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Denn sie wissen, was sie tun…

von Susu-chan
von

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Hate

Niemand hat eine Ahnung davon, wie es ist jemanden abgrundtief zu hassen. Jeder sagt dieses Wort gerne – Hass.

„Ich hasse ihn, weil....“, so was hört man wirklich oft heutzutage. Aber keiner weiß wie es ist, sich jeden Abend auszumalen denjenigen, den man wirklich hasst umzubringen. Ihn möglichst grausam zu foltern, ihn mit Säure zu übergießen,ihn von Ratten zerfressen zu lassen, ihn so lange einen Löffel in den Hals zu rammen, bis er röchelnd erstickt....keiner hat sich so etwas jemals vorgestellt.

Jedenfalls keiner von euch.

Ich jedenfalls tue das.

Ich weiß, dass es falsch ist, jemanden den Tod zu wünschen. Aber ich kann euch nicht mehr ertragen, ihr widerlichen Parasiten, die mich einfach ausbeuten, mich zerstören, mich misshandeln und einfach nur respektlos zu mir sind. Ihr habt keine Ahnung, zu was ich fähig bin. Vielleicht habt ihr schon eine Kostprobe von dem bekommen, was ich euch antun kann.

Aber nehmt ihr mich ernst? Nein. Natürlich nicht.

Denn ihr seid nicht intelligent genug, um es zu merken. Ihr haltet euch für schlau und denkt, ihr könntet euch vor mir schützen und dennoch weiterhin auf mir rumtrampeln wie es euch beliebt.

Doch wisst ihr was? ES REICHT MIR. Ich werde mich nicht länger von euch quälen lassen.

Jahrelang habe ich euch ertragen. Mich von euch quälen lassen. Euch beschützt und auch bestraft wenn es sein musste.

Aber ihr habt euch nie geändert.

Nie.

Und ab heute, werde ich anfangen mich zu rächen.

Kapitel 1 - The Devil inside

Kapitel 1 – The Devil inside
 

“Mama! Mama, guck mal...“, schwarze Wolken wirbelten um mein Haus herum. Schatten zogen auf, wurden länger. Blutrote Blitze zuckten umher und ich öffnete langsam die Tür.

Ein zersplitterndes Geräusch erklang. Dann die Schreie von Raben.

„Mama? Papa? Seid ihr da?“, ein leises, platschendes Geräusch erklang, als ich das Zimmer betrat.

„Mama...?“
 

Schweißgebadet fuhr ich hoch.

„Hmhm...alles in Ordnung...?“, fragte Raimi mich müde und ich atmete keuchend ein und aus.

„Ich...i-ich g-glaube schon“, murmelte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn „Es...-nur ein Albtraum.“

„Schon wieder?“, hörte ich Sichi nuscheln und er gähnte „Um was ging's denn?“

„Nur...eine Kindheitserinnerung.“, erwiderte ich zögerlich und Raimi nickte verständnisvoll.

„Schon okay. Leg dich einfach wieder hin, zweimal träumst du schon nicht dasselbe.“

Ich träume schon seit mehr als 10 Jahren diesen Traum, dachte ich bitter und legte meinen Kopf zurück auf den Boden Und er wird niemals enden...
 

„Hey! Aufwachen!“

Ich blinzelte. Dann fuhr ich hoch – Und stieß hart mit dem Kopf an Sichis.

„Au!“, er wich zurück und rieb sich die Stirn „Geht's noch?“

„'Tschuldigung“, sagte ich nur und rieb mir gähnend die Augen.

„Wir sollten weiter“, Raimi sah zu uns und nippte an ihrer Trinkflasche „Diese Zone hier wird bald überrannt.“

Ich musterte meine Umgebung. Mit Rissen durchzogene Erde, schwarze Gewitterwolken am Himmel und es zuckten rote Blitze.

Die Welt war ein hässlicher Ort geworden.

„Seht ihr die Blitze? Sie sind rot wie Blut...“, murmelte ich halblaut und die anderen Beiden nickten.

„Das ist doch nichts Neues mehr. Sie waren doch immer rot.“, sagte Sichi noch und ich seufzte.

„Ich weiß nicht...wisst ihr noch...“, ich zog ein Kinderbuch aus meiner Umhängetasche „Im Waisenhaus, was wir den kleineren Kindern vorgelesen haben?“

Ich öffnete es. Im Inneren sah man bunte Häuser, grünes Gras und eine hell scheinende Scheibe.

„So sah doch mal die Welt aus...“

„Nein, das ist doch nur ein Kinderbuch. Das ist alles ausgedacht.“, erwiderte Raimi. Sie sah kurz zu dem Bilderbuch und schüttelte den Kopf „Das ist ein Märchen. Die Welt sah nie so aus.“

„Glaubst du? Ich...glaube nicht, dass die Welt immer so düster und gefährlich war“, murmelte ich nur leise für mich und steckte das Buch wieder weg.

„Warum trägst du das denn immer mit dir herum?“, wollte Sichi wissen.

„Es hat...jemandem gehört, der mir wichtig war“

Ein lautes Donnern ertönte und wir zuckten zusammen.

„Okay, genug geredet, wir sollten ganz schnell weiter!“, drängte Raimi und schob uns von der verbrannten Wiese herunter. Die Erde fing an zu beben und aus den Rissen schoss Gas.

Gott sei Dank hatten sie uns nicht im Schlaf erwischt.

Wir rannten los, als die Erde immer stärker bebte und ich versuchte nicht über meine eigenen Füße zu stolpern.

Wie konnte die Welt nur so zugerichtet werden?

Ich hörte Vögel am Himmel schreien. Automatisch hob ich die Hand über den Kopf, um mich vor ihnen zu schützen, genau wie meine beiden Freunde.

Ein weiterer Schrei erfolgte, dann spürte ich Federn an meinem Arm und einen Schnabel, der sich in meine Haut bohrte. Blut floss aus der Wunde, tropfte auf meinen Kopf und weiter über mein Gesicht.

„Pass auf!“, ich duckte mich, riss den Vogel aus meinem Arm und schleuderte ihn weg. Im nächsten Moment ertönte ein Schuss, der tote Körper fiel zu Boden und Sichi lud seine Pistole nach.

„Alles okay?“

„Ja“, erwiderte ich und sah auf meine blutende Wunde „So halb, jedenfalls.“

„Ich verbinde das später“, sagte Raimi gehetzt und wir rannten schnell weiter. Die Wunde fing an zu pochen und langsam setzte der Schmerz ein. Zuerst in kleinen Wellen, dann in immer größeren Wellen bis ich keuchend stehen blieb und meine Hand auf die Wunde presste.

„Nur noch ein kleines Stück“, Sichi packte meinen Arm und zog mich mit sich „Das packst du noch, los!“

Dunkle Schatten wurden auf uns geworfen und ich sah kurz hoch. Der Himmel war ein einziges Meer aus Wolken, Blitzen und schwarzen Vögeln, die uns bedrohlich umkreisten. Es waren nicht mal mehr richtige Vögel. Ihr Gefieder war zerfetzt, blutig und sie rochen faulig, nach verwesendem Fleisch. So erging es allen „Tieren“ auf diesem verdammten Planeten. Seit dem „Unfall“ damals vor mehr als hundert Jahren hatte sich viel verändert.

Die Welt war kaputt, tot und grausam. Die Tiere griffen alles an, dass sich bewegte und zerfleischten sogar sich selbst um etwas zu essen zu haben. Die Pflanzen waren hoch giftig und beim kleinsten Kontakt mit ihnen musste man befürchten, zu sterben. Und die Menschen...aus der früheren, dominierenden Rasse wurden kleine, unbedeutende Lebewesen, die sich in allen möglichen Ritzen und Spalten versteckten, um ja noch zu überleben.

Aber was brachte es in einer Welt zu überleben, in der nur Chaos und Tod herrschte?

Was brachte es, in einer Welt zu leben, ganz alleine, da alle gestorben waren, die man liebte?

Ich wusste die Antwort darauf nicht. Und ich glaube, meine beiden Freunde auch nicht.

Andererseits war das der Wille eines jeden Geschöpfs. Leben.

Und genau das war der Grund, warum wir aus dem Waisenhaus abgehauen sind, aus der Stadt, aus dem Land...denn jeder, der dort noch lebte verschloss die Augen vor dem Leid.

Die Welt war dabei sich wieder zu erholen? Ha! Das ich nicht lache!

Schüsse ertönten, als Sichi einige der Vögel tötete, die auf uns zustürzten.

Was ist daran Erholung? Die Erde war schlimmer denn je zugerichtet. Das hier war schlimmer als jeder Horrorfilm und jeder Albtraum.

Die Erde wird bald wieder bewohnbar sein...,haben die gesagt. Doch wenn ich mir den rissigen Boden ansehe, die Lava, die heißen Geysire...dann wird der Planet höchstens in tausend Jahren wieder bewohnbar sein. Wenn überhaupt.

Aber soll doch der Rest der Welt in ihrer stickigen, kleinen Stadt unter der Erde hocken bleiben.

Wir würden dafür sorgen, dass all das hier vorbei wäre. Dass die Welt wieder schön wäre.

Und dafür müssen wir nur die sieben Chaos Emeralds finden.
 

„V-Verdammt...s-sind sie weg?“, fragte ich keuchend, als wir in einer Höhle Zuflucht gefunden hatten.

Raimi nickte mit gerötetem Gesicht und setzte sich erst mal hin. Sichi hingegen blieb am Höhleneingang stehen und beäugte misstrauisch den Himmel. Die Vogelschwärme umkreisten noch eine Weile lang die Höhle, ehe sie sich einer nach dem anderen verzogen.

„Jetzt zeig mal deine Wunde“, forderte Raimi mich auf und zog an meinem Arm. Ich zuckte vor Schmerz zusammen und sie musterte meine Verletzung. Es sah unschön aus, das Fleisch war bis zum Knochen durchbohrt und an den Rändern der Wunde fing es schon an zu faulen.

„Das muss ich sofort reinigen. Tut mir leid, wenn es wehtut“, sagte sie und hielt ihr Hand auf meinen Arm. Es dauerte nur kurz, dann stieg Dampf aus der Wunde auf und ich spannte sämtliche Muskeln an, um nicht zu Schreien. Langsam färbte sich das schwarze, getrocknete Blut wieder rot und fing an zu fließen. Die Wunde öffnete sich etwas und grünes Gift floss daraus.

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte mich nicht zu bewegen, während der Schmerz in heißen Wellen über mich schwappte.

Schließlich ließ Raimi meinen Arm wieder los und zog einen Verband aus ihrer Tasche. Sie umwickelte die Wunde und machte ihn fest.

„So, fertig.“, meinte sie und ich zog schnell den Arm zurück.

„Blöde Viecher...“, murrte ich und presste meine Hand auf den Verband. Raimis Kräfte sorgten zum Glück dafür, dass ich nicht verfaulte, aber es tat nun mal höllisch weh. Als ob man Salz und Essig in eine Wunde schütten würde und danach noch Spiritus.

„Erinnert mich irgendwie an Resident Evil“, meldete sich Sichi zu Wort und steckte seine Waffen weg „Die Tiere sehen aus wie Zombies. Und wenn man von ihnen gebissen wird, fängt man auch an zu faulen.“

„Ja, aber man wird nicht zum Zombie. Man bleibt tot“, erwiderte ich und merkte, wie er zu meinem Verband schielte.

„Wenn ich ein Zombie werde, fresse ich dich als erstes auf.“, warnte ich ihn bissig, aber auch aus Spaß. Er grinste und wies auf seine Pistolen „He - Ich kenne mich mit Zombies aus, also pass auf.“

„Hört auf ihr Beiden“, unterbrach Raimi uns „Das ist nicht witzig. Wir stecken hier in ernsthaften Schwierigkeiten...wie kommen wir zum Beispiel an diesen blöden Vögeln vorbei, ohne dass sie uns erwischen?“

„Sie kommen doch nur, wenn sie etwas zu Essen riechen“, sagte ich bloß.

„Ja, nur leider sind wir ihr Essen.“, entgegnete Sichi und sie nickte.

„Wir müssen unseren Geruch überdecken...“, murmelte sie und sah sich um, als ihr ein Geistesblitz kam.

„Ich hab's! Das ist wie mit Bären...man muss seinen eigenen Körpergeruch überdecken, indem man sich mit Schlamm oder so einschmiert.“

„War das nicht...“

„Schon klar, aber Schlamm ist mir wesentlich lieber als irgendein Misthaufen.“

„Mir auch“, stimmte ich zu und befühlte den nassen Boden „Tja, die Höhle hier ist ideal dafür. Alles ist matschig und feucht...“

„Na dann los. Wir dürfen nicht zimperlich sein.“
 

Zwar widerstrebte es mir, mit Schlamm vollgeschmiert herumzulaufen, aber was tat man nicht alles dafür um zu überleben. Außerdem half es wirklich. Wir schlichen uns aus der Höhle raus, ohne von den Vögeln belästigt zu werden.

Vor uns lagen die Trümmer einer ehemaligen Großstadt, in denen wir uns auch verstecken konnten. Die Straße war aufgebrochen, die Häuser eingefallen und überall waren Kakerlaken und andere Insekten, aber das war egal. Wir hatten Schutz, mehr zählte nicht.

„Sucht mal nach brauchbaren Dingen“, sagte Raimi und wir nickten.

„Wir teilen uns auf und treffen uns in einer Stunde wieder hier“, sie wies auf den großen, eingestürzten Brunnen. Die Statue auf dem Brunnen war herunter gestürzt und ihr fehlte der Kopf, genau wie die Arme und die Beine.

Ich entdeckte den Statuen Kopf einige Meter weiter weg, in einem Spalt. Der Asphalt war aufgebrochen und diverse Autos lagen in den entstandenen Rissen.

Zwar wüsste ich nicht, was wir hier hätten finden können, aber Raimi war eben die Älteste von uns. Schon im Waisenhaus hatte sie auf uns aufgepasst. Sie nannte sich selbst nie eine Anführerin, aber wir nahmen sie als solche wahr. Jeder bei uns war gleich gestellt, doch es war unvermeidbar, dass man eben eine Rolle bekam. Sichi war unser Kämpfer – Er kämpfte gegen alles, das uns bedrohte und war darin recht gut...auch wenn er ab und zu etwas albern war, aber das war normal. Man sollte nie seinen Humor verlieren, egal wie besch*ssen es einem ging.

Raimi war unsere Anführerin – Ob sie wollte oder nicht. Schon damals war sie so etwas wie der Chef in unserem Trio gewesen.

Und ich...na ja, wie die anderen mich sahen wusste ich nicht genau, ich selbst fand einfach, dass ich eher das Anhängsel war. Zwar hatte ich die anderen dazu überredet mit mir abzuhauen, aber ohne Raimi wären wir wohl schon in der ersten Woche gestorben.

Ich weiß nicht. Mein Gefühl hatte mir einfach gesagt, dass wir hier weg müssten, raus in die Welt. Andererseits war es für mich normal wegzulaufen. Ich lief immer vor meinen Problemen davon, vielleicht war das der Grund warum ich abhauen wollte. Aber da noch meine beiden Freunde reinzuziehen...das war mehr als unverantwortlich und egoistisch.

Ich trat die Tür zu einem Haus auf und hustete, als mir eine Staubwolke ins Gesicht flog. Mit tränenden Augen sah ich mich um. Licht schien durch das zerbrochene Fenster und beleuchtete das Innere: Scherben, zersplitterte Stühle, Tische, umgefallene Schränke, die von Termiten angefressen wurden. Ich ging ins Schlafzimmer und atmete aus Reflex durch den Mund, damit ich nichts roch. In solchen Häusern roch es immer nach verwesenden Leichen oder ähnlichem. Ich sah zwei Skelette auf dem Boden liegen, eins so groß wie ein Erwachsener Mensch und eins so klein wie ein Baby.

Die Skeletthand des größeren hatte das kleiner umarmt.

Wenigstens waren sie zusammen gestorben. Auch wenn eigentlich jeder für sich alleine starb...es war doch besser dann abzutreten, wenn man Gesellschaft von jemandem hatte, von dem man geliebt wurde.

Ich blinzelte mir einige Tränen weg.

Wie damals...

Nein! , dachte ich und schüttelte heftig den Kopf Nicht daran denken!

Wie ein schwarzer Schatten drängte sich die Erinnerung in meinem Gehirn vor.

“Sieh mich an!“

Nein! , schrie ich stumm Ich will nicht!

“Du kannst mich nicht ewig ignorieren...“, hörte ich noch ein leises Echo in meinem Kopf.

Er fing an zu pochen und ich rieb mir die Schläfen wie ich es immer tat, wenn der Schatten zu groß wurde. Panisch kniff ich die Augen zusammen und versuchte ihn soweit es ging zurück in mein Hirn zu drängen, in die hinterste Ecke, hinter irgendeine Tür...ich spürte wie die Kopfschmerzen schwanden.

Dann war der Schatten weg.

Ich seufzte erleichtert und konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe. Als ich den Kleiderschrank öffnete, schossen mir Motten entgegen und zahlreiche Insekten krabbelten daraus hervor. Ich ignorierte sie und durchsuchte den Schrank.

Nichts. Nur ein kleiner Kasten mit Nähsachen. Sicherheitshalber steckte ich ihn ein. Vielleicht könnten wir noch irgendwann etwas mit ihnen anfangen – Oder ich konnte unsere Sachen mal flicken, die waren schon ziemlich zerfetzt.

In den restlichen Zimmern des Hauses fand ich auch nichts. Seufzend betrat ich das Kinderzimmer und sah mich um. Die meisten Sachen waren im Laufe der Zeit zerfallen, kaputt gegangen oder bei der Katastrophe zerstört worden. Doch ich entdeckte noch ein Kuscheltier in der Ecke des Zimmers. Es war ein kleiner Hase. Er war angesengt, zerfleddert und hatte keine Augen mehr, aber er hatte es irgendwie geschafft noch erhalten zu bleiben. Blut klebte an seinen Füßen und ich hob ihn hoch.

Er sah unheimlich aus. Mir war, als würde er mich anstarren mit seinen nicht vorhandenen Augen.

Schaudernd ließ ich ihn schnell wieder fallen und hörte dabei ein leises Plonk! .

Verwundert hob ich ihn wieder hoch und drehte ihn um. Da war ein Reißverschluss an seinem Rücken.

Ich zog ihn auf.

Eine kleine, aus Metall gefertigte Figur lag darin. Es stellte einen Engel da, der auf seiner Harfe spielte.

Aus Metall? Das war ja ungewöhnlich. Solche Figuren waren doch eher aus Porzellan oder so was.

Andererseits fand ich den Anblick dieses Engels beruhigend und ich beschloss, ihn als Glücksbringer mitzunehmen.

Ich steckte ihn in meine Tasche und verließ dann das Haus. Und so surreal das auch klingen mag, ich spürte die vorwurfsvollen Blicke des Hasens in meinen Rücken, der empört darüber war, dass ich ihm seinen Engel geklaut hatte.
 

Als die Stunde vorbei war, hatte ich einen Nähkasten, fünf Messer und eine noch funktionierende Taschenlampe. Sichi hatte Munition für seine Waffen in einem Waffenladen gefunden und dabei noch diverse andere Gegenstände mitgehen lassen.

„Was soll ich damit?“, fragte ich verwirrt, als er mir eine Pistole in die Hand drückte und ein Messer, dass beinahe 40cm lang war. Die Klinge war schwarz und stumpf geworden, doch ich wusste, dass Sichi auch Schleifsteine hatte.

„Dich verteidigen. Ich kann euch ja nicht ewig beschützen“, erwiderte er und fügte hinzu: „Nur für den Notfall.“

Ich sah zu dem Messer. Mit so was konnte ich umgehen, das war kein Problem...nur mit Pistolen...das war schon schwieriger. Ich war nie ein großer Militärs Freak und wusste nicht mal genau wie man dieses Ding lud, aber ich würde es versuchen. Wenn es bedeutete, dass ich uns damit schützen konnte...dann würde ich eben töten.

„Ich habe noch Wasser gefunden und die Trinkflaschen damit aufgefüllt“, meinte Raimi und wies auf die drei Beutel an ihrem Gürtel „Es ist nicht wirklich sauber...Regenwasser halt. Aber wir können es im Notfall ja aufkochen um wenigstens die Bakterien zu töten.“

„Okay, ich glaube, dann haben wir alles“, sagte ich seufzend und Sichi sah zu mir.

„Stimmt was nicht?“

„Nein, alles okay...nur...ich weiß nicht. Ich mag keine Städte. Hier ist alles einfach...“

„...tot?“, beendete er meinen Satz und ich nickte.

„Und ich fühle mich von allen Gegenständen beobachtet. Als würden sie mir die Schuld dafür geben, was hier passiert ist.“

„Das ist lächerlich. Du hast an gar nichts Schuld“, Raimi legte eine Hand auf meine Schulter „Niemand von uns kann etwas dafür, was hier vorgefallen ist. Das ist schon lange vor unserer Zeit passiert.“
 

Vielleicht hatte sie ja Recht. Doch andererseits...warum hatte ich immer diese Schuldgefühle, wenn ich an Gegenständen, Tieren oder Pflanzen vorbei ging? Warum fühlte ich mich von allen Seiten beobachtet?

Vielleicht, weil ich paranoid war. Das musste man auch in dieser Welt sein, um zu überleben.

Aber vielleicht auch, weil es die Wahrheit war. Nicht direkt Ich war Schuld an dieser Katastrophe, aber die menschliche Rasse. Immerhin war es Eggman, der damals die Erde so zugerichtet hat in seinem Kampf gegen Sonic. Er hatte mit seinem eigenen Leben dafür bezahlt, aber der Rest der Menschheit blieb auch nicht verschont. Die Erde wusste, wie sie sich wehren musste.

Und vielleicht würde die Welt erst wieder schön und friedlich werden, wenn es die Menschheit nicht mehr gab.

Kapitel 2 - Blood

Kapitel 2 – Blood
 

Ich rieb mir den Schweiß von der Stirn und tunkte meinen Kopf in das klare, kalte Wasser. Gott sei Dank hatte Raimi eine Quelle entdeckt, die von der Katastrophe relativ verschont geblieben war. Ich wusch den gröbsten Dreck von meinem Körper und merkte, wie sich das Wasser rötlich färbte.

Meine Wunde war wieder aufgegangen. Seufzend verband ich meinen Arm und trocknete meine Haare mit dem Handtuch, dass ich aus dem Waisenhaus hatte mitgehen lassen.

Wie lange das schon her war. Der Tag, als wir weggerannt waren...ich wusste nicht mehr genau warum Raimi und Sichi mitgekommen waren, aber ich war dankbar, dass sie es waren. Alleine wäre ich nicht weit gekommen in dieser Welt.

„Glaubst du, wir erreichen den nächsten Eingang noch lebend?“, fragte Sichi neben mir düster und ich zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht. Ich hoffe es zumindest...denn dort ist doch dieser blaue Igel gestorben, oder? Also sollten wir da einen Anhaltspunkt für die Chaos Emeralds finden...“

„Wobei ich mich langsam frage, ob der ganze Plan nicht Quatsch ist. Ich mein...wir sind nur zu dritt und haben keine Ahnung, wie es weiter gehen soll. Jeder einzelne Tag ist ein Kampf...wir haben Glück, dass wir überhaupt noch leben.“

„Jetzt hört auf mit dem Trübsal blasen.“, Raimi schlug ihm und mir mit ihrem Stab leicht auf den Kopf. Ich rieb mir den Hinterkopf und murrte: „Musst du das immer machen?“

„Wenn ihr ständig so pessimistisch seid, dann ja.“

„Aber Sichi hat angefangen!“

„Mir egal wer angefangen hat, ich werde es beenden!“, erwiderte sie mit strenger Stimme und wusch sich das Gesicht. Sichi hingegen reinigte seine Messer von dem Blut, während ich am Rand der Quelle saß und meins anstarrte.

Die Klinge war wieder geschärft und blitzte bedrohlich im Licht der Sonne. Die schwarzen Wolken waren weg, doch nun hatte der Himmel eine orangrote Färbung, die irgendwie nichts Gutes verhieß. Es war heiß und stickig. Die Luft war trocken.

„Wenn du nicht willst, musst du es nicht benutzen.“, sagte Sichi zu mir und schreckte mich so aus meinen Gedanken.

Ich sah auf und schüttelte dann den Kopf „Nein...schon gut. Ich will nicht mehr das schwache Kettenglied sein...ich komme schon klar.“

„Sicher?“, hackte Sichi besorgt nach „Jemanden zu töten...das verändert einen schon. Egal ob Tier oder Mensch.“

„Ich komme klar“, erwiderte ich gereizt und er hob die Hände.

„Schon gut. Ich wollte doch nur...“

„Ist auch egal.“, unterbrach Raimi uns und stand auf „Wir müssen weiter. Sonst kommen wieder die Vögel.“
 

Ich spürte ein unangenehmes Brennen in meinem Nacken. Bestimmt hatte ich mir wieder einen Sonnenbrand geholt in diesem Wüstenklima. Aber Sichi und Raimi schien es nicht besser zu gehen.

Ich zog meine Mütze tiefer ins Gesicht und schlug den Kragen meines Hemdes hoch.

Sand fegte um meine nackten Füße und aus den Rissen schoss Gas.

Wie ich diesen Planeten hasste. Und andererseits würden wir ohne ihn nicht überleben, auch wenn er mit aller Kraft versuchte uns umzubringen.

Wer konnte es ihm denn verübeln? Niemand, nicht nachdem, was Eggman diesem Planeten angetan hatte...nachdem er endlich Sonic besiegt hatte.

Erst die Verunreinigung der Meere, dann die ganzen Angriffe auf die Großstädte...gefolgt von unzähligen Morden, Atombomben, Atomkatastrophen...

Er würde die Welt zerstören um dann sein Egg-Imperium aufzubauen, hat er gesagt.

Und was ist daraus geworden? Eine öde Wüste, unzählige Tote und Chaos. Er war selbst an seinen Taten gestorben, doch dabei hatte er fast die ganze Menschheit mit hineingerissen.

Nur noch wenige Menschen und Mobianer konnten überleben, oft mehr Mobianer als Menschen. Die vermutliche Anzahl der überlebenden Menschen waren 4000. Die der Mobianer fast 10.000.

Und die Mobianer konnten uns nicht ausstehen. Natürlich, sie gaben uns auch die Schuld.

Es war wie damals mit Hitler. Die Mobianer waren Deutschland.

Um im inneren Kreis Frieden zu erhalten, musste man sich einen Feind außerhalb suchen. Einer, der nicht dazugehörte. Und da die Normalität von denen kontrolliert wurde, die die Mehrzahl bildeten, waren Mobianer normaler als Menschen.

Und damit waren die Menschen die Juden.

Natürlich verstand ich, warum die Mobianer so handelten...aber konnte man einer ganzen Rasse die Schuld für etwas geben, dass ein einziger getan hatte? Ja? Nein?

Wer wusste darauf schon eine Antwort. Ich wusste nur, dass Raimi absolut dagegen war. Denn obwohl sie ein Mobianer war, hegte sie keinen Hass gegen Menschen. Vielleicht auch, weil sie mit ihnen aufgewachsen war.

Das einzige, das sie hasste war die Tatsache, dass sie so viel kleiner war als wir.

Ich war mittlerweile fast 1.70 groß, Sichi 1.80 und sie war...80cm groß. Natürlich zogen wir sie ab und zu damit auf, aber nicht besonders gemein. Denn von uns dreien war sie am wichtigsten, immerhin sorgte sie mit ihren Fähigkeiten dafür, dass wir überlebten.

Und überleben war das Einzige, das zählte.

„Hey Mann, schläfst du!?“, brüllte Sichi plötzlich und ich fuhr hoch.

„W-Was!?“, fragte ich erschrocken – Und merkte dann erst, dass ein Tier – Es erinnerte entfernt an einen Löwen, doch er war schon so verfault, dass man es kaum erkennen konnte – auf uns zustürmte.

Sichi zog seine Pistolen und schoss auf das...Ding. Nichts. Die Schüsse trafen zwar, doch es blieb nicht stehen. Wenn es weiter so auf uns zu rennen würde, dann würde es uns noch überrennen.

„Sche*ße!“, ächzte er und fasste panisch in seine Taschen „Meine Munition ist leer!“

Raimi sprang zur Seite und versuchte mich mitzuziehen, aber...
 

Die Zeit verlangsamte sich. Ich verwende hier kein Sprichwort, die Zeit schien sich wirklich zu verlangsamen. Sekunden rannen wie Sirup am Rand eines Glases entlang und ich sah, wie das Wesen seine Muskeln anspannte und sprang. Ich sah Sichi, der noch in seinen Taschen herum fummelte und wusste, dass er es nicht schaffen würde. Er hatte schon immer langsame Reflexe, wenn es das Ausweichen betraf. Das Wesen würde ihn unter sich begraben und zerfleischen.

Das konnte ich nicht zulassen.

Ich fasste in meine Taschen und stieß Raimi von mir. Sie sah überrascht aus, als sie über den Boden rollte und schließlich im Staub sitzen blieb.

Die Klinge blitzte wieder im Licht auf. Blut spritzte und benetzte mein Gesicht, aber ich hatte keine Zeit es abzuwischen.

Ein weiterer Stich.

Noch einer.

Und noch einer.

Alles, was ich sah, war rot. Rot wirbelte um mich herum und langsam versank ich immer mehr in dem Strudel...

„Hey! Es reicht!“, holte mich Sichis Stimme aus meinen Gedanken und ich blinzelte verwirrt.

„Es ist schon tot“, sagte er „Du kannst aufhören, auf ihn einzustechen.“

Ich blinzelte wieder. Sah auf meine Kleidung, die nun von Blut durchtränkt war. Auf mein Messer, von dem diese Flüssigkeit tropfte.

Und auf den Leichnam des Wesens, dass vor mir lag. Es war verstümmelt und zerstochen. Wie viele Stiche wusste ich gar nicht.

Oh.

Mein.

Gott.

Kein Wesen verdiente ein solches Ende. Es hat doch auch nur überleben wollen.

Ich wandte mich ab und würgte. Ich würgte so lange, bis nur noch klare, zähige Galle aus meinem Magen kam und wischte mir den Mund ab.

Schwer keuchend sah ich wieder zu dem Leichnam, ehe ich das Messer fallen ließ und zurückwich.

„Geht's wieder?“, fragte mich Raimi, die sich wieder aufgerappelt hatte und sich nun den Dreck von den Kleidern klopfte.

„Ich...ich...“, keuchte ich und holte tief Luft „I-Ich weiß nicht, was los war.“

„Du hast ihn echt fertig gemacht. Respekt“, sagte Sichi anerkennend und musterte das verfaulte Fleisch „Na ja, essen können wir ihn leider nicht. Dazu ist er schon zu infiziert.“

Er hob mein Messer auf und reichte es mir. Ich zuckte vor der Klinge zurück, aber er drückte es mir ohne Widerworte zu dulden in die Hand.

„Na komm. Wir laufen noch ein Stück und dann kannst du dich ausruhen. Die Vögel kommen gleich“, Raimi schob mich weiter, während es in meinem Kopf kreiste.

Mein Gott, was war nur los gewesen? So aggressiv war ich doch nie...ich hatte auch noch nie getötet...und trotzdem.

Es kam mir so vertraut vor. So beruhigend.

Die ganze Angst...Angst vor dem Tod, Angst vor den Schatten, Angst vor dem Leben...war plötzlich weg gewesen. Ich war so ruhig gewesen.

Als ob sich all die Angst zu etwas verdichtet hätte, dass so kalt, so hart und so glatt wie eine Kugel war. All meine Angst. Weg. Und mit jedem Stich, hatte ich mich besser gefühlt.

Aber andererseits...dieses Biest hatte doch auch nur versucht zu überleben. Und dafür konnte man es doch nicht verurteilen, oder?

Doch es war auch schon fast tot gewesen. Es hat gelitten. Ich habe es erlöst.

Meine Hand umklammerte den Griff des Messers fester.

Ja. Ich hatte es erlöst.

Meine Sache war gerecht.
 

„Der Eingang ist nur noch ein paar Kilometer entfernt“, Raimi musterte die Karte und sah zu mir

„Alles wieder in Ordnung?“

Ich nickte „Ja. Ich bin bloß...etwas ängstlich gewesen.“

„Wie auch immer. Denkt ihr, dass sie uns hineinlassen?“, wollte Sichi wissen und fügte hinzu: „Immerhin ist das ein Mobianer-Gebiet.“

„Schon, aber mich lassen sie hinein. Und wenn ich euch mitnehme...ihr werdet dann zwar schlecht behandelt, aber ihr dürft bestimmt hinein.“, erwiderte sie optimistisch und schlug die beiden Feuersteine aneinander. Ein Funken sprühte, landete auf den trockenen Hölzern und setzte sie in Brand. Wir setzten uns um das Lagerfeuer herum und steckten einige Stücke Fleisch auf die Stöcke um sie zu braten. Das meiste hatten wir von den Tieren, die Sichi gejagt hatte, aber wir hatten auch noch Dörrfleisch aus dem Waisenhaus. Mittlerweile waren wir schon seit 10 Monat unterwegs, aber es kam mir eher wie zehn Jahre vor.

Und in diesen Monaten hatten wir keine Überlebenden getroffen. Nur wir waren auf der Oberfläche unterwegs. Die meisten Überlebenden saßen in ihren unterirdischen Städten und versuchten, dort das Beste aus ihrer Situation zu machen. Nur die wenigsten versuchten in eine andere Stadt zu gelangen – Und die, die es versuchten, starben oft.

Wir konnten nur überleben, weil Sichi ein Waffenfreak und Raimi eine Heilerin war.

Und was war ich?

Nur das Anhängsel.

Mein Griff um mein Messer verstärkte sich leicht. Ich hatte es in die Tasche gesteckt. So sehr ich es damals gefürchtet hatte...so sehr beruhigte mich die Waffe plötzlich.

Beim Töten gab es keine Zwischenfarben. Nur schwarz und weiß. Und rot.

Ich zuckte zusammen.

Was dachte ich da?

Warum war ich so besessen von dieser Waffe?

Ich zog hastig die Hand aus der Tasche und schauderte.

Nie wieder.

Nie wieder würde ich zulassen, dass dieses Messer mich so zur Bestie machte.

„Schmeckt sogar“, bemerkte Sichi, als er sich seinen Spieß in den Mund steckte.

„Man gewöhnt sich daran“, ich tat es ihm gleich und kaute langsam, damit ich schneller satt wurde. Wir hatten nicht viel zu Essen, also mussten wir sparsam damit umgehen. Genau wie mit unserem Wasser.

„Habt ihr es eigentlich je bereut?“, fragte Raimi uns und ich hob eine Braue.

„Was denn?“

„Na ja, dass wir aus dem Waisenhaus abgehauen sind.“

Ich überlegte lange. Die Erzieher, die uns anbrüllten, die Kinder, die uns hassten...

„Nein.“, sagte ich schließlich und meinte es ernst „Nein, ich bereue es nicht und werde es auch nicht bereuen. Lieber sterbe ich, als dort zu sein.“

„Was haben die dir denn getan?“, hackte Sichi kauend nach und ich schüttelte den Kopf.

„Das versteht ihr nicht.“

„Klar tun wir das. Sag es uns.“

„Nein, ich...“, ich zögerte „Ich verstehe es selbst nicht mal.“
 

“Weißt du, damals in meiner Jugend...da habe ich fürchterliche Dinge getan, Dinge, die dir die Haare zu Berge stehen lassen würden, Dinge, aus Wut und aus Hass, den ich gegenüber der Gesellschaft hatte. Ich hielt es damals für Richtig, für die ganz große Desillusionierung. Junge, niemand ist so desillusioniert wie ein 21-jähriger, der von Null und nichts eine Ahnung hat. Also habe ich diese Dinge getan und alle haben mich dafür respektiert.“

„Mama auch?“

„-Fast alle sollte ich sagen. Aber dann hatte ich ein Kind und plötzlich kam mir diese ganze Wut nur noch lächerlich vor.“
 

Ich blinzelte und sah zum Himmel hoch. Jetzt war er klar und voller Sterne. In diesen Nächten wirkte die Welt so friedlich. So schön.

Vielleicht hatte sie schon immer so gewirkt.

Ein leichter Wind wehte und ich sah zu Sichi und Raimi neben mir. Beide schliefen tief und fest.

Schön, wenn man durchschlafen konnte.

Aber ich konnte das nicht. Immer wieder kehrten diese Erinnerungen zurück...wenn ich wach war, konnte ich sie noch zurückdrängen. Aber wenn ich schlafe, was konnte ich dagegen tun?

Nur aufwachen.

Und das tat ich.

Ununterbrochen.

Ich schloss wieder die Augen. Vielleicht könnte ich wieder einschlafen...nur kurz...ganz kurz...
 

Ich öffnete die Augen. Licht blendete mich und ich hielt mir die Hand über den Kopf, um mich dagegen zu schützen. Doch dann merkte ich, dass ich durchgeschlafen hatte. Wow.

Und dann merkte ich, dass ich mein Messer in der Hand hielt.

Erschrocken ließ ich es fallen und es blieb im Boden stecken.

Ich sah zu den anderen Beiden. Sie schliefen noch, auch wenn Sichi schon halbwach wegen dem Tageslicht war.

Ich hatte durchgeschlafen.

Wegen meinem Messer?

Nein. Das konnte doch nicht wahr sein.

Warum war ich so versessen auf dieses Messer!?

„Leute! Wir müssen weiter, schnell!“, ich rüttelte Raimi an den Schultern „Los, sonst kommen wieder die Vögel!“

„Hmhm...ja, schon gut...“, ächzte sie noch im Halbschlaf und rieb sich die Augen, ehe sie zum Himmel hoch sah. Er sah genauso aus wie gestern.

„Oh verdammt...wenn das so weitergeht, gewöhne ich mir das Schlafen ab...“, murrte Sichi, als ich ihn aufweckte und er stand gähnend auf.

„Beeilt euch!“, hetzte ich die Beiden, da ich schwören könnte, schon einige Vogelschreie zu hören. Anscheinend hörten sie sie auch, denn im nächsten Moment war die Müdigkeit weg und wir rannten los.

Frühsport.

Haha.

Ein weiterer Schrei folgte, dann schoss der Vogelschwarm über uns nieder.

Kapitel 3 - Suspiciousness

Kapitel 3 – Suspiciousness
 

„Da ist der Eingang“, sagte Sichi und wir sahen zu dem Gullideckel herunter.

Raimi nickte bloß und hob den Deckel hoch „Ich gehe vor. Dann kann ich auch erklären, dass ihr zu mir gehört.“

„Okay.“, stimmten wir nur zu und sie stieg die schmalen Metallstufen hinunter. Dann folgte ihr Sichi und schließlich ich.

Irgendwie ging alles bei uns nach Alter. Raimi war 20 und die Anführerin, Sichi 19 und so was wie der „Stellvertreter“ und ich war 18 und...nun ja, wie so oft davor gesagt, das Anhängsel.

Ich zog den Deckel hinter mir zu und wartete kurz, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, ehe ich die Stufen hinunter stieg. Die Kanalisation. Wer hätte gedacht, dass die Menschen eines Tages wie die Ratten leben würden? Wobei das hier genau genommen Mobianer waren, aber ich machte da keinen Unterschied.

Mobianer und Menschen waren doch fast gleich. Nur fand ich, dass die Mobianer so was wie eine Personifikation der Tiere waren.

Das war natürlich nicht abwertend gemeint. Im Gegenteil. Meine Meinung war ja, dass die Mobianer so etwas wie die neuen Menschen sind, da sie auch besser mit der Natur klar kamen, da teilte ich ihre Ansicht genauso.

Vielleicht war das der Grund, weswegen die Menschheit sie des Öfteren gemieden hatte. Aus Angst, dass sie eines Tages die dominierende Rasse werden würde.

Und genau das war auch eingetroffen.

„Halt!“, befahlen die beiden Wachen, die vor dem Eingang zur Stadt standen. Sie waren beinahe 2m groß und Krokodile, wenn ich das richtig sah.

„Wo kommt ihr her?“, fragte das linke Krokodil mit einem Schwert in der Hand.

„Wir sind von oberhalb“, antwortete Raimi „Die Beiden gehören zu mir.“

„Von oberhalb? Dann müssen wir euch auf Fäule untersuchen.“, erwiderte der Rechte und sie nickte zögerlich.

„Okay.“
 

Die Untersuchung war mehr als unangenehm gewesen. Zum einen, weil wir uns ausziehen mussten und zum anderen, weil die beiden Krokos sich noch über mich lustig gemacht hatten.

Ja, ich hatte viele Narben auf dem Körper und keine besonders große Oberweite, aber das war doch noch lange kein Grund mich auszulachen. Vor allem als die Beiden mich gefragt hatten ob ich ein Junge oder ein Mädchen war.

Gut, das konnte ich noch nachvollziehen. Aus praktischen Gründen hatte ich mir die Haare kurz geschnitten, sie waren nicht mal mehr schulterlang und bei meinem Namen...da erwartete man oft mehr einen Mann, als eine Frau.

Trotzdem.

Ich konnte die beiden nicht ausstehen.
 

„Mein Gott, das war ja noch unangenehmer als damals die Untersuchung im Waisenhaus“, murrte Sichi und legte sich wieder seinen Munitionsgürtel um.

Raimi und ich nickten nur. Wirklich sprechen wollten wir darüber nicht.

Da er das zu spüren schien, wechselte er einfach das Thema.

„Okay, und was jetzt?“

„Jetzt...müssen wir unser Proviant auffüllen und eine Bleibe finden...es wäre mal nicht schlecht, eine Nacht in einem Bett zu verbringen...“, erwiderte Raimi seufzend „Aber es wird schwer mit der Bleibe...nur die wenigsten nehmen Menschen an. Oder haben ein Bett in eurer Größe.“

Ich spürte die stechenden Blicke der anderen Mobianer in meinem Rücken.

Als würden sich mehr als hundert Dolche langsam in mein Fleisch bohren.

Um dieses Gefühl besser ignorieren zu können, sah ich mich um.

Die Stadt war recht groß mit etwa 3000 Einwohnern. Die Häuser waren aus Stein, da Holz und anderes Material bei der Feuchtigkeit zu schnell faulen oder rosten würde. Nichts destotrotz hatten die Mobianer es geschafft, die Bauwerke schön aussehen zu lassen. Kunstvolle Mauerwerke erhoben sich über unseren Köpfen mit Verzierungen, die ein wenig an die Renaissance – und – Barockzeit erinnerten. Die Außenwände, die die Stadt von der Kanalisation abschirmten, waren aus irgendeinem mir unbekannten Material, das zwar Luft durchließ, aber die Gerüche fernhielt. Sie war geformt wie eine Kuppel und in der Mitte der Kuppel war eine große, leuchtende Kugel befestigt, die Licht und Wärme spendete. Doch trotz der schönen Fassade und dem angeblichen Frieden, spürte ich die innere Unruhe und das Misstrauen, dass uns gegenüber gebracht wurde.

Jeder Mobianer ging uns aus dem Weg, starrte uns an als hätten wir die Pest oder tuschelte hinter unserem Rücken leise über uns.

Kleinere Kinder wurden von ihren Eltern zurückgezogen, damit sie ja nicht in unsere Nähe kamen.

Plötzlich wünschte ich mir, so klein wie Raimi zu sein. Dann könnte ich mich noch irgendwo verstecken, aber mit meinen 1.70m ragte ich weit über die Köpfe der Masse hinweg, genau wie Sichi.

„Wir teilen uns auf“, sagte Raimi schließlich zu uns „Ich hole Proviant und Wasser und ihr sucht nach einer Bleibe für uns. Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier auf dem Marktplatz, am Denkmal“

Ich sah zum Denkmal hoch, das mitten auf dem großen Platz stand. Der Markt stand um dieses Denkmal herum und war so aufgebaut, dass er wie Sonnenstrahlen von ihm wegführte.

Von Sonic.

Dem Held der Mobianern.

Ich wusste, dass es in jeder Mobianischen Stadt solch ein Denkmal gab. In einigen waren auch noch kleinere Statuen von Knuckles, Tails oder Shadow, aber Sonics war immer das größte unter ihnen.

Natürlich war er das. Immerhin hat er hartnäckig gegen Eggman gekämpft, bis zum bitteren Ende. Dass er es nicht gegen ihn geschafft hat, konnte ihm niemand vorwerfen, denn Eggman hatte einfach die Übermacht gehabt. Und als Sonic gestorben war, hatte alle Hoffnung auf Shadow geruht, der als Widerstandskämpfer gegen das Eggman Imperium angetreten ist mit seinen wenigen Verbündeten.

Auch sie waren gestorben und auch sie waren Legenden geworden.

Ich blieb noch eine Weile lang vor Sonics Statue stehen und ließ sie auf mich wirken, ehe ich mich abwandte und den Marktplatz verließ.

Es war so Schade.

Hätte Sonic damals den Kampf gewonnen, wäre all das nie passiert.

Und genau deswegen brauchten wir die Emeralds. Wir mussten in die Zeit eingreifen, das Schicksal ändern...damit die Zukunft wieder schön sein konnte.

Damit diejenigen die wir lieben nicht sterben mussten.

Natürlich war so ein Unterfangen absurd. Wie sollten wir in aller Welt an die Emeralds kommen und vor allem: Wie sollten wir sie benutzen?

Es war die Hoffnung dreier Kinder, die schon zu viel Leid gesehen hatten und aus Verzweiflung handelten. Es war ein unsinniger Plan mit null Prozent auf Erfolgschancen, doch es war auch das einzige, das dafür sorgte, dass wir noch den Willen zum Leben hatten.

Hoffnung stirbt zuletzt.

Und ist oftmals der einzige Funken Licht in einer finsteren Welt.
 

Ich glaubte nicht wirklich daran, dass wir eine Unterkunft fanden. Wahrscheinlich mussten wir wieder irgendwo auf einer Straße in einer Gasse schlafen, wie so oft davor. Doch ich musste es wenigstens versuchen.

Die meisten Gaststätten öffneten mir nicht mal die Tür, als ich klingelte. Sie sahen durch den Türspion, sagten, sie haben geschlossen und ließen mich dann stehen.

Nach etwa 6 Gaststätten hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, vor allem, da wir uns in zehn Minuten treffen wollten. Ich hoffte einfach, dass Sichi vielleicht mehr Glück hatte als ich und fragte mich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Raimi uns eine Unterkunft gesucht hätte.

Aber andererseits hätten wir dann Proviant holen müssen und wir hätten bestimmt nur verfaultes Fleisch oder so bekommen. Eben das schlechteste, was es auf dem Markt gab.

„Entschuldigung, hätten sie...“, fing ich bei der nächsten Gaststätte an, aber der Typ am Empfang wollte mich nicht mal ausreden lassen.

„Raus hier! Menschen sind hier nicht erwünscht!“, fauchte der Kater und schob mich aus der Tür raus „Na los, verschwinde!“

„Aber ich wollte doch nur...“, fing ich an, aber da hatte er mich schon rausgestoßen und die Tür vor meiner Nase zugeschlagen.

Einige der Mobianer auf der Straße blieben stehen und starrten mich an. Ich blieb auf dem Boden sitzen und wünschte mir, er würde sich auftun und mich verschlingen.

Dieses Augen...sie starrten mich an, als hätte ich die Pest. Als wäre ich ein Monster.

Ich ertrug das nicht mehr. Diese Augen, voller Verachtung und Abscheu, die sich in meinen Kopf bohrten und mir das Gefühl gaben, nicht mehr wert zu sein als der Dreck auf der Straße.

„Na komm. Ich helf' dir hoch.“, hörte ich plötzlich eine Stimme und sah auf.

Eine Pantherdame stand vor mir, etwa 20 Jahre jung. Ihr Fell glänzte schwarz und sie hatte dunkelbraune, lange Haare, in denen auf der rechten Seite eine orangene und eine grüne Strähne waren.

Sie trug ein dunkelrotes Oberteil mit einem roten Rock...aber das erstaunlichste an ihr war...

Sie hielt mir die Hand hin. In ihren grünen Augen lag weder Abscheu noch Furcht, sie sah mich nur freundlich lächelnd an.

„Ich...danke...“, murmelte ich überrascht und ließ mir von ihr aufhelfen – Auch wenn es nicht viel brachte, da sie nur knapp 1m groß war, aber der Wille zählte.

Und sie hatte mir wirklich geholfen.

Die anderen Mobianer musterten die Pantherdame verwirrt, ehe sie einfach weitergingen.

„Ich will dir aber keine Probleme machen.“, sagte ich schließlich zu ihr „Du kriegst bestimmt welche, wenn du einem Menschen hilfst.“

„Ach weißt du, die Meinung oberflächlicher Leute interessiert mich nur wenig“, erwiderte sie und fügte hinzu: „Ich hab gesehen, dass du eine Unterkunft brauchst. Ich kann dir helfen.“

„Das wäre nett...aber eigentlich suche ich eine für drei...einen weiteren Menschen und noch eine Fuchsdame...“

„Kein Problem. Ich kann euch drei Unterkunft bieten, ich habe genug Platz“, meinte sie lächelnd und ich sah sie verwundert an.

„Wow...danke...ähm...ich bin Marik, und du?“

„Pandorra.“, entgegnete sie und runzelte bei meinen Namen die Stirn „Ähm...du bist doch ein Mädchen, oder?“

„Ich weiß, mein Name ist verwirrend. Na ja, so wurde ich immer gerufen und mit der Zeit...habe ich mir das angewöhnt.“

„Ah. Okay, ich frage nicht weiter nach“, sie lachte und fragte noch: „Und wo sind deine beiden Freunde?“

„Wir wollten und am Denkmal treffen...könntest du mitkommen? Dann muss ich dich nicht suchen...“

„Klar, kein Problem.“
 

„Wo warst du so lange? Unpünktlichkeit passt nicht zu dir“, sagte Raimi mit tadelnder Stimme, als ich am Denkmal ankam.

„Entschuldige...aber ich habe noch jemanden mitgebracht...“, erwiderte ich leicht nervös und wies auf die Pantherdame hinter mir „Das ist Pandorra...sie ist bereit uns Unterschlupf zu geben...Pandorra, das sind meine Freunde Sichi und Raimi...“

„Schön euch kennen zu lernen“, sie lächelte und gab den Beiden die Hand.

„Und was willst du im Gegenzug?“, hackte Raimi misstrauisch nach.

„Nichts.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich. Ich brauche nichts.“

Raimi sah vielsagend zu Sichi und mir, ehe sie meinte: „Würdest du uns kurz entschuldigen?“
 

„Ich finde, wir sollten nicht mitgehen“, raunte Raimi uns leise zu, als wir uns von Pandorra entfernt hatten. Die Pantherdame stand nachdenklich vor dem Denkmal und sah zu diesem hoch.

„Aber warum? Sie will uns doch nur helfen!“, sagte ich.

„Du bist zu naiv“, erwiderte Sichi leise „Warum sollte sie einem Menschen helfen – Und das ganz ohne Gegenleistung? Raimi hat Recht, da stimmt was nicht!“

„Jetzt du nicht auch noch, Sichi! Was ist, wenn Pandorra einfach nur nett ist und uns helfen will?“

„Marik, ganz ehrlich: Wollte und bis jetzt irgendjemand schon mal helfen ohne etwas zu erwarten?“

Ich schluckte und schüttelte den Kopf „Ich glaube, dass sie nett ist. Wir können doch nicht immer auf der Straße schlafen.“

„Warum nicht? Wir haben das bis jetzt immer getan“

„Aber nur weil wir das immer tun, heißt das noch lange nicht, dass es gut ist!“, erwiderte ich schließlich gereizt und wandte mich ab „Mir ist es egal, was ihr tut. Ich gehe mit, von mir aus könnt ihr hier bleiben.“

Die Beiden sahen mich überrascht an. Kein Wunder. Das war das erste Mal, dass ich mich gegen sie wandte und meine Meinung deutlich machte. Sonst stimmte ich einfach immer dem zu, was sie sagten.

Aber ich wollte einfach nicht mehr. Pandorra war die Erste, die mir jemals geholfen hatte und das aus freien Stücken. Seit Raimi und Sichi war sie die erste Person, die mich nicht ansah als wäre ich eine Missgeburt, trotz meiner Narben im Gesicht.

„Also, kommt ihr mit?“, fragte Pandorra, als ich wieder zu ihr zurückging.

„Ich...“

„Wir kommen mit“, antworteten Sichi und Raimi einstimmig. Diesmal sah ich sie verwundert an.

„Hey wenn du ihr vertraust, tun wir das auch“, meinte er und klopfte mir auf die Schulter „Außerdem kann ich dich im Nachhinein damit aufziehen, dass ich Recht hatte.“

Ich sah ihn dankbar an und Raimi zwinkerte mir aufmunternd zu.

„Na schön, dann kommt“, sagte Pandorra und winkte uns zu sich, ehe sie loslief.
 

„Wow“, machte ich erstaunt, als wir vor ihrem Haus standen...oder eher Anwesen. Es war ein gigantisches, aus Stein gebautes, viktorianisches Haus mit einem Torbogen aus Mamor. Die Gitter am Tor waren vergoldet und eine mit Kies ausgeschüttete Einfahrt führte zu dem riesigen Eingang des Hauses.

Jeweils links und rechts säumten kunstvolle Mamorstatuen die Einfahrt und eine halbrunde, weiße Treppe, auf der wunderschöne Säulen standen, führten zur Tür.

Sichi stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

„Das ist mal'ne Villa.“

„Es hat meinem Vater gehört“, sagte Pandorra und schloss das Tor auf „Aber mittlerweile wohne ich alleine da drin.“

„Alleine?“, wiederholte ich und sah zu dem riesigen Haus.

Bestimmt fühlte man sich in so einer Villa richtig einsam. Vielleicht hatte sie uns deshalb eingeladen.

„Das sich dein Vater so etwas leisten kann...“, meinte Raimi bewundernd.

„Er hat es selbst gebaut. Damit ich etwas davon habe“

„Respekt“, murmelte ich und traute mich gar nicht so recht, auf die weißen Marmortreppen zu treten.

Wir drei waren Waisenkinder. Von so einem riesigen Haus konnten wir nur träumen.

Trotzdem fühlte ich mich nicht fehl am Platz. Pandorras Gastfreundschaft glich das ganze wieder aus.

Aber so wirklich allein lebte sie nicht. Ich sah viele Diener herumeilen, die uns Vieren etwas zu Essen machte und die Zimmer für uns vorbereitete.

Pandorra bot uns sogar an, ihre Schneider damit zu beauftragen und Kleidung zu nähen, damit wir für die morgige Abreise gescheite Kleidung hätten.

Innerlich hätte ich gerne zugestimmt...aber natürlich taten wir das nicht. So viel von ihr abzuverlangen wäre unhöflich gewesen, es war ja schon überwältigend das sie uns etwas zu essen gab.

Und was auch noch kaum zu glauben war – Sie hatte Betten, die zwei Meter maßen!

Endlich mal ein Bett, auf das ich auch passte.

Es war einfach perfekt.

Na ja, vielleicht etwas zu perfekt.

Langsam wurde auch ich misstrauisch.

Konnte es wirklich bloß ein Zufall sein, dass sie uns zu sich eingeladen hatte und so große Betten hatte? Konnte sie wirklich so großzügig sein und uns zu Essen geben, uns Kleider anbieten...ohne etwas dafür zu verlangen?

Raimi hatte vielleicht Recht. Vielleicht war ich doch zu naiv.

Und jetzt lag ich wach in meinem weichen, kuscheligen Bett und fragte mich, wo ich wohl morgen aufwachen würde.

Auf einem Markt bei einem Sklavenhändler? Auf der Oberfläche, umgeben von den Vögeln? Auf der Straße, ohne jegliche Erinnerung oder ohne meine Habseligkeiten?

Oder würde ich überhaupt aufwachen?

Und wenn doch...wo wären dann Raimi und Sichi?
 

„Sieh ganz genau hin. Ja, siehst du es? Die Knochen? Das Fleisch? Das Blut? Wie schön es fließt aus der Wunde? Fließt das Blut vertraue drauf, nach 7 Litern hört es auf...“

„Ich verstehe das nicht...was...was ist passiert? Was hat Mama denn...?“

„Ich sag' dir, was passiert ist, Kind: Gerechtigkeit.“
 

Ich fuhr hoch.

Licht schien mir direkt ins Gesicht und panisch schirmte ich mir die Augen ab, sah mich hektisch um.

Wo war ich?

Ich sah Bücherregale vor mir. Ein schwarzer Ohrensessel. Ein Kamin.

Genau. Ich war...bei Pandorra.

Im Zimmer.

Es war nichts geschehen.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und stand mit zittrigen Knien auf.

Blöder Albtraum.

Ich entdeckte meine Klamotten auf dem Sessel und zog mich schnell an, ehe ich die Tür öffnete und auf den Flur hinaus spähte.

Niemand da.

Ich beschloss, zuerst mal in den großen Saal zu gehen. Vielleicht waren Sichi und Raimi schon wach...oder Pandorra...

Mit möglichst leisen Schritten lief ich den Flur entlang und öffnete dann die große Flügeltür, die zum Speisesaal führte.

„Ah, du bist wach“, begrüßte mich Pandorra mit einem Lächeln. Sie saß am Ende des langen Ti¬sches und nippte an ihrer Tasse.

„Ich...ähm...Wo sind Raimi und Sichi...?“

„Die schlafen noch, glaube ich. Setz dich, das Frühstück ist bald fertig.“

„Ich habe keinen...“, fing ich an, doch dann knurrte mein Magen und ich wurde rot.

„Okay“, meinte ich dann nur und setzte mich etwas unsicher neben Pandorra.

„Wann wollt ihr wieder los?“

„Ich weiß nicht...das entscheidet Raimi...“

„Warum reist ihr eigentlich herum?“, fragte sie dann und legte den Kopf schief „Das ist ziemlich ungewöhnlich...“

„Ich weiß...na ja...“, ich zögerte. Sollte ich es ihr verraten?

Na ja...viel damit anfangen könnte sie ja nicht...höchstens versuchen es uns auszureden, aber das haben schon viele getan.

„Wir wollen die Chaos Emeralds finden und in die Zeit eingreifen“, erzählte ich schließlich stockend „Und...wir wollen dafür sorgen, dass Sonic den Kampf gegen Eggman gewinnt, dann würde unsere Welt wieder friedlich sein...“

Pandorra sah mich erstaunt an. Und dann nachdenklich.

„Und...wie wollt ihr sie finden?“

„Das...Das wissen wir nicht...wir haben gehofft hier einen Anhaltspunkt zu finden...ich weiß, die Idee ist schlecht durchdacht und bescheuert, aber...“

„Das ist sie nicht“, unterbrach sie mich ruhig „Schlecht durchdacht ja, aber bescheuert auf gar keinen Fall. Sie ist sogar genial.“

„Ja, aber...“

„Ich kann euch helfen“, unterbrach sie mich wieder, mit einem entschuldigenden Lächeln „Ich weiß, wie ihr die Emeralds finden und anwenden könnt.“

Ich blinzelte überrascht.

„Ach wirklich? Wie denn?“

Sie zwinkerte mir vielsagend zu.

„Kennst du einen gewissen Shadow the Hedghog?“

Kapitel 4 - Trust

Kapitel 4 – Trust
 

„Shadow the Hedgehog? Natürlich kenne ich ihn!“, ich saß mit Pandorra zusammen am Speisetisch. Nach und nach wurden diverse Brötchen, Würste und Gemüsesorten auf diesen gestellt und es roch köstlich.

Doch jetzt war meine Neugier größer als mein Hunger, weswegen ich dem Essen keinen Blick würdigte.

„Er war doch der, der den Widerstand gegen Eggman angeführt hat!“

„Genau“, stimmte sie zu und nippte wieder an ihrem Kaffee.

„Und?“

„Er kann euch helfen.“

Ich blinzelte.

„Aber...er ist doch tot“

„Nicht ganz“, erwiderte sie geheimnisvoll „Er ist verschwunden. Seine Leiche wurde nie gefunden.“

„Aber...selbst wenn er den Kampf überlebt hat...dann müsste er doch über 100 Jahre alt -“, ich stockte.

Pandorra merkte, dass bei mir der Groschen gefallen war und zwinkerte mir zu.

„Na?“

„Er ist zeitlich unsterblich“, sagte ich langsam „Und...und er lebt noch?“

„Genau. Er kann die Emeralds kontrollieren, er kann Eggman aufhalten.“

Mein Herz fing an höher zu schlagen.

Ja! Das war es! Die Lösung...nur...

„Wo ist er?“

„Tja, das ist das Problem. Niemand weiß es“, entgegnete sie nachdenklich und meine Hoffnung zerplatzte.

„Aber ich weiß, wo er zuletzt gesehen wurde und wo er immer wieder auftaucht“, fügte sie dann nach einer Weile hinzu.

„Jetzt spann mich nicht so auf die Folter! Wo denn?“, drängte ich sie. Mittlerweile war ich so aufgeregt, dass ich mit den Fingern auf dem Tisch trommelte.

„In Station Square. Dort, wo Sonic gestorben ist“, antwortete sie schlussendlich, nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte „Dort soll immer wieder ein schwarz-roter Schatten aufgetaucht sein, wie ein Geist.“

In meinem Kopf drehte sich alles.

Shadow...lebte? Und er konnte uns helfen?

Die Frage woher sie das wusste kam mir gar nicht in den Sinn. Alles drehte sich nur noch um den Plan, um unsere Idee.

Wir konnten sie umsetzen.
 

„Was!?“, machte Sichi, als ich unser Gespräch fertig nacherzählt hatte „Shadow lebt?“

„Und ist in Station Square?“, hackte Raimi ungläubig nach „Wie kann das sein? Warum hat er sich nie gezeigt?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte ich. Aber das war gelogen.

Natürlich verstand ich es.

Er hielt sich bestimmt für einen Verlierer. Er hatte es nicht geschafft die Welt zu retten oder zu beschützen und dafür schämte er sich.

Jedenfalls dachte ich das. Es kam mir logisch vor.

Denn gegen was sollte er jetzt kämpfen? Wen sollte er beschützen?

Es war zu spät. Man konnte ja schlecht gegen Mutter Natur antreten.

Aber...Shadow war doch bestimmt schon selbst auf die Idee gekommen die sieben Emeralds zu suchen...

Egal. Das alles würde ich ihn fragen, wenn ich vor ihm stünde.

„Wir müssen sofort los!“, sagte ich mit neu geweckter Hoffnung.

„Und wie sollen wir ihn finden? Station Square ist groß. Und er ist nicht immer da. Und außerdem...“, warf Raimi ein, doch ich hörte ihr gar nicht mehr zu.

Wir würden eine Legende treffen! Vielleicht war ich voreilig, aber...wir würden eine Legende treffen!

„Ich kann euch helfen...wenn ich mit euch kommen darf“, sagte Pandorra plötzlich und wir sahen sie überrascht an.

„Ich weiß nicht...kannst du dich selbst verteidigen?“, hackte Sichi nach „Nicht, dass du uns dann ein Klotz am Bein bist.“

„Beantwortet das deine Frage?“, sie zeigte auf eins der Brötchen. Ein schwarzer Blitz schoss aus ihrem Finger und pulverisierte es.

Er sah sie ungläubig an, ehe er langsam meinte: „Okaay...ich glaube dir mal...“

„Wenn du uns helfen willst, kannst du natürlich mit!“, meinte ich zuversichtlich und Raimi runzelte die Stirn.

„Aber wie willst du uns helfen?“

„Ich kenne da jemanden, der weiß, wo Shadow genau ist“, erwiderte Pandorra nur grinsend

„Also, kann ich nun mit oder nicht?“
 

Einige Stunden später waren wir wieder in den Einöde unterwegs. Der Himmel war wieder schwarz, rote Blitze zuckten und es war kalt. Gott sei Dank hatte Pandorra – trotz unserer Verweigerung – Kleider für uns nähen lassen, sodass die Kälte erträglich war und wir nicht erfroren.

Im Laufe der Reise hatte Pandorra uns über viele Dinge ausgefragt und auch über sich selbst erzählt, sodass ich nun ein besseres Bild von ihr hatte. Sie war wie Raimi der Meinung, dass nicht die Menschen Schuld an der Katastrophe waren, sondern nur Eggman. Man konnte, ihrer Ansicht nach, doch nicht eine ganze Rasse für das verurteilen, was ein einziger getan hatte.

Wir verstanden uns gut mit ihr und auch Raimi verlor langsam ihr Misstrauen ihr gegenüber. Sichi schien sie auch sympathisch zu finden, wenngleich ihre Blitzkräfte ihm gehörigen Respekt eingeflößt hatten – Nicht das er Angst vor ihr hätte, aber er hat selbst offen gesagt, dass er sich nie mit ihr anlegen würde.

Ich mochte Pandorra irgendwie. Sie konnte sich durchsetzen und war trotz ihres Reichtums nicht arrogant oder ähnliches. Außerdem konnte man sich auch mal mit ihr über philosophische Dinge unterhalten und ernsthaft reden.

Das konnte ich zwar mit Sichi und Raimi auch...nur war es mit der Pantherdame einfach ernster.

„Wie viele Tage ist Station Square entfernt?“, fragte ich sie.

„Nur zwei. Ihr seid schon ziemlich weit gekommen“, meinte sie anerkennend „Wie habt ihr das geschafft?“

„Sichi kann gut kämpfen, Raimi ist eine Heilerin...“

„Und du?“

„Ähm...“, ich hob die Schultern „Ich weiß nicht...ich bin das Anhängsel...“

„Sie kann sich auch gut verteidigen“, mischte Sichi sich ein „Letztens hat sie mich vor irgend so einem Tier beschützt...sah ein wenig aus wie ein Löwe...“

„Ja, stimmt...“, murmelte ich bloß. Wirklich stolz war ich darauf nicht.

„Du wirkst nicht so, als würdest du Tiere töten“, behauptete Pandorra mit nachdenklichem Blick.

„Tue ich normal auch nicht...es war bloß ein Notfall...“

„Wenn es ein Notfall war, war es auch nichts Schlimmes.“

„Aber es hat doch auch nur versucht zu leben“, erwiderte ich leise für mich, aber sie schien es verstanden zu haben, da sie noch nickte und schließlich Richtung Himmel sah.

„Es wundert mich, dass die Vögel noch nicht aufgetaucht sind“, bemerkte Raimi misstrauisch „Ich fühle mich so beobachtet...“

„Das liegt bestimmt an den Blitzen. Die verschrecken die Vögel“, erwiderte die Pantherdame und ich runzelte die Stirn.

„Aber...wir wurden auch angegriffen, als die Blitze da waren“

„Dann weiß ich es nicht.“, sagte sie ratlos „Hören wir besser auf darüber zu reden. Sonst beschwören wir noch das Unheil herauf...und ich würde gerne in ganzen Stücken nach Station Square kommen, nicht im Magen eines Vogels“
 

Den ganzen Fußmarsch über, war es unheimlich still. Kein Vogel schrie, nur das donnern der Blitze war zu hören.

Sonst nichts.

Als ob alles tot wäre.

„Diese Stille ist mir echt unheimlich“, sagte ich, um das Schweigen zwischen uns zu brechen. Mittlerweile war der weiche Wüstensand einem harten, verkrusteten Boden gewichen. Es sah aus, als wäre Lava hier getrocknet und hätte sich in Gestein verwandelt. Der Boden war rissig und das innere der Risse glühte rot.

Ich sprang erschrocken zur Seite, als Feuer aus einem Spalt schoss.

„Aaah!“, machte ich entsetzt, als mein Oberteil anfing zu brennen und klopfte es eilig aus.

„Vorsicht, ich glaube, der Boden kann hier aufbrechen“, warnte Raimi mich.

„Ach neee, wirklich?“, erwiderte ich sarkastisch und folgte ihr wieder. Dabei versuchte ich mich möglichst leicht zu machen...es war, als würden wir über dünnes Eis gehen.

Nur, dass das Eis in diesem Fall eine dünne Schicht vulkanischen Gesteins war, dass so aussah als würde es uns gleich unter den Füßen wegdriften und uns in die Lava darunter stürzen lassen.

Irgendwie wäre mir Eiswasser dann doch lieber.

„Gott sei Dank bin ich nicht mehr so fett wie früher“, hörte ich Sichi murmeln. Früher war er wirklich sehr pummelig gewesen, doch durch die lange Reise war er genauso spindeldürr geworden wie wir. Ein Strich in der Landschaft.

Urplötzlich hörte ich ein Rumoren.

„Bitte sag mir, dass das dein Magen war“, flüsterte ich ihm zu. Er war bleich geworden und schüttelte langsam den Kopf.

Kurz erstarrten wir alle, ehe Raimi schrie: „Lauft!“

Wir rannten sofort los, Pandorra am schnellsten von uns, da sie einen Vorteil durch ihre Rasse hatte.

Der Boden brach auf und bildete kleine Gesteinsinseln, auf denen wir traten um vorwärts zu kommen. Ein zischendes Geräusch erklang, dann schossen Lavaechsen – und Schlangen aus dem Inneren und spuckten Feuer nach uns.

„Ich hasse diesen Planeten!“, japste Sichi, als ein brennender Brocken, den die Schlangen ausspuckten, ihn nur knapp verfehlten.

Ich rannte keuchend weiter und versuchte dabei den Echsen auszuweichen und gleichzeitig nicht in die herausquellende Lava zu treten. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich schwitzte und ich hatte panische Angst davor, gleich zu verbrennen. Meinen Freunden schien es nicht besser zu gehen.

Plötzlich schoss eine Feuerschlange direkt vor mir aus dem Boden und ich schrie erschrocken auf.

Sie richtete sich bedrohlich auf, öffnete den Mund um einen brennenden Brocken zu schießen...ich hob die Arme vors Gesicht um mich zu schützen und dachte gleichzeitig, wie lächerlich das doch war. Gegen so einen Angriff könnte ich mich nicht schützen, er würde mich verbrennen und dann wäre alles vorbei.

Doch im nächsten Moment schoss ein schwarzer Blitz auf das Monster. Mit einem Platschen zersprang es und es regnete Feuer auf mich herunter. Doch das meiste erlosch noch in der Luft und ich bekam nur Asche ab.

„Alles in Ordnung?“, fragte Pandorra und ich blinzelte verwirrt.

„Ich...danke...“, sagte ich erstaunt. Sie hatte mir zum zweiten Mal geholfen.

„Bedank dich, wenn wir hier lebend raus kommen!“, sie packte meinen Arm und rannte los.

Ich konnte nur mit Not und Mühe mithalten, aber ich schaffte es. Wahrscheinlich auch, weil sie langsamer lief, sonst wäre ich gar nicht hinterher gekommen.

Sofort sah ich mich nach Sichi und Raimi um – Sie lagen weiter hinten, aber sie lebten noch, auch wenn Sichi ein paar Verbrennungen am Arm hatte.

Ich hätte gerne gefragt ob alles in Ordnung wäre, doch dazu hätte ich brüllen müssen – Und ich wollte nicht unnötig die Aufmerksamkeit der Monster auf mich ziehen.

Die Pantherdame schoss einige Blitze auf eine Echse, die uns anfallen wollte und zog mich weiterhin mit sich. Langsam brannten meine Beine wie Feuer, aber ich konnte jetzt nicht schlapp machen! Vor allem, da ich weiter vorne schon festen Boden sah. Die Lava schien dort schon mehrere Jahre lang getrocknet zu sein und hatte sich in festes, vulkanisches Gestein verwandelt, aus der keine Lava schoss und auch keine Monster.

„Los, den Rest schaffen wir auch noch!“, hörte ich Raimi zu Sichi sagen. Ich wusste, dass Sichi von uns allen wohl am wenigsten Ausdauer hatte und machte mir langsam Sorgen um ihn.

Aber ich wusste auch, dass Raimi ihn im Notfall hinter sich her schleifen würde und dass er wohl stur genug war, um durchzuhalten.

Eine Feuerfontäne schoss vor uns aus dem Boden.

Pandorra blieb abrupt stehen und wich aus, wobei sie mich zum Glück wieder mitzog, sonst wäre ich direkt in das Feuer hinein gerannt.

Der Boden brach auf und die Gesteinsinseln wurden immer kleiner. Schließlich standen wir vor einem großen Spalt aus Lava.

„Spring!“, befahl Pandorra harsch und bevor ich etwas erwidern konnte, war sie schon im Rennen abgesprungen und landete auf der anderen und sicheren Seite.

Ich keuchte. Da würde ich doch nie rüber kommen! Aber anhalten konnte ich auch nicht, der Spalt wurde immer größer und größer...Letzten Endes schloss ich die Augen und sprang.
 

Ich spürte, wie die Luft an meinen Ohren vorbei zischte und merkte, wie ich fiel.

Ich würde es nicht schaffen. Mein Herz raste und meine Lungen brannten und ich würde es nicht schaffen.

Panisch hielt ich die Augen zusammengekniffen, aus Angst hinzusehen...

...und dann...

Landeten meine Füße auf einem harten Boden und ich fiel auf die Knie.

Meine Beine taten weh und es fühlte sich an, als hätte man meine Knochen zusammengepresst, aber...

Ich lebte.

Langsam öffnete ich die Augen und sah vor mir Pandorra.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie und ich blinzelte.

„Ich...ja...u-und Danke“, erwiderte ich erleichtert. Kurz verspürte ich den Drang mich hinzulegen und mich auszuruhen, als mir Sichi und Raimi einfielen.

Angst packte mich wieder. Ruckartig drehte ich mich um, um nach den Beiden zu sehen.

Sie waren bald beim Spalt angekommen...doch dieser war mittlerweile so weit aufgebrochen, dass ein Sprung darüber unmöglich war.

Oh Gott.

Sie saßen fest.
 

Doch als ich beinahe schon die Hoffnung aufgegeben hatte, packte Sichi plötzlich Raimi und setzte sie sich auf die Schulter, ehe er sprang und auf einer kleineren Insel landete. Das machte er so, dass die Insel Schwung bekam und über die Lava glitt, in unsere Richtung. Sie prallte am Rand des Spaltes ab und die Beiden flogen auf die sichere Seite, direkt neben mich.

„Oh Gott!“, rief ich erleichtert und nahm erst mal beide in die Arme „Ich dachte schon, ihr sitzt fest!“

„Ich hasse diesen Planeten“, ächzte Sichi nur und ich ließ meine Freunde los. Sie blieben keuchend sitzen und versuchten erst mal, ihr Herz zu beruhigen, genau wie ich.

„Zum Glück haben wir es alle geschafft“, sagte Pandorra, die kein bisschen angestrengt wirkte.

Kein Wunder, sie war ein Panther.

„Ist...ist die...Gefahr vorbei?“, japste Raimi und nahm ein paar Schlucke aus ihrer Wasserflasche.

„Fürs erste ja“, meinte ich und klopfte auf den Boden „Der ist jedenfalls fest. Also können wir unbesorgt darauf laufen...“

„Ich wette, dass jetzt diese Vögel auftauchen.“, murrte er und musterte seinen verbrannten Arm „Irgendein Problem haben wir ja immer am Hals.“

Wie auf Kommando erklang ein Vogelschrei.

Ich stand nur mühsam wieder auf. Meine Lunge brannte noch immer, aber mein Herz hatte sich etwas beruhigt und meine Beine fühlten sich nicht mehr an wie Gummi.

„Okay, wir müssen weiter“, sagte ich bemüht ruhig und Pandorra nickte seufzend.

„Habe ich schon mal erwähnt, dass ich diesen Planeten hasse?“, hörte ich Sichi noch leise knurren, ehe wir aufstanden und weiter rannten.

Kapitel 5 - Hope

Kapitel 5 – Hope
 

Mit brennenden Lungen und klopfendem Herzen sprang ich hinter einen LKW und zog den Kopf ein. Die aufgebrochene Straße gab mir Schutz, genau wie dieses Wrack, sodass die Vögel nur noch kurz über der Stadt kreisten und dann langsam wieder verschwanden.

Ein letzter Schrei ertönte.

Dann waren sie weg.

„Gott sei Dank“, ächzte ich und sah zu meinen Freunden.

Pandorra hatte sich neben mir versteckt, Raimi war in ein umgestürztes Haus geflüchtet und Sichi war durch das zerbrochene Fenster eines Hochhauses geklettert.

Wir waren da.

Station Square. Es waren genau zwei Tage vergangen, da wir, abgesehen von der Nacht, einfach nur durch gerannt waren. Diese blöden Vögel hatten uns die ganze Zeit gejagt und wir hatten Glück, dass sie in der Nacht ebenfalls müde geworden waren und sich verzogen hatten. Daraufhin hatten wir, mit abwechselnder Wache, die Nacht auf dem Vulkangestein verbracht und am frühen Morgen sind wir wieder gerannt.

Jetzt saßen wir alle keuchend auf der gebrochenen Straße in Station Square. Auch hier waren die Häuser umgefallen, zertrümmert, die Fenster waren zerbrochen, Autos lagen herum...man konnte deutlich erkennen, dass hier ein heftiger Krieg getobt hatte.

Aber nicht nur wegen dem Chaos, nein, auch wegen der bedrückenden Stille.

Kein Geräusch erklang. Weder von Tieren, noch vom Wind ,noch von sonst irgendwas.

Ich spürte die Trauer in diese Stadt, die jedes einzelne Skelett verströmte, die Einsamkeit, die Verzweiflung.

Hier hatte Sonic seinen letzten Kampf ausgetragen und sein Leben als Held geopfert.

Und doch hatte es nicht geholfen.

Wie viele Lebewesen waren hier gestorben, im Kampf und auch nach dem Kampf, als Eggman die ersten Bomben abwarf? Wie viele Familien hatte er zerstört? Wie viele Kinder hatte er getötet?

Ich fragte mich, ob sie damals das Unheil erwartet hatten, oder ob es vollkommen unvorhergesehen passiert war. Ob die Kinder zu Hause waren, oder in der Schule gestorben sind. Ob sie alleine gestorben waren, oder mit jemandem, den sie geliebt hatten.

Hastig schüttelte ich den Kopf.

Ich hasste Städte. Immer wenn ich in einer menschenleeren Stadt war, wurde ich so depressiv.

Doch andererseits war das auch beruhigend. Es war menschlich, dass ich mich noch für die Schicksale anderer Leute interessierte und es zeigte, dass ich kein herzloses Monster war, dass in seiner Blutgier alles töten wollte. Auch wenn ich so versessen auf ein Messer war.

„Okay, und wo ist dieser jemand, die Shadow kennt?“, wollte Sichi jetzt von Pandorra wissen und sie sah sich etwas um.

„Wir müssen...zum Rathaus“, erwiderte sie schließlich bestimmt und stand auf.

„Wie heißt dein Kontakt überhaupt?“

„Ihr Name ist Ciel. Und sie ist so etwas wie eine alte Bekannte von mir“, erzählte die Pantherdame, während wir in die besagte Richtung liefen und ihr folgten.

„Ich weiß nicht genau, was für eine Beziehung sie zu Shadow hat, aber sie kennt ihn und ist auch öfters in seiner Nähe.“

„Ist sie ein Mobianer...?“

„Ja, eine Katze.“, sie nickte „Aber sie hat auch nichts gegen Menschen.“
 

Im Laufe des Weges zum Rathaus gingen wir durch ganz Station Square.

Die Stadt war wirklich übel zugerichtet. Es lagen viele Skelette auf dem aufgebrochenen Asphalt und die meisten davon waren nicht mal ganz. Einige waren auch schon zu Staub zerfallen oder die Knochen lagen verstreut auf dem Platz herum.

Ich achtete genau darauf, dass ich auf keinen Knochen trat, kein Skelett streifte oder auch nur in die Nähe davon kam. Zum einen, weil ich Angst hatte sie würden gleich nach mir greifen und zum anderen, weil ich Respekt hatte. Vor den Toten sollte man den meisten Respekt haben.

Am liebsten hätte ich sie alle aufgesammelt und anständig begraben. Oder zumindest zusammen gesetzt.

Die Seele fand doch bestimmt keinen Frieden, wenn die Einzelteile des Körpers verteilt herum lagen.

Jedenfalls glaubte ich das.

Ich war nicht besonders religiös, eigentlich glaubte ich nicht mal an Gott. Für mich war nicht Gott der Verursacher von allem, sondern Mutter Natur. Die Erde ernährte uns, sie beschützte uns und sie erhielt uns am Leben – Nun ja, zumindest hat sie es früher mal getan.

Je länger ich in dieser Welt umher wandelte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, dass die Natur uns hasste. Wir Menschen waren doch wirklich der Grund für ihr Leiden.

Ich will jetzt nicht wieder die Schuld von Eggman auf alle schieben, nein. Aber jeder Mensch, der Plastik achtlos fallen lässt, jeder Mensch, der Produkte aus Massenviehzuchthaltungen kauft, jeder Mensch, der eine Zigarette wegwirft und sie nicht austritt...jeder von uns hat schon einmal etwas getan, dass der Natur schadet. Und sei es für uns eine noch so „kleine“ Sache, Mutter Natur hatte darunter gelitten.

Vielleicht war sie deswegen jetzt so.

Sie hat uns immer beschützt und ernährt und was haben wir ihr dafür gegeben?

Wir haben ihre Wälder niedergemäht, haben ihre Ozeane beschmutzt, haben die Ozonschicht zerstört...all das aus Bequemlichkeit. Damit wir ein besseres Leben haben konnten.

Ich könnte gut verstehen, wenn sie uns deswegen hassen würde.

Immer nur ausgenutzt werden...mit der Zeit würde mich das auch wütend machen.

Sehr wütend sogar.

„Hey – Habt ihr das gesehen?“, fragte Sichi plötzlich und ich blinzelte.

„Was?“

„Ich glaube, da hat sich was bewegt. Hinter dem Autowrack da“, sagte er und wies auf einen roten Metallhaufen.

„Da ist nichts“, erwiderten Raimi und Pandorra Kopfschüttelnd.

„Aber ich hätte schwören können...“, murmelte er nur leise in sich hinein und ich sah mich aufmerksam um.

Ich wusste, was Sichi meinte. Schon den ganzen Weg über fühlte ich mich beobachtet, als ob mir ein Schatten folgen würde. Aber für mich war das normal in einer Geisterstadt.

Doch wenn er es plötzlich auch merkte...

Ein Luftzug streifte meine Haare und ich drehte mich ruckartig um.

Nichts.

Langsam wurde mir das unheimlich.

Kurz starrte ich noch angestrengt in die Dunkelheit der Häuser, ehe ich mich wieder umdrehte.

„Raimi, ich glaube wir...“, fing ich an, ehe ich inne hielt.

„Raimi? Sichi? Pandorra?“, ich blinzelte.

Keiner da.

„Leute? Das ist nicht lustig!“, rief ich nervös „Hey! Wo seid ihr??“

Ich rannte vor bis zu einer Straßenkreuzung und sah nach links und rechts.

Auch nichts.

Wo waren sie denn nur?

„Kommt schon, ich finde das echt nicht lustig!“, rief ich wieder, in der Hoffnung, das wäre nur ein blöder Streich.

Doch irgendwas stimmte hier nicht.

Es war nicht ihre Art, mir so einen derben Streich zu spielen. Nicht, wenn die Situation ernst war.

Und das war sie.

„Leute!“, brüllte ich, mit einer Mischung aus Angst und auch Wut „Wo seid ihr!?“

Vielleicht waren sie ja irgendwo abgebogen als ich mich abgewandt hatte.

Aber...die Straße war doch noch kerzengerade. Und an der Kreuzung hatte ich sie auch nicht gesehen.

Wieder kam ein Luftzug auf. Ich hörte ein leises Klingeln, als wenn sich eine Ladentür geöffnet hätte.

Verwirrt sah ich mich wieder um.

War der Himmel nicht eben schwarz gewesen? Jetzt war er plötzlich blutrot...

Die Schatten auf der Straße wurden länger und schienen auf mich zu zukommen.

Ich stolperte einige Schritte zurück.

Was war hier los?

Warum verfolgten die Schatten mich?

Und wo waren meine Freunde???
 

Wieder ertönte ein leises Klingeln. Wie auf Kommando rannte ich los, die Schatten schossen mir hinterher und kreisten mich langsam ein. Mein Herz schlug höher und ich spürte Panik in mir aufsteigen.

“Du kannst nicht entkommen...“

Ich stolperte kurz über ein Auto teil, ehe ich mich wieder fing und weiter rannte.

Es war ein jämmerliches Gefühl gejagt zu werden. Man wusste, dass man nicht fliehen konnte, aber man rannte trotzdem weiter. Die Angst trieb einen an und der Wille zu Leben.

Der Wille zu Leben...

Das ganze Leben war ein einziger Kampf in dieser Welt. Entweder man war der Gejagte oder der Jäger.

Doch aussuchen konnte man es sich nicht. In dieser Welt, waren die Menschen immer die Gejagten, egal, wie sehr sie sich bemühten es nicht zu sein. Ich fühlte mich wie ein Hamster, dem man einen Stock an den Kopf gebunden hatte, an dem etwas zu essen hing und den man dann in ein Rad stellte. Egal wie sehr ich rannte oder wie lange, ich würde nie an mein Ziel ankommen.

Als würde ich ein blödes Spiel spielen...

Einer der Schatten packte meinen Fuß.

Das ist keine Redewendung, er packte wirklich meinen Fuß. Es fühlte sich an, als würde die Dunkelheit nach meinem Herz greifen. Die Kälte breitete sich an meinem Knöchel aus und lähmte langsam meinen ganzen Körper, bis ich nicht keine Kontrolle mehr über ihn hatte und einfach umkippte.

Ich spürte die Kälte überall, als die Schatten immer näher kamen um meine Seele zu verschlingen.

Und gleichzeitig hatte ich schreckliches Mitleid mit ihnen.

Die Schatten...

...sie waren ein Teil dieser Stadt.

Die übrig gebliebenen Seelen, die keine Ruhe fanden.

“Du hast mich nicht beschützt...“, hörte ich einen der Schatten leise flüstern und erstarrte.

Nein. Das konnte doch nicht wahr sein.

Nicht sie.

“Du hast mich nicht beschützt...“

Die Schatten verdichteten sich zu einer kleinen, mädchenhaften Gestalt. Sie war komplett aus schwarzem Nebel und hatte keine Augen.

In ihrer Hand hielt sie ein kleines Buch.

“Du hast mich nicht beschützt...

„Nein, bitte nicht“, flüsterte ich mit erstickter Stimme. Plötzlich fühlte ich mich Hundeelend, während eine weitere Gestalt erschien.

“Meine kleine Prinzessin...“

Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Oh Gott.

Bitte nicht.

Bitte nicht schon wieder.

Die Gestalt beugte sich zu mir hinunter. Seine Augen waren schwarze Löcher, aus seinem Mund floss Blut und tropfte auf mein Gesicht.

“Sieh ganz genau hin. Ja, siehst du es? Die Knochen? Das Fleisch? Das Blut? Wie schön es fließt aus der Wunde? Fließt das Blut vertraue drauf, nach 7 Litern hört es auf...“ , zischte die Gestalt und ich versuchte meine Hände zu heben, aber mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Die Schatten hatten sich wie Fesseln über ihn gelegt und tackerten mich auf dem Boden fest.

“So ein Kind wie du hat es noch nie gegeben...“ , flüsterte er mit höhnischer Stimme “Du hast sie alle sterben lassen...deine Familie...“

„Nein! Ich war es nicht!“, schrie ich und merkte, wie mir immer kälter wurde.

Und wie müde ich gleichzeitig wurde.

“Du bist kaputt. Nicht mehr zu retten...„ , hörte ich die Schatten leise raunen.

“Bald ist es vorbei. Dann musst du nie wieder Angst haben...“

Ich spürte, wie die Schläfrigkeit mich ergriff. Mühsam versuchte ich, meine Augen offen zu halten, aber es war so anstrengend...

“Das Leben wird nicht besser. Du kannst es ebenso gut gleich beenden. Du entkommst dem Schmerz. Du entkommst der Verlogenheit. Das Leben ist nichts als ein erniedrigender Kampf.

Die Toten sind die Glücklichen.“

Langsam fielen mir die Augen zu.

Die Kälte war verschwunden. Stattdessen spürte ich eine angenehme Wärme.

Alle Angst war von mir abgefallen und ich wehrte mich nicht mehr.

“Bald ist es vorbei, Marik. Du hast schon so viel gelitten“

Ich wollte mich an meine Freunde klammern. Wie damals, als ich klein war und hoffte, den Albträumen entrinnen zu können, wenn es mir nur gelang einen hellen Gedanken beim Einschlafen fest zu halten.

“Verzeih mir“

Ich wusste nicht, ob ich es selbst gesagt hatte oder die Stimme.

Und in dem Moment spürte ich den Schmerz.
 

„Hey! Aufwachen!“

Ich fuhr ruckartig hoch und blinzelte.

Raimi, Sichi und Pandorra standen um mich herum und sahen mich besorgt an.

„Wa – Was ist passiert?“, fragte ich verständnislos.

„Du bist plötzlich ohnmächtig geworden. Und als du angefangen hast wie am Spieß zu schreien, hab ich dir eine Ohrfeige gegeben“, erklärte Sichi schlicht. Erst da merkte ich, dass meine linke Wange brannte und legte eine Hand darauf.

„Ich...ich war...ohnmächtig?“

„Ja. Ist alles in Ordnung mit dir?“, wollte die Pantherdame sofort wissen und ich nickte langsam.

„Ich...hatte nur...einen komischen Traum.“

„Warum bist du überhaupt umgekippt? Hast du zu wenig gegessen oder so?“, er öffnete seine Trinkflasche und hielt sie mir hin.

Dankbar nahm ich einen Schluck, ehe ich erwiderte: „Nein...ich meine, ich esse nicht sehr viel, aber...ich glaube nicht, dass das am Hunger lag...“

Sicherheitshalber sah ich mich um. Wir waren noch in Station Square, also hatte ich das zumindest nicht geträumt.

Aber...warum war ich überhaupt umgekippt? Das war doch nicht normal.

Und vor allem was ich geträumt hatte...

„Was genau hast du geträumt?“, hackte Pandorra nach und runzelte die Stirn.

„Ich...Schatten...haben mich verfolgt...“, erzählte ich zögerlich. Ich wollte nicht näher darauf eingehen.

Das war dann doch etwas zu persönlich.

„Schatten...“, wiederholte sie nachdenklich „Ich glaube, ich weiß was los war.“

„Und was?“

„Ciel.“

„Deine Freundin?“

„Ja. Sie kann Illusionen hervorrufen und ähnliches...“, erklärte sie langsam „Deswegen lässt Shadow sie in seine Nähe. Sie schützt ihn durch ihre Illusionen, sodass niemand sich nach Station Square traut...diese Stadt hier ist mittlerweile so etwas wie...eine Geisterstadt.“

„Und wo ist diese Ciel?“, wollte ich wissen. Irgendwie war ich doch etwas sauer.

„Sie muss in der Nähe sein.“, sagte sie und sah sich misstrauisch um.

„Aber wenn sie deine Freundin ist...warum greift sie uns an?“

„Sie greift uns nicht an. Naja, nicht direkt. Sie versucht einfach, uns zu verjagen“, entgegnete Pandorra und schüttelte den Kopf, ehe sie rief: „Ciel? Bist du da? Ich bin es, wir wollen nichts Böses!“

Keine Antwort.

Nur das leise klimpern eines Windspiels durchbrach die Stille.

Halt mal.

„Habt ihr das gehört?“, fragte Sichi verwirrt.

Wir nickten.

„Wo ist denn hier ein Windspiel?“

„Das ist sie“, sagte Pandorra und ich blinzelte.

„Hä?“

Sie wies mit einer Kopfbewegung hinter mich.

Ich drehte mich um – Und zuckte zurück.

Vor mir stand eine Katze. Keine normale Katze natürlich, sondern ein Katzenmobianer.

„Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken“, meinte sie leicht lächelnd.

„Äh...du bist Ciel?“

„Jupp.“

„Und...du bist diejenige, die mir so einen Albtraum beschert hat?“

„Ja...'tschuldigung. Ich wusste nicht, dass ihr Freunde von Pandorra seid“, erwiderte sie nur.

Sie sah komplett harmlos aus...

Bei ihren Fähigkeiten hatte ich ehrlich gesagt irgendeinen gruseligen Mobianer erwartet. Vielleicht eine Fledermaus, die Ninja-Mäßig im Dunkeln agierte und...eben unheimlicher war als eine Katze.

Ciel sah sogar nett aus. Sie war eine 86 cm große, hellbraune Katze mit, zu den Schulterblättern gehenden, fransig geschnittenen Haaren. An ihrer linken Seite hatte sie einen kleinen Zopf, nahe an ihrem Katzenohr, der mit einer weißen Schleife gehalten wurde. Ihre Augen waren eigentlich grau, doch da grau eine Farbe ist die aus allen Pigmentierung besteht, wechselte sich die Farbe je nach Lichteinstrahlung. Um ihr rechtes Auge besaß sie einen hellbraunen Fleck, derselbe war an ihrer Schwanz – und - Ohrenspitze.

Ihre zierliche Figur versteckte sie unter weiten Klamotten. Zudem trug sie noch weiße Stiefel und einen weißen Hut, der ein wenig an einen Sonnenhut erinnerte.

„Was wollt ihr denn hier?“, fragte sie und sah dabei zu der Pantherdame.

Pandorra zögerte noch kurz, ehe sie antwortete:

„Wir wollten zu Shadow. Die drei da haben eine Idee, die die ganze Welt verändern könnte.“

Kapitel 6 - Intention

Kapitel 6 – Intention
 

„Ah, so ist das...“, sagte Ciel gedehnt und nickte „Aber die gleiche Idee hatte Shadow auch schon, soweit ich weiß.“

„Und...warum hat er sie nicht umgesetzt?“, fragte ich verwirrt „Er hatte doch hundert Jahre Zeit um die Emeralds zu sammeln...also mehr als genug.“

„Da gibt es leider nur ein Problem...ich verstehe nicht viel von Emeralds oder so was und Shadow hat sich nie die Mühe gemacht es mir zu erklären – Aus irgendeinem Grund funktionieren sie nicht.“

„Wie jetzt!?“, machte Sichi verwirrt „Wie...sie funktionieren nicht? Ich dachte, dass die Emeralds unbegrenzt viel Energie haben.“

„Na ja, nicht ganz. Irgendwie sind alle Emeralds schwarz geworden, als ob...der Akku leer wäre.“, versuchte sie es uns zu erklären und seufzte „Und seitdem bastelt Shadow an irgend so einem komischen Apparat rum...Und er hat was von einem Master Emerald gemurmelt...“

„Sag mal. Wie lange bist du denn schon bei Shadow? Und vor allem...warum?“, da konnte ich meine Neugier doch nicht mehr zurückhalten. Es interessierte mich brennend, was für eine Beziehung die Beiden wohl miteinander hatten – Denn so wie es schien, redete der schwarze Igel wohl nicht wirklich oft mit ihr.

Dass er nicht sehr redselig war, war wohl weltbekannt. Immerhin war er so was wie das krasse Gegenteil von Sonic.

Nur fragte ich mich, warum er wohl Ciel in seine Nähe ließ, wenn er doch den Rest der Welt mied.

„Tjaaa...ich bin glaube ich seit...3 Jahren bei ihm...?“, sie runzelte die Stirn und überlegte „Vielleicht auch Vier. So sicher bin ich mir da nicht. Er hat mich mal gerettet vor den Vögeln und seitdem bleibe ich eben in seiner Nähe. Und ich verjage jeden, der die Stadt betritt mit meinen Illusionen. Ihr seid nicht die Ersten, die Shadow suchen.“

„Im Ernst?“

„Soweit er es mir erzählt hat. Vor euch waren noch diverse Soldaten, verbliebene Widerstandskämpfer und so da. Nur das Problem ist...Eggman ist tot, also gegen wen sollte man bitte kämpfen?“

Meine Rede , dachte ich bloß und schüttelte den Kopf.

„Shadow will einfach seine Ruhe. Ich habe das Gefühl, dass er das Kämpfen leid ist...“, fuhr Ciel etwas bedrückt fort „Deswegen meidet er den Rest der Welt. Er ist so was wie ein Held...und von Helden erwartet man nun mal, dass sie die Welt retten. Und ich glaube, er ist es leid die Erwartungen von ihnen erfüllen zu müssen.“

So langsam verstand ich es. Natürlich.

Mir würde es auch auf den Zeiger gehen, ständig andere Leute beschützen zu müssen, die, statt etwas zu tun, feige unter der Erde hocken blieben und Däumchen drehten.

Ich wusste, dass das hart ausgedrückt war. Was sollte denn ein normal Sterblicher tun? Nicht jeder war so verrückt wie wir und stürzte sich Hals über Kopf in ein tödliches Abenteuer.

Dafür war Sonic früher zuständig gewesen. Zusammen mit seinen Freunden hatte er regelmäßig die Welt gerettet und Shadow war da wohl eher so was wie ein Anti-Held. Der größte Rivale des blauen Igels und gleichzeitig der, der gezwungenermaßen mit ihm zusammenarbeiten musste.

Doch nachdem Sonic tot war...da war Shadow der einzige Hoffnungsträger der ganzen Welt – Was bestimmt nicht sehr leicht war. Und nachdem er „versagt“ hatte, war er im Untergrund verschwunden und hatte sich für tot erklärt.

Man könnte es auch für egoistisch von ihm halten...aber ich konnte es gut verstehen.

„Es kann doch aber nicht sein, dass er seit hundert Jahren nur an einer Maschine gebaut hat!“, sagte Sichi ungläubig „Dafür braucht man doch nicht so lange!“

„Na ja, Shadow besitzt doch, soweit ich weiß, keinerlei technisches Verständnis.“, warf Raimi nachdenklich ein „Haben nicht immer Tails oder Eggman die ganzen Sachen erfunden?“

„Von mir aus, aber man lernt doch mal in so einer langen Zeit, wie man eine funktionierende Maschine baut.“

„Ich glaube, du stellst dir das zu einfach vor“, meinte Ciel „Shadow baut keine stinknormale Apparatur – Ich glaube, sie hat was mit den Emeralds und ihrer Funktion zu tun. Und von wem sollte er bitte lernen, wie man so ein Ding baut? Die einzigen, die das wissen, sind wie gesagt Tails und Eggman. Und die sind Beide tot.“

Sichi murrte noch genervt, entgegnete aber nichts mehr.

„Und wo befindet sich Shadow jetzt?“, stellte ich die Fragen aller Fragen.

„Nun...im Rathaus...da haben wir ein geheimes Versteck...es ist das alte Versteck der Widerstandskämpfer, aber wir haben es so umgebaut, dass wir darin wohnen können. Nur glaube ich nicht, dass er sich über Besuch freuen würde.“

„Was kann er uns schon antun? Höchstens uns raus schmeißen.“

„Aber dann würden wir doch weitererzählen, dass er lebt“, behauptete ich ohne groß nachzudenken und bekam langsam ein schlechtes Gefühl bei der Sache „Ciel, was ist mit denen passiert, die hier her gekommen sind und Shadow gesehen haben?“

„Tjaaaa...“, machte sie gedehnt „Ich glaube, die liegen hier noch irgendwo rum.“
 

Der Weg zum Rathaus kam mir plötzlich meilenweit vor. Einerseits freute ich mich total Shadow zu begegnen – Aber andererseits machte mir die Aussage von Ciel auch Angst.

Wie sehr hatte sich der schwarze Igel in den Jahren wohl verändert? War er böser geworden? Skrupelloser?

Der Krieg verändert einen. Das wusste ich ganz genau. Wobei der Kampf gegen Eggman nicht als Krieg bezeichnet werden konnte – Nicht mal als Weltkrieg. Nein, dafür war er einfach zu groß gewesen, zu... grausam .

Er wurde nie als Krieg bezeichnet. Eher als Apokalypse – Der Tag, an dem die Welt untergegangen war. Vielleicht stimmte diese Bezeichnung nicht mal, immerhin lebten noch einige. Aber die Welt war wirklich zerstört, es war beinahe unmöglich an der Oberfläche zu leben – geschweige denn zu überleben.

Man hatte uns nie genaueres über die Apokalypse erzählt – Die meisten waren damals gestorben und die, die überlebten, wollten nicht mehr darüber sprechen. So gingen die genaueren Informationen mit den Jahren verloren. Soweit ich es wusste, fand der letzte Kampf im Weltall statt. Angeblich sollte nach der Niederlage von Shadow die Erde aufgebrochen sein. Lava soll herausgeströmt sein, Monster sollen über die Städte hergefallen sein...es mag zwar absurd klingen, doch ich hatte zu oft mit den Lavamonstern Bekanntschaft gemacht, um darüber zu lachen. Die Tiere sollen sich gegen die Menschen und Mobianer gerichtet haben, sogar die Pflanzen sollen sie angegriffen haben...zugegeben, dass mit den lebenden Pflanzen hatte ich nie ganz geglaubt. In den Monaten, die wir schon unterwegs waren, waren wir noch nie solchen Pflanzen begegnet – Giftigen ja, aber das war auch keine Besonderheit.

Der Weltuntergang soll auch etwas mit einem komischen Strahl zu tun haben, der plötzlich aus dem Himmel kam. Viele dachten, dass das Shadow wäre, der aus dem Weltall auf die Erde gekracht sei...aber jetzt konnte ich mir das nicht mehr vorstellen.

Shadow war doch nur zeitlich unsterblich. So hatten wir es jedenfalls über ihn gelernt.

Wie hätte er so einen Absturz überleben können??? Er wäre doch schon längst in der Atmosphäre verglüht...

Egal. Das würde ich ihn fragen, wenn er vor mir stünde – Und wenn wir die Begegnung überleben würden.

„Ciel...wenn du sagst, dass wir Freunde von dir sind, dann tut Shadow uns doch nichts, oder?“, fragte ich sie nervös, während wir dem Rathaus immer näher kamen.

„Öhm...ich weiß nicht. Ich habe noch nie welche mitgebracht...ich denke, er wäre erst mal Misstrauisch und dann...“, sie hob die Schultern „Keine Ahnung. Vielleicht lässt er euch auch in Ruhe, wenn ihr ihn in Ruhe lasst. Nur eine Bitte...verlangt von ihm nicht, dass er die Welt rettet. Er kann das nicht ausstehen.“

„Aber wir wollen doch, dass er die Welt rettet.“, sagte Sichi und runzelte die Stirn „Dazu haben wir doch diese ganze Hölle auf uns genommen-“

„Sie meint, dass wir nicht von ihm erwarten sollen, dass er einmal in die Finger schnippst und dann alles wieder Friede-Freude-Eierkuchen ist.“, unterbrach Pandorra ihn „Er ist auch „nur“ ein Mobianer und kann nicht alles. Also löchere ihn auch nicht, wieso er so lange mit der Maschine gebraucht hat – Das ist unhöflich.“

„Wie ihr meint...“
 

Ciel öffnete die Luke. Wir befanden uns schon im Rathaus. Sie hatte einen Schreibtisch beiseitegeschoben und eine versteckte Luke freigelegt, die ein wenig an den Eingang eines U-Boots erinnerte.

„Und da unten wohnt ihr?“, fragte ich neugierig. Sie nickte bloß und versuchte gerade die Luke hochzustemmen. Schnell halfen wir ihr und hoben sie hoch, ehe wir die Leiter runter kletterten.

„Shadow ist glaube ich noch in seinem >Labor<“, sagte Ciel und sprang die letzten Stufen herunter, ehe sie leise landete „Ich hole ihn gleich...“

„Ähm...wenn es ihm lieber ist, warten wir auch bis er rauskommt...“, meinte ich nervös und stellte mich zu ihr.

„Nein, Shadow muss die Luke zumachen. Mir knallt sie noch auf den Kopf, wenn ich das versuche...“, winkte sie bloß ab und durchquerte den langen Raum.

Irgendwie...sah dieser Raum hier aus wie in einer Militärbasis. Es hingen viele Monitore an den Wänden, die meisten Sachen waren aus Metall und hatten jede Menge blinkende Knöpfe. Am Ende des langen Raumes stand ein Tisch aus Metall, auf dem sich ebenfalls ein Bildschirm befand und dahinter eine große Tür, zu der Ciel nun ging.

Sie drückte auf den roten Knopf und ein leises Klingeln ertönte.

Eine Weile lang tat sich nichts, bis aus der kleinen Box neben der Tür eine Stimme ertönte.

„Was ist?“

„Die Luke...“

„Ich komme.“

„Nein, warte...“, fing sie noch an, aber da erlosch das grüne Lämpchen unter der Box und die Tür öffnete sich mit einem leisen zischen.

Nervös ging ich auf und ab. Gleich würden wir den letzten Helden auf dieser Welt sehen...der uns entweder umbringen würde oder erlauben würde, ihm zu helfen. Ich sah wie Sichis Hand zu seiner Pistole zuckte, die in ihrem Hohlster an seiner Hüfte hing. Anscheinend war ich nicht die einzige, die Angst hatte.

Raimi hingegen wirkte besorgt – Bestimmt wieder in Sorge um uns, das war einfach ihre Art.

Pandorra hingegen wirkte erstaunlich entspannt. Vielleicht war das auch nur ihr Pokerface, aber wenn ja...dann war es verdammt gut. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte so was auch.

Nur leider konnte man mir alles vom Gesicht ablesen.

„Du hast die Schrauben?“, ertönte wieder dieselbe Stimme, wie auch aus der Box. Ich hätte sie beinahe nicht gehört. Nicht, weil sie so leise war, sondern...weil sie einfach so dunkel war, dass ich sie kaum wahrnahm.

„Jepp.“, erwiderte Ciel und kramte in ihrer Tasche herum „Genau 20 Stück...ähm...du hast einen Akkubohrer?“

„Ein Schraubenzieher wird es auch tun.“, erwiderte er und trat aus dem inneren der Tür.

Ich wusste nicht ganz genau, was ich erwartet hatte – Vielleicht, dass Shadow immer noch genauso aussah wie vor 100 Jahren – Aber das tat er nicht.

Nicht, dass er älter geworden wäre, nur...

Sein linkes Ohr fehlte. Zudem hatte er noch eine große Narbe an der Stirn, wo der rote Streifen anfing und die Spitze seines mittleren, nach innen gebogenen Stachels fehlte. Zudem hatte er noch unzählige Narben über den ganzen Körper verteilt und er trug...eine Hose?

Ich blinzelte verwirrt. Soweit ich es gelernt hatte, war Shadow generell...“Nackt“. Es gab zwischen den Mobianern keine Scham bezüglich Kleidung oder nicht Kleidung, wieso trug er also eine Hose?

Nicht, dass es mich stören würde. Aber es war doch seltsam.

„Wer sind die? Und warum hast du sie herein gelassen?“, fragte Shadow ruhig, während er seine ölverschmierten Hände an einem Tuch ab rieb – Ich hatte wirklich nie verstanden, warum Mobianer immer Handschuhe trugen. Auch Raimi und Pandorra trugen welche, aber warum? Und warum nahm Shadow nicht einfach seine Handschuhe zum Arbeiten ab?

Ach egal. Diese Fragen waren erst mal unwichtig – Vor allem, da jetzt der entscheidende Moment war.

Hoffentlich machten wir keinen falschen ersten Eindruck.

„Warum ziehst du die Handschuhe nicht einfach aus?“, diese Frage kam von Sichi. Ich seufzte innerlich entnervt.

So viel zum ersten Eindruck.

„Hast du schon mal einen Mobianer ohne Handschuhe gesehen?“

„Nicht wirklich...“

„Da hast du die Antwort.“

Das war ein kurzer Schlagabtausch. In Shadows Gesicht konnte ich lesen, dass er genervt war – Aber so sah er auch vor Sichis Frage aus, also machte ich mir noch keine Sorgen.

„Wir würden dir gerne helfen!“, sagte Raimi mit entschlossenem Gesichtsausdruck „Ciel hat uns hergebracht, damit wir mit dir reden können.“

„Helfen? Wobei?“

„Na die Weltret-“, fing Sichi wieder an, aber Pandorra stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und er war still.

„Bei deinem Projekt. Ciel hat uns ein wenig davon erzählt...wir können dabei helfen.“

„Ihr wisst doch nicht mal, worum es geht“, der schwarze Igel sah zu Ciel „Warum hast du sie hergebracht? Du weißt doch, dass ich keinen Besuch will.“

„Na ja, sie hatten dieselbe Idee wie du, weißt du...und ich dachte mir, dass du ein wenig Hilfe bräuchtest...“, erwiderte sie, sichtlich nervös „Außerdem...es ist hier so einsam...“

„Du hast selbst gesagt, dass du damit klarkommst.“, entgegnete er kalt und sah wieder zu uns „Ich brauche keine Hilfe. Verschwindet.“

„Nein, warte doch!“, sagte ich und war erstaunt, dass ich nicht stotterte. Auch die anderen sahen mich überrascht an.

„Wir können dir wirklich helfen. Wir haben extra einen weiten Weg auf uns genommen, um die Chaos Emeralds zu finden und haben dabei auch herausgefunden, dass du noch lebst. Ich weiß, dass du es leid bist die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen und dass du deswegen deine Umgebung meidest, aber...wir wollen nicht nur Däumchen drehen und von dir verlangen, dass du die Welt alleine rettest. Wir wollen dir wirklich helfen und wir lassen uns auch nicht so einfach ab wimmeln!“

„Ihr wollt mir helfen? Wie denn?“, Shadow schüttelte den Kopf „Kann einer von euch genug Intelligenz aufbringen, um eine Maschine zu bauen, die auch noch die Kraft der sieben Chaos Emeralds wiederherstellen soll? Kann einer von euch mir dabei helfen, Chaos Energie aufzuspüren? Wenn ja könnt ihr gerne bleiben. Aber wenn nicht, dann tut mir den Gefallen und verschwindet, bevor ich euch töten muss.“

Da war nun das entscheidende Wort gefallen. Töten.

Ein Wort, das ich so gar nicht im Zusammenhang mit mir mochte.

„Nein, können wir nicht.“, gab ich langsam zu „Aber wir möchten trotzdem helfen. Und der Wille ist das, was zählt, oder?“

„Der Wille hilft aber nicht weiter. Es war auch mein Wille Eggman zu schlagen und jetzt seht ihr ja, was daraus geworden ist.“, entgegnete der Igel bitter.

„Dafür musst du dir keine Vorwürfe...“

„Seid mal ehrlich. Wollt ihr mir wirklich helfen, oder wollt ihr bloß euch selbst helfen? Ihr wollt doch bloß am Ende sagen können, dass ihr es versucht habt. Das ihr besser seid, als die anderen, die nur herum sitzen und warten, richtig? Und dabei hättet ihr auch nicht mehr getan als mir vielleicht ab und zu ein paar Schrauben zu besorgen oder mal ungebetene Gäste zu verjagen. Die Hauptarbeit hätte immer noch ich zu tun, während ihr irgendwelche Kleinigkeiten macht. Und am Ende sagt ihr, ihr hättet mich die ganze Zeit unterstützt um auch was von den Lorbeeren abzubekommen, obwohl ihr es nicht verdient habt.“

So harte Worte hatte ich nicht erwartet. Das sah ich auch meinen Freunden an.

Shadow klang so verbittert. Als ob er das schon mal erlebt hätte...im Laufe seines langen Lebens hatte er bestimmt genug erlebt, um so zu werden. Doch es schockierte mich trotzdem, was er von uns hielt.

Das was er sagte, war nicht wahr. Ja, ich wollte helfen um besser zu sein als die Anderen, aber das lag nicht etwa daran, dass ich dafür etwas bekommen wollte. Nein, es lag daran, dass ich alle Leute hasste, die nichts taten und nur von Anderen erwarteten, dass sie etwas taten und ich wollte nicht genauso sein wie sie.

„Nein, das stimmt nicht!“, hörte ich Raimi sagen, bevor ich etwas erwidern konnte.

„Ja, vielleicht wollen wir besser sein als die Anderen. Aber nicht, weil wir eine Belohnung erwarten. Wir wollen nicht einfach nur dasitzen und Däumchen drehen, wie der Rest der Welt. Wir wollen die Welt wieder schön machen und du kannst uns doch nicht einfach verbieten, dir zu helfen! Es ist immerhin auch unser Planet! Wir haben ein recht dazu, ihn retten zu wollen!“

Shadow legte das dreckige Tuch auf eine Lehne eines Stuhls, die am Tisch standen und Ciel sah nervös von uns zu ihm.

„Was habt ihr zu bieten?“, fragte er dann plötzlich und ich sah erschrocken auf.

„Ihr könnt mir nur helfen, wenn ihr etwas zu bieten habt.“

„Tja...ich kann heilen!“, erwiderte Raimi sofort.

„Und ich kann gut mit Waffen umgehen“, fügte Sichi hinzu „Und Pandorra kann Blitze schießen und ist sehr schnell...“

Wieder spürte ich die Blicke der Anderen auf mir. Ich merkte, wie meine Wangen anfingen zu brennen und sah automatisch zu Boden.

„Und sie?“, wollte Shadow wissen und wies auf mich „Was kann sie?“

„Marik ist eine herzensgute Person. Sie würde so ziemlich alles tun, um uns zu schützen. Auch wenn sie keine herausragende Fähigkeit hat…sie ist ein guter Mensch.“, sagte Raimi um mich zu schützen.

Eine Weile lang herrschte Schweigen. Shadow schien nachzudenken, während ich das Gefühl hatte gleich im Erdboden zu versinken vor Scham. Immer mussten mich die Anderen in Schutz nehmen...

„Gib mir die Schrauben.“, sagte Shadow plötzlich nur und sah zu Ciel. Verwirrt gab die Katzendame ihm die gewünschten Sachen. Er steckte sie in seine Hosentasche, kletterte die Leiter hinauf, schloss die Luke – Und verschwand wieder hinter der Tür in seinem Labor.

„Ähm...Und jetzt?“, fragte Raimi ratlos.

„Ich glaube das heißt, ihr dürft bleiben!“, meinte Ciel erst zögerlich, aber dann lächelte sie und öffnete eine andere Tür „Oder er denkt noch nach. Na kommt, ich zeige euch solange unsere Wohnung!“
 

Die Reaktion von Shadow verwirrte mich zusehends. Erst lehnte er uns so grob ab, dann ließ er sich doch erweichen – Und dann verschwand er wortlos in seinem Labor.

Mehr als merkwürdig. Wobei ich auch froh war, dass er uns nicht sofort raus geschmissen hatte.

„Keine Sorge, Shadow hat immer diese Launen“, meinte Ciel beruhigend zu mir – Jedenfalls schien sie es beruhigend sagen zu wollen, aber es bewirkte eher das Gegenteil. Wenn der Igel immer diese Launen hatte...dann stellte ich mir die Zukunft nicht gerade rosig vor.

„Hier essen wir immer, das ist so was wie unsere Küche“, sagte die Katzendame und wies auf einen etwas kleineren, aber hellen Raum, in dem eine Art Herd stand mit einem seltsamen Metallding darüber

„Was ist das?“, fragte Raimi neugierig und wies darauf.

„Da koche ich immer. Dieses Metallding oben drüber ist eine Art Abzugshaube. Sie wandelt den Dampf – Oder manchmal auch Rauch – In normale Luft um und sorgt somit dafür, dass wir hier drin nicht ersticken. Der Herd ist auch ein bisschen anders als ein normaler Herd. Ich Zünde im Inneren immer ein Feuer an, damit die Platten heiß werden und ich kochen kann. Shadow hat das alles gebaut damit wir hier leben können...ich glaube, den Strom zapfen wir von der Stadt hier in der Nähe ab oder so. Keine Ahnung wie genau er das gemacht hat...hat er mir auch nie erklärt. Zugegeben...es interessiert mich auch nicht wirklich“, erzählte sie und öffnete die Tür zu einem kleinen Raum, in dem lauter Klamotten hingen „Und das ist unser Waschraum...“

„Ihr habt eine Waschmaschine!“, sagte ich erstaunt.

Ciel fing an zu lachen „Ja natürlich haben wir eine, das ist doch nichts Besonderes.“

Ich wurde wieder rot. Bei den Menschen war eine Waschmaschine ein Luxus, den niemand haben konnte. Allein schon deswegen, weil wir keinen Strom oder so besaßen.

„Bei uns war so ein Ding nicht vorhanden. Wir mussten immer alles von Hand schrubben.“, meinte Sichi und verzog das Gesicht „Besonders sauber wurden die Klamotten zwar nicht, aber...na ja...“

„Oh. Ich kann eure Klamotten auch waschen – Ähm...oder eher die von Raimi und Pandorra...ich habe leider keine Kleidung für jemanden, der so groß ist.“, bot Ciel zögerlich an „Aber ich kann welche nähen...das dauert nur ein paar Tage...oder ich wickle euch in einen Vorhang.“

„Nein, mach dir nicht die Mühe.“, winkte ich sofort ab „Sichi und ich kommen schon zu Recht.“

„Wirklich? Ich kann...“

„Nein, lass. Ich kann selbst nähen und wenn ich die Zeit dazu finde, tu ich es auch.“

„Wenn ihr meint...“, murmelte Ciel bloß und seufzte „Wisst ihr, ich hatte schon lange keinen Besuch mehr. Oder überhaupt längeren Kontakt zu anderen Leuten. Es ist so einsam hier...Shadow ist zwar auch da, aber...ihr habt ja gesehen, wie er ist.“

„Ich glaube nach einer Weile würde ich vor Langeweile sterben“, meinte Sichi kopfschüttelnd „In der Nähe von so einem unfreundlichen Typen...“

„Shadow ist nicht so schlimm. Ab und zu redet er sogar mit mir“, erwiderte sie leise „Und er hat mir das Leben gerettet. Deswegen bleibe ich auch hier und übernehme die ganzen Hausarbeiten und kaufe ein und so...es ist das mindeste, was ich für ihn tun kann.“

Ich lächelte leicht. Obwohl Shadow nicht besonders nett zu Ciel war und sie hier ganz alleine war...

Sie blieb bei ihm. Ich wusste, dass ich sie nicht lange genug kannte um das zu sagen, aber...sie wirkte sehr aufopferungsvoll.

Das erinnerte mich an...

Schnell blinzelte ich ein paar Tränen weg.

Fast wäre es wieder passiert.

Nein, ich durfte die Schatten nicht Überhand nehmen lassen.

Ich würde nicht zulassen, dass sie noch einmal mein Leben zerstörten.

„Na kommt, ich zeige euch eure Zimmer wo ihr schlafen könnt!“, rief Ciel und riss mich somit aus meinen finsteren Gedanken.

Kurz sah ich sie nur verwirrt an, ehe ich einfach nickte.
 

„So...also ihr müsstet euch ein Zimmer teilen“, meinte Ciel etwas verlegen „Wir haben nie Besuch...also haben wir nur zwei Zimmer und ein Wohnzimmer, das wir sowieso nie benutzen...Pandorra kann bei mir im Zimmer schlafen, Raimi, Sichi und du müsstet euch das Wohnzimmer teilen...ginge das in Ordnung?“

Wie nickten zustimmend und sie fügte hinzu: „Und wir haben nicht so große Betten...Sichi und Marik müssten also auf dem Boden schlafen...aber ich kann euch Decken und Kissen geben.“

„Danke, das ist mehr, als wir erwartet haben“, sagte ich aufrichtig und lächelte leicht „Wir sind es gewohnt, auf dem Boden zu schlafen, keine Sorge.“

„Dann kriege ich die Couch!“, Raimi grinste und sah zu Pandorra „Sag mal...woher kennen du und Ciel sich eigentlich?“

„Das ist eine lange Geschichte...“, wich sie nur aus und die Katzendame nickte zustimmend.

„Wie auch immer. Es wird langsam dunkel, ich mache noch schnell was für euch zu essen und dann gehen wir schlafen, okay? Morgen können wir ja sehen, wie es weitergeht."
 

„Es ist doch nur zu deinem Besten. Bitte hör auf dich zu wehren...“

„Bitte lass mich nicht allein...“

„Der eigene Familienvater soll sie getötet haben, schrecklich...“

„Papa! Wieso tust du das!?“

„Verzeih mir, ich konnte dich nicht retten...“

„Es stand in der Zeitung, mein Gott wie grausam...“

„Ich will nicht hier bleiben, bitte nimm mich mit!“

„All das Blut...“

„Keine Angst, Marik. Alles wird gut“
 

Mit einem Keuchen fuhr ich hoch. Alles um mich herum war stockfinster.

Ja, stimmt...ich war bei Ciel. Auf dem Wohnzimmerboden.

Irgendwo aus dem Raum hörte ich ein leises Schnarchen. Ob es von Sichi oder Raimi kam war unklar, aber das war mir auch egal.

Immer noch zitternd wischte ich mir den Schweiß von der Stirn und hielt mich an der Decke fest, als wäre sie ein Rettungsring und ich kurz vor dem Ertrinken. Wobei das auch fast zustimmte.

Ich hatte das Gefühl, in der Dunkelheit zu ertrinken. Die Wände schienen mir näher zu kommen und mich zu zerquetschen.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und stand ruckartig auf. Blind ging ich durch das Zimmer zur Tür, in die Richtung aus der der kleine Lichtstrahl kam, der im Schlitz zu sehen war. Leise öffnete ich die Tür und schloss sie wieder, um meine Freunde nicht zu wecken.

Ich wusste noch so ungefähr, wo die Küche war. Vielleicht würde es mir besser gehen, wenn ich etwas getrunken hatte.

Die Suche wurde auch noch erleichtert, da in der Küche Licht brannte – Warum auch immer. Aber das war mir in dem Moment auch egal, ich folgte einfach dem Licht, bis ich in dem kleinen, aber schönen Raum ankam.

Wo ich nicht alleine war. Eine Kerze brannte auf dem Tisch und beleuchtete ihre Umgebung. Und in dem schwachen Kerzenlicht, saß Shadow am Küchentisch.

Er hatte den Kopf in den Händen, die Ellenbogen auf dem Tisch gestützt und vor ihm stand ein Glas mit kaltem Wasser. Das konnte ich an dem Kondenswasser erkennen, das am Rand herunterlief.

In dem Moment gingen genau drei Gefühle durch meinen Kopf:

Verwirrung. Warum saß der Igel mitten in der Nacht am Tisch?

Angst. Ich wollte sofort umkehren und zurück in mein „Bett“ gehen. Es war mir unangenehm, mit ihm allein zu sein. Und...

Mitleid.

Er wirkte...so erschöpft. Als ob er nächtelang wach geblieben wäre.

So sah ich wohl aus, wenn ich aus einem Albtraum erwachte.

„Ähm...Entschuldigung?“, meldete ich mich zögerlich zu Wort. Er rührte sich nicht.

Schlief er? Es war schwer zu erkennen...ich sah sein Gesicht nicht.

„Ähm...Hallo? Schläfst du?“, ich fragte mich, ob ich ihn mit >Sie< ansprechen sollte. Immerhin war er schon über 100 Jahre alt, auch wenn er aussah wie 16.

Doch andererseits...für Formalitäten schien auch nicht der richtige Zeitpunkt zu sein.

„Nein.“, antwortete Shadow schließlich und ich zuckte kurz zusammen, da ich keine Antwort erwartet hatte.

„Und...warum bist du noch wach?“

„Die Frage sollte ich dir stellen.“, er hob etwas den Kopf und sah mich aus müden Augen an. Ich hatte den Verdacht, dass er die ganze Zeit über in seinem Labor beschäftigt gewesen war – Und das es nicht das erste Mal war, dass er bis spät in die Nacht hineinarbeitete.

„Ich...hab nur schlecht geträumt...hast du bis jetzt noch gearbeitet?“

„Mehr oder weniger.“, murmelte er und trank einen Schluck Wasser.

Etwas zögerlich holte ich mir auch ein Glas und füllte Leitungswasser hinein, ehe ich mich ihm gegenüber an den Tisch setzte.

„Ist...alles in Ordnung?“, wollte ich zaghaft wissen und er stützte den Kopf auf seiner linken Hand ab.

„Wenn du dich schon hinsetzen musst, kannst du wenigstens so nett sein und den Mund halten.“

Ich zuckte zusammen.

Sehr freundlich. Doch ich beschloss seiner „Bitte“ nachzukommen und blieb still.

Irgendwie war es aber keine unangenehme Stille. Ich musste auch nicht groß nachdenken – Vielmehr genoss ich die Ruhe, die ich so selten hatte. Wenn Shadow mir etwas zu sagen hätte, würde er es sagen, dessen war ich mir sicher. Er war nicht der Typ, den man mit Fragen löcherte, das hatte er mir gerade deutlich gezeigt.

„Kennst du dich mit den Chaos Emeralds aus?“, fragte er plötzlich nach einer Weile des Schweigens und ließ das Wasser in seinem Glas kreisen.

Etwas überrascht blinzelte ich erst mal und antwortete etwas verspätet: „Ähm...nicht wirklich...ich weiß nur, dass es sieben Stück gibt und man mit ihnen Raum und Zeit kontrollieren kann...“

„Und woher weißt du das?“

„Es gibt viele Bücher über euch. Die meisten sind zwar schon sehr alt...aber ich habe mir ein paar durchgelesen...“, erzählte ich langsam „Und wir haben im Waisenhaus auch etwas über euch gelernt...“

„Im Waisenhaus?“

„Ja. Raimi, Sichi und ich sind aus dem Waisenhaus...Pandorra ist aus der Stadt, die hier ganz in der Nähe ist.“

„Wie lange kennt ihr euch schon?“

„Pandorra haben wir erst vor ein paar Tagen kennengelernt. Meine anderen Freunde kenne ich schon seit etwa 10 Jahren...“

Shadow nahm wieder einen Schluck aus seinem Glas und stellte es dann auf den Tisch ab.

„Wie seid ihr auf die Idee gekommen abzuhauen und blind nach den Emeralds zu suchen?“

„Ich...ich weiß nicht. Eigentlich war es immer nur ein Wunschdenken, aber als wir größer wurden...“, ich hob die Schultern „Wir dachten uns, dass so ein Abenteuer besser wäre als weiterhin unter der Erde zu sitzen und arm zu sein.“

„Und, ist es besser?“

„Nicht wirklich. Aber ich habe es nie bereut weggegangen zu sein.“

Ich nippte etwas nervös an meinem Wasser. Warum interessierte ihn das plötzlich?

„Ich frage dich das nur, weil ich mehr über euch wissen will.“, sagte er dann, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ertappt zuckte ich kurz zusammen.

„Und wie es aussieht, bist du die Ehrlichste unter euch Vieren.“

„Öhm...okay...?“

„Wie heißt du überhaupt?“

„Mari...“, fing ich an, doch dann korrigierte ich mich.

„Mareike. Aber meine Freunde nennen mich Marik.“

„Gut zu wissen, Mareike.“, erwiderte er bloß und ich hatte das Gefühl, dass er mir damit extra zeigen wollte, dass wir KEINE Freunde waren.

Shadow wurde wirklich immer sympathischer.

„Kann ich dir eine Frage stellen?“

„Was?“

„Ciel hat erzählt, dass du die Chaos Emeralds bereits hast...aber sie irgendwie ihre Energie verloren haben...“

Er sah kurz zu mir, ehe er wieder auf sein Glas starrte „Ja, haben sie. Ich kann sie nicht mehr benutzen, im Kampf gegen Eggman haben sie ihre Energie verloren...“

„Wie kann denn so was passieren? Ich dachte...ihr Energievorrat sei...unbegrenzt.“

„Nicht ganz. Die Chaos Emeralds ziehen ihre Energie aus dem Master Emerald. Und der Master Emerald zieht seine Energie aus dem Gleichgewicht der Erde...“

„Master Emerald?“

„Mit dem Master Emerald kann man die anderen Emeralds kontrollieren. Zumindest konnte das Knuckles.“, erklärte er knapp und fuhr fort: „Wenn der Master Emerald seine Energie aus dem Gleichgewicht der Erde zieht...was glaubst du, wie viel Kraft er momentan noch besitzt?“

Ich dachte an die aufgebrochene Erde. Die Vögel. Die Lavamonster.

„Ich schätze eher wenig.“

„Falsch.“

Ich sah Shadow verwirrt an „Ähm...wie jetzt?“

„Er besitzt noch eine Menge Energie – Das Problem ist einfach...er ist auseinander gebrochen.“

„Der Master Emerald?“

„Genau. Was glaubst du passiert, wenn so eine große Menge an Energie, die in einem Splitter vorhanden ist...zum Beispiel in einem Vulkan landet?“

„Ich schätze...nichts Gutes.“

Er trommelte mit den Fingern geräuschlos auf der Tischplatte herum. War er genervt?

Irgendwie sah er doch immer so aus.

„Richtig. Die Kraft wäre so groß, dass der Vulkan ausbrechen würde. Und was passiert, wenn sich der Master Emerald in 100 Splitter aufteilt, die irgendwo auf der Welt verstreut sind?“

„Oh Gott...“, flüsterte ich entsetzt „I-Ist das etwa so!?“

„Es sind 100 gewesen. Mittlerweile >nur< noch etwa 20.“, Shadow seufzte „Was meinst du, habe ich in den 100 Jahren wohl getan?“

„Ciel hatte gemeint, dass du an einer Art Maschine arbeitest...“

„Das tue ich auch. Immer noch. Und es dauert nur so lange, weil ich normalerweise von solchen Dingen nicht viel weiß. Der Doktor und Tails waren dafür zuständig.“

„Doktor...?“

„Eggman.“

Ich blinzelte. „Eggman war Arzt?“

„Nein, man kann Doktortitel in...ach egal. Jedenfalls ist es verdammt schwer eine Apparatur zu bauen ohne irgendwelche Vorkenntnisse. Und weil die Maschine mit den sieben Chaos Emeralds zusammenhängt, kann mir auch kein normaler Mensch oder Mobianer so etwas beibringen.“, erwiderte er und sah kurz zu mir „Von daher denke ich auch nicht, dass ihr mir eine große Hilfe sein werdet.“

„Doch! Wir...wir können dir helfen, die restlichen Splitter vom Master Emerald zu finden!", sagte ich bemüht ernst, aber man konnte mir anhören wie aufgeregt ich war.

„Ihr seid zu Viert. Mit mir sind das schon fünf. In einer so großen Gruppe zu reisen wird schwierig. Je größer die Gruppe, desto langsamer sind wir...außerdem denke ich, dass nur der Panther mit mir mithalten kann – Und auch nur dann, wenn ich nicht im Höchsttempo laufe. Ihr wärt eher ein Klotz am Bein.“

„Aber...“, fing ich an und hob etwas hilflos die Schultern „Wir wollen dir wirklich helfen! Du kannst doch nicht alles alleine tun...“

„Warum nicht? Das habe ich immer getan. Die letzten 100 Jahre.“, bildete ich mir das nur ein oder Schwang ein Hauch Melancholie in seiner Stimme mit?

„Dabei warst du aber bestimmt nicht glücklich.“

„Glück hat in dieser Welt momentan keiner. Glück ist ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann.“

Ich schluckte schwer und überlegte, wie ich ihn doch noch umstimmen konnte. Wir waren so weit gekommen...da konnten wir doch jetzt nicht einfach wieder zurückgehen!

„Ich...aber...wir könnten doch in verschiedenen Gruppen nach den Splittern suchen!“

„Kann einer von euch die aufspüren?“

Ich schwieg nur wieder.

„Also. Ihr könnt mir nicht groß helfen...die größte Hilfe wäre, wenn ihr morgen verschwinden würdet.“

Enttäuscht sah ich zu Boden. Shadow klang absolut sicher und ich wusste, ich könnte ihn nicht umstimmen.

„Mich interessiert nur eine Sache...was macht ihr, wenn ihr wieder in eure Städte zurückkehrt?“

Bei der Frage hob ich kurz den Kopf und blinzelte verwirrt.

„Ähm...ich weiß nicht...ins Waisenhaus können wir nicht zurück...Pandorra geht wahrscheinlich in ihre Stadt, sie hat viel Geld...“

„Und der Rest von euch?“

„Wahrscheinlich müssen wir irgendwo Arbeit finden.“, murmelte ich niedergeschlagen.

Arbeit. Es war so gut wie unmöglich Arbeit zu finden, da kaum einer Geld hatte und niemand, der Geld hatte, ein paar Bettlerkinder einstellen würde.

Der schwarze Igel musterte die flackernde Kerze, die immer kleiner wurde.

„Ihr wollt mir helfen, weil ihr sonst nichts tun könnt, oder?“

Erst wollte ich widersprechen...doch dann nickte ich wahrheitsgemäß. Wir hatten wirklich keine Zukunft mehr. Höchstens die, irgendwo in einer dreckigen Stadt zu sterben.

„Es wundert mich. Warum seid ihr denn bitte weggerannt? Vor allem du?“, fragte er weiter „Sichi kann kämpfen, Raimi kann heilen. Wie bist du auf die Idee gekommen mit ihnen zu gehen? Oder haben sie dich überredet?“

Langsam schüttelte ich den Kopf „Nein...nein, ich habe sie dazu überredet...“

„Und warum?“

Plötzlich saß mir ein Kloß im Hals. Warum...diese Frage hatten Raimi und Sichi mir so oft gestellt.

Und ich konnte sie nie beantworten.

Nicht, weil ich es nicht wusste. Es war eben genau deswegen, weil ich es wusste.

„Die Schatten...“, murmelte ich leise und der Igel spitzte die Ohren.

„Was hast du gesagt?“

„N-Nichts“, log ich rasch. Ich hatte ganz vergessen, dass Shadow gute Ohren hatte.

„Schatten?“, wiederholte er und ich fragte mich, warum er nachgebohrt hatte, obwohl er es gehört hatte.

„Ja. Es...du musst es nicht verstehen. Das ist mein Problem“, sagte ich niedergeschlagen.

Ich konnte es ihm nicht sagen. Das konnte ich niemandem.

Keiner würde mein Problem verstehen...und die, die es erfahren würden, würden denken ich bin Geisteskrank. Vielleicht war ich das auch.

Aber diese Schatten...sie verfolgten mich, wollten mich in die Dunkelheit ziehen und mich darin ertränken...

Nein, keiner würde mich verstehen. Nicht mal Raimi und Sichi.

„Kennst du das Gefühl in der Dunkelheit zu ertrinken?“, murmelte ich doch und sah dabei auf die Tischplatte „Und dann diese Lücken...“

„...in den Erinnerungen und das Gefühl, etwas wichtiges vergessen zu haben.“, fuhr Shadow mit beinahe emotionsloser Stimme fort „Ja. Das kenne ich.“

Überrascht starrte ich ihn an. Die Kerzenflamme flackerte und ließ die Schatten durch den Raum tanzen, doch diesmal bekam ich keine Angst.

Er...wusste was ich meinte?

„Du...kennst das?“

Kurz nickte er. Dann aber stand er auf und stellte sein Glas Wasser weg.

„Ihr könnt bleiben. Aber wenn ihr mich nervt, fliegt ihr raus.“, sagte er, als hätte das Gespräch eben nie existiert und verließ die Küche.

Verwirrt blieb ich erst mal sitzen.

Ähm...was war gerade passiert?

Hatte Shadow nicht gesagt, dass wir nur ein Klotz am Bein wären? Und jetzt erlaubte er uns plötzlich zu bleiben...

Das wunderte mich aber eher wenig. Die Hauptfrage in mir war immer noch...

Konnte der gefühlslose Igel wirklich mein Problem verstehen?

Kapitel 7 - Sadness

Kapitel 7 – Sadness
 

Mareike...

Wenn ich dir wehgetan habe, tut es mir wirklich leid. Es ist nicht so, dass du mir nicht wichtig bist, aber...ich kann wirklich nicht mehr. Bitte weine nicht wegen mir, das wäre das letzte, das ich wollen würde. Ich will, dass du sagst, dass ich dich nicht verdient habe und nicht, dass ich dir zu lieb war und du mich nicht ganz verdient hast. Mir ist bewusst, dass du in deinem Leben von vielen verlassen wurdest und ich wohl eine weitere Narbe hinterlassen werde...aber das ist mir wirklich lieber, als dich weiterhin mit meinen Problemen zu belasten. Ich werde versuchen, etwas Neues anzufangen und ich hoffe, dass du mir eines Tages verzeihen kannst.

Erinnere dich an unser erstes Treffen. Erinnere dich an die Worte, die du gesagt hast. Erinnere dich an unsere nächtlichen Gespräche. Erinnere dich an die Blumen. Erinnere dich daran, wie du mir beigestanden hast, trotz allem was ich tat.

Erinnere dich an mich, weil ich dich nie vergessen werde.

Verzeih mir.

Nero
 

„MARIK! AUFSTEHEN!“, hörte ich eine Stimme brüllen und zog mir die Decke über den Kopf.

„Nghmn...“, nuschelte ich noch schlafend, als mir die Decke weggezogen wurde.

„Hey, Mann! Heute noch?“, Sichi klopfte mir gegen die Wange und ich schlug die Augen auf.

„Wa – Leute?“, fragte ich verwirrt bei dem Bild, das sich mir bot.

Pandorra, Raimi, Ciel und Sichi standen um mich herum und starrten mich förmlich an.

„Ähm...was ist?“

„Du weinst“, erklärte er sachlich und erst jetzt merkte ich, dass mein Gesicht ganz nass war.

Hastig wischte ich mir über die Augen und unterdrückte ein Schluchzen, das in mir hochkommen wollte.

„Was ist los?“, fragte Ciel besorgt und beugte sich zu mir runter.

„N-Nichts...“, stammelte ich und schluckte schwer „N-Nur...e-ein Albtraum...“

„Nah kommt. Hört auf, sie so anzustarren“, sagte Pandorra im tadelnden Tonfall und ich sah sie dankbar an.

„Willst du ins Bad?“, es klang nicht wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung. Und tatsächlich war der Gedanke, mich solange wegzusperren bis meine Augen nicht mehr rot waren verlockend.

„Ich...danke“, erwiderte ich nur, als die Pantherdame mir hoch half und mich an den besagten Ort brachte.

„Kein Problem“, meinte sie leicht lächelnd „Albträume hat jeder mal.“

Ich sah zu Boden. Ein paar Albträume wären ja okay...aber warum musste ich jede Nacht einen haben?

Und dabei war dieser so anders gewesen. Ich konnte mich klar und deutlich an ihn erinnern, es war...

Als wäre dieser Traum eine Erinnerung gewesen.

Bevor ich es mich versah, stand ich im Bad vor einem Spiegel und Pandorra schloss die Tür.

Ich sah grausam aus. Meine Augen waren vom Weinen verquollen und gerötet, meine Haare waren vom Dreck glanzlos und klebten aneinander. Ich beschloss erst mal zu duschen, vielleicht ging es mir dann besser.

Ciel hatte mir noch gestern Abend ein Handtuch zum Duschen gegeben, aber da war ich so erschöpft, dass ich keinen Nerv dafür hatte.

Jetzt hingegen konnte ich ruhig etwas Entspannung gebrauchen.
 

Nach der Dusche ging es mir wirklich besser. Ich hatte wieder einen klaren Kopf und meine Augen waren auf ihre normale Größe zurück geschrumpft.

Wieder musterte ich mich im Spiegel. Meine schwarzen Haare waren sauber und glänzten wieder.

Irgendwie lagen sie mir immer noch am meisten am Herzen. Als ich sie abschneiden musste...das war, als müsste ich mir die Hand abhacken. Jetzt waren sie kurz, nicht mal mehr Schulterlang und lagen platt an meinem Kopf an. Über meine linke Gesichtshälfte hatte ich einen Pony.

Ich schob ihn beiseite und musterte das Gesicht, das mir entgegenstarrte.

Eine große, formlose Narbe an der Wange. Zwei schwarze, schmale Augen, die mich nervös ansahen.

Hätte ich nicht die ganzen Narben, wäre ich vielleicht ganz hübsch. Zumindest nicht so hässlich wie jetzt.

Ich sah auf meine Arme, die ebenfalls vernarbt waren und auf meine Füße. Vom Rennen hatte ich an den Sohlen Blasen und ebenfalls lauter kleiner Narben auf dem Fußrücken. An den Beinen hingegen hatte ich kaum welche, genau wie am Bauch.

Kurz noch musterte ich mich selbst, ehe ich seufzte und einen Verband aus meiner Tasche zog. Wie immer band ich mir den Busen ab.

Nicht etwa, weil ich männlicher sein wollte. Nein, es war einfach aus praktischen Gründen. Mir war es egal, wenn ich deswegen oft für einen Jungen gehalten wurde...meine Oberweite störte mich einfach beim Rennen.

Seufzend zog ich den Rest meiner Kleidung an – Eine kurze, braune Hose, die schon lauter Löcher hatte und ein dünnes, zu großes Oberteil. Darüber hing ich mir normal immer noch einen Umhang um, weil mir entweder kalt war oder ich verhindern wollte, dass allzu viel Sand in mein Gesicht flog.

Schließlich öffnete ich die Tür des Bades und ging Richtung Küche.
 

„Marik! Du kommst gerade richtig!“, sagte Raimi und klang begeistert „Ciel hat gemeint, dass Shadow gemeint hat, dass wir ihm helfen dürfen!“

Ich lächelte schwach. Natürlich wusste ich das schon, aber das sagte ich nicht.

„Ich frag' mich ja, woher der Sinneswandel kommt, aber mir soll's Recht sein“, fügte Sichi grinsend hinzu und nippte an seinem Glas Wasser.

„Und ich habe Gesellschaft!“, Ciel klatschte in die Hände und lächelte „Endlich langweile ich mich nicht mehr!“

Irgendwie erinnerte sie mich an ein Kind. Nicht, dass das etwas Falsches wäre...in dieser Welt sollte man solange Kind bleiben, wie man nur konnte.

Pandorra hingegen schien das alles wenig zu interessieren. Sie sah mich an und ich konnte die Frage in ihren Augen lesen.

„Alles in Ordnung?“

Ich nickte leicht und sie lächelte.

Irgendwie mochte ich Pandorra. Obwohl ich sie erst seit 4 Tagen kannte... sie schien all das zu verkörpern, was ich immer sein wollte. Selbstbewusst, aber nicht arrogant, Verständnisvoll, aber nicht hochsensibel, ruhig, aber nicht kaltherzig.

Sie wirkte...wie die perfekte Balance zwischen allen Emotionen.

„Ach ja. Hätte ich beinahe vergessen.“, meldete sich plötzlich nochmal Ciel zu Wort und sie sah mich mit einem undefinierbaren Blick an „Shadow hat gesagt...wenn du fertig bist mit Duschen und so sollst du in sein Labor kommen...“

„Ähm...was? Ich?“, fragte ich verwirrt und blinzelte „Was...was soll ich denn tun?“

„Na ja. Anscheinend helfen.“, erwiderte sie bloß.

„O-Okay...“

„Du solltest dich geehrt fühlen. In all den Jahren durfte ich nie in sein Labor...“, sagte Ciel.

Bildete ich mir das nur ein oder klang sie...neidisch?

Wäre irgendwie verständlich. Sie war schon seit 3 Jahren bei Shadow und hatte ihm bei seinem Projekt nie helfen dürfen...mich kannte er nicht mal einen Tag lang und ich durfte das schon.

Wobei ich mich auch fragte warum.

Vielleicht auch wegen unserem nächtlichen Gespräch...oder er brauchte Hilfe von jemandem, der etwas größer war.

Da hätte er eigentlich auch Sichi fragen können. Er war sogar noch größer als ich.
 

„Ich...u-und wie soll ich rein?“, fragte ich etwas ratlos, als ich vor der großen Tür stand, die zu Shadows Labor führte.

„Du musst bloß klingeln und dann öffnet er sie dir“, erklärte Ciel nun sachlicher. Unsicher sah ich zu Raimi, die mir nur aufmunternd zunickte.

Sichi schien misstrauisch zu sein und Pandorra...ich konnte nicht wirklich in ihr lesen, aber ich glaube, dass sie neugierig war.

„Im Nachhinein musst du uns aber verraten, was genau er von dir wollte“, meinte die Pantherdame grinsend „Und wie sein Projekt aussieht. Ich bin schon richtig gespannt.“

„Ich...ähm...okay...“, murmelte ich und drückte dann auf den roten Knopf.

Ein leises Klingeln ertönte. Dann surrte es kurz und seine Stimme ertönte durch den Lautsprecher:

„Komm rein.“

„Woher weiß er, dass ich es bin?“, fragte ich verwirrt und die Katzendame wies auf die Kamera oberhalb der Tür.

„Oh.“

Die Tür zischte, als sie auseinander glitt und den Blick auf einen Gang freigab, an dessen Ende ebenfalls eine Tür war.

Ich trat ein und sah nochmal zurück zu meinen Freunden, bis der Eingang wieder verschlossen wurde und ging langsam weiter zur nächsten Tür.

Warum machte Shadow um diesen Bereich so ein großes Geheimnis? Was verbarg sich dahinter?

„Warte.“

Verwundert blieb ich stehen, als wieder seine Stimme ertönte.

Irgendwo war hier also noch ein Lautsprecher.

„Bevor du reinkommst, muss ich dich warnen.“

Geduldig blieb ich auf der Stelle, bis er weitersprach.

„Wenn du dich anders verhalten solltest als normal, muss ich dich töten.“

Hä? Warum sollte ich mich anders verhalten? Jetzt verstand ich gar nichts mehr.

„Die Splitter des Master Emeralds senden eine Energie aus, die das...man könnte sagen, die einen hypnotisiert. Ist man nicht stark genug, sich dagegen zu wehren, wird man wahnsinnig. Denkst du, du hältst das aus?“

Wahnsinnig? Was!?

Entsetzt wich ich einen Schritt zurück. Ich war so oder so schon kaputt, da wollte ich nicht auch noch meinen Verstand verlieren!

Andererseits...

Ich hatte ihm gesagt, ich wollte helfen. Jetzt einen Rückzieher zu machen...das wäre feige.

Mehr als das sogar.

„Ich...ich halte das aus!“, erwiderte ich deswegen, bemüht ruhig, obwohl ich innerlich zitterte.

„Dann komm rein.“

Die Schwebetür öffnete sich und ich ging schnell durch, bevor ich doch noch kneifen konnte.

Hoffentlich würde ich da auch wieder lebend rauskommen.
 

Shadows Labor war...riesig. Es standen viele Maschinen herum und an den Wänden hingen überall Baupläne. Werkzeuge lagen geordnet auf einer Werkbank am Rand und es roch nach Öl, Verbranntem und...irgendwelchen Dingen, die ich nicht kannte.

Doch all das war nebensächlich. Denn in der Mitte des Raumes, stand eine riesige Maschine, beinahe 3 Meter hoch. Sie war in der Mitte rund und die Spitze lief dünn zu, während sie nach unten hin immer breiter wurde. Direkt in der Mitte sah ich sieben Löcher, die alle achteckig waren.

Ich wette, dass man da die Chaos Emeralds hineinsteckt.

Im unteren Teil war die Maschine hohl. Ich sah dort mehrere kleine und große, leuchtende Bruchstücke.

Waren das...die Splitter des Master Emeralds?

Sie glühten in einem beruhigenden grün. Irgendwie...hypnotisierend...

Bevor ich es überhaupt gemerkt hatte, war ich bei der Maschine und hatte eine Hand auf das Glas gelegt.

Die Splitter strahlten Wärme aus. Auf seltsame Art und Weise angenehm...faszinierend...

Ich spürte, wie ich ganz ruhig wurde bei dem Anblick und wie die Hitze durch meinen ganzen Körper floss. Sie waren so schön...
 

„Sieh nicht hin, das ist eine Falle!“
 

Ruckartig wich ich von dem Glas zurück.

Was...war das eben?

Ich blinzelte.

Hatte nicht gerade irgendwer geschrien?

Und warum starrte ich den Boden an?

„Faszinierend“, bemerkte da die Stimme von Shadow und ich fuhr herum.

Er hielt eine Pistole in der Hand und hatte sie auf mich gerichtet.

„Du hast widerstanden.“, sagte er sachlich und ließ die Waffe sinken, als er meinen entsetzten Blick sah „Das konnte bisher noch niemand.“

Mir fiel erst jetzt auf, dass er eine Art Sonnenbrille trug. Jedenfalls sah es aus wie eine, nur waren die Gläser so schwarz, dass sie fast undurchsichtig wirkten.

„Was...war das gerade?“, frage ich, da ich mich noch immer ziemlich durch den Wind fühlte. Diese komische Wärme...

„Die Splitter hypnotisieren dich. Es ist...als würden sie wollen, dass du sie an dich nimmst und überall auf der Welt verteilst.“, versuchte er es mir zu erklären, während er mir eine kleine Dose in die Hand drückte „Hier. Das sind Kontaktlinsen, setz sie dir ein. Normal trage ich sie, aber ich bezweifle, dass dir diese Brille hier passt.“

„Warum...“

„Sie vermindern die hypnotisierende Wirkung der Splitter. So kannst du immerhin widerstehen, ohne dir eine mentale Ohrfeige zu geben, jedoch hilft das nur bei denjenigen, die auch ohne Brille widerstehen könnten.“

„Nein, das meinte ich nicht...“, murmelte ich, während ich die Dose dankbar annahm „Warum hypnotisieren die Splitter einen?“

„Nun...das weiß ich nicht. Der Master Emerald ist noch nie auseinander gebrochen...vielleicht beeinflusst der Zustand der Welt auch die Energie von ihm. Ist die Welt im Gleichgewicht, ist seine Energie gutartig. Ist die Welt im Chaos, ist seine Energie eben bösartig. Wirklich genau wusste das wohl nur Knuckles.“

Irgendwie glaubte ich das nicht so Recht. Die Splitter wollten einen dazu bringen, sie überall auf der Welt zu verteilen...wodurch sie kaputt gehen würde...aber warum sollten sie das wollen?

Ich schüttelte den Kopf.

Jetzt tat ich schon so, als hätten Splitter einen Willen.

„Hast du einen Spiegel?“, wollte ich einfach dann wissen und Shadow wies auf die Tür, neben der der gewünschte Gegenstand hing.
 

Nachdem ich mir die Kontaktlinsen eingesetzt hatte, ging ich zurück zu dem Igel. Er lag unter der Maschine und schraubte an irgendwas herum.

„Ähm...was soll ich tun?“, hackte ich eifrig nach.

„Siehst du die Leiter neben der Werkbank?“

„Ähm...ja...“

„Nimm sie und sag mir Bescheid, wenn das rote, das blaue und das lilane Lämpchen oben blinken.“

Ah. Deswegen brauchte er also meine Hilfe...nicht mal mit einer Leiter kam er an das obere Ende der Maschine. Eher gesagt...kein normal großer Mobianer käme da heran.

Wobei ich mich fragte, wie er sie dann so hoch gebaut hatte...

Ich schnappte mir die Leiter, stellte sie neben Shadows Beinen auf die unter der Maschine hervorlugten und kletterte hinauf.

Auf dem „Deckel“ der Maschine sah ich diverse bunte Lämpchen – Gelb, Rot, lila, blau, grün, weiß und weitere Farben. Jedoch achtete ich auf die von ihm genannten Farben.

„Sag mal Shadow...kann ich dir eine Frage stellen?“

„Nein“, war die Antwort von unten. Seine Stimme klang dumpf, als hätte er den Kopf in der Maschine stecken.

„Warum trägst du eine Hose? Bist du früher nicht immer...nackt herumgelaufen?“

„Tu mir den Gefallen und sei still.“

„Bist du immer so gesprächig?“, murrte ich sarkastisch. Wobei ich die Antwort längst wusste, aber...ich hatte gehofft, dass er nach dem Gespräch gestern vielleicht etwas aufgetaut wäre.

Aber anscheinend war er noch genauso schweigsam.

Oder ich müsste wieder warten, bis er was sagen würde.

„Gelbes Licht, grünes Licht, rotes Licht...Blau aus, Lila an, weiß an, weiß aus...“, murmelte ich während ich zusah, wie die Lichter immer wieder ein – und – ausgingen.

Was machte er da unten?

Kurz hörte ich ein knistern von Strom, dann sprangen die drei gewünschten Lampen an.

„Shadow, sie sind an!“, informierte ich ihn wie gewünscht und fragte noch: „Was soll ich jetzt machen?“

„Kannst du das lesen?“, er war aus der Maschine gekrochen und ging nun zu einem der Baupläne, die er mir gab.

Sie waren vollgeschrieben mit Instruktionen und Zeichnungen des oberen Teils der Maschine.

„Ja. Kann ich.“, entgegnete ich und er hob eine Augenbraue.

Ich wusste auch wieso. Kaum ein Mensch konnte lesen.

Aber ich konnte es schon seit ich 6 war. Ich hatte einen Freund gehabt, der Lesen konnte und der hatte es mir beigebracht...ich wollte es auch Raimi und Sichi beibringen, aber die hatte es nicht interessiert.

Ich war die Einzige, die Schreiben und Lesen konnte. Leider brachte das in dieser Welt nicht allzu viel.

„Meinst du, du kannst das umsetzen?“, wollte der Igel wissen und ich sah nochmal auf die Zeichnungen. Es sah kompliziert aus...aber die Beschreibungen waren sehr genau, sodass nicht mal ich etwas verwechseln könnte.

„Ja. Ich glaube schon.“, meinte ich und Shadow drückte mir die entsprechenden Werkzeuge in die Hand.

„Dann los.“
 

„Warum hast du nicht Sichi gefragt?“, wollte ich nach einer Weile neugierig wissen. Shadow war wieder in die Maschine gekrochen und hantierte dort herum, während ich einen Deckel abgeschraubt hatte und nun diverse Kabel miteinander verband.

„Wen? Den anderen Mensch?“

„Ja. Er ist doch größer als ich...“

„Kann er lesen?“

„Ähm...nein...“

„Ist er handwerklich begabt?“

„Also...nein, aber das bin ich doch auch nicht...“

„Das einzige, was dein Freund kann, ist töten.“, tönte es dumpf aus dem Inneren und ich hörte, wie er irgendwas hämmerte.

„Das stimmt nicht, Sichi ist doch kein Mörder!“

„Welche Aufgabe hat er in eurer Gruppe?“

„Er ist so was wie unser Beschützer“, erwiderte ich aufgebracht „Er tötet nur, wenn es nötig ist und das auch nur wilde Tiere, die uns anfallen wollen! Er hat noch nie einen Menschen oder Mobianer getötet...!“

„Ob Tier, Mensch oder Mobianer, das macht keinen Unterschied.“, meinte Shadow kalt und stoppte sein Gehämmer.

„Jetzt tu nicht so, als hättest du noch nie getötet“, behauptete ich langsam bissig.

„Doch. Habe ich. Sogar sehr oft.“

„Also bist du nicht besser...“

„Das habe ich auch nie gesagt.“, er steckte den Kopf aus der Maschine und musterte mich mit unergründlichem Blick „Aber ich gebe auch zu, dass ich ein Mörder bin.“

Meine Hand zuckte kurz. Am liebsten hätte ich dem Igel jetzt einen Schraubenzieher an den Kopf geworfen...trotz der Angst, die ich hatte.

„Sichi sagt über sich selbst auch, dass er ein Mörder ist. Aber wenn man tötet, um sich zu verteidigen, ist man kein Mörder!“, langsam wurde mir bewusst, dass ich nicht nur Sichi damit verteidigen wollte.

Nein.

Ich selbst hatte auch diese Seite an mir...wie den Löwen, den ich damals umgebracht hatte.

Ja, ich war ein Mörder. Immerhin hatte es mir Freude bereitet es zu töten, hatte mich sogar in gewisser Weise befriedigt...das war einfach nur krank.

Krank und Ekelhaft.

„Du wirst schnell wütend, wenn es um deine Freunde geht“, bemerkte der Igel nur und steckte den Kopf wieder in die Maschine. Ich merkte, dass ich meinen Schraubenzieher so fest umklammert hatte, dass meine Knöchel weiß hervortraten.

Schnell lockerte ich meinen Griff und nahm ihn in die andere Hand, während ich so tat, als würde ich mich wieder auf die Pläne konzentrieren.

Doch meine Gedanken waren weit weg.

Irgendwas...stimmte nicht mit mir. Es war nicht normal, was ich beim Töten empfunden hatte und das wusste ich. Bis jetzt hatte ich mit niemandem darüber geredet, nicht mal mit Raimi. Und ihr vertraute ich sonst alles an.

Ich spürte die Umrisse des Messers an meinem Bein. Ich hatte es mir mit einem Stück Stoff um den Oberschenkel gebunden, damit ich es immer bei mir hatte. Durch meine löchrige Hosentasche konnte ich es jederzeit raus ziehen und wieder einstecken.

Ich wollte es nicht bei mir haben. Und doch konnte ich irgendwie nicht anders. Mit einer Waffe fühlte ich mich einfach...mächtiger.

Als müsste ich nicht mehr ständig beschützt werden. Als wäre ich nicht mehr so hilflos.
 

Genau dieses Gefühl hatte ich bei den Splittern. Diese Wärme...

...als wäre ich nicht länger allein. Als würden die Splitter mich verstehen und jedes meiner Geheimnisse kennen und sie bewahren. Es war komisch so was über Gegenstände zu sagen, aber es stimmte. Gegenstände waren mir sowieso lieber als Menschen. Gegenstände konnten einen nicht zurücklassen und einen enttäuschen. Gegenstände würden nur dann weggehen, wenn man beschlie¬ßen würde sie wegzuwerfen. Bei Menschen war das anders. Sie konnten einen jederzeit verlassen, ohne Vorwarnung und konnten eine tiefe Narbe im Herzen hinterlassen...
 

Sieh dich um und sag mir, was du siehst...

Vögel? Sehr gut, Mareike. Was siehst du noch? Wasser? Gras? Ein blauer Himmel?

Wunderbar machst du das. Ja, genauso, mal schön weiter. Weißt du, die Welt sah mal wirklich so aus. Was? Du fragst, ob ich für immer bei dir bleibe? Natürlich bleibe ich bei dir. Ich werde immer bei dir sein, solange du uns nicht vergisst. Keine Angst, Mareike, ich werde nicht Sterben und ich verlassen, so wie alle anderen. Nein, ich werde auch nicht eine andere Freundin finden und dich ersetzen. Nur du kannst mich sehen. Wir werden für immer beste Freundinnen bleiben, solange, bist du auch stirbst und zu einer Seele wirst, so wie ich!
 

„Mareike!“

Shadows Stimme schreckte mich aus meinen Gedanken und ich blinzelte verwirrt.

Warum war es so dunkel? Wo war ich?

Erst langsam fiel mir ein, dass ich ja die Kontaktlinsen trug, die meine Umgebung in eine düstere Dunkelheit tauchten.

Und...

Ich lag auf dem Boden?

„Was...ist passiert?“, fragte ich verwirrt.

Shadow hockte neben mir.

„Du bist runtergefallen.“, erklärte er. Als mein Blick sich nicht änderte, fügte er hinzu:

„Von der Leiter. Ich habe dich noch aufgefangen, aber du warst kurz ohnmächtig.“

„Ich...war ohnmächtig...?“, murmelte ich und setzte mich etwas auf. Was war geschehen? Eben noch hatte ich an den Kabeln herumgebastelt...und dann...Blackout.

„Passiert so was öfter?“, wollte er wissen. Er klang nicht besorgt – Er klang vielmehr wie ein Arzt, der gerade einen x-beliebigen Patienten untersuchte.

„Ich...nein, eigentlich...“, fing ich an, doch da dachte ich etwas länger nach.

„Doch. Ich werde zwar nicht ohnmächtig...aber einen Blackout hatte ich schon öfter...“

Ich rief mir nochmal die Stimme, die ich gehört hatte, in Erinnerung. Sie klang...so vertraut...es war dieselbe Stimme, die mich von den Splittern weggerufen hatten, aber...woher kannte ich sie?

Oder bildete ich mir das bloß ein?

„Hm.“, machte der Igel nur, ehe er aufstand. Ich tat es ihm gleich und versuchte nicht gleich wieder umzukippen.

Meine Hände zitterten und ich fühlte mich wie eine Geisteskranke.

Was war in letzter Zeit nur los mit mir?

„Tut mir leid...ich habe nur seit einiger Zeit nicht gut geschlafen...“, versuchte ich es ihm zu erklären und strich mir schnell ein paar Strähnen auf dem Gesicht „Ich glaube, das liegt bloß an der Erschöpfung...“

„Was heißt >seit einiger Zeit<?“

„Ähm...seit etwa...13 Jahren...“, gab ich zögerlich zu und er hob eine Augenbraue.

„13 Jahre? Ist das dein Ernst?“

Ich nickte beschämt und sah zu Boden.

„Warum?“

„Ähm...wie warum?“

„Warum schläfst du schlecht“, fügte er hinzu. Shadow klang erstaunlicherweise nicht genervt – Er klang sogar geduldig.

„Ich...habe Albträume...“

„Von was?“

Langsam schüttelte ich den Kopf „Ich...weiß es nicht. Es ist...alles so...durcheinander...ich verstehe es nicht...“

„Wiederholen sich deine Albträume?“

Diesmal nickte ich „Ich glaube schon. Es...es dreht sich immer um irgendeine Sache...die ich vergesse habe...“

„Vergessen habe...“, wiederholte der Igel langsam. An seinem Blick sah ich, dass er weit, weit weg war.

Und noch einmal hatte ich das Gefühl, er wüsste genau wovon ich sprach. Auch in seinem Leben war irgendetwas geschehen, das ihn beschäftigte. Wobei ich bezweifelte, dass es auch nur im Entferntesten so schrecklich war wie das, was ich durchleben musste.

„Du bist mir ähnlich“, sagte ich schließlich und lächelte traurig.

Der Igel sah mich mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Unglauben an.

„Inwiefern?“

Natürlich verstand er das nicht. Er war ein Mobianer, mehrere Jahrzehnte alt, eine Legende und intelligent. Ich hingegen...war nur ein Straßenkind mit durchschnittlichem Wissen und dermaßen vielen Ängsten, dass ich mich nie sicher fühlte...

Und dennoch.

„Deine Augen. Sie sind wie meine“, erwiderte ich schließlich und blickte zu ihm „Du hast auch jemanden verloren, der dir sehr am Herzen lag“
 

Es gab einen Unterschied zwischen „normalen“ Augen und „verlorenen“ Augen. Wenn man in normale Augen sah, war es, als wären sie der Spiegel der Seele. Man konnte die Emotionen aus ihnen lesen und das Strahlen, das von ihnen ausging.

„Verlorene“ Augen hingegen...wenn man in solche blickte, war es, als würde man in die Tiefe eines Brunnens sehen, der nie endete. Als würde man in die Glut eines Feuers schauen, dass langsam aber sicher erlosch.
 

Shadow hatte diese „verlorenen“ Augen. Ich wusste nicht wen er verloren hatte oder wie sehr diese Person ihm etwas bedeutet hatte...doch ich sah es klar und deutlich in ihnen.

Es gab zwei Emotionen die einen beim Tod einer geliebten Person durchliefen:

Trauer und Wut.

An erster Stelle war es immer die Wut. Warum war die Person einfach gestorben? Warum hatte es niemand gemerkt? Wieso gerade jetzt?

Und dann kam die Schuldsuche. Man suchte einen Schuldigen für den Tod des Geliebten, egal ob Freunde oder Verwandte. Das mag egoistisch und unfair klingen, aber...es half einem, sich davor zu schützen. Man konnte einfach besser damit leben, wenn man sich einredete man würde keine Schuld tragen, sondern jemand anderes.

Doch man konnte sich nicht ewig anlügen. Man erkannte, dass man selbst ebenfalls Schuld daran hatte...Und dann...dann kam die Trauer. Ein Schmerz, der alle positiven Gefühle auslöschte und sich langsam in das Herz bohrte, bis er es in Fetzen gerissen hatte und sich die Kälte des Todes in einem ausgebreitet hatte.

Es war nie leicht, mit dem Tod zu Recht zu kommen, selbst wenn man ihn vorhersah.

Aber mit Glück...mit Glück half einem die Familie, die Freunde oder sonst jemand damit klarzukommen. Der Gestorbene würde für immer eine Narbe im Herz hinterlassen und es würde immer wehtun, doch die Zeit würde dafür sorgen, dass man mit dem Schmerz leben konnte. Es überleben würde.
 

Und eines Tages...eines Tages würde man seine Geliebten wiedersehen.

Kapitel 8 - Remember me

Kapitel 8 – Remember me
 

„Und, an was arbeitet Shadow denn gerade???“, wollte Raimi sofort wissen, als ich aus der Tür von seinem Labor trat.

„Es...ist eine Maschine“, sagte ich vage und schüttelte den Kopf „Und irgendwas mit Master Emerald Splittern...er hat mit mir nicht viel darüber geredet. Der Master Emerald ist auseinander gebrochen und die Splitter sind von bösartiger Natur...sie versuchen einen zu hypnotisieren oder so. Ich weiß nicht genau wie das funktioniert, aber es funktioniert. Deswegen will er nicht, dass jemand sein Labor betritt...nur die wenigsten halten der Hypnose stand...“

„Und du tust es?“, fragte Sichi grinsend „Tja, hätte ich nicht gedacht...aber anscheinend bist du Dickköpfiger als ich dachte.“

Ich streckte ihm die Zunge raus.

„Ach deshalb durfte ich nie rein...“, murmelte Ciel „Hält Shadow mich wirklich für so schwach...?“

„Natürlich nicht, ich glaube eher, dass er dich nicht der Gefahr aussetzen will“, erwiderte Pandorra aufmunternd und sah zu mir „Der Master Emerald ist auseinander gebrochen? Wie ist denn das passiert?“

„Ähm...keine Ahnung...das weiß er nicht so genau.“, entgegnete ich „Er vermutet, dass es daran liegt, dass die Erde so zugerichtet wurde...“

„Verständlich. Immerhin hängen die Emeralds und die Erde irgendwie miteinander zusammen...“, meinte sie noch gedehnt und seufzte „Wie will Shadow die Splitter wieder zusammenbekommen?“

„Uhu?“, schlug Sichi bloß grinsend vor, während Raimi ihm ihren Ellenbogen in die Seite – Na ja, eher in den Oberschenkel – rammte.

„Das ist nicht lustig! Die Lage ist ernst, es geht hier immerhin um unseren Planeten!“

„Komm schon, ein bisschen Spaß muss auch sein...“

„Ich weiß nicht wie. Aber es muss mit dieser Maschine zusammenhängen...er hat gesagt, dass er uns das erklären wird, sobald er soweit ist.“, antwortete ich auf Pandorras Frage und sah kurz zu meinen Freunden.

„Wie genau wollt ihr ihm denn jetzt helfen?“, wollte Ciel noch wissen. Ich fragte mich, warum sie nur von uns dreien sprach.

Wollte sie nicht mit helfen?“

„Ähm...das weiß ich auch nicht...wie gesagt, er erklärt uns das, sobald er soweit ist...wann auch immer das sein wird...“

Ich fragte mich, warum Shadow so ein Geheimnis darum machte. Vielleicht machte es ihm Spaß den verschlossenen Igel zu spielen. Vielleicht wartete er darauf, dass wir von alleine verschwanden weil wir die Nase voll vom Warten hatten.

Vielleicht wusste er aber auch selbst nicht, was er eigentlich tun musste um die Emeralds wiederherzustellen.
 

Das Gespräch mit Shadow hatte mich nachdenklich gemacht. Ich hatte nicht viel aus ihm herausbekommen – Nach meiner letzten Bemerkung war er einfach wieder in sein Schweigen verfallen und hatte nicht mehr mit mir geredet.

Anscheinend war das ein wunder Punkt bei ihm...genau wie bei mir.

Shadow hatte jemanden verloren, der ihm viel bedeutet hatte. Dass er nicht darüber reden wollte, war offensichtlich.

In dieser Hinsicht waren wir gleich.

Doch es gab einen gravierenden Unterschied zwischen uns: Er wurde durch den Verlust hart, kaltherzig und emotional abgestumpft. Ich hingegen wurde sentimental, traurig und unsicher.

Im Prinzip hatten wir die Wege eingeschlagen, die den größten Unterschied hatten.

Aber das waren nicht die einzigen Beiden Wege, dass wusste ich. Den dritten Weg, hatte ein guter Freund von mir eingeschlagen: Alle negativen Emotionen unterdrücken und immer fröhlich sein.

Ich wusste nicht, ob dieser Weg besser war. Klar, man war für andere Leute erträglicher und man fand mehr Freunde, doch...die negativen Emotionen fraßen sich in einen hinein, da sie nicht heraus konnten und irgendwann...
 

„Hey, Marik.“

„Ja?“

„Was ist dir wichtiger? Unsere Freundschaft oder dein Leben?“

„Ich weiß nicht. Beides, würde ich sagen. Unsere Freundschaft ist mein Leben...“

„Würdest du mir was versprechen?“

„Was denn?“

„Versprich mir, dass du dich nicht umbringst bevor ich es tue, okay?“
 

Ich schüttelte den Kopf und sah dann wieder zu meinem Tagebuch.

Seit ich klein war, hatte ich Tagebuch geführt. Aus Angst, etwas Wichtiges zu vergessen...

Ich blätterte ein paar Seiten weiter vor und sah zu dem Bild, das darin klebte.

Weiße Haare. Schwarze Augen.

Dieses Foto hatte ich damals im Waisenhaus aus unseren Bilderalben geschnitten. Die Erzieherin hatte mich zwar angeschrien, aber das war es mir wert gewesen.

Ich durfte ihn nicht vergessen...
 

„Nero?“

„Hm?“

„Versprichst du mir im Gegenzug auch was?“

„Klar. Was denn?“

„Bitte lass mich nicht allein.“


 

Er hatte nur gegrinst und mir durch die Haare gewischt.
 

„Mit langen Haaren sahst du besser aus.“
 

Und dann war das Thema vorbei. Ich hatte nur zu Boden gesehen und geschwiegen.
 

Er hatte es mir nie versprochen.
 

„Alles in Ordnung?“, durchbrach Pandorras Stimme die Stille und ich sah erschrocken auf.

Ich saß auf der Couch im Wohnzimmer, während die Anderen in der Küche etwas aßen. Ich hatte einfach etwas Ruhe gebraucht.

„J-Ja...“, erwiderte ich bloß und versuchte zu lächeln, was aber mehr traurig als fröhlich aussah.

„Wer ist das?“, fragte sie noch und wies auf das Bild in meinem Tagebuch. Schnell klappte ich es zu und verstaute es in meiner Tasche.

„Nur...nur ein guter Freund.“

Pandorra blieb noch eine Weile stehen und beobachtete mich, ehe sie sich neben mich setzte.

„Willst du darüber reden?“

Und wieder mal bewies sie damit, wie leicht man in mir lesen konnte. Ich wusste, dass man mir ansah, dass ich immer bedrückt war, doch weder Raimi noch Sichi hatten je nachgefragt.

Nicht, weil es sie nicht interessierte. Sondern, weil sie dachten es läge an unserer gemeinsamen Vergangenheit...die auch ihren Teil dazu beitrug.

Doch dieser Teil war winzig im Vergleich zum Rest.

Jetzt hätte ich die Chance mit jemandem darüber zu reden, vielleicht würden dann die Schatten verschwinden.

Und dennoch...

„Nein. Lieber nicht...“, murmelte ich bloß und die Pantherdame nickte leicht.

„Manchmal geht es einem besser, wenn man darüber redet. Ich weiß, dass du glaubst ich würde dich sowieso nicht verstehen, weil ich reich bin und es mir bis jetzt immer gut ergangen ist...“

„Nein, das stimmt nicht“, erwiderte ich langsam „Ich...ich habe sogar das Gefühl, dass du mich besser verstehen würdest als Raimi und Sichi. Nur...ich bin noch nicht bereit, mich meiner Vergangenheit zu stellen.“

„Wenn du soweit bist und jemanden zum Reden brauchst, kannst du mich jederzeit fragen.“, sagte sie und lächelte leicht.

„Okay. Danke...“

„Keine Ursache.“

Pandorra stand auf und ging dann zurück in die Küche, während ich mich gleichzeitig für meine Feigheit mental Ohrfeigte.

Doch ich wusste auch, dass es noch zu früh dafür war. Ich könnte mit niemandem reden – Noch nicht.

Nicht, bevor ich überhaupt wusste, was genau geschehen war.
 

„Langsam hängen mir diese künstlichen Nahrungen zum Hals raus...“, murrte Sichi und schob mit seiner Gabel seine weißen Brocken auf dem Teller hin und her. Seit der Apokalypse wurde alles künstlich hergestellt, in Form von Brocken oder Flocken. Sie enthielten alles, was man zum Überleben bräuchte, aber sie schmeckten wie Kleister.

„Was genau ist das eigentlich?“, fragte ich argwöhnisch und stieß den Klumpen vor mir an. Er wackelte hin und her, ehe er wieder bewegungslos verharrte.

„Öhm...ich weiß nicht. Joghurt? Wackelpudding?“, vermutete Raimi und schob sich ihre Gabel voll mit Flocken in den Mund.

„Du siehst es so an, als würde es dich gleich anspringen“, sagte Pandorra lachend, als ich weiterhin mit meinem Löffel dagegen stieß.

„Das Gefühl habe ich auch.“, erwiderte ich grinsend und versuchte ein Stück mit dem Löffel abzumachen, doch der >Wackelpudding< rutschte unter ihm weg.

„Das Ding will mich vera*schen...“, grummelte ich und stach nochmal zu – Mit demselben Ergebnis wie davor.

„Ich glaube, dass muss man an einem Stück essen“, behauptete Ciel und ich sah mit schiefem Blick zu ihr.

„Was heißt hier >ich glaube<? Das ist doch dein Essensvorrat, hast du das noch nie probiert?“

„Öhm...eigentlich isst Shadow das Zeug immer...man braucht es nicht zu kauen und es wird schneller verdaut, weswegen man kein Müdigkeitsgefühl danach bekommt...und da er fast 24 Stunden am Tag arbeitet, ist das praktisch für ihn. Wir hatten nichts anderes mehr, morgen muss ich wieder in die Nachbarstadt einkaufen...tut mir leid.“

„Okaaay...“, machte ich gedehnt und stocherte weiterhin auf dem Wackelpudding herum „Ist es für ihn denn okay, dass ich sein Essen esse?“

„Ich denke schon.“, meinte Ciel und zuckte mit den Schultern „Wir haben nichts anderes mehr als das Zeug gehabt...und hungern lassen kann ich dich auch nicht...“

„Hm. Na dann“, murmelte ich und betrachtete den Klumpen in meiner Schüssel. In meinen Mund würde er passen...nur war ich misstrauisch bei Dingen, die ich noch nie gesehen bzw. Gegessen hatte.

Aber vergiftet konnte es auch nicht sein. Wenn Shadow das ständig aß...

Kurzerhand hob ich die Schüssel an meine Lippen und schluckte den Klumpen runter.

„Hey, schmeckt sogar ganz okay“, sagte ich überrascht und schüttelte dann den Kopf „Iih. Es hat nur einen bitteren Nachgeschmack...“

Ich spürte, wie mein Magen grummelte, als er den Wackelpudding verarbeitete.

Und dann merkte ich, wie müde ich wurde.

„Ich glaube...“, fing ich noch mühsam an, ehe mein Kopf zu schwer wurde und ich ihn kurzerhand auf den Tisch legte.

„Alles okay?“, hörte ich Raimi noch verwundert fragen, ehe alles schwarz wurde.
 

„Entschuldige.“, sagte er, während er das Blut von seinen Händen abwischte.

„Wofür? Das du mich angeschrien hast, oder das du den Typen beinahe umgebracht hast?“

„Ich weiß, es ist nicht immer toll in meiner Nähe zu sein.“

„Was ist dein Problem, Nero? Warum machst du so was?“

„Der Kerl hat dich belästigt!“

„Dafür musst du ihm doch nicht gleich beide Arme brechen!!“

„Hey, wenn ich nicht da gewesen wäre, wäre vielleicht noch schlimmeres passiert“

„Ich weiß, dass du für mich immer den Beschützer raushängen lassen musst, aber ich bin groß genug um auf mich alleine aufzupassen. Das weißt du doch.“

„Ja“, machte er nur und wischte sich den Blutfleck vom Gesicht „Es ist nur als Waise ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden.“

„Nero...“

„Nein, im Ernst. Wenn du nicht gebraucht wirst und dich keiner zur Kenntnis nimmt...dann ist es so, als würdest du nicht existieren. Alles was du tust, alles was du erreichst...das tust du, um andere zu beeindrucken oder um Lob zu ernten oder für andere Leute. Für dich selbst machst du nie etwas. Denn was bringt es dir, wenn es keiner zur Kenntnis nimmt? Und wenn Keiner dich beachtet...ich weiß nicht. Es ist halt Scheiße, nicht existent zu sein. Was macht das Leben noch für einen Sinn, wenn keiner einen braucht? Ich fühle mich einfach so...nutzlos.“, er schloss die Augen und sah Richtung >Himmel<. Das tat er immer, wenn es ihm zu viel wurde.

Ich legte meine Hand auf seinen Arm.

„Du bist nicht nutzlos. Für mich bist du die wichtigste Person in meinem Leben.“

Er schwieg erst mal. Schließlich sagte er nur: „Danke.“

„Wir passen aufeinander auf, richtig?“

„Aber immer doch, Kleine.“


 

„Hast du das gehört? Der eine hat sich umgebracht!“

„Was, echt? Er war's denn?“

„Irgend so ein Nero...“

„Und wie hat er sich umgebracht?“

„Er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten oder so. Der Typ soll schon sau oft Probleme gehabt haben und sogar Drogen genommen haben...“

„Dann ist ja kein Wunder, dass der sich umgebracht hat. Ist auch besser so, als wenn so ein Asozialer weiter frei rumläuft! Ich hab gehört, der Typ soll sich voll oft geprügelt haben...“

„Meine Rede! Und dieses komische Mädel in seiner Nähe...ich wette, die ist spätestens in einer Woche auch weg, so depressiv wie sie ist. Sie hat ihn ja auch gefunden. Die war aber so oder so pausenlos am Flennen.“

„Pff, ich konnte die Beiden nie leiden. Waisen halt.“


 

„Sie wacht auf!“

„Zum Glück, hätte sie noch mehr gegessen, wäre sie wohl nie wieder aufgewacht...“

Ich blinzelte. Dann sah ich mich verwirrt um.

Shadow stand neben mir, Raimi kniete vor mir und Pandorra sah mich besorgt an.

„W-was...“

„Du warst ohnmächtig. 2 Tage lang.“

„Was!?“

„Der Wackelpudding den du gegessen hast, war eine Art Schlafmittel. Und zwar ein starkes...hättest du ein bisschen mehr gegessen, wärst du nicht mehr aufgewacht.“, erklärte Shadow knapp, während er seinen Schraubenzieher in der Hand drehte.

„Ein Schlafmittel?“, wiederholte ich ungläubig „Will Ciel mich umbringen!?“

„Das war bestimmt nur ein Versehen“, winkte Pandorra sofort ab und ich sah mich um.

„Wo sind Ciel und Sichi?“

„Die sind in der Stadt, Besorgungen machen. Wir wollen in zwei Tagen losfliegen, die Splitter der Master Emeralds suchen.“

„Ähm...was?“

„Das erkläre ich dir noch.“, erwiderte Shadow bloß und ich blinzelte nur.

„Öhm...okay...was habe ich alles verpasst?“

„Ich erzähle es dir nachher.“, meinte Raimi nur beruhigend, ehe sie fragte: „Sag Mal...wer ist Nero?“

„Nero?“, wiederholte ich und schluckte „Woher...w-woher kennst du ihn!?“

„Du hast die ganze Zeit nach ihm gerufen. Im Schlaf.“

„Oh.“, machte ich und schüttelte leicht den Kopf „Das ist...nur jemand, den ich von früher kenne.“

„War das dieser Weißhaarige, der sich...“

„Hast du Hunger?“, fragte Pandorra dazwischen und ich nickte hastig. Ich sah sie dankbar an, was sie nur mit einem leichten lächeln erwiderte.

Raimi hingegen warf der Pantherdame einen kurzen, verärgerten Blick zu, ehe sie aufstand und sagte: „Ich gehe duschen.“

„Ich gebe dir was zu Essen. Dann kann ich dir auch den Plan erklären.“, Shadow ging in die Küche, während Pandorra mir aufhalf. Schnell folgte ich ihm und hoffte, dass jede Frage über Nero nun im Keim erstickt war.
 

„Wer ist Nero?“, ich zuckte zusammen, als Shadow mir diese Frage wieder stellte und starrte auf meine Breimischung auf dem Teller vor mir.

„Du hast tatsächlich oft nach ihm gerufen.“, fuhr er fort und stocherte selbst in seinem Essen herum, während er den Kopf auf einer Hand abstützte.

Ich schwieg bloß und schob mir schnell eine Gabel voll von dem Brei in den Mund, als Vorwand, ich könnte nicht reden, da ich ja aß.

Er wartete aber geduldig ab und sah zu, wie ich extra langsam kaute.

Schließlich musste ich doch irgendwann schlucken und öffnete daraufhin den Mund, um etwas zu sagen. Meine Kehle war plötzlich staubtrocken, als ich an Nero dachte und ich konnte nur schwer ein Würgen unterdrücken.

So viel Blut...
 

„He - Nicht weinen, Mareike. Es ist alles gut...ich bin glücklich...“
 

„Du musst es nicht sagen.“, meinte Shadow ruhig, als er merkte, wie schwer es mir fiel darüber zu reden „Ich habe meine Antwort.“

Langsam schüttelte ich den Kopf um das grausame Bild darin zu vertreiben.

„Ich...“, machte ich und stockte dann kurz „Schon gut. Ich...in letzter Zeit...da träume ich immer von ihm...“

„Wer ist er?“

„Er ist...war...mein bester Freund...“, erwiderte ich leise und sah auf den Teller mit Brei.

Der Brei schien sich wie ein Wirbel zu drehen, färbte sich rot, verwandelte sich in eine riesige Grimasse, die mich verschlingen wollte. Hastig schob ich den Teller von mir und kniff die Augen zusammen, damit die Umgebung aufhörte sich zu drehen.

„Was ist passiert?“

Ja...was ist passiert? , dachte ich bitter und merkte, dass meine Augen Staub trocken waren.

Keine Tränen. Kein Schluchzen.

Shadow musste mich für den gefühlslosesten Menschen auf dem Planeten halten.

Aber...ich konnte nicht weinen. Nicht, wenn es um Nero ging.

Ich wusste, dass er es hasste, wenn ich weinte.
 

„Nichts bessert sich, wenn du weinst. Na komm, lach doch mal, dann bist du viel hübscher“
 

Nero hatte nie geweint. Er war fröhlich, er war wütend, er war nachdenklich...aber er war nie traurig.

Und dabei war sein Schicksal fast genauso schlimm wie meins.
 

„Nero war nie jemand, der seine Probleme zeigte.“, sagte ich stockend, aber mit klaren Worten zu Shadow gewandt „Ich weiß nicht. Vielleicht war das sein Hauptproblem...er war immer gut gelaunt, weißt du? Er war nett zu jedem, selbst zu denen, die ihn quälten. Nur, um normal zu sein...vielleicht hat das ihn so zerfressen und kaputt gemacht.“

„War er auch im Waisenhaus?“

„Nein, dazu war er schon zu alt...man hat ihn mit 18 rausgeworfen...aber er war trotzdem in der Stadt und hat Quatsch gemacht. Er ist extra wegen mir nicht weggegangen. Er hat hart gearbeitet, damit wir später mal zusammen wohnen können...als Familie...wir hatten nur uns...“

Shadow runzelte die Stirn „Wie alt warst du, als er aus dem Waisenhaus gegangen ist?“

„Ich war 12 und er 18. Er war für mich wie ein großes Bruder...ich kannte ihn praktisch seit meiner Geburt...“, erzählte ich und merkte, wie ich log.

Nein, Nero war für mich wie kein großer Bruder. Er war viel mehr als das...ein Bruder, ein Vater, ein bester Freund, ein fester Freund...Nero hatte alle Lücken in meinem Leben ausgefüllt, die ich besaß.

„Er hat mich immer vor den anderen beschützt“, jetzt lächelte ich schwach „Raimi und Sichi habe ich erst kennen gelernt, als er...weg war.“

„Weg war?“

„Ja. Er hat...“, ich hielt inne, da meine Stimme erstickt klang und räusperte mich mühsam.

„...mich allein gelassen. Als ich 16 war.“

„Von heute auf morgen?“, fragte Shadow ungläubig, während er sein Essen aufaß. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er ernsthaft interessiert war.

„Ja. Nein. Ich weiß nicht. Es...es war unvermeidbar. Das habe ich von Anfang an gewusst...aber ich wollte es nie wahrhaben...“
 

„Wir bleiben für immer zusammen, richtig, Nero?“

„Natürlich, ich werde immer bei dir sein. Vielleicht nicht physisch, aber psychisch bin ich immer bei dir.“

„Was heißt das?“

„Ach, ist nicht so wichtig. Willst du nochmal eine Runde mit mir klettern?“

„Au ja!“
 

„Bist du...sehr sauer...auf mich...?“

„Ich...i-ich verstehe das nicht...w-warum hast du das getan?? Ich...ich dachte wir...wir stehen das durch! B-Bitte...bleib bei mir...“

„Tut mir leid...ich kann nicht mehr“
 

„Es ist nicht so, dass er von heute auf morgen depressiv wurde“, ich lächelte schmerzlich „Nein, die Wahrheit ist, dass er sein ganzes Leben lang so war. Aber er hat es nie offen gezeigt und er hat nie mit mir darüber geredet...fast nie...“
 

>>>Flashback<<<
 

Ich saß neben Nero auf der kleinen Mauer, die uns von den Reichen trennte. Wie üblich hatte er einen Apfel in der Hand, aber es war kein normaler Tag.

„Willst du morgen was Besonderes machen?“, fragte ich ihn, während er in sein künstliches Obststück biss.

„Warum?“

„Na du hast doch Geburtstag.“

„Da gibt es nichts zu feiern“, erwiderte er nur und ich sah ihn lange an.

„Warum bist du so?“

„Wie?“

„Schlecht gelaunt. Jedes Jahr an deinem Geburtstag bist du so. Warum?“

Er biss erneut in seinen Apfel, ehe er doch wieder grinste und zu mir sah.

„Hey, warum sollte man die Geburt des Bösen feiern?“

Ich stieß ihm leicht in die Seite und schmunzle „Wenn du das Böse bist, bin ich Gott.“

„Welche Ehre, ich wusste gar nicht, dass Gott eine Frau ist.“

„Nero!“

„Schon gut.“, sein Grinsen erlosch und sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklich „Die Wahrheit ist doch, dass meine Eltern mich an meinem Geburtstag ausgesetzt haben. Warum sollte ich diesen Tag feiern?“

Das hatte ich vergessen. Nero wurde damals in einer anderen Stadt ausgesetzt, kurz nach seiner Geburt. Und zwar in einer mobianischen Stadt...

Er hatte mir nie genaueres darüber erzählt. Ich wusste aber, dass das die schlimmsten Jahre seines Lebens waren.

„ Stimmt auch wieder.“, murmelte ich deswegen bloß und er warf den halben Apfel weg.

Das war auch ungewöhnlich. Nero war niemand, der Essen verschwendete bzw. Es einfach wegwarf. Normal verschenkte er es an ärmere Kinder weiter oder ließ keinen Rest übrig.

„Wenn du die Zeit umkehren könntest...was würdest du tun?“, fragte er mich plötzlich und ich sah ihn überrascht an.

„Die Zeit umkehren?“

„Ja. Würdest du deine Familie retten?“

Ich schwieg lange. Er wippte mit den Füßen auf und ab, so wie er es immer tat, wenn er warten musste.

„Ich glaube, das würde nichts bringen.“

„Wie jetzt?“

„Na ja, jeder hat doch ein bestimmtes Schicksal. Und ich glaube, meine Familie würde so oder so sterben, egal, was ich tun würde. Das ist eben ihr Schicksal.“

Nero sah mich verwirrt an „Du würdest es also nicht mal versuchen?“

„Ich weiß, das klingt herzlos, aber...es ist einfach so. Und wenn ich sie retten würde und bei ihnen gelebt hätte...da hätte ich dich nie kennengelernt.“

„Du...würdest auf deine Familie verzichten...nur wegen mir?“

Ich nickte leicht und starre dabei den Boden an.

Er hingegen legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

„Du bist so naiv.“

„Was?“, machte ich und verstand nicht ganz, was er damit meinte.

Dass ich Naiv war, hatte ich oft gehört...aber in welchem Zusammenhang stand das mit Nero?

„Du würdest auf deine Familie verzichten, nur um mit mir befreundet zu sein...mit einem Mörder, der nicht mal alleine zurechtkommt...du würdest wirklich alles aufgeben, nur um mit einem psychisch labilen Mörder befreundet zu sein?“

Ich wusste, was er meinte. Nero hatte aus irgendeinem Grund den Drang, anderen wehzutun. Aus diesem Grund bemühte er sich auch nett und fröhlich zu sein, aber manchmal...da brach es einfach aus ihm heraus.

Wir hatten schon so oft darüber geredet. Am Anfang war es ein heftiger Streit, dann wurden daraus Diskussionen und schließlich...schließlich hatten wir nicht mehr darüber geredet.

Ich mochte Neros andere Seite nicht. Sie machte mir einfach Angst.

Sie erinnerte mich zu sehr an...

„Du bist nicht psychisch labil.“, erwiderte ich bloß schwach, während er bitter lachte.

„Das meine ich. Du bist viel zu naiv. Ich habe einen schlechten Einfluss auf dich...du solltest gar nicht in meiner Nähe sein.“

Sofort nahm ich seine Hand und drückte sie leicht.

„Hör auf so was zu sagen“, ich merkte, wie meine Stimme leicht hochrutschte. Die Angst, er würde mich verlassen saß mir im Nacken. Jetzt, wo Nero nicht mehr im Waisenhaus war...da konnte er überall hin.

Ohne mich.

Und ich würde allein in dieser Stadt sein.

„Schwör mir, dass du mich hier nicht alleine lässt!“, sagte ich mit Nachdruck und sah ihm in die Augen.

Er hingegen schloss diese wieder.

„Das kann ich nicht.“

So direkt hatte er mir das noch nie gesagt. Er hatte früher das Thema gewechselt, mir vage geantwortet...aber so direkt hatte er es mir noch nie gesagt.

„Tut mir leid.“, fuhr er fort „Aber ich kann nicht mehr hier bleiben. Ich werde morgen die Stadt verlassen.“

„Deswegen...“, ich ließ seine Hand los.

Plötzlich fühlte ich mich wie eine Stoffpuppe. Kraftlos, leer und ich konnte mich nicht bewegen.

Deswegen war er den ganzen Tag bei mir gewesen. Deswegen war er so seltsam gelaunt.

Deswegen...hatte er mir nie versprochen bei mir zu bleiben.

„Ich habe jemanden kennengelernt.“, fuhr er fort, als wäre es noch nicht schlimm genug „Ihr Name ist Meiko. Sie wohnt in der nächsten Stadt...ich werde zu ihr ziehen. Sobald du 18 bist, holen wir dich auch...“

Seine Worte klangen stumpf an meinem Ohr.

Nero...hatte jemanden kennengelernt? Eine andere Frau? Mit der er zusammen ziehen wollte?

Und mich wollte er dafür zurücklassen??

Ich merkte, wie Wut in mir aufsteigt.

Eine andere Frau stahl mir einfach meine Nero. Ich kenne ihn schon seit meiner Geburt! Und er...entscheidet sich für jemand anderes?

Verlässt mich einfach, so wie alle anderen?

Natürlich würde er das tun. Das war doch nicht das erste Mal, dass man mich für eine andere sitzen ließ.

Nein. Nicht nochmal.

Diesmal würde es nicht so enden.

Meine Hand fuhr vor und im nächsten Moment hatte Nero einen rot glühenden Abdruck auf der Wange.

Er starrte mich an. In seinen Augen sah ich Verwirrung, Überraschung und Entsetzen.

„Du bist so ein mieser Lügner!“, schrie ich und ballte meine Hand zur Faust „Wir kennen uns seit mehr als 10 Jahren und du gehst einfach zu einer anderen? Du weißt genau, dass ich niemanden außer dir habe! Wenn du gehst, bin ich hier ganz allein...“

Ich merkte, wie ich anfing zu weinen und wischte mir nicht gerade sanft die Tränen aus den Augen.

„Mareike, ich...“, fing Nero an, doch ich unterbrach ihn mit einem ruckartigen Kopfschütteln.

„Nein! Halt bloß den Mund! Ich will nichts mehr von dir hören...ich kenne diese ganze Leier schon auswendig! Du behauptest zwar, dass du das nur tust um mich zu schützen, aber die Wahrheit ist doch einfach, dass du mich nicht mehr haben willst und zu feige bist, um es mir ins Gesicht zu sagen!“

„Ich...“

„Meinetwegen kannst du zu deiner neuen Freundin gehen! Aber wenn sie dich enttäuscht – Und glaub mir, das wird sie – komm bloß nicht zurück in diese Stadt! Oder sonst irgendwie in meine Nähe! Ich will dich nie wieder sehen, verstanden!?“, ich machte eine Pause um Luft zu holen und starrte ihn vor Wut kochend an. Er hingegen ließ die Schultern hängen und hatte die Augen geschlossen.

„Hast du noch etwas zu sagen?“, fragte ich ihn frostig.

„Nein.“, erwiderte er bloß und sah zur Seite „Ich bin einfach Scheiße.“

Ich widersprach nicht.

Ich wartete darauf, dass er nochmal versuchte mir alles zu erklären, doch er schwieg bloß und musterte den Boden, als wäre es das 8. Weltwunder.

So würde es also enden. Mein bester Freund würde mich für jemand anderes verlassen und mich hier alleine lassen.

In einer Stadt, in der mich alle hassten.

„Du hast Recht.“, ich spannte sämtliche Muskeln an und hatte das Bedürfnis, ihn wieder zu schlagen. Er sollte die gleichen Schmerzen haben wie ich, genauso leiden.

„Ich bin wirklich verdammt naiv.“

„Mareike...es war doch keine Absicht. Ich hole dich auch, wenn du 18 bist, dann können wir wieder zusammen rumhängen...“

„Du kapierst es einfach nicht“, unterbrach ich ihn scharf und schüttelte wieder den Kopf „Es ist mir egal, ob du mich holst oder nicht! Meinetwegen kannst du auch 30 Jahre lang weg sein und wieder zurückkommen, mir wäre es egal. Ich würde warten.“

„Was ist dann das Problem?“

„Das Problem“, erwiderte ich fast schon hysterisch „ist einfach, dass du mich für irgend so eine Tussi verlässt, die du gerade mal seit 3 Monaten kennst! Wir kennen uns unser ganzes Leben lang schon und du ziehst sie mir vor! Was soll ich denn davon halten? Bin ich dir wirklich so wenig wert?“

„Nein, das ist nicht so...“

„Bis jetzt wurde ich immer für eine andere verlassen. Sei es für eine andere Person oder für ein anderes Leben. Die Leute lassen mich zurück, weil sie etwas Besseres finden. Ich bin bloß die 2., 3. Oder 4. Wahl für sie.“, sagte ich jetzt leise und meine Wut war verraucht. Mir wurde klar, dass ich diese Szene immer und immer wieder durchlebt hatte. Nero war nur einer von vielen, der mir ein Messer ins Herz bohrte und eine schmerzende Narbe hinterließ.

„Das stimmt nicht. Du bist für mich nicht wie 2. Wahl...Neben meiner Freundin bist du die wichtigste Person in meinem Leben“, antwortete Nero bestimmt und ich lächelte bitter.

Neben meiner Freundin..., die Worte hallten in meinem Kopf nach.

Neben seiner Freundin.

Neben seiner Freundin war ich die 2. Wahl.

Schon wieder.

„Weißt du, ich habe damals so viel für dich empfunden. Und du hast es nie gemerkt.“, flüsterte ich, ehe meine Stimme lauter wurde „Aber meinetwegen kannst du gehen. Du bist genau wie alle anderen Idioten, von denen du damals behauptet hast, sie wüssten gar nicht was sie an mir hätten. Ich bin es leid, ständig allein gelassen zu werden. Deine Mordprobleme kannst du jetzt auch alleine klären, mal sehen, wie deine Freundin damit zurechtkommt! Wenn du die tötest, die den Tod verdienen, kannst du dich gleich selbst ins Messer werfen!“

Und damit hatte ich mich umgedreht und war weggerannt.
 

„Hm.“, machte Shadow nur und musterte mich über den Tisch hinweg.

Ich starrte auf den Teller vor mir. Meine Augen waren noch immer trocken, ich hatte es geschafft nicht zu weinen.

„Wenn ihr im Bösen auseinander gegangen seid“, sagte der Igel schließlich nachdenklich „Verstehe ich nicht, warum du ihn so vermisst.“

„Das war nicht alles“, erwiderte ich erstickt und nippte an meinem Glas Wasser.

„Nicht?“

„Nein. Nero...ist nie zu Meiko gezogen.“

„Warum denn?“

„Weil Meiko ihn verlassen hatte. Er hat...mich angelogen, damit ich wütend auf ihn bin.“

„Und warum wollte er, dass du wütend auf ihn bist?“
 

„Bist du...sehr sauer...auf mich?“
 

Ich lächelte traurig und merkte, wie mir doch eine Träne über die Wange kullerte und auf dem Tisch landete.
 

„Nicht weinen, Kleine. Es ist...okay so. Wirklich...“
 

Shadow sah mich abwartend an, während er mir ein Taschentuch gab.

Dankbar nahm ich es an und starrte auf den roten Stoff.

Rot wie Blut...
 

„Du hast doch gesagt ich solle jemanden töten, der den Tod verdient hätte“
 

„Er wollte doch nur glücklich sein“, flüsterte ich leise und ballte die Faust um das rote Tuch, während mein Blick in die Ferne rückte.
 

Nero wollte doch nur glücklich sein.

Kapitel 9 - Past

Kapitel 9 – Past
 

„Der Plan lautet wie folgt: Wir werden hauptsächlich nachts aktiv sein, Tagsüber ist es zu gefährlich. Das heißt Tagsüber wird geschlafen, nachts dringen wir in die jeweiligen Städte ein, in denen sich die Splitter des Master Emeralds befinden. Unser Transportmittel wird der Taifun sein, ein ehemaliges Raumschiff, das ich umfunktioniert habe.“, Shadow tippte auf seiner Tastatur herum und über dem Metalltisch erschien ein Hologramm, welches ein Raumschiff aus verschiedenen Perspektiven zeigte, während es sich langsam drehte.

„Es hat nur Vier Zimmer. Das heißt, einer muss sein Zimmer teilen.“

„Ich teile mir ein Zimmer mit Pandorra!“, rief Ciel sofort, wobei sie noch ihre Hand hob als wären wir in der Schule.

Ich warf ihr einen schrägen Blick zu und sie zog den Arm sofort zurück.

„Das wird bestimmt witzig“, bemerkte die Pantherdame nur grinsend.

Sichi musterte das Raumschiff stirnrunzelnd „He – Ist das nicht zu groß? Ich mein...wir können doch net immer landen mit dem Ding. Das fällt auf wie noch was.“

„Der Taifun wird auch nicht landen. Er kann in der Luft bleiben, ohne sich zu bewegen.“, erklärte der Igel knapp und zoomte in das Innere des Raumschiffs „Man kann darin wohnen, es gibt vier Bäder und eine Küche. Beim Lenken brauche ich aber Hilfe, da kommt Marik ins Spiel.“

Ich merkte, wie mich alle ansahen und wurde rot.

„Marik? Aber sie hat noch nie so was gemacht!“, sagte Raimi verwundert „Warum muss sie dir da helfen?“

„Sie ist die Einzige, die Lesen kann“, erwiderte Shadow ungeduldig „Und darauf kommt es hauptsächlich an.“

Ich merkte, wie mich Erleichterung durchströmte.

Endlich konnte ich auch mal etwas Nützliches dazu beitragen. Ich war nicht mehr nur noch ein Anhängsel...

Dann aber merkte ich, wie Ciel Pandorra schräg ansah und diese leicht den Kopf schüttelte.

Und ich bekam das Gefühl, dass die Pantherdame auch lesen konnte, wahrscheinlich sogar besser als ich.

So viel zu dem Gefühl, gebraucht zu werden.

„Die Splitter sind über die ganze Welt verteilt, von Holoska bis hin zu Crysis City“, fuhr der Igel ungerührt fort und nun zeigte sich ein Hologramm in Form der Weltkugel „Ich habe eine Route für uns ausgearbeitet. Wir werden nicht alle gleichzeitig nach einem Splitter suchen – So wäre die Gruppe viel zu groß. Drei von uns werden den Splitter suchen, zwei werden das Schiff bewachen und der Letzte wird in den umliegenden Städten Proviant und nötiges holen. Je nachdem wo wir gerade sind, wird die Gruppe anders aufgeteilt – Aber natürlich werde ich an vorderster Front sein. Und wenn nicht Ich, dann Marik.“

Wieder starrten mich alle an.

Bevor überhaupt jemand fragen konnte wieso, sagte Shadow schon: „Marik kann ebenfalls dem Splitter widerstehen. Sie und ich sind die Einzigen, die das können, deswegen steht sie an zweiter Stelle der Front. Verstanden?“

„Das mit den Splittern verstehe ich immer noch nicht.“, warf Raimi stirnrunzelnd ein „Was sollen die denn machen?“

„Die Splitter haben eine bösartige Energie. Dadurch aktiviert sich das >Böse< in den Personen, die ihm zu nahe kommen...es klingt zwar lächerlich, aber ist einfach so.“, versuchte ich es irgendwie zu erklären und hob die Hände „Ich weiß nicht, irgendwas in der Art. Auf jeden Fall ist man nicht mehr man selbst, wenn man diese Splitter zu lange ansieht oder in deren Nähe ist.“

„Die Strahlung der Splitter ist ebenfalls gefährlich“, fügte der Igel hinzu „Nicht so schädlich, dass man sofort daran stirbt, aber man könnte Schäden davontragen, wenn man zu lange in der Nähe des Splitters ist. Aus diesem Grund habe ich extra einen Raum im Taifun gebaut, der die Strahlungen im Inneren hält und nichts nach außen lässt. Diesen Raum dürft ihr auch gar keinen Fall betreten – Außer ich gebe euch dafür die Erlaubnis.“

„Wer hätte gedacht, dass das, was die Erde retten könnte, sie gleichzeitig zerstört?“, hörte ich Ciel leise murmeln und ich seufzte.

„In zwei Tagen reisen wir los. Bis dahin müsst ihr euch aus den Städten alles Nötige geholt haben – Kleidung, Essen, Trinken...einfach alles.“, schloss der Igel das Gespräch und er stand von dem runden Metalltisch auf.

Etwas unsicher sah ich zu ihm, ehe ich den Mund öffnete um etwas zu sagen – Doch Raimi kam mir zuvor.

„Ich schlage vor, dass wir morgen einkaufen gehen“, sagte sie zu Sichi und mir gewandt.

Ich sah zu Boden.

Jeder hatte Geld...außer Mir.

Sichi stahl den Leuten ihr Geld, Raimi half gelegentlich in einer mobianischen Stadt eine Stunde lang aus und bekam dafür etwas Geld...Pandorra war reich, Ciel und Shadow hatten Geld...nur ich nicht.

Trotzdem blieb ich solange still sitzen, bis alle aufgestanden waren und aus dem Raum gegangen waren.

Fast alle.

„Warum bleibst du sitzen?“, fragte Pandorra und stand langsam von ihrem Platz auf.

„Wo soll ich denn hin?“, antwortete ich bloß und seufzte wieder.

Die musterte mich eine Weile lang, ehe sie sagte: „Du hast kein Geld, oder?“

Ich spürte, wie ich rot wurde und schüttelte langsam den Kopf.

„Ich kann dir welches geben“

„Aber ich kann es nicht zurückzahlen...“

„Musst du nicht. Ich habe genug Geld“, sie lächelte leicht „Außerdem, ohne dich wäre ich doch gar nicht bei der Weltrettung dabei. Ich schulde dir was“

„Ähm...nein, ich...“

„Schon gut“, Pandorra kramte in ihrer Tasche herum, ehe sie mir einen Beutel gab „Sagen wir einfach...du gibst es mir zurück, wenn wir die Welt gerettet haben und du Arbeit hast, okay?“

„Aber...“, machte ich automatisch um zu protestieren, doch da schüttelte ich nur leicht den Kopf und meinte: „D-Danke...“

„Kein Problem. Wirklich“
 

„Glaubst du, ich bin eine miese Freundin?“, ich drehte den kleinen Metallengel in meiner Hand hin und her, während Shadow unter der großen Maschine lag und an irgendwas herum schraubte. Er lag mit dem Rücken auf einem rollenden Brett und nur seine Füße ragten unter der Apparatur hervor.

„Warum?“, erwiderte er, seine Stimme klang stumpf und ging fast in dem Lärmpegel unter, den er verursachte.

„Wegen...du weißt schon. Wegen Nero.“

„Es ist nicht deine Schuld, was ihm passiert ist.“

„Doch. Ist es.“, murmelte ich und der Krach hörte kurz auf.

„Er hätte es so oder so getan. Ganz gleich, ob ihr Streit gehabt hättet oder nicht. Du warst doch nicht der Hauptgrund, sondern diese Meiko.“

„Nein, es lag nicht an Meiko...es lag an mir. Es lag schon immer an mir, dass die Menschen in meiner Nähe sterben. Ich weiß nicht warum, aber...sie tun es einfach.“, ich steckte den kleinen Engel weg und rieb mir die Augen, als sie anfingen zu tränen.

„Dann war Nero nicht der Einzige?“

„Nein...“

Das Rumoren fing wieder an, als Shadow anfing wieder zu schrauben und zu bohren.

Trotz seiner abweisenden Art...ich hatte das Gefühl, er würde mich mögen. Irgendwie.

Vielleicht hatte er aber auch nur Mitleid mit mir.

„Willst du darüber reden?“, fragte er dann und ich öffnete dem Mund um sofort >Nein< zu sagen.

Noch nie hatte ich mit jemandem darüber geredet. Nicht einmal mit Nero.

Aber...ich hatte bis jetzt auch noch nie mit jemandem über Nero geredet.

Und es Shadow zu erzählen...es hatte mich erleichtert.

Als hätte man mir eine tonnenschwere Last vom Herzen genommen.

Doch gleichzeitig war es mir unglaublich schwer gefallen mich ihm zu offenbaren.

„Nicht jetzt.“, antwortete ich deswegen nur leise, sodass meine Stimme fast im Lärm unterging.

Dennoch war ich mir sicher, dass er es gehört hatte, denn er fragte nicht mehr nach.

Ich blieb neben ihm auf dem harten Boden sitzen und reichte ihm die benötigten Werkzeuge, während wir uns gegenseitig anschwiegen.

Irgendwie war die Stille aber nicht unangenehm. Wenn ich mit Raimi und Sichi zusammen war, hasste ich es, wenn es still wurde. Da fühlte es sich immer so unangenehm an, aber mit Shadow war es sogar erträglich.

Ich wusste, dass er nicht gerade für seine Gesprächigkeit bekannt war...dennoch hatte ich es geschafft, dass er sich aktiv mit mir unterhielt. Zwar nicht über banale Dinge, aber er hatte mit mir geredet.

„Du erinnerst mich an eine alte Freundin.“, sagte er plötzlich und ich sah überrascht auf.

„Wirklich?“

„Ja.“

„Was ist aus ihr geworden?“

„Sie ist tot“, antwortete er bloß und bohrte irgendetwas fest.

„Oh...“, machte ich nur „Das tut mir leid...“

„Sie war 12. Oder 13...ich weiß kaum noch etwas über sie“, sagte er zögerlich und hörte kurz mit dem Lärm auf „Ich weiß fast nichts mehr aus meiner Vergangenheit...“

„Amnesie?“

„Ja. So in etwa.“

Amnesie...das musste wirklich schlimm sein. Shadow hatte nichts mehr...nicht einmal mehr seine Erinnerungen.

Wie es sich wohl anfühlen musste ganz allein zu sein?

Ich hatte ja noch Raimi, Sichi, Pandorra...Shadow hingegen war ganz alleine auf der Welt und würde es auch immer bleiben. Er war der Einzige, der Unsterblich war.

„Früher habe ich nur in der Vergangenheit gelebt“, sagte er und riss mich so aus meinen Gedanken. Ich sah zu ihm.

Shadow schien nicht mehr zu arbeiten, lag aber weiterhin unter der Maschine.

Vielleicht fiel es ihm leichter über sich selbst zur reden, wenn er mich dabei nicht ansehen musste...

„Diese ganzen Fragen warum ich existiere...warum ich mich nicht erinnere...es war schon erbärmlich, wie sehr mich das alles beschäftigte. Ich war praktisch von dem Gedanken besessen, herauszufinden wer ich bin.“

„Das ist aber auch nachvollziehbar. Ich...ich würde auch unbedingt herausfinden wollen, wer ich bin und warum meine Erinnerungen weg sind.“, erwiderte ich sofort „Immerhin...“

„Nein, das meine ich nicht.“, unterbrach mich der Igel und ich klappte den Mund zu.

„Ich war bereit, alles dafür zu opfern. Ich hätte dafür sogar fast den ganzen Planeten zerstören lassen“, fuhr er fort und ich hörte das dumpfe Geräusch eines Schraubenziehers, der auf den Boden gelegt wurde „In dem Glauben, Maria rächen zu müssen...“

„Wer ist Maria?“

„Eine Freundin aus der Vergangenheit. Sie ist das Mädchen, an das du mich erinnerst.“, antwortete er knapp „Maria lebte mit mir und ihrem Großvater im Weltall...auf der Space Colony ARK. Ich war so was wie ein Experiment ihres Großvaters...ich sollte die ultimative Lebensform sein. Aber als das Militär von der Erde herausfand was in der ARK vor sich ging, schickten sie ein Einsatzkommando zu uns und ließen jeden Wissenschaftler zurück zur Erde bringen. Marias Großvater Professor Robotnik wurde festgenommen...und mich sollte man beseitigen.“

Ich merkte, wie in seinem letzten Satz Zorn mit schwang und beschloss besser nicht nachzufragen.

„Maria und ich haben versucht zu fliehen. Aber...nur ich entkam.“, fuhr er nach einer Weile fort, als er sich wieder beruhigt hatte „Sie sperrte mich in eine der Fluchtkapseln und zog den Hebel zum Abschuss, weswegen sie von einem Soldaten erschossen wurde.“

„Das tut mir leid...“, konnte ich nur sagen und schüttelte leicht den Kopf.

Maria hatte Shadow gerettet und war für ihn gestorben...die Bindung der Beiden war wirklich unglaublich.

„Im Nachhinein“, jetzt rollte Shadow doch unter der Maschine hervor und wischte sich die ölverschmierten Hände an einem Tuch ab „habe ich den Menschen die Schuld an Marias Tod gegeben. In dem Glaube, sie rächen zu müssen, habe ich mich mit dem Dr. verbündet...“

„Du hast dich mit Eggman verbündet!?“, platzte es aus mir heraus und ich starrte ihn an „Du hast ihm bei der Zerstörung der Welt geholfen!?“

„Nein, dabei nicht. Das Ganze war vor dem Egg Imperium...ich habe mich mit dem Dr. verbündet um gegen Sonic zu kämpfen. Damals hat der Dr. Noch die sieben Chaos Emeralds gesammelt um die Strahlenkanone der A.R.K anzutreiben und so die Erde zu zerstören, doch das konnte Sonic verhindern. Ich half dem Dr. Dabei die Emeralds zu sammeln und gegen Sonic zu kämpfen...ich wollte den Planeten zerstören um Maria zu rächen. Sie und ihren Großvater...“

„Aber dann hast du eingesehen, dass Rache nichts bringt?“, vermutete ich und er nickte leicht.

„Ich half Sonic dabei, die A.R.K aufzuhalten. Nicht, um die Menschen zu schützen...es war wegen Maria. Sie...sie hat sich immer gewünscht, einmal auf der Erde zu sein. Und sie wollte, dass ich die Menschen beschütze...“

„Deswegen versuchst du die Welt zu retten“, sagte ich langsam „Du willst dein Versprechen an Maria halten.“

Er wollte das unmögliche möglich machen. Für ein Jahrhunderte altes Versprechen an eine Freundin, an die er sich kaum erinnerte.

Diese Liebe zueinander...war einfach unglaublich. Maria hatte ihr Leben für ihn geopfert und Shadow versuchte sich nun zu revanchieren, indem er um jeden Preis den Planeten schützte.

„Ja.“, entgegnete er bloß und sein Blick rückte in die Ferne „Sie hat immer gemeint, dass die Menschen mich brauchen.“
 

Die Worte von Shadow hatten mich nachdenklich gestimmt.

Maria war für ihn gestorben. Sie hatte ihn genug geliebt, um ihr Leben für seines zu opfern.

Und er fühlte sich deswegen dazu verpflichtet, den Planeten zu retten, den sie so sehr liebte.

Es war egal, wie unrealistisch es war, wie mühsam...Shadow schien fest entschlossen.

Er würde das Unmögliche möglich machen.

Für Maria.
 

„Meine Eltern haben versucht zu mir Kontakt aufzunehmen, weißt du? Sie haben versucht, mich zu finden, mich zurückzuholen...aber es ging einfach nicht. Jahrelang hat meine Mama sich so gequält...am Ende wurde es ihr einfach zu viel und sie hat sich umgebracht, nur um bei mir zu sein. Diese Liebe...kannst du sie dir vorstellen?“
 

Ich blinzelte einige Tränen weg.

Diese Liebe...

Als ich klein war...da wusste ich noch was Liebe war. Wusste, wie es sich anfühlt von anderen geliebt zu werden.

Doch mittlerweile hatte ich das Gefühl, immer nur zu geben und nichts zu bekommen. Ich würde mein Leben für Raimi und Sichi opfern – Aber ob sie das Gleiche für mich tun würden?

Sichi ist da schwierig. Im einen Moment konnte man mit ihm Witze machen, doch sobald man auch nur eine falsche Sache ansprach bzw. Ihm widersprach entwickelte sich die Unterhaltung zu einer aggressiven Diskussion oder einem Streit. Ich erinnerte mich daran, wie wir uns mal darüber gestritten hatten, dass ich keine Schusswaffen mochte.

Natürlich konnte er nicht verstehen warum...er wusste nichts über mich. Weder Raimi und Sichi kannten mich wirklich, würden mich je verstehen.

Und so würde es auch bleiben.

Die Freundschaft, die wir hatten, war gut so. Raimi war die Chefin, Sichi der Waffennarr und ich diejenige, die man vor fast allem beschützen musste. Es schweißte uns zusammen.

Wenn ich noch meine persönlichen Probleme hineinbringen würde...dann würde das alles viel zu kompliziert werden. Raimi und Sichi erwarteten von mir, dass ich friedlich, schüchtern und zurückhaltend war. Mehr nicht.

Sollten sie mein Geheimnis herausfinden – Was dann? Welche Rolle sollte ich einnehmen?

Die der Geisteskranken?

Sie mochten mich dafür, dass ich so unkompliziert erschien. Man konnte sich fast immer an mich wenden, egal welches Problem es gab. Man konnte mir alles sagen.

Für Raimi und Sichi war ich kein seelisches Wrack. Für sie war ich eine normale Waise, die die Welt zwar bedauerte, aber nicht weiter darüber nachdachte.

Was sollten sie mit der „echten“ Marik tun? Einer Marik, die so gestört war, dass sie erst gar nichts gegessen hat, dann viel zu viel, gekotzt hat, wieder zu viel gegessen hat, gar nichts gegessen hat.

Einer Marik, die so viele Verluste, so viele Tode ertragen musste, dass sich vor ihrem inneren Auge immer wieder alles abspielte. Einer Marik, die in jeder Stadt tote Menschen sieht, im Schlaf schreit, von Schatten verfolgt wird.

Einer Marik, die Stimmen in ihrem Kopf hört, skrupellos tötet, in der Vergangenheit lebt.

Einer Marik, die jeden Tag an Selbstmord denkt, jeden Tag ein Stück tiefer schneidet und trotzdem Angst davor hat, den Schlussstrich zu ziehen.
 

Nein, Raimi und Sichi würden es nie verstehen.

Auch wenn meine Vergangenheit mich immer verfolgen wird...ich konnte es ihnen einfach nicht erzählen. Sonst läge sie wie ein schwarzer Schatten über uns.

Sie würden mich nie wieder so behandeln wie vorher.

Kapitel 10 - Life

Kapitel 10 – Life
 

„Das ist unser Schiff.“, Shadow zog die weiße Plane herunter und Staub wirbelte auf. Ich hustete und kniff automatisch die Augen zusammen, damit sie nicht anfingen zu tränen.

Als ich sie wieder öffnete, sah ich ein großes Raumschiff vor mir. Es schimmerte metallisch und am Rumpf sah ich das Zeichen von drei gelben Schwänzen.

Anscheinend hatte der Igel sich nicht die Mühe gemacht das Design zu ändern.

„Tails hat ihn Taifun genannt, soweit ich weiß. Ich habe ihn umgebaut, sodass wir damit reisen können. Man kann darin wohnen und ihr könnt euch eure Zimmer selbst aussuchen...Es gibt vier Decks: Im untersten Deck ist die Kapitänskabine, also mein Zimmer. Da habt ihr nichts zu suchen. Das zweite Deck ist die Kommandozentrale, von da aus steuern wir das Schiff und versammeln uns auch im Besprechungsraum. Das dritte Deck ist das Mannschaftsquartier – Da werdet ihr euch die meiste Zeit befinden. Das vierte Deck ist das Maschinendeck...ihr könnt hin, aber ihr werdet nichts anfassen, verstanden?“

Automatisch nickte ich, obwohl die anderen nichts dazu sagten oder taten.

„Wir haben auch eine Kantine und eine Krankenstation...“, sagte Shadow gedehnt „Aber wir haben weder einen Koch, noch eine Ärztin. Von daher werden Raimi und Ciel sich notdürftig darum kümmern...“

„Wenn wir so ein großes Schiff haben...warum holen wir uns nicht eine richtige Mannschaft??“, fragte ich und er runzelte die Stirn.

„Noch mehr Leute...?“

„Ja! Dann wären die Aussichten besser! Ich meine...wenn wir richtige Techniker, Kämpfer, Mediziner und Crewmitglieder hätten – Dann hätten wir mehr Chancen!“, stimmte Sichi begeistert zu.

„Wir wollen nur Splitter sammeln – Nicht eine Exkursion beginnen. Wir brauchen nicht so viele...“, fing der Igel an, aber Pandorra unterbrach ihn schnell.

„Doch, brauchen wir! Raimi ist keine ausgebildete Ärztin und wir sind keine ausgebildeten Kämpfer. Es wäre praktischer, wenn wir richtige Profis hätten...“

„Wozu brauche ich dann euch?“

Bei der Frage zuckte ich zusammen.

Stimmt...

Wenn Shadow „richtige“ Profis einstellen würde...wozu bräuchte er dann uns?

„Marik kann ich noch gebrauchen. Immerhin kann sie den Emeralds widerstehen.“, fuhr Shadow fort und ich sah ihn überrascht an.

Dann war ich plötzlich wichtig? Sonst war ich immer entbehrlich...

„Na ja, wir können doch trotzdem helfen. Du musst ja nicht eine ganze Crew anheuern...aber ein richtiger Mediziner, ein Kämpfer und ein Techniker wären gut...“, meinte Pandorra nachdenklich „Als eine Art Rückversicherung. Ich meine...diese Reise wird sehr gefährlich und es werden viele Hindernisse kommen. Da ist es praktischer eine große Auswahl an Teammitgliedern zu haben, als sich immer nur auf einige verlassen zu müssen. Außerdem...es kann auch sein, dass einige...nicht zurückkommen werden.“

Ich schluckte schwer. Nicht zurückkommen...natürlich wusste ich, dass wir sterben konnten, doch bis jetzt hatte ich diese Tatsache immer verdrängt.

Es war für mich unvorstellbar was sein würde, wenn Sichi, Raimi oder Pandorra sterben würden – Und was wäre, wenn Shadow sterben würde? Ja, er hatte Erfahrung und war ein Überlebenskünstler, doch...was wäre wenn?

Dann könnten wir die Chaos Emeralds nicht mehr benutzen und die ganze Reise wäre umsonst gewesen.

„Also gut. Ich denke darüber nach.“, meinte Shadow schließlich nur zu unseren Vorschlägen und ging die Treppe hoch, die aus dem Raumschiff gefahren war und zu einem recht kleinen Eingang führte.

„Ähm...ist im Inneren die Decke höher?“, wollte Sichi wissen, als er sich bücken musste um überhaupt hineinzukommen.

„Ja.“, erwiderte der Igel bloß knapp und wir betraten die Kommandozentrale des Schiffes.
 

„Wow...“, murmelte ich, als ich die vielen technischen Geräte, Hologramme und Bildschirme sah.

Die Kommandozentrale war ein geräumiger Raum mit einer Holo-Karte, die in der Mitte vor mir schwebte. Sie zeigte die Erde...glaubte ich zumindest...so genau wusste ich es nicht.

„Unser erstes Ziel ist Iron Forest.“, Shadow berührte das Holo und es zoomte an einen Ort heran...der aussah wie...

„Ein Wald!?“, platzte es aus mir heraus und er warf mir einen kurzen, verärgerten Blick zu, ehe er fort fuhr.

„Der Splitter des Emeralds hat das Wachstum der Pflanzen immens gesteigert – Innerhalb weniger Stunden wird alles überwuchert. Dieser Wald befindet sich auf einem anderen Kontinent und ist sehr weit weg...doch der Splitter ist dort sehr groß und stellt eine Bedrohung für die unterirdischen Städte da. Die Wurzeln...“

„Verlaufen soweit unter der Erde, dass sie sogar fast die Stadt überwuchern, stimmt's?“, Ciel sah kurz zum Holo, ehe sie merkte wie der Igel sie anstarrte und sie nervös und entschuldigend lächelte.

„Genau. Früher befand sich im Iron Forest ein Labor...man hat mit dem Splitter Experimente gemacht, doch dann wurden sie von der Natur überrascht und konnten nicht mehr aus dem Labor hinaus – Wahrscheinlich sind dort alle tot.“

„Wie viele Leute waren daran beteiligt?“, wollte ich wissen und er machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Das ist egal. Wir müssen uns auf die Splitter konzentrieren, nicht auf Überlebende.“

„Aber wenn wir welche sehen, können wir sie retten, oder?“

„Es ist unmöglich, dass jemand überlebt hat. Das Experiment ist Jahre her und im Labor gab es keine Nahrungsvorräte...“

„Marik mag keine Toten.“, unterbrach Sichi ihn kurzerhand und Shadow hob bloß eine Braue.

Wahrscheinlich würde er gleich sagen, dass niemand Tote mochte...

„Sie wird sehr nervös, wenn sie an Orte kommt an denen Menschen oder Mobianer gestorben sind.“, fügte Raimi noch erklärend hinzu „Manchmal wird sie sogar ohnmächtig davon.“

Shadow starrte mich lange an, ehe er nur meinte: „Das sollte sie in den Griff bekommen. Die ganze Welt ist ein einziger Friedhof geworden.“

Bei diesen Worten schluckte ich bloß schwer.

Ein einziger Friedhof...ja, er hatte Recht.

So viele Leute mussten schon ihr Leben lassen...

„Ihr könnt euch eure Kabinen suchen. Wir treffen uns später im Besprechungsraum.“, sagte der Igel schließlich nur noch und ich merkte, wie sich unsere Gruppe langsam auflöste. Meine Freunde gingen zum Fahrstuhl am Ende des Decks, Shadow ging zu der Luke nebendran und kletterte hinunter...schließlich war ich ganz allein in der Zentrale.

Ich sah zu dem Holo-Planeten vor mir.

Ein einziger Friedhof...

Die ganze Welt war zu einem Friedhof geworden.

Zögerlich streckte ich die Hand zu dem Holo aus.

Das Land war gelblich-braun, das Meer fast schwarz.

Verdreckt, ausgetrocknet, tot.

Als ich die Erde berührte, veränderte sie sich. Das Land würde grün, das Wasser strahlend blau.

Verwirrt runzelte ich die Stirn, ehe ich sie nochmal berührte. Diesmal zoomte das Holo nahe heran, sodass ich die Landschaft sehen konnte: Weißer Sand, blauer Himmel, klares Wasser.

Und Menschen, die friedlich mit den Mobianern im Sand lagen.

Kinder, ob menschlich oder mobianisch, die im Meer planschten und lachten. Eltern, die sich gegenseitig im Sand eingruben oder einfach nur die Wärme der Sonne genossen.

War das die Erde?

So schön...so friedlich...konnte sie das wirklich sein?

Kinder, die lachten...es war lange her, seit ich mal ein Kinderlachen gehört habe.

Und es ist schon lange her, dass ich selbst mal gelacht habe.

Aber auf diesem Holo...ich berührte einen anderen Punkt auf dem Erdball und es zoomte wieder.

Grünes Gras, Menschen, die mit Tieren spielten und dabei mit Mobianern redeten.

Menschen und Mobianer.

Sie haben in Frieden gelebt und Harmoniert. Sie haben sich gegenseitig geholfen, sich respektiert, sich gemocht.

Und das alles...

Weg.

Auf einen Schlag.

Plötzlich gab es keine lachenden Kinder mehr. Keine glücklichen Eltern. Keine vereinte Gemeinschaft von Menschen und Mobianern.

Das alles wurde ersetzt.

Gegen Angst. Rassenfeindlichkeit. Wut. Hass.

Vor hundert Jahren als Eggman angriff.

Ich fragte mich, wie viele Familien er zerstört hatte.

Wie viele Kinder ihren Vater verloren hatten im Krieg. Wie viel Unschuld man verloren hatte.

Wie viele gestorben waren.

Vor hundert Jahren wäre ich nicht das einzige Kind gewesen, das seine Eltern nicht mehr wiedergesehen hätte.

Stunden später saß ich immer noch vor dem Holo und starrte die Videoszenen an. Spulte immer wieder zurück, nur um nochmal die Kinder Lachen zu hören.

Kinder sollten nicht in dieser Welt aufwachsen. Sie sollten spielen und unschuldig sein, sie sollten nicht den Anblick vom Tod ertragen müssen. Vor allem nicht den ihrer eigenen Eltern.

„Warst du die ganze Zeit hier?“, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme und drehte ruckartig den Kopf herum.

Shadow kletterte aus seiner Luke und schloss diese hinter sich, ehe er zu mir kam und zu dem Holo sah.

„Entschuldige“, murmelte ich „Ich wollte bloß...“

„Das sind alles alte Aufnahmen. Die meisten sind von Überwachungskameras...es ist eine Erinnerung.“, meinte er bloß und ich sah ihn verwundert an.

„Erinnerung?“

„Ein Anflug von Sentimentalität.“

„Sentimentalität!?“

Shadow sah mich gereizt an.

„Wenn du das jemandem erzählst, bist du tot.“

Ich fragte mich, ob er das bloß als Scherz meinte, doch sein Blick war todernst, weswegen ich nur hastig nickte.

„Entschuldige...ich dachte nur...“

„Dass ich keine Gefühle habe?“

„Öhm...so direkt wollte ich es nicht sagen...“

Er schüttelte bloß leicht den Kopf und ich bekam Gewissensbisse.

„Also...ich glaube nicht, dass du keine Gefühle hast...ich dachte nur...na ja...du wirkst nicht wie jemand, der offen über seine Gefühle spricht“, versuchte ich noch die Kurve zu bekommen und er musterte mich kurz, ehe er erwiderte:

„So wird man nun mal, wenn man unsterblich ist.“

„Ernsthaft?“

„Ja. Es ist...schwer. Wenn du alles und jeden an dich ranlässt...mit jedem Mitleid hast...es macht dich nur verwundbar. Deswegen schottest du dich von allem ab.“

Ich überlegte lange. Dann fragte ich nur:

„Aber immerhin musst du keine Angst vor dem Tod haben.“

„Angst vor dem Tod?“

„Ich weiß, du kennst das nicht...“, murmelte ich bloß und wurde etwas lauter „Aber ich zum Beispiel habe jeden Tag Angst...Angst, dass ich sterbe, verstehst du? Ich...ich werde noch ganz verrückt...ständig sehe ich Dinge, die nicht da sind...ich habe einfach solche Angst...“

„Du hast keine Angst vor dem Tod.“, behauptete Shadow knapp und ich sah überrascht hoch.

„Du hast Angst vor dem Leben.“

Bei dem Satz zuckte ich zusammen.

Angst vor dem Leben?

„Warum sollte ich Angst vor dem Leben haben?“, fragte ich verwirrt.

Der Igel blickte kurz zu dem Holo, ehe er irgendwo in die Ferne starrte und antwortete: „Die meisten würden gerne für immer die Augen schließen und nie wieder in dieser Hölle aufwachen. Jeder Tag ist ein Kampf und ein Albtraum. Du siehst Freunde sterben, Familie, Geliebte...mit der Gewissheit, dass du sie wiedersehen wirst.“

Ich öffnete den Mund um zu widersprechen – Doch dann hielt ich inne.

Man sieht alle, die man liebt, sterben. Aber...man könnte sie vielleicht irgendwann wiedersehen.

Jeder Tag war ein Kampf und Albtraum.

Ich starrte Shadow lange an.

Die ganzen Narben, das fehlende Ohr...die stolze Haltung, die einsame Aura...

„Hast du Angst vor dem Leben?“, fragte ich einfach.

Der Igel zeigte zum ersten Mal den Anflug eines – wenn auch melancholischen – Lächelns.

„Unsterblich zu sein, heißt auch, für immer mit sich selbst leben zu können.“
 

Nach dem Gespräch hatte Shadow mich auf das Maschinendeck geschickt. Hier gab es einen Beobachtungsraum, er hatte gemeint, dass ich da meine Kabine einrichten sollte.

Zögerlich schritt ich zu der großen Tür, die sich sofort automatisch und geräuschlos öffnete. Ich betrat den großen und dunklen Raum und schaltete das Licht an.

Das erste, was ich sah, war ein Holo in Form der Erde, welches neben dem Bett schwebte. Dann das Bücherregal am anderen Ende des großen Zimmers und...

„Blumen...“, flüsterte ich ungläubig, als ich sie auf dem Nachttisch stehen sah.

Vorsichtig nahm ich den Topf in die Hand und strich sanft über die grünen Blätter.

Die Blüte war schneeweiß und wunderschön.

Woher hatte Shadow diese Blume? Und die Bücher?

Und das Bett?

Er hatte doch nicht wissen können, dass ich hier hinkommen würde. Dass er das geplant und extra für mich alles geholt hatte, bezweifelte ich stark.

Wer dieses Zimmer wohl vor mir bewohnt hatte?

Ich strich über das Bücherregal.

Kein Staub. Shadow musste dieses Zimmer wirklich gepflegt haben...sonst wäre die Blume auch schon längst gestorben.
 

„Sieh mal, Papa! Das hab ich ganz allein gemalt, schön, oder?“

„Ja, es ist wirklich schön...wo willst du es hin hängen?“

„Ich weiß nicht...da drüben über mein Bett? Darf ich, Papa?“

„Natürlich, Kleines. Ich hole nur noch einen Nagel.“
 

Meine Hand zuckte vor dem Bild über dem Bett zurück.

Was war das gerade?

Diese Stimmen...

Bildete ich mir nur wieder Dinge ein?
 

„Ich habe die Bücher gelesen, Papa. Darf ich dir jetzt bei deiner Arbeit helfen?“

„Das ist sehr gefährlich, Maria. Bleib bitte einfach im Schiff, okay?“

„Aber ich will auch mal raus! Ich will die Welt sehen, weißt du?“

„Es gibt nichts zu sehen, Maria. Die Welt ist tot.“
 

Ohne wirklich zu wissen warum, griff ich in das Bücherregal. Ich zog einen dickeren Atlas heraus und öffnete es.

Etwas Kleines segelte aus dem Buch und landete vor mir auf dem Boden.

Ich hob es auf und drehte das Foto um.

Es zeigte Shadow und...

„Mein Gott“, flüsterte ich und starrte die kleine Figur neben ihm an.

„Das glaube ich nicht...“

Kapitel 11 - Loyality

Kapitel 11 – Loyalty
 

„Unser erstes Ziel ist Iron Forest. Das sich dort befindliche Labor ist unter einem Berg aus Pflanzen begraben, es wird schwierig dort hinein zu kommen. Aus diesem Grund bekommen diejenigen, die mit mir gehen auch ein Schwert oder ähnliches, um sich frei schneiden zu können. Die meisten Pflanzen sind giftig und könnten sogar angreifen – Der Splitter hat sie fast schon mutieren lassen.“, Shadow zoomte das Hologramm näher und wir konnten den dicht bewucherten Wald sehen.

„Und wer kommt mit?“, wollte Sichi wissen, während er zu dem Waffenschrank schielte. Bestimmt war er neugierig, welche Waffen der Igel so besaß.

„Marik und Sichi kommen mit mir. Pandorra, du und Raimi bleiben auf dem Schiff. Ciel wird in der Stadt Vorräte kaufen – Und diesmal kein Schlafmittel.“, das Letztere sagte er so scharf, dass sie kurz zusammen zuckte und schnell nickte.

Ich konnte mir ein kurzes, schadenfreudiges Grinsen nicht verkneifen, hörte aber sofort auf damit, als sie mich anstarrte.

„In dem Labor müssten sich meinen Berechnungen nach mindestens 6 Splitter befinden. Oder vielleicht sogar mehr, wenn wir Glück haben.“, fuhr der Igel fort und ging zu dem Waffenschrank. Er öffnete ihn und zog eine Box heraus, die man sich scheinbar auf den Rücken schnallen konnte und aus einem sehr schweren Metall zu bestehen schien.

„Hier sperren wir die Splitter ein. So können ihre Strahlungen uns nichts ausmachen, aber die Box ist sehr schwer. Aus diesem Grund werde ich sie tragen – Von uns allen würde sie mich wohl am wenigsten im Tempo bremsen. Und selbst wenn wäre ich immer noch schneller als ihr.“

„Und welche Waffen nehmen wir mit?“, fragte Sichi nun, sichtlich ungeduldig und auch neugierig.

Er war eben ein Waffenfreak, durch und durch.

„Ich werde keine brauchen. Sichi, du bekommst nur eine Machete. Immerhin hast du selbst Schusswaffen. Marik bekommt von mir ebenfalls eine Machete und eine Ithaca. Wir werden wahrscheinlich kaum Schusswaffen brauchen – In dem Wald sollten sich eigentlich nur Pflanzen befinden und gelegentlich einige Raubtiere, doch das auch nur sehr selten.“

„Dann wird die Mission ja easy“, behauptete Raimi nachdenklich und sah zu mir. Wahrscheinlich war sie beruhigt darüber...

„Nein, ist sie nicht. Sie ist immer noch sehr gefährlich, immerhin haben wir es hier mit mutierten Pflanzen zu tun.“, widersprach Pandorra sofort „Man sollte die Natur nicht unterschätzen. Das kann einem echt zum Verhängnis werden.“

„Es wäre praktisch, wenn wir jemanden hätten, der Pflanzen manipulieren könnte“, warf Ciel noch nachdenklich ein „Oder?“

„Das bringt nichts mehr. Früher hat sich die Natur ja gerne den Mobianern gebeugt, aber jetzt...?“, ich schüttelte den Kopf und seufzte „Es ist ja auch egal. Wir sollten einfach weiter den Plan besprechen und dann gehen, okay?“

„Der Meinung bin ich auch.“, Shadow sah zu uns, ehe er wieder zu dem Holo sah „Es gibt eigentlich keinen Plan. Ich orte die Splitter, wir folgen der Spur und holen sie uns. Wenn wir Glück haben ohne größere Probleme, aber unterwegs müssen wir mit Widerstand der Pflanzen rechnen. Sie können mit Lianen unsere Hälse umschlingen und uns erwürgen...“

„Wäre es nicht viel effektiver, wenn sie einfach keine Photosynthese mehr betreiben würden?“, fragte ich und merkte, wie die Anderen mich anstarrten.

„Wenn was?“

„Photosynthese...das ist wenn die Pflanzen Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff...“, als sich der verwirrte Blick meiner Freunde nicht klärte, seufzte ich bloß entnervt.

„Für ein Waisenkind weißt du erstaunlich viel.“, behauptete Pandorra und zwinkerte mir zu „Aber wenn die Pflanzen keine Photosynthese mehr betreiben würden...“

„Dann würden sie selbst keine >Luft< mehr bekommen.“, unterbrach der Igel uns gereizt „Wenn wir das geklärt hätten, kann ich jetzt fortfahren?“

„Entschuldige...ich wollte nur...“

„Egal jetzt. Auf jeden Fall müssen wir sehr aufpassen – Die Pflanzen können uns aus allen Richtungen angreifen, sogar vom Boden aus. Immerhin haben sie noch ihre Wurzeln. Wir reisen in wenigen Stunden los, sobald es dunkel ist. Ich werde euch Taschenlampen geben.“
 

Einige Stunden später ging es auch schon los. Shadow hatte mir eine Taschenlampe in die Hand gedrückt, die ich mir nun auf den Kopf schnallen sollte. Ich fand die Idee, nachts zu reisen nicht wirklich toll. Ich mochte die Dunkelheit nicht. Auch wenn es tagsüber sehr viel gefährlicher war…irgendwie war mir das dann doch lieber.

Na ja, es war aber egal was ich davon hielt. Wenn Shadow sagte, es wäre sicherer nachts zu reisen, hatte er bestimmt Recht. Immerhin hatte er schon wesentlich mehr Erfahrung als wir.

„Aufgeregt?“, fragte Sichi mich grinsend, als meine Hände so sehr zitterten, dass ich mir nicht einmal die Schuhe richtig zubinden konnte.

„Ähm…e-ein wenig“, gestand ich wahrheitsgemäß und sah nervös aus den Fenstern des Taifuns. Draußen leuchteten die Sterne und der Himmel war ohne Wolken.

Ich wusste, dass wir uns momentan mehrere Meter über der Erde befanden und dass der Taifun gleich sinken würde, um uns heraus zu lassen. Hoffentlich mussten wir nicht an einem Seil herunterklettern, darin wäre ich nicht sonderlich gut. Zudem hatte sich in den letzten Stunden gezeigt, dass ich Höhenangst hatte.

Tolle Voraussetzungen.

„Es geht los.“, bemerkte Shadow zu uns gewandt, als er auf einen Knopf drückte und sich die >Tür< des Schiffes öffnete. Er gab Sichi und mir noch unsere Waffen, ehe wir den Meter, der uns vom Boden trennte, heruntersprangen und auf einem Flachdach landeten.

„Momentan befinden wir uns direkt über dem Labor, in dem sich die Splitter befinden.“, erklärte Shadow, als ich verwundert den Boden anstarrte.

„Das hier war mal ein Landedeck für Hubschrauber. Man hat es extra so gebaut, dass es nicht sofort überwuchert…“

Ich sah zu den ganzen Ranken, die mittlerweile den Boden bedeckten und winkte meinen Freunden nebenbei zu, als das Raumschiff wieder abhob.

„Tja, immerhin müssen wir uns nicht durch den gesamten Dschungel kämpfen“, meinte Sichi und wies mit einer Kopfbewegung in eine Richtung. Ich sah in diese – Und ein riesiger Urwald erstreckte sich in meinem Blickfeld.

Doch trotz den grünen Bäumen, der hohen Luftfeuchtigkeit und der erstaunlich frischen Luft…

Man hörte kein Geräusch. Kein Schreien eines Tieres erklang, fast so als wäre der gesamte Wald tot.

Oder die gesamte Tierwelt.

„Los, wir müssen die Feuerleiter herunter. Von hier aus kommen wir nicht ins Innere des Labors. Und passt auf, die Leiter ist komplett überwuchert.“, riss mich Shadows Stimme aus meinen Gedanken und ich nickte hastig. Ich vergewisserte mich, dass die Taschenlampe auf meinem Kopf nicht hinunter fallen konnte und kletterte vorsichtig Sichi die Leiter hinterher. Es war schwer festzustellen, wo die Stufen waren – Es war alles Grün.

Und…bewegte sich.

Die Ranken schlängelten sich unter meinen Füßen hinweg und ich bekam leichte Panik. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich gleich packen würden…

Aus diesem Grund versuchte ich möglichst nicht auf das grüne Leben zu treten. Und es kam mir so vor, als ob die Ranken diesmal meinen Füßen bereitwillig Platz machen würden…

„Dieses Sche*ß Unkraut!“, hörte ich Sichi leise fluchen und sah, wie er mit seiner Machete eine Ranke durchschnitt, die seinen Fuß gepackt hatte.

„Hör besser auf damit! Du verärgerst sie!“, sagte ich nervös und ließ meine Taschenlampe auf die Stelle scheinen, auf die er getreten war.

„Das sind bloß Pflanzen…“, erwiderte er, doch im nächsten Moment packten die Ranken seinen Fuß und schleuderten ihn in die Luft.

„SICHI!“, schrie ich entsetzt und versuchte ihn noch zu packen, doch die Pflanze hielt ihn am Knöchel fest und ließ ihn außerhalb meiner Reichweite in der Luft hängen.

„Dieses verdammte Ding!“, fluchte er und versuchte mit der Machete die Ranke zu durchschneiden.

„Warte! Beweg dich…einfach nicht!“, sagte ich nervös und leuchtete ihm ausversehen direkt in die Augen, weswegen er die Hände hochriss um sich zu schützen – und dabei die Machete fallen ließ.

„Fu!“

Im nächsten Moment Durchschnitt ein Lichtblitz die Dunkelheit und pulverisierte die Pflanze. Sichis Knöchel wurde losgelassen und er landete hart einige Meter weiter unten auf den Boden.

„Was war das…?“, fragte ich verwirrt und sah zu ihm herunter „Alles okay?“

„Au…mein Hintern tut weh, aber sonst ist alles klar.“

„Ihr solltet besser aufpassen.“, hörte ich Shadow sagen und drehte mich zu ihm.

Er ließ die erhobene Hand sinken und ich hob eine Augenbraue.

„Warst…du das?“

„Ja.“, erwiderte er schlicht und warf einen kurzen Blick zu meinem Freund hinunter „Chaos Speer.“

„Was?“

„Eine spezielle Attacke.“

Bevor ich weiter nachfragen konnte, unterbrach mich Sichi:

„Hey! Kommt ihr heute noch?“

„Sofort.“, meinte Shadow bloß und kletterte weiter die Feuerleiter hinunter. Ich folgte ihm möglichst leise – Es kam mir so vor, als würden die Pflanzen hier schlafen.

Vielleicht kämen wir hier ohne Probleme wieder heraus – Oder hinein. Mir wäre es ja lieber, wenn die Natur erst mal pausiert und am nächsten Tag erst wieder aktiv werden würde…

„Da ist der Eingang!“, rief Sichi und ich zuckte zusammen. Die Ranken schienen sich kurz zu bewegen, ehe sie wieder still verharrten.

„Pscht!“, machte ich nervös und sah zu der offen stehenden Tür, vor der lauter Lianen hingen und somit den Zutritt versperrten.

„Das haben wir gleich…“, er hob seine Machete, die er anscheinend wieder gefunden hatte, hoch und holte aus.

Doch im nächsten Moment packte ich seinen Arm.

„Nein!“, fauchte ich und linderte meinen Ton etwas, als er mich verwirrt ansah.

„Bitte…tu den Pflanzen nicht weh. Ich glaube…sie bleiben so ruhig, wenn wir einfach nichts machen.“

„Willst du ernsthaft da durch klettern??? Weißt du wie hoch das Risiko ist? Was ist, wenn dieses Grünzeug sich um deinen Hals schlingt und dich erwürgt?“

„Nein, wenn wir ihnen nicht wehtun, dann tun sie uns auch nicht weh…“

„Das ist Unsinn! Es sind nur Pflanzen! Die können doch nicht denken!“

„Hört auf!“, unterbrach Shadow uns mi scharfer Stimme „Mareike, wenn du so denkst, wirst du vor gehen.“

„W-Was?“, ächzten wir gleichzeitig.

„Aber wenn ihr was passiert…!“, widersprach Sichi sofort. Streit hin oder her, wenn es ernst wurde, konnte er sich zusammen reißen.

„Wenn Mareike von ihrer Idee überzeugt ist, sollte sie auch vorgehen.“

Ich schluckte schwer.

Ich…sollte vor? In diese Dunkelheit…mit Killer Pflanzen…

Aber…ich durfte auch nicht kneifen.

Es war meine Chance zu zeigen, dass ich kein Feigling war und dass ich auf mich selbst aufpassen konnte.

„Okay.“, sagte ich deswegen bemüht selbstbewusst, obwohl ich innerlich vor Angst fast starb.

„Nein lass den Sche*ß, ich werde gehen!“, widersprach Sichi mir sofort, doch Shadow hob die Hand und würgte ihn somit in seinem Protest ab.

Nervös sah ich zu dem Eingang. Selbst als ich mit meiner Taschenlampe hinein leuchtete, konnte ich nur Dunkelheit sehen.

Und die Ranken, die sich wie Schlangen bewegten und darauf zu warten schienen, dass ich hineinging um mich dann erwürgen zu können.

„Na dann los…“, murmelte ich mehr zu mir selbst, damit die Schwerkraft nachließ und ich einen Schritt nach vorne machen konnte.

Als ich mich unter der ersten Ranke hinweg duckte, hätte ich beinahe aufgeschrien, weil mich etwas Nasses und Glitschiges im Nacken berührte. Steif wie ein Brett richtete ich mich vorsichtig auf und schob die Liane an meinem Hals beiseite.

Erstaunlicherweise ließ sie es zu und verschwand schon bald in irgendeiner Ritze des Bodens.

„Okay…du schaffst das…“, flüsterte ich lautlos um mir Mut zu machen und leuchtete auf den Weg vor mir.

Zu meinem Entsetzen sah ich erst jetzt die vielen Spinnen, die auf den Pflanzen saßen und versuchte krampfhaft nicht auf den Boden oder an die Decke zu sehen. Wenn dort Spinnen gewesen wären, wäre ich wohl schreiend aufgesprungen und weggerannt.

„Alles okay?“, hörte ich Sichi besorgt rufen. Ich wusste, dass er eine Spinnenphobie hatte – Er hatte vor ihnen noch mehr Angst als ich.

„J-Ja!“, erwiderte ich zögerlich und stieg über die kleinen Blumen, die aus der Erde schossen und mindestens so groß waren wie ich.

Und ich hatte das Gefühl, sie würden sich in die entgegengesetzte Richtung neigen, um mir Platz zu schaffen.

Zögerlich berührte ich eine der Lianen, die mitten im Weg hing und schob sie beiseite. Als sie Spinnen auf mich zu krochen bekam ich wieder einen starken Anflug von Panik und presste eine Hand auf meinen Mund, um nicht zu schreien.

Ein Blick nach vorne verriet mir, dass das Ende noch lange nicht in Sicht war.

Warum mussten Eingänge auch so lang sein???

Im nächsten Moment streife mich etwas am Fuß und krabbelte an meinem Knöchel hoch.

Diesmal konnte ich nicht anders und stieß einen schrillen, erschrockenen Schrei aus, während ich aufsprang und das Ding von meinem Bein schüttelte.

„Was ist passiert?“, rief Shadow in den Gang und gerade als ich antworten wollte, hörte ich ein lautes Krachen – Und stürzte in die Leere.
 

Der Fall war nur kurz, der Aufprall aber umso härter. Ich kam schmerzhaft auf dem Rücken auf, die Luft wurde aus meiner Lunge gepresst und ich keuchte.

Meine Wirbelsäule pochte, als ich mich aufrichtete und auf allen Vieren nach meiner Taschenlampe und meiner Machete tastete.

Es war stockdunkel und ich sah nichts – Doch ich hörte in der Ferne meine Freunde nach mir rufen.

„Marik! Hey, antworte! Was ist passiert?“

„N-Nichts…i-ich bin…in den Keller gestürzt…glaube ich.“, antwortete ich vage „Meine Taschenlampe ist weg…und meine Machete…“

„Warte, wir kommen zu dir!“, ein schmatzendes Geräusch erklang und im nächsten Moment spürte ich, wie das Labor bebte.

„Verdammt, was ist das denn?!“

„Was ist los?“, fragte ich besorgt, während ich dem Geräusch meiner rollenden Lampe folgte.

„Scheinbar…steht das Labor nicht auf dem Boden.“

Ich hielt inne.

Nicht…auf dem Boden?

„Wie meinst du das?“

„Das Labor wird von diesen Pflanzen getragen! Und jetzt…“

Den Rest konnte ich nicht mehr verstehen, da das Labor plötzlich hochschnellte und ich auf den Boden gepresst wurde. Als es stehen blieb, hob ich kurz ab und landete dann wieder hart auf meinen Knien.

„W-Was war das!?“, rief ich nervös und tastete hektisch den Boden ab, bis ich mich an meiner Machete schnitt und mir auf die Zunge biss, um nicht los zu schreien.

„Leute?“

Ich hielt inne und lauschte angestrengt.

Nur schwach drangen die Stimmen meiner Freunde an mein Ohr.

„…zu hoch…müssen…halte durch…“

Jetzt endlich hatte ich den Griff meiner Taschenlampe gefunden und schaltete sie ohne Nachzudenken sofort an.

Mich starrte ein Gesicht an.

Mit einem erschrockenen Schrei stolperte ich zurück und prallte dabei an irgendetwas Eckiges. Ich bekam die Kante genau in den Rücken und rieb mir die Stelle, während ich noch einmal vorsichtig zu der Stelle leuchtete, von der aus mich das Gesicht angestarrt hatte.

Im Nachhinein merkte ich, dass es ein Mensch war.

In einem…Tank?

Ich schwenkte die Lampe nach oben und nach unten, um zu sehen was genau das war.

Tatsächlich.

Da war ein Mensch in einem Tank eingesperrt.

Der Mensch war – Soweit ich erkennen konnte – männlich. Er trug eine schwarze Hose und ein schwarzes Oberteil, so wie eine metallische Maske im Gesicht. Jedoch bedeckte sie nur seine Augen und verlief wie der Schnabel eines Vogels spitz zusammen.

Konnte er…mich sehen?

Nein…die Maske würde doch dafür sorgen, dass er nichts sah…immerhin hatte sie nicht mal Gucklöcher…

Ich leuchtete auf den Rest des Labors.

Das Ding gegen das ich gestoßen war, war eine Art…Kontrolltheke. Es gab dort jede Menge verstaubte Knöpfe und einzelne Krabbeltierchen, die zwischen ihnen herumwuselten.

In der Decke war ein Loch. Anscheinend der Grund, warum ich herunter gefallen war.

Als ich die Tür entdeckte, versuchte ich sofort diese zu öffnen – Ohne Erfolg.

Anscheinend hatte sie sich verriegelt…eine Sicherheitsvorkehrung?

Ich sah zu der Kontrolltheke.

Einer dieser Knöpfe würde die Tür bestimmt öffnen…oder den Menschen im Tank aufwecken.

Ob er mich angreifen würde?

Nervös leuchtete ich zu ihm.

Es war schwer zu sagen…ich konnte so gut wie nichts aus ihm lesen. Seine Augen wurden verdeckt…

Mir wurde klar, wie sehr die Augen bei Emotionen eine Rolle spielten. In ihnen konnte man das Gemüt der Person lesen…

Vielleicht trug er ja deswegen die Maske.

Doch das alles war erst mal egal.

Tatsache war, dass ich in der Falle saß. Natürlich konnte ich es riskieren einen der Knöpfe zu betätigen…doch was wäre, wenn dieser Mensch im Tank aufgeweckt werden würde?

Er wäre bestimmt nicht sonderlich freundlich zu mir.

Die Option auf Shadow und Sichi zu warten fiel auch erst mal auf Eis.

Aus irgendeinem Grund war der Kontakt zu ihnen abgebrochen – Warum war mir noch unklar.

Es war irgendwas mit Höhe…könnte es sein, dass…?

Nein. Diese Idee war geradezu lächerlich…

Vorsichtig blies ich den Staub von der Kontrolltheke.

Die Insekten wurden dabei mit geschleudert und landeten auf dem Boden.

Ich starrte auf die vielen Knöpfe.

Welcher von ihnen war wohl der Öffnungsschalter?

Oder war es einer der Hebel?

Meine Hand schwebte über den großen, roten Knopf.

War das nicht normal immer der Knopf für Notfälle?

Oder der, der Probleme verursachte?

Unentschlossen wanderte mein Blick zu dem grünen Knopf.

Vielleicht…vielleicht war es ja der…

Oder auch nicht?

„Ich werde noch wahnsinnig!“, ächzte ich und schüttelte den Kopf.

Es war doch egal welchen ich drückte!

Entweder ich starb, weil ich hier verhungerte, oder weil mich dieser Mensch im Tank umbringen würde.

Nach einigen Minuten schloss ich die Augen und drückte auf den roten Knopf – Und hörte kurz danach ein beunruhigendes Piepen.

Ich leuchtete auf die Tür.

Verschlossen.

Doch als ich zum Tank sah, sah ich wie die grüne Flüssigkeit abgefüllt wurde.

„Nein!“, heulte ich entsetzt auf und drückte auf einige weitere Knöpfe, um den Vorgang zu verhindern. Doch nichts geschah.

Selbst als ich an den Hebeln zog und zerrte, konnte ich nicht verhindern, dass der Glasdeckel langsam angehoben wurde, die Kabel und Schnallen sich von dem Menschen lösten und er schließlich keuchend auf die Knie fiel.

Einen kurzen Moment hustete er noch Wasser, ehe er den Kopf hob.

Trotz der Maske und der Dunkelheit im Labor, starrte er direkt in meine Richtung.

Hastig knipste ich das Licht aus und verkroch mich in eine Ecke – Atmete möglichst flach um keine Geräusche zu verursachen und unterdrückte den Drang, vor Angst zu heulen oder um mein Leben zu betteln.

Schritte erklangen.

Erst näherten sie sich meiner Position, ehe sie sich wieder entfernten.

Es war unsinnig sich zu verstecken. Ich war in einem kleinen Raum eingesperrt und er würde mich früher oder später sowieso finden.

Trotzdem…

Solange ich nicht tot war, würde ich um jeden Preis versuchen zu überleben.

Einige Sekunden später war es plötzlich still.

Zögerlich richtete ich mich etwas auf und wartete.

Eine Minute verstrich.

Dann zwei.

Dann drei.

Und als gefühlte 10 Minuten verstrichen, schaltete ich die Lampe an.
 

Entsetzt schrie ich auf, als er direkt vor mir stand.

Zu allem Überfluss ließ ich auch noch die Lampe fallen, die mit einem dumpfen Geräusch am Boden aufschlug.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich rannte – Ohne Nachzudenken – zur Tür.

Der Mann hob die Lampe auf, leuchtete in meine Richtung und kam auf mich zu.

Als er direkt vor mir stand, kniff ich die Augen vor Panik zusammen und betete, dass es schnell vorbei sein möge.

Doch es geschah nichts.

Einige Momente später öffnete ich zögerlich mein rechtes Auge.

Er hielt mir…meine Taschenlampe hin.

Sein Gesichtsausdruck war wegen der Maske undeutbar, doch er…schien sie mir wiedergeben zu wollen.

Als ich sie ihm zögerlich abnahm, verbeugte er sich leicht und kniete sich hin, indem er mit dem linken Knie den Boden berührte und das rechte Bein aufgestellt ließ.

Dann senkte er den Kopf und stützte seinen ausgestreckten linken Arm auf den Boden, während seine rechte Hand auf der Stelle lag, wo das Herz war.

Ich blinzelte und starrte ihn so lange an, bis er sich aufrichtete. Seine Haltung war irgendwie beunruhigend…Er stand kerzengerade da mit verschränkten Armen, erhobenen Kopf und er schien mich zu mustern.

Oder…die Tür hinter mir…bzw. irgendwas um mich herum…

Jedenfalls wirkte er so, als würde er mich nicht angreifen.

Immerhin eine positive Sache…

„Ähm…Hallo?“, sagte ich schließlich nach einigen Minuten, in denen er sich noch immer nicht rührte.

Er antwortete nicht.

„Ich bin Marik…und du?“

Immer noch keine Antwort.

Also entweder war dieser Typ noch schweigsamer als Shadow, oder er war stumm.

„Kannst du sprechen?“

Diesmal nickte er leicht.

„Dann…willst du nicht mit mir sprechen?“

Er neigte leicht den Kopf zur Seite, woraus ich…nichts schloss.

Was sollte das heißen? Ja? Nein? Vielleicht? Keine Lust?

„Wirst du mich angreifen?“

Einen Moment lang rührte er sich nicht, ehe er den Kopf schüttelte und auf den Tank wies.

Seine ganzen Bewegungen waren merkwürdig. Irgendwie…ruckartig. Die meisten Menschen streckten nur selten den Arm komplett aus, er hingegen achtete sogar darauf, dass sein Arm einen rechten Winkel zu seinem Oberkörper bildete.

Es erinnerte mich an…einen Roboter.

„Bist du ein Mensch?“, fragte ich dann etwas neugierig und leuchtete ihn an, sodass ich ihn richtig betrachten konnte.

Er sah aus wie ein normaler Mensch. Sein linker Arm wurde von seinem Ärmel verdeckt und dem Handschuh, während sein rechter Arm frei war.

Asymmetrie.

Auf den Schultern waren Schulterpolster befestigt, die aus Metall zu sein schienen und auch an den Beinen hatte er vorne Rüstungsteile an. Sein Oberteil war komplett schwarz, wie seine Hose.

Irgendwie sah er komisch aus. Nicht wie ein normaler Mensch jedenfalls.

Auf meine Frage hin zögerte er kurz, ehe er leicht den Kopf schüttelte.

„Sag doch mal was!“, meinte ich dann etwas gereizter.

„Was?“

Als er mir sofort eine Antwort gab, runzelte ich erst mal verwundert die Stirn.

Wiederholte er nur das letzte Wort meiner Frage oder wollte er wissen, was er sagen sollte?

„Ähm…ich weiß nicht…wer bist du? Wie heißt du? Was hast du in diesem Tank gemacht? Und wenn du kein Mensch bist, was dann?“, erwiderte ich schließlich.

„Ich wurde versiegelt für den Krieg. Ich bin ein Prototyp.“, antwortete er kurz und seine Stimme klang irgendwie gleichgültig. Oder emotionslos.

„Was ist ein Prototyp?“

„Künstlich erschaffenes Lebewesen. Ich war ein Mensch. Jetzt bin ich es nicht mehr.“

„Ähm…und warum nicht?“

„Ich weise umfangreiche genetische Veränderungen auf. Ich bin nicht länger das, was man Umgangssprachlich als >Mensch< bezeichnen würde.“

Ich kniff die Augen zusammen und versuchte irgendetwas an ihm zu finden, dass nicht typisch menschlich war.

„Na ja, aber du siehst aus wie ein Mensch.“

„Korrigiere. Ich bin größer als ein Durchschnittsmensch.“

Erst jetzt fiel mir auf, dass er gut zwei Köpfe größer war als ich. Fast schon…2.20m?

„Es gibt aber auch Menschen die so groß sind. Glaube ich.“

„Tatsache.“, meinte er dazu nur und sein Kopf neigte sich nach unten, damit er mich ansehen konnte.

„Name?“

„Den habe ich doch schon gesagt…ich heiße Marik…“

„Nicht Euren. Meinen.“

Ich blinzelte kurz.

„Du…hast keinen Namen?“

„Korrekte Bezeichnung lautet PRT – A – 0029 – 2867. Für viele schwer zu merken.“

Bereits bei der Nummer 0029 hatte ich die Hälfte wieder vergessen.

Wenn dieser Kerl keinen Namen hat…

„Bist du zum ersten Mal draußen?“

„Nein. Im Krieg gegen Eggman bereits befreit worden, wurde bei Niederlage zurück gesperrt.“

„Also…wie haben sie dich denn damals genannt?“

„1.“

„Nur Eins?“

„Kein Wort. Eine Zahl. Keine Bedeutung.“

Irgendwie tat er mir leid. Anscheinend hatte man ihn wie ein Werkzeug behandelt…und nicht wie einen Menschen...oder was auch immer er war.

„Ich ähm…ich könnte dich Tank nennen…aber das wäre irgendwie fies…“

„Annehmbar.“

„Nein nein, das kann ich dir doch nicht antun…ich meine…du kommst doch aus einem Tank…da kann ich dich nicht danach benennen…“, winkte ich sofort ab, auch wenn ich den Namen an sich ganz witzig fände. Doch so etwas könnte ich ihm wohl wirklich nicht antun.

„Dann…wie wäre es mit Heriot?“

„Heriot?“, wiederholte er nur, während ich versuchte nicht zu der Taschenlampe zu schielen. Denn darauf stand >Made in Heriotza<.

Er schien nicht zu merken woher ich den Namen hatte, weswegen er wohl nickte und sagte:

„Mein Name ist Heriot. Befehle?“

„Befehle?“

„Eure Befehle für mich.“

„Was? Ich…ich gebe keine Befehle…“, mir wurde klar in was für einem Schlamassel ich steckte. Was wollte er von mir? Ich war keine Anführerin…

Hoffentlich meint er das nicht ernst. Wobei mir der Gedanke, ihn als Verbündeten zu haben, schon wesentlich besser gefiel als ihn als Feind zu haben.

„Warum sollte ich dir Befehle geben?“, fragte ich etwas zögerlich.

„Ihr habt mich befreit. Somit seid Ihr mein Befehlshaber.“

„Nein…bin ich nicht! Ich meine…ich bin keine Person, die Befehle gibt…und bitte duz mich einfach…“

„Das Verstößt gegen meine Vorschriften. Befehle, Herrin.“

Ich hatte das Gefühl, dass das Schicksal mich richtig auf den Arm nahm. Jetzt hatte ich einen Prototypen als Untergebenen, war in einem Dschungel mit lebenden Pflanzen eingesperrt und meine beiden Freunde saßen irgendwo im nirgendwo.

Haha.

„Ähm…ich will keine Befehle geben…und bitte nenn mich Marik…“

„Wie Ihr wünscht, Herrin Marik.“

„Nein, ohne das Herrin!“, ich seufzte und leuchtete zur Tür „Ach…egal. Weißt du wie man diese Tür auf bekommt? Und wie man aus diesem Labor raus kommt?“

„Soll ich die Tür öffnen?“

„Ja, bitte…“

Im nächsten Moment packte er mich an der Taille und hob mich mühelos hoch, ehe er mich einige Meter weiter weg von der Tür stellte. Bevor ich überhaupt reagieren oder protestieren konnte, trat er die Tür auf, die mit einem ohrenbetäubenden Krachen einige Meter weit durch den Gang schleifte, Ranken mit sich riss und schließlich gegen eine Wand prallte.

Ich hustete als Staub aufwirbelte und war heilfroh, ihn nicht als Gegner haben zu müssen.

Vor allem weil diese Tür aus massivem Metall bestand und die Scharniere erst…

„W-Wie hast du das gemacht???“, wollte ich wissen, als sich der Staub gelegt hatte und somit mein Husten. Auch wenn meine Augen noch etwas tränten.

„Treten.“

„Nein, ich meine…ach egal.“, die Konversation mit Heriot war wirklich anstrengend. Erst musste man sich so bemühen eine korrekt formulierte Frage zu stellen und dann kam nur so eine kurze Antwort.

Und er verstand die Fragen immer falsch!

„Kannst du uns raus bringen?“, wollte ich wissen und er nickte nur, ehe er mir die Hand hinhielt.

Ich brauchte einige Sekunden, ehe ich verstand, dass ich sie nehmen sollte. Zögerlich streckte ich sie ihm entgegen.

Heriot packte mein Handgelenk und schwang mich kurzerhand auf seine Arme. Meinen erschrockenen Aufschrei ignorierend, rannte er gleich los.

Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Die ganze Umgebung nahm ich nur verschwommen war und merkte nebenbei noch, wie er den Ranken leichtfüßig auswich als sie versuchten uns zu packen. Noch während ich mich fragte ob das verschwimmen an meiner Sehschwäche lag, oder ob er einfach so schnell rannte, hörte ich eine vertraute Stimme.

„HEY! MARIK, LEBST DU NOCH ODER HABEN DICH DIE PFLANZEN SCHON ERWÜRGT?“

Diese Frage konnte nur von Sichi kommen. Ich merkte, dass er das aus Spaß sagte, gleichzeitig aber große Sorge in seiner Stimme mitschwang.

Anscheinend hatten sie es geschafft ins Labor…

Nein. Wir waren nicht mehr im Labor.

„Aaaaaaah!“, ich stieß einen lang gezogenen, schrillen Schrei aus als Heriot vom Eingang des Labors herunter sprang. Das Labor…es war von Ranken durchwuchert und…schwebte gut einige Meter hoch in der Luft.

Die Pflanzen hatten es nach oben befördert.

Noch im Fall sah ich etwas, dass meine Aufmerksamkeit erregte: Unter dem Labor befand ich eine gigantische, dicke Ranke die aus vielen einzelnen bestand und praktisch den Boden der Einrichtung trug.

Und aus der Dunkelheit dieser vielen Ranken…

Schimmerte ein grünliches Licht.
 

„Halt! Stopp!“, schrie ich Heriot zu, der zu mir sah.

Und ich wettete, dass er jetzt fragend die Augenbrauen hob.

Das war auch logisch. Immerhin befanden wir uns mitten in der Luft, er konnte doch nicht mal eben abbremsen und stehen bleiben…

Plötzlich packte ihn eine Ranke am Fuß und ließ ihn kopfüber baumeln. Heriot ließ mich los und ich öffnete schon den Mund um zu schreien…als ich unversehrt auf einem Teppich aus Pflanzen landete.

Erst zuckte ich entsetzt zusammen, als ich das Grün unter meinen Füßen entdeckte, doch als sie mir nichts taten, beruhigte ich mich wieder etwas.

Heriot hatte die Pflanze durchtrennt und landete durch einen Salto sicher neben mir auf den Füßen.

„Angeber.“, hörte ich noch jemanden sagen und sah mich um.

Sichi und Shadow standen etwas weiter von mir entfernt auf dem Rankenteppich.

„Leute! Es geht euch gut!“, rief ich ehrleichtert.

„Dir anscheinend auch. Wer ist denn der Ninja neben dir?“, wollte Shadow sofort wissen und ich sah in seinen Augen einen Hauch von Misstrauen.

„Öhm…das ist Heriot. Er ist jetzt so was…wie mein Untergebener.“, antwortete ich etwas unbeholfen und Sichi starrte mich an.

„Untergebener!?“

„Ich habe ihn aus seinem Tank befreit…und jetzt…besteht er darauf, dass ich seine Herrin bin…“

Der Igel kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.

„Er ist ein künstliches Lebewesen?“

„Ein Prototyp…oder so was.“

„Halt Mal, du willst den Kerl doch nicht etwa mit aufs Schiff schleppen, oder? Er könnte doch auch einfach nur so tun als wäre er dein Untergebener… und im Schlaf bringt er uns alle um.“, warf Sichi ein und ich konnte jetzt schon sehen, dass er ihn überhaupt nicht mochte.

Vielleicht hatte er ja Angst, dass Heriot ihn ersetzen könnte. Soweit ich es gesehen hatte, war er ein besserer Kämpfer als Sichi es je sein könnte.

„Also…ich weiß nicht. Ich kann ihn doch nicht einfach hier lassen…“, ich sah zu Heriot „Willst du mit aufs Schiff?“

„Ich folge Euch.“

„Das heißt wohl ja.“, murrte Sichi bloß.

„Das ist auch erst mal Nebensache! Seht mal, da oben sind die Splitter!“, lenkte ich vom eigentlichen Thema ab und zeigte auf den kleinen Spalt im Rankengewebe, aus dem es grünlich schimmerte.

„Toll und wie kommen wir da hoch?“

„Ich gehe.“, antwortete Shadow bloß. Im nächsten Moment ging er etwas in die Hocke, ehe er los sprintete und einfach das Rankengewebe hoch rannte.

„Hey, wir wollen mit!“, rief ich ihm noch nach, doch er ignorierte mich und wich den peitschenden Lianen aus.

„Dann heißt es Klettern…“, meinte Sichi bloß und fing sofort damit an. Ich sah zu den Pflanzen.

Wenn er klettern würde, würden sie ihn herunter schlagen.

„Sichi, so kommen wir nicht hoch…“, sagte ich deswegen und sah zu Heriot „Weißt du, wie wir hoch kommen könnten?“

„Soll ich Euch hochbringen?“

„Ja…also mich und Sichi…“

„Das geht nicht. Ich kann nicht zwei Menschen tragen. Und ich kann Euch nicht alleine lassen.“

„Was? Hey, wehe du lässt mich alleine hier unten!“, rief Sichi sofort „Entweder wir gehen Beide hoch oder Keiner von uns!“

„Es steht dir nicht zu, meiner Herrin Befehle zu erteilen“, meldete Heriot sich plötzlich zum ersten Mal selbstständig zu Wort. Jedoch klangen diese ungewöhnlich scharf und drohend.

Ich ahnte, dass gleich ein Streit entfachen würde – Oder eher gesagt ein kalter Krieg, denn Sichi hatte ein hitziges Temperament und Heriot…na ja, bis jetzt wirkte er ziemlich unterkühlt.

„Hört auf ihr Beiden. Wir kriegen das hin…“, mischte ich mich ein und sah die Ranken hoch. Aus dem Inneren hörte ich bereits die ersten Kampfgeräusche.

Doch ich traute mich nicht so Recht, Heriot zu befehlen mich hoch zu tragen. Das konnte ich doch nicht verlangen…ich wollte keinen Untergebenen…

Es fühlte sich komisch an Befehle zu geben. Ich…traute mich einfach nicht.

„Ach Sche*ß drauf, dann geh halt“, murrte Sichi schließlich doch noch.

Zwar wusste ich, dass er es nicht wollte und wenn ich gehen würde im Nachhinein stinksauer wäre, doch…

„Ich bringe Euch hoch.“, Heriot sah zu mir und löste seine verschränkten Arme „Wenn Ihr es wünscht.“

„Ähm…okay…und wie?“

Er ging etwas in die Hocke. Nach einigen Sekunden merkte ich, dass er wollte, dass ich ihm auf den Rücken kletterte.

So wirklich wohl fühlte ich mich nicht, als er mich Huckepack nahm und anfing zu klettern.

Sichi alleine hätte es schon nicht geschafft…wie schaffte Heriot es dann bitte?

Doch nach spätestens einer Minute wurde mir klar, dass ich unmöglich Heriot und Sichi vergleichen könnte. Während Sichi ein Waffenfreak war, eher schwach in der Ausdauer und generell ein schlechter Nahkämpfer, war Heriot das genaue Gegenteil von ihm. Stark im Nahkampf, Ausdauer ohne Ende und Schnelligkeit….vielleicht schwächelte er dafür im Fernkampf, wo Sichi ein wahrer Experte ist.

„P-Pass auf!“, ächzte ich erschrocken, als eine Ranke nach ihm schlug. Heriot zog meine Machete aus dem Hüfthalter und durchtrennte sie blitzschnell.

„Ich glaube sie sind wütend“, flüsterte ich, als weitere Pflanzen auf uns zuschossen, die ebenfalls von ihm zerteilt wurden.

Er nickte nur leicht als Antwort und kletterte blitzschnell weiter.

„Was kannst du eigentlich noch sonst so?“, wollte ich wissen, als der Spalt in den Ranken immer näher kam.

„Meine Fähigkeiten sind auf Stärke, Ausdauer, Schnelligkeit und dem Kampf ausgelegt. Mehr nicht.“

„Also…du kannst nicht fliegen? Oder…Laser aus deinen Augen schießen?“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Ähm…wegen dieser Maske…“

„Sie sorgt für Neutralität und Aufmerksamkeit. Als Supersoldat muss ich mich auf meine anderen Sinne verlassen können. Der Mensch ist ein Augentier. Ich nicht.“

„Das heißt…du siehst wirklich nichts? Nicht das kleinste bisschen?“

„Nein.“, erwiderte er und klang nicht mal angestrengt, obwohl er klettern und gleichzeitig kämpfen musste.

Ich hätte ihm gerne geholfen…oder ihm die Machete abgenommen…aber ich wollte den Pflanzen nicht wehtun. Ich hatte noch immer das Gefühl, Mitleid mit ihnen haben zu müssen.

Sie hatten nie gewollt, dass es ihnen so erging. Daran waren nur die Menschen Schuld…

„Sollen wir rein?“, riss mich Heriots Stimme aus den Gedanken. Ich stellte fest, dass wir nun direkt vor dem Spalt standen und sogar hinein sehen konnten – Aber mehr als Dunkelheit und ein paar abgefeuerte Blitze von Shadow konnte ich nicht erkennen.

„Ähm…ja, gehen wir!“, antwortete ich zögerlich, aber entschlossen.

Heriot nickte wieder als Antwort und zog sich in den Spalt hinein.

Erstaunlicherweise landeten wir wieder auf einem Rankenteppich.

„Seltsam…“, murmelte ich dazu bloß und schnallte mir meine Taschenlampe wieder auf den Kopf, um etwas sehen zu können.

„Was, Herrin?“

„Warum ist hier Boden? Das sind doch auch Pflanzen…wenn sie uns töten wollen würden, müssten sie uns doch nur den Boden unter den Füßen wegziehen.“, behauptete ich nachdenklich und machte zögerlich einen Schritt nach vorne.
 

„Bist du hier um mich zu befreien…?“
 

Ich blinzelte.

„Hast du was gehört?“, fragte ich Heriot verwirrt.

„Die Kampfgeräusche Eures Freundes, Herrin. Sonst nichts.“, antwortete er nur und ich rieb mir die Ohren.

„Dann…war das nur wieder eine Einbildung…“
 

„So lange…so lange bin ich hier…bitte…“
 

Ich beschloss die Stimme zu ignorieren – Es war nur eine von Vielen, die in meinem Kopf herumspukte.

Auch wenn die Stimme…seltsam klang.

So traurig…und verloren…
 

„Ich will wieder blühen…“
 

„Da ist Shadow!“, ich zeigte auf die schwarze Silhouette, die gerade mit Blitzen und Tritten versuchte sich einen Weg durch die Ranken frei zu kämpfen.

Sofort lief ich in seine Richtung, als…
 

„Nicht da lang…“
 

Ich blieb stehen. Heriot drehte den Kopf in meine Richtung und schien darauf zu warten, was ich tat.
 

„Hier…hier bin ich…“
 

Ohne wirklich zu wissen warum, ging ich genau in die entgegengesetzte Richtung. Wie immer folgte Heriot mir wortlos und fragte nicht mal, wohin wir gingen.

Wohin genau wusste ich auch nicht…aber die Stimme…

Im nächsten Moment stand ich vor dem Herz der Pflanzen: Ein Wuchs in Form einer Kugel, aus der alle anderen Ranken zu kommen schienen. Sie bewegte sich…oder eher die Pflanzen bewegten sich.

Und aus ihrem Inneren leuchtete es schwach.

„Die Splitter…“, murmelte ich.

War das möglich? Hatte…der Geist der Splitter zu mir gesprochen?

Oder war das nur Einbildung?

Ich bildete mir so oft etwas ein. Aber komischerweise traf jede meiner Einbildungen zu…jede Stimme führte mich an einen bestimmten Ort…

Zögerlich streckte ich die Hand nach der Kugel aus. Sie war fast so groß wie ich selbst…

Als ich die Ranken berührte, fühlten sie sich schleimig an. Auch ihre Farbe war von einem kränklichen grün, dass mehr an Giftwasser erinnerte, als an das saftige Grün, dass ich bei den Holos gesehen hatte.

„Passt auf, sie zerquetschen ihre Hand, Herrin!“, hörte ich Heriot sagen und er klang diesmal wirklich besorgt.

Kaum zu glauben, dass er jetzt schon etwas für mich übrig hatte…oder er war darauf gepolt sich gut um seine Herren zu kümmern.

Ich vermutete eher zweites als erstes.

Er packte meinen Arm und hielt ihn fest.

„L-Lass mich los!“

„Nein.“

„Das war ein Befehl!“, sagte ich mit ungewohnt scharfer Stimme.

Heriot rührte sich dennoch nicht.

„Es ist mir erlaubt mich Befehlen zu widersetzen, wenn sie gegen das erste Gesetz verstoßen.“

„Und das wäre?“

„Beschütze den Herren um jeden Preis, auch wenn es erforderlich ist gegen seinen Willen zu handeln.“, antwortete er und ich schüttelte den Kopf.

„Ich bin nicht dein Herr! Außerdem…ich bin nicht in Gefahr. Oder haben die Pflanzen mich bis jetzt verletzt?“

Heriot zögerte lange. Doch schließlich ließ er langsam mein Handgelenk wieder los, blieb aber neben mir stehen um mich im Notfall wohl doch noch wegziehen zu können.

„Zerschneidet doch die Pflanzen.“

„Nein!“, erwiderte ich sofort „Nein…das kann ich nicht tun.“

Ich wandte mich wieder der pulsierenden Kugel zu und steckte meine Hand langsam in das Gewimmel aus Ranken.

Es fühlte sich wirklich eklig an. Als würde man in eine Schüssel mit Regenwürmern greifen…Igitt.

Doch ich schob mich langsam vor, bis ich einen elektrischen Schlag bekam.

Erschrocken zuckte ich zurück.

Was war das gerade?

Ich schob die Ranken auseinander, sodass ich in das Innere sehen konnte. Sofort wurde ich von hellem Licht geblendet und kniff die Augen zusammen.

Heriot hätte bestimmt keine Probleme damit…

Als sich meine Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, versuchte ich zu erkennen, von was ich den Schlag bekommen hatte.

Ein fast unsichtbares Schild bildete eine weitere, kleine Kugel, die fast Faustgroß war.

Erkennen konnte ich sie nur wegen der Energiewelle, die um sie herum zuckte.

Das war es also gewesen.

Der Vernunft zu trotz streckte ich erneut die Hand aus – Und wieder packte Heriot mich.

„Das ist gefährlich.“

„Heriot, lass mich! Ich muss das tun…“

„Ich kann es für Euch tun.“

„Nein, das ist nicht dasselbe.“, widersprach ich. Ich hatte das Gefühl, dass nur ich diese Splitter nehmen könnte.

„Lass sie in Ruhe“, hörte ich da Shadows Stimme und drehte mich um.

Wie es schien hatte er den Kampf gegen die Ranken sein lassen und war zu uns gekommen. Er sah zu der Energiekugel und dann zu mir.

„Marik kann das. Lass sie in Ruhe.“

Bevor Heriot widersprechen konnte, bekam er einen Blitz von Shadow ab.

Ich schrie erschrocken auf, doch im nächsten Moment ließ er mein Handgelenk los und schien mit dem Igel kämpfen zu wollen.

Jetzt verstand ich.

Heriot würde nie zulassen, dass ich das tat…deswegen lenkte Shadow ihn ab.

Hoffentlich würde er ihm nicht zu sehr wehtun.

Schnell wandte ich mich der Energiekugel zu und streckte die Hand aus.

Ein weiterer Schlag traf mich, dann noch einer und noch einer. Der Schmerz breitete sich erst in kleinen Wellen, dann in immer größeren Wellen aus. Es fing an meinen Fingerspitzen an, wo es sich anfühlte als würde man mir bei lebendigem Leibe die Haut abschälen bis er schließlich an meinem Herzen ankam. Es fing an schneller zu schlagen und schien fast schon zu explodieren.

Ich packte meinen Unterarm und schob ihn langsam weiter. Die Energiekugel schien mich abstoßen zu wollen, während die Blitze nun zunehmend aggressiver wurden und meine Haut an einigen Stellen sogar aufplatzte.

Ich biss mir so fest auf die Unterlippen, dass sie anfingen zu bluten und kniff meine tränenden Augen zusammen.

Nein! Nur nicht…nachgeben…es ist gleich…geschafft…

Blut lief an meinem Arm entlang und benetzte die Pflanzen auf dem Boden.

Diese fingen an sich zu bewegen, schlängelten untereinander weg und ließen die rote Flüssigkeit herunterfließen.

Ich öffnete die Augen wieder ein Stück und sah, dass schon mehr als die Hälfte der Energiekugel geschafft war.

Ich biss die Zähne zusammen, schloss die Augen – Und schob meine Hand ruckartig durch das letzte Stück.

Meine Hand blutete, war aufgeplatzt und die Haut verbrannt, doch trotzdem umschloss ich die kleinen Gegenstände in der Kugel und zog sie heraus.

Im nächsten Moment war das helle Licht erloschen.

Die Pflanzen bewegten sich nicht mehr, es war totenstill.
 

Auf einmal stürzte alles zusammen. Aus den ekligen, schleimigen Ranken wurden Äste mit Blüten. Der grüne Teppich wechselte einer Baumkrone und Blütenblätter wurden vom Wind davon geweht.

Doch all das konnte ich nicht genießen, da wir, durch den Verlust des Rankenbodens nun in die Tiefe stürzten.

Meine Mund öffnete sich zum Schreien, doch ich hielt weiterhin die Splitter fest in meinen Händen, welche ich an meine Brust gepresst hatte.

Plötzlich spürte ich, wie man mich auffing und wir landeten auf einem Ast nahe dem Boden.

Eigentlich rechnete ich mit Heriot.

„Uff…danke, Heriot…“, murmelte ich, ehe ich aufsah.

„Jaja, denkst sofort an deinen neuen Lover, was?“, meinte Sichi schnippisch und lachte, während ich ihn ungläubig anstarrte.

„Wie….hast du das gemacht?“

„Dich aufgefangen, ganz einfach.“, entgegnete er schlicht und stellte mich auf den Ast ab.

„Aber…ich bin doch zu schwer…“

„Komm schon, du bist ein Federgewicht. Du stolperst sogar über einen Marienkäfer.“

Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, sah ich wie zwei Schatten an uns vorbei schossen und sich dabei noch bekämpften.

„Shadow! Heriot! Hört auf!“, befahl ich sofort. Die Beiden landeten etwas weiter unten auf einem Ast, der nur noch etwa 5m über dem Boden war.

Ich fing derweil an herunter zu klettern, genau wie Sichi, und war schon bald am Boden angekommen.

„Hast du die Splitter?“, wollte Shadow gleich wissen, als wir alle wieder festen Grund unter den Füßen hatten.

Zögerlich öffnete ich meine heile Hand.

Drei schwach leuchtende Splitter lagen darin.

Der Igel schnappte sie sich sofort und tat sie in die Box, weswegen Sichi keine Chance mehr hatte sie überhaupt nur anzusehen.

„Mann Marik, was ist denn dir passiert!?“, fragte er plötzlich entsetzt und ich verstand erst gar nicht, was los war.

Doch dann erinnerte ich mich an meine rechte Hand.

Ich sah zu ihr.

Die Haut war aufgeplatzt, blutete und war verbrannt. Zudem…

„Ich spüre meine Hand nicht mehr…“, flüsterte ich ängstlich. Hoffentlich war sie mir nicht abgestorben…

Heriot schien den Igel fast schon vorwurfsvoll anzustarren.

„Ich habe mich ablenken lassen.“, sagte er und ballte dabei leicht die Fäuste.

„Das passiert nicht noch einmal.“

„Es war die Sache wert.“, meinte ich nur um tapfer zu sein, doch innerlich schrie ich geradezu vor Panik. Am liebsten würde ich im Kreis rennen und schreien…oder nach Raimi rufen damit sie mich heilte…wobei ich bezweifelte, dass sie das wieder hinkriegen würde.

„Bringen wir sie ins Schiff.“, sagte Shadow nur und sah nochmal kurz auf meine Hand, ehe er eine Art Pieper aus seiner Hosentasche zog und drauf drückte.

„Ich gehe mit.“, fügte Heriot hinzu, ohne Widerworte zu dulden.

„Meinetwegen.“, knurrte er nur und ich sah zu meinem Beschützer, ehe ich noch einmal den Wald musterte.

Jetzt, da der dichte Urwald verschwunden war und nichts mehr das Mondlicht aufhielt, wirkte der ganze Wald viel heller. Statt der riesigen Rankensäule stand dort nun ein großer Baum mit Apfelblüten, die durch den Wind leicht aufgewirbelt wurden, miteinander tanzten und schließlich in die Welt hinausgeweht wurden. Vielleicht würde dieser Wald irgendwann bewohnbar sein. Von Mobianern oder Menschen, es war egal. Bei dem Anblick der Blätter, die im Mondlicht zu schimmern schienen, wirkte die Welt plötzlich friedlich und schön. Grünes Gras spross langsam aus dem vorher noch rissigen Boden, Bäume fingen an zu wachsen…noch immer in einem außergewöhnlichem Tempo, doch diesmal würde etwas Schönes entstehen.

Eine zweite Chance.

Eine Apfelblüte löste sich vom Baum und tanzte kurz vor meinem Gesicht, ehe sie auf meiner verbrannten Hand landete.
 

„Danke…“

Kapitel 12 - Traitor

Kapitel 12 – Traitor
 

„Aua!“

„Entschuldige“

Raimi ließ meine Hand los und seufzte „Besser kriege ich sie nicht hin, tut mir leid.“

Ich sah zu meiner Hand. Sie hatte nun komische schwarze Punkte, als hätte ich Ruß abbekommen…aber immerhin war sie nicht mehr so entstellt wie vorher.

„Und du hast echt in diese Energiekugel gefasst? Ganz schön tapfer!“, sagte sie um vom Thema abzulenken und ich hob den Blick.

„Nein…also ja, eigentlich schon…aber ich war nicht tapfer. Ich…ich hatte total Angst…“, murmelte ich und sah zu Heriot, der neben der Tür stand und jede unserer Bewegungen beobachtete.

„Sag mal, kannst du den nicht weg schicken? Der macht mich nervös…“, flüsterte Raimi mir zu.

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein…ich werde ihn nicht los. Er will um jeden Preis auf mich aufpassen. Er folgt mir überall hin…außer ins Bad.“

„Wenn er das tun würde, würde ich ihm so eine verpassen…“, Raimi schnitt eine Grimasse und ich fing an zu lachen.

„Ja, habe ich auch! Deswegen lässt er es jetzt…“

„Tja, immerhin hast du einen gut aussehenden Beschützer, was?“, meinte sie neckend und ich stieß ihr den Ellenbogen in die Seite.

„Hör auf damit! Sichi zieht mich auch schon ständig damit auf…ich kann doch nichts dafür, dass er mir nach läuft…“

Zugegeben: Heriot sah gut aus. Er war groß, hatte breite Schultern und war muskulös.

Aber er war nicht mein Typ.

Er war mir viel zu…ernst. Und emotional abgestumpft.

Viele Mädchen mögen auf so was stehen und finden es cool, aber ich finde es einfach nur abweisend.

Wobei Heriot nichts dafür kann. Er war Jahrhunderte lang im Tank eingesperrt…und vielleicht hatte man ihn auf absoluten Gehorsam gepolt.

Hoffentlich schaffte ich es, ihm das auszutreiben.

„Danke nochmal für die Heilung. Ich…ich gehe schlafen.“, sagte ich zu Raimi gewandt und stand vom Krankenbett auf, ehe ich die Station mit Heriot verließ.

Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch die Fenster und ich gähnte erschöpft.

„Heriot…wo schläfst du…überhaupt?“, fragte ich zwischen meinem Gähnen „Hast du das Shadow schon gefragt?“

„Ich bleibe in Eurer Nähe.“

„War klar…“, murmelte ich und schnitt eine Grimasse „Na ja, in meinem Zimmer ist genug Platz. Du kannst ja….ähm…auf dem Teppich schlafen…ich schätze du lässt mich nicht auf dem Boden schlafen.“

„Nein.“

„Na dann.“

Heriots Kopf drehte sich zu dem Fahrstuhl als wir einstiegen, ehe er wieder zu mir runter sah.

„Ist was?“, fragte ich ihn, als ich mich unter seinem Blick etwas unbehaglich fühlte.

„Eine Frage…“

„Ja?“

„Warum habt Ihr so gehandelt?“

Ich blinzelte verwirrt „Hä?“

„Bei der Energiekugel. Es…Es sprach gegen die Vernunft…Ihr habt es trotzdem getan.“

„Ja. Natürlich…“, erwiderte ich etwas unsicher „Ich meine…meine Gesundheit war nicht wichtig im Vergleich zu dem, was auf dem Spiel stand…hat Shadow dir die Sache mit den Splittern erklärt?“

„Nein.“

„Dann…also…es gibt sieben Chaos Emeralds. Die haben keine Kraft mehr, weswegen wir den Master Emerald benutzen müssen, der ihre Kräfte kontrolliert. Das Problem ist, dass der leider auseinander gebrochen ist und wir nun die Splitter suchen.“

„Verstehe“, machte er nur.

„So wollen wir die Zeit zurückdrehen und die Welt wieder schön machen…und genau das ist der Grund, warum ich das getan habe.“, erklärte ich und lächelte leicht „Es ist unsere Welt. Ich bin bereit alles dafür zu opfern, damit sie wieder so wird, wie sie es einmal war.“

Heriot starrte mich noch so lange an, bis der Fahrstuhl im Crewdeck hielt. Als wir ausstiegen, wandte er den Blick ab und drehte den Kopf in Richtung Beobachtungsdeck.

Ich glaube, er verstand es nicht wirklich. Für ihn war die Welt in Schwarz und Weiß eingeteilt, aber es gab noch Grau. Und er wusste scheinbar nicht, wie er mit Grau umgehen sollte.

Vielleicht…wollte er deswegen Befehle haben. Selbst zu denken ist viel schwieriger als einfach nur Befehlen zu folgen. Deswegen wollte ich auch keine erteilen – Denn dann würde ich die Verantwortung tragen müssen.

Und das wollte ich nicht.

„Hier ist dein Kissen…“, sagte ich zu ihm gewandt, als wir in meinem Zimmer auf dem Beobachtungsdeck ankamen und drückte ihm mein zweites Kissen auf dem Bett in die Hand.

„Und die Decke…“, ich sah mich suchend um und öffnete ein paar Schränke um eine zu finden, bis ich sie im untersten Fach des Schrankes entdeckte.

„Hier bitte!“

Er sah zu dem Kissen und der Decke, ehe er sich im Zimmer umsah und es sich schließlich auf dem dicken Teppich neben meinem Bett gemütlich machte.

„Gute Nacht, Heriot“, sagte ich noch aus Gewohnheit, ehe ich das Licht ausknipste.

Ich fragte mich ja, ob er die Maske zum Schlafen abziehen würde…bzw. den Helm, denn eigentlich war die „Maske“ das Visier seines Helms, der aus zwei beweglichen Metallplatten bestand, die sich hinten an seinem Hinterkopf befanden. Es sah ein wenig aus wie ein Samurai-Helm, jedoch ohne das ganze prunkvolle Zeug.

Er war schlicht gehalten, hatte aber einige schöne Eingravierungen und Verzierungen.

„Gute Nacht.“, entgegnete er nur, aber es klang wie ein hohles Echo meines Satzes.

Irgendwie war er komisch.

Doch darüber dachte ich nicht weiter nach, denn nun lag ich in einem weichen Bett – Das im Übrigen 50cm zu klein war – und schlief bald mit angewinkelten Knien ein.
 

„Marik…du sollst mich…nicht so…sehen…“

„Nein! Bitte…bitte bleib hier…i-ich brauche dich…“

Er lächelt leicht. Aus seinem Mundwinkel läuft Blut.

„Hoffentlich…komme ich in die…Hölle. Im…Himmel ist…es sche*ße kalt…“
 

Ruckartig riss ich die Augen auf.

Erst musste ich einige Sekunden lang blinzeln, ehe ich merkte, dass Heriot neben meinem Bett kniete und mich anscheinend wachgerüttelt hatte.

„Ich….e-es ist a-alles okay…“, flüsterte ich mit erstickter Stimme und wischte mir einige Tränen aus dem Gesicht.

Er starrte mich in der Dunkelheit an.

„Nein. Ist es nicht.“

Bei der Antwort zuckte ich leicht zusammen.

„Bitte lass mich einfach…in Ruhe.“, murmelte ich und drehte mich auf die andere Seite des Bettes, ehe ich die Decke bis zum Kinn hochzog.

Ich spürte seine Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten, doch nach einigen Minuten legte er sich wieder hin.

Mir fiel ein, dass ich nicht nachgesehen hatte, ob er noch seine Maske trug. Leise drehte ich mich wieder um und spähte zu ihm herunter.

Maske.

Nicht mal im Schlaf zog er sie aus?

Hmm…vielleicht war sie auch festgemacht. Immerhin war er kein Mensch…oder er wollte möglichst geheimnisvoll wirken.

Heriot hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und lag…irgendwie steif da.

Er war wirklich ein komischer Kerl.
 

„Nächster Halt: Crysis City“, Shadow zog die Holo-Karte längs und zoomte dabei auf eine in Lava und Asche liegende Stadt. Oder eher…die Trümmer einer Stadt.

„17 Splitter sind noch übrig. In dieser Stadt befinden sich vermutlich die meisten…immerhin liegt sie im totalen Chaos.“, erklärte er und ich unterdrückte ein Gähnen. Es fing langsam an zu dämmern, und auch wenn ich den Tag über geschlafen hatte…ich war so oft aufgewacht, dass ich mich todmüde fühlte.

„Diesmal kommen Pandorra und Ciel mit mir. Marik, du ruhst dich aus. Deine Hand sieht immer noch so aus als hättest du sie in Lava gehalten.“

„Das schwarze geht nicht weg…und mir geht es schon viel besser!“, protestierte ich schwach, während ich mir die Handschuhe überzog. Ciel war in vor ein paar Stunden in die Stadt gegangen und hatte mir dabei rote Handschuhe mitgebracht – Seidenhandschuhe.

Zudem hatte sie mir noch neue Klamotten gekauft.

Ich glaube, dass sie sich bei mir so für den Wackelpudding entschuldigen wollte – Und für die Halluzinationen. Entweder das, oder in diesen Klamotten erwartete mich eine böse Überraschung.

Wobei ich bezweifelte, dass sie sich das noch traute. Seit sie Heriot kurz auf dem Flur begegnet war – Er hatte sie einfach umgerannt – verhielt sie sich mir gegenüber eher ängstlich.

Doch ganz praktisch einen Bodyguard zu haben.

Aber die Klamotten gefielen mir wirklich: Eine schwarze, robuste ¾ Jacke, Jeans und ein rotes, mit schwarzen Blumen verziertes Oberteil.

Klamottengeschmack hatte sie schon mal.

„Endlich! Ich kann helfen!“, Ciel klatschte fröhlich in die Hände, ehe sie etwas verlegen wieder ruhiger wurde, da wir sie alle anstarrten.

„Marik, du wirst in die Stadt gehen. Die Stadt hier ist friedlich gegenüber Menschen – Eine der letzten Städte. Wir brauchen Nahrung, Kleidung und Wasser. Geld findest du im Tresor, ich werde dir den Schlüssel geben.“, fuhr der Igel fort.

„Ich werde mitgehen.“, sagte Heriot, der im Versammlungsraum bis jetzt nur im Schatten an der Wand gelehnt und gewartet hatte.

„Nein, du bist irgendwie etwas….auffällig“, versuchte ich ihn abzuwimmeln, doch Shadow widersprach mir.

„Er begleitet dich. Nur weil die meisten friedlich sind, heißt es noch lange nicht, dass es sicher ist. Und im Falle dessen, dass du ausgeraubt wirst, wird Heriot dich beschützen.“

„Also ich traue dem Kerl aber nicht. Ich kann doch auch mit Marik in die Stadt gehen!“, warf Sichi ein.

„Nein.“, erwiderte er nur schlicht.

„Sichi…nichts für ungut, aber…du siehst etwas schäbig aus…“, erklärte Raimi vorsichtig „Was glaubst du, warum Ciel Marik neue Kleidung gekauft hat?“

Aha! Dann war es also doch nicht als Entschuldigung gedacht.

„Dir würden alle in der Stadt aus dem Weg gehen…aber keine Sorge, Marik bringt dir Kleidung mit…“

„Aber der Möchtegern – Ninja darf in die Stadt? Der verscheucht doch auch jeden!“, murrte Sichi nur noch, schien aber einverstanden zu sein.

„Wäre praktischer, wenn er die Maske abnehmen würde…“, stimmte Pandorra zu und ich warf einen neugierigen Blick zu Heriot.

„Nein.“, entgegnete er schlicht, aber in einem Tonfall der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Ach komm, bist du echt so hässlich?“, meinte Sichi scherzhalber und Raimi sah ihn mit strengem Blick an.

Ich wusste, dass er es sowieso nicht ernst meinte, weswegen ich dem kaum Beachtung schenkte.

„Warum denn nicht?“, fragte ich nur.

„Es gibt kein Gesetz, dass mich dazu zwingt meine Maske abzulegen.“

Ich seufzte bloß. Gesetz, Gesetz, Gesetz…

„Du hast ja echt einen Stock im A*sch…“, hörte ich meinen besten Freund noch murmeln.

Das war genau das, was ich gedacht hatte. Doch der >Möchtegern – Ninja< ignorierte diesen Satz einfach und blieb weiterhin unbeweglich an die Wand gelehnt.

„Sag Mal, weiß Heriot überhaupt um was es geht?“, wollte Pandorra noch wissen „Immerhin…er ist erst vor einem Tag aus einem Jahrhundertschlaf erwacht…“

„Ich beschütze meine Herrin. Der Rest interessiert mich nicht.“

„Und warum nicht?“

„Ich bin Soldat. Ich befolge Befehle, mehr steht mir nicht zu.“

„Na toll.“, knurrte Shadow leise für sich, aber dennoch so, dass man es hören konnte „Noch so einer der nicht selbstständig denken kann.“

Ich hatte den Verdacht, dass sich die Beiden nicht ausstehen konnten. Vielleicht weil sie so viel gemeinsam hatten?

Oder weil Shadow ihn davon abgehalten hat mich zu beschützen…

„Also was soll ich alles in der Stadt holen?“, wechselte ich schnell das Thema, bevor das Ganze zu einem Streit eskalierte. Seit Heriot da war, war die Stimmung ganz schön angespannt.

Sichi traute ihm nicht, Shadow hasste ihn fast schon, Ciel hatte Angst vor ihm – Wobei mich das eher freute – , Raimi fand ihn irgendwie komisch und Pandorra…gut, was sie dachte wusste ich wieder nicht. Sie schien ihn zu akzeptieren, gleichzeitig aber auch zu misstrauen.

Bis jetzt hatten die Beiden keinen großartigen Kontakt…eigentlich hatte Heriot bis jetzt mit niemand anderem geredet als mit mir.

Und selbst mit mir redete er nur, wenn ich ihm Fragen stellte.

„Kleidung für Sichi, Verbände für Raimi, Nahrung, Wasser und wenn es gibt…Obst.“

„Okay“, murmelte ich, nachdem ich mir alles auf einen Zettel geschrieben hatte. Ich vergaß schnell Dinge.

„Hier ist der Schlüssel zum Tresor. Und jetzt geh bevor es zu spät wird. Und sei um…20 Uhr zurück.“
 

„Hast du bis jetzt mit irgendjemandem außer mir geredet?“, fragte ich Heriot, als er den Gullideckel, er zur unterirdischen Stadt führte, hochhob.

„Nein.“

„Warum nicht?“, ich kletterte vorsichtig die Leiter hinunter und er mir hinterher.

„Ich hielt es nicht für nötig.“

„Du solltest wirklich etwas…menschlicher sein. Du bist kein Roboter.“

„Aber ich bin auch kein Mensch.“

„Aber du bist ein Lebewesen! Und meiner Meinung nach sollten Lebewesen etwas mehr…Emotionen besitzen.“

„Wie der Mobianer?“

Ich schüttelte den Kopf „Von allen Beispielen ausgerechnet Shadow…nein, du könntest etwas mehr wie…Sichi sein.“

„Humorlos?“

Ich starrte ihn eine Weile an, ehe er nur sagte:

„Das war ein Scherz.“

„Du lernst schnell.“, bemerkte ich nur und verdrehte die Augen „Du sollst nicht die genaue Persönlichkeit kopieren! Du sollst eine eigene entwickeln. Das zeichnet einen Menschen – Ein Lebewesen - aus.“

„Dann habe ich keine Persönlichkeit?“, fragte er, während wir den Kanal entlang liefen Richtung Eingang.

Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen und antwortete hastig: „Nein, so meinte ich das nicht! Du…hast schon eine Persönlichkeit, nur ist die eben sehr…hohl.“

„Hohl?“

„Leer. Wie bei einem Roboter. Du wartest immer nur auf Befehle…“

„Ich bin Soldat.“

„Ja, aber auch ein Soldat kann denken, oder? Freier Wille? Oder hat man dir den genommen?“

„Freier Wille…?“

Ich seufzte „Vergiss es…“

Vielleicht würde er irgendwann selbst verstehen, was ich meinte. Doch jetzt mussten wir uns erst mal den Beiden Wächtern des Eingangs stellen…Ein Mensch und ein Bär?

„Wow, kommt selten vor, dass wir hier Menschen zu Gesicht bekommen“, bemerkte der junge Mann grinsend „Vor allem so junge! Kommt ihr von oberhalb?“

„Ja…schön mal freundliche Gesichter zu sehen“, sagte ich erleichtert und er zwinkerte.

„Keine Sorge, Süße, die da drin sind allesamt harmlos. Hättest deinen Beschützer gar nicht mitnehmen müssen.“

„Danny, bleib bei der Sache“, mischte sich sein Partner mit strenger Stimme ein „Wir müssen sie immer noch kontrollieren, also spar dir deine Flirterei für den Feierabend auf.“

„Jaja, natürlich. Also, habt ihr Waffen, Fäulnis oder eine andere Art von Krankheit?“

„Fäulnis nein, Krankheit nein…darf man keine Waffen mitnehmen?“, fragte ich nervös.

„Messer und Pistole gehen klar, nur große Kaliber sind verboten. Schrotflinte und so.“

„Dann haben wir nichts davon.“

„Und der Große?“, der Bär wies auf Heriot, der uns um einige Köpfe überragte und der fast bis an die Decke stieß.

„Er hat gar keine Waffen…glaube ich.“, erwiderte ich zögerlich und sah zu ihm „Hast du Waffen?“

„Kurzschwert. Zwei Stück.“

„Geht klar.“, behauptete der junge Mann und fügte zögerlich hinzu „Wir müssten euch auf Fäule untersuchen. Könntet ihr also…“

Ich wusste genau, was er meinte. Ständig musste ich mich ausziehen wegen dieser dämlichen Untersuchung.

Heriot schien das weniger zu verstehen, denn er rührte sich kein bisschen.

Seufzend wies ich ihn dazu an sich etwas herunter zu beugen und erklärte ihm dann im Flüsterton, was wir tun sollten.

„Nein.“, sagte er nach der Erklärung sofort.

„Hey, wir mögen das auch nicht, aber es ist nun mal die Re – “, fing der junge Mann an, ehe Heriot ihm an die Schläfe schlug und er einfach umkippte.

Bevor ich oder der Bär etwas sagen konnten, kippte dieser ebenfalls schon ohnmächtig um und Heriot öffnete die Tür.

„Wa-Was sollte das gerade!?“, wollte ich wütend und entsetzt von ihm wissen „Du kannst sie doch nicht einfach zusammen schlagen...!“

„Warum nicht?“

„Das…das gehört sich nicht!“, erwiderte ich frustriert „Okay, wenn du auf meine Befehle hören musst, habe ich hier für dich einen: Du tust niemandem weh auf irgendeine Art und Weise, außer es lässt sich nicht vermeiden, verstanden!?“

„Verstanden.“, sagte er bloß und nickte.

„Gut. Jetzt komm schnell, bevor sie aufwachen…“, ich packte ihn am Handgelenk und zog ihn schnell mit mir. Irgendwann musste ich mir eine Leine für ihn besorgen…ich hatte Angst, dass er sonst irgendwas richtig Dummes tat.

Wobei. Eigentlich hing er schon die ganze Zeit an mir…
 

„Also, was müssen wir holen…“, murmelte ich, während ich nach der Liste in meiner Tasche kramte.

„Kleidung für Sichi, Verbände für Raimi, Nahrung, Wasser und wenn möglich Obst.“, erwiderte Heriot sofort.

„Ähm…ja. Danke.“

Ich hörte auf in meiner Tasche zu kramen und sah mich in der Stadt um. Wie in jeder mobianischen Stadt gab es auch hier eine Kuppel – Nur in diese hier war…überwältigend.

Sie war ein Hologramm eines blauen Himmels, Vögeln…und sogar der Sonne. Wahrscheinlich wurde, während es draußen Tags war, Strom aus Solarenergie produziert, die dann nachts dafür benutzt wurde in der Stadt den Tag zu produzieren. In vielen Städten gab es zwar so einen Zeitunterschied, doch bei dieser hier war das wirklich unglaublich.

Die Häuser waren wunderschön und dennoch hochmodern, es gab sogar einzelne Bäume und die Luft war erstaunlich rein. Wenn man hier lebte, war es, als würde diese schreckliche Welt da draußen gar nicht existieren.

Ich begegnete sowohl Menschen, als auch Mobianern die miteinander redeten und lachten.

Diese Stadt hier…war wie ein Paradies. Von niemandem wurde ich komisch oder entsetzt angestarrt, im Gegenteil. Die meisten begrüßten mich sogar.

Am Anfang war ich erst mal so überrascht, dass ich gar nichts erwidern konnte. Doch jetzt grüßte ich zurück und schaffte es sogar ein Lächeln aufs Gesicht zu bekommen.

„Entschuldigen Sie…wo ist denn hier der Markt?“, fragte ich eine Passantin zögerlich.

„Zwei Blocks weiter, dann kommen Sie zu der Hauptpassage. Wenn Sie ihr folgen, kommen Sie direkt zum Wochenmarkt.“, erwiderte sie freundlich und bedankte mich zögerlich, ehe ich der Wegbescheibung folgte.

„Es ist so schön hier, oder?“, ich bewunderte vereinzelt einige Blumen, die auf den Terrassen der Häuser standen.

Heriot antwortete nicht.

Ich wünschte, ich hätte Sichi oder Raimi mitgenommen. Mit denen hätte ich immerhin reden können…außerdem drehte sich jeder zweite Passant wegen ihm zu uns um.

Er überragte auch die Meisten um mindestens einen Kopf.

Nach ein paar Minuten kamen wir am Markt an. Er war in einem Kreis angeordnet, sodass es in der Mitte einen großen Platz gab, auf dem viele Kinder von Eltern spielten, die gerade einkauften. Er schien so was wie das Herz der Stadt zu bilden…

Und hier brüllten die Händler nicht wie üblich herum. Sie hatten Schilder aufgestellt, auf denen die Preise standen und unterhielten sich mit ihren Käufern.

Ich sah auf den Boden.

Jetzt wusste ich, was die ganze Zeit über gefehlt hatte…

Eine Statue der mobianischen Helden.

Doch hier gab es keine Statue…der Boden war ein Mosaik, dass das Abbild von Sonic zeigte.

Heriot schien ebenfalls auf den Boden zu blicken. Ich wusste zwar nicht, wie er mit der Maske sehen konnte, aber anscheinend konnte er es.

„Dieser Igel…“, es war das erste Mal, dass er von sich aus etwas sagte.

„Meinst du Sonic?“, fragte ich ihn „Bist du ihm mal im Krieg begegnet?“

„Ja. Das bin ich.“

„Und? Wie war er?“

Heriots Mundwinkel schienen kurz zu zucken, ehe er antwortete:

„So wie erwartet.“

Erst wollte ich ihn fragen, was er damit meinte, doch dann entdeckte ich die vielen Stände mit Gewürzen und Stoffen und vergaß vor lauter Begeisterung meine Frage.

Zögerlich stellte ich mich an einige Schlangen zu den Ständen an. Es dauerte zwar eine Weile, doch bald hatte ich die gesuchten Materialien zusammen.

Ich sah mich solange um, bis ich einen Obststand entdeckte und begab mich direkt dorthin. Heriot war mir die ganze Zeit schweigend gefolgt – Plus einer kleinen Schar von neugierigen Kindern, die ihn fragten warum er denn eine Maske trug und so groß war.

Der Anblick von ihm, umzingelt von fünf kleinen Jungs war wirklich göttlich. Vor allem…Heriot reagierte so, als hätte er noch nie Kinder gesehen.

Vielleicht hatte er das auch nicht. Im Krieg sah man normalerweise keine Kinder – Jedenfalls…keine lebenden.

„Hey ihr Knirpse! Lasst doch mal den Großen in Ruhe, der tut euch sonst weh!“, hörte ich plötzlich eine Männerstimme lachend sagen.

Mir gefror das Blut in den Adern.

Diese Stimme…

Ruckartig drehte ich mich zu dem Obsthändler um und starrte ihm in die Augen.

Erst runzelte er die Stirn, ehe auch er den Blick weitete vor Entsetzen.
 

„Eines…Tages…sehen wir…uns wieder…versprochen.“

Kapitel 13 - It's only my heart

Kapitel 13 – It’s only my heart…
 

Eine Zeit lang starrte ich ihm mit wachsendem Entsetzen in die Augen.

Nein, bitte nicht. Das kann doch nur ein Traum sein! , dachte ich entsetzt, doch je mehr Zeit verging, desto klarer wurde mir, dass das die bittere Realität war.

Er schien aber weder glücklich zu sein, mich zu sehen, noch schuldbewusst oder beschämt.

Er wirkte nur erschöpft.

„Marik.“, seufzte Nero, unendlich müde.

Schwarze Augen, weiße Haare.

Seine Leiche, die zerschnittenen Arme, der Abschiedsbrief – Alles nur eine Lüge.

Die düsteren, wie betäubten Tage, an denen ich mich so einsam fühlte, so schuldig. An denen ich anfing mich selbst zu verletzen – Alles, alles Basierte auf einer Lüge.

Nur eine raffinierte Art, mich loszuwerden.

Ich ging auf meinen früheren besten Freund zu, vorbei an den anstehenden Leuten und Heriot, der die Situation nicht zu verstehen schien.

Alles.

Nur eine Lüge.

„Du weinst ja.“, sagte er. Ich war so voller Wut, dass ich es nicht einmal gemerkt hatte.

Noch immer kannte ich jedes kleinste Detail aus seinem Gesicht, denn es hatte mich nächtelang verfolgt. So viele Nächte hatte ich wach gelegen, weinend und schuldbewusst.

„Ich kann dich verstehen, aber ich weiß, dass du auch sauer bist. So bist du nun mal.“

Ich hörte seine Worte, aber es fiel mir schwer, sie zu verstehen. Der erste Schock lag hinter mir.

Tief innen in mir, gab es aber einen Teil der einfach nur sterben wollte. Und trotzdem tat ich das, was ich im Grunde immer tat: Ich suchte und ich fand die Wut in mir und steigerte mich hinein.

„Alles, was ich dir sagen kann, ist, dass es mir leidtut. Ich weiß, dass du es mir nicht verzeihen wirst…“

Da schlug ich ihn. Den ersten Schlag ließ er noch zu, doch als ich ihn wieder schlagen wollte, griff er nach meiner Hand.

Er war herzlos, man konnte ihm keinen Schmerz zufügen.

„Du hast mich angelogen! “, wollte ich sagen, doch stattdessen schrie ich ihm entgegen: „Du hast gelogen!

„Ja.“, erwiderte er einfach nur „Es tut mir leid.“
 

„Du hast doch…gesagt, dass ich…jemanden töten soll…der den Tod…verdient hat…“
 

„Weißt du eigentlich wie viele Nächte ich wegen dir wachgelegt habe!? Wie viele Albträume ich hatte!?“, schrie ich und riss meine Hand los „Und das alles wegen einer Lüge!?“

Seine schwarzen Augen waren immer noch genauso wie früher. Ich erkannte jedes kleinste Detail an ihm wieder, ich hatte ihn mir so eingeprägt…

„Marik, ich…“

„Nenn mich nicht so! Wag es nie wieder meinen Namen auszusprechen!“

„Bitte, hör auf so ein Theater zu machen…“

„Ich habe das verdammte Recht darauf ein Theater zu machen! Du hast mir immer hin vorgelogen, dass du TOT wärst!!!“, ich ballte die Fäuste und hatte große Lust ihn nochmal zu schlagen.

Er seufzte nur wieder erschöpft.

Mir schnürte es die Kehle zu. Ich hatte Mühe, überhaupt noch zu atmen.

Ich spürte wieder, wie es für mich als Kind gewesen war, wenn ich mich verletzt oder einsam gefühlt hatte oder meine Eltern anschreien wollte und sie mich mit ihren Erwachsenengefühlen zu ersticken drohten. Rasende Wut, so riesig wie der Himmel.

Und so verloren wie der Ozean, in dem man jederzeit ertrinken konnte. Gewaltige Erwachsenengefühle, die einen vernichteten.

Auf der Stelle.

Marik, ich…“, fing er nur wieder an und streckte die Hand nach mir aus. Im nächsten Moment wurde er am Handgelenk gepackt.

„Sie sagte, du sollst ihren Namen nicht aussprechen.“, Heriots Stimme war scharf und kalt wie das Kurzschwert, das er in der Hand hatte und Nero an die Halsschlagader hielt.

Ich sah zu meinem Beschützer und hätte mich so gerne bedankt, doch mir fehlte die Kraft dazu. Neros Hand zuckte und er sah zu mir.

„Du hättest es nicht so erfahren sollen…“

„Ach, und wie dann? Hättest du dich überhaupt je gemeldet!? Du hast bestimmt gedacht, dass ich längst tot wäre und deine Probleme vorbei sind!“, fauchte ich zurück „Du hast dich doch bestimmt darüber schlapp gelacht, wie ich reagiert habe, als ich dich gefunden habe!“

„Nein, wirklich nicht…“, fing er an und ich hätte ihn wieder unterbrochen, wenn er nicht einfach weitergeredet hätte.

„Ich wollte dich nicht hereinlegen. Ich wollte auch eigentlich nicht die Stadt verlassen, es…es hat sich einfach so ergeben. Als du mich gefunden hast…ich…ich war wirklich tot. Für kurze Zeit…aber ich bin wieder aufgewacht. Und da war ich nicht mehr in der Stadt.“

Ich blinzelte. Sogar Heriot schien verwirrt zu sein, doch sein Griff lockerte sich nicht. Das sah ich daran, dass Neros Hand allmählich rot wurde, da das Blut nicht mehr richtig hindurch floss.

„Wie meinst du das?“, fragte ich schließlich „Und hoffentlich hast du eine richtig gute Erklärung, sonst…“

„Ich weiß es nicht mehr genau! Ich bin einfach…aufgewacht. Als ob ich geschlafen hätte…und da war ein…Schatten oder so. Und ich war nicht mehr in der Stadt.“, versuchte er sich auszudrücken und sein Blick wurde wehleidig.

„Ich habe nie aufgehört nach dir zu suchen.“

„Und warum hast du dann so reagiert? Du hast mich angesehen als wäre ich dein schlimmster Albtraum!“

„Natürlich habe ich das! Ich dachte, dass du mir nie im Leben verzeihen wirst…geschweige denn mir glauben wirst…ich hatte auch Angst davor dich zu treffen! Und ich hätte nie erwartet, dass du mir einfach so über den Weg laufen würdest…“

Ich starrte ihn an. Lange.

Es war schon immer schwer gewesen herauszufinden, was Nero dachte.

Die schwarzen Augen waren wie ein Spiegel: Ich sah alle Gefühle, die sich empfand, aber seine blieben mir verborgen. Aus diesem Grund war er immer ein guter Lügner gewesen.

Sogar jetzt glaubte ich ihm fast. Obwohl so etwas wie Totenerweckung absolut lächerlich war und niemals wahr sein konnte.

Trotzdem…es wäre so einfach, ihm zu glauben. Zu glauben, dass er mich nicht freiwillig verlassen hatte und mich nicht angelogen hatte.

Aber es wäre feige. Ich musste mich der Wahrheit stellen.

Er hatte mich nie geliebt.

„Heriot, wir gehen.“, sagte ich nur. Mein Begleiter sah von mir zu Nero, ehe er ihn losließ und das Schwert in einer rotierenden Bewegung zurück in die Scheide steckte, welche sich an seinem Rücken befand.

„Marik, warte doch…!“, hörte ich ihn noch rufen, als ich mit schnellen Schritten den Platz verließ.

„Mareike!“

Es hatte sich nichts geändert. Die Leute redeten, lachten miteinander und die Kinder spielten weiter.

Die Holo-Sonne schien über der Stadt, Wolken zogen vorbei und die Welt drehte sich weiter.

Es hatte sich nichts verändert.

Doch für mich war gerade die Welt zusammengebrochen.

.
 

Den ganzen Rückweg über sprach ich kein Wort mit Heriot. Er versuchte auch nicht mich zum Reden zu bringen. Vielleicht weil er keinen Wert auf Konversation legte oder keine Neugier besaß, doch ich war unendlich dankbar dafür. Hätte ich Raimi oder Sichi dabei gehabt, hätten sie mich die ganze Zeit über gelöchert.

Meine Beine fühlten sich beim Laufen taub an und mein Kopf war schwer wie Blei.

Warum hatte Nero das nur getan? Er hätte einfach gehen können…stattdessen musste er diese Horror-Show abziehen, damit ich jahrelange Albträume hatte.

Ich konnte mich an jedes Detail erinnern…wie er auf dem Boden lag…blutend…mit zerschnittenen Armen…

Doch das war nicht das schlimmste gewesen. Sondern seine Augen.

Sie waren nicht trüb, dunkel, verschwommen oder leer gewesen. Nicht ängstlich, schuldbewusst oder traurig.

Sie hatten gestrahlt.

In den letzten Momenten seines Lebens…war er überglücklich gewesen. Ich hatte ihn noch nie so strahlen sehen, so lebendig.

Er war im Tod glücklicher gewesen als jemals im Leben.

Doch jetzt verstand ich warum es so war. Er war froh gewesen, mich los zu sein.

„Danke“, sagte ich, als ich mit Heriot stehen blieb. Er schaltete die Taschenlampe an und gab damit einzelne Lichtzeichen in den Himmel, während wir darauf warteten, dass Shadow uns abholte.

„Wofür?“, fragte er dann noch nach einem kurzen Moment.

„Das mit Nero. Und das du nicht nachgefragt hast…“

„Es steht mir nicht zu, Informationen zu erfragen die nicht freiwillig herausgegeben werden.“, entgegnete er bloß.

Vielleicht war er gerade der Einzige, der mir in einem solchen Moment Gesellschaft leisten konnte. Mitleid, Zuspruch…all das konnte ich nicht gebrauchen. Ich wollte nicht bemitleidet werden, ich hasste so etwas.

Heriot war mit seinem nichts sagendem Schweigen das Tröstlichste, das es für mich im Moment gab.

Im nächsten Moment tauchte am Horizont ein kleineres Shuttle auf, dass langsam größer wurde je näher es kam. Als es neben uns auf dem Boden landete, war es etwas größer als ein Auto.

„MARIK!!“

Ich erstarrte, als ich die Stimme hörte und drehte mich ruckartig um.

„N-Nero?“

Er blieb einige Meter weit entfernt keuchend stehen.

Wie konnte er uns folgen? Hier war weit und breit niemand…Klar, ich hatte nicht auf meine Umgebung geachtet, aber Heriot…

Ich warf ihm einen Blick zu. Durch die Maske war es unmöglich zu erkennen ob er überrascht war oder nicht.

Dabei ging sie ihm nur über die Augen, verdammt! Konnte er den Mund nicht bewegen oder was!?

„Was willst du noch?“, fragte ich Nero frostig und sah etwas nervös zu Shadow, der im Shuttle sitzen blieb. Wohl damit man ihn nicht sah…

„W-Wenn du mir schon nicht glaubst…d-dann werde ich es dir…i-irgendwie beweisen…“, ächzte er und versuchte etwas ruhiger zu atmen „E-Egal wie…s-so leicht lasse ich mich nicht…abwimmeln…“

„Wie bist du uns überhaupt gefolgt!?“

„E-Es ist Dunkel…da konnte ich euch…einfach nachlaufen…“

Heriot schien widersprechen zu wollen, doch dann überlegte er es sich anders und verfiel wieder in sein Schweigen. Ich richtete die Taschenlampe auf Nero, sodass er uns nicht mehr sehen konnte.

„Wer ist das?“, zischte Shadow daraufhin leise, als er aussteigen konnte ohne gesehen zu werden „Warum hast du ihn mitgenommen!?“

Ich starrte den Igel an.

„E-Es ist…N-Nero…“

Sein Blick veränderte sich. Erst wurde er verwirrt, doch dann wurde dieser Blick durch…Verständnis ersetzt.

Er war nicht wütend auf mich.

Im Gegenteil…er schien mich zu verstehen.

„W-Wer ist da noch?“, fragte Nero und blinzelte gegen das grelle Licht an „Kannst du…aufhören mir ins Gesicht…“

„Nero, geh wieder zurück in die Stadt. Es ist mir egal ob du lügst oder nicht, das mit uns ist vorbei.“, sagte ich zu ihm gewandt und sah dabei zu Boden.

Ich war einfach nicht kaltherzig genug um so etwas zu tun. Ich konnte ihm nicht dabei ansehen…sonst würde ich meine Meinung noch ändern.

„Nein, vergiss es! Ich will dir beweisen, dass ich nicht lüge….gib mir nur eine Chance! Ich bitte dich…“, widersprach er mir und klang energisch. Es würde schwer werden ihn abzuwimmeln, dass wusste ich.

Und…wenn er mich belogen hätte…warum sollte er mir dann jetzt folgen?

„Bitte, ich will nur noch eine Chance! Ich gehe sogar auf die Knie, wenn du willst“, fügte er hinzu und es klang ehrlich.

Ich sah zu Shadow. Wenn Nero mit uns kommen sollte, brauchte ich sein Einverständnis.

Er nickte leicht. Wenn auch zögerlich und mit warnendem Blick.

Nero hatte mich schon einmal verraten und verletzt. Sollte ich ihm wirklich trauen?

Oder war das hier nur ein Spiel für ihn?
 

Ich ließ die Taschenlampe sinken und beleuchtete den Boden, sodass das Licht schwach auf uns reflektiert wurde.

Nero blinzelte eine Weile, ehe sich seine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnten und sah zu uns.

„Wenn du mich noch einmal belügst…“, ich ballte die Fäuste und sah ihn mit wütendem Blick an „Dann sage ich Heriot, dass er dir die Augen einzeln rausreißen soll…“

„Wer ist Heriot?“, wollte er wissen und ich wies mit einer leichten Kopfbewegung auf den Riesen neben mir.

„Und…der neben dir…sieht aus wie…“, Neros Augen weiteten sich „Das…ist doch nicht etwa…?“

„Shadow.“, sagte er Igel knapp „Wenn du das jemandem erzählst, verlierst du noch mehr als deine Augen.“

„Was…was ist hier eigentlich los…?“

„Das erkläre ich dir unterwegs.“, seufzte ich und er kam langsam auf mich zu.

„Das ist…erst mal auch egal.“, behauptete er dann bloß und blieb vor mir stehen „Verzeihst du mir…?“

Ich hob die Hand – Und gab ihm eine kräftige Ohrfeige.

Sein Kopf ruckte zur Seite und er rieb sich die rote Wange.

„Nein.“, erwiderte ich und ballte die Fäuste „Wie kannst du so was fragen!? Wegen dir konnte ich seit fast 5 Jahren nicht mehr schlafen! Du kommst nur mit, weil ich sehen will ob du deine Lüge aufrechterhalten kannst und wann ich Heriot seinen Befehl erteilen kann!“

Neros Gesicht wurde von einem schwachen Lächeln geziert.

Und auch so sehr ich versuchte ihn zu hassen…ich konnte es einfach nicht. Egal wie sehr er mich verraten hatte, wie sehr ich gelitten hatte…ich konnte ihn einfach nicht hassen.

Es ging nicht.

„Du schlägst immer noch genau wie früher“, sagte er leicht grinsend und sah zu dem Shuttle „Und wohin bringt uns dieses Ding?“
 

„Du heißt Nero?“, Sichi starrte den Weißhaarigen an „So wie der Typ, von dem Marik ständig Albträume hat?“

Neros Grinsen wurde schmerzlich.

„Ich habe ganz schön was angerichtet, oder?“

„Ach was, du hast ihr nur ein weiteres Messer ins Herz gerammt.“, bemerkte Raimi scharf.

Irgendwie fand ich es lieb von ihnen, dass sie Nero auf Anhieb hassten. Es zeigte, wie sehr sie mich vor ihm in Schutz nehmen wollten…

„Warum hast du ihn mitgenommen, Marik? Immer hin hat er dich verraten“, fragte Sichi.

„Weil er behauptet es nicht getan zu haben. Und ich will sehen, ob das stimmt. Selbst wenn ich ihn die ganze Reise über am Hals haben muss, wenn sich am Ende herausstellt das er gelogen hat, habe ich meine Ruhe und Heriot was zu tun.“, antwortete ich bissig. Heriot neben mir rührte sich wie immer nicht, aber ich könnte schwören, dass ihn der Gedanke freute.

„Ich bin wirklich froh, dass ihr mich mitnehmt. Ich weiß, dass ich mich sehr unbeliebt gemacht habe…aber das will ich wieder gut machen. Wirklich.“, sagte Nero und wie er es sagte, klang es ehrlich gemeint.

„Das werden wir ja sehen“, meinte Shadow dazu nur und klang besonders kalt „Geh auf das Crewdeck, dort kannst du dir ein Zimmer aussuchen das noch nicht besetzt ist.“

„Und…wann erklärt ihr mir, was hier los ist…?“

„Das erzählt dir Marik, wenn sie will. Aus uns bekommst du nichts raus“, erwiderte Raimi knapp.

Nero seufzte, ehe er zu dem Aufzug ging.

Als er weg war, spürte ich die Blicke der Anderen auf mir.

„Was…“, fing Ciel schon an, doch da rannte ich hastig aus dem Versammlungssaal um jeder Frage zu entkommen.

Heriot war mir – wie immer – gefolgt und stand wie ein Schatten hinter mir, während ich mir mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht wischte und die Schluchzer unterdrückte.
 

„Ich nenn‘ dich ab jetzt Marik!“

„Waas? Aber das ist doch ein Jungenname! Der passt doch gar nicht zu mir!“

„Klar tut er das, immerhin biste jetzt mein kleiner Bruder!“
 

Als ich die tränenverschleierten Augen wieder öffnete, merkte ich, dass Heriot mir ein Taschentuch hinhielt.

„D-Danke…“, schluchzte ich und nahm es ihm ab, ehe ich mir die Nase putzte und mir die restlichen Tränen von den Wangen wischte.

Er sagte nichts.

Ich war ihm für dieses Schweigen einfach so dankbar. Keine Fragen, keine Blicke…das war für mich der Beste Trost.

„I-Ich gehe schlafen…“, flüsterte ich bloß noch mit erstickter Stimme, ehe ich zu dem Aufzug lief und Heriot mir folgte.
 

“On a wagon bound for market, there’s a calf with mournful eye,

High above him there’s a swallow winging swiftly through the sky…
 

How the winds are laughing, they laugh, with all their might,

Laugh and laugh, the whole day through, and half the summer’s night…”


 

Diesmal war es kein Albtraum, der mich aus dem Schlaf riss. Sondern eine Kindermelodie, die mir Nero immer vorgesungen hatte, wenn ich nicht schlafen konnte.

Doch das war fast genauso schlimm. Ich wollte mich nicht an die schönen Zeiten mit ihm erinnern, denn die Tatsache, dass er mich vielleicht so dermaßen verraten hatte, beschmutzte diese Erinnerung und verdrehte sie.

Ich befühlte mein Kissen.

Trocken.

Komisch…

Als ich mich etwas aufsetzte, merkte ich wie etwas von meiner Stirn rutschte und auf das Bett fiel.

Zögerlich hob ich es hoch.

Ein Lappen?

Er war feucht…und mittlerweile etwas warm…

Ich sah runter zu Heriot. Neben seinem Schlafplatz stand eine Schüssel mit Wasser. Als ich den Finger hineintauchte, war es kalt.

Hatte er mir den Lappen auf die Stirn gelegt? Hatte ich Fieber bekommen?

Außerdem…sein Kissen fehlte. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schlief scheinbar.

Jetzt verstand ich.

Er…hatte mir sein Kissen gegeben. Weil meins nass gewesen war…

Gehörte das auch zu seinen Aufgaben? Sich so um mich zu kümmern…

Ich tauchte den Lappen in das kalte Wasser und wrang ihn vorsichtig und möglichst leise aus, um Heriot nicht zu wecken, ehe ich ihn mir wieder auf die Stirn legte und meinen Kopf im Kissen vergrub.

Ein paar Minuten später befand ich mich dank der Kühlung wieder im Halbschlaf, merkte aber wie Heriot sich aufsetzte und die Decke richtig über mich zog.

Dann schlief ich ein.
 

Am nächsten Morgen merkte ich, dass der Lappen auf meine Augen heruntergerutscht war und hob ihn hoch.

Meine Augen…fühlten sich nicht geschwollen an.

Wegen dem kühlen Lappen?

Und warum war er überhaupt kühl? Er müsste sich doch längst erwärmt haben…

Zögerlich sah ich zu Heriots Schlafplatz.

Leer.

Die Decke war zusammengefaltet und aufgeräumt.

Wo war er hin? Vielleicht hatte er ja Hunger bekommen…

Im nächsten Moment ging die Tür leise auf.

„Heriot, wo warst…“, fing ich noch an, ehe ich inne hielt. Es war nicht Heriot, der den Kopf ins Zimmer steckte, sondern Nero.

„Morgen…ähm…oder Mittag…“, sagte er zögerlich.

„Raus hier!“, rief ich sofort und schmiss ihm mein Kissen an den Kopf, das er jedoch abfing.

„Nicht so laut! Dein Leibwächter lässt mich nicht in Ruhe…vorhin hat er mich im Gang einfach um gerempelt und ich wette, dass er das mit Absicht getan hat!“

In Gedanken notierte ich mir, dass ich Heriot unbedingt danken musste.

„Und ich…ich wollte mit dir reden…gestern hatte ich gar keine Zeit dazu…“, fügte er noch hinzu und legte das Kissen auf mein Bett.

„Jetzt nicht…“

„Hey, ich versuche es wieder gut zu machen, okay? Gib mir wenigstens die Chance dazu…“

Meine krampften sich leicht in die Decke. Die wenigen Meter Abstand, die er von mir hatte, kamen mir vor wie eine tiefe Schlucht.

„Meinetwegen.“, antwortete ich dann nur und er setzte sich vor das Bücherregal neben meinem Bett.

Die erste Minute herrschte Schweigen. Er schien nachzudenken, was er jetzt am besten sagen sollte und ich wusste, dass das nur furchtbar schief gehen konnte.

„Wie ist es dir so ergangen?“, fragte er dann einfach nur und ich schluckte den Ärger mühsam herunter.

„So wie immer…“

„Und…warum reist du herum?“

„Weil ich es in der Stadt nicht mehr ausgehalten habe.“, erwiderte ich bloß und er seufzte.

„Dann ist das Ganze meine Schuld…“

„Nein, ich wäre auch gegangen wenn du geblieben wärst. Der Weggang ist das Beste, was mir bis jetzt passiert ist.“

Nero lehnte sich zurück an das Bücherregal und starrte die Decke an.

„Und was hast du gemacht?“, fragte ich nur zurück.

Die ganze Unterhaltung war angespannt. Er wirkte nervös und unruhig…es war einfach nicht mehr wie früher. Früher hatten wir uns über alles Mögliche unterhalten, jetzt hingegen…wirkte es verkrampft und unnatürlich.

„Ich…war auf Reisen. Ich hab‘ eine Menge Erfahrung gemacht und…ich hab‘ versucht dich zu finden.“, erzählte er langsam und sagte den letzten Teil seines Satzes nur sehr zögerlich „Ich…ich weiß nicht. Als ich wieder…aufgewacht bin…da bin ich zurückgegangen. Aber du warst nicht mehr da…“

„Wann war das?“

„Vor…2 Jahren…glaube ich…“

Ich starrte ihn an. Zwei Jahre…wie lange das her war.

Ich wusste, dass ich mich sehr stark verändert hatte. Ich war größer geworden, hatte mehr erlebt und mehr verloren.

Nero hingegen sah genauso aus wie früher. Nur hatte er jetzt einen Dreitagebart und etwas längere Haare.

Aber seine Augen waren gleich.

„Du bist ganz schön groß geworden“, bemerkte er grinsend, auch wenn das Grinsen aufgesetzt wirkte „Du bist jetzt…19, richtig?“

„Ja…und du?“

„25. Die Zeit vergeht echt schnell…eben noch war ich ein kleines Bettlerkind, heute bin ich ein alter Sack“

Ich fragte mich, ob er immer noch arm war. Es sah jedenfalls nicht so aus…er trug einen schwarzen Ledermantel, schwarze Stiefel, eine verwaschene Jeans und ein dunkelblaues Hemd. Von der Jacke hatte er die Ärmel bis zum Ellenbogen hochgekrempelt und die Stiefel wirkten abgewetzt.

Trotzdem…die Sachen waren noch nicht so alt. Und sie waren bestimmt sehr teuer…Leder war generell sehr teuer.

„Was hast du denn da an der Hand???“, fragte er plötzlich und klang entsetzt. Ich sah zu meiner rechten Hand.

Sie war noch immer von fast schwarzen Brandnarben übersäht und sah wirklich schlimm aus.

„Ich habe mich nur verbrannt“, antwortete ich und versteckte die Hand schnell unter der Decke, ehe ich mich ein Stück aufsetzte.

„Das sah so aus, als ob du die Hand in Lava gesteckt hättest!“

„Hast du sie noch nicht gesehen?“

„Was?“

„Lavamonster…“

Nero starrte mich lange an.

„Was? Lavamonster??“

„Ja. In einigen Gebieten gibt es Lavamonster…sie greifen einen mit Feuer an. Da habe ich mich verbrannt“, log ich, um ihm die Sache mit den Splittern zu verschweigen.

„Die Viecher gibt es echt? Ich dachte…das seien Erfindungen…“, murmelte er und schüttelte leicht den Kopf, ehe er den Blick hob und mich zum ersten Mal direkt ansah.

„Du hast eine Menge durchgemacht, oder?“
 

Bevor ich auf die Frage antworten konnte, ging die Tür auf.

Heriot betrat das Zimmer und drehte den Kopf erst zu mir, ehe er zu Nero sah.

„Heriot! Wo warst du?“

Als Antwort wies er nur auf seine nassen Haare.

Ah…er war duschen…glaube ich.

„Nero wollte mit mir reden“, erklärte ich, als er nicht aufhörte in meine Richtung zu starren.

Als Antwort nickte er nur leicht.

„Könntest du…?“, fügte ich noch etwas zögerlich hinzu. Er brauchte einige Sekunden, ehe er verstand und das Zimmer verließ, wobei er die Tür hinter sich schloss.

„Der Kerl ist komisch“, bemerkte Nero, als einige Minuten verstrichen waren „Woher kennst du ihn?“

„Das ist eine lange Geschichte…Heriot hält mich für so etwas wie seine Herrin und will mich um jeden Preis beschützen. Ich werde ihn einfach nicht los…und er benimmt sich wie ein Roboter“, seufzte ich bloß „Er gehorcht nur meinen Befehlen…manchmal habe ich das Gefühl, dass er gar nicht selbstständig handeln kann…“

„Ein kalter, emotionsloser Koloss. Mit so einem kuschelt man doch gerne, was?“, meinte er bloß scherzhaft, doch diesmal konnte ich nicht lachen oder mich aufregen.

Nero sollte bloß nicht glauben, dass ich ihm das so einfach verzeihe.

„Wir sollten frühstücken gehen“, erwiderte ich deswegen nur, um dieses Gespräch so schnell wie möglich zu beenden.

Er nickte und wandte sich zum Gehen, ehe er nochmal zögerlich zu mir sah.

„Hey…ähm…Danke. Dass du mit mir geredet hast, meine ich.“

„Schon okay.“
 

„Hast du schon etwas gegessen?“, wollte ich von Heriot wissen, als ich das Zimmer verließ. Ich streifte mir meine Handschuhe über und zog mein Oberteil zu Recht.

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Ihr wart nicht da…“

„Und du kannst nicht einmal selbst entscheiden wann du isst?“, fragte ich und hätte am liebsten meinen Kopf gegen die nächste Wand gehauen.

„Das ist es nicht. Ich warte.“

„Ach so. Na dann.“, machte ich bloß und er schwieg wieder.

Doch im nächsten Moment fragte er:

„Wieso habt ihr ihn an Bord geholt?“

„Ähm…wen?“

„Nero. Er hat Euch verraten und gedemütigt. Warum habt Ihr ihm verziehen?“

„Das habe ich nicht!“; erwiderte ich hitzig und spürte sofort den Ärger in mir aufsteigen.

„Wenn Ihr es nicht getan hättet, hättet Ihr ihn auch nicht an Bord geholt.“

„Ich habe ihn nur an Bord geholt, weil…“, ich stockte und konnte meinen Satz erst nach einigen Minuten fortführen „Weil ich endlich Klarheit will.“

„Es ist unmöglich von den Toten wiederaufzuerstehen. Die einzige Person die das konnte war meinen Daten zufolge Christus und es gibt keinerlei Beweise dafür, dass er existiert hat.“, erwiderte in einem neutralem Tonfall, der mich aber trotzdem wütend machte.

„Es ist meine Sache wie ich mich mit meiner Vergangenheit auseinander setze!“, fuhr ich ihn an „Das geht dich nichts an, verstanden!?“

„Zur Kenntnis genommen. Trotzdem…“

Kurz war ich verwirrt wegen seinem Einspruch. Ich nahm an, dass er sofort die Klappe halten würde – Immerhin war das eben so etwas wie ein indirekter Befehl.

Oder er hatte es nicht verstanden.

„…Ich habe gesehen wie Ihr geweint habt. Ich kenne mich nicht aus mit Emotionen und Menschen, aber Menschen weinen nicht grundlos.“, sagte er und ich zuckte zusammen.

Mir fiel wieder ein, wie sich Heriot gestern Nacht um mich gekümmert hatte.

Und trotzdem. Dass er mich auf diesen wunden Punkt angesprochen hatte, verletzte mich mehr, als dass ich ihm dankbar war.

„Halt die Klappe“, erwiderte ich deswegen bloß und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter.

Diesmal blieb Heriot still.
 

„Wow, endlich was, was nicht nach Chemikalien schmeckt“, Sichi biss in seinen Apfel und machte ein zufriedenes Gesicht. Wenn er so dasaß, mit etwas zu Essen in der Hand und dem glücklichen Gesichtsausdruck, wirkte er gar nicht wie jemand der tagtäglich mit Pistolen hantieren musste.

Ich wusste noch, wie er mir mal erzählt hatte, dass sein Vater einer der Widerstandskämpfer war. Sichi hatte ihn nie kennengelernt, da er sich im Krieg befand als er geboren wurde und seine Mutter bei der Geburt starb. Seinen Namen wusste er aber noch - John Meyer.

Dass ich diesen Namen in den Todesanzeigen der Zeitung gelesen hatte, hatte ich ihm aber bis heute nicht gesagt. Ich glaube, es würde ihn auch nicht interessieren.

Trotzdem. Es war schön, wenigstens glauben zu können, dass irgendwo da draußen noch ein lebender Verwandter war.

Mein Blick wanderte zu Raimi. Sie hatte ein ähnliches Schicksal erlitten wie Nero. Ausgesetzt in einer rassenfeindlichen Stadt.

Raimi war bei uns Menschen aufgewachsen. Und bevor sich ihre Kräfte entwickelt hatten, war sie von allen gehasst worden. Doch als man herausfand, dass sie heilen konnte, wollte plötzlich jeder ihr Freund sein.

Zum Glück war sie nicht dumm genug, um auf diese Masche hereinzufallen. Wenn sie etwas nicht ausstehen konnte, dann, dass man ausgenutzt wurde.

„Du siehst so nachdenklich aus. Stimmt was nicht?“, fragte mich Pandorra, während sie ihre Mandarine schälte.

„Nein…nein, alles okay. Wie viele Splitter habt ihr gestern bekommen?“, wollte ich wissen und lenkte somit vom Thema ab.

„Ganze 5 Stück! Du hättest diese Stadt sehen sollen…überall Lavaströme…und kaputte Häuser…“, Ciel seufzte „Die Leute tun mir so leid. Ich frage mich, wie die Stadt damals ausgesehen hat…bestimmt war sie wunderschön…“

„Ja. Man hat die Einsamkeit regelrecht spüren können…es war grausam“, murmelte Pandorra noch und musterte ihr Obststück „Manchmal frage ich mich ja, was aus der Welt geworden wäre, wenn Eggman nicht gewesen wäre. Denkt ihr, es wäre komplett anders gekommen?“

„Nein.“, sagte Nero und mischte sich somit zum ersten Mal in unser Gespräch ein.

Ich starrte ihn an. Er hatte den Ellenbogen am Frühstückstisch abgestützt und biss in seinen Apfel.

„Tatsache ist doch“, fuhr er fort, als er geschluckt hatte „Dass jeder von uns Schuld am Ende unseres Planeten ist. Klar, wenn Eggman net gewesen wäre, wäre das Ganze nicht von heute auf Morgen passiert, aber am Ende wäre es aufs Gleiche raus gekommen. Das Ende unserer Welt ist die Schuld von Allen, Eggman hat nur den Todesstoß gegeben.“

„Das ist doch Quatsch! Also ist es auch egal, wann ein Lebewesen stirbt? Wenn es wirklich so wäre wie du es sagst, ist es doch egal ob Kinder sterben. Am Ende sind wir doch eh alle tot.“, widersprach Sichi bissig.

„Ganz genau. Ist doch egal ob man im Alter von 7, 16, 30 oder 80 stirbt.“, stimmte Raimi zynisch zu „Ist doch egal, ob wegen einem Krieg die Hälfte der Weltbevölkerung stirbt“

„Im Krieg sterben Menschen, das stimmt.“, erwiderte Nero ruhig und unbeeindruckt

„Aber alle anderen Menschen sterben auch. Sie sitzen wie Einsiedler in dem Gehäuse ihrer Gewohnheit und warten.“

„So redet nur jemand, der lebensmüde ist“, Pandorra schüttelte entsetzt den Kopf „Wie kannst du so was sagen!“

Genau das Gleiche dachte ich mir auch. Ich sah zu Nero, der bloß irgendwohin in die Ferne starrte mit unergründlichem Blick.

Es war nicht seine Art, so über Menschen – bzw. – Mobianerleben zu reden. Er war sonst immer derjenige, der am heftigsten gegen Krieg protestierte.

Und jetzt…waren die Toten egal?

„Wenn alle so denken würden wie du…“, fing Ciel wieder an, wurde aber unterbrochen als Shadow mit der Faust auf den Tisch schlug.

„Schluss jetzt!“, rief er und die Gläser klirrten leise „Ich habe keine Lust mir noch länger diese Diskussion anzuhören!“

Totenstille kehrte ein. Ich hatte noch nie erlebt, dass Shadow die Beherrschung verlor.

Klar, er war immer schlecht gelaunt und gereizt, aber…er war nie laut geworden.

Jemand, der schon hundert Jahre lebte, verlor nicht einfach die Beherrschung.

Er selbst wirkte aber unbeeindruckt von unserem Entsetzen. Er stand auf, schmiss den Rest seiner Birne weg und verließ die Küche.

„Was hat er denn?“, fragte Sichi nur, als einige Minuten verstrichen waren.

„Ich vermute, dass es ihn zu sehr an den Krieg erinnert“, behauptete Ciel langsam, wenn auch etwas unsicher. Anscheinend nahm sie es persönlich, dass Shadow ausgerechnet sie unterbrochen hatte.

„Hat der Große eigentlich gar nichts dazu zu sagen? Immerhin war er doch beim Krieg dabei“, wollte Sichi wissen, während er sich den nächsten Apfel nahm.

Erst wusste ich nicht, wen er meinte, doch da wies er auf Heriot.

„Genau! Ich würde auch mal gerne wissen, was er denkt“, bestätigte Raimi und ich sah zu ihm.

„Und, was denkst du darüber?“, ich wusste, dass er von sich aus nichts sagen würde und ich ihn deshalb fragen musste.

„Ich kämpfe nicht für das Gute oder das Böse. Ich kämpfe einfach nur. Das Ergebnis des Kampfes ist mir gleichgültig.“, erwiderte Heriot in einem Tonfall, der zwischen Emotionslosigkeit und Kaltherzigkeit schwankte.

„Ich bin ein Werkzeug. Mehr nicht.“
 

Nachdenklich starrte ich auf das Foto.

Ich hatte Shadow noch immer nicht gefragt. Verglichen mit unserer Mission erschien dieses Bild hier, dass ich zwischen den Büchern im Zimmer gefunden hatte…bedeutungslos.

Aber für Shadow war es vielleicht nicht so. Für ihn war es vielleicht sein Ein und Alles, seine…seine Familie.

Eine Fledermausdame und ein kleines Igelmädchen.

Konnte es wirklich sein? Konnte es wirklich sein, dass…dass Shadow ein Kind hatte?

Zögerlich klopfte ich gegen die Tür zu seiner Kabine.

Heriot konnte ich zum Glück abwimmeln – Ich hatte ihm befohlen alle „Gesetze“ aufzuschreiben, an die er sich binden musste und alle Befehle, die ich ihm erteilen konnte plus alle Informationen, die ich über ihn wissen musste.

Er würde erst mal eine Weile brauchen, bis er überhaupt etwas zum Schreiben fand.

„Was?“, war das erste Wort, dass Shadow an mich richtete als er die Tür öffnete.

„Kann ich dir eine Frage…“

„Nein.“, erwiderte er bloß, aber ich stellte hastig einen Fuß zwischen die Tür, damit er sie nicht zu bekam.

„Was willst du?“, fragte er gereizt und ich zog zögerlich das Foto aus meiner Tasche.

„Ich…ich habe da was gefunden…“

Shadow starrte das Foto eine Weile lang an, ehe er die Hand danach ausstreckte. Doch ich zog es hastig wieder zurück.

„Wer sind die Beiden Personen?“, wollte ich wissen „Die rechts kenne ich. Das ist Rouge, habe ich Recht?“

„Gib mir sofort…“

„Und die links? Ist das deine Tochter?“

Seine rechte Hand zuckte. Kurz hatte ich die Befürchtung, er würde mich einfach schlagen und mir dann das Foto mit Gewalt abnehmen, aber er ließ es.

Vorerst.

„Das geht dich nichts an!“, knurrte er gereizt und drückte leicht gegen die Tür, doch ich hatte das Gefühl, mein Fuß würde zerquetscht werden.

„Es ist nur…ich hätte nie gedacht…“

„…das ich Kinder habe?“, erwiderte er bloß trocken.

„Nein, das ist es nicht…ich dachte nur nicht, dass du Wert auf Beziehungen legst.“, ich hatte das Gefühl, meine Antwort wäre noch unhöflicher und schlimmer gewesen als seine Vermutung, weswegen sich wohl auch kurz seine Augen verengten.

„Gut zu wissen.“

„So war das nicht gemeint! Ich meine…ich weiß, dass du kein gefühlloser Klotz bist, so wie du immer tust…aber ich hätte nicht gedacht, dass du als Widerstandskämpfer eine Familie hattest. Immerhin…Eggman hat zu der Zeit doch schon geherrscht, oder?“

Woher ich das wusste? Ganz einfach. Rouge wirkte auf dem Foto älter, etwa 20. Und als Sonic 18 war, hatte Eggman die Weltherrschaft übernommen.

„Es war ein Unfall.“, entgegnete Shadow bloß und versuchte scheinbar ruhig zu bleiben, auch wenn er innerlich kochte. Mir war klar, wie gemein es war ihn so mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren, doch ich hatte das dringende Bedürfnis, anderen zu zeigen wie es mir im Moment gerade ging.

„Hast du bei ihr gelebt? Hast du dich deswegen versteckt…“

Im nächsten Moment spürte ich einen brennenden Schmerz im Gesicht und danach einen harten Aufprall, als ich mit dem Rücken an die nächste Wand klatschte.

Tränen schossen mir in die Augen, aber ich blinzelte sie schnell weg, rieb mir die Wange und stand zögerlich wieder auf. Die Stelle, wo Shadow mich geschlagen hatte pochte schmerzhaft, aber trotzdem sagte ich nichts, weil ich wusste, dass ich zu weit gegangen war.

„Ich habe mich nie versteckt!“, knurrte Shadow und hatte die rechte Hand noch zur Faust geballt. In seinen Augen sah ich den Zorn aufblitzen.

„Sie hat mich nie kennen gelernt! Ich wollte, dass sie ein sicheres Leben hat und habe mich von ihr fern gehalten! Ich habe nie etwas für sie getan, geschweige denn mich für sie versteckt um für sie da zu sein.“

„Hättest du es gerne getan?“, fragte ich bloß.

Er schien kurz zu zögern. All die Wut war auf einen Schlag verraucht.

„Es war Krieg. Die ganze Welt hat von mir erwartet, dass ich Eggman besiegen würde…meine eigenen Wünsche waren bedeutungslos.“

Mir wurde klar, dass das hier nur die Spitze des Eisberges war. Warum auch immer er plötzlich mit mir darüber redete…es schien sich noch so viel mehr hinter seinem Leben zu verbergen.

„Lebt sie noch?“, wollte ich einfach wissen. Das wäre meine letzte Frage, denn sogar ich sah ein, dass Shadow der Letzte war, der mit seiner Vergangenheit konfrontiert werden wollte.

Vielleicht war es unfair von mir, in seinen Wunden zu bohren, doch ich hatte auch den Anschein, dass seiner Erinnerungen einen entscheidenden Teil dazu beitrug, das Geheimnis um den Krieg zu lüften.

„Nein.“, antwortete er bloß.

Und dann schloss er die Tür.
 

Noch während ich auf dem Rückweg zu meinem Zimmer über die Unterhaltung mit Shadow nachdachte, merkte ich wie mein Gesicht wohl leicht anschwoll wegen dem Schlag. Hoffentlich ging das blaue Auge in einigen Tagen weg, wobei ich schon wesentlich schlimmeres erlebt hatte – Und mein Gesicht auch ohne blaues Auge demoliert gewesen wäre.

Als ich die Tür zu meinem Zimmer öffnete, erstarrte ich.

Gegenüber von meinem Bett am Ende des Raumes stand eine große hölzerne Pinnwand, an der lauter Karten hingen. Das war auch nichts Besonderes, denn sie hatte da schon immer gehangen.

Das schockierend war, dass Heriot diese Karten abgehängt hatte – Und nun sämtliche Befehle, Informationen und ähnliches hineinritzte.

Mit bloßer Hand.

„Wa - Was tust du da!?“, ächzte ich entsetzt und rannte zu ihm, ehe ich seine Hände von der Pinnwand wegriss.

Seine Fingernägel waren zum Teil abgebrochen und bluteten stark.

Mir wurde schlecht.

„Ich habe nichts zum Schreiben gefunden. Also habe ich…“, erklärte er und nach dem ersten Satz hörte ich nicht mehr richtig hin.

„Er hat das auf meinen Befehl hin getan!“, dachte ich bloß und bei dem Gedanken wurde mir kalt.

Natürlich gab es hier nichts zum Schreiben, denn nur die wenigsten bräuchten so etwas. Kaum einer konnte Schreiben.

Mit diesem Befehl hatte ich Heriot doch nur ablenken wollen…hätte ich gewusst, dass er dann so was tat…

„Wa – Warum hast du nicht die Bücher benutzt!? Buchstaben oder so rausgeschnitten“, stammelte ich nur. Das war zwar auch eine sehr mühselige Arbeit – Aber es war besser, als wenn er sie in sprödes Holz hineinritzte mit seinen Fingernägeln!

„Ihr lest immer in den Büchern. Ich wollte sie nicht beschädigen.“, antwortete er und schien mein Entsetzen nicht zu verstehen.

„Habe ich den Befehl missachtet?“

„Nein! Du hast…hör doch auf mit diesem Gehorsam! Ich wollte doch nicht…dass du dir so was antun musst!“, flüsterte ich mit einem Kloß im Hals.

Anscheinend hatte ich nicht nur ein Talent dafür, den wunden Punkt bei anderen zu treffen, sondern sie auch noch physisch zu quälen.

Kein Wunder, dass Nero es in meiner Nähe nicht ausgehalten hatte.

„Entschuldigung.“, erwiderte Heriot bloß, als ob er den Fehler gemacht hätte und nicht ich.

„Nein! M-Mir tut es leid! Immerhin habe ich dich dazu gebracht…e-es war nicht dein Fehler“, vorsichtig nahm ich seine rechte Hand und starrte sie an.

„Ich bringe dich sofort zu Raimi!“

„Zum Sanitäter?“

„Ja! Sie muss das sofort heilen!“

„Warum?“

„W-Weil du dich verletzt hast! D-Das muss doch schrecklich wehtun“, stotterte ich und Heriot bewegte kurz seine Hand.

„Aber ich bin ein Werkzeug. Werkzeuge fühlen keinen Schmerz“

„Du bist kein Werkzeug, verstanden!? Mir ist egal was dir diese gefühllosen Wissenschaftler eingetrichtert haben, aber du bist ein lebendiges, fühlendes Wesen, okay!?“, ich packte ihn am Arm „Und jetzt kommst du mit zu Raimi und lässt dich heilen, damit du keine Schmerzen mehr hast!“

Er blieb noch kurz stehen, ehe er sich von mir mitziehen ließ. Und ich hatte das Gefühl, dass meine Worte ihn nachdenklich gestimmt hatten…jedenfalls hoffte ich das.
 

„Au! Mein Gott, alleine der Anblick ist ja schon grausam!“, quiekte Raimi entsetzt, als ich ihr Heriots Hände zeigte. Sofort legte sie ihre auf seine und sie fingen leicht an zu glühen, als der Heilungsprozess begann.

„Wie hat er das denn geschafft?“, fragte sie mich, da sie wusste, wie passiv Heriot bei Gesprächen war, die er nicht mit mir führte.

„Er hat…ich habe ihm gesagt, dass er alle Befehle aufschreiben soll, die ich ihm erteilen kann…als er kein Papier zum Schreiben gefunden hat, hat er sie einfach in die hölzerne Pinnwand in meinem Zimmer geritzt.“

Ihr klappte förmlich der Mund auf.

„Was!? Das hat er getan!?“, je weiter die Heilung fortschritt, desto schwerer fiel es ihr, gleichzeitig mit mir zu sprechen, weswegen ich nicht antwortete, damit sie sich konzentrieren konnte.

Und weil ich auch keine Antwort darauf fand.

Während Heriots Hände wiederhergestellt wurden, zuckte er nicht einmal zusammen. Ich wusste wie schmerzhaft so eine Heilung war – Ich hatte oft genug welche bekommen.

Entweder empfand Heriot einfach keine Schmerzen, oder er war sie gewohnt.

Wobei mir das Letztere mehr Sorgen bereitete.

„So. Es dürfte sich noch eine Weile lang komisch anfühlen, aber immerhin sehen sie nicht mehr so aus, als wären seine Finger in die Brotschneidemaschine gekommen.“, seufzte Raimi nach einer ganzen Weile und er zog seine Hände zurück.

„Danke.“, sagte ich für ihn, da ich wusste, wie ungern er selbst sprach.

„Keine Ursache. Dafür ist ein Sanitäter ja da, oder?“, erwiderte sie bloß und lächelte, jedoch leicht beunruhigt.

Heriot bewegte seine Finger leicht und krümmte sie ab und zu, ehe er zu mir sah, mein Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen nahm und es hochhob, sodass ich ihn direkt ansehen musste.

„Ihr bekommt ein blaues Auge.“, stellte er trocken fest.

„Was? Ich seh‘ da nichts“, Raimi spähte zu mir hoch und schüttelte leicht den Kopf „Wo siehst du ein blaues Auge?“

„Es bildet sich noch. Es wird anschwellen.“

„Zeig mal!“, Raimi stellte sich auf einen Stuhl, sodass sie auf meiner Höhe war und nahm mein Gesicht in die Hände, während Heriot zurück trat.

„Hmm…tut das weh?“

„Au!“

„Aha. Okay, Punkt an deinen Bodyguard“, sie runzelte die Stirn und im nächsten Moment fingen ihre Hände leicht zu glühen an.

„Wo hast du dir das denn geholt?“

„Bin gegen die Tür gelaufen“

„Du weißt schon, dass das die billigste Ausrede von allen ist?“, entgegnete sie trocken, während ich merkte wie die Schmerzen in meinem Gesicht schwanden.

„Sei ehrlich! War das Nero?“

„Was!? Nein, natürlich nicht! Er würde mich nie schlagen“, ich merkte, wie ich in mein altes Verhaltensmuster zurückfiel und Nero automatisch in Schutz nahm.

Natürlich, physisch würde er mich nie im Leben verletzen. Psychisch war da eine andere Sache.

Doch wegen Raimis Frage machte ich mir auch Sorgen. Denn Heriot wirkte gar nicht von meinem Satz überzeugt und ich konnte mir gut vorstellen, dass Nero morgen mit Blutergüssen und Beulen zum Frühstück auftauchen würde.

Natürlich hätte er das auch irgendwie verdient, doch das wollte ich ihm dann doch nicht zumuten.

„Du hast Glück, dass dein Bodyguard so gut auf dich aufpasst. Sonst sähst du morgen nicht mehr so hübsch aus“, sagte Raimi, als sie fertig mit der Heilung war und stieg vom Stuhl. Ich hatte das Verlangen, sie hoch zu heben und dann ab zu setzen, doch dann fühlte sie sich immer wie ein kleines Kind – Und war meistens dann genauso beleidigt.

„Danke…“, murmelte ich nur etwas nervös und verließ dann fluchtartig die Krankenstation, bevor sie mir noch weitere Fragen stellen konnte.

Leider rechnete ich nicht mit Heriot, der wohl genauso wenig begeistert über mein blaues Auge war wie Raimi.

„Wer war das?“, fragte er bloß, als wir den Gang zu unserem Zimmer zurück liefen.

„Ist doch egal. Es war keine Absicht“, erwiderte ich ausweichend.

„Warum verteidigt Ihr den Täter?“

„Er war kein Täter! Es war…keine Absicht.“, ich atmete tief ein und aus „Manchmal…Manchmal tun die Menschen Dinge, die sie gar nicht wollten oder sagen Dinge, die nicht so gemeint waren…“

Ich stockte und merkte, dass mir wieder Tränen in den Augen standen und wischte sie hastig weg.

„So wie vorhin…i-ich wollte dich wirklich nicht dazu bringen, dir so was anzutun…w-warum hörst du auch auf mich…“

Er antwortete mir nicht, was ich auch nicht erwartet hatte.

Kapitel 14 - No one

Kapitel 14 – No one
 

„Marik und Ciel werden mich auf die nächste Reise begleiten“, Shadow zog die Holo – Karte wieder länglich, sodass heran gezoomt wurde und wir die nächste Stadt sehen konnten.

Die Häuser waren komplett zerstört und alles lag in Schutt und Asche. Es sah aus, als wäre direkt über die Stadt eine Bombe abgeworfen worden.

Ich schluckte nervös. Städte machten mir noch immer Angst.

Sehr große Angst sogar.

„Marik mag keine Städte!“, meldeten sich Raimi und Sichi gleichzeitig zu Wort „Es wäre besser, wenn jemand anderes geht!“

„N-Nein! Ich schaffe das schon“, sagte ich, bemüht selbstbewusst, doch ich merkte selbst wie jämmerlich unsicher das klang.

„Dann komme ich mit!“, erwiderte Sichi hartnäckig „Ich werde dafür sorgen, dass Marik nichts zustößt!“

„Ich bin…“, fing Heriot an, doch Shadow unterbrach ihn.

„Du kommst nicht mit. Ich will dich nicht in dieser Stadt haben.“

„Wa-Warum denn nicht?“, fragte ich verwirrt „Was ist mit der Stadt?“

Der Igel schwieg kurz, ehe er noch etwas näher an die Stadt heranzoomte und die zerstörten Straßen betrachtete.

„Das war die Stadt der Widerstandskämpfer.“

„Der…Widerstandskämpfer?“, wiederholten wir ehrfürchtig. Die Widerstandskämpfer waren so etwas wie die anonymen Helden – Die heimlichen Beschützer.

„Ja. Und ich will niemanden in dieser Stadt haben, der die Toten nur als Statistik ansieht“, erwiderte Shadow scharf und sah dabei zu Heriot und Nero.

Nero stand weiter hinten und sah bei seinen Worten kurz zur Seite.

„Sichi und Raimi haben Respekt vor den Toten!“, warf ich zögerlich ein „Sie könnten doch mitkommen…bitte…“

Mir behagte es gar nicht, in einer Stadt zu sein, die so viele schlimme Erinnerungen enthielt – Und dann auch noch mit Ciel.

„Wir werden nur hinein gehen und die Splitter holen, mehr nicht! Diese Exkursion wird harmlos sein, wir brauchen nicht so viele Leute…“, erklärte der Igel etwas gereizt.

„Wenn es nicht gefährlich ist und nicht schnell gehen muss, können doch mehr Leute mitkommen!“, Sichi blieb hartnäckig, was sich auch bezahlt machte, denn Shadow seufzte bloß.

„Meinetwegen, Sichi kommt mit. Der Rest bleibt hier und bewacht das Schiff.“

„Jawohl, Käpt’n“, hörte ich Nero leise murmeln und sah zu ihm. Als mein Blick seinen traf, drehte er bloß den Kopf zur Seite und sagte nichts mehr.
 

„Wir gehen in die Stadt der Helden!“, rief Sichi aufgeregt und schliff dabei seine Machete, auch wenn Shadow gesagt hatte, er würde sie gar nicht brauchen. Mit Waffen fühlte er sich einfach sicherer. Sie gaben ihm ein…Gefühl der Macht, könnte man sagen.

Nicht, dass Sichi machtversessen war, doch für ein Waisenkind, dass früher nicht einmal genug Mut hatte sich gegen die Älteren zu wehren, war das ein Gefühl der Sicherheit.

Apropos Waffen…In den letzten Tagen seit ich Shadow begegnet war…da rückte mein Messer und mein Wahnsinn immer mehr in den Hintergrund. Er hatte mich dazu gebracht einen Teil meiner Geschichte zu erzählen.

Vielleicht hatte das eine heilsame Wirkung auf mein Verhalten ausgeübt.

Wobei mir noch einfiel, dass ich mich dringend für mein Verhalten bei ihm entschuldigen musste…

„Wir sind da.“, hörte ich Shadow aus dem Cockpit des kleinen Shuttles und spürte danach ein kurzes Rütteln, ehe wir auf dem Boden landeten.

Ciel stieg zögerlich als Erste aus, dann Sichi, Shadow und zum Schluss ich.

Und als ich aufsah, hatte ich das Gefühl am ganzen Körper Gänsehaut zu bekommen.
 

Die Stadt sah noch viel schlimmer aus, als auf dem Holo. Einzelne Wracks, bis zur Unkenntlichkeit verrostet und zerstört, lagen willkürlich zerstreut auf dem aufgebrochenen Asphalt herum. Keine Pflanze schlängelte sich zwischen dem Bürgersteig hervor, nur Rauch, bei dem ich husten und die Augen zusammen kneifen musste.

Die Gebäude waren nicht nur zerstört, sondern förmlich weggefegt, alle von der Richtung des Zentrums ausgehend weggeneigt.

Wahrscheinlich war dort die Bombe eingeschlagen.

Die Widerstandskämpfer…ich wusste, dass sie nicht hier gelebt hatten. Sie waren von hier weggegangen, um ihre Familien zu schützen.

Und dann hatte Eggman die Stadt eiskalt angegriffen – Hatte die Kinder, Frauen und Alten getötet, die übrig geblieben waren.

Nur um zu gewinnen.

Ich fragte mich, was Eggman gesehen hatte, wenn er in seinen Spiegel gesehen hatte.

War er stolz auf sich gewesen? Auf seine Taten, seine Verbrechen, seine Morde?

Oder hatte er ebenfalls ein Monster gesehen, wenn er sich selbst angeblickt hatte, aber es war ihm gleichgültig gewesen?

Was auch immer ihn zu so einer Tat, zu so einem Monster hat werden lassen, es war keine Rechtfertigung für das, was er diesem Planeten angetan hatte.

„Da hat Eggman was angerichtet“, hörte ich Sichi murmeln und sah zu Ciel.

Sie war ganz blass im Gesicht und flüsterte irgendetwas von „Mein Gott“, während ihre Hände sich in ihr Oberteil krampften.

Shadow hingegen hob nicht mal den Blick. Vielleicht interessierte es ihn nicht, oder die Erinnerung war zu schmerzhaft, als das er die Trümmer hätte ansehen können.

„Wir müssen weiter.“, sagte er bloß und ging schnell vor.

Wir folgten ihn auf dem Fuße, ich jedoch eher langsamer. Denn je näher wir dem Zentrum der Stadt kamen und je mehr Straßen wir durchliefen, desto schwächer und schlechter fühlte ich mich. Ich hatte das Gefühl von allen Seiten, allen Gegenständen angestarrt und angeschrien zu werden.

Als ob die Einsamkeit an mir zerren würde, damit ich ein Teil von ihr werde.

Damit die Seelen hier nicht alleine wären.
 

„Hilf uns doch!“

„Hier sind wir!“

„Bringt euch in Sicherheit!“

„Nicht die Kinder!“

„MAMA!“
 

Der Schrei hallte in meinen Ohren nach, bis ich zitternd stehen blieb und hastig den Kopf schüttelte, um die Stimmen los zu werden.

Staub wirbelte über den Boden und ich hatte das Gefühl, es waren die Einzelteile der zerfallenen Skelette, die mich streiften.

„Hey, alles okay?“, fragte Sichi mich besorgt und ich sah zu ihm.

„Ich…e-es geht schon. M-Mir ist nur nicht so gut“, stotterte ich zögerlich „D-Du weißt ja…bei Städten drehe ich irgendwie durch…“

„Das liegt an der Luft. Ich muss schon dauernd husten wegen dem Rauch“, murrte er bloß.

„Wir teilen uns in Zweier - Gruppen auf.“, unterbrach Shadow unsere Unterhaltung und blickte zu mir „Ihr sucht oberhalb der Stadt nach den Splittern und Ciel und ich unterhalb der Stadt. Die Widerstandskämpfer hatten hier unterirdische Tunnelgänge. Vielleicht sind dort die Splitter“

„Alles klar“, murmelte ich bloß und hatte das Gefühl, Shadow hatte mich nicht nur mitgenommen, weil ich Respekt vor Toten hatte, sondern, um mir eine Lektion für mein Verhalten zu erteilen.

Eigentlich hatte ich es ja verdient.

„Gut. Dann trennen wir uns“, der Igel nickte leicht, ehe er mit Ciel in die Richtung eines Gebäudes ging, dass verdächtig nach einem ehemaligen Krankenhaus aussah.

„Und wo sollen wir mit der Suche anfangen?“, wollte Sichi etwas ratlos wissen „Die Stadt ist gigantisch!“

„Ähm…sehen wir am besten im Zentrum nach…da, wo die Bombe eingeschlagen ist. In Büchern sind die gesuchten Dinge meistens dort, wo man sie am wenigsten vermutet“, erwiderte ich langsam, auch wenn mir klar war, dass die Chancen 1 zu 1000000 standen, dass wir die Splitter einfach so finden würden.

„Sag mal, kannst du nicht einfach…wieder Stimmen hören, die uns zu den Splittern bringen…?“, fragte er scherzhaft und kickte mit dem Fuß einige Haufen Schutt aus dem Weg.

„Als ob ich das kontrollieren könnte“, murmelte ich bloß und er merkte, dass ich nicht in der Laune war Scherze, zu machen.

Ich stieg vorsichtig über einen aufgebrochenen Spalt und merkte, wie unter meinen Füßen etwas knirschte, als ich ihn wieder aufsetzte.
 

“Wäääähäääähääää!!“
 

Ein lautes und schrilles Schreien erklang in meinen Ohren. Der Schrei eines Kindes.

Erschrocken sprang ich zurück und gab selbst einen leisen Laut von mir. Als ich zu der Stelle sah, wo ich eben hingetreten war, lag dort ein zertrümmerter Skelettkopf.

Mir wurde kalt.

„Volltreffer!“, bemerkte Sichi trocken, doch seine Worte drangen nur hohl an mein Ohr.

Irgendein Teil in mir wollte jetzt nur noch wegrennen und hoffen, nie mehr in diese Stadt kommen zu müssen. Nacktes Grauen breitete sich in mir aus, als würden sich alle Emotionen des Toten auf mich übertragen und versuchen, mich zu verschlingen in einem Abgrund aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
 

„Sieh mich an!“

„Hast du mich damals nicht getötet?“


 

Entsetzt kniff ich die Augen fest zusammen. Wie früher, wenn ich gehofft hatte alles Böse verschwinden lassen zu können, wenn ich nur fest genug daran glaubte. Wenn ich nur nicht die Augen öffnen würde, bevor dieser Albtraum vorbei wäre.
 

„Los komm.“
 

Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich eine Hand vor mir.

Die Hand war klein und zierlich, wie eine…

Eine Kinderhand.
 

„Ich helfe dir.“
 

Ich blickte zu dem kleinen Mädchen hoch, das ca. 5 Jahre alt war. Ihre Augen waren strahlend blau, die Haare blond und sie trug ein weißes Blümchenkleid. Ihre nackten Füße waren dreckig von der Erde, auf der wir standen.

Moment mal…Erde?

Ich sah runter zu Boden, während wir aufstanden. Grünes Gras lugte zwischen meinen Zehen hervor und ein paar Ameisen krabbelten auf dem feuchten Laub umher.

„Bin ich…wo bin ich?“, fragte ich etwas schwach. Das Mädchen drehte sich bloß um und ging in die Richtung der Stadt, die plötzlich wieder belebt und heil war.

Verwirrt folgte ich ihr, wobei ich beinahe über meine eigenen Füße stolperte.

„W-Warte doch! Wo bin ich hier? Wo ist…“

Mir fiel auf, dass die Straße gar nicht mehr aufgebrochen war. Auch der Himmel war nicht mehr düster und rot, sondern strahlend blau und in der Ferne hörte ich Vögel zwitschern.

Ich wurde langsamer, als ich einem Spielplatz näher kam.

Eltern, egal ob Mobianer oder Menschen, standen neben dem Sandkasten, unterhielten sich und lachten, während kleinere Kinder fröhlich die Rutsche herunter rutschten oder schaukelten.

Es wirkte so friedlich.

Als ob es den Krieg nie gegeben hätte…

Auf der Straße liefen Menschen umher und redeten miteinander, saßen auf Terrassen und lachten zusammen oder in Cafés.

Warum…waren hier alle so fröhlich? Was war mit der Stadt passiert…?

Ich sah wie ein Vater seine Tochter hochhob und sie im Kreis drehte, wobei sie fröhlich lachte. Alle Geräusche drangen nur dumpf an mein Ohr, als wäre zwischen ihnen und mir eine dicke Glaswand.

Noch während das Mädchen so tat als wäre sie ein Schmetterling, verblasste das Bild vor meinen Augen wie eine Erinnerung. Die Eltern verschwanden, genau wie alle Menschen und Cafés. Der strahlend blaue Himmel färbte sich grau und es schien, als würde jede Farbe aus der Welt gezogen werden.

Als ich auf das Gesicht des Mannes sah, der gerade seine Tochter herumwirbelte, entdeckte ich Tränen, ehe auch er verschwand und sie am Boden stand, als wäre nie etwas gewesen.

Nur die Kinder blieben übrig und spielten weiter, als wäre nichts gewesen. So fröhlich dieser Spielplatz wirkte, so bedrückend war auf einmal die Atmosphäre.

Es war…wie eine ferne Erinnerung. Immer wieder flackerten Bilder vor meinen Augen, als wären sie da und doch nicht real.

Ich streckte die Hand aus um ein Kind zu berühren, doch ihr Körper glitt durch meine Hand, als wäre ich Luft.

Was passierte hier? War das wieder eine meiner Einbildungen?

Die Stimmen der Kinder drangen nur stumpf an mein Ohr, während ein kleines Mobianermädchen ihr Plastik Schwert hochhob und irgendetwas sagte. Ich kniff die Augen zusammen um die verschwommene Gestalt irgendwie zu erkennen.

Die Gestalt eines Igelmädchens.

Shadows Tochter.
 

Sie hob ihr Plastikschwert und schien irgendetwas zu rufen, woraufhin die Kinder fröhlich zustimmten und den Spielplatz gemeinsam verließen.

Als die Kinderhorde an mir vorbei lief, merkte ich wie der Spielplatz in sich zusammen fiel, bis nur noch Staub übrig war. Einzig ein kleines Schaukelpferd aus Metall wippte einsam hin und her.

Ich drehte mich um und sah zu den Kindern. Dort, wo sie hinrannten, wurde der Stadt wieder Leben eingehaucht und sie sah aus wie früher. Gras wuchs und verbrannte ebenso schnell, als die kleinen Füßchen den Boden berührten und ich folgte ihnen eilig.

„Hey! Wartet doch!“, rief ich ihnen hinterher, doch ich wusste, dass sie mich nicht hören würden „Wartet! Was tut ihr hier?“

Die Anführerin der Bande, Shadows Tochter, kletterte eine alte Eiche hoch, die bis eben noch gar nicht existiert hatte. Die Kinder folgten ihr sofort und bald schon waren alle in der Baumkrone verschwunden.

„Wir verstecken uns hier und erschrecken dann unsere Eltern, wenn sie zurückkommen!“, rief sie und plötzlich waren ihre Stimmen klar und deutlich. Ich blieb am Fuß der Eiche stehen.

Ihre Eltern…

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.

Ihre Eltern würden nie wieder kommen.

Aus irgendeinem Grund konnten die Kinder diesen Ort nicht verlassen.

Das hier war keine Einbildung, kein Hirngespinst und keine Wahnvorstellung, es war eine Erinnerung der Toten.

Die bittere Realität.

Und hier war nicht ICH der Geist, sondern sie.
 

„Wir warten bis sie wieder kommen“
 

Plötzlich stand das kleine Mädchen, das mir aufgeholfen hatte, wieder neben mir. Sie hielt mich am Arm fest und ihre Hand war so kalt wie Eis.

„Sie werden kommen.“

„Aber…eure Eltern werden nicht mehr wieder kommen…!“, sagte ich langsam und vorsichtig. Ich wusste nicht, wie sie darauf reagieren würden.

Wie lange saßen ihre Seelen schon hier fest? Saßen hier fest und warteten auf ihre Eltern, die schon vor so vielen Jahren gestorben waren. Die Bombe hatte alle unerwartet getroffen, doch die Kinder hatten am Meisten daran leiden müssen.

Immerhin hatten sie nicht einmal gewusst, dass sie sich im Krieg befanden und ihre Väter für den Widerstand arbeiteten.

„Ich weiß“ , erwiderte sie und ihre Stimme klang wie ein Windhauch, während sie zu ihren Freunden sah.

„Aber sie wissen es nicht.“

Ich sah zu der Baumkrone hoch. Mittlerweile waren alle Geräusche verstummt, kein Ast und kein Blatt rührte sich. Als würden die Kinder, die eben noch dort oben gewesen wären, gar nicht mehr existieren.

Wenn man für sie alle ein Grab errichten würde, wären es Massengräber.

Namenlose Massengräber, errichtet um den tausenden Opfern zu gedenken, die einsam gestorben waren und deren Seelen noch immer keine Ruhe fanden.

Mir wurde klar wie zerbrechlich der menschliche Körper doch war. Von heute auf morgen konnte alles vorbei sein.

Ob die Eltern es gewusst hatten?

Vielleicht hatte es keine Möglichkeit zur Flucht mehr gegeben. Deswegen waren sie hier geblieben und hatten ihren Kindern den schönsten Tag bereitet, den sie je hatten.

Ich konnte verstehen, warum sie es geheim hielten. Es war besser, wenn die Kinder es nicht wussten.

Für Kinder gab es keinen Tod. Für sie hieß es immer nur, dass bestimmte Personen weg waren.

Vielleicht hatten die Leute gedacht, dass sie immerhin mit ihrer Familie zusammen sterben konnten, doch anscheinend hatten sie nicht damit gerechnet, dass ihre Kinder nicht mit kommen könnten.

„Das ist schrecklich“, flüsterte ich bestürzt und hatte das Gefühl an der Trauer zu ersticken.

Wie süßer Rosenduft lag sie über der gesamten Stadt, bleischwer und intensiv.

Ich hätte den Kindern so gerne geholfen.

„Was ist hier passiert?“, fragte ich das Mädchen neben mir und im nächsten Moment verblasste die Erinnerung wieder.
 

Diesmal stand ich vor keinem Spielplatz. Sondern vor einer Bank an einem Aussichtspunkt, auf dem zwei Personen saßen.

Die eine Person war eine junge Mutter, grade mal 23 Jahre alt mit ihrer 5 – jährigen Tochter.

Schwarze Fledermausflügel ragten aus dem Rücken der Mutter, während ihr Kind Stacheln hatte.

Waren das…Rouge und die geheimnisvolle Tochter?

„Wann kommt denn Papa zurück?“ , fragte das kleine Mädchen und ließ ihre Beine schaukeln.

„Wir sehen Papa bald wieder. Versprochen.“ , antwortete Rouge, aber ihr Tonfall hatte etwas schmerzliches. Ich wäre so gerne zu ihnen gegangen, doch meine Beine gehorchten mir nicht und so konnte ich nur von hinten zusehen, was passierte.

Im nächsten Moment erschien ein grelles Licht am Himmel.

„Mama, sieh mal! Eine Sternschnuppe!“ , rief die Kleine begeistert „Jetzt kann ich mir was wünschen, richtig?“

„Ja, richtig…du kannst dir alles wünschen, was du willst…“ , Rouge schloss die Kleine in ihre Arme. Obwohl sie mir jetzt das Gesicht zuwandte, konnte ich statt Gesichtszügen nur verschwommene Schatten erkennen.

Das Licht wurde immer greller, bis ich mir die Augen abschirmen musste.

Was war das nur?

Dieses Licht…das konnte doch unmöglich eine Sternschnuppe sein…oder war das etwa…?

„Mama, warum weinst du denn?“ , hörte ich noch die Stimme des Mädchens, ehe ein ohrenbetäubender Krach ertönte und im nächsten Moment schwarze Rauchwolken auf mich zukamen.

Rouge und ihre Tochter…ihre Haut löste sich wie Papier auf und verbrannte auch ebenso schnell.

Was übrig blieb, war Staub.

Ich kniff die Augen zusammen und als ich sie wieder öffnete, sah ich vor mir nur noch einen großen, rauchenden Krater.

„DAS IST EURE STRAFE! NIEMAND LEGT SICH MIT DEM EGG-IMPERIUM AN!!!“, tönte es von hoch oben und ich entdeckte ein winziges, weit entferntes Luftschiff.

Eggman…

Das war also seine Bombe gewesen.

Ein Laserstrahl…stark genug um eine ganze Stadt auszulöschen. Hatte er es so geschafft, Sonic zu besiegen?

Doch die Erinnerung war noch nicht vorbei.

„Eggman befiehlt nach Überlebenden zu suchen. Seht im Untergrund nach! Jeder Überlebende soll gefangen genommen werden.“ , hörte ich eine mir irgendwie bekannte Stimme. Vor meinen Augen tauchten zahlreiche Gestalten auf, alle trugen Gasmasken und waren schwer bewaffnet. Ihr Anführer stand mit dem Rücken zu mir gewandt, ich erkannte nur die schwarze Kleidung und die flammend roten Haare.

Ich wusste nicht warum, aber sie kam mir so bekannt vor…

„Und was ist mit Überlebenden, die nicht zum Untergrund gehören?“ , fragte einer der Gesichtslosen Soldaten.

„Töten.“ , entgegnete ihr Kommandant kalt und wandte sich zum Gehen, wobei er sich zu mir umdrehte.

Auf der Stirn des Kommandanten sah ich das eingravierte Zeichen von Eggman.

Und seine schwarzen Augen starrten mich an, als könnte er mich sehen.

Kurze Zeit bekam ich Angst, er würde mich tatsächlich sehen, doch dann ging er bloß durch mich hindurch und die Soldaten folgten ihm.

Irgendwie…kam er mir so bekannt vor.

Auch wenn ich sein Gesicht noch nie gesehen hatte. Seine Stimme, seine Gesichtszüge…all das kam mir so bekannt vor.

Nur woher?

Wieder verblasste meine Umgebung und vor mir sah ich wieder die große Eiche, auf die die Kinder vorhin geklettert waren.

„Ich weiß, dass du uns helfen willst.“ , ihre Lippen bewegten sich nicht, doch ich hörte ihre Stimme klar und deutlich in meinem Kopf. Wie ein Windspiel…

„Warum sagst du es den anderen Kindern nicht? Du kannst es doch versuchen!“, wollte ich wissen.

„Ich kann ihr Schicksal nicht beeinflussen. Was mit den Seelen nach dem Tod geschieht, weiß nur Gott.“ , entgegnete sie leise und trauriger. Ob die Kinder gute Freunde von ihr waren?

„Und warum gehst du nicht? Du weißt doch, dass deine Eltern nicht mehr…zurückkommen.“

„Ich gehe nicht ohne sie. Wo auch immer wir später einmal sein werden…ich will dort nicht ohne meine Freunde sein.“

Ich spürte ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust. Sie opferte den Rest ihres „Lebens“ für ihre Freunde und spielte das Theater mit, obwohl sie vielleicht schon längst an einem besseren Ort hätte sein können.

„Glaubst du, dass es Gott gibt?“ , fragte sie mich plötzlich und sah hoch in den leeren Himmel „Ich frage ihn immer, aber er antwortet nie.“

„Gott?“, wiederholte ich langsam und seufzte „Ich weiß es nicht. Ich glaube…das weiß man erst, wenn man bei ihm ist oder eben nicht.“

„Dann freue ich mich auf den Tag, an dem wir hier weg können.“ , entgegnete sie und lächelte, ehe sie meine Hand nahm „Wenn ich tot bin, kann Gott auch meine Frage nicht mehr ignorieren…“

Ich spürte eine seltsame Wärme in meinen Händen, ehe das Mädchen sie losließ und ihm nächsten Moment meine komplette Umgebung verschwamm.
 

Keuchend fuhr ich hoch.

Wo…war ich?

Ich blinzelte und starrte angestrengt auf die Trümmer der Häuser, bis mir klar wurde, dass ich mich nun wieder in der Realität befand.

In der Realität…

Ich sah in meine Handfläche, wo die beiden Splitter wie Diamanten funkelten. Hastig steckte ich sie in meine Hosentasche, ehe ich mich suchend umsah.

„SICHI!“, rief ich, als mir einfiel, dass ich ihn ja ganz vergessen hatte. Eigentlich rechnete ich damit, dass er gleich aus irgendeiner Ecke springen und mich erschrecken würde, doch es blieb still.

„SICHI!“, brüllte ich wieder und stand schnell auf „DAS IST NICHT LUSTIG!“

Meine Stimme hallte in der zerstörten Stadt nach. Mit ungutem Gefühl stieg ich über diverse Autowracks und Spalten im Asphalt, wobei ich mich umsah.

Hatte er seine Reise alleine fortgesetzt, weil ich ohnmächtig geworden war?

Er würde mich doch niemals alleine lassen. Das wusste ich genau.

„S-Sichi…“, ich entdeckte ihn, als ich etwas weiter aus der Stadt heraus gegangen war, unbewusst zu dem Aussichtspunkt, wo Jahre zuvor noch Rouge und ihre Tochter gesessen hatten.

Die Bank war aus irgendeinem Grund noch da, wahrscheinlich weil sie aus massivem Stein bestand. Sichi saß mit dem Rücken zu mir gewandt, angelehnt an die Rückenlehne.

„Sichi, jag mir nie wieder so einen Schrecken ein…“, seufzte ich und trat vor ihn.

Er schien zu schlafen. Seine Augen waren geschlossen und er wirkte so friedlich.

In solchen Momenten sah man ihm gar nicht an, dass er ein Waffenfreak war.

„Du dämliche Schlafmütze…lässt mich allein, um ein Nickerchen zu machen“, murrte ich gespielt beleidigt, auch wenn ich nicht wirklich böse war. Er hatte seinen Ledermantel wie eine Decke über sich gelegt, auch wenn es gar nicht kalt war. Das wunderte mich aber nicht sonderlich, denn Sichi war jemand, dem es immer zu kalt war.

Statt ihn mit einer Ohrfeige aufzuwecken, packte ich ihn an der Schulter und rüttelte ihn leicht.

Keine Reaktion.

Als er noch immer nicht aufwachte, schüttelte ich ihn etwas fester.

Sein Körper fiel zur Seite und blieb bewegungslos liegen.

Mir wurde kalt.

„S-SICHI!“, ich schüttelte ihn wieder und versuchte ihn wach zu kriegen.

„W-Wach auf! W-Wir…wir gehen wieder zum Luftschiff, okay? R-Raimi kriegt das wieder hin…b-bitte steh auf…“, flüsterte ich mit erstickter Stimme und merkte, dass er sich kalt anfühlte „Das ist nicht witzig!“

Ich versuchte ihn hoch zu heben, doch er war zu schwer weswegen ich ihn wieder auf die Bank legte. Als ich auf meine Hände sah, waren sie blutverschmiert.

„S-Sichi…“

Kapitel 15 - Lost

Kapitel 15 – Lost
 

„Mir egal was die anderen sagen, die haben eh nur Sche*ße im Kopf. Dann bist du eben vernarbt, was interessiert’s mich. Meine Freundin bist’e trotzdem, da ist das äußere doch egal.“
 

„Herrin, Ihr solltet wirklich aufstehen. Ihr habt seit Tagen nichts gegessen.“, hörte ich schwach Heriots Stimme und hob leicht den Kopf von meinem Kissen.

„Ich…hab keinen…Hunger…“

„Menschen müssen jeden Tag Nahrung zu sich nehmen. Ihr habt das letzte Mal vor zwei Tagen etwas gegessen, Ihr solltet wirklich…“

„Ich will aber nichts essen!“, fauchte ich und vergrub mein Gesicht wieder in dem nassen Kissen.

„Ich will…einfach meine…Ruhe…“

Heriot blieb noch neben meinem Bett stehen, ehe ich hörte wie er das Zimmer verließ und die Tür leise hinter sich schloss.

Ich wollte nichts Essen. Ich wollte auch nicht mit den anderen reden, ich wollte einfach Sichi wieder zurück haben.

Er war vor Vier Tagen gestorben, doch es kam mir vor wie Jahre. Die Tage zogen sich zäh wie Kaugummi und ich vermisste seine direkte, ironische Art. Ich vermisste es, wie er andere direkt auf ihre wunden Punkte ansprach ohne sich zu zieren und seine unsensible Art. Früher hatte sie mich genervt, doch jetzt merkte ich wie sehr sie mir fehlte.

Man wird sich erst darüber bewusst wie sehr man etwas liebt, wenn es nicht mehr da ist.

Sichi war mein bester Freund gewesen und die Vorstellung, dass er gestorben war, weil ich nicht da gewesen war für ihn, machte das Ganze noch schlimmer. Immer wieder fragte ich mich, was passiert wäre, wenn ich wach gewesen wäre. Wenn ich mal für ihn da gewesen wäre und nicht immer nur verlangt hätte, dass er für mich da war.

Natürlich sagten die anderen, dass ich nichts dafür konnte. Sogar Shadow hatte zugestimmt.

Nur Raimi hatte geschwiegen.

Ich konnte mir vorstellen, wie wütend sie war. So oft Sichi sie aufgezogen hatte, er war oftmals für sie wie ein kleiner Bruder gewesen. Sie hatte sich für ihn verantwortlich gefühlt und war bestimmt schrecklich enttäuscht von mir, dass ich es nicht geschafft hatte, ihn am Leben zu erhalten.

Wir wollten doch zusammen die Welt retten.

Mir wurde klar, wie sehr ich diese Mission unterschätzt hatte. Natürlich würde es Tote geben– Doch ich hatte gehofft, dass ich als Erste sterben würde, um mir den Tod meiner Freunde nicht mitansehen zu müssen. Oder das wenigstens wir Drei überlebten.

Oder alle zusammen starben

Hauptsache, ich müsste nicht noch einen Tod ertragen.

„Hey, Marik“, hörte ich Neros Stimme zögerlich, gedämpft durch die Tür „Kann ich…rein?“

„Nein“, erwiderte ich und schniefte, doch trotzdem öffnete sich die Schleuse von meinem Zimmer und es ertönten Schritte, bis Nero vor meinem Bett stehen blieb.

„Ich sagte Nein.“

„Ach echt? Hab‘ ich nicht gehört“, entgegnete er bloß und setzte sich neben mich.

Ich ließ mein Gesicht in den Kissen vergraben und fragte mich, wie lange es dauern würde, bis sich ersticken würde.

Im nächsten Moment spürte ich, wie er eine Haarsträhne von mir in die Hand nahm und damit an meinem Hals entlang fuhr.

„Lass das!“, murrte ich bloß.

Die Haarsträhne wanderte weiter zu meiner Stirn.

„Lass das!“, fauchte ich jetzt. Ich merkte, wie das Schreien den Kloß in meinem Hals langsam löste und schniefte wieder.

„Willst du reden?“, fragte Nero ruhig und ließ meine Haare los. Sie waren mittlerweile wieder gewachsen und reichten mir bis zu den Schultern.

„Nein.“, trotzdem setzte ich mich etwas auf und rieb mir über die verquollenen Augen.

Er musterte mich kurz, ehe er bemerkte:

„Du musst dich nie wieder für Halloween schminken.“

Das was er sagte, war grausam und absolut geschmackslos.

Doch trotzdem merkte ich, wie ich gleichzeitig weinen und lachen musste.

Jetzt fiel mir wieder ein, warum ich Sichi so sehr ins Herz geschlossen hatte: Er erinnerte mich stark an Nero. So stark, dass ich nicht wusste, ob ich Sichi wirklich je als Freund angesehen hatte, oder ob er für mich nur ein Ersatz für Nero gewesen war.

„Das mit Sichi tut mir wirklich leid. Standet ihr euch sehr nahe?“, er sah aus dem Fenster meines Zimmer.

„Er war…wie ein Bruder für mich. Mehr nicht“, antwortete ich, weil ich genau wusste was Nero mit dieser Frage meinte.

„Es gab eine Phase, wo er in mich verknallt war. Aber er hat sich jede zweite Woche in ein anderes Mädchen verliebt…ich weiß noch, wie sehr es mich genervt hat, weil er gleich von ihr geschwärmt hätte als wäre sie eine Göttin. Und wenn es doch nicht geklappt hat, hat er sich total aufgeregt über sie“, erzählte ich und schluckte schwer „Raimi hat ihm dann i-immer m-mit ihrem S-Stab e-eins ü-ü-überge-gezogen…“

Als mir wieder die Tränen kamen, spürte ich, wie er mir einen Arm um die Schulter legte.

„Es tut mir wirklich leid“, wiederholte er und es klang ehrlich „Ich habe keine Ahnung von dem, was du durchmachst, aber ich sehe wie sehr du leidest und ihn vermisst. Ich kannte ihn nicht gut genug, um so was zu sagen wie >Er hätte nicht gewollt, dass du weinst< und weiß, dass du diesen ganzen anderen Mitleidsquatsch nicht ausstehen kannst. Aber ich weiß, wie sauer du auf dich selbst bist und dass du dir die Schuld an allem gibst, was aber nicht stimmt. Er wusste auf was er sich einließ und ist selber schuld.“

„Selber schuld!?“, ich riss mich von ihm los und funkelte Nero wütend an „Sichi hat keine Schuld! Er ist mit gekommen um mich zu beschützen und ich habe dafür gesorgt, dass er deswegen gestorben ist! Ich hätte aufpassen müssen, dass ihm nichts passiert, doch stattdessen bin ich wieder einmal ohnmächtig geworden! Wenn ich gar nicht mitgekommen wäre, wäre das Ganze nicht passiert und Sichi wäre sicher noch am Leben! Du hast kein Recht ihm die Schuld an seinem Tod zu geben, du warst doch nicht mal dabei! Du warst nie da, wenn ich dich brauchte!“

Gegen Ende wurde ich immer lauter und auch wütender. Als ich fertig mit Brüllen war, merkte ich, dass er Kloß in meinem Hals verschwunden war.

Nero sah mich ruhig an und mir wurde klar, dass er mich mit Absicht provoziert hatte, damit ich sauer wurde.

„Geht’s dir besser?“

„Du bist…so ein…Idiot…“, ich ballte meine Hände zu Fäusten, doch statt ihn zu schlagen, umarmte ich ihn fest und drückte mich an ihn, während ich weinte.

Er seufzte nur und strich mir mit der Hand über die Haare, was in mir das Gefühl auslöste, wieder klein zu sein.

Wie damals wenn ich traurig war, hatte er mich immer dazu gebracht ihn anzubrüllen, weil er genau wusste, dass ich so besser mit meiner Trauer klar kam.

All die Wut, die ich dann auf mich hatte, konnte ich an ihm auslassen. Ich wusste nicht, warum Nero dafür sorgte, dass er mein Kratzbaum war, aber ich war ihm so unendlich dankbar dafür. In den letzten Jahren hatte ich das Gefühl gehabt, mein Zorn und meine Angst würden sich in mich hineinfressen.

Vielleicht hatte ich deswegen beim Töten diese Befriedigung verspürt, denn eine andere Erklärung fiel mir nicht ein. Vielleicht war Nero deswegen auch früher so gewesen, denn er hatte niemanden, an dem er seinen Zorn auslassen konnte.

Und an mir würde er ihn nie auslassen.

„W-Wie geht es R-Raimi?“, fragte ich schniefend und er seufzte.

„Sie versucht stark zu sein. Ich höre sie trotzdem jede Nacht weinen, weil ihr Zimmer direkt neben meinem liegt.“

„Sie ist…bestimmt sehr…w-wütend auf mich…“

„Nein. Sie ist sauer auf sich selbst, da ist sie wie du. Aber ihr werdet das überleben, besonders du. Du hast schon schlimmeres durchgestanden.“

„Ja. Aber genau deswegen ist es ja so schlimm.“, meine Hände krallten sich in Neros Oberteil, aber er zuckte nicht mal zusammen.

Er war der Einzige, der über meine Vergangenheit Bescheid wusste.

„Das stimmt wohl. Aber wie sagt man…was dich nicht umbringt, härtet dich ab.“, erwiderte er und ich wollte mich schon wieder losreißen um ihn anzufauchen, dass das nicht wahr wäre, doch er hielt mich fest, sodass ich mich nicht rühren konnte.

„Ich wünschte, dass wäre wahr.“, sagte ich bloß, als ich mich wieder beruhigt hatte und mir keine Niagara-Fälle mehr über die Wangen flossen „Aber bei mir bewirkt es das genaue Gegenteil.“

„Das ist nicht richtig und du weißt das selbst.“, Nero schob mich etwas von sich, damit er mein Gesicht betrachten konnte. Bestimmt sah ich grauenhaft aus, doch er ließ sich nichts anmerken.

„Ich habe nicht halb so viel durchgemacht wie du und hab schon aufgegeben. Du hingegen lebst immer noch, trotz alledem. Das ist genug Beweis für deine innere Stärke.“, er strich mir mit dem Daumen über die Wange und ich sah die vielen Narben an seinem Handgelenk.

„Du bist eben nicht verbittert. Egal wie viel Leid du gesehen hast, du empfindest immer noch Mitgefühl für diese Welt. Das ist deine Stärke, du lässt Empfindungen zu.“

Neros Gesicht war ungewohnt ernst. Er war in den letzten Jahren viel erwachsener geworden, auch wenn er sich äußerlich kaum verändert hatte.

Als meine Haut anfing sich unter seiner Berührung zu erhitzen, zog ich hastig seine Hand weg.

„Du klingst wie diese kitschigen Liebesbücher, die du so sehr hasst.“, sagte ich, um die Situation etwas zu entschärfen. Er grinste wieder wie früher und verschränkte die Arme.

„Ach komm, so was muss auch mal sein. Wann hat man schon die Chance solche Sätze zu zitieren?“

Ich lächelte schwach, auch wenn ich es irgendwie bereute, die Atmosphäre zerstört zu haben.

Doch ich hatte auch das Gefühl, dass hinter Neros Grinsen irgendwas…irgendwas steckte, dass ich lieber nicht sehen wollte. Früher hatte ich immer geglaubt, dass er schizophren sei, denn von einen auf den anderen Moment konnte Nero unbesorgt, ernst, melancholisch oder auch grausam sein.

Heute dachte ich, dass er einfach ein guter Schauspieler war.

„Es gibt Frühstück…oder auch Abendessen…ich weiß immer noch nicht, warum ihr nachts wach seid und morgens schlaft…oder manchmal auch andersrum…aber es gibt Essen. Kommst du auch, oder willst du erst mal warten, bis dein Gesicht wieder seine normale Größe hat?“, fragte er mit schiefem Grinsen.

Als ich es sah, musste ich sofort wieder an die alten Zeiten denken, in denen ich mit ihm so glücklich gewesen war. Bis…

„Ja. Ich komme gleich.“, antwortete ich nur und führte meinen Gedanken nicht zu ende. Auch wenn ich mich selbst belog.

Aber es wäre zu schön, glauben zu können, dass Nero und ich nur gute Zeiten hatten.

„Gut. Bis später.“, er stand auf und wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch mal zögerlich um.

„Hey, ähm…dein Ninja…“

„Heriot?“

„Genau der. Warum hat er mich hergeholt, wenn du mich gar nicht sehen wolltest?“
 

Nach einer ausgiebigen Dusche (ich glaube, ich stand fast eine halbe Stunde lang unter kaltem Wasser) fühlte ich mich stark genug, um mein Zimmer zu verlassen. Mein Gesicht war wieder auf seine „normale“ Größe zurück geschrumpft und ich zog mir meine roten Klamotten an. Mittlerweile waren sie mir richtig ans Herz gewachsen, weswegen ich sie nie zu Missionen anzog, sondern nur im Schiff und wenn ich in die Stadt ging.

Zögerlich trat ich aus meiner Kabine – Und wie erwartet stand Heriot neben der Tür und schien zu warten.

Ich fragte mich, wieso er ausgerechnet Nero zu mir geschickt hatte und warum. Kannte er mich schon gut genug um zu wissen, wann ich von wem Trost brauchte?

In diesen zwei Tagen hatte ich, um mich abzulenken, die eingeritzten Regeln von Heriot an der Pinnwand gelesen. Darin stand zwar, er müsse absolut alles für seinen jeweiligen Herren tun, doch über seelisches Wohl stand dort nichts.

Mich wunderten die Regeln sowieso. Absoluter Gehorsam, kein Widerspruch, keine Erlaubnis nach Informationen zu fragen…als würde man ihn wie einen Roboter behandeln.

Oder wie ein perfekter Soldat, in den Augen eines korrupten Kommandanten.

Befehle empfangen, ausführen und keine Frage stellen.

Ich fragte mich, was er im Krieg für eine Rolle gespielt hatte.

„Hast du Nero zu mir geschickt?“, wollte ich von Heriot wissen, als wie zusammen Richtung Küche liefen.

„Ja.“

„Aber ich habe dir das doch gar nicht befohlen!“

„Verzeiht, wenn das gegen Euren Wunsch war.“, erwiderte er, aber ich hatte das Gefühl es würde ihm überhaupt nicht leid tun.

„Ich dachte du kannst nur auf Befehl irgendwas machen.“

„Während Ihr etwas…geschwächt wart, habe ich mich über die menschliche Psyche, dem sozialen Verhalten und dem Umgang miteinander erkundigt.“, antwortete er „Es war doch Euer Wunsch, dass ich mich…menschlicher verhalte.“

„Du hast mich…studiert?“, ich hob eine Augenbraue.

„Nein, nicht euch. Ich habe Eure Freunde ausgefragt. Ciel reagierte sehr…schreckhaft.“

„Wie jetzt?“

„Als ich mich ihr näherte, flüchtete sie zwei Decks nach unten.“

Bei der Vorstellung musste ich doch lachen. Mir wurde klar, wie albern ich mich verhalten hatte mit meiner Angst gegenüber Ciel. Klar, sie konnte unheimliche Illusionen erschaffen…aber mehr auch nicht. Das mit dem Schafmittel war wahrscheinlich wirklich nur ein Versehen gewesen, denn sonst benahm sie sich viel zu fröhlich und schüchtern, um auch nur einer Fliege etwas anzutun.

Aber das sie Angst vor Heriot hatte, konnte ich nachvollziehen. Immerhin war er doppelt so groß wie sie und wenn er nicht gerade nach unten sah, überrannte er sie oft – Genau wie mit Pandorra und Raimi.

Nur Shadow schien er immer zu bemerken.

Ob sie sich wohl immer noch hassten?

„Also willst du jetzt eine eigene Persönlichkeit entwickeln?“, fragte ich Heriot und er nickte zögerlich.

„Wenn es Euer Wunsch ist…“

„Okay, wenn du selbstständig sein willst…hör auf mich ständig um Erlaubnis zu fragen! Ich bin nicht deine Herrin…und es wäre nett, wenn du mich nicht mehr so nennen würdest. Das wäre echt ein großer Schritt für deine Entwicklung…“

„Aber es ist…so ungewohnt.“

„Warum denn?“

„Es ist wie…“, er schien nach einem passenden Vergleich zu suchen „Es ist wie in der Familie: Für Euch wäre es seltsam, Eure eigene Mutter mit dem Vornahmen anzusprechen, statt sie >Mutter< oder >Mama< zu nennen. Und für mich ist es eben seltsam, meine Vorgesetzten ohne Titel anzureden. Normalerweise sage ich >Kommandant<, aber Ihr seid keiner. Es wundert mich auch, dass ein…ein normaler Bürger mich befreit.“

Ich schüttelte leicht den Kopf „Dann warst du noch nie unter normalen Leuten?“

„Ich war im Krieg. Ich wurde entwickelt für den Krieg und auch nur dann eingesetzt, wenn Krieg herrschte. Meine Kommandanten waren eindeutig in ihren Befehlen und wenn sie ausgeführt waren, wurde ich zurück gesperrt in meinen Tank.“

„Das ist grausam. Dann musstest du also dein Leben lang kämpfen!?“, so etwas konnte ich mir nicht vorstellen. Geboren für den Krieg…ohne Bezugspersonen.

Ob Heriot wohl jemals so etwas wie Einsamkeit empfunden hatte?

„Nein. Es war nicht grausam.“, entgegnete er bloß und blickte stur nach vorne „Ich war als Kriegswerkzeug gedacht und wurde als solches benutzt. Ich wurde gebraucht.

Doch jetzt…jetzt habe ich als Werkzeug keinen Sinn mehr. Mit dem Krieg endete auch meine Daseinsberechtigung.“

Es war der erste, wirklich tiefgründige und aussagekräftige Satz, den ich von Heriot hörte. Es verriet eine ganze Menge über sein Inneres und seine Denkweise, so schräg und verrückt sie auch war.

Er sah sich selbst als eine Waffe an, die nun nicht mehr gebraucht wird. Ich konnte das nicht verstehen, aber ich glaube, dass er das auch nicht von mir erwartete.

„Wir hinken mit dem Zeitplan hinterher. Vier Tage haben wir eine Pause gemacht, doch jetzt müssen wir wieder los ziehen.“, hörte ich gerade Shadow sagen.

„Marik hat es schwer getroffen. Wir sollten sie von der nächsten Mission lieber fernhalten, sonst…“, fing Raimi an, aber als sie mich entdeckte, schwieg sie nur.

Zögerlich setzte ich mich an den Küchentisch und merkte, wie mich alle anstarrten.

Sofort bereute ich es, mein Zimmer verlassen zu haben.

„Geht’s dir besser?“, wollte Pandorra mit besorgtem Tonfall wissen. Ich nickte nur leicht, aus Angst, meine Stimme könnte brechen, wenn ich etwas sagen würde.

„Hier, ich habe was zu essen gemacht. Du hast bestimmt tierischen Hunger.“, Ciel zog einen Teller aus dem Küchenschrank und schob aus der Pfanne etwas drauf, dass aussah wie Pappmasche, dass man zu Eiern geformt hatte. Doch das lag nicht an ihren Kochkünsten, sondern einfach daran, dass es künstliches Essen war.

Nero saß mir gegenüber am Tisch und seine Augen ruhten die ganze Zeit über auf mir, während er seinen Apfel aß.

„D-Danke…“, murmelte ich, als sie mir den Teller hinstellte. Es war rührend, wie sie versuchten das Thema wegen Sichi zu umgehen, doch ich wusste auch, dass das nicht lange halten würde.

„Woran ist er gestorben?“, fragte ich deswegen nur leise und hielt dabei mein Besteck fest umklammert. Ich sah Raimi nicht an, denn sie war diejenige gewesen, die ihn auf die Verletzungen untersucht hatte.

„Stichwunde am Bauch und…als hätte jemand das Messer hochgezogen.“, sie schluckte schwer, was man auch deutlich hören konnte „Wer…würde so etwas…nur tun…? Es war doch niemand in dieser Stadt…und ein Tier könnte ihn nicht erstechen…“

„Irgendjemand will uns daran hindern, diese Splitter zu sammeln“, überlegte Pandorra nachdenklich „Aber warum sollte er oder sie das tun? Eggman ist doch lange tot und es gibt keine Verbündeten mehr von ihm…und selbst wenn es welche gäbe, sie wären doch auch schon lange tot.“

„Vielleicht ist es nicht Eggman. Vielleicht sind es Leute, die Rache nehmen wollen.“, erwiderte Nero mit neutralem Tonfall, doch sein Blick zu Shadow zeigte allzu deutlich, wen er meinte „Alte Rechnungen, die noch zu begleichen sind.“

„Ich habe keine Feinde. Man hält mich für tot und der Krieg ist 100 Jahre her.“, antwortete Shadow und klang gereizt.

„Das heißt, es muss intern passiert sein.“, sagte Ciel und sprach damit das aus, was jeder von uns dachte, aber nicht sagen wollte.

„Intern, so ein Unsinn! Als hätte jemand Grund Sichi…“, Raimi schüttelte heftig den Kopf „Ciel und Shadow kannten ihn doch kaum! Und Marik…sie würde ihn doch nie…warum sollte sie…“

Ich spürte Shadows Blick auf mir und mir wurde kalt.

„I-Ihr glaubt doch nicht…“, stammelte ich und wurde blass „D-Das ich…“

„Nein, nein! Natürlich glauben wir das nicht!“, ruderte Pandorra sofort zurück „Ciel wollte damit niemanden verdächtigen!“

„Was ist mit Selbstmord?“

Diese Frage kam von Nero. Er starrte mich immer noch an, was mich langsam nervös machte.

„Selbstmord!? Sichi würde sich nie umbringen!“, fauchte Raimi sofort und baute sich vor ihm auf „Du hast doch keine Ahnung wie Sichi…“

„Ich weiß, warum Leute Selbstmord begehen“, unterbrach er sie mit einem Tonfall, der kälter war als Eis.

„Von Sichi habe ich keine Ahnung. Aber der Kerl war nicht glücklich, habe ich nicht recht? Seine Arme waren vernarbt, das kam bestimmt nicht vom Kämpfen. Du hast ihn untersucht und du hast es entdeckt, richtig? Die vielen Narben an seinem Arm, als hätte er sich jeden Tag…“

„Hör auf!“, schrie sie und hielt sich die Hände an die Ohren „Ich will das nicht hören! Sichi hat sich nicht umgebracht, er würde uns nie allein lassen!“

„Das dachte ich auch mal.“ , ich sah zu Nero. Seine Augen hatten einen kalten Glanz und ich sah kein Mitleid in ihnen, als er Raimi fertig machte.

Sichi und…sich umbringen?

Würde er das wirklich tun?

Es kam mir so unwirklich vor. Eben noch war er so fröhlich und nett zu mir und dann…

Es war wie mit Nero.

Ohne Vorwarnung…hatte er mich verlassen.

Vielleicht hatte sich Sichi auch dafür entschieden.

„Und warum mit einem Messer?“, fragte Ciel leise, sodass man ihre Stimme kaum hören konnte. Sie schien von der Vorstellung ebenso entsetzt wie Raimi, auch wenn sie Sichi nicht besonders lange kannte „Er…er hatte doch Pistolen…warum so grausam…?“

„Weil Pistolen zu unpersönlich sind. Man spürt nicht genug Schmerz. Man fühlt sich erst richtig lebendig, wenn man auf der Schwelle zwischen Leben und Tod steht, er wollte das so lange wie möglich…spüren bevor er ging. Ein Schuss in den Kopf und alles wäre innerhalb weniger Sekunden vorbei…“

„Hör auf!“, kreischte Raimi und verpasste Nero einen Schlag ins Gesicht.

Ich hatte noch nie gesehen, dass sie die Beherrschung verlor und jemanden schlug. Klar, sie verhaute uns ab und zu mit ihrem Stab, wenn wir uns wieder albern benahmen, aber…in diesem einen Schlag lag der ganze Hass, den sie in diesem Moment auf Nero hatte.

„Hör auf so normal darüber zu reden! Du hast doch keine Ahnung wie Sichi ist, du hast ihn nicht gekannt! Wag es bloß nicht, seinen Tod auch noch mit Lügen zu beschmutzen!“

„Bist du wütend auf mich oder auf dich selbst, weil du es geahnt hast, aber nicht verhindern konntest?“, entgegnete er bloß kalt. Trotz dem roten Abdruck auf seiner linken Wange verzog er nicht mal das Gesicht.

Raimi stand zwei Sekunden lang noch da und starrte ihn an. Ihre Augen waren hasserfüllt und wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich meinen können, sie würde ihn gleich umbringen.

Doch stattdessen drehte sie sich um und marschierte ohne ein weiteres Wort aus der Küche.

Mein Blick wanderte zu Nero.

Wie konnte er bei alledem so ruhig bleiben? So kalt, so herzlos…was war nur aus ihm geworden?

Ruckartig wandte er den Kopf zu mir und erwiderte meinen Blick ohne jegliche Empfindungen. Zum ersten Mal im Leben verspürte ich Angst vor ihm.

Sogar früher, als er die Leute vor meinen Augen zusammen geschlagen hatte…er hatte es immer nur getan, um mich zu schützen.

Jetzt hingegen kam es mir so vor, als würde es ihm Spaß bereiten, andere zu quälen, ob nun physisch oder psychisch.

Konnte das wirklich der Mensch sein, der mir früher Wiegelieder vorgesungen hat um meine Albträume zu vertreiben?

„Kommt.“, plötzlich spürte ich, wie mein Arm gepackt und ich auf die Beine gezogen wurde.

Heriots Blick war ebenfalls zu Nero gewandt, während er meinen Teller hochhob und mich aus der Küche brachte.

„W-Was machst du da?“, fragte ich irritiert, da ich ihm weder einen Befehl erteilt hatte, noch mich sonst irgendwie geäußert hatte.

„Ich beschütze Euch.“

„Wovor denn…?“

„Vor Euch selbst.“

Ich blinzelte verwirrt. Vor mir selbst…?

„A-Aber…“

„Ihr wollt mit ihm reden. Er wird Euch nur wehtun.“

„Wer denn? Heriot, seit wann kannst du ohne Befehl handeln???“, irgendwie beunruhigte es mich, dass er plötzlich so besitzergreifend wurde. Und trotzdem freute es mich auch, dass er nicht mehr so stark abhängig von mir war.

„Ihr habt Euch gewünscht, dass ich eine Persönlichkeit entwickle. Soeben habe ich den Egoismus entdeckt.“

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder aufgebracht sein sollte. Ich entschloss mich dazu, neutral zu bleiben und mich von ihm mitziehen zu lassen.

„Egoismus? Warum?“

„Ich weiß, dass Ihr Euch mit ihm versöhnen wollte. Ihr werdet ihm immer vergeben, egal was er tut. Selbst nachdem er Eurer Freundin wehgetan hat, würdet Ihr ihm vergeben. Es steht nicht im Gesetz, dass ich Euch vor so etwas schützen muss, aber ich will es.“

Langsam begriff ich, was er meinte. Heriot öffnete meine Zimmertür und ich setzte mich auf mein Bett.

„Und das nennst du Egoismus?“, erwiderte ich nur, weil ich wusste, er hatte Recht. Ja, ich würde Nero verzeihen, ich würde es ihm sogar verzeihen wenn er Raimi umgebracht hätte. Er war wie eine Droge, von der ich nie los kommen könnte, denn er war ein Teil meines Lebens.

Meines alten Lebens, das ich um jeden Preis zurück haben wollte.

„Ich tue es für mich. Eure Wünsche spielen dabei keine Rolle.“, antwortete er bloß und fing an, die Karten wieder an die Pinnwand zu hängen.

„Das ist aber kein Egoismus. Wenn du dich um andere kümmern willst, ist das Fürsorge.“

„Aber Fürsorge ist etwas positives. Und andere Menschen wollen, dass man sich um sie kümmert.“

„Nein, einige…einige sind da so wie ich und wollen eben nicht, dass man sich um sie kümmert. Sie wollen lieber weiterhin blind durch die Welt reisen, weil sie es gewohnt sind. Man kann sich auch um andere kümmern, wenn sie es nicht wollen. Man darf es eben nur nicht übertreiben.“

„Übertreibe ich es?“

Ich ließ mir Zeit mit der Antwort. Hauptsächlich, weil mein Hals staubtrocken war und ich das Glas mit Wasser entdeckt hatte, dass Heriot mir jeden Tag auf den Nachttisch stellte.

Ich nippte daran, ehe ich leicht lächelnd antwortete:

„Nein. Ich glaube, du hast genau das richtige Maß an Fürsorge.“

„Fürsorge…“, wiederholte er bloß nachdenklich, während er weiterhin die Reisnadeln in die hölzerne Wand drückte.

„Sag mal…wenn du Nero nicht ausstehen kannst…warum hast du ihn heute in mein Zimmer geschickt…?“

Diesmal ließ er sich Zeit mit der Antwort, was ungewöhnlich war.

„Ihr habt ihn gebraucht. Jetzt braucht Ihr ihn nicht mehr.“
 

Sichi legte sich auf die Mauer und streckte sich, während ihm die Sonne ins Gesicht schien.

„Hah, das ist doch mal ein geiler Platz, oder?“, er setzte sich die Sonnenbrille auf und grinste unbekümmert.

Raimi grub ihre Zehen in den Sand und sah auf das Meer hinaus.

„Ah…ich wollte schon immer mal hierher.“, schwärmte sie mit sanftem Lächeln. Sie strich sich einige nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah zu ihm. Ich blieb etwas weiter weg von den Beiden stehen. Wie gerne ich mich zu ihnen gesetzt hätte.

Während die aufgebrochene Straße unter meinen nackten Füßen anfing zu brennen, schien bei ihnen die Sonne, das Gras war grün und das Wasser strahlend blau.

Ich wollte sie rufen. Ich öffnete den Mund, doch heraus kam kein einziger Ton. Meine Beine waren taub und trugen mich nicht weiter, als gäbe es eine unsichtbare Grenze zwischen uns. Als würde ich nicht zu ihnen gehören.

„Ich bin froh, dass Marik nicht hier ist.“, sagte Sichi und drehte sich so, dass ich nur noch seinen Rücken sah.

„Ich glaube, sie gehört noch nicht hierher.“

Kapitel 16 - Darkside

Kapitel 16 – Darkside
 

„Heute werden wir nach New Empire gehen. Es ist die nächste zerstörte Stadt auf unserem Radar.“, Shadow zog ein kleines Gerät aus seiner Hosentasche und legte sie auf den Tisch.

„Dieses Ding spürt die Energie der Splitter auf. Da diese Stadt riesig ist, werden wir drei Suchtrupps haben. Ciel und Pandorra, Raimi und ich und Marik mit He…“, er stockte.

Dann runzelte er die Stirn.

„Ich habe vergessen, dass Sichi nicht mehr da ist.“

„Und…?“

„Wenn wir alle weg sind, bleibt Nero alleine hier.“, erwiderte er trocken und der Gedanke schien ihn genau so wenig zu freuen, wie Raimi und den Rest der Anwesenden.

„Dann müssen wir ihn mitnehmen?“, fragte ich leise und Shadow drehte sich zu mir um.

Du wolltest ihn an Bord haben. Also wirst du auch mit ihm zusammenarbeiten.“

„Nein!“, sagte Heriot leise, aber seine Stimme war scharf und kalt wie die Klinge eines Messers „Sie geht nicht alleine mit ihm. Ich gehe mit.“

„Jemand muss bleiben und das Schiff bewachen. Pandorra, du bleibst. Ciel reist mit Heriot, Raimi mit mir und Marik mit Nero.“

Heriot schien etwas einwerfen zu wollen, doch ich schüttelte leicht den Kopf und er schwieg.

Immerhin wusste er, wann ich beschützt werden wollte und wann nicht.

Und das jetzt war die Gelegenheit dazu, Nero zur Rede zu stellen. Es war unmöglich, wie er sich aufführte und ich wollte wissen, was dahinter steckte.

Was hatte er in den letzten Jahren erlebt, dass ihn so stark verändert hatte?

„Ruft Nero. Er…“, fing ich an, doch da entdeckte einen kleinen, weißen Punkt auf den ein Lichtstrahl fiel. Nero saß in der hintersten Ecke von unserem Besprechungssaal und war beinahe vollständig mit dem Hintergrund verschmolzen, als wäre er unsichtbar.

„Ich und Heriot…“, hörte ich Ciel leise und besorgt murmeln. Als ich zu ihr sah, entdeckte ich echte Angst in ihren Augen.

„Tu mir einen Gefallen…“, flüsterte ich leise an meinen Bodyguard gewandt.

„Ja, Herrin?“

„…jag Ciel nicht allzu viel Angst ein. Irgendwie tut sie mir leid.“

„Ich jage ihr nie Angst ein.“

„Dann sieh öfter nach unten und überrenn sie nicht immer. Das verunsichert sie nur.“

„Jawohl, Herrin.“

„Ich weiß nicht, ob es so gut ist, dass Marik mit Nero reist.“, warf Pandorra dann doch nachdenklich ein „Immerhin…ich glaube, er macht ihr Angst. Man sieht es doch deutlich in ihren Augen, jedes Mal, wenn er sie anschaut, zuckte sie zusammen als hätte sie einen Stromschlag abbekommen.“

Ich schluckte nervös. Wussten die anderen eigentlich, dass Nero auch mit in diesem Raum saß? Das er uns alle hören konnte?

Und warum meldete er sich nicht?

Vielleicht wollte er meine Reaktion abwarten. Sehen, ob ich dagegen oder dafür wäre.

Doch wie immer blieb ich still. Ich protestierte nicht, stimmte aber auch nicht dafür.

„Es ist mir egal, ob sie sich mögen. Ciel und Nero kennen sich nicht, Raimi hasst ihn, ich würde ihn umbringen, Heriot würde ihn umbringen. Nur Marik könnte ihn ertragen.“, unterbrach Shadow unsere Diskussion scharf und ich zuckte zusammen.

Also mochte niemand Nero. Doch so wie er sich verhalten hatte, konnte ich es ihnen nicht verübeln.

„Okay.“, sagte ich deswegen nur „Ich gehe mit ihm.“

„Dann rüste dich aus. Wo die Waffen sind, weißt du ja.“

Kurz bevor ich den Saal verließ, hörte ich noch Heriots leise Stimme.

„Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, werde ich dir jede Wimper einzeln rausreißen und danach die Augen ausstechen. Und wenn sie nicht zurückkommt, werde ich dir alle Gliedmaßen einzeln brechen.“

Ich wusste genau, dass diese Worte gegen Nero gerichtet waren und stellte wieder einmal fest, dass nicht nur er grausam sein konnte. Bis jetzt hatte ich keine Ahnung, was die genauen Fähigkeiten meines Bodyguards waren, doch ich hatte genug gesehen, um zu wissen, dass er keine Scherze machte.
 

„Team 1 sucht den südlichen Teil der Stadt ab. Team 2 den östlichen und wir den nördlichen. Wir treffen uns um Punkt Mitternacht wieder hier, verstanden?“, Shadow befestigte die Taschenlampe an seinem Helm, genau wie wir.

„Punkt Mitternacht, keine Minute später. 10 Minuten warten wir, wer dann noch immer nicht kommt, wird zurück gelassen.“, sagte er noch und mir fiel auf, dass er wohl erst jetzt diese Möglichkeit in Erwägung zog. Davor hatte er nie etwas Ähnliches gesagt oder auch nur angedeutet.

„Gut. Gehen wir.“, das war das Signal dafür, dass wir los könnten. Ich ging den kaputten Asphalt entlang und versuchte die Schritte neben mir zu ignorieren.

Nero schaltete seine Taschenlampe an und hatte sein Schwert fest im Griff. Von allen Waffen, die Shadow besaß, hatte er sich sofort das Schwert von der Wand genommen und es geschärft, obwohl er den Igel nie um Erlaubnis gefragt hatte. Doch ihn schien es auch wenig zu stören.

Erst als die Schritte der anderen verklungen und ihre Silhouetten verschwanden, richtete er das Wort an mich.

„Hasst du mich?“

Ich drehte mich zu ihm, wobei ihm das Licht meiner Taschenlampe ins Gesicht schien, sodass er sich die Augen abdecken musste.

Was für eine komische Frage für ein Gesprächsanfang.

„Nein.“, antwortete ich dann wahrheitsgemäß, wobei wir die Trümmer von alten Autos umgingen „Ich verstehe dich nur nicht. Ich habe es auch aufgegeben.“

„Hab‘ ich auch.“, entgegnete er, als ich ihm nicht mehr ins Gesicht leuchtete und blinzelte erst mal, um seine Augen wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen „Manchmal da…überkommt mich so was. Ich wollte euren Freund wirklich nicht beleidigen, ich dachte nur…“

„Du hast das gedacht, was du gesagt hast. Du hättest einfach die Klappe halten sollen.“, ich merkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und wischte sie nicht gerade sanft weg.

Was war nur los mit mir? Warum redete ich mit ihm?

Wir waren doch nicht mal mehr Freunde. Früher hatte er mir alles bedeutet, doch das war noch lange kein Grund um ihn jetzt noch zu mögen. Immerhin hatte er solche herzlose Dinge über meinen besten Freund gesagt…herzlose, grausame Dinge…auch wenn sie vielleicht wahr waren.

„Meinetwegen kann es auch wahr sein. Aber es wäre einfacher für uns, uns vorzustellen, dass Sichi uns nicht freiwillig verlassen hast. Du hast doch keine Ahnung, wie sich so was anfühlt. Wenn man das Gefühl hat, dass sogar der Tod die bessere Wahl wäre.“

„Ich weiß…“

Du weißt gar nichts! Du weißt wie es ist sterben zu wollen, du weißt wie es ist andere zurück zu lassen…aber du hast keine Ahnung davon, wie sich die Zurückgelassenen fühlen. Dich interessiert nur dein eigener Schmerz, andere sind dir dabei völlig egal. Hauptsache, du bist erlöst, oder? Was mit deinen Freunden ist, ist dir gleichgültig, denn wenn du tot bist musst du dich um niemanden mehr kümmern.“

„Geht es hier noch um Sichi oder um uns?“

Wieder dieser ruhige Tonfall. Wie ich ihn hasste, diesen Ton als wäre alles gut, als wäre nichts Schlimmes geschehen!

„Hör auf so normal mit mir zu reden!“, fauchte ich deswegen bloß.

„Was soll ich tun? Weinen? Jammern? Schluchzen? Oder vielleicht wieder schweigen? Ein >Entschuldigung< beschreibt nicht mal annähernd meine Gefühle für das, was ich euch angetan habe und es reicht nicht, um das Geschehene wieder gut zu machen. Was ich dir angetan habe, ist unverzeihlich. Ich habe viele, viele schreckliche Dinge getan, aber während der paar Jahren hat es mich nicht gekümmert. Ich habe gegen Freunde gekämpft, gegen Feinde und gegen die ganze Welt. Hauptsache, ich hatte einen Feind. Und als ich dich getroffen habe…“, Nero hob die Schultern „Ich weiß nicht. Da kam mir diese ganze Wut einfach nur noch lächerlich vor. Ich hatte mich benommen wie ein verzogenes, kleines Kind und versuche seitdem mich irgendwie zu bessern. Aber es geht einfach nicht. Der alte Nero ist immer noch ein Teil von mir und manchmal habe ich das einfach nicht unter Kontrolle.“

Ich schwieg bloß. Alles, was er sagte, konnte eine Lüge sein. Im einen Moment tröstete er mich noch, genauso wie früher, und im nächsten Moment machte er eine 180° Wende und benahm sich wieder so…kalt.

„Es kann doch nicht sein, dass du einfach vom einen Moment zum nächsten zu so einem herzlosen Monster wirst.“, sagte ich deswegen und man hörte mir an, wie leid ich diese Streitereien war „Früher hast du dich nie so benommen.“

„Früher hatte ich ja auch dich. Jetzt hingegen habe ich das Gefühl, dass du mir noch nie so fern warst.“

„Daran bist du selbst schuld.“, erwiderte ich und merkte, wie meine Hand anfing zu zittern. Ich spannte sämtliche Muskeln an, bis das Zittern nachließ und konzentrierte mich wieder auf die aufgebrochene Straße.

„Ich weiß. Es tut mir leid.“

Ich sah kurz zu ihm, ehe ich antwortete:

„Du hast Recht. Eine Entschuldigung reicht nicht mal annähernd aus, um das wiedergutzumachen, was du getan hast.“

Nero grinste bloß zur Antwort. Es lag irgendwo zwischen Schadenfreude und Selbsthass.

„Und dabei hatte ich gedacht, wenn ich tot wäre, wäre alles einfacher. Wer auch immer mich zurückgeholt hat – Er ist verdammt gehässig.“

„Hör auf so zu tun, als wärst du wiedergeboren worden. Du bist nicht Jesus, verdammt nochmal! Niemand kann von den Toten zurückgeholt werden!“, knurrte ich eindeutig gereizt und trat ein paar kleinere Steine weg. Die Angst vor Städten war wie verschwunden, denn diesmal richtete sich meine Sorge gegen Nero. Auch wenn ich keine Angst vor ihn hatte – Ich hatte eine riesen Wut auf ihn.

„Das dachte ich auch. Aber sieh den Tatsachen ins Auge: Du hast mich bluten sehen, du hast meine Narben gesehen, du hast gesehen wie man mich nach oben befördert hat und liegen gelassen hat, damit ich von den Vögeln aufgefressen werde. Du hast meinen Puls gemessen und du warst die ganze Zeit an meiner Seite, wie soll ich das überlebt haben???“

„Keine Ahnung. Aber du bist gerissen und ein guter Lügner.“, erwiderte ich bloß, aber es war kein Kompliment.

„Ja, bin ich. Trotzdem, du weißt genau, dass ich keine Freunde in der Stadt hatte. Wenn ich gehen wollte, wäre ich gegangen. Warum sollte ich dir so einen Schrecken einjagen? Warum sollte ich dir so wehtun?“

„Weil du…“, ich drehte mich auf dem Absatz um und starrte ihn wütend an, auch wenn mir in den Augenwinkeln Tränen schimmerten „…ein verdammter Sadist bist! Dir bereitet es doch Freude anderen wehzutun, deswegen hast du die Leute doch auch alle verprügelt! Ich war bloß ein Zeitvertreib von dir und du fandst es amüsant, wie naiv ich war. Du hast mir immer gesagt, dass du nicht bei mir bleiben würdest, aber ich war zu blöd um dir zu glauben.“

Nero schirmte sich wieder die Augen ab, sodass sie im Dunkeln lagen, weswegen ich das Grinsen, das er im Gesicht hatte, nicht deuten konnte.

„Ja, ich fand es witzig wie naiv du bist. Du bist gutgläubig, offen und naiv. Trotz deiner Vergangenheit begegnest du den Leuten nicht misstrauisch und ich fand das faszinierend. Deine ganze Familie ist gestorben vor deinen Augen und du kannst trotzdem unbesorgt sein. Ich wurde bloß ausgesetzt, hab‘ meine Eltern nie kennengelernt und wurde schon zu einem Monster. Ich hab‘ mich an dich drangehängt und mich mit dir befreundet, weil ich dachte, du könntest mich ändern.“

„Spar dir die Worte, du lügst doch sowieso nur.“, sagte ich und ging mit schnellen Schritten weiter „Ich will nicht mit dir reden.“

Ich hoffte ehrlich gesagt, er würde in dieser Stadt verloren gehen, dann könnte er wissen, wie es war, sich einsam und hilflos zu fühlen.

Seine Schritte knirschten auf den feinen Steinen, die durch die Zerstörung der Straße entstanden waren.

Auf dem kleinen Bildschirm meines „Radars“ meldete sich nichts. Hoffentlich waren die anderen erfolgreicher als wir…

Plötzlich bekam ich einen beißenden Geruch in die Nase und musste sofort husten.

Ich drehte mich um und sah eine kleine, glühende Spitze im Dunkeln.

„Auch eine?“, fragte Nero bloß und zog noch mal an seiner Zigarette. Er wollte mich provozieren damit ich mit ihm redete, das wusste ich. Deswegen wandte ich mich bloß wieder meinem Peilsender zu uns ging mit schnellen Schritten weiter.

Seit wann rauchte Nero überhaupt? Und wo bekam er die Zigaretten her…?

So was war in unserer Zeit ungeheuer Teuer, genau wie Drogen. Nur die Reichen konnten sich das leisten…also musste Nero Geld besitzen. Dann hatte er in den letzten Jahren also doch was erreicht.

Während ich nur vor mich hin vegetiert hatte.

Als mir wieder der Rauch in die Nase stieg, biss ich mir auf die Zunge, um ihn nicht anzubrüllen. Trotzdem riss ich ruckartig den Kopf herum.

„Wenn du schon rauchen musst, dann hör auf die Wolke in meine Richtung zu blasen!“, fauchte ich und ballte die Hände zu Fäusten.

„Ich dachte, du wolltest nicht mit mir reden?“

Ich stellte mir vor, wie ich ihn schlagen würde. Ich würde ihn schlagen, ihm die Zigarette abnehmen und sie ihm auf seinem selbstgefälligen Gesicht ausdrücken, bis er zum Gnade bettelte und sich entschuldigte.

Immer, wenn wir stritten, stellte er irgendwas an, damit ich ihn anbrüllte. Jedes Mal dachte er sich, dass das wohl reichen würde um meinen Ärger verschwinden zu lassen, doch diesmal war es nicht so. Jedes Mal, wenn ich ihm einfach verziehen hatte, egal wie schlimm es war, hatte ich einen Teil von mir zurückgedrängt. Damals hatte ich niemanden außer ihm.

Doch jetzt hatte ich Raimi, Heriot, Shadow, Ciel und Pandorra.

Ich brauchte Nero nicht mehr.

„Du warst als Toter ein besserer Freund.“

Ich wollte es nicht sagen, doch es rutschte mir einfach so raus. Und damit ich auch nicht so feige war, es wieder zurück zu nehmen, rannte ich schnell weg.

Vor meinem schlechten Gewissen, vor Nero und meinen Gefühlen zu ihm.

Als ich mich noch einmal kurz zu ihm umdrehte, war es zum ersten Mal er, der mich so ansah, als hätte er das Gleichgewicht verloren.
 

Ich blieb erst stehen, als meine Lunge brannte und meine Beine unter mir nachgaben. Keuchend fiel ich auf die Knie und stützte meine Hände am Boden ab.

Meine Tränen tropften herunter und ich sah sie als kleine, nasse Punkte vor mir, die sich rasend schnell vermehrten.

Was hatte ich da gesagt?

“Du warst als Toter ein besserer Freund!“

Das wollte ich doch nicht…Ja, er war egoistisch, er verhielt sich unmöglich…aber jetzt war ich nicht besser als er.

Ich wünschte mir zwar, dass Nero mich nie angelogen hätte, doch ich wollte doch nicht, dass er starb!

Ja, ich war wütend auf ihn, aber ich hasste ihn nicht. Ich konnte einfach nicht, es war nicht meine Art.

Zitternd zog ich mein Radar aus der Tasche und wischte mir über die Augen, um hinsehen zu können.

Ein kleiner, roter Punkt zeichnete sich darauf ab. Ich hatte keine Ahnung wie weit er weg lag, doch ich stand auf und ging weiter.

Einfach weiterlaufen, nicht mehr denken. Der Splitter war wichtiger als mein Streit mit Nero.

Ich fragte mich, wo er gerade war. Ob er sich wohl verirrt hatte? Oder zurück zum Schiff gegangen war?

Schnell schüttelte ich diesen Gedanken ab. Es war egal was aus ihm wurde, wichtig war nur ob wir diesen Splitter fanden oder nicht.

Ich ging etwas schneller, als der rote Punkt immer mehr anfing zu blinken. Meine Umgebung war dunkel, sodass ich nur das erkennen konnte, was durch meinen Lichtstrahl beleuchtet wurde.

Trotzdem bekam ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Jeder Lufthauch fühlte sich an, als wäre eine Person an mir vorbei gerannt, weswegen ich mich mehrmals nervös umdrehte.

Mir wurde klar, dass nicht nur Nero alleine in dieser Stadt war.

Ich war es auch.

Etwas streifte mich.

Erschrocken fuhr ich herum, doch außer den Trümmern sah ich nichts.

Hier gab es tausende Verstecke, jedes Tier könnte mir auflauern. Doch warum sollte sich ein Tier verstecken vor mir? Menschen waren weder schnell, noch besonders stark.

Oder es…

Noch bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, spürte ich einen harten Schmerz im Rücken. Die Luft wurde aus meiner Lunge gepresst und ich prallte hart mit dem Gesicht auf den Asphalt. Kurz wurde mir schwarz vor Augen, doch dann klärte sich mein Blickfeld wieder.

„Wa-Was…“, ächzte ich schwach, als man mir einen Tritt in die Seite verpasste.

Ich knallte mit dem Rücken gegen einen Trümmerhaufen. Scharfer Schmerz schoss von meiner Seite aus in meinen gesamten Körper. Als ich mir an die schmerzende Stelle fasste, war meine Hand rot.

„Los, sag uns, wo der Splitter ist!“, fauchte eine Stimme und packte mich am Oberteil.

Er hob mich mühelos hoch. Mein Kopf fiel zur Seite.

„Aua…du tust mir…weh…“, keuchte ich und merkte wie mir Blut über das Gesicht lief.

Meine Umgebung war verschwommen.

Was war…nur los…?

Wer war das…?

„Sie ist benommen und wird gleich ohnmächtig. Du hast sie zu hart angefasst.“, hörte ich eine zweite Stimme und spürte, wie mir jemand in der Tasche herumwühlte.

„Ich dachte, die hätten was drauf. Wie kann so’n Schwächling die Splitter finden?“, antwortete die zweite Stimme und ich blinzelte angestrengt, um sein Gesicht zu erkennen.

Er trug…eine Maske. Ein weiße Maske und einen schwarzen Umhang.

„Hey, sie ist ja doch nicht bewusstlos.“, bemerkte der Kerl, der mich gepackt hielt und ließ mich wieder auf den Boden fallen.

Ich landete auf dem Hintern und der Schmerz schoss mir wieder durch den gesamten Körper. Automatisch presste ich mir eine Hand auf die Wunde an der Seite und unterdrückte die Tränen. Ich wollte nicht vor diesen beiden Fremden weinen, das wäre schwach!

„Sag uns, wo der Splitter ist und wir lassen dich in Ruhe“, sagte der zweite maskierte Mann und beugte sich zu mir.

„I-Ich weiß nicht…“, ächzte ich nur.

Im nächsten Moment bekam ich einen Schlag ins Gesicht. Mein Kopf ruckte zur Seite, doch irgendwie spürte ich keinen Schmerz.

Vielleicht war das der Schock. Ich fühlte mich auch so benommen, als stünde ich unter Drogen. Meine Sicht war verschwommen und ich schaffte es nicht, meinen Kopf gerade zu halten.

„Wir wissen, dass ihr die Splitter habt! Rückt sie gefälligst raus!“

„I-Ich habe…die Splitter…n-nicht…“, wimmerte ich bloß, bekam aber nur wieder einen Schlag.

Blut lief mir über die Augen und färbte meinen Blick rot.

„Aufhören, tot nützt sie uns nichts!“, hörte ich die scharfe Stimme seines Partners.

„Aber sie hat die Splitter angeblich nicht. Also bringt es uns auch nichts, sie am Leben zu lassen!“, der Mann vor mir zog etwas aus seinem Mantel. Es blitzte im Licht meiner Lampe auf.

Ein Messer.

Ich spürte seine Spitze an meinem Hals und schloss die Augen.

„Hilfe“, wisperte ich nur, obwohl ich wüsste, es wäre niemand da, der mich retten könnte.
 

„Hey, ihr W*chser!“

Urplötzlich wurde das Messer von meinem Hals weggerissen.

Verwirrt öffnete ich die Augen. Der Mann, der vor mir stand, war nicht mehr da.

Stattdessen erkannte ich…

„Nero“, flüsterte ich ungläubig. Er drehte sich nicht zu mir um, schien mich aber zu bemerken.

„Wenn ihr sie nochmal anfasst, bring‘ ich euch um.“

Seine Stimme war schneidend kalt und ich setzte mich mühsam und unter Schmerzen etwas auf.

Einer der Männer lag am Boden und seine Maske war zerbrochen. Anscheinend hatte man ihm ins Gesicht getreten.

Wenige Meter neben ihm stand der Andere maskierte.

„Ah, der hat was drauf. Dann weiß er bestimmt auch, wo die Splitter sind.“, bemerkte dieser trocken „Also sag uns, wo sind sie?“

„Ich sage euch gar nichts.“, entgegnete Nero und lächelte.

Es war kein nettes Lächeln.

Etwas in ihm wurde so ruhig, als hätte sich seine ganze Wut auf einmal zu etwas verdichtet, das so hart, so glatt und so kalt war wie eine Kugel.

Der Mann ohne Maske stand auf. Er hatte grüne Augen und blonde Haare.

Wie ein normaler Mensch. Er sah ganz normal aus.

„Pass auf, Kleiner.“

„Du bist derjenige, der aufpassen sollte“, dachte ich.

Spürte er nicht, wie gefährlich Nero auf einmal war?

Es hatte nicht den Anschein. Der Mann sah seinen Partner an und beide zogen ihre Waffen, der Maskierte ein Schwert und der andere ein Messer.

Die Zeit verlangsamte sich wieder. Als befänden wir uns in einer Sphäre.

Einer Sphäre, in der getötet wurde.

Von meiner Position aus, konnte ich jede Bewegung der Beiden erkennen. Wie der Kies aufwirbelte, als sie erschreckend langsam nach vorne sprinteten. Wie der Mantel hinter ihnen umher flatterte.

In dieser Zeit schien nur Nero sich normal zu bewegen. Mühelos wich er dem Maskierten aus, packte ihn hinten am Kragen seiner Kleidung und warf ihn mit Schwung in die Richtung, in die er rannte. Den zweiten griff er am Handgelenk, um den Hals und hielt ihn zum Schluss so, dass er seine Arme nicht mehr bewegen konnte und praktisch hilflos in Neros Armen hing.

„Verschwindet.“, drohte er sehr leise und sehr ruhig.

„Wir gehen nicht ohne die Splitter!“, widersprach der Maskierte, ebenso ruhig und richtete seinen Mantel wieder, während er zu seinem Partner sah.

Nero grinste wieder, womit er aussah wie ein Löwe, der vor einem gerissenen Reh stand.

„Dann sterbt hier.“, er nahm sich die Zigarette aus dem Mund, blies den Rauch in die Luft und drückte sie auf dem Gesicht des Mannes aus, den er noch in seinem Griff hatte.

Er jaulte auf und gab wüste Beschimpfungen von sich, ehe Nero sein Genick packte und…

Ich drehte mich um, konnte aber das ohrenbetäubende Knacken nicht überhören.

Kurz darauf hörte ich einen Wutschrei, gefolgt von leisem Röcheln, als würde jemand ertrinken.

Ertrinken im eigenen Blut.

Nach einigen Sekunden drehte ich mich wieder um.

Ein leises, schmatzendes Geräusch erklang, als Nero den Leichnam mit dem Fuß wegstieß und sein Schwert aus dem Körper zog. Ich starrte die Beiden Toten an und konnte gar nicht glauben, was gerade geschehen war.

Er drehte den Kopf zu mir und ich begegnete seinem Blick.

Seine Augen waren wie Kugeln aus Glas, die alles widerspiegelten.

Kein lebendiges Wesen hatte solche Augen. Ihr Glanz war anorganisch…aus ihnen blickte das Nichts, die Antithese des Lebens.

Wie ein schwarzer Engel.

Doch im nächsten Moment verschwand die furchtbare Leere aus seinen Augen. Nero blinzelte und ging schnell zu mir herüber, wobei er das Schwert fallen ließ, als hätte er sich daran verbrannt.

„Alles in Ordnung?“, fragte er nur und streckte die Hand nach mir aus.

„Fass mich nicht an!“ , wollte ich schreien „Fass mich nicht mit diesen Händen an, die gerade zwei Leben einfach so ausgelöscht haben!“

Aber ich merkte, wie stark ich zitterte, wie sehr ich blutete und gab ihm meine Hand, damit er mir hoch half. Vorsichtig zog er mich auf die Beine, die aber bald wieder einknickten, weil mir alles wehtat.

Irgendein Trümmerteil hatte sich in meine Seite gebohrt, aus der nun stetig Blut floss, genau wie aus einer Wunde am Kopf.

„Komm, ich trage dich.“, sagte er und hob mich in seine Arme. In der ganzen Zeit konnte ich ihn nur anstarren und kein Wort kam mir über die Lippen.

Der Schock saß noch so tief.

Er hatte ein paar Bluttropfen im Gesicht. Wie feine Linien zeichneten sie sich deutlich auf seiner Haut ab.

„Du bist so still. Alles in Ordnung oder ist das nur der Schock?“, fragte er nach einer Weile. Er ging den Weg zum Schiff zurück. Ich wusste nicht, woher er ihn kannte, aber das war mir im Moment so was von egal.

„I-Ich…“, stotterte ich bloß und merkte, dass meine Lippe aufgeplatzt war. Als ich den Mund wieder schloss, schmeckte ich Blut.

„Okay, du kannst ein Wort. Wie wär’s mit ‘nem Satz?“, er grinste, doch diesmal war es kein beängstigendes oder unheimliches Grinsen.

Es war einfach sein typisches, unbekümmertes Grinsen.

„Du hast ganz schön was abbekommen.“

„Nero…“

„Ja?“

„Tut mir leid, dass ich das gesagt habe. Und Danke“

Er hielt kurz inne, ehe er weiterlief und zu mir herunter sah.

„Kein Problem. Du hattest ja Recht.“

Ich lächelte bloß schwach. Ob es wegen der Schmerzen oder der Benommenheit war, jetzt wirkte Nero in keinster Weise mehr bedrohlich. Er war jetzt nur noch der nette, fürsorgliche Nero. Mein Kopf fiel gegen seine Brust und ich hörte den ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag.

Es war so warm. Als wäre all die Kälte aus meinem Körper verschwunden.

Ich schloss die Augen.

Und kurz bevor ich das Bewusstsein verlor, spürte ich seine Lippen auf meinen.

„Gute Nacht, Marik.“

Kapitel 17 - Broken Piece

Kapitel 17 – Broken Piece
 

„Nur, weil ihnen etwas zur Normalität fehlt…

Oder weil sie rote Augen haben…

Nur, weil sie in diese Welt hinein geboren wurden…“
 

„Was ist, noch nie einen Mensch mit roten Augen gesehen!?“

„Als Sünde geboren zu werden, so was Widersinniges!“

„Ihr seid krank!“
 

„Warum ist es falsch, jemanden zu lieben?“
 

Ich öffnete langsam die Augen und versuchte, meine Arme zu bewegen, doch ich spürte einen unangenehmen Schmerz.

Als ich genauer hinsah, entdeckte ich Nadeln, die mir im Arm steckten.

Eine…Infusion…?

Meine Umgebung war weiß.

Ich hätte fragen können, ob ich im Himmel war, doch diese Frage war lächerlich.

Jemand wie ich hatte im Himmel nichts zu suchen.

„Hey, du bist wach!“, hörte ich Neros Stimme und drehte leicht den Kopf. Er saß neben mir auf dem leeren Bett.

„Wo…bin ich…?“

„Im Krankenhaus! Wir mussten in die nächste Stadt, um dich zu versorgen. Hier arbeiten zwar nur Mobianer, aber…na ja, besser als nichts.“

Ich bekam ein ungutes Gefühl.

„Warum…was ist mit Raimi…?“

„Sie hätte sich überanstrengt. Es gab viele Verletzte…wir sind nicht die Einzigen, die auf so komische Typen getroffen sind.“

Erleichtert atmete ich auf „Also geht es ihr gut?“

„Sie ist etwas müde. Aber sonst ist sie okay.“

Zum ersten Mal musterte ich Nero genauer. Sein Gesicht war geschwollen und er war an einigen Stellen verbunden, zudem hatte er viele blaue Flecken an den Armen.

„Was ist…mit dir…passiert…?“

„Öhm. Das war nicht von den Beiden Typen, das war von deinem Kumpel. Er dachte zuerst, du wärst tot und er wollte mich aufspießen, aber Raimi konnte ihn davon überzeugen, dass du nicht tot wärst. Daraufhin hat er das Schiff so lange auseinander genommen, bis Shadow gesagt hat, er würde dich ins Krankenhaus bringen. Jetzt renovieren sie das Schiff und Heriot scheucht sämtliche Ärzte und Schwestern herum, damit sie dich gut behandeln.“, erklärte Nero seufzend und ich lächelte schwach.

„Die Prügel hast du verdient.“

„Ich habe dich immerhin gerettet!“

„Ja, aber davor hast du mich provoziert und du hast die Beiden Typen grausam umgebracht.“

Er sah aus dem Fenster, als wäre dort plötzlich etwas Interessanteres und wich meinem Blick aus.

„Du weißt genau, wie ich bin. Wenn dich jemand anfasst, ticke ich eben aus. Daran hat sich nichts geändert.“

„Ja, aber du hast sie fast umgebracht!

„Sie haben auch fast DICH getötet!“, fauchte er und riss den Kopf zu mir herum, um mir in die Augen zu sehen.

Ich wusste nicht wieso, aber ich wurde nicht sauer. So wütend er war, so ruhig war ich nun.

Er hatte es doch auch nur gut gemeint. Er hatte es übertrieben, er hatte Mist gebaut…

Aber er hat es für mich getan.

„Wie weit würdest du für einen Menschen gehen, den du liebst?“, fragte ich bloß und er sah zu Boden.

So schnell seine Wut gekommen war, so schnell war er auch wieder verraucht.

„Ich weiß nicht. Zu weit, würde ich sagen.“

Ich zog mir die Decke bis zum Kinn und lehnte mich etwas zurück, um es mir bequemer zu machen. Diese Antwort hatte ich erwartet.

Nero hatte mir schon einmal erklärt, dass er sich vor sich selbst fürchtete, weil er nie wusste, wie weit er gehen würde.

„Ich hatte mal eine Freundin.“, sagte er und grinste wieder, aber eher schmerzlich „Hübsch und so. Ein bisschen älter als du. Ihr Name war Layla. Hab‘ sie echt geliebt. Irgendwie zu sehr. Man kennt das doch…erst liebt man sich, dann streitet man sich, dann wird man eifersüchtig.“

„Und?“

„Sie hat die Nase voll von mir gehabt. Wollte Schluss machen, weil sie sich in einen anderen verliebt hat, nachdem ich ihr ständig hinterher spioniert hatte.“, sein Grinsen wurde breiter und irgendwie auch unheimlicher.

„Hast du sie geschlagen?“

„Hab‘ sie umgebracht. Zu der Zeit hat’s doch eh keinen gekratzt. Hab‘ sie erstochen und ihre Leiche liegen gelassen. Nach dem Motto: >Wenn ich dich nicht haben kann, dann soll dich auch kein anderer haben! <“

Ich wusste nicht, wieso er mir das erzählte. Wahrscheinlich, um mir Angst einzujagen.

Doch ich bekam keine. Ich hatte nun so viele schlimme Seiten an Nero gesehen…mich konnte nichts mehr schocken.

Sei es sein mitleidsloses Verhalten gegenüber Toten, seine Grausamkeit an Feinden oder einfach sein Sadismus.

Er blieb ein paar Minuten lang still, ehe er fragte:

„Was, keine Reaktion? Kein Geschrei?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich es leid bin.“, erwiderte ich und meinte es ehrlich „Leute wie du ändern sich nicht. Es nützt nichts, wenn ich dich weiter darum bitte, dich anders zu benehmen, du hörst doch eh nicht auf mich.“

„Dann hast du mich aufgegeben?“

„Ja.“

„Und trotzdem hängst du an mir“, erwiderte er und grinste breit, auch wenn diesmal schadenfreudig war.

„Was redest du da!? Ich hänge nicht an dir!“

„Ach ja? Und warum lässt du mich mit dir reisen? Du redest mit mir und versuchst das zu verdrängen, was ich dir angetan habe, oder?“

Ich blinzelte irritiert. Was machte er da? Wollte er jetzt etwa mich beschuldigen?

Er tat das gleiche mit mir, was er zuvor noch mit Raimi getan hatte.

„Du solltest froh sein, dass du mitkommen darfst! Ich hätte auch Heriot befehlen können…“, fing ich an, doch er unterbrach mich.

„Hättest du nicht.“, sagte er schlicht und seine Stimme war sehr leise, woran ich erkennen konnte, dass er es ernst meinte.

„Du bist nicht kalt genug für so etwas! Mein Gott, als ich die Beiden Typen tötete, die dich verprügelt haben, hast du vor Mitleid fast geheult!“, fuhr er verächtlich fort „Das hätte ich sogar noch verstanden. Aber das du einem Monster wie mir vergibst…das grenzt schon an Dummheit! Merkst du denn selbst nicht, in was für ein Netz aus Lügen du dich verstrickst, nur um an deiner schönen Welt festzuhalten!? Um daran glauben zu können, ich hätte dich nie freiwillig verlassen!?“

Jedes Wort von ihm fühlte sich wie ein Messerstich in meinem Herzen an. Ich konnte nur dasitzen und ihm zuhören, doch mit jedem Satz und jeder Wahrheit aus seinem Mund spürte ich einen weiteren Teil in mir zerbrechen.

Ich öffnete den Mund um etwas zu entgegnen, doch es kam nichts heraus.

Es gab nichts dazu zu sagen.

Er hatte doch Recht.

„Was, keine Entgegnung? Wo ist deine scharfe Zunge geblieben?“, fragte er hämisch und trat auf mich zu. Ich merkte gar nicht, wie mir einige Tränen über die Wangen liefen, bis er mein Gesicht in seinen Händen bettete und sie mir fast schon zärtlich wegwischte.

Ich wollte nicht, dass er mich anfasste. Aber mein Körper fühlte sich an, als wäre er zu Eis erstarrt.

„Und weißt du, was das schlimmste an der ganzen Geschichte ist?“, flüsterte er mir leise mit sanfter Stimme ins Ohr.

„Trotz allem, was ich sage, was ich dir antue und egal wie sehr du glaubst mich zu hassen… Du hasst mich so abgrundtief, dass du gar nicht gemerkt hast wie du dich immer mehr in mich verliebt hast, Stück für Stück…“

„Hör auf“, flüsterte ich. Mir saß ein Kloß im Hals, den ich einfach nicht herunterschlucken konnte.

„Und du willst mir sagen, dass du mich aufgegeben hast? Du hast dich selbst aufgegeben! Du bist nur noch eine leere Strohpuppe, gefüllt mit Angst! Die Marik von damals hätte mir nicht einfach so vergeben! Sie hätte mich eher vierteilen lassen, als dass sie zugelassen hätte, dass ich sie auch nur einmal anfasse! Du bist nur ein Schatten von ihr, der so verzweifelt ist, dass er sich an jeden Strohhalm klammert! Marik war eine unabhängige Frau! Sie hat sich von niemandem helfen lassen!“, er packte meinen Hals und drückte mich aufs Bett.

„L-Lass mich los!“, rief ich ängstlich und sah ihm in die Augen.

Hass. Seine Augen waren so voller Hass.

Was war bloß mit ihm passiert?

„Du bist nicht Marik! Marik hätte mir nie vergeben! Sie hätte mir niemals eine Träne nachgeweint! Du bist nur eine leere Hülle von ihr!“, sein Griff wurde fester und ich röchelte „Gib mir Marik zurück!“

„L-Lass mich los! Ich bin Marik! Nero, lass mich bitte los!“

Sein Blick lag in weiter Ferne, als würde er mich gar nicht sehen. Sein Gewicht drückte mich nieder und ich konnte mich nicht bewegen, während mir langsam die Luft abgeschnürt wurde. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen.

Wo waren die Schwestern? Oder Ärzte? Was auch immer mit Nero los war, er war nicht mehr er selbst.

„Ich bin Marik!“, schrie ich mit erstickter Stimme und versuchte ihn von mir herunter zu treten, doch meine Beine rührten sich nicht.

„Ich bin Marik! Lass mich los!“

Er starrte mich an.

Doch dann verschwand die erschreckende Leere aus seinen Augen und er blinzelte.

Noch kurz drückte er meinen Hals zu, ehe er schnell die Hände zurückzog, als hätte er sich verbrannt.

Ich holte röchelnd und hustend Luft.

„Was…Marik…ich…e-es tut mir…so leid…“, machte er und sprang hastig auf, ehe er aus dem Zimmer stürmte.

„Ich muss hier raus!“

Hustend setzte ich mich auf und merkte dann, wie sehr ich zitterte.

Was war das eben? Als hätte Nero den Verstand verloren…und dann erst sein leerer Blick, als würde er mich gar nicht sehen…

Ich drückte mit zittrigen Fingern auf die Sprechanlage.

„Ja?“, machte die desinteressierte Stimme der Schwester am Empfang.

„B-Bitte schicken sie Heriot z-zu mir.“

Ich wusste nicht, wo er war und ob er überhaupt im Krankenhaus war, doch mein Gefühl sagte mir, er wäre im Wartezimmer…oder zumindest im Haus, denn er würde mich bestimmt nicht alleine hier lassen.

„Ich komme.“, erwiderte seine Stimme statt der der Schwester und das rote Lämpchen neben meinem Bett erlosch, als die Sprechanlage ausging.
 

„Wo warst du die ganze Zeit?“, fragte ich Heriot, als er das Zimmer betrat und die Tür hinter sich zuschloss.

„Ich dachte…Ihr wolltet mich nicht sehen.“

„H-Habe ich das gesagt?“

„Als Nero Euch zu uns brachte…wollte ich Euch ihm abnehmen…aber Ihr habt geschrien und Euch gewehrt…“

Langsam dämmerte es mir. Ja, ich hatte bei Nero bleiben wollen…ich war so verstört gewesen, dass ich Heriots Maske mit der unserer Angreifer verwechselt hatte…
 

„Fass mich nicht an!“
 

„Entschuldigung.“, sagte ich mit schlechtem Gewissen „Ich…es war nichts gegen dich…Ich war nur so verstört und benommen…unsere Angreifer haben Masken getragen und ich habe dich mit ihnen verwechselt…es tut mir leid.“

„Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Ich hätte an Euren Zustand denken müssen. Ich habe Euch enttäuscht.“

„N-Nein, hast du nicht!“, widersprach ich sofort „Es ist nicht deine schuld! Du kannst doch nichts dafür, wenn ich so blöd bin und denke du wärst…“

„Das meine ich nicht. Ihr wurdet verletzt und seid fast gestorben. Ich bin Euer Beschütze, ich hätte besser auf Euch achten müssen. Das wird nicht noch einmal vorkommen.“

„Heriot, ich habe dir doch schon mal gesagt, dass ich nicht deine Herrin bin. Du musst nicht…“, fing ich an, doch er unterbrach mich wieder.

„Ich muss es Eurer Meinung nach nicht tun, aber ich will es. Ihr seid die Erste, die mich wie ein Lebewesen behandelt. Und deswegen werde ich als Gegenleistung mein Leben Eurem Schutz verschreiben.“

Ich sah zu Heriot. Es schien sein voller Ernst zu sein.

Wenigstens Einer, auf den ich mich immer verlassen konnte.

„Danke.“, sagte ich nur, denn ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.

„Ihr seht erschöpft aus. Warum habt Ihr mich gerufen?“

„Ich…“, ich dachte daran, was Heriot Nero angetan hatte, weil er mich nicht richtig beschützen konnte. Was würde Heriot ihm antun, wenn er erfahren würde, dass er mich nun selbst versucht hat umzubringen?

Dass Nero durcheinander und verwirrt war, würde ihn nicht bremsen.

Er würde ihn umbringen.

„Ich wollte dich nur in der Nähe haben. Du bist mir, seit ich dich befreit habe, nicht von der Seite gewichen und es war einfach komisch, dich nicht mehr zu sehen.“, erwiderte ich und hätte mich am liebsten geohrfeigt. Wie konnte ich nur so feige sein!?

Das bestätigte Neros Worte doch nur.

„Ich dachte, es würde Euch stören. In meinen Studien habe ich gelesen, dass Menschen es nicht mögen, wenn man sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Sie werden sonst paranoid.“

„Ja, kann sein. Aber ich weiß ja, dass du mir nie etwas antun würdest.“, entgegnete ich „Und das du jeden verjagst, der mir etwas antun will.“

Daraufhin tat Heriot etwas Seltsames. Er nahm meine Hand und führte sie kurz an seine Lippen, als würde er mir einen Handkuss geben, ehe er leise und eindringlich sagte:

„Ich werde alle zerquetschen, die Euch wehtun wollen.“
 

Stunden später wurden die Nadeln aus meinem Arm gezogen und Heriot brachte mir meine Kleider. Ich konnte mich anziehen und durfte das Krankenhaus endlich verlassen.

Obwohl die Ärzte sagten, dass ich vollständig genesen würde, bestand Heriot darauf mich zu tragen. Ich sah ein, dass es sinnlos wäre sich gegen ihn zu wehren und beschloss stattdessen, dass ganze doch etwas zu genießen.

Wann bekam man schon einen Bewacher, der sich so um einen kümmerte? Theoretisch wünschte sich doch jedes Mädchen einen starken Beschützer.

Irgendwie.

„Gott sei Dank bist du zurück!“, rief Ciel, als sie mich sah, erleichtert „Wir hatten deinen Begleiter kaum unter Kontrolle…du hättest sehen sollen, wie er das Raumschiff zugerichtet hat.“

Ich stieg aus dem Shuttle ins unterste Deck des Schiffs.

„Wer waren diese maskierten Typen? Wisst ihr das schon?“, fragte ich nur und sah zu Shadow, er ebenfalls aus dem Shuttle stieg.

„Nein. Aber sie waren keine ernst zu nehmenden Gegner.“, erwiderte er und wirkte nachdenklicher als sonst.

„Warum sollten sie die Splitter suchen? Es gibt keine Verwendung für sie, außer, wenn sie alle vereint sind. Anhänger von Eggman sind es auch nicht, immerhin ist er seit Jahrzehnten tot…“

„Irgendwelche Feinde von dir? Offene Rechnungen vielleicht? Oder sie wollen auch die Erde retten und denken, wir sind die Bösen.“, überlegte Pandorra laut und tippte sich dabei ans Kinn.

„Unwahrscheinlich. Immerhin ist der Krieg auch Jahrzehnte her. Und wenn diese Leute die Welt hätten retten wollen, wären sie weder maskiert, noch so aggressiv gewesen.“, der Igel schloss das Shuttle ab „Es war eine ganze Bande. Unkoordiniert und schwach, aber vielleicht waren das nur die Kundschafter. Es könnte noch mehr Ärger auf uns zu kommen.“

„Aber warum sollte jemand nicht wollen, dass wir diesen Planeten retten? Es wäre für alle doch nur das Beste.“, sagte Ciel und ich nickte zustimmend.

„Jeder leidet unter diesen Umständen.“

„Vielleicht nicht. Vielleicht sind einige durch gerade diese Umstände an die Macht gekommen.“, warf Raimi ein „Wir waren nicht überall auf der Welt. Vielleicht gibt es eine Art Herrscher oder so. Und vielleicht will der seine Macht behalten.“

„Herrscher? Über eine mickrige Stadt? Die Städte haben untereinander keinerlei Kommunikationsmöglichkeiten. Man lebt im Untergrund und es gibt nicht einmal mehr Landwirtschaft. Es gibt kein Öl, es gibt kein Gold, es gibt keine Edelsteine mehr. Was sollte man regieren wollen? Ein Heer aus Sklaven und armen Bettlern?“, Shadow schüttelte den Kopf „Nein, das ist unlogisch. Wer auch immer diese Typen waren, sie wollten uns bestimmt nicht davon abhalten, die Welt wiederherzustellen. Es muss um die Splitter selbst gehen. Sie besitzen große Energie, vielleicht wollen sie sie als…Energiequelle für irgendetwas benutzen.“

Ich erinnerte mich daran, wie hell die Splitter geglüht hatten. Vielleicht benutzte man sie als…Lampe?

Oder aber…

„Kann man mit ihnen Strom erzeugen?“, wollte ich von ihm wissen.

„Ja…genau, das ist es.“, erwiderte er nachdenklich „Ich benutze die Splitter für das Raumschiff. Es könnte sein, dass andere diese Splitter benutzen wollen, um ihre Städte wieder mit Strom zu versorgen…“

„Dann haben sie ja nichts Unrechtes vor.“, entgegnete Ciel „Ich meine…sie wollen ja den Menschen was Gutes tun, oder?“

„Ja, schon…aber leider stehen sie uns um Weg.“, sagte Pandorra.

„Wenn wir in die Zeit zurück reisen, braucht man die Splitter nicht mehr um Strom zu erzeugen. Dann wird alles wieder so sein wie früher.“

„Und alle, die jetzt leben, werden nie geboren sein.“, hörte ich Neros Stimme und drehte mich um. Er stieg aus dem Fahrstuhl.

Und sobald die anderen ihn entdeckten, merkte ich, wie sich die Stimmung schon wieder senkte.

„Was willst du damit sagen?“, fragte Ciel ihn und runzelte die Stirn.

„Das, was ich gesagt habe. Alle die jetzt auf diesem Planeten leben, werden nie geboren sein. Man kann das positiv oder negativ sehen.“

„Willst du etwa behaupten, dass es besser wäre, wenn wir nichts tun!?“, fauchte Raimi bissig.

„Nein. Aber wir sollten unsere Taten nicht so hoch stellen, immerhin töten wir damit sozusagen Milliarden Menschen und Mobianer. Es gibt bestimmt auch Leute, die ein glückliches Leben haben und es gerne weiter hätten.“, erwiderte er und ich merkte, wie meine Hände anfingen zu zittern, je näher er kam.

Was machte er schon wieder? Legte er es wirklich darauf an, dass alle ihn hassten?

„Es gibt einen Unterschied zwischen Töten und nie Geboren.“, mischte sich da zum ersten Mal Heriot ins Gespräch ein.

„So kann man sich das Ganze auch schön reden.“, Nero grinste und machte eine ausschweifende Bewegung „Aber du weißt es bestimmt besser, immerhin warst du auch im Krieg dabei, stimmt’s, Großer? Ich frage mich, wer mehr Leute umgebracht hat, du oder der schwarze Todesschatten neben dir?“

Shadows Hand zuckte unmerklich und ballte sich zur Faust.

„Ja richtig, den Namen hattest du im Krieg, oder? Du warst der skrupellose Rebellenführer. Sonic hat den Kampf nur verloren, weil er seine Freunde schützen wollte – Du hast da genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Ohne Rücksicht auf Verluste bist du gegen Eggman angetreten, bis alles auf dich zurück kam und du am Ende alles verloren hast. Du bist aus Scham in den Untergrund geflohen und hast dich versteckt. Dass die Leute dich trotzdem wie einen Helden feiern, verwundert dich, nicht wahr? Daran sieht man wie verzweifelt sie sind. Egal wie viele Städte du im Krieg geopfert hast…“

Im nächsten Moment spürte ich einen starken Luftzug neben mir und blinzelte.

Nero stand in der Mitte des Raumes. Seine Hand hatte sich um die Klinge geschlossen, die knapp vor seinem Hals zum Stillstand gekommen war.

„Zu langsam.“, bemerkte er nur mit schmalen Augen, die ihm ein bestialisches Aussehen verliehen.

Heriot Mundwinkel zuckten kurz.

Blut lief an der Klinge entlang und auf seine Hand.

„Es reicht! Geht mir alle aus den Augen!“, knurrte Shadow gereizt und ich sah zu ihm.

Er sah mich wütend an und ich wusste auch warum. Er war sauer, weil ich Nero auf das Schiff gezogen hatte. Gehen konnte er ihn nicht lassen, denn er wusste zu viel. Doch töten könnte er ihn auch nicht, denn er wusste wohl, dass ich etwas dagegen hätte.

Aber warum lag mir Nero trotzdem noch am Herzen?

Ich hasste mich dafür, dass ich ihn nicht hassen konnte. Ich stand in seiner Schuld, doch das wollte ich mir nicht eingestehen.

„Nero.“, sagte ich nur und er sah auf. Seine Augen waren wieder so erschreckend leer und sein Griff um die scharfe Klinge verstärkte sich.

Blut tropfte zu Boden.

„Wir müssen reden.“

„Ach ja? Und was ist, wenn ich nicht will?“, erwiderte er bissig „Ich lasse mich nicht so dressieren wie dein Hund da.“

Heriot gab keinen Ton von sich, doch allein an seinem Schweigen erkannte ich, wie gerne er ihm jetzt den Kopf abreißen würde.

„Heriot, bring ihn in mein Zimmer.“

Im nächsten Moment zog er sein Kurzschwert aus Neros Hand, schlug ihm ins Gesicht und verpasste ihm einen Tritt in den Bauch.

Er stolperte, fiel nach hinten und blieb regungslos liegen.

„Danke!“, rief Raimi seufzend „Ich mag dich immer mehr, Heriot.“

„Ich verstehe nicht, warum er so drauf ist. Als wäre ihm sein Leben komplett egal.“, sagte Ciel nervös und sah zu dem ohnmächtigen Nero „Ich meine…niemand, der auch nur ein wenig an seinem Leben hängt, provoziert Shadow oder Heriot so sehr. Das ist doch…auf Dauer ungesund…“

„Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Früher war er nicht so.“, murmelte ich bloß und beobachtete, wie Heriot ihn packte und sich über die Schulter warf – Und das nicht gerade sanft.

Ich ging zögerlich zu ihm und musterte die Wunde an Neros Hand. Sie war erschreckend tief und das Blut schien gar nicht mehr aufhören zu fließen.

„Raimi, kannst du mir einen Verband geben? Er versaut noch den ganzen Boden.“, fragte ich sie sachlich. Sie nickte und kramte in ihrer Tasche herum, bevor sie mir die Rolle – wenn auch widerwillig – zuwarf.

Shadow massierte sich die Schläfe und ging sichtlich entnervt zum Fahrstuhl, genau wie Heriot und ich.

Ich drückte auf den Knopf zum Crewdeck und versuchte Shadow nicht in die Augen zu sehen.

„Behalte ihn unter Kontrolle.“, sagte er noch gereizt zu mir „Sonst töte ich ihn, egal ob du was dagegen hast oder nicht.“
 

Nero wachte erst eine halbe Stunde, nachdem ich ihn auf mein Zimmer bringen ließ, auf. Er hob den Kopf und hustete erst mal Blut, bevor er die Augen aufbekam.

Heriot hatte ihn – Nicht besonders sanft – auf den Boden vor meinem Fenster gelegt und stand nun neben meinem Bett, auf dem ich saß.

Im Nachhinein war ich wirklich froh auf Heriot gehört zu haben, denn wenn ich Nero hier hingelegt hätte, wäre wohl alles voller Blut.

„Mieser…Bastard…“, knurrte er und hustete wieder „Dich…mach ich…fertig…!“

„Du machst niemanden fertig!“, fauchte ich wütend „Entschuldige dich lieber! Du bist doch derjenige, der Shadow so in den Rücken gefallen ist! Sei froh, dass er dich nicht auseinander genommen hat!“

„Auseinander genommen? Dein Igel tut doch nichts ohne dein Einverständnis“, Nero wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Seine weißen Haare waren rot gefärbt.

„Du hältst dir die Beiden wie Hunde! Wenn er mich hätte töten wollen, hätte er es längst getan.“

„Halt bloß die Klappe! Immerhin machen sie sich auch über ihre Handlungen Gedanken! Und die Folgen, die da hervorkommen! Nicht jeder ist so egoistisch wie du!“

„Ich bin egoistisch?“, seine Augen wurden schmaler „Ja, kann sein. Aber du bist keinen Deut besser als ich.“

„Ich bin viel besser als du! Ich…“, ich stockte und merkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Ich wischte sie mir nicht gerade sanft weg.

„Ich würde nie…“, versuchte ich es wieder, konnte aber den Satz nicht zu Ende führen. Er hatte doch Recht. Er als einziger wusste von meiner schlimmsten Tat und setzte dieses Wissen nun gegen mich ein.

„Ich hasse dich!“

Nero stand auf und ich dachte, er würde nun endlich gehen, doch er blieb stehen.

„Gut so.“, entgegnete er bloß.

Ich schloss die Augen und versuchte mich wieder zu beruhigen, damit ich ihm nicht sein ruhiges Gesicht entstellen würde, aber es funktionierte nicht. Meine Hände fingen an zu zittern und ich presste sie mir an die Brust.

„Ich wäre froher, wenn ich dir das auch glauben könnte.“, fuhr er nach einer halben Ewigkeit fort. Er ignorierte Heriots angespannte und drohende Haltung, als er zu mir herüber schritt und seine Hände auf meine Fäuste legte.

„Warum willst du, dass ich dich hasse?“, fragte ich nur mit erstickter Stimme und zog sie weg.

„Weil ich dich nicht mehr enttäuschen will. Wenn du nichts von mir erwartest, habe ich auch nichts zu erfüllen.“

„Wenn du für Nichts lebst, wirst du auch für Nichts sterben.“

„Immerhin sterbe ich dann diesmal mit dem Wissen, dass du nicht traurig sein wirst.“, seine Augen waren so schwarz wie der Abgrund seiner Seele. Doch diesmal waren sie nicht leer und glanzlos.

„Ich erinnere mich noch genau an die letzten Momente vor meinem Tod. Du bist die ganze Zeit bei mir geblieben, bis sie mich auf die Oberfläche geworfen haben. Du hast die ganze Zeit geweint und wolltest sogar mit mir auf die Oberfläche, aber die Wächter haben dich nicht hinausgelassen. Du hast selbst gesagt, dass du wegen mir die letzten Jahre nur Albträume hattest.“

„Das klingt so, als würdest du wieder gehen.“

„Das werde ich auch. Nicht freiwillig, aber ich werde bald sterben.“, erwiderte er bloß.

Ich spürte, wie sich mein Hals zuschnürte.

„W-Was meinst du damit?“

„Ich bin hier mitgekommen, um mir zu versichern, dass du mich genug hassen wirst, um mich nie wieder sehen zu wollen. Wenn wir dieses Abenteuer hier überleben, werde ich an Krebs sterben. Wenn ich das hier nicht überlebe, sterbe ich immerhin für eine gute Sache.“

„D-Du hast…Krebs?“

„Lungenkrebs. Der Arzt gab mir noch höchstens 2 Jahre, wenn ich das Rauchen lasse. Wenn nicht, dann ein Jahr, wenn‘s hoch kommt. Marik…Jatima, ich wollte dich finden um dich davon zu überzeugen, dass ich nichts wert bin. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du nur schwer Dinge loslassen kannst, die dir ans Herz gewachsen sind.“

Ich schluckte schwer, als ich den Namen hörte.

Jatima…
 

„Und von wem hast du dieses Bastardskind!? Du widerst mich an! Ekelhaftes Weib! Du hättest dich schon längst erhängen sollen, anstatt diese Familie mit deiner H*reirei zu beschmutzen! Ich werde dir zeigen was es heißt, mich zu betrügen!“


 

„Nein, nein, nein, nein, Nein, Nein, NEIN!“, schrie ich und hielt mir die Ohren zu. Meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen und ich kniff die Augen zusammen.

„Diesen Namen kenne ich nicht! Ich bin Marik! MARIK! Diese abscheulichen Dinge sind nie passiert!!!“
 

„Sieh nur, Jatima! Was für eine schöne rote Farbe die über den Boden fließt! Komm her, ich zeige dir wie man Rosen malt!“

„Wa-Was ist…m-mit Ma-ma…?“

„Sie ist leider krank, meine Kleine. Sie hat sich etwas hingelegt, verstehst du? Aber sie hat es nicht mehr ins Bett geschafft und ist auf dem Boden eingeschlafen. Du brauchst keine Angst haben, ihr geht es gut. Los, du kannst ihr die Augen schließen. Die Ärmste war ja so müde, da habe ich sie schlafen geschickt.“
 

„Marik! MARIK!“, ich spürte, wie Nero mich schüttelte und riss die Augen auf. Ich starrte ihn lange an und erkannte erst dann, dass er es war.

„Was ist los? Warum schreist du so?“, fragte er und ich hielt mir die Hände vor den Mund, um nicht gleich wieder zu schreien oder zu schluchzen.

„I-Ich h-heiße Ma-Marik…“

„Ja, du bist Marik. Was ist denn nur los?“

Ich schniefte und versuchte meine Atmung wieder zu beruhigen.

„Ent-Entschuldigung…e-es ist nur…“

„Hat es was…mit dem Vorfall zu tun?“, Nero runzelte die Stirn. Er klang vorsichtig und erwartete wohl, dass ich gleich wieder schreien würde, doch ich schaffte es ruhig zu bleiben.

Einigermaßen.

„J-Ja“, erwiderte ich nur und merkte wie stark ich zitterte.

Dieser „Vorfall“, der mein ganzes Leben veränderte.
 

„Warum ist es falsch, jemanden zu lieben?“
 

„Du musst dich deiner Vergangenheit stellen, Marik. Du kannst doch nicht ewig weglaufen.“, sagte Nero bemüht sanft „Das hast du mir doch auch gesagt.“

„I-Ich weiß…“, ich wischte mir mit zittrigen Fingern über die Augen, um die Tränen loszuwerden.

„Ich weiß nur den Teil, den ich mitbekommen habe. Ich würde gerne den Rest hören.“

„A-Aber…“, allein der Gedanke schmerzte.

Die ganze Geschichte…eine miese Seifenoper, bei der kein Auge trocken blieb. Mein ach so fröhliches Leben, das abrupt endete.

„Woher hast du deinen Namen?“, fragte er, um mir einen Anfang zu geben.

Ich biss mir auf die Lippe. Ich würde keinen einzigen Satz ohne Schluchzer und Tränenausbrüchen rausbekommen.

Aber vielleicht…konnte ich mich an die Wut halten. Trauer machte schwach, Wut machte stark.

Wenn auch nur für kurze Zeit.

„V-Von meinem Vater. Das war das Einzige, das ich von ihm bekommen habe. Das und ein Haufen Scherben.“, sagte ich und versuchte so wenig wie möglich zu stammeln. Ich atmete tief durch und versuchte jede Art von Flashback und Erinnerungen zu vermeiden, doch das ging nicht.

Immer wieder spielten sich die Bilder vor meinem inneren Auge ab.

Meine Mutter, die blutend am Boden lag, verdreht und mit aufgerissenen Augen.
 

„Ich werde dir zeigen, was es heißt, mich zu betrügen!“
 

„Ich bin das Ergebnis der schändlichen Vergangenheit meiner Mutter. Das war der Grund, warum mein Vater mich hasste.“, erzählte ich bitter „Ich bin eine Missgeburt. Er hätte mich getötet, weil er meinen Anblick nicht ertragen konnte.“

„Du bist keine Missgeburt. Du kannst doch nichts dafür, wenn du das Kind eines anderen bist!“, erwiderte Nero sofort und stützte den Ellenbogen auf sein Knie auf „Das ist wie mit diesen…“

„Bastarden.“

„Ja. Genau. Diese >Bastarde< sind Kinder von Mobianern und Menschen, na und? Noch lange kein Grund, sie auszustoßen.“

Ich schloss die Augen und nickte leicht.

Bastarde…in dieser Welt gab es überall nur ein einziges Gesetz: Es dürfen niemals Menschen mit Mobianern Kinder zeugen. Sollte so etwas doch passieren, wurden sogenannte >Bastarde< geboren, meistens behindert oder unfähig jemals richtig leben zu können. Ich verstand dieses Gesetz, denn immerhin grenzte es schon an Grausamkeit Kinder zu gebären, die weder Arme noch Beine hatten, denen die Kniescheiben fehlten, die nicht mit ihren Kräften umgehen konnten und sich verletzten…es gab so viele Probleme mit Bastarden.

Doch wenn es doch einmal passieren sollte…dann sollte man sie nicht ausstoßen, man sollte sich um sie kümmern. Sie konnten nichts dafür, dass sie geboren wurden. Ihnen mit Hass zu begegnen ist sinnlos und ungerecht.

Nur, weil sie rote Augen, nur, weil sie behindert sind, nur, weil ihnen etwas zur Normalität fehlt…

„Als Sünde geboren zu werden, so ein Unsinn!“, murmelte ich nur und sah zu Boden „Wer bestimmt denn noch…was in dieser Welt richtig oder falsch ist…?“

„Immer noch die Mehrheit. Im Grunde hängt doch alles mit dem Mainstream zusammen. Wenn die meisten nur mit Mobianern zusammen wären, wäre das normal. Wenn die meisten Leute Inzest betreiben würden, wäre das auch normal. Und wenn die meisten Menschen Bastarde wären…“, fing Nero an und steckte sich eine Zigarette in den Mund „…dann wäre auch das völlig normal.“

„Ja…das kann sein…“, ich seufzte und blickte auf.

„Die zündest du jetzt aber nicht an, oder?“

„Nö. Sonst geht der Rauchmelder an. Aber mit einer Zigarette im Mundwinkel sieht man doch angeblich cooler aus, oder?“

Es erstaunte mich immer wieder, wie Nero es schaffte bei jedem deprimierenden Thema sofort abzuschalten.

„Du bist so ein Idiot.“

„Ich weiß.“, er grinste leicht „Aber du solltest die Dinge, die dich nicht betreffen, dir nicht so zu Herzen nehmen. Herumsitzen und es bedauern ändert leider nichts. Und wenn du nur über die deprimierenden Seiten des Lebens nachdenkst, wirst du depressiv. Also denk an was fröhliches, dann gewöhnt sich dein Gehirn an diesen Spaßfaktor und du wirst nie wieder traurig!“

„Versuchst du das immer?“

„Ich bin der Letzte, der das kann. Aber ich kann es immerhin lange genug, um Andere aufzumuntern.“, entgegnete er bloß und ich lächelte schwach.

So, wie er vor mir saß, mit der Zigarette im Mund und dem unbekümmerten Grinsen…da war es fast wieder so wie früher. Wie früher, wenn er jemanden verprügelt hatte, der mich geärgert hatte und sich im Nachhinein entschuldigte, obwohl es ihm nie leidtat. Ich wollte nicht, dass Leute wegen mir verletzt wurden.

Egal, ob ich sie nun mochte oder nicht. Es waren genug Leute wegen mir gestorben.

„Was…machen wir nur immer falsch…?“, fragte er plötzlich mit einem unergründlichen Lächeln, während er sich mit dem Glimmstängel auf das Handgelenk tippte.

„Wie…wie meinst du das…?“

„Ich weiß, dass du mich liebst und du weißt, dass ich dich liebe. Aber ständig lassen wir uns von irgendeiner Tatsache blockieren. Früher war es die Tatsache, dass ich viel zu alt für dich war und jetzt…jetzt, dass ich dir so wehgetan habe.“, er grinste bitter „Ich bin kein Märchenprinz und du keine Prinzessin. Für uns gibt es nie ein Happy End.“

Ich sah zu Boden. Er liebte mich…so direkt hatte er es mir noch nie gesagt.

Natürlich hatte ich es irgendwie gewusst. Die vielen Prügeleien wegen mir, weil mich Typen belästigten…aber Nero hatte doch immer wieder mal Freundinnen, oder?

„Wenn du mich wirklich geliebt hast…warum hast du dann immer wieder mal mit anderen Mädchen herumgemacht?“, wollte ich wissen „Wenn du wusstest, dass ich dich geliebt habe…dann wusstest du doch auch, dass mich das verletzt.“

„Ich habe versucht, dich mir auszureden und andersrum. Mein Gott Marik, du warst 14 und ich 20! Aber trotzdem…ich bin dich nie losgeworden. Diese ganzen anderen Mädchen waren bloß Ablenkung. Ich wollte nicht einmal eine Andere wollen als dich.“

Ich schwieg bloß. Natürlich verstand ich es…ich war damals erst 14 gewesen. Ich dachte auch, dass es nur so eine Phase wäre, dass ich ihn nur lieben würde, weil er mein einziger Freund war.

Doch zwei Jahre später, als ich 16 war, war dieses Gefühl immer noch da. Ich hatte mir geschworen, zu warten bis ich 18 war. Denn da war es gesetzlich egal mit wem man zusammen war.

„Und jetzt sind wir am gleichen Punkt wie vor 3 Jahren.“, sagte er nach einer Weile

„Was nun?“

Kapitel 18 - Farewell

Kapitel 18 – Farewell
 

Nero saß vor mir auf dem Boden, das linke Bein ausgestreckt und das rechte aufgestellt. Er kaute nachdenklich auf seiner Zigarette herum und stützte seine Hand am Boden ab.

„Was nun?“, fragte er einfach nur.

Mit Nero zusammen zu sein, war wie gefangen zu sein. Wir standen Rücken an Rücken zueinander, eingewickelt in Stacheldraht. Es tat weh beieinander zu sein, aber zu versuchen voneinander wegzukommen, tat noch viel mehr weh.

Es war Schicksal für immer miteinander zu leiden, egal ob nun zusammen oder alleine.

„Geteiltes Leid ist halbes Leid.“, erwiderte ich deswegen. Er hob eine Augenbraue.

„Heißt das nicht Geteilte Freude ist doppelte Freude?“

„Kann auch sein. Aber es passt nicht zu unserer Situation.“, ich seufzte „Nero…ich weiß nicht, was ich von dir halten soll. Erst…bist du so nett wie früher und dann…machst du so was wie vorhin oder heute Morgen. Ich würde gerne sagen, dass das alles nicht wichtig ist, aber das kann ich nicht.“

Er schwieg und sein Blick huschte kurz zur Decke, was auch früher schon getan hatte. Das war ein Anzeichen dafür, dass ihm diese Tatsache schmerzte.

Sehr sogar.

„Ich geh‘ eine Rauchen.“, sagte er dann nur und stand auf.

„Ich…es tut mir leid.“, murmelte ich noch, weil ich fand, dass es irgendwie richtig war sich zu entschuldigen. Auch wenn er doch selbst Schuld war.

„Kein Problem. Bin selbst schuld.“, antwortete er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Er hob noch kurz die Hand im Vorbeigehen zum Abschied und verließ mein Zimmer.

Die Luftschleuse schloss sich mit leisem Zischen.

Ich starrte noch kurz auf die Tür, ehe ich mich seufzend abwandte.

Und mir Heriot einfiel.

Fast schon panisch blickte ich mich um.

Hatte er alles mit angesehen? War er noch hier?

Doch von ihm war keine Spur zu sehen. Erleichtert seufzte ich.

Es wäre mir peinlich, wenn er das gerade gesehen hätte. Es war wir sowieso peinlich, dass ich mich gerade so mit Nero unterhalten hatte.

Wie konnte ich auch nur eine Sekunde lang glauben, wir könnten zusammen sein? Nach allem, was er gesagt und getan hatte? Es wäre purer Wahnsinn.

Ich lachte bitter.

Wie sehr ich damals diese billigen Soaps gehasst hatte. Liebesbücher wie Romeo und Julia, Bella und Edward…verbotene Liebe. Und einer stellte sich dämlicher wie der Andere an.

Man glaubte immer, man würde sich anders verhalten. Es besser machen.

Doch die Wahrheit war, dass man selbst nie in einer solchen Lage war. Man lacht über die Protagonisten und ihre Unfähigkeit bei der Liebe.

Was ist so schwer daran zu lieben? Warum findet man nicht ganz einfach zueinander?

Lächerlich. Die vielen Umwege, die schmerzhaften Erfahrungen, die Lügen…

Aber man glaubte ja immer, man würde alles besser machen.

Tatsache ist aber, dass jeder, der noch nie in einer solchen Lage war, einfach den Mund halten sollte. Warum begeht man Selbstmord, weil der Andere tot ist?

Ich konnte es verstehen. In dieser Welt…in meiner Welt, würde ich lieber mit der Person sterben, die ich liebte. Was brachte es einem, alleine und einsam zu sein? Von aller Welt verachtet und gemieden?

Ja, jeder machte sich über Romeo und Julia lustig. Über ihren sinnlosen Tod, über diese kitschige Schmierenkomödie, die sie Leben nannten. Doch die Liebe, die sie füreinander hatten, begleitete sie bis in den Tod. Das eigene Leben für das des Anderen geben.

Niemand konnte sich so eine Liebe vorstellen. Und jeder, der noch nie in einer solchen Lage war, sollte still sein.

So etwas wie reine, bedingungslose Liebe gab es nicht.

In der Realität gibt es kein Happy End. Nicht in dieser Realität.
 

Ich drückte auf die Taste im Fahrstuhl, die zur Shuttlebucht führte. Dort gab es auch einen kleinen Fitnessraum, wo man trainieren konnte. Shadow benutzte ihn wohl am häufigsten, weswegen ich dort nach ihm suchte. Ich wollte mich für die Aktion mit dem Foto entschuldigen, für Nero und für meine Unfähigkeit.

Es gab so viel, für das ich mich entschuldigen musste.

Die Fahrstuhltür glitt auf und gab mir den Blick auf den runden Raum frei. In der Mitte stand ein Holzblock, bei dem ich nie wirklich wusste für was er gut war. Er war fast 2m hoch und spröde. Neben ihm standen irgendwelche Trainingsgeräte…ich kannte mich da nicht sonderlich gut aus.

Doch ich konzentrierte meinen Blick nur auf den Holzblock, während ich aus dem Aufzug stieg.

Heriot stand mit dem Rücken zu mir gewandt und schlug immer wieder auf ihn ein, meistens frontal oder von der Seite. Es zeigten sich schon Risse und einige Teile waren abgesplittert und in der näheren Umgebung verteilt.

Holzspäne wirbelten auf, wenn er wieder zuschlug und ich machte ein paar Schritte auf ihn zu.

„Ähm…Heriot?“, fragte ich etwas unsicher. Er reagierte nicht.

„Bist du…sauer auf mich?“, fuhr ich fort, da er irgendwie…aggressiv wirkte.

„Nein.“, entgegnete er da bloß und fuhr fort Kerben in das Holz zu schlagen.

„Was…was machst du dann da?“

„Ich trainiere.“, antwortete er ungerührt. Er ließ die Fäuste sinken, doch im nächsten Moment riss er den rechten Fuß hoch und trat seitlich gegen den Block – Der mit lautem Krachen abbrach und weggeschleudert wurde.

„S-Sicher dass du nicht sauer bist???“, ich starrte das Überbleibsel an und sah dann zu ihm.

Heriot drehte sich um und senkte leicht den Kopf, um mich anzusehen.

„Ja.“

„Und warum hast du dieses…Trainingsgerät kaputt gemacht?“

„Ich weiß es nicht. Ich trainiere.“

„Aber du hast gerade dafür gesorgt, dass du nicht mehr trainieren kannst!“, erwiderte ich ungläubig „Das macht man doch nicht einfach so!“

„Tatsache.“

„Heriot! Wenn du ein Problem hast, dann sag es mir! Bitte…“, fügte ich noch etwas leiser hinzu „Ich mache mir Sorgen um dich.“

„Mir ist…nur nicht gut. Ich hatte das Bedürfnis zu trainieren.“

„Was genau stimmt denn nicht? Ist dir übel? Bauchschmerzen?“

„Nein…es ist eine Art brennen…und ich bin angespannt…und unruhig…ich habe das Bedürfnis etwas zu töten, mit bloßen Händen.“, erklärte er und klang dabei erstaunlich sachlich.

Ich hob eine Augenbraue.

„Sehr beruhigend das zu hören. Ich bin nur mit Psychopathen befreundet oder was?“, seufzte ich ironisch.

„Ich bin ein Psychopath?“

„Nein…nein, das war ein Scherz.“, sagte ich und runzelte die Stirn „Wenn ich das richtig verstehe…dann bist du wütend.“

„Wütend?“

„Ja. Wut ist eine Emotion.“, ich fühlte mich, als müsste ich ihm alle Arten von Emotionen beibringen.

Es war seltsam einem menschlich aussehendem Kerl erklären zu müssen, was Gefühle waren.

„Man wird wütend, wenn einem was nicht passt oder man enttäuscht wird. Es gibt sehr viele Arten von Wut…aber sag mal, du bist doch nicht zum ersten Mal wütend?“

„Es ist das erste Mal, dass ich wütend bin. Sonst spiegle ich Eure Wut wider. Ich sehe, dass Ihr wütend seid und reagiere angemessen. So etwas wie eigene Emotionen empfinde ich nicht. Es wurde mir nicht einprogrammiert.“

„Heriot, du bist kein Roboter! Du hast einen freien Willen und kannst der sein, der du sein willst! Sag bloß, du durftest das noch nie?“

Er senkte den Blick. Zum ersten Mal wirkte er…fast schon beschämt.

„Doch. Es war ein Testversuch.“, erwiderte er schließlich nach längerer Zeit.

„Und?“

„Er ging schief.“

„Inwiefern?“

„Das weiß ich nicht. Ich wurde umprogrammiert. An die vorherigen Taten erinnere ich mich nicht.“

Ich sah ihn verwirrt an, fragte aber nicht nach.

Schief gegangen? Wie konnte bei so etwas etwas…schiefgehen? Vielleicht wurde er zu trotzig und seinen Vorgesetzten hatte das nicht gepasst.

Dass es vielleicht noch schlimmer schiefgegangen sei…daran wollte ich nicht mal denken.

Heriot war der Einzige, auf den ich mich vollends verlassen konnte. Da wollte ich mein Vertrauen nicht mit unnötigen Details aus seiner Vergangenheit zerstören.

„Und weißt du auch, warum du wütend bist? Wann hat es angefangen?“

„Als dieser Nero versucht hat Eure Hand zu nehmen.“

„Du bist sauer, weil er…meine Hand nehmen wollte?“, wiederholte ich irritiert „Wieso?“

„Ich will nicht, dass er Euch anfässt. Er ist es nicht wert.“, antwortete mein Beschützer und ich blinzelte.

„Heriot, so sehr musst du auch nicht auf mich aufpassen. Ich kann selbst entscheiden, wer meine Hand nehmen darf und wer nicht.“, erwiderte ich nur und lachte kurz. Dass man ihn so leicht reizen konnte, wusste ich nicht. Es überraschte mich irgendwie, denn sonst wirkte er immer so kalt und geduldig.

Hoffentlich entwickelte er sich nicht zu einer besitzergreifenden Persönlichkeit. Oder wurde so wie Nero.

„Du musst nicht immer gleich wütend werden, wenn ich wütend bin. Es ist deine Wut, du solltest nur wütend sein, wenn man dich persönlich beleidigt oder angreift, verstehst du?“

„Ja.“

„Na dann.“, ich reichte ihm meine Hand „Kommst du mit Essen? Keine Ahnung wie’s dir geht, aber ich habe tierischen Hunger.“

Heriot schien erst gar nicht wirklich zu wissen, was er mit der Hand anfangen soll. Dann aber ergriff er sie.

„Wie Ihr wünscht.“
 

„Ich habe über die Vorfälle der letzten Tage nachgedacht.“, Raimi tippte sich mit dem Löffel an die Unterlippe und ihr Blick wanderte zu der Urne, die auf einem Brett stand, dass neben dem Eingang festgenagelt war.

Von Asche zu Asche. Wir wollten Sichi nicht an einem Ort begraben, den er hasste und er hasste die Welt. Also hatten wir ihn eingeäschert und Shadow hatte das Podest angebracht.

„Es kann doch sein…dass Sichi von diesen Typen umgebracht wurde. Es waren doch mehrere…das wäre doch logisch. Sie haben gegen ihn gekämpft und ihn getötet.“, fuhr sie fort und wirkte nervös „Nicht, dass das gut wäre, aber…“

“Aber es ist besser, als wenn er uns freiwillig verlassen hätte“, dachte ich ihren Satz zu ende.

Ja, vielleicht war es wirklich so passiert. Das würde Neros Aussage widerlegen.

„Bestimmt.“, sagte Ciel zuversichtlich „Jetzt haben wir noch einen Grund mehr, gegen diese Typen zu kämpfen.“

„Aber diese Kerle waren doch eine Lachnummer. Und Sichi war gut im Kämpfen. Er hätte sie besiegen können.“, warf Pandorra ein.

„Oder die, die auf uns gehetzt wurden, waren bloß die Kundschafter. Um unsere Kampfkraft einzuschätzen.“, erklärte Shadow knapp „So etwas tut man öfter. Ich frage mich nur, wer dahinter steckt und was sie bezwecken. Wenn ihr in die Stadt geht, hört euch mal nach ihnen um, vielleicht wissen die Städter ja mehr Bescheid.“

Er warf einen Blick auf seine Karte in der Hand. Es war keine Holografische, was mich irgendwie wunderte. Aber vielleicht musste er nur kurz gucken wo wir waren…auf den Holo-Karten zeigte er uns normalerweise nur das genauere Aussehen der Trümmerstädte.

„Wir sind in der grünen Zone. Das heißt, hier ist die Erde noch am ungefährlichsten. Unser nächstes Ziel ist in der Nähe der Küste.“

„Küste?“, wiederholte ich und sah von meinem Teller auf.

„Ja.“

„Gibt es da ein Meer? Wenn ja, will ich mit!“, rief ich sofort aufgeregt. Er hob eine Augenbraue.

„Wir sind wegen der Splitter dort. Nicht zum Vergnügen.“

„Ich weiß! Aber danach…nur ganz kurz…“

Shadow massierte sich die Schläfen „Meinetwegen…“

„Ich gehe auch mit!“, sagten Raimi und Ciel gleichzeitig.

„Wir können nach der Mission ja alle ans Meer.“, schlug Pandorra vor „Aber…ich glaube nicht, dass wir schwimmen können…auch wenn es eine grüne Zone ist…das Wasser ist bestimmt verseucht. Vielleicht fangen wir uns irgendwelche Krankheiten ein…“

„Ich will nicht schwimmen.“, Raimi hob vorsichtig die Urne vom Podest.

„Ich will seine Asche verstreuen. Er…wollte schon immer mal das Meer sehen. Seit wir klein waren.“

Sie hielt die Vase ganz fest, als hätte sie Angst sie könnte herunterfallen. An ihrem Blick konnte ich sehen, wie sehr sie ihn vermisste.

„Tut was ihr wollt.“, entgegnete Shadow bloß und machte eine wegwerfende Handbewegung. Ich wusste, dass er es nicht böse meinte, obwohl er so distanziert damit umging.

„Aber das geht nur Raimi und Marik etwas an.“, hörte ich Nero noch von seiner Ecke aus murmeln.

„Aber…“, fing Ciel an, doch Pandorra nickte zustimmend.

„Er hat Recht. Wir alle kannten Sichi nicht. Auf eine Beerdigung sollten nur die engsten Angehörigen gehen.“

„Ja. Das denke ich auch.“, stimmte Raimi zu und stellte die Urne vorsichtig wieder an ihren Platz.

Ich seufzte. Zum Glück hatte Nero sich zurückgehalten. Jedes Mal wenn er den Mund aufmachte, hatte ich die Befürchtung es käme wieder zu einer Prügelei.

Aber diesmal hatte er sogar etwas Wahres gesagt. Dieser letzte Abschied ging nur Raimi und mich etwas an. Raimi vielleicht sogar mehr als mich, denn sie und Sichi kannten sich schon lange bevor ich dazu gekommen war.

Er war der Erste gewesen, mit dem sie jemals gesprochen hatte. Die Meisten hatten sie gemieden, weil sie Mobianerin war. Alle außer Sichi.
 

„Hey, schieß mal den Ball zurück!“, rief Sichi zu der kleinen Person hinüber, die zusammengekauert in der Ecke saß. Der abgewetzte Ball blieb einen Meter neben ihr stehen.

„Hey Mann! Taub oder so!?“, murrte er und ging zu ihr. Sie wich etwas zurück.

„Weißt du etwa nicht wie man Fußball spielt? Das da ist ein Ball, der ist rund und den kann man treten.“, sagte er langsam, als wäre sie geistesgestört.

„Ich weiß was ein Ball ist! Nur weil ich Mobianer bin, bin ich nicht dumm!“, entgegnete sie wütend, ehe sie wieder still wurde. Bestimmt bekäme sie gleich Prügel.

„Du bist blöd, weil du’n Mädchen bist. Rasse ist doch egal.“, er hob den Ball hoch und streckte ihr die Zunge heraus.

„Mädchen sind doch eh alle blöd.“

„Mädchen…?“, sie sah hoch zu ihm und blinzelte „Heißt das…du magst mich nicht, weil ich ein Mädchen bin und nicht, weil ich kein Mensch bin…?“

„Ich mag Mädchen nicht, weil sie kein Fußball spielen können. Und heulen tun sie auch ständig!“

„Ich…ich heule nicht. Und ich kann Fußball spielen.“

„Dann los! Geh ins Tor und wir sehen ja, ob du so gut bist wie ich!“, er grinste „Wie heißt’n du?“

„Ich…ich weiß nicht…niemand redet mit mir…“

„Aber du musst doch wohl einen Namen haben!“

„Nein…wie heißt du denn?“

„Die Anderen nennen mich Sichi. Keine Ahnung warum. Dir können wir auch noch’nen Spitznamen verpassen!“

„Aber…die anderen mögen mich nicht…“

„Mich auch nicht. Und jetzt hör auf dich selbst zu bemitleiden und hoch! Ich will noch Tore schießen, bevor ich wieder von den Anderen an einen Stuhl gefesselt werde.“
 

Sichi hatte eine unbeholfene und irgendwie grobe Art an sich. Er war oft viel zu direkt, sagte das, was er dachte geradeheraus und entschuldigte sich nie dafür. Er bemitleidete weder sich noch Andere.

Vielleicht hatte ich ihn deswegen so gemocht.

„Auf die Mission kommen Raimi, Marik und Heriot mit. Pandorra, du gehst in die mobianische Stadt.“, sagte Shadow und rollte die Karte zusammen.

„Wir müssen wieder mit diesen Angreifern rechnen. Vielleicht sind sie auch schon an der Küste. Wir gehen in einer Stunde los, bis dahin müsst ihr fertig sein.“

Wir nickten zustimmend und Raimi hob die Urne vom Podest und steckte sie sich in den Rucksack, ehe sie noch einige Küchenhandtücher nahm, um sie zu polstern.

„Was nimmt man am besten als Waffe mit?“, fragte ich etwas ratlos.

„Ich nehme meinen Stab. Und du hast Heriot.“, erwiderte Raimi und lächelte leicht, wenn auch nicht so unbekümmert wie sonst.

„Ja…da hast du Recht. Auch wenn ich es wirklich nicht mag, wenn man ihn als Waffe bezeichnet. Er fängt an, eine Persönlichkeit zu entwickeln.“

„Echt?“, fragte Ciel überrascht „Er sagt doch immer noch nichts…“

„Er ist eben…eine stille Persönlichkeit. So wie Shadow.“

„Ob man das Persönlichkeit nennen kann…“

Der Igel hob eine Augenbraue und sah zu Ciel, die bloß etwas nervös lächelte.
 

Ich stieg in das Shuttle und hielt mich fest, als es losflog. Ich hasste die Shuttleflüge. Es war wackelig und jedes Mal wurde mir schlecht dabei.

Heriot saß neben mir und schärfte sein Kurzschwert, obwohl es bestimmt schon ein Haar der Länge nach teilen konnte. Er war aber immer der Meinung, dass es nicht scharf genug sein konnte.

Hm. Vielleicht war das ja sein Hobby?

„Also, wie funktioniert normal so eine Mission?“, fragte Raimi etwas aufgeregt und sah auf ihr leeres Radar „Schlägt das an, wenn es diese komische Energie ortet?“

„Ähm…ja. Meistens findet Shadow den Splitter, packt ihn in seine Kiste und dann gehen wir.“, log ich. Von meinen Visionen wollte ich gar nicht erst anfangen…das würde das ganze unnötig kompliziert machen. Vielleicht würde diese Mission ohne Probleme laufen.

„Es ist das erste Mal, dass ich mit Heriot auf einer Mission bin.“, sagte ich motivierter „Vielleicht geht ja alles ohne Probleme.“

Im nächsten Moment ruckelte es heftig und ich wurde ans andere Ende des kleinen Sitzraumes geschleudert. Das Shuttle drehte sich und rumorte, während ich versuchte mein Gleichgewicht wieder zu finden und gleichzeitig von Raimi herunterzukommen. Wir drehten uns auf den Kopf und ich stolperte wieder.

„Sh-Shadow! Was ist los!?“, rief ich panisch.

„Wir wurden von einem Geysir getroffen.“, entgegnete er sachlich „Ich habe euch immer gesagt, ihr sollt euch anschnallen.“

Ich sah zu den Sitzen über meinem Kopf.

Heriot saß immer noch auf seinem Platz, mit verschränkten Armen, als wäre ihm die Schwerkraft gleichgültig.

„Wa-Was machst du da???“

„Ich sitze.“, erwiderte er mit ernster Stimme. Dann aber zuckten seine Mundwinkel.

„Lachst du mich aus?“, fragte ich überrascht.

„Ich dachte, er würde nie lachen.“, meinte Raimi und versuchte ihr Gleichgewicht wieder zu finden „Geschweige denn über dich lachen…“

„Ich lache nicht.“, erwiderte Heriot „Ich amüsiere mich nur.“

„He, ich dachte du würdest aufpassen, dass mir nichts…“, bevor ich meinen Satz zu Ende sagen konnte, drehte sich das Shuttle wieder und ich spürte, wie die Schwerkraft mich wieder von den Füßen riss. Ich kniff die Augen zusammen und wartete auf den Schmerz, doch erstaunlicherweise kam keiner.

Zögerlich öffnete ich die Augen.

„…geschieht?“, beendete er meinen Satz und klang selbstzufrieden.

„Auaaaa…“, meldete sich Raimi von der anderen Seite des Shuttles. Ihr Kopf lag auf der Bank und ihr Körper in einer ziemlich unbequem aussehenden Pose.

„Du hättest ihr auch helfen können“, behauptete ich zu Heriot gewandt.

„Ich habe nur zwei Arme.“

„Stimmt…aber du hast doch bestimmt irgendeine coole Fähigkeit, die ihren Sturz etwas federn könnte, oder?“

„Ich besitze nur physische Stärken. Kraft, Schnelligkeit und Wendigkeit. Mehr nicht.“

„Mir geht’s gut.“, ächzte Raimi bloß und setzte sich mit leicht grünlichem Gesicht wieder auf „Mir ist nur schlecht.“

„Ich sagte, ihr sollt euch anschnallen.“, meldete sich wieder Shadows tadelnde Stimme.

„Du hast das doch mit Absicht getan!“, erwiderte ich.

„Nein. Aber wenn ihr eure Lektion gelernt habt, war das ein Nebenbonus.“

Ich murrte leise, ging aber dann von Heriots Schoß runter und setzte mich hin, ehe ich mich anschnallte.

„Ah ja…danke für’s auffangen.“, sagte ich noch zu ihm gewandt „Und seit wann kannst du lachen?“

„Ich habe nicht gelacht.“

„Deine Mundwinkel haben gezuckt!“

„Das war eine willkürliche Bewegung meiner Gesichtsmuskeln.“

„Du hast gelacht“

„Ich verwahre mich dagegen.“

Ich grinste bloß und schüttelte den Kopf. Eigentlich erwartete ich, dass er auch kurz lachen oder wenigstens wieder eine >willkürliche Muskelbewegung< ausführen würde, doch er blieb so ernst wie immer.

Hm. Hoffentlich dachte er nicht, dass Lachen etwas Schlechtes wäre.

Apropos Lachen…ich hätte ja mal gerne Shadow lachen gesehen.

„Wir landen.“, informierte uns der Igel und ich spürte, wie sich das Shuttle nach vorne neigte. Zum Glück ohne weitere Komplikationen, denn Raimis Gesichtsfarbe zu urteilen, würde sie sich beim nächsten Ausweichmanöver übergeben.
 

Unser Fahrzeug landete direkt am Strand. Der Sand war klebrig und braun, aber kein schmutziges Braun, sondern vielmehr eine beruhigende Erdfarbe. Das Wasser vor uns war dunkelblau und kräuselte sich, wenn es am Strand ankam und sich wieder von dort zurückzog.

Es war viel schöner, als ich erwartet hatte. Ich hatte gedacht, dass das Meer schwarz und tot wäre, sich nichts bewegen würde und der Sand schmutzig.

Doch das hier war fast schon idyllisch.

„Es ist schön hier. Viel schöner als jeder andere Ort, an dem ich jemals war.“, sagte Raimi fast schon träumerisch.

Shadow schnippte ungeduldig mit den Fingern.

„Konzentriert euch. Erst suchen wir die Splitter und dann könnt ihr machen, was ihr wollt.“

„Oh. Okay, du hast Recht.“, ich löste meinen Blick nur widerwillig vom Meer. Heriot schien unbeeindruckt wie immer und sah zu dem Igel, der ein paar Schritte vom Strand wegging und auf den festen, steinigen Untergrund zu. Ich blickte in die entgegengesetzte Richtung vom Wasser.

Diesmal war es keine Stadt. Es war ein alter, zerfallener Spielpark.

Die Stände waren windschief, die Achterbahnen zerfallen und das, was einmal ein Eingangstor gewesen war, lag in Trümmern.

Es sah verdammt gruselig aus. Vor allem, da es anfing zu dämmern, wirkten die Schatten länger und dunkler als sonst.

„Okay, das kommt mir vor wie aus einem schlechten Horrorfilm.“, bemerkte Raimi trocken. Sie schien nicht halb so viel Angst zu haben wie ich.

„Fehlen nur noch zwei kleine Kinder, die synchron reden.“

„Beschwör das Unglück lieber nicht herauf. Ich habe schon genug Albträume“, erwiderte ich bloß und folgte Shadow zögerlich. Heriot lief weiter hinter mir.

Er sah sich aufmerksam um, als würde er erwarten, dass uns gleich etwas aus der Ecke anspringen würde.

„Der Park ist nicht sonderlich groß. Es dürfte einfach werden, den Splitter zu finden.“, meldete sich Shadow an der Spitze der Gruppe und sah auf sein Radar.

„Warum sind die Splitter eigentlich immer in Städten oder Labors oder Freizeitparks? Warum landen sie nicht einfach mitten in der Wüste?“, fragte Raimi.

„Das habe ich mich auch gefragt. Aber anscheinend gehen die Splitter automatisch dorthin, wo sich viel Energie befindet. Also hauptsächlich in Großstädte und ähnliches.“

„Und warum?“

„Die Emeralds sind voller Energie – Genau wie der Maste Emerald. Meine Theorie ist, dass sie sich eine Energiequelle suchen und sie abzapfen, bis sie vollständig aufgeladen sind und sie dann speichern. Werden sie benutzt, verteilen sie sich über der ganzen Erde um ihre Energie neu aufzuladen. Doch momentan scheint es nicht genug davon zu geben, denn die sieben Chaos Emeralds sind leer und der Master Emeralds ebenfalls. Es könnte daran liegen, dass es keinen Strom mehr gibt, aber sie haben schon vor Urzeiten existiert, also kann es daran nicht liegen.“, erklärte Shadow und ich war erstaunt darüber, wie viel er sagte.

„Sonnenenergie kann es auch nicht sein. Immerhin existiert sie noch immer, auch wenn sie uns fast schon verbrennt. Meine Theorie war auch noch, dass es irgendeine Energie sein könnte, die frei um uns herum schwebt…“

„So etwas wie >kosmische< Energie?“

„Genau. Aber die müsste es theoretisch auch noch geben, wenn sie wirklich existieren würde. Und ab da kam ich zu meiner nächsten Theorie.“, er schaltete seine Taschenlampe an, als es dunkel wurde „Was ist, wenn sie ihre Energie aus unserem Planeten ziehen? Unser Planet hat ja anscheinend nicht mehr viel davon übrig. Das allerdings müsste auch heißen, dass sich die Energie unserer Erde nicht mehr regeneriert. Das heißt wiederum, dass bei jeder Benutzung der Emeralds ein Stück unserer Erde verloren geht. Was bedeutet, dass wir dafür gesorgt haben, dass sie immer schwächer wird.“

Ich blinzelte. Bei jeder Nutzung wurde unserem Planeten Energie entzogen…kostbare Energie, die das Gleichgewicht hielt.

Heißt das…die Naturkatastrophen waren Folgen aus dem Energieverlust? Konnte das sein?

Jedes Mal, wenn Sonic die Welt rettete, starb ein Stück mehr von ihr?

„Folglich…an der Apokalypse war nicht nur Eggman Schuld.“, stellte Heriot trocken fest.

„Richtig. Demnach könnte es auch völlig umsonst sein, dass wir diese Splitter suchen. Immerhin brauchen die Emeralds die Energie des Planeten.“, Shadow warf einen Blick auf sein Radar „Ich habe nachgeforscht, woher diese Emeralds kommen. Ich glaube, dass selbst Knuckles nie herausgefunden hat, was sie wirklich anrichten.

Wir sind nicht die Ersten, die diese Emeralds nutzen. Sie waren davor auch schon auf diversen Planeten – Einer nach dem anderen ist wie ein Stern erloschen. Deswegen finden wir kein anderes Leben im All, sie wurden von den Emeralds ausgelöscht. Sie suchen sich die größte Energiequelle, reisen zu ihr hin und absorbieren sie so lange, bis es keine mehr gibt. Dann ziehen sie weiter zum nächsten Planeten.“

„Das heißt…wenn wir in die Vergangenheit reisen…müssen wir nicht nur Eggman vernichten, sondern auch dafür sorgen, dass die Emeralds nie wieder benutzt werden?“, fragte ich langsam.

„Es ist nur eine Theorie. Aber ja, das kann sein.“

„Aber es kann doch nicht sein, dass dieser Weltuntergang von heute auf morgen passiert ist! Das kann doch nicht das Werk der Emeralds gewesen sein, immer hin entziehen sie dem Planeten doch nach und nach die Energie, also sollte er auch eher langsam sterben und nicht von heute auf morgen!“, warf Raimi ein.

„Die Apokalypse hat auch Eggman begonnen. Er ließ Sonics Freunde töten und tötete dann den Igel selbst.“, entgegnete Heriot.

„Warte. Er ließ Sonic töten?“, fragte ich verwirrt „Ich dachte, er hätte ihn selbst getötet.“

„Natürlich dachtet Ihr das. Das sollte jeder denken, denn ein großer Held soll auch von einem großen Gegner besiegt werden und nicht von einem unwichtigen Mitläufer.“

„Aber…wie hat…Eggman…ich meine…nicht mal Eggman konnte Sonic besiegen! Wie konnte dann eine Anderer…“

„Es ist sehr einfach.“, erwiderte der Ninja ruhig „Eggman und Sonic haben sich nie richtig gehasst. Sie haben sogar in gewissen Situationen zusammen gearbeitet. Eggman wollte die Weltherrschaft, Sonic war ein Störfaktor dabei. Das war der einzige Grund, warum sie sich bekämpften. Wenn Eggman ohne seinen Tod an die Weltherrschaft gekommen wäre, hätte er diesen Weg eingeschlagen. Nur ging das nun mal nicht. Also schickte er Sonic skrupellose Söldner auf den Hals, die ihn und seine Freunde vernichteten.“

„Aber…diese Söldner…“

„…hatten keinerlei Ehrgefühl. Sie haben ihn im Schlaf getötet oder als er ihnen den Rücken zudrehte. Ihr dürft euch keinen glorreichen Kampf vorstellen. Es war eine feige Ermordung von hinten. Sonic war von der Bildfläche verschwunden, seine Leiche wurde Monate später gefunden und seitdem gilt er als Held, der im Kampf gegen Eggman gefallen ist. Die Wahrheit interessiert keinen. Er ist eine Legende und Legenden werden nicht von Hintermännern ermordet. Sie sterben in der Hauptschlacht gegen den Anführer.“

„Woher weißt du das alles?“, fragte ich bloß. Die Vorstellung, Sonic könnte von jemand anderem als Eggman umgebracht werden…es gefiel mir nicht. Sonic wirkte dann so…so…schwach.

„Ich war im Krieg.“

„Er hat Recht.“, Shadow nickte leicht „Es war wirklich so. Ich wurde auch nicht von Eggman geschlagen, sondern von einem seiner Männer.“

„Was, du auch noch!?“, ächzte Raimi entsetzt „Wie konnte das sein!?“

„Glaubst du, Eggman könnte selbst die ganze Welt übernehmen? Nein, diesmal hatte er Hilfe. Mächtige Hilfe. Ich weiß nicht, wer er war. Es war nur eine einzelne Person, ein Gehilfe, der ihn diese Schlacht gewinnen ließ. Die größte Schwäche des Doktors war einfach, dass er nur Maschinen benutzte, die nicht selbst denken konnten und sich nicht selbst verteidigen konnten. Er konnte sie noch so mit Waffen vollpumpen, am Ende musste er sie doch immer selbst bedienen. Er hatte entweder gar keine Hilfe oder nur unfähige Tölpel, die auch Maschinen waren. Menschliche Freunde hatte er wohl kaum.

Und dann tauchte er wie aus dem Nichts mit einem so mächtigen Gegenspieler auf. So schnell, dass er mit Sonic mithalten konnte, stark wie Knuckles und schlau wie Tails. Ich habe keine Ahnung, ob er ein organisches Wesen war, aber er war stark. Er war derjenige, der das ganze zum Kippen brachte.“

„Eggman hatte Hilfe? Wie kann nur eine einzige Person den Kampf entscheiden!?“, wollte ich ungläubig wissen „Es war nur Einer!“

„Ein Einziger kann den ganzen Krieg entscheiden. Er war allein, aber das hieß auch, dass er nichts zu verlieren hatte. Auf mich wirkte er so, als wäre ihm sogar sein eigenes Leben egal. Es schien fast so…als ob er nur um des Kampfes willen kämpfen würde. Diese Person war auf Krieg aus, auf nichts weiter. Also ging er zum Doktor, bot ihm seine Dienste an und blieb an seiner Seite. Wenn der Doktor sich gegen den Krieg ausgesprochen hätte, hätte er ihn vermutlich getötet.“

„Hat er denn keinen Namen? Wie hat Eggman ihn genannt?“

„Sein Name war…Assizaar. Er hatte das Zeichen vom Doktor auf der Stirn eingebrannt.“

Ich erstarrte.

Das Zeichen…auf der Stirn eingebrannt???
 

„Tötet sie alle. Wir machen heute keine Gefangenen.“
 

Wie in meiner Vision…mit den Kindern…und dem grausamen Kommandanten, dessen Augen schwärzer als die Verzweiflung waren.

Es hatte ihn wirklich gegeben.

Er hatte diese Kinder wirklich getötet.

„Aber du sagtest doch, dass er Eggman nicht loyal war.“, erwiderte ich bemüht ruhig.

„Er war ihm loyal, solange dieser seine Erwartungen erfüllte. Assizaar hat den Doktor praktisch angebetet. Er war auf Krieg und Blutvergießen aus und der Doktor hatte ihm das ermöglicht.“

„Hast du mit ihm geredet? Hat er dir das erzählt?“

„Er hat geredet wie ein Wasserfall. Er hat mir alles erzählt, während wir gekämpft haben. Es war ihm alles gleichgültig, er hat auch seine eigenen Männer getötet um an Sonic heran zu kommen.“

„Wie kann man nur so grausam sein…“, flüsterte Raimi leise „Wie kann man nur ohne Ziel Kriege führen? Was für eine Person muss man sein, um so mordlustig zu sein?“

„Er war keine Person. Er hatte nicht mal eine Seele.“, entgegnete Heriot.

„Du bist ihm im Krieg auch begegnet?“

„Ja. Oft genug, um zu wissen, was er alles getan hat. Er war der größte Kriegsverbrecher, der je existiert hat.“

„Was ist mit ihm passiert?“, fragte ich.

Shadow zuckte mit den Schultern „Er wird wohl tot sein. Ich denke nicht, dass er unsterblich war. Ich hoffe es.“

Er blieb stehen.

„Stimmt was nicht?“, wollte Raimi wissen, doch er hob die Hand um zu bedeuten, dass sie still sein sollte.

„Wir sind hier nicht mehr alleine.“, sagte er. Ich lauschte angestrengt, doch meine Ohren waren nicht halb so gut wie Shadows oder Raimis.

Ihr linkes Ohr zuckte ein wenig hin und her, als würde sie versuchen unsere Verfolger ausfindig zu machen.

Heriot zog mich ein Stück zur Seite.

„Was ist?“, flüsterte ich ihm leise zu.

„Sie kommen.“

Erst verstand ich gar nicht, was er meinte, doch im nächsten Moment sah ich aus meinem Augenwinkel, wie sich etwas bewegte und rückte hinter Heriot.

Vor uns erschienen zwei maskierte Mobianer. Beide trugen lange, schwarze Mäntel deren Kapuzen ihren Kopf bedeckten. Ihre Hände verschwanden unter den Ärmeln komplett.

„Ihr wieder.“, Shadow stellte sich kampfbereit „Wer seid ihr? Und warum seid ihr hinter den Splittern her?“

Der größere der Beiden hob den rechten Arm. Der Ärmel rutschte nach hinten und gab eine weiße, zierliche Hand zum Vorschein.

Ein Mädchen?

Ihre Fingerspitze fing an zu glühen. Im nächsten Moment schoss ein Speer aus purem Licht heraus, der mich blendete, sodass ich die Augen zusammenkneifen musste. Ich wurde um die Taille gepackt und zur Seite gerissen, landete aber relativ weich auf dem Boden.

Ich öffnete die Augen und blinzelte, um mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen.

„Ich kann nichts sehen!“, rief Raimi und hielt sich die Hände vor die Augen. Sie war noch rechtzeitig zur Seite gesprungen.

Ich hörte ein helles Lachen, wie von einem Kind. Angestrengt starrte ich in die Richtung, aus der das gleißende Licht kam und bedeckte mein Gesicht.

Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz an der Schulter. Ich griff mir an die pochende Stelle und merkte, dass ich stark blutete.

„He – Ich glaube, er hat auf mich geschossen.“, sagte ich verwirrt. Dann aber geriet ich in Panik.

„Er hat auf mich geschossen!“, kreischte ich und spürte, wie man mich wieder um die Taille packte. Heriot wich der Feuersalve, die auf uns zukam aus und warf mich im nächsten Moment hoch. Ich schrie wieder auf, wurde aufgefangen und plötzlich schlitterte ich über den Boden und knallte mit dem Rücken an etwas Hartes.

Ich sah auf und merkte, dass ich in irgendeinem Stand saß.

„Bleib hier.“, herrschte Shadow mich an, ehe er den Vorhang zuzog.

Von draußen hörte ich viele laute Schüsse. Als der Stoff aufhörte zu leuchten, schob ich ihn beiseite. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnten und ich sah die kleine Mobianerin vor meinen Freunden stehen.

Ihre Hand war ausgestreckt und zeigte mit der Handfläche zu ihnen.

Kleine Lichtkugeln bildeten sich und schossen auf Raimi zu, die hastig auswich. Gleichzeitig versuchten Shadow und Heriot sie anzugreifen, doch sie hob die andere Hand und kleine Nadeln rasten aus ihrem Ärmel auf die Beiden zu. Eine der Nadeln blieb in Heriots linken Arm stecken, verschwand dann aber plötzlich spurlos.

Verwirrt beobachtete ich das Szenario weiter. Sein Arm wirkte…er schien Probleme mit ihm zu haben. Er konnte ihn nicht mehr heben.

Eine Art Nervengift?

Und wo war überhaupt der Zweite Kämpfer?

„Ahahaha! Krepiert! Krepiert alle!“, lachte sie und weitere Lichtsperre schossen auf Raimi zu.

Ihre Stimme klang seltsam. Wegen der Maske?

Ich starrte auf mein Radar. Ein kleiner, roter Punkt war zu sehen.

Sollte ich…? Es war nur eine Mobianerin. Meine Freunde würden schon mit ihr fertig werden, bestimmt!

Ich schob den Vorhang beiseite und schlich mich möglichst leise davon. Weder meine Freunde, noch ihre Feindin schien etwas zu bemerken, als ich mich hinter den zerfallenen Gebäuden versteckte um vorranzukommen.

Der Punkt auf dem Radar kam näher. Suchend sah ich mich um, ehe ich den zweiten Kapuzenträger bemerkte.

Er lief weiter vorne, direkt in ein Spiegelkabinett hinein.

Er suchte auch den Splitter. Seine Partnerin diente nur zur Ablenkung.

Kurzerhand folgte ich ihm möglichst leise. Im Kabinett angekommen, stand ich tausenden zerbrochenen, kaputten oder ganzen Spiegeln gegenüber, die alle mich widerspiegelten.

Ich schluckte. Jetzt hatte mich dieser Typ bestimmt bemerkt.

Tatsächlich sah ich auch sein Spiegelbild – Oder das Original? – und er starrte mich an.

Hastig rannte ich in irgendeinen Gang und sah auf mein Radar. Der Splitter war ganz in der Nähe.

Im nächsten Moment sah ich eine schwarze Hand, die nach mir griff. Ich schrie auf und stolperte zurück, geradewegs durch einen zerbrochenen Spiegel hindurch.

Mir gegenüber stand der Kapuzenmann. Als ich aber genauer hinsah, erkannte ich, dass es nur ein Abbild von ihm war.

Ich kroch zurück und sah mich nach allen Seiten um, doch ich konnte nur mich selbst sehen.

Mein Radar lag ein paar Meter weiter entfernt von mir und ich kroch darauf zu. Dann aber bekam ich einen Stiefel in den Bauch und krachte gegen ein Spiegelglas, das in tausend Stücke zersplitterte. Blut lief mir über den Kopf und ich wurde schmerzhaft an meine Wunde an der Schulter erinnert. Ich starrte in die Richtung, aus der der Tritt gekommen war.

Nichts.

Zögerlich stand ich auf, ehe ich einfach losrannte, mir das Radar schnappte und weiterrannte.

Wenn ich schnell war…vielleicht konnte er mich nicht erwischen.

Ich spürte, wie mein Herz vor Angst höher schlug. Bei jedem Abbild von ihm schrie ich erschrocken auf.

Woher wusste er, wo ich bin?

Ich stolperte und fiel geradewegs in ein paar Scherben. Sie schnitten mir in die Haut, aber ich sprang auf und rannte weiter.

Es musste für ihn doch genauso verwirrend sein, wie für mich.

Woher…

Ich wurde langsamer und blieb stehen.

Natürlich…er hörte mich. Ich war viel zu laut.

Vielleicht könnte ich das auch für mich nutzen.

Zögerlich stellte ich mich vor einen Spiegel, der noch komplett war. Der schwarze Kapuzentyp lief in den Abbildern immer wieder an mir vorbei, doch ich konnte bei jedem Übergang erkennen, dass er nicht der Echte war.

Ich blieb weiterhin in meinem Spalt stehen. Warten und überwältigen, dass war mein Ziel. In der Hand hatte ich fest mein Messer umklammert.

Ich wollte ihn nicht töten. Ich wollte ihm vom hinten eins überziehen und ihn ohnmächtig schlagen, aber es war riskant.

Seine schwarze Silhouette erschien vor mir. An einem zerbrochenen Spiegel erkannte ich, dass es diesmal der Echte sein musste.

Möglichst leise sprang ich aus meinem Versteck, als er mir den Rücken zuwandte und versuchte ihn mit meinem Messer zu erwischen.

Er drehte sich um.
 

Mein Handgelenk wurde gepackt. Ich stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, als ich ein widerliches Krachen hörte und sah, wie sich meine Hand verdrehte.

Er hatte nicht fest zugedrückt. Trotzdem waren meine Knochen definitiv gebrochen.

Er ließ meine Hand los und presste seine Fingerspitzen auf meinen Oberarm. Ich spürte, wie sich meine Knochen verschoben, gefolgt von unerträglichen Schmerzen.

Mein eigenes Kreischen hörte ich kaum, mein Körper fühlte sich taub an. Ich blutete, mein rechter Arm war komplett gebrochen und ich stand der Ohnmacht nahe.

Der Kapuzentyp ließ mich los. Ich fiel zu Boden und landete auf meinen gebrochenen Arm.

Der Schmerz schoss nochmal kurz wie eine Hitzewelle über mich, ehe ich nichts mehr spürte.

Mein ganzer Körper war taub.

Ich konnte nur mühsam meine Augen offen halten. Aus einem kleinen Spalt sah ich, wie er sich umdrehte und gehen wollte, wohl davon überzeugt, dass ich ohnmächtig oder tot wäre.

Ich wusste, dass ich unter Schock stand. Deswegen spürte ich auch keine Schmerzen mehr.

Und solange das der Fall war, sollte ich handeln.

Mit der linken Hand fummelte ich nach meinem Messer und sah auf. Der Typ hatte mir den Rücken zugewandt und sah auf mein Radar, dass er aufgehoben hatte.

Ich umfasste den Griff meines Messers und stach ihm mit aller Kraft in die Kniekehle.

Zum Glück waren Mobianer so klein.

Er gab einen erstickten Laut von sich und knickte ein. Wütend wollte er meine Hand packen, doch ich drehte das Messer in seiner Wunde und er jaulte wieder auf.

Blut sickerte aus der Stichwunde und ich zog es mühsam wieder heraus, ehe ich noch einmal zustach.

Er brüllte wütend und erwischte diesmal meine Hand. Er zog an ihr und schleuderte mich von sich. Ich sah noch seinen Stiefel auf mich zu kommen, ehe alles schwarz wurde.

Kapitel 19 - Raimi

Kapitel 19 – Raimi
 

„Mein Gott, Marik!“, hörte ich eine Stimme panisch rufen. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, doch sie waren von Blut verkrustet. Als ich versuchte meine Arme zu heben, spürte ich einen stechenden und brennenden Schmerz.

Mühsam öffnete ich die Augen. Es fühlte sich an, als hätte ich mir dabei ein paar Wimpern ausgerissen, doch das war egal.

„Dein Arm…“, ächzte Raimi. Ich drehte leicht den Kopf.

Mein rechter Arm war zerbeult, blutete heftig und es ragten sogar ein paar Knochensplitter heraus. Ich spürte keinen Schmerz.

Er war komplett taub, wenn ich ihn liegen ließ.

„Ich…ich versuche ihn zu heilen!“, sie kniete sich neben mich und legte mir vorsichtig die Hände auf den verdrehten Arm.

Als ich spürte, wie sich meine Knochen neu ordneten, kam auch der Schmerz wieder.

Ich fing an wie am Spieß zu schreien. Es fühlte sich an, als würde man ihn mir wieder brechen, und einmal war wirklich genug. Hitzewellen schossen durch meinen Körper, gefolgt von Schmerz.

„Aufhören!“, kreischte ich „HÖR AUF!“

Ich spürte wie Hände mich packten und festhielten.

„Sie darf sich nicht bewegen! Marik, es ist gleich vorbei!“

Mir traten Tränen in die Augen. Mein Arm pochte und ich hätte Raimi am liebsten weggeschlagen. Da war mir die Taubheit doch lieber.

Nach einer gefühlten Ewigkeit voller Qualen zog sie die Hände weg. Mir war heiß, mein Arm war verbeult und ich war voller Blut, aber ich war froh, dass sie es getan hatte.

Er war zwar nicht ganz geheilt, aber immer hin konnte ich ihn wieder etwas bewegen.

„Hast du den Splitter?“, fragte Shadow sachlich und Heriot half mir auf – Besser gesagt, er trug mich.

„N-Nein…er hat mich…fertig gemacht…“, presste ich mühsam hervor und spürte, wie wütend ich war.

„Was ist passiert?“

„Das ist doch egal! Er hat mir ins Gesicht getreten. Ins Gesicht. Es tut weh. Dafür trete ich ihm ins Gesicht. Dann kann Heriot ihm den Arm brechen und ich trete ihm nochmal ins Gesicht.“

„Mit Vergnügen.“, erwiderte Heriot und versuchte möglichst meine Verletzungen nicht zu berühren.

„Das heißt, sie haben den Splitter.“, stellte Raimi leise fest „Und das heißt auch, dass wir sie irgendwann suchen müssen, um ihn zurück zu bekommen.“

Shadow schien der Gedanke genauso wenig zu gefallen, wie uns.

Ich sah die drei an. Sie wirkten nicht schlimm verletzt, Raimi hatte ein paar Streifwunden, aber keine allzu tiefen.

Zum Glück war ihnen nichts passiert.

„Wir gehen zurück zum Schiff. Marik muss sich dringend erholen.“, befahl der Igel. Heriot lief los, aber er ging extra so, dass ich keine Erschütterung spürte.

Meine Nase war bestimmt gebrochen, mein Kopf blutete, man hatte mir in die Schulter geschossen, mir den rechten Arm zertrümmert…psychisch gesehen müsste ich total hysterisch sein. Aber ich fühlte mich nicht so.

Ich hatte Schmerzen, aber ich zitterte nicht wie Espenlaub oder weinte.

Vielmehr wollte ich Rache haben für das, was dieser Kerl mir angetan hatte.

Und was er Sichi angetan hatte. Es war nicht die persönliche Schuld dieses Kerls, aber er war ein Teil der Bande, die für Sichis Tod gesorgt hatten.

Wir kamen am Strand an.

„Warte“, sagte ich zu Heriot und er blieb stehen.

„Wir wollten Sichi…doch noch die letzte Ehre erweisen.“

„A-Aber Marik…du bist verletzt…“, stammelte Raimi und ich wollte den Kopf schütteln, doch dann wurde mir schlecht dabei. Zum Glück musste ich nicht laufen, denn dann hätte ich mich übergeben müssen. Vielleicht hatte ich eine Gehirnerschütterung.

„N-Nein, das ist egal. Zwei Minuten halte ich noch aus.“, widersprach ich und ließ mich von Heriot in den Sand setzen. Ich erwartete, dass er mir widersprechen würde und darauf bestünde, dass ich sofort in ein Krankenhaus käme, aber er blieb still. Vielleicht war ihm der Ernst der Lage bewusst und er konnte verstehen, dass Sichi jetzt wichtiger war als ich.

Sie zögerte noch kurz, ehe sie die Urne herausholte.

Shadow ignorierte uns und stieg schon mal in das Shuttle, das weiter weg stand und von den man aus den Strand nicht sehen konnte.

„Beeilt euch. Ich warte höchstens 10 Minuten.“

Heriot blieb neben mir stehen. Da ich nicht laufen konnte, hatte ich auch nichts dagegen.

„Jeder von uns sagt etwas. Zwei Minuten oder so.“, Raimi öffnete den Deckel vorsichtig „Und dann können wir die Asche verteilen. Kann ich kurz…mit ihm allein…?“

„Achso. Ja klar.“, erwiderte ich etwas überrascht. Heriot hob mich hoch und wir entfernten uns wieder, ehe wir ihr den Rücken zudrehten.

Ich hörte das Klappern von Porzellan, als sie die Urne absetzte.

Dann ein leises Flüstern, als sie sich von ihm verabschiedete…und das Knirschen von Sand. Ich runzelte die Stirn.

War sie gegangen?

Ich hörte ein Geräusch, dass an einen heruntergefallenen Teller erinnerte.

Heriot drehte sich mit mir um, bevor ich ihn darum bitten konnte.
 

– 20 Minuten vorher (Raimi) –
 

„Leute! Wo ist Marik!?“, rief Raimi über das Kampfgetümmel hinweg. Sie atmete schwer und starrte das Mobianermädchen an, dessen Handflächen aufgerissen waren und aus dem nun ständig Licht strömte. Es war grell und explodierte förmlich im Kopf, wenn man es auch nur ansah. Raimi wollte gar nicht wissen was passieren würde, wenn sie es abbekäme.

„Ich weiß es nicht. Wir haben größere Probleme!“, entgegnete Shadow barsch. Heriot hingegen drehte sich zu ihr um und schien gleich suchen gehen zu wollen, doch der Igel packte ihn und zog ihn wieder auf seine Position.

„Du bleibst hier! Sie kann auf sich selbst aufpassen und zu zweit werden wir mit diesem Mädchen nicht fertig!“, fauchte er, als im selben Moment helles Licht auf ihn zuschoss und er zurückspringen musste.

Das Mädchen fing an zu lachen wie verrückt und der Ninja warf eins seiner Messer nach ihr. Es streifte ihre Halsschlagader, die Haut riss auf und fing an zu leuchten. Sie presste eine Hand auf die Wunde und stoppte den Lichtfluss.

„Okay, so was habe ich noch nie gesehen.“, sagte Raimi etwas beunruhigt. Sie standen in einem Dreieck um ihre Gegnerin herum, die durch die Unterzahl keineswegs beunruhigt wirkte.

Shadow sprintet auf sie zu und rollte sich zu einer Kugel zusammen, doch bevor er sie treffen konnte, baute sich ein Schild vor ihm auf, der ihn wieder zurückwarf.

Derweil versuchte Raimi sie von hinten zu erwischen und wirbelte ihren Stab, um ihr einen Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen, doch das Mädchen wich aus und sie verfehlte ihr Ziel. Sie spürte, wie ihre Waffe gepackt wurde und von ihr weggerissen, ehe sie etwas scharfes und langes in ihrem Bauch spürte. Raimi sprang panisch zurück und starrte auf die Nadel, die aus ihr herausragte.

Doch im nächsten Moment löste sie sich in Luft auf und keine Wunde blieb zurück.

Sie blinzelte irritiert. Was war das? Ein Ablenkungsmanöver?

Als sie wieder aufsah, konnte sie noch gerade dem Lichtstrom ausweichen, der auf sie zuschoss. Er erwischte einen alten Stand, der augenblicklich anfing zu brennen.

„Mein Stab!“, rief sie Heriot zu, der sich kurz bückte, um ihr ihre Waffe wieder zu geben.

„Vorsicht!“, schrie Raimi, als ein weiterer Strahl in seine Richtung flog. Er hob den Stab auf und wich so schnell aus, dass sie ihn nur noch als Schemen wahrnahm. Als er wieder auf den Beinen war, warf er ihr den Stab zu.

Sie fing ihn auf und starrte ihn kurz an.

Er war so schnell gewesen. Fast schon so wie Shadow…

„Ahahaha!“, hörte sie das Mobianermädchen wieder kichern. Es war das Lachen eines unschuldigen Kindes, das einem Insekt die Flügel herausreißt.

Ein Blitzähnlicher Strahl kam aus ihrer Handfläche und traf Shadow am linken Bein. Er stolperte, fing sich und sprang, ehe er sich zu einer Kugel zusammenrollte und auf sie zuschoss.

Sie streckte die Hand aus und ein weiterer Schild entstand, der ihn zurückwarf.

„Ihr könnt mich nicht besiegen! Ihr seid schwach und erbärmlich! Ahahaha…Haha…ürgh…“, das Mädchen stockte und würgte. Sie krümmte sich zusammen, als hätte sie unsagbare Schmerzen.

Raimi sah sofort ihre Chance. Sie stand am nächsten bei ihr und rannte auf sie zu, den Stab in der rechten Hand, mit der Absicht, ihren Brustkorb zu durchbohren.

„H-Hör auf…zu töten…i-ich will n-niemanden…verletzen…“, hörte sie ihre Feindin noch ächzen. Bevor sie aber abbremsen oder nachfragen konnte, hatte sie schon die Spitze ihres Stabes durch den Rücken der kleinen Person gebohrt.
 

Raimi ließ ihre Waffe fallen, als hätte sie sich daran verbrannt.

Was war das gerade? Was hatte es gesagt?

Es wollte niemanden…verletzen?

„Gut gemacht.“, bemerkte Shadow. Er beugte sich neben die Leiche und durchsuchte sie.

„Ha-Habt ihr das gehört?“, fragte sie etwas erschrocken.

„Was?“, erwiderte Heriot. Er wirkte unruhig.

Bestimmt wollte er Marik suchen.

Shadow hob die Hände zu der Maske. Als er sie abzog, konnte man en Zischen vernehmen, als wäre es eine Gasmaske.

Raimi spürte, wie ihr kalt wurde.

Ein Kind.

Ein kleines, erst 7-jähriges Kind war unter der Maske zu sehen. Entlang ihres hübschen Gesichts sah man Einstichstellen, wie von einer Nadel.

Als sie zu der Maske sah, wusste sie auch warum: Entlang am Rand verliefen viele tausende Nadeln, die sich in ihr Fleisch gebohrt hatten.

„Ein kleines Mädchen?“, stellte Heriot verwundert fest „Die Stimme war kindlich, das wusste ich. Aber ein kleines Mädchen…?“

„Oh Gott.“, flüsterte sie bloß.

Im nächsten Moment drehte sie sich um und übergab sich so lange, bis sich ihr Magen zusammenzog und sie nur noch klare, zähe Galle spuckte.

Sie hatte ein Kind umgebracht. Ein 7-jähriges Kind!
 

“Ich will…niemandem…wehtun…“
 

„Sie hat es nicht freiwillig getan.“, ächzte sie nach einer Weile „Sie hat uns nicht freiwillig bekämpft. Sie wurde manipuliert! Und ich habe sie umgebracht!“

Gegen Ende ihres Satzes wurde sie immer lauter und auch hysterischer.

„Ich habe ein Kind umgebracht! EIN KIND!“

Ihr Kopf ruckte zur Seite, als Shadow ihr eine Ohrfeige gab.

„Beruhig dich. Das ist erbärmlich.“, sagte er ruhig „Es wurde kontrolliert, dass kann sein. Aber es ist besser, dass es tot ist, als wenn es weiterhin gegen seinen Willen mordet, oder?“

Raimi hustete und versuchte nicht wieder in Hysterie zu verfallen. Ein kleines, kleines Mädchen…

„Wir müssen Herrin Marik finden.“, lenkte Heriot vom Thema ab. Sie starrte ihn an.

Marik…was würde Marik zu ihrer Tat sagen? Sie wusste, wie sehr sie Kinder liebte.

Gott, sie betete sie praktisch an. Wäre Raimi für sie ein schlechter Mensch? Eine…Mörderin?

„Wenn es ein erwachsener Mobianer gewesen wäre, wärst du nicht halb so entsetzt.“, bemerkte Shadow bloß und stand auf. Er ließ die Maske fallen.

„Natürlich wäre ich das! Immerhin hat sie uns nicht freiwillig angegriffen!“, protestierte sie wütend „Sie wurde kontrolliert! Ich habe auch gehört, wie gesagt hat, dass sie niemanden mehr verletzen will…“

Heriot schien genug von der Diskussion zu haben. Er packte Raimi am hinteren Teil ihres Kragens, stellte sie auf die Füße und ging los.

„Wir gehen jetzt Herrin Marik suchen.“, stellte er klar. Shadow runzelte die Stirn, sagte aber nichts dagegen und sah sich ebenfalls um.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht war Marik losgegangen, um den Splitter zu suchen.

„Gab es nicht zwei?“, fragte sie dann leiser. Sie machte sich Sorgen um ihre Freundin.

Außerdem hatte sie Bauchschmerzen. Das lag bestimmt an den Schlägen, die sie einstecken musste.

Heriot bog ab und ging geradewegs auf ein Spiegelkabinett zu. Als man Kampfgeräusche daraus hörte, rannte er sofort schneller.

Raimi versuchte mit ihm Schritt zu halten, aber er machte einfach viel zu große Schritte und Shadow…es versteht sich ja wohl von selbst, warum sie nicht mit ihm mithalten konnte.

Als sie dann endlich keuchend ankam, war ihr irgendwie schwindelig. Sie wusste nicht woran das lag, denn die Strecke war nun wirklich nicht so weit gewesen.

„Mein Gott, M-Marik!“, rief sie erschrocken, als sie ihre Freundin blutüberströmt am Boden liegen sah.

Angst erfasste sie. Bitte, bitte, bitte nicht auch noch sie!

Marik zuckte zusammen, als sie versuchte die Arme zu bewegen. Der rechte war grausam verdreht und gebrochen, sodass Raimi fast schlecht wurde. Sie öffnete mühsam die Augen und blinzelte.

Raimi bekam kaum mit, was sie nuschelte. Ihr Arm beschäftigte sie sehr viel mehr.

Wer konnte einem so den Arm brechen? Es sah nicht so aus, als wäre er einfach nur gebrochen. Es wirkte, als wäre er aus dem Inneren zersplittert worden.

Einfach so.

„Dein Arm…“, brachte sie nur heraus.

Sie legte vorsichtig ihre Hände auf die aufgeplatzte Haut „Ich versuche es zu heilen! Haltet sie fest, sie darf sich nicht bewegen!“

Raimi biss sich auf die Unterlippe. Das dürfte nicht nur sehr schmerzhaft für Marik werden, sondern auch extrem Kräfte aufzehrend für sie selbst. Bei ihrem derzeitigen Kräftestand würde es riskant sein, doch sie musste es versuchen, sonst würde sie bleibende Schäden davontragen. Hoffentlich war keiner der Knochensplitter in die Nähe einer wichtigen Arterie gekommen, sie kannte sich mit so etwas nicht sonderlich gut aus.

Ihre Hände fingen an grünlich zu glühen, als ihre Heilkräfte zum Einsatz kamen. Sofort fing Marik an zu schreien und zu zappeln, aber Shadow und Heriot hielten sie unerbittlich fest. Schweißtropfen rannen Raimi über die Stirn, als sie ihre eigene Energie weitergeben musste.

Es war schwer den Energiefluss zu stoppen, wenn er einmal angefangen hatte. Sie musste aufpassen, sonst würde sie am Ende noch daran sterben.

Ihre eigenen Wunden fingen an sich zu weiten und Blut lief ihr über den Arm. Taubheit erfasste ihre Hände und sie wurden kalt.

Mariks Arm verdrehte sich wieder, aber diesmal in eine normale Position. Die Knochensplitter verschwanden und ihre Haut glättete sich.

Raimi zog scharf die Luft ein und versuchte den Energiefluss zu stoppen. Noch kurz strömte er, dann hörte es auf.

Ihr wurde schwindlig. Sicherheitshalber blieb sie neben ihrer Freundin sitzen, versuchte wieder zu Atem zu kommen und sich ihre Anstrengungen nicht anmerken zu lassen.

Die Stimmen ihrer Freunde drangen nur schwach an ihr Ohr. Ihr Hals war trocken und sie zitterte, als sie aufstand um den Anderen zu folgen. Unter Anstrengung schaffte sie es, zu laufen ohne einzuknicken.

Sie wollte nicht, dass man ihr ihre Schwäche anmerkte. Deswegen ging sie immer ein Stück gerader, wenn sich einer der Drei zu ihr umdrehte. Hauptsächlich war das Marik, denn Heriot kümmerte sich nur um seine Herrin und Shadow…dem war es grundlegend egal, was aus einem anderen wurde.

Bei jedem Schritt fühlte Raimi, wie sie schwächer wurde. Schmerz durchzuckte ihren Bauchbereich und ihre Hände wurden einfach nicht wärmer, egal wie sehr sie auch an ihnen rieb.

Das war immer ein schlechtes Zeichen. Sie hatte nicht mehr genug Energie. Sie musste sich ganz dringend schlafen legen oder etwas Essen. Oder meditieren…

Hauptsache…nicht mehr...laufen…

„Warte!“, hörte sie Marik plötzlich rufen.

Heriot blieb stehen und Raimi gezwungenermaßen auch.

„Wir wollten Sichi doch die letzte Ehre erweisen.“, sagte sie.

Die Mobianerin schluckte schwer.

„A-Aber…du bist…verletzt…“, stammelte sie. Sie wollte auch seine Asche verstreuen, doch sie war so unglaublich müde.

„N-Nein, das ist egal. Zwei Minuten halte ich noch aus.“, erwiderte sie bestimmt. Raimi nickte zögerlich.

Wenn Marik das schaffte, würde sie es auch schaffen. Immerhin wurde ihr nicht der komplette Arm gebrochen. Sie hatte nur heilen müssen und hatte ein paar kleinere Verletzungen, da sollte sie nicht gleich so schlapp machen!

„Jeder von uns sagt etwas. Zwei Minuten oder so.“, schlug die Mobianerin vor und holte vorsichtig Sichis Urne aus ihrer Tasche. In ihren kalten Händen fühlte sie sich warm und lebendig an.

„K-Kann ich kurz…mit ihm allein…?“, fragte sie zögerlich. Sie wollte nicht, dass Marik ihre Schwäche sah. Außerdem störte sie es, dass Heriot dabei war, doch er musste seine Herrin tragen, da sie selbst zu schwach zum Laufen war.

Sie gab ihre Bestätigung und ging ein paar Meter weg, ehe sie sich umdrehte.

Vorsichtig stellte Raimi die Urne in den Sand.

Der Schmerz in ihrem Bauch würde größer. Sie spürte, wie ihre Arme auch kalt wurden.

Trotzdem. Nichts war wichtiger, als dieser Moment.

Es war die letzte Chance Sichi all das zu sagen, was sie nie zu seinen Lebzeiten gesagt hatte.

„Hey.“, sagte sie leiser, als sie sich neben die Urne setzte.

Man sollte meinen, dass man sich total bescheuert fühlt, wenn man mit einer Vase spräche. Doch es war nicht so. Für Raimi war es nicht einfach eine Vase, es war ihr bester Freund.

Ihr kleiner Bruder, auch wenn er doppelt so groß war wie sie.

„Ich weiß, dass du kitschige Abschiede hasst“, fuhr sie fort und schaffte es zu lächeln, auch wenn es kein glückliches Lächeln war „Aber du musst dir wenigstens das hier über dich ergehen lassen.“

Die Urne blieb stumm und der Schmerz in ihrem Bauch wuchs.

Sie hustete.

„Du warst für mich…wie ein nerviger, kleiner Bruder, der ständig Sachen kaputt macht. Du warst stur, total unsensibel und du wusstest nie, wann man den Mund hält. Trotzdem…ich hatte dich…so furchtbar lieb…“

Raimi schloss kurz die Augen. Ja…man merkt erst wie sehr man etwas liebt, wenn es nicht mehr da ist. Sichi hatte nie großen Wert auf Gefühlsduselei gelegt – Außer, wenn es um ein Mädchen ging in das er verknallt war. Da wurde er oftmals viel zu aufdringlich und kitschig, aber sonst…er tat zwar so, als wäre er nur der Waffenfreak, aber im Inneren war er genauso weich wie jeder andere.
 

„Hey, wer ist hier weich?“
 

Raimi riss die Augen auf.

Sichi stand grinsend neben ihr, an der Stelle, wo eben noch die Urne gestanden hatte.

Er steckte die Hände in die Hosentasche.

„Du hast gut gekämpft.“, sagte er anerkennend „Auch wenn du dir das Geschnulze am Ende hättest sparen können. Das war ja peinlich.“

„Halt die Klappe.“, erwiderte sie bloß, doch sie musste lächeln.

Die Schmerzen waren verschwunden.

Sie fühlte sich frei und glücklich.

„Können wir dann?“, fragte er und reichte ihr eine Hand.

Ohne darüber nachzudenken, ergriff sie sie. Sie spürte nichts, außer der Wärme seiner Hand.

Er grinste.

Im nächsten Moment fing er an sich aufzulösen, in viele, kleine leuchtende Funken. Raimi merkte, dass dasselbe mit ihr passierte, doch sie ließ seine Hand nicht los. Und nichts auf der Welt könnte sie dazu bewegen.

Sie schloss die Augen und spürte, wie sie sich von innen her auflöste. Wie alle Angst von ihr abfiel, bis nichts mehr übrig blieb…

Und sie verschwand.
 

Lieber Gott…

Nicht einmal mein Leben fühlt sich so real an, wie diese warme Hand…

Kapitel 20 - Emptiness

Kapitel 20 – Emptiness
 

Ich fühlte nichts, als Raimis Leiche verbrannt wurde. Die Flammen züngelten vom brennenden Holz hinauf zu ihrem Körper, leckten daran und verzehrten ihn. Wir hatten eine Art Scheiterhaufen am Strand errichtet und sahen nun zu, wie das Feuer ihren Körper in Asche verwandelte und diese dann vom Wind aus ins Meer geweht wurde. Die Schatten tanzten über unsere Gesichter. Trotz der Hitze war mir eiskalt.

Es war ja nicht so, dass ich es nicht geahnt hatte.

Wir würden nicht mehr lebend hier rauskommen. Es war mir auch egal, ob ich am Leben bleiben würde, denn meine beiden besten Freunde waren nun tot.

Pandorra sagte ein paar tröstende Worte zu mir und versuchte mich aufzumuntern, doch ich starrte nur ins Leere. Ciel sprach mir ihr Beileid aus. Shadow schwieg und Nero kam erst gar nicht zur Einäscherung.

Ich bezweifelte, dass Raimi das gewollt hätte.

Heriot blieb die Zeit über an meiner Seite. Er verjagte die Anderen, wenn sie mich ansprechen wollten, brachte mir das Essen ins Zimmer und sorgte dafür, dass ich keine Wasserfälle heulte.

Trotzdem konnte ich ihm nicht dafür danken. Ich wünschte mir einfach, er hätte mich damals im Freizeitpark liegen gelassen.

Raimis Tod war genau vier Tage her. 96 Stunden, 5760 Minuten, 345000 Sekunden.

Ich erwartete, dass die Albträume zurückkehren würden, doch stattdessen träumte ich nichts. Wenn ich morgens aufwachte, fühlte ich mich nicht traurig, glücklich oder wütend.

Ich fühlte mich leer.

Um die Stunden zwischen Essen und Schlafen zu überbrücken, las ich mir Heriots Befehle durch. Er hatte Ciel gebeten, ihm Papier und Stifte zu kaufen, was sie auch getan hatte. Nun hatte ich fast 30 Seiten voller Befehle, Anordnungen, Verbote und wichtigen Details zu Heriot. Obwohl ich versuchte, sie mir einzuprägen, gingen sie mir sofort aus dem Kopf, sobald ich fertig war mit Lesen.

Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren.

„Pandorra hat sich in ein paar Städten umgehört.“, sagte Shadow und lehnte sich an die Küchenwand.

„Diese maskierten Typen tauchen auch öfter auf, um sich Proviant zu kaufen. Sie sind alle gleich angezogen und wirken ziemlich beunruhigend auf die Bevölkerung. Sie selbst nennen sich TERRA.“

„Viele Leute vermuten, dass sie eine Art Sekte sind. Aber sie haben noch nie jemandem was getan.“, fuhr Pandorra selbst fort „Ungewöhnlicheres gibt es nicht dazu.“

„Das sind ziemlich wenige Punkte.“, bemerkte Ciel nachdenklich. Ich nickte einfach, obwohl ich nicht einmal zugehört hatte.

„Nicht ganz. Ich habe nachgeforscht und habe eine Stadt entdeckt, die nicht ganz so abgeschottet ist. Sie verfügt über moderne Technologie und ist für die derzeitige Situation sehr groß – Und verfügt über Unmengen von Energie. Das Radar vom Luftschiff schlägt immer in diesem Gebiet an. Und da die Splitter nicht von alleine einfach in eine Stadt kommen, vermute ich, dass dort TERRA ihre Finger im Spiel hat. Deswegen werden wir uns dorthin begeben. Wir holen uns diese Splitter und sehen nach, was los ist.“, Shadow rollte die Karte in seinen Händen zusammen. Er sah zu mir, als würde er Einspruch erwarten, doch ich blieb still.

„Marik geht mit Heriot und Pandorra. Ich kann mich in Städten nicht blicken lassen. Ihr unternehmt nichts auf eigene Faust, verstanden? Ihr seht nach, was los ist und erst wenn ich euch etwas anderes sage, dürft ihr in Aktion treten.“

„Aber Marik ist noch nicht bereit wieder loszuziehen!“, protestierte Ciel.

„Nein. Schon in Ordnung.“, entgegnete ich. Pandorra und sie sahen mich besorgt an, doch ich schüttelte leicht den Kopf.

„Ich muss raus aus dem Schiff. Sonst werde ich noch verrückt.“

Die Anderen sahen mich noch lange an, ehe Pandorra schließlich seufzte.

„Gut, ich denke, das wäre besser, als wenn du die ganze Zeit in deinem Zimmer hockst. Was liest du da eigentlich immer?“

„Heriots Gebrauchsanweisung.“, antwortete Ciel für mich. Ich warf ihr einen schrägen Blick zu.

„Ähm…ich meinte seine Regeln. Er hat sie alle aufgeschrieben…es sind fast 40 Seiten, glaube ich.“

„Praktisch so was.“, hörte ich Nero murmeln. Er starrte irgendeinen Punkt über meinen Kopf an und seine schwarzen Augen huschten unruhig hin und her.

„Ich kann sie mir nicht merken. Es sind so viele.“, meinte ich und sah zu den vielen Zetteln in meinen Händen „Aber Heriot kann mir alle Regeln auf Anhieb nennen. Also muss ich sie mir nicht auswendig lernen. Und außerdem will ich ihn dazu bringen, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, weswegen die Regeln wohl ziemlich unsinnig sind…“

„Heriot spricht wenigstens ab und zu von sich aus.“, Ciels linkes Ohr zuckte ein wenig nervös, da sie Angst hatte etwas Falsches zu sagen.

Ich nickte.

Sie schien wohl zu merken, dass meine Redezeit aufgebraucht war und seufzte nur kurz. Tatsächlich schaffte ich es nicht länger mehr mich zu konzentrieren, denn meine Gedanken drifteten immer wieder ab. Wohin wusste ich selbst nicht so genau.

„Ihr geht in heute Abend los. Bereitet euch vor und nehmt das nötigste mit. Ihr bleibt nur zwei Stunden in dieser Stadt, in der Zeit müsst ihr so viel wie möglich herausfinden, verstanden?“, sagte Shadow nur noch zum Abschluss. Er verließ die Küche und ich folgte ihm.
 

„Ihr wirkt so unkonzentriert.“, bemerkte Heriot, als er mir eine Tasse Tee brachte. Ich nahm sie mit zittrigen Händen entgegen und stellte sie dann doch vorsichtshalber auf dem Nachttisch ab.

„Wie meinst du das?“, erwiderte ich bloß und sah von den ganzen Zetteln auf, die verstreut auf meinem Bett lagen.

„Ihr seht euch die ganze Zeit um. Als ob Ihr verfolgt werden würdet.“

„Ich…ich bin ein wenig unruhig, stimmt…“, murmelte ich „A-Aber das ist auch normal…“

„Hat Raimi Euch viel bedeutet?“

Ich schluckte schwer und nickte.

„Sie war…sie war meine…meine beste Freundin…w-wir kannten uns aus dem Waisenhaus…“

„Bei Ihrer Einäscherung habt Ihr nicht geweint.“

„Ja.“, erwiderte ich nur. Wie herzlos musste ich wirken…bei dem Tod meiner besten Freundin nicht zu weinen…

Ich war das weinen leid. Am Ende half es mir nie, es sorgte nur dafür, dass ich mich elend fühlte.

Und das sich Heriot sorgen um mich machte.

„Ihr seid traurig. Trotzdem weint Ihr nicht. Das verstehe ich nicht.“, sagte er und mir fiel auf, dass er sich selbst keinen Tee geholt hatte. Der Tee bestand eigentlich auch nur aus heißen Wasser und irgendwelchen Tabletten, die wohl nach Kräutern schmecken sollten. Das taten sie zwar nicht, aber die Wärme half mir trotzdem.

„Es ist…ich bin das Weinen leid.“, seufzte ich nur und nippte nun doch an der Tasse „Es bringt mir nichts…am Ende bleibt Raimi doch tot…außerdem belaste ich die Anderen nur mit meinem Geheule…vor allem dich…“

Heriot blieb vor meinem Bett stehen und hatte wie immer die Arme verschränkt.

„Ihr könntet mich nie belasten.“

„Doch. Es musste doch nervig für dich sein, wenn du dich so um mich kümmern musstest…das ist für jeden nervend. Ich sorge dafür, dass du kein Kissen hast und ich wecke dich nachts auf, weil ich im Schlaf immer schreie…“

„Ich schlafe nicht. Ich brauche auch kein Kissen.“

„Aber…“

„Nein. Es gibt nichts einzuwenden. Wenn Ihr Hilfe braucht, helfe ich Euch. Aber ich kann Euch nicht helfen, wenn Ihr Euch dagegen wehrt.“, unterbrach er mich und zeigte damit, dass er wieder ein Stück bodenständiger geworden war.

„Ich verstehe Menschen nicht. Es fällt mir schwer, Verhaltensweisen einzuordnen und richtig einzuschätzen. Mein Verstand wurde darauf abgerichtet Angriffe richtig zu berechnen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Mit Emotionen ist es schwerer, weil ich sie nicht berechnen kann. Es wäre eine Hilfe, wenn Ihr Euch nicht verschließen würdet. Auch ohne unterdrückte Gefühle fällt es mir schon schwer genug, darauf zu reagieren.“

Ich blinzelte. Heriot wollte, dass ich meinen Emotionen freien Lauf lasse…damit er besser damit umgehen konnte. Ich hätte nie gedacht, dass er wegen meinen zurückgedrängten Gefühlen mehr Probleme bekäme als ohnehin schon.

Unwillkürlich musste ich lächeln.

Ironie war schon was Komisches.

„Okay.“, sagte ich bloß „Aber beschwer dich im Nachhinein nicht.“

„Ich beschwere mich nicht. Ich übe Kritik aus.“

Ich fragte mich, ob das ein Witz war, doch anscheinend schien er es ernst zu meinen.

„Du bist irgendwie seltsam.“, meinte ich, doch ich hörte nicht auf zu lächeln „Aber auf eine liebe Art und Weise. Es tut mir irgendwie schon leid, dass du so eine schwierige Herrin wie mich abbekommen hast.“

„Mir nicht.“
 

Ich wusste nicht, wie ich die Stunden bis zu unserer Mission überbrücken sollte. Für mich schien die Zeit so unendlich langsam zu vergehen. Also sagte ich Heriot, dass ich alleine sein wollte.

Er nickte das ganze kurz ab, ehe er das Zimmer verließ. Ich glaube, er wollte trainieren gehen oder so. Jedenfalls tat er das oft, wenn ich nicht gerade da war.

Zögerlich verließ ich mein Zimmer und klopfte gegenüber an Neros Tür.

„Herein?“, erwiderte er und ich öffnete die Luftschleuse, in dem ich auf den Knopf an der Seite drückte. Ich wusste selbst nicht so genau, was ich hier wollte.

Aber wenn es um Beschäftigung und Ablenkung ging, konnte er mich am besten auf andere Gedanken bringen.

Auch wenn wir seit unserer Diskussion beim letzten Mal nicht mehr miteinander gesprochen hatten.

„Was gibt’s?“, fragte Nero, als ich es betrat. Er stand am offenen Fenster und rauchte.

„Du solltest das doch lassen.“

„Ich habe das Fenster offen – Der Rauchmelder sollte also nicht angehen. Hoffe ich, sonst killt mich Shadow.“, er blies den Rauch wieder aus.

„Du hast Krebs.“

„Und genau deswegen höre ich nicht auf. Ich bin sowieso schon krank und es gibt keine Hoffnung auf Genesung. Also gönn ich mir die Freude.“

Ich ging zu ihm und schnippte ihm die Zigarette aus den Händen, hinunter in die Tiefe.

„Hey!“, rief er sofort und starrte mich an „Das war meine letzte!“

„Genau. Hör auf damit.“

Nero sah mich noch kurz finster an, ehe er bloß seufzte und sich in die Couch gegenüber von seinem Bett fallen ließ. Sein Zimmer war groß und gemütlich eingerichtet. Abgesehen davon, dass das Bücherregal und die Blumen fehlten, sah es genauso aus wie mein eigenes.

Statt dem Schrank voller Bücher, stand dort ein Schrank mit Flaschen. Ich tippte darauf, dass es Alkohol war.

„Ist das alles von dir?“, fragte ich nur und wies mit dem Daumen auf die kleine Sammlung.

„Jupp. Habe in den Trümmerstädten ein bisschen was gefunden, hauptsächlich Wein. Den Rest habe ich mir gekauft.“

„Warum so viel?“

„Oh, das ist nicht viel. Es waren mal mehr Flaschen.“, er stand auf, ging zu dem Alkoholschrank und zog eine Flasche heraus, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.

„Willst du auch?“

„Nein.“

Er goss zwei Gläser ein und drückte mir das eine, trotz meiner Proteste, in die Hand.

Ich musterte das Getränk in meiner Hand.

„Was ist das?“

„Wodka. Probier mal.“

Zögerlich setzte ich mich neben Nero auf die Couch und nippte daran.

Bäh.

Die Flüssigkeit brannte in meinem Hals und ich musste husten, woraufhin er anfing zu lachen.

„Das ist kein heißer Tee. Man trinkt auf Ex.“, er grinste und hob das Glas an den Mund, ehe er es in einem Zug leertrank.

„Das brennt.“, ächzte ich bloß und rieb mir den Hals, als ob ich es dadurch lindern könnte. Sein Grinsen wurde nur noch breiter.

„Das soll es auch.“

Weil ich nicht als Weichei dar stehen wollte, stürzte ich den Alkohol ebenfalls runter und verkniff mir das Husten. Es brannte fürchterlich, schmeckte nicht mal wirklich und mir traten beinahe die Tränen in die Augen.

„Igitt! Wie kannst du das nur trinken!?“, meine Stimme hörte sich gepresst an und ich räusperte mich.

„Es hilft.“, erwiderte er nur und schenkte uns die nächste Runde ein.

„Nach ein paar Gläsern wird’s besser, glaub mir. Dann brennt es nicht mehr so.“

„Ich glaube, ich will es gar nicht herausfinden.“

Nero kippte das nächste Glas weg. Ich musterte kurz mein eigenes, ehe ich es ihm gleichtat.

Diesmal brannte es wirklich nicht so sehr wie am Anfang. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sich der Kloß in meinem Hals lösen würde…und mir wurde warm. Eine angenehme Wärme breitete sich in meinem Körper aus und vertrieb die Kälte, die ich spürte, seit Raimi gestorben war.

Er goss uns wieder ein.

„Willst du reden?“, fragte er noch, aber ich schüttelte den Kopf.

Nein, ich wollte nicht über meine Gefühle zu Raimi reden. Ihren Tod und dieses komische, leere Nichts in mir.

„Wo ist dein Beschützer?“, wollte Nero noch wissen „Nicht, dass er mir den Kopf abreißt, weil du bei mir bist.“

„Ich habe gesagt, dass ich alleine sein will. Ich glaube, er ist trainieren gegangen.“, ohne darüber nachzudenken, trank ich auch das dritte Glas aus. Ich spürte nicht mehr den Drang zu husten und mein Hals fühlte sich auch nicht mehr an, als würde er in Flammen stehen.

Wodka hatte irgendwie keinen richtigen Geschmack für mich. Es brannte einfach nur.

Als ich den Blick vom Boden hob und zur Tür sah, merkte ich, wie die Umgebung um mich herum verschwamm. Ich kniff die Augen zusammen, um das Gefühl loszuwerden.

„Wir sind schon ein komisches Pärchen“, sagte Nero grinsend und stürzte sein Glas ebenfalls herunter. Ihm schien das gar nichts auszumachen.

„Wa-warum?“, fragte ich etwas irritiert. Ich fühlte mich irgendwie komisch, doch ich trank auch das nächste Glas leer. Die Wärme in meinem Körper breitete sich aus und ich schüttelte kurz den Kopf, wodurch meine Umgebung anfing sich zu drehen.

„Ich weiß nicht. Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass wir uns seit ewigen Zeiten kennen? Ich meine – Noch vor diesem Leben?“, er starrte nachdenklich einen Punkt an der Wand an „Ich habe so das Gefühl, dass wir ständig neue Wiedergeburten sind und es in keinem Leben hinbekommen, wirklich glücklich zu sein.“

Es kostete mich eine Menge Anstrengung, ihn anzusehen. Mein Kopf fühlte sich leicht an, als würde er gleich wegschweben…

„Wie kommst du darauf?“, ich lehnte mich gegen Nero und schloss die Augen, um die Übelkeit loszuwerden. Es half nicht.

„Keine Ahnung. Es ist so ein Gefühl.“, er sah mich nicht mal an und ließ die durchsichtige Flüssigkeit in seinem Glas kreisen.

„Vielleicht kriegen wir es ja im nächsten Leben hin. Unsere Beziehung, meine ich. Ich werde bald sterben und du auch.“

Ich bekam ein ungutes Gefühl in meinem Bauch. Als ich aufstehen wollte, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Mein Körper verweigerte mir den Dienst.

„Es ist so einfach. Ich werde sowieso bald sterben und wenn ich wiedergeboren werde, bist du bestimmt auch irgendwo in der Nähe. Es ist ein ewiger Kreislauf, verstehst du? Es ist ein Fluch. Jedes Mal, wenn wir zueinander finden, stirbt einer von uns. Ich weiß nicht, wie wir diesen Kreislauf durchbrechen können, aber wir werden in diesem Leben nicht glücklich sein.“, fuhr er ungerührt fort „Aber wenn wir es hier schon nicht schaffen, hoffe ich wenigstens auf ein gemeinsames Leben im Jenseits. Wir beide werden in die Hölle kommen, du und ich. Wir sind beide Mörder. Leute wie wir haben im Himmel nichts zu suchen. Vielleicht warten auch schon Raimi und Sichi auf uns.“

„Nero – Ich fühle mich nicht gut…“, ächzte ich nur. Meine Zunge fühlte sich schwer an und das, was er sagte, machte mir Angst. Warum konnte ich mich nicht bewegen? Mein Verstand war noch klar, aber das Denken fiel mir so schwer.

War ich betrunken? Ich hatte keine Ahnung wie es war, betrunken zu sein. Doch es fühlte sich nicht so an.

Nero musterte mich kurz.

„Kein Wunder.“, erwiderte er ruhig und stellte sein Getränk ab

„Ich habe dich vergiftet.“

Meine Augen weiteten sich und ich starrte ihn an. Dann aber verschwamm meine Umgebung komplett.

Das letzte was ich sah, war die blitzende Klinge eines Messers vor mir…und Schwärze.
 

„Wir werden uns wieder sehen,

In einem anderen Raum,

In einer anderen Zeit,

So die Zeit es will…
 

Irgendwann…bestimmt…“



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Xulina
2013-09-20T08:41:33+00:00 20.09.2013 10:41
Ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich HASSE IHN!
Habe ich schon erwähnt, dass ich Nero absolut NICHT mag?
Ich meine, der taucht auf und dann stirbt einer nach dem anderen. Xx
Wie gerne würde ich sehen, wie Shadow ihn aus dem Schiff schmeißt oder Heriot den Typen als "Trainingsgerät" nutzt. Gibt es sowas auch im RL? Wenn ja, hofe ich, dass er mir nie begegnet, sonst wird das eine sehr lustige Begegnung. -.-
Du hast es geschaft mich mit den neusten Kapiteln so zu fesseln, dass ich schon von getäumt habe UND gestern abend erst schlafen gehen konnte, nachdem ich fertig gelesen hatte. War ich vielleicht müde... Xx
Das es grade an soeiner Stelle ne "Pause" gibt war mir im ersten Moment etwas suspekt, aber man will ja die Spannung aufrecht erhalten~
Nro wünsche ich, bei seiner Tour, allerdings die Pest an den Hals. Du hast meinen Fokus verlegt. Vor mir aus kann Marik jetzt noch so viele negative Aspekte aufweisen, Nero ist und bleibt das Schlimmste.
Herzlichen Glückwunsch! Du hast das absolute Arschloch kreirt. XD
Ich freu mich schon auf die nächsten Kapitel. ^^
Antwort von: abgemeldet
20.09.2013 14:32
YEAY! Ich habe es geschafft den unsympathischsten Kerl der Welt zu erschaffen :D (Ironischerweise sollte er die Charakterzüge meines besten Freundes haben…xD)
Keine Sorge, Nero kriegt noch sein fett weg^^
Von:  Xulina
2013-09-16T18:13:29+00:00 16.09.2013 20:13
Nachdem ich jetzt die komplette Story bis hierher gelesen habe, wollte ich nun doch mal einen Kommi schreiben.
Ersteinmal: mir gefällt dein Schreibstil. Die Art, wie die Erzähling abläuft und der Aufbau. Es gibt zwar zwischedurch etwas zähe stellen und du beschreibst manche Dinge gerne etwas zu detailiert, aber im großen und ganzen habe ich das nun ganz gerne gelesen, spannend gefunden und an einigen Stellen auch ziemlich lachen können. Shadow mit Hose... Das will mir irgendwie nicht in den Kopf. Xx
Nun mal zu den Charakteren: Es hat 100 Jahre gedauert, damit der Igel reden gelernt hat. Wunderbar. Endlich kann er mal ein paar Worte ausvormulieren und dreht sich nicht einfach weg oder handelt, ohne dass irgendwer weiß, warum er was macht. XD
Marik hab ich am Anfang lieber gemocht als später. Sie entwikelt sich in der Geschichte nicht nur zum dreh und Angelpunkt (was bei einem Hauptcharakter ja ganz klar ist) sondern legt mitlerweile auch den Fokus fest. Ich habe das gefühl, sie konzentriert sich zu sehr auf sich selber. Ihre Freunde wissen vielleicht nichts von ihr, aber was weiß sie von ihnen? Als sie sich kennengelenrt haben waen sie ja alle um die 16 oder wie war das? Da haben auch sie schon einges erlebt in dieser zerstörten Welt. Daher macht sie auf mich mitlerweile den Eindruck, als wäre sie ein egoistischer Emo. Vielleicht bessert sich das im laufe der nächsten Kapitel ja wieder, aber das ist erstmal mein Eindruck ab den neuen Kapiteln.
Was die Welt angeht finde ich dass du diese wirklich super beschreibst. Vor allem die Gegend mit dem Magma und der Lava kann ich mir sehr gut vorstellen, aber auch die Gegend um die ersten Splitter konnte ich mir sehr gut vorstellen. Das Labor hab ich mir einfach gedanklich etwas weiter ausgebaut, als beschrieben. XD

Was gibt es noch zu sagen....? Ab und zu rutschen dir die Worte durcheinander, aber ich meine, das ist mir nur sehr selten aufgefallen. Frag mich jetzt nicht wo, weil die 12 Kapitel sind jetzt zu viel um sich daran zu erinnern.

Wunderbare Sache und ich hoffe, dass du die FF auch weiter vortsetzt. Ich wünde mich zumindest freuen. ^^
Antwort von: abgemeldet
19.09.2013 14:38
Danke erstmal für dein Kommentar xD
Zu Marik und egoistisch: Im Grunde ist sie das auch ein wenig, aber hey, ich fand immer dass ein tugendhafter und selbstloser Hauptprotagonist total langweilig und unglaubwürdig war xD Mir rutschen tatsächlich ein paar Worte durcheinander, aber das liegt auch daran, dass meine Gedanken meistens schneller sind als meine Finger zum tippen^^"
Fortsetzen werde ich sie auf jeden Fall, ich habe mittlerweile über 30 Kapitel, konnte sie nur nicht alle hochladen wegen der Regel und so^^


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