Schwarze Wogen von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Die Sonne ging langsam in dem kleinen Dorf entlang der gewaltigen Küste unter, welche so unbedeutend schien und doch eine solche Stärke besaß. Manchmal schien es, als würde die Zeit an jenem Ort regelrecht stehen bleiben, als gäbe es kein Heute und kein Morgen, nur das Jetzt im Einklang mit dem ständig wechselnden Gezeiten; die Menschen lebten in vollkommener Harmonie miteinander und mit den verschiedenen Stimmungen des Meeres, welche zuweilen schneller wechselten als die Launen eines unglücklich verliebten Mädchens. Oft war es aufbrausend, drohend und brutal, dann wieder sanft, mitfühlend und tröstend, besonders wenn wie an jenem Abend vereinzelte Möwen am verfärbten Himmel kreisten und das Meeresrauschen mit ihren klagenden Schreien durchdrangen. Umweit vom Strand entfernt war ein junger Mann namens Adam damit beschäftigt, schwere Blumenkübel in den kleinen Laden zu tragen, welchen er gemeinsam mit seinem Freund Shota betrieb. Der Wind strich liebevoll durch das schulterlange, dunkelblonde Haar und der Schweiß rann über sein weiches, doch markantes Gesicht; Shota hatte ihm gerade berichtet, dass heute ein guter Tag gewesen war. Ihre neuen Kreationen der Blumengestecke erfreuten sich, gemeinsam mit der speziellen Züchtung von blauen „Meeresrosen“, großer Beliebtheit. Er seufzte erleichtert und lehnte sich kurz an die weiß getünchte Hauswand; vielleicht würde es nun endlich aufwärts gehen, denn obwohl Shota und er sehr begabte Floristen waren und auch von Gärtnerei eine Menge verstanden, so reichten die Erträge ihres Geschäftes gerade zu einem bescheidenen Leben. Der Grund war, wie Adam fand, absolut lächerlich und ließ ihn nicht selten am rationalen Verstand der Menschheit zweifeln: Shota und er waren mehr als nur gute Freunde, ihre Herzen schlugen füreinander und sie wollten ihr Leben miteinander teilen, selbst wenn das bedeutete, gemeinsam in den Tod zu gehen. Beide hatten damals um die einschneidend-verheerenden Konsequenzen gewusst und sich trotzdem gegen ein Leben voller Lügen und Qualen entschieden. Adam wusste, dass sie im Grunde froh sein konnten, dass die übrigen Einwohner sie noch nicht aus dem Dorf gejagt hatten, doch… wann würde es soweit sein? Schon jetzt wurden sie gemieden wie Pestkranke. Mit einem melancholischen Lächeln betrachtete Adam seinen Freund, welcher hinter der Theke stand und Geld zählte - in seinen Augen war Shota eine vollkommene, geradezu unzerbrechliche Schönheit: Von überdurchschnittlicher Körpergröße und sehr schlankem, aber dennoch trainiertem Wuchs, mit kurzem, leicht stufig geschnittenem, schwarzen Haar und stechenden braunen Augen, in denen man sich bei Unachtsamkeit verlieren konnte. Allein dieser vergleichsweise gewöhnliche Anblick ließ sein Herz höher schlagen, und wieder einmal wurde Adam klar, warum er sich, allen Hindernissen zum Trotz, in Shota verliebt hatte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen als er plötzlich brutal aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und an der glatten Wand Halt suchen musste, um einen Sturz zu verhindern. Dies gelang ihm mit einiger Mühe, auch wenn die Kübel dabei zu Bruch gingen und die gesamte Erde nutzlos auf der Straße lag. Zornig wollte der junge Mann den Täter zur Rede stellen als er merkte, das lediglich ein junges Mädchen vor ihm stand; die langen, schwarzen Haare reichten ihr bis zur Taille und der dürre Leib war von einem blassgrünen, schlichten Leinenkleid bedeckt. Ihrem Zittern und den bebenden Lippen, welche jedoch kein Wort sprachen, entnahm er, dass sie die versehentliche Übeltäterin war. Aber jeglicher Vorwurf erstarb in Adams Kehle als ihre Blicke sich trafen; die kräftigen grünen, an sich wunderschönen Augen der Unbekannten hatten jeglichen Glanz eingebüßt und starrten leblos und kalt aus viel zu tiefen höhlen. Für den jungen Mann war klar; die fatale Sehnsucht nach dem Tod hatte dieses junge Mädchen berührt und die zahllosen Tränen, welche flammend heiß über ihr Gesicht rannen verrieten, dass ein tiefer, seelischer Schmerz Narben in ihr Herz geschnitten hatte. „Hey, was ist…“, setzte Adam zum Sprechen an, doch die Fremde unterbrach ihn, indem sie geradezu ängstlich den Kopf schüttelte und ohne einen Blick zurück zu werfen einfach weiter rannte. Zuvor verließ noch ein herzzerreißendes Schluchzen ihre Kehle, welches dem jungen Mann regelrecht das Blut in den Adern gefrieren ließ. Deswegen überlegte er nicht lange: „Shota“, seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen, „komm schnell!“ Tatsächlich reagierte sein Lebenspartner sofort und kam aus dem Laden gestürmt, wobei er sich fragte, warum Adams Gesichtsfarbe einer Leiche Konkurrenz machte. „Was ist passiert“, verlangte er zu wissen und in knappen, eiligen Worten berichtete sein Gegenüber, was geschehen war: „Wir müssen ihr sofort hinterher… ich ahne Schlimmes!“ Ihre Blicke trafen sich und sie waren gewiss, dass sich ihre Gedanken ähnelten; auch wusste Shota aus eigener Erfahrung, dass man seinem Freund in solchen Dingen lieber folgen sollte, denn manchmal schien Adam so etwas wie das zweite Gesicht zu haben. „Los, zum Meer“ Entschlossen packte Shota ihn an der Hand und gemeinsam rannten sie los; ihr Ziel waren die hohen, massiven Klippen, welche das Meer abseits des Strandes vom Festland trennten. In diesem Moment war es ein tragischer, aber doch sehr nützlicher Vorteil, dass die anderen Leute Adam und Shota als „Missgeburten“ ansahen, denn so verstellte ihnen niemand den Weg, als sie wie vom Teufel persönlich gejagt durch die engen Straßen hetzten. Es dauerte nicht lange, ehe sie die majestätisch-gewaltigen Klippen erreichten, an deren Fuß sich die kräftigen Wellen brachen und ihr Grollen wie ein hungriger Wolf erklang. Zum Glück erwies sich Adams Vermutung als richtig: Schon aus einiger Entfernung sahen sie das dunkle Haar der Fremden wie einen Schleier fliegen. Erneut beschleunigten sie ihr Tempo und erreichten die Klippen im letzten Augenblick. Dennoch schenkte das junge Mädchen ihnen nur einen letzten, verzweifelten und traurigen Blick, wandte sich ab und sprang. Adam stieß einen schrillen Schrei aus und Shota fluchte: „Verdammt“ Ohne lange zu überlegen nahm er Anlauf und sprang dem Mädchen hinterher. Sein Freund biss sich voller Unruhe auf die Lippe; Shota war ein ausgezeichneter Schwimmer, doch der Wellengang war um diese Zeit alles andere als ruhig, von den spitzen, rauen Felsen am Fuße der Klippe ganz zu schweigen; diese konnten einen Menschen problemlos in zwei Teile schneiden. Adam zitterte am ganzen Körper, rannte hinunter zum Strand und betete still vor sich hin - hoffentlich würde alles gut gehen. Es dauerte eine qualvolle halbe Stunde, ehe Shota aus den salzigen Fluten auftauchte. Vereinzelte Tropfen liefen aus seinen Haaren und perlten über das sichtlich erschöpfte Gesicht; in seinen Armen hielt er den leblosen Körper des Mädchens. Ihr schönes Kleid hing nur noch in Fetzen herunter, Haare und Gesicht waren vom nassen Sand verklebt und an den Handgelenken waren massive, blutige Schürfwunden zu sehen. „Sie stammen von einem Korallenriff“, erklärte Shota und legte das Mädchen vorsichtig in den Sand. „Algen hatten sich um ihre Handfesseln geschlungen und beim Versuch, sich zu befreien…“ Adam nickte und zerriss sein schwarzes Shirt, um die Wunden zu verbinden; währenddessen begann sein Freund mit der Herzmassage, welche sich jedoch als erfolglos erwies. Im Gegenteil, die Haut des Mädchens schien mit der Sekunde bleicher zu werden. „Bitte halte durch“, flüsterte Adam und ballte die Faust, „du darfst nicht sterben!“ „Das hat keinen Sinn“, entgegnete Shota ärgerlich und musterte seinen Liebsten, „komm, hilf mir!“ Gemeinsam versuchten sie, das Wasser aus ihrer Lunge zu pressen und tatsächlich; nach einigen Minuten schlug das fremde Mädchen die Augen auf, röchelte und erbrach das Salzwasser; sie zitterte am ganzen Leib. Adam strich ihr beruhigend über den Rücken, woraufhin sie sich umdrehte und leise „danke“ hauchte. „Wie heißt du?“, wollte Shota indessen wissen. „Yumiko“, erwiderte sein Gegenüber schüchtern und senkte den Blick; offensichtlich wusste sie, was die Leute über Adam und Shota erzählten. Letzterer seufzte und zwang das junge Mädchen daraufhin, ihm fest in die Augen zu blicken: „Ich nehme an, du weißt, was man über uns sagt. Aber auch als Missgeburten haben wir dir das Leben gerettet und du kannst dich glücklich schätzen, dass es uns noch gelungen ist! Ich finde, dass du uns als Gegenleistung in unseren Laden begleiten und den Grund für deinen Selbstmord verraten solltest. Abgesehen davon“, er blickte kurz zu Adam, „brauchen wir alle frische Kleidung!“ Yumiko blickte den Größeren etwas verunsichert an, nickte aber; vielleicht wäre es wirklich besser, wenn sie sich jemandem anvertrauen würde. Außerdem hatte Shota Recht; sie fror schon mehr als sie zittern konnte. Gemeinsam schritten sie durch die engen Straßen, begleitet von den argwöhnischen und verächtlichen Blicken der anderen Leute; das junge Mädchen wusste, dass sie ab jetzt auch eine Ausgestoßene sein würde. Doch war die gesellschaftliche Anerkennung tatsächlich so wichtig? Adam und Shota waren trotz ihrer merkwürdigen Gesinnung alles andere als unsympathisch und zudem verdankte sie ihnen ihr Leben; alle anderen Leute hatten ihr bestenfalls einen mitleidigen Blick geschenkt. Im Laden angekommen zog das junge Mädchen das zerrissene, nasse Kleid aus und wickelte sich in eine Decke während Adam den Kamin anzündete und Shota heiße Schokolade mit Sahne zubereitete. Der Kleinere schien sich darüber mehr als zu freuen, umarmte seinen Liebsten und küsste ihn zärtlich auf die Lippen; für mehrere Sekunden versanken die zwei in ihrer eigenen kleinen Welt, wo es außer Liebe nichts gab. Dieser Anblick versetze Yumiko einen Stich ins Herz und Tränen brannten in ihren Augen; nicht, weil diese Szene sie anekelte, sondern, weil sie selbst ein solches Glück niemals besitzen würde. Noch vor wenigen Stunden hatte es sicher und warm an ihrem Herzen geruht, ehe eine von Eifersucht und Neid getriebene Person es ihr entrissen und nichts als Scherben zurückgelassen hatte. Laut schluchzte das junge Mädchen auf und auch die Tränen ließen sich nicht mehr halten. Wie vom Blitz getroffen lösten sich die beiden voneinander. „Hey, was hast du?“, fragte Adam und legte tröstend den Arm um ihre Schultern. Ohne Widerstand ließ Yumiko sich umarmen und streicheln, ihre Tränen benetzten Adams Brust. „Der Grund für deinen Selbstmordversuch war also Liebeskummer?“, Shotas Stimme klang neutral, aber in seinen Augen spiegelten sich Interesse und Betroffenheit. Das junge Mädchen nickte, ehe es aus ihr sprudelte: „Ich habe mich in jemanden verliebt und die Zeichen wiesen daraufhin, dass es in absehbarer Zeit eine Beziehung werden würde. Aber eine falsche Freundin mischte sich ein, erzählte Lügen über mich und benutzte dabei die tiefsten Ängste meines Liebsten. Schließlich wandte er sich von mir ab, deswegen wollte ich mich…“ „Wie bitte?“, riefen Adam und Shota wie aus einem Mund, „das kann doch nicht wahr sein, so etwas Dreistes!“ Letzterer ballte die Faust vor Zorn und beide verständigten sich mit Blicken. „Wie sieht diese Freundin aus und wo können wir sie finden?“ Verwirrt antwortete das junge Mädchen: „Sie hat lange, blonde Haare mit einer einzelnen blauen Strähne auf der rechten Seite, außerdem ist sie groß und sehr schlank, fast schon dürr. Meistens geht sie abends in die Tanzbar am Strand“. Yumiko stockte, als ihr klar wurde, was die beiden vorhatten: „Das könnt ihr doch nicht machen“, aber ihr Prostest war so schwach wie der eines Kindes. „Doch wir können und wir werden“, entgegnete Shota entschlossen und warf ihr ein selbstgefälliges, fast strahlendes Lächeln zu. „Das Außenseiterdasein ist nicht immer schlecht; man hat gewisse Vorteile!“ Damit verließen sie den Laden und ließen eine verdatterte und besorgte Yumiko zurück. Es dauerte nicht lange, bis Adam und Shota die gesuchte Bar gefunden hatten; die Technomusik, welche in übermäßiger Lautstärke auf den Gehweg drang ließ sie schon im Vorfeld das Gesicht verziehen. Und der Eindruck besserte sich auch nicht beim Betreten der Lokalität, im Gegenteil: Die neonfarbenen Scheinwerfer, welche von überall zu kommen schienen waren so grell, das Adam seine Augen bedecken und einen Schmerzensschrei unterdrücken musste. Tröstend nahm Shota seine Hand und gemeinsam bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge, was nicht sonderlich schwierig war; die meisten Leute sprangen regelrecht zur Seite und machten dabei zuweilen eine so alberne Figur, dass Adam verhalten kichern musste. Aufgeregtes, teilweise aggressives Gemurmel begleitete sie, als Shota zielstrebig die gläserne Theke ansteuerte, wo das gesuchte Mädchen saß und lässig an ihrem Drink nippte. Shotas dunkle Augen funkelten wie schwarze Diamanten, als er sich, zu seiner vollen Größe aufgerichtet, genau vor das Mädchen stellte. Deren schelmische Arroganz wich einer regelrechten Panik, als Shota ihr Glas nahm und es mit einem einzigen Griff zerdrückte, dass die Scherben flogen. An Flucht war nicht zu denken, da Adam sich neben ihren Barhocker gestellt hatte; wie Krallen bohrten sich Shotas lange Finger in ihre Schulter, so dass sie ihn anschauen musste. „Wir haben heute ein Mädchen aus dem Meer gezogen“ Laut und deutlich klang Shotas durch den Raum, „sie wollte sich das Leben nehmen, weil du ihr das Wertvollste gestohlen hast, und zwar aus purer Niedertracht“ Seine Augen streiften Adam und eine unglaubliche Zärtlichkeit lag darin, „wir mögen nicht leben und lieben wie ihr. Aber zumindest wissen wir, dass man mit Gefühlen nicht spielen sollte!“ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)