My Lord... von Susuri ================================================================================ Prolog: *unzensiert* -------------------- London, April 1888   „Rosa, so lange ist es jetzt her, dass ich dir wieder schreibe und doch weiß ich, dass ich diesen Brief, genau wie die anderen, niemals abschicken werde. Er wird doch nur wieder in den Gluten meines Kaminfeuers landen, du wirst nie die Worte lesen, die ich an dich richte, doch es stört mich nicht, ich meine, da du sowieso nichts von mir hören möchtest. Es ist nicht so, dass ich dich vermisse, oder dass ich bereue, was ich tat, nein! Doch, als ob du es wohl für möglich halten könntest, auch ich besitze so etwas wie ein Gewissen, obwohl auch das vielleicht etwas zu rührselig ausgedrückt ist, dennoch beruhigt es mich seltsamerweise dir zu schreiben. Allemal ist es eine interessante Beschäftigung, vor allem, da das Wetter dem Monat entsprechend ist und wie so oft wünsche ich mir weit, weit weg aus diesem Moloch zu sein. London mit seiner verschmutzen Luft, den überfüllten Straßen und der Armut an jeder Ecke ist mit Abstand kein Vergleich zu meinem Landsitz, doch ich muss hier sein, muss Leute beobachten und gegebenenfalls auch ihnen mal ihr Leben nehmen, alles im Auftrag Ihrer Majestät. Das klingt unglaublich, oder? Aber weißt du, es gibt nicht nur Gut und Schlecht oder Schwarz und Weiß, nein, jede Medaille hat eine Kehrseite. Ich bin, auch wenn du es mir nicht glaubst, nicht durch und durch ein schlechter Mensch, einer mit... eigenwilligen Vorlieben und einem einzigartigen Charakter, aber ich bin kein Monster! Ich...“   Wütend blickte der junge Mann von seinem Brief auf, legte die Feder beiseite und starrte zur Tür vor der er die leisen Rufe seines Butlers vernommen hatte. „My Lord, es ist spät in der Nacht. Ihr habt morgen einen Termin bei Scotland Yard vor Euch, es wäre ratsam Sich bald zu Bett zu begeben!“ Der Mann seufzte und ließ sich in seinen Sessel zurück fallen. „My Lord, darf ich eintreten?“ Der Mann antwortete nicht, doch sein Butler kannte ihn, er antwortete so selten auf seine Fragen, dass es sich sein Angestellter beinahe schon zur Regel gemacht hatte nicht auf Rückmeldung zu warten. „Sebastian? Du bist weder mein Kindermädchen noch sonst irgendwie dazu befugt so mit mir zu reden!“, fuhr ihn sein Herr verärgert an. Sein Angestellter lächelte traurig und meinte: „Junger Herr... My Lord...“ Ihn so anzureden war ihm immer noch fremd. „My Lord, Eure Eltern haben mich...“ „Schweig!“, fauchte der Angesprochene wütend. „Wag es nicht weiter zu sprechen!“ Er sprang auf seinem Sessel auf und für einen kurzen Moment erhellte ein Blitz vor dem Fenster der Bibliothek den fast dunklen Raum. „Verzeiht, My Lord, doch ich verstehe nicht was Ihr...“ Doch weiter kam er nicht, denn auf einmal zerschnitt ein silbernes Geräusch den Raum. Der Bedienstete sackte stöhnend zusammen, als sich die Feder in sein Auge bohrte. Sie hatte sich nicht bis in sein Gehirn gebohrt, aber sie steckte fest. „Mein Herr warum habt Ihr...“ Er fasste sich in sein Gesicht, schrie auf, als er die Feder bewegte, an ihr zerrte. Das Blut floss jetzt in Strömen aus seinem Auge, die roten, unausweichlichen Tränen ähnelten. Er stöhnte vor Schmerz, zog wieder an der Feder, doch sie bewegte sich kein Stück. Der Mund des Herrn verzog sich zu einem boshaften, unmenschlichen Grinsen, dass mehr an das eines Dämonen erinnerte. „Glaubst du, das war schon alles?“, kicherte er sarkastisch. „Mund. Auf. Sebastian.“, orderte er an und als sein Bediensteter den Kopf schüttelte, verengten sich seine Augen. „Du weigerst dich also? Willst du nicht als guter Diener sterben, der seinem Herren unendliche Treue entgegen gebracht hat?“ „Ich... bin nicht Euer Hund“, keuchte Sebastian unter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Lieber sterbe ich als schlechter Butler...“ Er spuckte die Worte förmlich aus, denn obwohl er wusste, dass er nicht mehr lange am Leben sein würde, er hatte über die überaus  abscheulichen Befriedigungen seines Herrn gehört, wollte er seinem jahrelangen Herrn nur einmal zeigen, was er wirklich von ihm hielt, doch er hatte Schmerzen, so schlimme Schmerzen. „Ich sterbe lieber als schlechter Butler, als vor Euch im Dreck zu kriechen!“ „Wie erbärmlich“, der junge Mann über ihm schnaubte verächtlich auf. „Ein kleiner Versuch von Widerstand, nun tut mir leid, dass du dich erst jetzt, so kurz vor deinem Tod dazu entschlossen hast zu rebellieren, doch nun muss ich dir den letzten Rest Leben nehmen!“ Er kicherte und einen Moment schien es dem am Boden kauernden Mann, dass sein Herr den letzten Rest Verstand verloren hatte. Dann holte der immer noch kichernde Herr eine Ampulle aus einer Tasche seines Anzuges mit der Aufschrift „Brugmansia“, Engelstrompete. „Mund auf Sebastian, hier kommt dein Todesstoß“, trällerte er und hob das Kinn des Dieners, der kaum noch bei Bewusstsein war, soviel Blut hatte er verloren. „Auf Nimmerwiedersehen!“, kicherte er wieder, setzte die Ampulle an die Lippen des Butlers und flößte ihm die Flüssigkeit ein. Der Mann stöhnte genüsslich unter dem Einfluss der Droge. Der junge Mann erhob sich aus seiner Hocke, klopfte sich die Hände an den Hosen ab und schlenderte dann zur Tür. „Das muss jemand wegmachen...“, murmelte er angewidert und verließ den Raum. Er war ein Mörder, durch und durch. Ein Sadist, wie er im Buche steht. „Du wirst schon noch sehen, auch du wirst von ihnen besessen sein und dann kriechst du vor mir im Dreck!“   Kapitel 1: Prolog *zensiert* ---------------------------- London, April 1888   „Rosa, so lange ist es jetzt her, dass ich dir wieder schreibe und doch weiß ich, dass ich diesen Brief, genau wie die anderen, niemals abschicken werde. Er wird doch nur wieder in den Gluten meines Kaminfeuers landen, du wirst nie die Worte lesen, die ich an dich richte, doch es stört mich nicht, ich meine, da du sowieso nichts von mir hören möchtest. Es ist nicht so, dass ich dich vermisse, oder dass ich bereue, was ich tat, nein! Doch, als ob du es wohl für möglich halten könntest, auch ich besitze so etwas wie ein Gewissen, obwohl auch das vielleicht etwas zu rührselig ausgedrückt ist, dennoch beruhigt es mich seltsamerweise dir zu schreiben. Allemal ist es eine interessante Beschäftigung, vor allem, da das Wetter dem Monat entsprechend ist und wie so oft wünsche ich mir weit, weit weg aus diesem Moloch zu sein. London mit seiner verschmutzen Luft, den überfüllten Straßen und der Armut an jeder Ecke ist mit Abstand kein Vergleich zu meinem Landsitz, doch ich muss hier sein, muss Leute beobachten und gegebenenfalls auch ihnen mal ihr Leben nehmen, alles im Auftrag Ihrer Majestät. Das klingt unglaublich, oder? Aber weißt du, es gibt nicht nur Gut und Schlecht oder Schwarz und Weiß, nein, jede Medaille hat eine Kehrseite. Ich bin, auch wenn du es mir nicht glaubst, nicht durch und durch ein schlechter Mensch, einer mit... eigenwilligen Vorlieben und einem einzigartigen Charakter, aber ich bin kein Monster! Ich...“   Wütend blickte der junge Mann von seinem Brief auf, legte die Feder beiseite und starrte zur Tür vor der er die leisen Rufe seines Butlers vernommen hatte. „My Lord, es ist spät in der Nacht. Ihr habt morgen einen Termin bei Scotland Yard vor Euch, es wäre ratsam Sich bald zu Bett zu begeben!“ Der Mann seufzte und ließ sich in seinen Sessel zurück fallen. „My Lord, darf ich eintreten?“ Der Mann antwortete nicht, doch sein Butler kannte ihn, er antwortete so selten auf seine Fragen, dass es sich sein Angestellter beinahe schon zur Regel gemacht hatte nicht auf Rückmeldung zu warten. „Sebastian? Du bist weder mein Kindermädchen noch sonst irgendwie dazu befugt so mit mir zu reden!“, fuhr ihn sein Herr verärgert an. Sein Angestellter lächelte traurig und meinte: „Junger Herr... My Lord...“ Ihn so anzureden war ihm immer noch fremd. „My Lord, Eure Eltern haben mich...“ „Schweig!“, fauchte der Angesprochene wütend. „Wag es nicht weiter zu sprechen!“ Er sprang auf seinem Sessel auf und für einen kurzen Moment erhellte ein Blitz vor dem Fenster der Bibliothek den fast dunklen Raum. „Verzeiht, My Lord, doch ich verstehe nicht was Ihr...“ Doch weiter kam er nicht, denn auf einmal zerschnitt ein silbernes Geräusch den Raum. Der Bedienstete sackte stöhnend zusammen, als sich die Feder in sein Auge bohrte. Sie hatte sich bis in sein Gehirn gebohrt, sie steckte fest. „Mein Herr warum habt Ihr...“   ...   Der junge Mann erhob sich aus seiner Hocke, klopfte sich die Hände an den Hosen ab und schlenderte dann zur Tür. „Das muss jemand wegmachen...“, murmelte er angewidert und verließ den Raum. Er war ein Mörder, durch und durch. Ein Sadist, wie er im Buche steht. „Du wirst schon noch sehen, auch du wirst von ihnen besessen sein und dann kriechst du vor mir im Dreck!“   Kapitel 2: First Port --------------------- Das Klopfen an der Tür ließ mich erschrocken zusammenfahren. Wie spät war es? Hektisch wühlte ich in meinen Laken umher, auf der Suche nach meiner kleinen bronzenen Taschenuhr. „Dawn? Kommst du? Es ist schon halb acht! Anastasija wartet nicht!“, hörte ich die aufgeregte Stimme meiner besten Freundin Elizabeth vor der Tür.  „Wenn wir heute das Essen unseres Herren zu spät servieren, dann kannst du damit rechnen, dass es das letzte mal war, dass wir hier arbeiten durften!“ „Verdammt!“, schimpfte ich höchst undamenhaft.  „Wie spät ist es, Lizzy?!“ Aufgeregt sprang ich aus meinem Bett, schlüpfte aus meinem Nachthemd und in mein langes schlichtes grünes Kleid hinein. „Hab ich doch gesagt, halb acht!“, rief sie verärgert zurück, während ich mir die Schürze hinten zu einer Schleife band. Früher war es mir fast unmöglich gewesen auch nur die Knöpfe meiner Bluse zu schließen und heute arbeitete ich als Hausmädchen auf dem Sitz der Familie des Viscounts van Dosh. Es hatte sich so viel verändert, dachte ich melancholisch, doch da hörte ich die aufgeregten Trippelschritte meiner besten Freundin, die mich aus meinen Gedanken rissen. Rasch ließ ich meine Taschenuhr, die letzte Erinnerung an meine Eltern, in einer kleinen Geheimtasche meiner Schürze verschwinden, die extra dafür angenäht hatte, schnappte mir von meinem Nachttisch meine Haarnadeln, fuhr mit der Bürste noch mal kurz durch meine langen kastanienbraunen Haare und drehte sie mir beim rausgehen aus meinem Zimmer zu einem Dutt zusammen. „Ich bin fertig!“, sagte ich. „Du hast schon wieder verschlafen!“, meinte Lizzy anklagend und ihre blonden, geflochtenen Zöpfe wippten auf und ab. „Was würdest du nur ohne mich tun?“ Ich lachte und drückte sie. „Ich würde schon längst auf der Straße sitzen, Liz. Du weißt doch, wie dankbar ich dir bin!“ „Das will ich aber auch meinen!“, erwiderte sie trotzig und ging voraus. Grinsend folgte ich ihr aus dem Angestelltentrakt. „Weißt du was ich gehört habe?“, fragte sie mich leise, als wir zügig durch die Gänge eilten, immer in bedacht darauf, mit niemandem zusammen zu stoßen und so eng an der Wand wie möglich. „Nein, ich bin schließlich eben erst aufgewacht!“ , meinte ich kopfschüttelnd. „Erzähl!“ Lizzy grinste verschwörerisch und meinte dann flüsternd: „Wir bekommen Besuch!“ Verwirrt zog ich eine Augenbraue hoch, Besuch war auf unserem Anwesen nichts Ungewöhnliches, kein Grund deswegen so aufgeregt zu sein. „Ich hasse es, wenn du so guckst!“, schimpfte Lizzy. „Außerdem weißt du ja noch gar nicht, wer kommt!“ gespannt blickte ich sie an. „Der junge Earl William Cartwright!“, quiekte sie aufgeregt und klatschte vor Freunde leises in die Hände. „Wer ist das?“, fragte ich verwundert. Ruckartig blieb sie stehen und starrte mich entgeistert an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Dawn?“ Sie schüttelte den Kopf über meine Unwissenheit. „Der Earl von Cartwright ist einer der berüchtigtsten Adelsherren Englands!“ „Warum dann die Aufregung?“ Ich verstand immer noch nicht so ganz. „Weil er neben seiner Liebe zu jungen Damen“ Sie grinste kokett, „auch noch für sein gutes Aussehen bekannt ist!“ Das wiederum verstand ich, denn meine liebe Lizzy hechtete jedem hübschen Herren hinterher, der auch nur ein bisschen mehr Geld in der Tasche hatte als sie. Ich wollte sie noch etwas fragen, aber ich hörte schon aus der Entfernung Anastasjias  laute Stimme aus der Küche und ich beschleunigte meinen Schritt noch etwas mehr. „Was ist mit dem Brot? Habt ihr es schon in den Ofen geschoben? Und sind die Früchte für den Obstteller Seiner Ladyschaft schon bereitet?“, tönte die Stimme der rundlichen Köchin aufgeregt. „Was tust du denn da?“, fuhr sie eine Küchenhilfe an. „Hast du noch nie einen Pudding zubereitet?“, sie gab dem Mädchen einen Klaps auf den Hinterkopf. „Muss man hier alles selber machen?“ Lizzy warf mir einen Blick zu, der soviel bedeutete wie: Sie hat schon schlechte Laune und jetzt sind wir auch noch zu spät! Wenn es Ärger gibt nehme ich ihn nicht schon wieder auf mich, verstanden?  Ich nickte ihr zu, aber auch mir war bei dem Gedanken an die tobende Anastasija unwohl im Magen. „Je eher dahin, je eher davon!“, murmelte Lizzy und hinter ihr betrat ich die diesige Küche. „Vielleicht bekommt sie ja nicht mit, dass wir zu spät sind...“, murmelte ich leise. Doch meine Hoffnungen wurden in den Wind geschlagen, denn als Lizzy und ich den Raum betraten, wurde Anastasijas Aufmerksamkeit wie bei einem Kompass auf uns gezogen. Als sie uns erblickte wurde ihr Gesicht rot vor Wut. „Da sind die beiden Schlaftrienen ja! Man hat euch gebraucht und ihr seid nicht gekommen! Was denkt ihr euch eigentlich?“, rief sie aufgebracht. „Naja ich...“, begann ich, doch sie fiel mir ins Wort. „Ich will eure Ausreden gar nicht hören! Macht lieber, dass ihr anfangt zu arbeiten!“, fuhr sie uns an und wand sich dann wieder den anderen Bedienteten zu. „Das ist doch besser gelaufen, als gedacht!“, flüsterte ich Lizzy ins Ohr, doch diese schnaubte nur genervt auf und machte sich auf den Weg zum großen Tisch, auf dem die Platten standen, die nach oben getragen werden mussten. Plötzlich legte sich von hinten eine Hand auf meine Schulter. Erschrocken quietschte ich auf, drehte mich um und sah in das Gesicht von Michael Darry, einem der höher gestellten Diener. „Hallo Dawn!“, grinste er mich an. Völlig perplex stotterte ich. „Ja... äh... guten Morgen Mick!“ „Hast du wieder verschlafen?“, fragte er süffisant. Genervt nickte ich und wand mich von ihm ab. Er soll mich gefälligst in Ruhe lassen! „Ach schöne Dawn, lässt du mich hier so einfach stehen, wie einen Scharlatan, der dich betrogen hat? Ich bin entrüstet!“, rief er mir wütend, aber lachend hinterher. Ich ignorierte ihn und nahm eine Platte mit Aufschnitt. Die erlesensten Wurstsorten lagen vor meiner Nase und ich durfte nicht einmal kosten. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, doch ich beherrschte mich und hielt die Platte fest in meiner Hand. Mit viel Mühe bugsierte ich das Essen die Kellertreppe hinauf in den Wohnbereich Seiner Herrschaft. Hier hörte man von uns keinen Mucks. Niemand wagte es etwas zu sagen, oder auch nur zu kichern. Instinktiv senkte ich den Blick und presste mich noch etwas weiter an die Wand, zum einen um entgegenkommenden Angestellten auszuweichen, zum anderen, weil es der Anstand so verlangte. Die Flügel- Türen des Speisesaals standen weit geöffnet und es kamen Hausmädchen und Butler wie in so regelmäßigen Abständen rein und raus, dass es mehr an einen Ameisenbau erinnerte, als an das Anwesen eines reichen Viscounts. Ich betrat den Saal und war wie sooft von der Schönheit geblendet. Die Decke war mit Stuck und Blattgold verziert und Fresken, gemalt von den besten Künstlern Groß Brittaniens, die denen in Würzburg glichen, ich hatte über das Palais etwas in einem der Bücher der Bibliothek gelesen, all dies machten den Raum zu einem unglaublichen Erlebnis, und stehts wünschte ich mir, doch nur ein mal lang genug mich in dem Raum aufzuhalten, so dass ich die Wunder, die er offenbarte, ausführlich betrachten könnte. Doch mir war bewusst, dass der Saal nicht der Ort war, an dem ich mich als einfaches Hausmädchen öfter aufhalten könnte.  Unauffällig schüttelte ich leicht den Kopf, um meine Gedanken loszuwerden und ging   Schnellen Schrittes zum Buffettisch, wo ich behutsam die Aufschnittplatte absetzte. Seine Lordschaft und seine Ladyschaft waren zwar noch nicht da, aber ihre Kinder, Lady Ann und Lord Nicholas, saßen bereits auf ihren Plätzen und ließen sich von ihren Kindermädchen das Essen bringen, nach dem sie plärrten. Lady Ann war sieben Jahre alt und ihre blond gelockte Puppe, die aussah, wie eine Miniversion, der echten Lady, begleitete sie überall mit hin und so saß sie beim Frühstück auch wieder neben ihr, extra auf einem erhöhten Kinder- Stuhl, damit die Puppe etwas sehen konnte. Ihr Bruder, Lord Nicholas, war ein exzentrischer Junge von dreizehn Jahren, der uns alle mit seiner Intelligenz um den Verstand brachte. Man sah ihn nie ohne ein Buch in der Hand und es gibt Gerüchte, er habe bereits alle Bücher aus der Bibliothek seines Vaters gelesen. In jedem Fall, sind es nicht nur englische Bücher, sondern auch welche in fremden Sprachen. Deutsch, französisch, russisch, latein, griechisch, alles Sprachen, die ich früher auch gelernt hatte, doch über die Jahre ohne Übung komplett vergessen hatte. Ich bedauerte es, meine Ausbildung in diesen Sprachen nicht weiterführen zu können, sie hatten mir immer gelegen... Ein Stich in meine Seite ließ mich zusammenfahren und leise aufquietschen. Die umstehenden Mädchen starrten mich missbilligend an und hastig warf ich einen Blick zu den jungen Herrschaften, ob sie wohl meinen Ausrutscher bemerkt hatten und atmete erleichtert auf, als ich sah, das dies nicht der Fall war. Dann drehte ich mich zur Seite und sah Lizzy vor mir stehen. „Was starrst du hier Löcher in die Luft?“, fauchte sie leise. „Ich musste glatt zwei Platten tragen, damit wir rechtzeitig das Essen oben haben und du stehst hier einfach rum und tust nichts! Verdammt, weißt du wie Anastasija tobt?“ Ich schnaubte verächtlich. „Sie soll sich mal nicht so anstellen, hier sind so viele, die nur auf einen Auftrag warten und nichts zu tun haben, dann soll sie die doch zum Schleppen der schweren Platten verdonnern!“ Lizzy verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte mich böse an. Ich seufzte. „Tut mir leid, Liz, ich beeile mich!“ „Der Tisch ist leer, aber du kannst gerne die Kinderzimmer putzen, dann sind wir quitt!“, lachte sie leise und grinste mich frech an. Ich strubbelte ihr über den Kopf und sie schlug meine Hand mit einem leisen Fauchen beiseite. Meine liebe beste Freundin.   Als wir in die Küche zurückkehrten, war der größte Trubel bereits abgeflaut. Die meisten anderen Angestellten liefen nun im Haus umher, machten Betten, putzen Fenster, schürten die Kamine an, denn der Regen, der in dieser Jahreszeit über England lag, war auch dieses Jahr pünktlich gekommen, oder sie polierten Gläser und Silberbesteck. Ich ließ mich auf einen Schemel in der Ecke fallen, schloss die Augen und seufzte. „Wann begreifen die endlich, dass nicht die Hausmädchen den ganzen Quatsch schleppen sollen, sondern die Butler, dafür sind sie doch da!“ „Aber ihr seht einfach süß aus, wenn ihr Hilfe benötigt!“, erklang es vor mir und ich öffnete meine Augen wieder. Mick grinste mich frech an. „Was willst du?“, fragte ich entnervt. Er hatte so eine Art, die mich in kürzester Zeit auf hundertachzig brachte. „Ich wollte fragen, ob du heute Zeit hast“, antwortete er. Verwundert blinzelte ich ihn an. „Zeit... wofür? Tut mir leid, aber ich kann dir keine Schicht mehr abnehmen, ich mach heute schon den Kinder- Dienst für Lizzy! Vielleicht ein anderes Mal!“, sagte ich und stand auf. „Aber... das meinte ich doch nicht...“, stammelte er. „Oh, da ist Lizzy! Tschüß Mick!“, rief ich und lies ihn stehen. Was wollen nur immer alle von mir? Ich winkte meiner besten Freundin zu. „Liz!“, rief ich und grinste sie breit an. Überrascht blickte sie von ihrer Rührschüssel auf, als sie mich sah grinste sie auch. „Ich habe neue Informationen!“, flüsterte sie verschwörerisch. Fragend zog ich die Augenbrauen hoch. „Na, zu Earl Cartwright!“, stöhnte sie genervt. „Ich weiß jetzt, dass er morgen zu uns kommt! Und ich weiß, wer sein persönlicher Butler wird!“ Verwundert blickte ich sie an. „Bringt er denn seinen eigenen nicht mit?“, fragte ich, denn normalerweise besaßen Lords und Ladys immer eigene Butler, beziehungsweise eigene Kammerzofen, die nicht nur den Befehl über niederrangige Bedienstete hatten, sondern auch mit ihren Herren auf Reisen gingen. Und als Earl hatte man, meines Wissens nach immer einen eigenen Butler! Ratlos zuckte meine beste Freundin mit den Schultern. „Da bin ich überfragt... Aber vielleicht sagt es uns ja sein zeitweilender Butler! Denn es ist...“ Sie machte eine Spannungs-Pause und grinste breit. „Es ist Michael!“ „Darry?“, rief ich laut und alle Gespräche in der stickigen Küche verstummten. Aus der anderen Ecke des Raumes rief Mick: „Was ist los, Dawn?“ Fragend blickte er in unsere Richtung. Ich wedelte mit den Händen ab. „Ni...nichts! Alles... alles gut!“, rief ich und wand mich ab, doch ich spürte die bohrenden Blicke der anderen in meinem Rücken. Oh wie ich das hasste. Elizabeth blinzelte mich mit großen Augen an, dann schüttelte sie missbilligend den Kopf. „Dawn! Du kannst dich doch nicht so daneben benehmen! Furchtbar!“ Sie wand sich von mir ab und lies mich bedröppelt stehen. Hallo? Ich seufzte und schlich mich dann aus der Küche, in der mich immer noch alle anstarrten, die steile Holztreppe in den ersten Stock hinauf. Jetzt war ich allerdings nicht auf dem Weg ins Esszimmer sondern zu den Zimmern der Kinder, die dort saßen und bis sie fertig waren mussten wir ihre Gemächer wieder auf Hochglanz bringen. Leider waren die Kinder nicht die ordentlichsten und so war für ihr Zimmer eine regelrechte Schar an Putzmädchen eingeteilt. Unbeirrt und zielstrebig bahnte ich mir meinen Weg durch die verstrickten und verzweigten Gänge des Anwesens. Früher, als ich noch neu war, hatte ich mich regelmäßig verlaufen, als ich allein war und kam natürlich jedes mal zu spät, doch mit der Zeit lernte ich, anhand von Bildern, Rissen in der Wand oder verschiedenen Teppichen mir einen imaginären Plan des Hauses anzufertigen. Jetzt kannte ich das Haus genauso gut, wie jedes andere Mädchen hier, dass schon mit neun Jahren hier in den Dienst gekommen war. Ich bog um eine Ecke in einen dunklen Gang, indem sich eine Abstellkammer befand, wo ich mir noch Besen und Putztuch besorgen musste, als ich plötzlich leises Getuschel hörte. Instinktiv presste ich mich an die Wand und schlich näher an die Sprechenden, immer darauf bedacht kein Geräusch zu machen. „Mick!“, zischte eine weibliche Stimme. „Willst du sie ewig warten lassen?“ Ich kannte das Mädchen, doch mir wollte nicht sofort einfallen, wer da mit Mick sprach. „Ich lasse sie nicht warten!“, gab Mick schnaubend zurück. „Nur habe ich nicht das Gefühl, dass sie an mir interessiert sei... oder auch nur mein Interesse bemerken würde!“ Ich spitzte die Ohren. Über wen redeten die beiden? „Na gut, dann warte eben, bis ein anderer sich mit ihr verlobt hat! Aber lass dir eines sagen: Wenn du sie doch fragst, und auch wenn sie nein sagt, so wird sie beim Rest des Anwesens in Ungnade fallen und ihre Stellung aufgeben!“, kicherte das Mädchen süffisant. „Solltest du als ihre beste Freundin nicht...“, begann Mick, doch er wurde harsch unterbrochen. „Beliebt sein oder ein gutes Leben führen? Mir fällt die Antwort nicht schwer!“, zischte sie ihn an. Als ich hörte, wie ihre Schritte näher kamen wich ich ein Stück nach hinten und presste mich noch mehr an die Wand, in der Hoffnung mit der Dunkelheit hinter mir zu verschmelzen. Konnte ich noch erfahren über wen geredet wurde und wer das Mädchen war, dessen Stimme mir so bekannt vor kam, ohne dass die Sprechenden bemerkten, dass ich gelauscht hatte? Doch meine Angst entdeckt zu werden war völlig unbegründet, denn kurz bevor das Mädchen mich erreicht hatte vernahm ich das klacken einer Türklinke und das Knartzen einer alten Tür. Und wie zum Abschied hörte ich sie noch Zischen: „Kein Wort zu niemandem hierzu, hast du verstanden?“ Wahrscheinlich hatte Mick genickt, denn sie verschwand mit einem zufriedenem Schnauben im Zimmer und ließ die Tür mit einem dumpfen Ton ins Schloss fallen. Ich hielt es für eine gute Möglichkeit jetzt doch noch unbemerkt den Abgang zu machen, doch kaum war ich ein paar Schritte gegangen, trat ich auf eine alte, knarrende Diele im Boden. Das Geräusch hallte laut durch den fast verlassenen Flur. „Hallo? Ist da wer?“, fragte Mick unsicher und ich hörte das Holz leise ächzen, als er sich in meine Richtung bewegte. Verdammt! Was sollte ich machen? Na in jedem Fall nicht einfach hier so verdächtig herum stehen!, schimpfte meine innere Stimme. Nur das ich soweit auch schon war. Tu einfach so, als würdest du hier vorbei kommen. Zufällig. So war es ja auch..., dachte ich und beschloss, dem Rat meiner inneren Stimme nach zu gehen. Mit einem angespannten Grinsen lief ich einfach drauf los, in Richtung Mick. „Oh! Hallo Dawn!“, sagte er, als er mich bemerkte und seine Wangen färbten sich rötlich. Wusste er etwa, dass ich ihn belauscht hatte und schämte sich deshalb? „Was machst du hier?“, fragte er. Ich deutete auf eine Tür, einige Meter weiter. „Ich wollte mir einen Besen aus der Kammer holen...“, meinte ich müde. Er blickte mich an und die Scham war aus seinem Gesicht gewichen. „Und warum treibst du dich dann in solchen Ecken des Hauses herum? Was, wenn dir was passiert?“, schimpfte er laut und nun schien sein Gesicht mehr aus Wut rot anzulaufen. Ich zuckte zusammen auf Grund dieses Ausbruches. „Wir... sind hier in einem Haus, Michael, was soll hier schon groß passieren?“, fragte ich langsam und blickte ihm dabei so beruhigend wie ich nur konnte in die Augen. „Ja... natürlich nichts“, murmelte er leise und wand sich von mir ab. „Du solltest jetzt zu deiner Arbeit zurück gehen! Wir sehen uns beim Abendessen!“ Plötzlich ging ein Ruck durch ihn und er lief mit großen Schritten in Richtung des Ankleidezimmers seiner Lordschaft. Verwirrt starrte ich ihm hinterher. Was war nur mit los? Doch er hatte recht, ich wurde bereits im Kinderzimmer erwartet und wenn ich Pech –oder Glück, je nach Auffassung- hatte, dann waren die anderen Zimmermädchen bereits fertig! Ich riss mich also aus meinen Gedanken und beeilte mich, die Besen aus der Kammer zu holen und mich in Richtung der Unordnung zu begeben. Eigentlich verliefen meine Tage auf dem Anwesen des Viscounts van Dosh recht friedlich, ruhig und geregelt ab. Bis er kam.  Kapitel 3: Second Port ---------------------- Der Tag der Ankunft war gekommen. Mein Herr hatte zwar häufig Besuch, doch selten von so bekannten und angesehenen Herrschaften wie dem Earl Cartwright. Aus diesem Grund begannen wir schon Tage vor seinem Eintreffen mit unseren Vorbereitungen: das Haus musste von Glanz auf Hochglanz gebracht werden, die Bäume wurden neu beschnitten, Bouquets wurden im Haus verteilt, die privaten Räume wurden hergerichtet und in der Küche hatte man so viel zu tun, wie in einem großen Restaurant in London! Doch, der Aufwand hatte sich gelohnt und sogar mich hatte irgendwann die allgegenwärtige Aufregung angesteckt und ich hüpfte aufgeregt auf meinem Platz auf und ab, als Lizzy versuchte meinen Haaren ein anständiges Aussehen zu verpassen. „Verdammt Dawn!“, schimpfte sie, als ihr zum wiederholten mal eine Haarsträhne aus der Hand rutschte, mit der sie liebevoll versuchte mir einen Fischgräten- Zopf zu flechten. „Wenn du nicht sitzen bleibst, dann wird das nie was und wir müssen schon gleich da sein!“ Ich drehte mich leicht zu ihr um und guckte sie entschuldigend an. „Ich bleibe jetzt sitzen, tut mir leid, Liz! Vielen Dank, dass du dich überhaupt meiner annimmst!“ Und das Chaos auf meinem Kopf bändigst!, fügte ich in Gedanken hinzu. „Jaja...“, murmelte sie. In letzter Zeit war sie häufig in Gedanken nicht ganz da gewesen und sie hatte häufig nicht reagiert, wenn ich sie angesprochen hatte. Besorgt versuchte ich einen Blick in ihr Gesicht zu erhaschen, doch sie band nun meinen Zopf so fest, dass ich nicht das Bedürfnis verspürte mich umzudrehen und dabei das Risiko einer verflechtung zu riskieren, also fragte ich nur, während ich auf die gegenüberliegende Wand starrte: „Ist alles in Ordnung bei dir Liz, du bist in letzter Zeit so abwesend!“ Ich spürte wie mein Zopf auf meinem Rücken landete. „Alles gut“, lachte meine beste Freundin. „Ich wollte nur schnell mit dem Zopf fertig werden, da wir zumindest heute nicht zu spät kommen sollten, oder etwa nicht?“ Angesprochen biss ich mir auf die Lippe und zog meine Taschenuhr aus meiner Rocktasche; es war viertel vor acht, der Earl wollte in fünfzehn Minuten kommen. „Wir sollten uns beeilen!“, rief ich aufgeregt, „Es ist gleich acht!“ Schimpfend sprang Lizzy von meinem Bett auf, auf dem sie sich neben mir niedergelassen hatte. „Ich bin doch noch nicht fertig und so kann ich doch nicht dem Earl entgegen treten!“ Sie zeigte an sich herunter, doch ich konnte nichts erkennen, was nicht tadellos war; wie immer war in meinem Blick auch eine gewisse Portion Neid: Lizzy war klein und zierlich und nicht so hochgewachsen wie ich. Außerdem hatte sie schönes glattes blondes Haar, während meine roten Locken kaum zu bändigen waren, alles in allem wollte ich unglaublich gerne mit ihr tauschen; aufgrund ihres Aussehens und ihrem freundlichen Charakter war sie sowohl bei den anderen Angestellten, als auch bei gewissen Familienmitgliedern sehr gerne gesehen. „Du siehst perfekt aus!“, erwiderte ich lächelnd. Liz wandte ihren Kopf zum kleinen Spiegel über meinem Nachttisch und blickte sich nachdenklich an. „Ein wenig Röte in Lippen und Wangen wäre schon nicht schlecht...“, murmelte sie. „Wenn das Rouge nur nicht so unglaublich teuer wäre...“, seufzte sie und biss sich stattdessen auf die Lippen und kniff sich in die Wangen, um zumindest ein wenig Farbe in ihr sonst recht blasses Gesicht zubringen. Sie fand es furchtbar, ich beneidete sie wieder einmal darum, dass ihr Gesicht nicht so wie meines voller Sommersprossen war. Zufrieden blickte sie noch einmal ihr Spiegelbild an. „Jetzt können wir los!“ Sie band sich ihre gestärkte Schürze um und lächelte mich an. Gähnend erhob ich mich von meinem Bett. In der letzten Nacht hatte ich nicht sonderlich viel geschlafen, zu aufgeregt war ich aufgrund des bevorstehenden Tages. Gefühlte hundertmal hatte ich mir diesen so gut aussehenden Earl vorgestellt, in jeder möglichen Größe, mit jeder Haarfarbe, die mir einfiel, sogar eine Glatze war dabei, und in den edelsten Kleidungsstücken, die ich je gesehen hatte. Als wir durch einige Nebentreppen und enge Gänge vor dem Anwesen angekommen waren, wehte ein kühler Wind über die weiten Gärten, die sich vor uns erstreckten. „Verdammt!“, wütend rieb sich Elizabeth ihre Arme. „Wieso müssen wir in aller herrgotts Frühe hier raus, wenn doch der Besuch erst in einer halben Stunde kommen soll!“ Wir hörten ein lautes Räuspern hinter uns und drehten uns um. „Meine Damen“ Vor uns stand Mrs Dovan, die oberste Kammerzofe, in einem bodenlangen schwarzen Kleid und einem strengen dunkel braunen Dutt, starrte uns abschätzig an. „Für das Personal des Hauses van Dosh ist es äußerst wichtig, dass sie ihren Haushalt angemessen repräsentieren, nicht wahr?“ Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Ich schluckte trocken. Mrs Dovan konnte mich noch nie leiden, sie hatte relativ schnell bemerkt, dass ich ein wenig unpünktlich und manchmal auch in gewissem Maße tollpatschig war, Eigenschaften, die für ein Hausmädchen nicht sehr förderlich waren. „J.. Ja, Ma’am!“, stammelte ich. Ein weiterer böser Blick, doch dann wand sie sich ab und zischte uns nur noch zu: „Und jetzt nehmt endlich Haltung an, Mädchen, die Kutschen könnten jede Minute ankommen!“ Als die Kammerzofe außer Hörweite war brach Liz neben mir in lautes Gelächter aus. „Oh man, Dawn, was hast du nur gemacht, dass dich die Dovan so wenig leiden kann?“ Sie grinste mich breit an. „Ich bin schon total aufgeregt, wie der Earl wohl ist! Und ob er genau so gut aussieht, wie ich ihn mir ausgemalt hab!“ Sie redete weiter und weiter, doch ich driftete in meinen Gedanken ab, denn etwas am Horizont hatte meine Aufmerksamkeit geweckt. „Liz!“, zischte ich und kniff meiner besten Freundin leicht in den Arm. „Guck mal!“ Ich deutete auf den sich bewegenden Punkt am Ende des Weges und sie folgte meinem Blick. Man konnte förmlich sehen, wie ihr beinahe die Augen aus dem Kopf fielen. Eine riesige geschmückte Kutsche näherte sich unserem Anwesen. Die zwei Schimmel, die sie zogen schnaubten unter der Last des Gefährts, das war sogar auf die Entfernung zu erkennen, doch der Kutscher auf dem Kutschbock trieb sie immer weiter an. „Ruft die Stallburschen, sie sollen sich unverzüglich um Mister Cartwrights Pferde kümmern!“, wies Mrs Dovan harsch ein Mädchen an, das sofort in Richtung der Stallungen eilte. Fasziniert von der glänzenden goldenenen Kutsche konnte ich nicht anders, als meinen Blick nicht von ihr abzuwenden. Welch ein edler Herr musste der Earl Cartwright sein, wenn er ein solches Gefährt schon sein Eigen nennen konnte? Um mich herum war es still geworden, ob es daran lag, dass die anderen Mädchen und Diender genau so gefesselt waren wie ich, oder weil es dem Anstand gebührte, bei der Ankunft eines Gastes zu schweigen, vermochte ich nicht zu sagen. Mit einer großen Staubwolke kam die Kutsche im Innenhof, vor uns, zu stehen. Vom Kutschbock aus ertönte ein unterdrücktes Fluchen, als der Kutscher versuchte durch den Staub vom Kutschbock zu finden, um seinem Herren die Tür zu öffnen. Doch noch bevor der Kutscher den Boden betreten hatte, öffnete sich langsam und vorsichtig die Kutschentür, wie als ob der Öffner Angst hätte, sich dem Licht auszusetzen. Oder als würde er Eindruck schinden wollen..., überlegte ich. Das Erste, was ich von unserem neuen Gast zu sehen bekam, waren einige Strähnen seines dunkelbraunen Haares. Im Licht der Morgensonne schimmerten sie in einer fast übermenschlichen Schönheit. Und plötzlich waren seine Haare nicht nur braun, sondern braunoker, kupfern, wie die meinen und an manchen Stellen gülden, wie die Sonne hinter ihm am Horizont. Überwältigt von diesem Lichtspiel blieb mir der Atem stehen, doch in dem Moment, als er endgültig die Kutsche verließ und sich in seiner ganzen Pracht zeigte, war mir eher danach, wieder nach Luft zu schnappen. Seine Haare hingen ihm in kleinen Strähnen in sein Gesicht, unter denen strahlend blaue Augen hervor blitzen, die uns abschätzig einzeln nach einander musterten. Als sein Blick an mir hängen blieb, wurde seine eh schon porzellanweiße Haut noch ein Stückchen weißer, doch weiter zeigte sich keine Reaktion in seinem Gesicht. Hab ich mir das nur eingebildet? Scheinbar hatte er nun seine Musterung abgeschlossen, denn nun bewegte er sich schnurstracks auf uns zu. Sein schwarzer Gehrock wehte unter seinen energischen Schritten und einen Moment fürchtete ich, sein Zylinder, den er sich scheinbar noch aufgesetzt haben musste, würde dem Wind und dem zügigen Gehtempo seines Trägers zum Opfer fallen und zu Boden wehen. Na die anderen Mädchen hätten sich sicher darum geschlagen, wer ihn dann aufheben darf...   Aber dazu kam es nicht. Mit einer Hand elegant an der Hutkrempe, kam er auf uns zu. Nun, auf uns war vielleicht nicht ganz korrekt. Natürlich wusste ich, dass sich edle Herrschaften nicht mit dem niederen Volk, das wir in ihren Augen darstellten, abgaben, aber trotzdem hätte ich ihn zumindest gerne... persönlich begrüßt. Lizzy schien meinen Gedanken zu teilen. „Ich würde gerne mal mit ihm reden...“, murmelte sie leise, ohne den Blick von ihm abzuwenden und ohne die Lippen richtig zu bewegen, damit uns Mrs Dovan nicht bemerkte. „Ich auch“, antwortete ich ihr und versuchte genauso wenig dabei aufzufallen wie sie, doch scheinbar gelang es mir nicht im Entferntesten, denn ich spürte die Blicke meiner Kolleginnen auf mir ruhen. Leise seufzte ich und verdrehte die Augen gen Himmel. Heute war wirklich nicht mein Tag. So in meine Gedanken versunken, bemerkte ich nicht, das der Earl schon mit meinem Herren das Haus betreten hatten und die Mädchen und Butler um mich sich ins Anwesen begaben, um den Brunch zu servieren. Als Michael an mir vorbei ging zupfte ich ihn leicht am Ärmel. Überrascht zuckte er zusammen und drehte sich mit einem besorgten Blick zu mir um. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ist alles in Ordnung bei dir, Mick?“ Langsam nickte er und wollte sich schon wieder von mir abwenden, als ich ihn noch gerade so am Handgelenk zu fassen bekam. „Renn nicht weg!“, fauchte ich. „Ich wollte dich was fragen!“ Geistesabwesend blickte er mich an. „Was ist denn?“, seine Stimme klang brüchig und wenn ich genauer musterte wirkte er sehr übermüdet. Übermüdeter als sonst. Verwirrt blinzelte ich, bevor ich es schaffte ihm zu antworten. Das er so fertig aussah war seltsam. Sehr seltsam. „Ich wollte wissen ob wir Mädchen beim Frühstück auch servieren sollen...“ „Nicht das ich wüsste“, er schüttelte leicht den Kopf und lief dann schnellen Schrittes den anderen hinterher und ließ mich alleine und reichlich verwundert stehen. Warum benahm er sich so seltsam?   Das Dinner fand wie immer, wenn hoher Besuch anwesend war, im großen Speisesaal statt, der sich nicht nur in Größe und Form unterschied, denn er war wesentlich ausladender und rundlicher als der Frühstücksaal der Herrschaften, sondern auch im Interior große Unterschiede aufwies. Von den Wänden hingen schwere Brokat Vorhänge, die elegant die schon etwas abgenutzte Tapete dahinter versteckten und auf kleinen Beistelltischchen aus Walnussholz waren Vasen aus teurem Meißnerporzellan drapiert, in denen üppige Blumenbouquets blühten, die wir alle zwei Tage auszuwechseln hatten. Die goldenen Kerzenleuchter, die wie in der Luft zu schweben schienen, tauchten den Raum in ein warmes, aber zugleich auch schauriges Licht. Häufig gab es abfällige Kommentare gegenüber meinem Herren, dass es in seinem Haushalt noch kein elektrisches Licht gäbe, die er stehts mit einem geheimnisvollen „Mann muss der Natur auch ihre Mysterien lassen“ quittierte. Doch genauso häufig, wie über die Ansichten des Viscounts van Dosh hergezogen wurde, so oft wurde genau diese Einstellung von vielen hohen Persönlichkeiten mit einem Besuch oder einer Einladung in einen der teureren Clubs Londons honoriert. Ich für meinen Teil genoss es, dass die Modernisierung diese alten Gemäuer noch nicht im Griff hatte. Nachdem der Morgen zur vollsten Zufriedenheit aller, wenn man von den deprimierten Mädchen absah, die sich Chancen beim Earl versprochen hatten, verlaufen war, wurde der Earl auf sein Zimmer geleitet. Es war eines der größeren Gästezimmer im zweiten Stock, weit entfernt von Küche und Angestelltentrakt, nahe Bibliothek und Herrenzimmer, ein Raum, in den sich die Herrschaften zurück zogen, um nach dem Dinner eine Zigarre zu rauchen oder Karten und Billard zu spielen. Nicht selten wurden an diesen Abenden im schummrigen Zimmer Geschäfte abgeschlossen, die bei Tageslicht und vor allem bei Anwesenheit der Gattinnen unvorstellbar gewesen wären.   Nach einer kurzen Verschnaufpause von der Fahrt und dem Besichtigen der Ländereien um Lansworther Castle, der eigentliche Name des Anwesens, der aber häufig in Vergessenheit geriet, weshalb das Gebäude eher unter dem Namen „Das Schloss der van Dosh“ bekannt war, begleitete der Earl meinen Herren auf eine kleine Fasanjagd nahe den kleinen Sees, der an die Ländereien meines Herrn grenzte. Eine kleine Einstimmung auf den morgigen Tag, wie mir Mick erzählte, als er sich in der Küche neben mich fallen ließ. „Die Kammerdiener sollen mitreiten und die Herrschaften bei einem ausgefallenen Picknick bedienen... Und ich hatte gehofft, den Tag frei zu bekommen...“, jammerte er. Aufmerksam beobachtete ich ihn. Er benahm sich nicht im geringsten mehr so, wie heute morgen, er war wieder so, wie ich ihn normal kannte, wenn ich von seinen blutunterlaufenen Augen einmal absah. „Hör auf, dich zu beschweren!“, kicherte Liz und knuffte Mick in die Seite. „Du darfst dafür den wohl bestaussehendsten Herren des ganzen Hauses ankleiden und ihm überall hin folgen!“ Schon eine Weile hatte sie stumm neben mir gesessen und in einem Buch geblättert, dass sie beim letzten Wochenmarkt nahe unseres Hauses hatte mitgehen lassen. Natürlich hatte ich sie missbilligend angeblickt, als sie mir ihren Fund präsentiert hatte, doch insgeheim beineidete ich sie dafür, genug Schneid zu haben, einfach etwas zu klauen. Von jemandem der noch weniger hatte, als ein Hausmädchen. Micks Erscheinen schien sie aus ihrer Starre gerissen zu haben und auch sie benahm sich wieder normal, was bei ihr entspannt, witzig und albern hieß. Trotzdem verwunderte mich das Verhalten meiner beiden besten Freunde. Hatte es einen Grund, dass sie sich mir gegenüber so seltsam benahmen? Theatralisch fasste sich Mick ans Herz und starrte Lizzy geschockt an. „Wie kannst du es wagen, in meiner Gegenwart so etwas zu sagen, Elizabeth Fortress? Neben mir solle doch jeder Jüngling wie eine welke Tulpe wirken, oder was meint Ihr, Lady Dawn?“ Kichernd stieg ich ihn sein Spiel ein. „Werter Herr, ich bedauere Ihnen mitteilen zu müssen, dass Lady Elizabeth mit ihrer Aussage lediglich eine wohl bekannte Tatsache für die Öffentlichkeit publik gemacht hat!“, antwortete ich. Es machte Spaß, mit den beiden herum zu albern und es lenkte mich von den verwirrenden Gedanken, denen ich seit Stunden nachging, ab. Wieder keuchte Mick übertrieben auf und taumelte ein paar Schritte nach hinten. „Myladys, verzeiht meine rüpelhafte Ausdrucksweise, doch möchte ich Sie wissen lassen, dass Sie...“, er grinste uns frech an. „Zwei freche kleine Hühner sind!“, lachte er und sprang auf uns zu, um uns zu kitzeln. Lachend versuchten wir seine Hände weg zu schlagen, doch obwohl wir zu zweit und er nur alleine war, konnten wir uns nicht aus seinem festen Griff befreien. „Lass mich los... Darry!“, keifte Lizzie zwischen zwei Lachern. „Das ist... nicht witzig!“ Grinsend betrachtete er sie. „Warum lachst du dann?“, sang er fröhlich. Mit einem Mal wurde es totenstill im Raum, nur das laute Lachen von mir und meiner besten Freundin schallte durch das Tonnengewölbe, in dem sich die Küche befand, doch ich war zu sehr damit beschäftigt mir den Kammerdiener vom Hals zu halten, als dass ich mich darüber hätte wundern können. „Na na“, hörte ich eine weiche Stimme hinter mir. „So geht man doch nicht mit zwei jungen Damen um!“ Mick vor mir erstarrte augenblicklich zur Salzsäule. Wer stand da hinter mir, dass er so eine Wirkung auf den jungen Diener hatte? Langsam wand ich mich um und starrte in das kristallblaue Augenpaar unseres jüngsten Gastes. Ich spürte, wie mir die Schamesröte ins Gesicht stieg und stolperte einen Schritt nach hinten, als ich gegen die harte Brust meines guten Freundes stieß, lachte in mir eine kleine, hämische Stimme, die mir zuflüsterte: du wolltest doch immer einmal eng zwischen zwei gutaussehende Jünglinge geraten, jetzt hast du doch was du wolltest. Sicher, unter anderen Umständen wäre die Situation mehr als nur verlockend gewesen, auch wenn mir bewusst war, dass man als junge Dame nicht solchen unzüchtigen Gedanken nach gehen sollte, so hatte ich in diesem Moment mehr den je das Gefühl, diesen zwei Herren – und den hämischen Blicken der Hausangestellten – zu entfliehen. Lizzie neben mir hatte sich als erste gefangen, knickste einmal keusch und sprach zu Earl Cartwright mit gesenktem Kopf: „Verzeiht, mein Herr, dass wir Euch so unangebracht in unserer Küche empfangen, ich hoffe Ihr vergebt uns unser Fehlverhalten!“ Erheiterung und eine freundliche Wärme blitzten in seinen kalten Augen auf, als er uns neugierig musterte. Michael schien sich sichtlich unwohl zu fühlen, bei dieser eindringlichen Betrachtung, doch nicht nur das schien ihn zu beunruhigen. „Mein Herr“, meinte er und blickte den jungen Earl flehend an. „ich hoffe Ihr haltet mich jetzt nicht für zu unreif, um Ihnen die kommenden Tage als Kammerdiener zu dienen. Falls dem so sei, so bitte ich Euch nur…“ Earl Cartwright gab ihm mit einer Hand das Zeichen zu schweigen. „Das einzige Vergehen, was ich dir vorwerfen kann, ist, dass du es geschafft hast, gleich zwei so reizende junge Damen zum Lachen zu bringen und dass ohne deinen Geldbeutel zu zücken, ich denke, dass ich noch etwas von dir lernen kann!“, lachte er herzlich und auch die Umstehenden kicherten leicht. Mick strahlte über das ganze Gesicht und ich war mir sicher, wäre er ein Hund, würde er mit dem Schwanz wackeln und darauf hoffen, dass ihm der Adelsherr einen Knochen gab. Auch meine beste Freundin war dem Charisma des Earls erlegen, sie seufzte leise und blickte ihn mit roten Wangen aus glasigen Augen an. Leise schnaubte ich auf. Wie kam es, dass dieser junge Mann, der teilweise selbst so viel jünger war, als die meisten hier im Raum, alle so leicht um den Finger wickeln konnte? Sicher, er war sehr charmant, doch es ziemte sich nicht für einen Herrn von Rang, sich mit dem Personal abzugeben. Oder zu lachen. Oder gar Komplimente zu machen. Der Herr musste meine Abneigung gespürt haben, denn er wand sich mit einem ironischen Grinsen an mich. „Hat man dir die Zunge rausgeschnitten oder bist du gar ein Fisch?“, fragte er mich lachend. „Möchtest du nicht mit mir reden, Ginger?“ Ginger, mit diesem Spitznamen, eine Anspielung auf meine kupferrote Haarfarbe, machte er sich bei mir noch unbeliebter. Um ihm nicht noch mehr Vorgaben zu geben, um mich aufs Hopps zu nehmen erwiderte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Mylord, meine Zunge ist noch vollständig in Takt und so weit ich weiß, befindet sich in meiner Familie kein fischartiges Wesen, wenn man davon einmal absieht, dass einer meiner Vorfahren, ein Seefahrer, eine enge Beziehung zu Sirenen gehabt haben soll...“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, so bereute ich meine kessen Worte schon wieder. Manchmal arbeitete meine Zunge gegen mich und ließ mich Dinge sagen, die mich Kopf und Kragen kosten könnten – und so leider auch jetzt. Als mir mein unverzeihlicher Fehltritt bewusst wurde, senkte ich reumütig den Kopf. „Mein Herr, verzeiht, was ich gesagt habe!“, murmelte ich. Wie konnte ich so dumm sein? Dem Gast meines Herren so frech gegenüber zu treten und damit meine Stelle als Hausmädchen, meine Existenzversicherung,  zu riskieren. Ich musste nicht aufsehen, um zu bemerken, dass Lizzie neben mir entsetzt den Kopf schüttelte. Plötzlich spürte ich einen Finger unter meinem Kinn, der mich zum Aufsehen zwang. Der Finger gehörte zur behandschuhten Hand des Earls. „Warum so ängstlich, junges Fräulein?“ Ich ignorierte die Tatsache, dass er höchstens zwei Jahre älter gewesen sein konnte. „Ich mag es, wenn Frauen Schneid haben und mir auch mal Paroli bieten! Es ist mir viel angenehmer mich mit Frauen zu umgeben, die mir Kontra geben und nicht nur anhimmelnd neben mir sitzen“ Sein Blick fiel auf die Mädchen, die als er den Raum betreten hatte, in ihrer Arbeit erstarrt waren und ihre Augen bis zu dem Augenblick nicht von ihm lösen konnten, als ihnen die Botschaft hinter seinen Worten bewusst wurde. Verschämt wandten sie den Blick ab. Dem Earl schien es nicht zu gefallen, dass die Aufmerksamkeit der weiblichen Zuhörer nun nicht mehr komplett auf ihm zu ruhen schien, darum fügte er hinzu: „Was nicht bedeutet, dass ich diese Damen nicht auch in meinem Kreise begrüße!“, sagte er und lächelte strahlend in die Runde. Die angespannte Stimmung löste sich augenblicklich auf und alle schienen wieder ihren gewohnten Beschäftigungen nach zu gehen, so als wäre der Earl bereits die Kellertreppe hinauf gestiegen und hätte damit den Arbeitstrakt verlassen. Sehr seltsam, dachte ich. Wieso ist allen jetzt der Earl so egal? Earl Cartwright schenkte mir noch ein letztes breites Lächeln, als er sich zum Gehen wand und sich laut von allen verabschiedete. Vereinzelt gab es Reaktionen, doch die fielen nicht mehr aus, als die bei einem Angestellten, der zum Wochenendausflug nach Hause aufbrach. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, doch nichts schien ungewöhnlich zu sein: an den großen Waschschüsseln trockneten drei junge Mädchen das Geschirr ab, dass noch vom Frühstück stehen geblieben war, am hölzernen Tisch in der Mitte des Raumes polierte eine Zofe das Silberbesteck und beobachtete mit abwesendem Blick einen jungen Diener, der sich mit einem anderen unterhaltend in der Ecke stand und scheinbar Witze über die Magd riss, die die Fasane rupfte, welche die Herrschaften bei der Jagd erlegt hatten. Wie kam es also, dass alle plötzlich keine Notiz mehr vom Adelsherren zu nehmen schienen? Vielleicht schlicht und ergreifend, weil er nicht mehr im Raum war, denn als ich mich umwand,  um ihn noch ein Mal zu betrachten merkte ich, dass er während meiner gründlichen Inspektion der Küche längst diese verlassen hatte. Ich winkte meine Freudin heran. „Was war denn das eben, Lizzie? Warum haben sich alle so seltsam verhalten?“ Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. „Was weiß ich? Vielleicht ist ihnen einfach nur eingefallen, dass das Diner in gut zwei Stunden serviert wird und noch viel zu machen ist!“ Interessiert musterte sie mich. „Heute bist du komisch drauf, Dawn. Du wirkst den ganzen Tag schon so tief in deinen Gedanken versunken! Wenn irgendwas ist, sag es mir einfach und wir machen die Mistkerle fertig, die dich so beschäftigen!“, lachte sie und ließ die Fingerknöchel knacken. Überrascht riss ich die Augen auf. Lizzie war sonst wesentlich weiblicher und würde nie auf die Idee kommen, mit ihren Fingern zu knacken, wie ein verschwitzter Boxer im Ring. Als sie meinen Blick bemerkte, lachte sie auf und sagte zwinkernd zu mir: „Keine Sorge, war nur ein Witz! Ich haue mich schon mit niemandem, das würde mir zu sehr leid für meine Gegner tun!“ Wieder grinste sie mich breit an. „Dawn! Lizzie!“, hörte ich die Stimme Norberts aus der hinteren Ecke der Küche. Er war der Kammerdiener seiner Lordschaft und seine Familie diente der der Van Dosh bereits seit vier Generationen, für ihn war sein Beruf ernst und er duldete keine Nachlässigkeiten in seinem Personal.  „Wenn ihr euch zu einem gemütlichen Kaffeeplausch zusammen setzten wollt, könnt ihr hoch in den Salon gehen, die Ladyschaften versammeln sich gerade zum Tee!“ Innerlich fluchend biss ich mir auf die Lippe. Dass es Norbert neben Mrs Dovan auch noch auf mich abgesehen hatte, konnte ich nicht wirklich gebrauchen. „Verzeihen Sie, Norbert! Wir machen uns sofort an die Arbeit!“, rief ich zurück In Windeseile hatte ich mir wieder meine Schürze umgebunden, die ich in meiner kurzen Pause beiseite gelegt hatte, und die Ärmel hochgekrempelt. Wenn das Essen perfekt werden sollte, wie von uns erwartet, dann musste ich mich an die Arbeit machen. Für eine kurze Zeit waren meine Gedanken noch bei dem seltsamen Vorfall mit dem Earl und auch bei Micks komischen Verhalten, doch dann beanspruchte das Essen meine volle Aufmerksamkeit.  Kapitel 4: Third Port --------------------- „Der werte Gast meint, dass er sich nicht wohl fühle und sein Frühstück aufs Zimmer gebracht haben möchte“, donnerte die tiefe Stimme Mister Widowsons durch das kleine Angestellten-Speisezimmer. Stühle wurden nach hinten geschoben und wir sprangen alle von unseren Plätzen auf, so wie es sich ziemte, wenn der oberste Butler den Raum betrat. „Wie kommt es, dass der werte Earl Cartwright bereits zu so früher Stunde wach ist, Norbert? Es ist erst...“, sagte ich, nachdem wir uns wieder setzten durften, mein Blick wanderte zu der alten Uhr, die auf dem Geschirrschrank stand. „Kurz nach Sechs! Die Herren werden doch sicher gestern lange getagt haben, oder? Es ist ungewohnt, dass ein Herr, wie er es ist, sich bereits zu solch früher Stunde aus dem Bett bequemt!“, überlegte ich laut. „Wir sind nicht dazu befugt, die Handlungen der Herrschaften in Frage zu stellen, Miss Longford“, wand er sich an mich. „Und die Privatsphäre derer zu wahren, die unser tägliches Einkommen sichern, sollten wir als Personal als unsere höchste Pflicht verstehen, nicht wahr, Miss Langford?“, wiederholte er mit Nachdruck. Beschämt sackte ich auf meinem Stuhl zusammen. „Ja, Mister Windowson“, murmelte ich und blickte auf mein angebissenes Butterbrot, um den gierenden Blicken der anderen Bediensteten zu entgehen. „Ich erzähle Ihnen das alles“, sagte der Butler nun an alle gewandt. „weil Mister Darry mit hohem Fieber im Bett liegt und so unmöglich seine Lordschaft einkleiden und das Frühstück servieren kann. Ich persönlich werde mich darum kümmern, dass seine Knöpfe alle geschlossen und die Schnürsenkel gebunden sind“, meinte er mit einem süffisantem Lächeln. „aber es müssen sich bitte zwei Mädchen finden, die dem Earl in spätestens einer Viertelstunde servieren, bis dahin sollte er seine erste morgendliche Toilette beendet haben.“ Verhalten räusperte ich mich. Jedes Mädchen würde vor Freude schreiend aufspringen, wenn es gefragt würde, ob es einem noch verschlafenen und recht gut aussehenden Herren das Frühstück servieren wollen würde, doch nicht während es beim Frühstück wäre. Man kann nicht behaupten, dass wir im Haushalt der Van Dosh nicht genug zu essen bekämen, nur war es so, dass die einzige Mahlzeit, die wir bis zur Mittagsruhe der Herrschaften bekamen, nun ein Mal das Frühstück war. Und das war dank unser famosen Köchin auch noch so köstlich, dass ich in den ersten Monaten, in denen ich als Hausmädchen im Dienst war, von einem mageren und bleichen Gespenst, das wirkte, als würde der nächste Windhauch sie mit sich nehmen, zu einem stattlich gebauten jungen Mädchen, dem das Kleid an manchen Stellen gehörig in den Bauch zwickte. Doch die paar Pfund, die ich mehr wog, nahm ich gerne in Kauf, wenn ich mir anhörte, was die Mädchen aus anderen Häusern zu essen bekamen. In der Nähe von Mountain Creek, dem Dörflein, das zu weiten Teilen von den Van Dosh gepachtet war, gab es noch drei weitere Adelsfamilien, die Lanwanstingtors, die MacGuyvers und die Ferrolis, eine ursprünglich aus Italien stammende Familie. Während Lord und Lady Lanwanstingtor von einer Renovierung der Küche, der Angestelltenräume und auch der Vorratskammer absahen und somit ihre Angestellten auf Holzkisten sitzend die fast schon vergorenen und verfaulten Lebensmittel speisen ließen, gingen die MacGuyvers so knauserig mit ihren Ersparnissen um, dass für die Bediensteten höchstens halbe Portionen gab. Einzig die Mädchen der Ferrolis wussten ein gutes Wort von ihren Hausherren und ihrem Essen zu erzählen: Mama Lotta schien eine fast so gute Köchin zu sein, wie unsere Mrs Pottage. Es war in den letzten Jahren eine meiner liebsten Beschäftigungen geworden, am Samstagabend die anderen Bediensteten in meinem Alter hinunter ins Dorf zu begleiten, um mit den Angestellten aus den umliegenden Haushalten in der Dorfkneipe zu reden. Meistens wurde viel gelästert – sowohl über andere Angestellte, als auch über Adlige, wie Gäste auf unserem Hof oder unsere Herrschaften selbst – aber das war es nicht, was mich interessierte. Ich hoffte jedes Mal Informationen aufzuschnappen, wie es um London, den Rest von Groß Britannien, Europa, ja sogar die ganze Welt stand. Es war nicht so, als wäre ich in besonderem Maße am Weltgeschehen interessiert, um die Wahrheit zu sagen kümmerte es mich eigentlich herzlich wenig, aber es war toll zu hören, welche neuen Erfindungen gemacht wurden. Erst vor kurzem hatte es ein Mann geschafft, auf eine runde Scheibe Kratzer zu machen, die durch ein Ding, dass sich Grammophon nannte, Töne produzieren konnten. Ganz hatte ich noch nicht verstanden wie es funktionierte, aber ich war fasziniert von der Vorstellung, auch in meinem Zimmer ganz einfach Musik hören zu können, immer und so oft, wie ich wollte. Dieses Objekt, dieses Grammophon war, natürlich, in Amerika erfunden worden. Er musste einfach faszinierend sein, dieser Kontinent. So groß und vor allem... So weit weg von allem... Ein Rütteln an meiner Schulter holte mich aus meinen Gedanken. „Dawn“, meinte Lara, eins der älteren Hausmädchen. „Mister Widowson hat doch gemeint, dass du und Charlotte euch um das Frühstück für den jungen Herrn kümmern sollt! Jetzt ist keine Zeit um tag zu träumen!“, ermahnte sie mich. Verwundert blinzelte ich sie an. „Bitte was?“, fragte ich. „Du sollst Frühstück servieren. Jetzt“, wiederholte sie langsam und blickte mich dabei an, als wäre ich in ihren Augen nicht ganz gescheit im Kopf. Wann auch immer diese Entscheidung getroffen worden war, ich hatte sie nicht nur anscheinend verschlafen, irgendwie hatte ich auch noch unbewusst zugestimmt. Na Klasse, Frühstück ade… Seufzend und ohne noch etwas zu erwidern erhob ich mich. Es war logisch, dass ich da nun nicht mehr herauskam, schließlich hatte ich mich ja vorher nicht gewehrt. Ich stopfte mir die Scheibe Brot quer in den Mund und holte aus der Küche das Tablett mit dampfendem weißen Bohnen auf Weißbrot, an gebratenen Schinken und Würstchen, das das Frühstück für den Herren darstellte. Vor Neid und Hunger lief mir das Wasser im Munde zusammen. „Du denkst doch nicht etwa darüber nach, dir was von dem Speck zu mopsen?“, kicherte Charlotte, als sie meinen Blick bemerkt hatte. Auch sie gehörte zu den Mädchen, die bereits am Hause der Van Doshs war bevor ich kam. Mit ihrem strengen hohen Dutt wirkte sie jedoch mehr wie eine boshafte Geigenlehrerin, die einem bei jedem falschen Ton den Bogen über zog, als wie die liebevolle und führsorgliche junge Frau, die sie aber war. Sie wurde von allen als die große Schwester, die über uns Mädchen ihre schützende Hand hält gesehen und so kam es, dass sie oft diejenige war, die Tränen abtrocknen musste und Streitereien um das letzte Eclair klären durfte. „Wenn mich nicht alles täuscht, dürften in der Küche noch zwei Scheiben liegen – wenn wir uns beeilen, dann können wir uns sicher darauf freuen!“, meint sie zwinkernd. Peinlich ertappt nicke ich. Es war die Art von Peinlichkeit, die man empfand, wenn man sich nicht so reif vor der Person, die man bewunderte, verhielt, wie man wollte. „Da... Dann sollten wir uns beeilen, nicht w...“, setzte ich an, doch ein lautes Schimpfen aus der Küche unterbrach mich. „Grundgütiger!“, hörte ich die aufgebrachte Stimme von Mrs Dovan. „Schafft es denn wirklich keines von euch Mädchen, das Silbergeschirr so zu polieren, dass auch wirklich jede angelaufene Stelle verschwunden ist? Ist das zu viel verlangt?“ Sie streckte ihren Kopf in den Gang und blickte Hilfesuchend zu Charlotte. „Miss Knox? Könnten Sie mir bitte helfen, den neuen Mädchen ein für alle Mal ordentliches Silberputzen zu zeigen?“ Was zwar eine Frage sein sollte, klang dank des Nachdrucks mit dem die Kammerzofe die letzten Worte sagte, aber vielmehr nach einer Aufforderung, der es nach zu gehen gehörte. Gequält lächelte Charlotte mich an. „Entschuldige“, flüsterte sie. „Ich muss da jetzt hin! Schaffst du das auch alleine?“ Alleine zu dem jungen Lord? „Lotti... Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute...“ „Miss Knox?“, ertönte es ungeduldig. „Ich warte!“ Mit einem entschuldigenden Blick drückte mir Charlotte ihr Tablett in die Hand und wand sich zum gehen. „Du schaffst das schon!“, versicherte sie mir. „Ich rette dir auch den Schinken!“ Und damit war sie verschwunden und ließ mich mit zwei Tabletts voller Frühstück zurück. Na dann, mir blieb nichts anderes übrig, als nun eben alleine das Frühstück zu servieren. Im Grunde würde mich das ja nicht stören, würde es sich nicht um die privaten Räume eines frechen jungen Mannes handeln, der mich seit gestern nicht mehr klar denken ließ. Und nicht aus irgendwelchen romantischen Gefühlen heraus, nein. Sein Verhalten an sich beschäftigte mich einfach: Sowohl der seltsame Vorfall in der Küche, als auch der Blick, mit dem er mich bei seiner Ankunft bedacht hatte, gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Als ich mich aus meinen Gedanken reißen konnte, bemerkte ich, dass ich anscheinend, während ich gegrübelt hatte, mich ganz instinktiv in Richtung des Zimmers bewegt hatte, in dem ich servieren sollte. Unschlüssig stand ich vor der Tür. Sollte ich einfach Klopfen und auf Antwort hoffen, oder warten, bis Mister Widowson mich hereinbat? Ein lautes Klirren aus dem Zimmer des Earls nahm mir die Frage ab. „Sir?“, rief ich. „Ist alles in Ordnung bei Euch?“ Ich horchte, doch erhielt keine Antwort. „Sir? Ich komme jetzt rein, wenn es Euch recht ist!“ Behutsam öffnete ich die Tür einen Spalt und lugte in das abgedunkelte Zimmer. „Ist alles in Ordnung bei Euch, mein Herr?“, fragte ich leise. „Ich habe es laut Scheppern gehört und war um Euer Wohlbefinden in Sorge...“ Als erneut vom Earl keine Antwort kam, betrat ich das Zimmer, stellte die Tabletts vorsichtig auf einer Kommode neben der Tür ab und bahnte mir meinen Weg in Richtung der Fenster, um etwas Licht in den Raum zu lassen. Gerade in dem Moment, in dem meine Hände den schweren, alten Brokat-Stoff berührten, hörte ich ein röchelndes Geräusch aus Richtung des Bettes. „Kein... Licht...“, krächzte die trockene Stimme des Earls. „Mach... eine Kerze an...!“ Hektisch kramte ich in den Taschen meines Rockes, zog ein kleines Päckchen Streichhölzer heraus und entzündete mit einem die Kerze auf dem Nachttisch des Earls. Im schwummrigen Schein der Lampe erblickte ich das aschfahle Gesicht des jungen Mannes. Die Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht und Schweißperlen waren auf seiner Stirn. Aus glasigen Augen blinzelte er mich an. „Meine... Medizin...“, murmelte er leise. „Gib sie mir!“ Sein schlechter Gesundheitszustand erschreckte mich. „Meint Ihr nicht, dass ich nicht lieber einen Arzt rufen sollte?“, fragte ich vorsichtig. Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen und mit Nachdruck wiederholte er: „Meine Medizin. Jetzt.“ Er nickte in Richtung des ebenhölzernen Sekretärs am anderen Ende des Zimmers. „Porzellan Dose.“ Die Eindringlichkeit seiner Worte riss mich aus meiner Schockstarre, in die mich sein Zustand gebracht hatte. Ohne Widerworte nahm ich das kleine Döschen vom Tisch. „Soll ich Euch helfen, die Medizin ein zu nehmen?“, fragte ich vorsichtig und griff bereits nach der Bergkristallkaraffe, um ihm ein Glas Wasser ein zu schenken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)