Wirklichkeit. Deshalb verlor er sich in diesen stillschweigenden Momenten, in all den lautlosen Gedanken, die ihn umhüllten wie Balsam. Er schaltete alles aus, schaltete den Verstand ab. Schuldig wusste, wie man jemanden tötete. Er wusste, wie man tödliche Verwundungen zufügte. Die Lebensgefahr zu umgehen war hingegen etwas, das er nicht gewohnt war, nicht beherrschte und das ihm mit der Zeit eine unangenehme Taubheit bescherte, als würde er nicht einer anderen Person, sondern sich selbst immer und immer wieder ins eigene Fleisch schneiden. Jedes Mal, nach einigen Tagen und Wochen des Wartens, des Nichtstuns, des fehlenden Tötens, verzichtete Farfarello auf den Schutz seiner Zwangsjacke und fragte gleichmütig: „Wollen wir spielen?“ Danach beobachtete Schuldig mit leeren Augen und Übelkeit in der Kehle, wie Farfarello eine Nadel in den offenen Schnitt bohrte, in den helleren, länglich geformten Fettzellen herumstocherte, die wie winzige Luftpolster aussahen und in sich zusammenfielen, sobald er sie aufstach. Leicht angeekelt wandte Schuldig den Blick ab. Er brauchte dringend Abstand. „Tiefer!“, rief sie erregt und bäumte sich ihm entgegen. Schuldig war nur ein Riss in der Wand des menschlichen Geistes, eine Fuge, ein winziger Spalt in der Barriere. Das genügte, um ihn hineingleiten zu lassen und ein Stück Sanftheit und Wärme zu erhaschen. Mit den Sensoren seiner Psyche plünderte er, was er im fremden Inneren fand, bis sein Hunger gestillt war. Er gewann Abstand zur Realität, indem er sich in der Gesellschaft von gesunden, zärtlichen und unbeschwerten Seelen aufhielt, in einer Zwischenwelt, abseits der Aufträge und der Suche nach Fakten. Es waren einige Tage vergangen, seit Crawford ihnen einen kurzen Urlaub gestattete, solange er allein wegen irgendwelcher Geschäfte ins Ausland reiste. Nagi würde sich während dieser Zeit wahrscheinlich seinen Studien widmen oder sich in die Datenbank des Pentagon hacken, nur so zum Spaß, um sich zu beweisen, dass er es konnte. Und Farfarello würde wie immer schlafen oder in einer Ecke seiner Zelle sitzen und ins Nichts starren. Schuldig strich ein letztes Mal über den schlanken, erschöpften Leib seiner Gespielin, bevor er sich erhob und seine Glieder streckte, die Blockaden löste, körperlich wie mental. Er war nun bereit, den Rückweg anzutreten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)