Denn sie wissen, was sie tun… von abgemeldet (von Susu-chan) ================================================================================ Kapitel 16: Kapitel 16 - Darkside --------------------------------- Kapitel 16 – Darkside „Heute werden wir nach New Empire gehen. Es ist die nächste zerstörte Stadt auf unserem Radar.“, Shadow zog ein kleines Gerät aus seiner Hosentasche und legte sie auf den Tisch. „Dieses Ding spürt die Energie der Splitter auf. Da diese Stadt riesig ist, werden wir drei Suchtrupps haben. Ciel und Pandorra, Raimi und ich und Marik mit He…“, er stockte. Dann runzelte er die Stirn. „Ich habe vergessen, dass Sichi nicht mehr da ist.“ „Und…?“ „Wenn wir alle weg sind, bleibt Nero alleine hier.“, erwiderte er trocken und der Gedanke schien ihn genau so wenig zu freuen, wie Raimi und den Rest der Anwesenden. „Dann müssen wir ihn mitnehmen?“, fragte ich leise und Shadow drehte sich zu mir um. „Du wolltest ihn an Bord haben. Also wirst du auch mit ihm zusammenarbeiten.“ „Nein!“, sagte Heriot leise, aber seine Stimme war scharf und kalt wie die Klinge eines Messers „Sie geht nicht alleine mit ihm. Ich gehe mit.“ „Jemand muss bleiben und das Schiff bewachen. Pandorra, du bleibst. Ciel reist mit Heriot, Raimi mit mir und Marik mit Nero.“ Heriot schien etwas einwerfen zu wollen, doch ich schüttelte leicht den Kopf und er schwieg. Immerhin wusste er, wann ich beschützt werden wollte und wann nicht. Und das jetzt war die Gelegenheit dazu, Nero zur Rede zu stellen. Es war unmöglich, wie er sich aufführte und ich wollte wissen, was dahinter steckte. Was hatte er in den letzten Jahren erlebt, dass ihn so stark verändert hatte? „Ruft Nero. Er…“, fing ich an, doch da entdeckte einen kleinen, weißen Punkt auf den ein Lichtstrahl fiel. Nero saß in der hintersten Ecke von unserem Besprechungssaal und war beinahe vollständig mit dem Hintergrund verschmolzen, als wäre er unsichtbar. „Ich und Heriot…“, hörte ich Ciel leise und besorgt murmeln. Als ich zu ihr sah, entdeckte ich echte Angst in ihren Augen. „Tu mir einen Gefallen…“, flüsterte ich leise an meinen Bodyguard gewandt. „Ja, Herrin?“ „…jag Ciel nicht allzu viel Angst ein. Irgendwie tut sie mir leid.“ „Ich jage ihr nie Angst ein.“ „Dann sieh öfter nach unten und überrenn sie nicht immer. Das verunsichert sie nur.“ „Jawohl, Herrin.“ „Ich weiß nicht, ob es so gut ist, dass Marik mit Nero reist.“, warf Pandorra dann doch nachdenklich ein „Immerhin…ich glaube, er macht ihr Angst. Man sieht es doch deutlich in ihren Augen, jedes Mal, wenn er sie anschaut, zuckte sie zusammen als hätte sie einen Stromschlag abbekommen.“ Ich schluckte nervös. Wussten die anderen eigentlich, dass Nero auch mit in diesem Raum saß? Das er uns alle hören konnte? Und warum meldete er sich nicht? Vielleicht wollte er meine Reaktion abwarten. Sehen, ob ich dagegen oder dafür wäre. Doch wie immer blieb ich still. Ich protestierte nicht, stimmte aber auch nicht dafür. „Es ist mir egal, ob sie sich mögen. Ciel und Nero kennen sich nicht, Raimi hasst ihn, ich würde ihn umbringen, Heriot würde ihn umbringen. Nur Marik könnte ihn ertragen.“, unterbrach Shadow unsere Diskussion scharf und ich zuckte zusammen. Also mochte niemand Nero. Doch so wie er sich verhalten hatte, konnte ich es ihnen nicht verübeln. „Okay.“, sagte ich deswegen nur „Ich gehe mit ihm.“ „Dann rüste dich aus. Wo die Waffen sind, weißt du ja.“ Kurz bevor ich den Saal verließ, hörte ich noch Heriots leise Stimme. „Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, werde ich dir jede Wimper einzeln rausreißen und danach die Augen ausstechen. Und wenn sie nicht zurückkommt, werde ich dir alle Gliedmaßen einzeln brechen.“ Ich wusste genau, dass diese Worte gegen Nero gerichtet waren und stellte wieder einmal fest, dass nicht nur er grausam sein konnte. Bis jetzt hatte ich keine Ahnung, was die genauen Fähigkeiten meines Bodyguards waren, doch ich hatte genug gesehen, um zu wissen, dass er keine Scherze machte. „Team 1 sucht den südlichen Teil der Stadt ab. Team 2 den östlichen und wir den nördlichen. Wir treffen uns um Punkt Mitternacht wieder hier, verstanden?“, Shadow befestigte die Taschenlampe an seinem Helm, genau wie wir. „Punkt Mitternacht, keine Minute später. 10 Minuten warten wir, wer dann noch immer nicht kommt, wird zurück gelassen.“, sagte er noch und mir fiel auf, dass er wohl erst jetzt diese Möglichkeit in Erwägung zog. Davor hatte er nie etwas Ähnliches gesagt oder auch nur angedeutet. „Gut. Gehen wir.“, das war das Signal dafür, dass wir los könnten. Ich ging den kaputten Asphalt entlang und versuchte die Schritte neben mir zu ignorieren. Nero schaltete seine Taschenlampe an und hatte sein Schwert fest im Griff. Von allen Waffen, die Shadow besaß, hatte er sich sofort das Schwert von der Wand genommen und es geschärft, obwohl er den Igel nie um Erlaubnis gefragt hatte. Doch ihn schien es auch wenig zu stören. Erst als die Schritte der anderen verklungen und ihre Silhouetten verschwanden, richtete er das Wort an mich. „Hasst du mich?“ Ich drehte mich zu ihm, wobei ihm das Licht meiner Taschenlampe ins Gesicht schien, sodass er sich die Augen abdecken musste. Was für eine komische Frage für ein Gesprächsanfang. „Nein.“, antwortete ich dann wahrheitsgemäß, wobei wir die Trümmer von alten Autos umgingen „Ich verstehe dich nur nicht. Ich habe es auch aufgegeben.“ „Hab‘ ich auch.“, entgegnete er, als ich ihm nicht mehr ins Gesicht leuchtete und blinzelte erst mal, um seine Augen wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen „Manchmal da…überkommt mich so was. Ich wollte euren Freund wirklich nicht beleidigen, ich dachte nur…“ „Du hast das gedacht, was du gesagt hast. Du hättest einfach die Klappe halten sollen.“, ich merkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und wischte sie nicht gerade sanft weg. Was war nur los mit mir? Warum redete ich mit ihm? Wir waren doch nicht mal mehr Freunde. Früher hatte er mir alles bedeutet, doch das war noch lange kein Grund um ihn jetzt noch zu mögen. Immerhin hatte er solche herzlose Dinge über meinen besten Freund gesagt…herzlose, grausame Dinge…auch wenn sie vielleicht wahr waren. „Meinetwegen kann es auch wahr sein. Aber es wäre einfacher für uns, uns vorzustellen, dass Sichi uns nicht freiwillig verlassen hast. Du hast doch keine Ahnung, wie sich so was anfühlt. Wenn man das Gefühl hat, dass sogar der Tod die bessere Wahl wäre.“ „Ich weiß…“ „Du weißt gar nichts! Du weißt wie es ist sterben zu wollen, du weißt wie es ist andere zurück zu lassen…aber du hast keine Ahnung davon, wie sich die Zurückgelassenen fühlen. Dich interessiert nur dein eigener Schmerz, andere sind dir dabei völlig egal. Hauptsache, du bist erlöst, oder? Was mit deinen Freunden ist, ist dir gleichgültig, denn wenn du tot bist musst du dich um niemanden mehr kümmern.“ „Geht es hier noch um Sichi oder um uns?“ Wieder dieser ruhige Tonfall. Wie ich ihn hasste, diesen Ton als wäre alles gut, als wäre nichts Schlimmes geschehen! „Hör auf so normal mit mir zu reden!“, fauchte ich deswegen bloß. „Was soll ich tun? Weinen? Jammern? Schluchzen? Oder vielleicht wieder schweigen? Ein >Entschuldigung< beschreibt nicht mal annähernd meine Gefühle für das, was ich euch angetan habe und es reicht nicht, um das Geschehene wieder gut zu machen. Was ich dir angetan habe, ist unverzeihlich. Ich habe viele, viele schreckliche Dinge getan, aber während der paar Jahren hat es mich nicht gekümmert. Ich habe gegen Freunde gekämpft, gegen Feinde und gegen die ganze Welt. Hauptsache, ich hatte einen Feind. Und als ich dich getroffen habe…“, Nero hob die Schultern „Ich weiß nicht. Da kam mir diese ganze Wut einfach nur noch lächerlich vor. Ich hatte mich benommen wie ein verzogenes, kleines Kind und versuche seitdem mich irgendwie zu bessern. Aber es geht einfach nicht. Der alte Nero ist immer noch ein Teil von mir und manchmal habe ich das einfach nicht unter Kontrolle.“ Ich schwieg bloß. Alles, was er sagte, konnte eine Lüge sein. Im einen Moment tröstete er mich noch, genauso wie früher, und im nächsten Moment machte er eine 180° Wende und benahm sich wieder so…kalt. „Es kann doch nicht sein, dass du einfach vom einen Moment zum nächsten zu so einem herzlosen Monster wirst.“, sagte ich deswegen und man hörte mir an, wie leid ich diese Streitereien war „Früher hast du dich nie so benommen.“ „Früher hatte ich ja auch dich. Jetzt hingegen habe ich das Gefühl, dass du mir noch nie so fern warst.“ „Daran bist du selbst schuld.“, erwiderte ich und merkte, wie meine Hand anfing zu zittern. Ich spannte sämtliche Muskeln an, bis das Zittern nachließ und konzentrierte mich wieder auf die aufgebrochene Straße. „Ich weiß. Es tut mir leid.“ Ich sah kurz zu ihm, ehe ich antwortete: „Du hast Recht. Eine Entschuldigung reicht nicht mal annähernd aus, um das wiedergutzumachen, was du getan hast.“ Nero grinste bloß zur Antwort. Es lag irgendwo zwischen Schadenfreude und Selbsthass. „Und dabei hatte ich gedacht, wenn ich tot wäre, wäre alles einfacher. Wer auch immer mich zurückgeholt hat – Er ist verdammt gehässig.“ „Hör auf so zu tun, als wärst du wiedergeboren worden. Du bist nicht Jesus, verdammt nochmal! Niemand kann von den Toten zurückgeholt werden!“, knurrte ich eindeutig gereizt und trat ein paar kleinere Steine weg. Die Angst vor Städten war wie verschwunden, denn diesmal richtete sich meine Sorge gegen Nero. Auch wenn ich keine Angst vor ihn hatte – Ich hatte eine riesen Wut auf ihn. „Das dachte ich auch. Aber sieh den Tatsachen ins Auge: Du hast mich bluten sehen, du hast meine Narben gesehen, du hast gesehen wie man mich nach oben befördert hat und liegen gelassen hat, damit ich von den Vögeln aufgefressen werde. Du hast meinen Puls gemessen und du warst die ganze Zeit an meiner Seite, wie soll ich das überlebt haben???“ „Keine Ahnung. Aber du bist gerissen und ein guter Lügner.“, erwiderte ich bloß, aber es war kein Kompliment. „Ja, bin ich. Trotzdem, du weißt genau, dass ich keine Freunde in der Stadt hatte. Wenn ich gehen wollte, wäre ich gegangen. Warum sollte ich dir so einen Schrecken einjagen? Warum sollte ich dir so wehtun?“ „Weil du…“, ich drehte mich auf dem Absatz um und starrte ihn wütend an, auch wenn mir in den Augenwinkeln Tränen schimmerten „…ein verdammter Sadist bist! Dir bereitet es doch Freude anderen wehzutun, deswegen hast du die Leute doch auch alle verprügelt! Ich war bloß ein Zeitvertreib von dir und du fandst es amüsant, wie naiv ich war. Du hast mir immer gesagt, dass du nicht bei mir bleiben würdest, aber ich war zu blöd um dir zu glauben.“ Nero schirmte sich wieder die Augen ab, sodass sie im Dunkeln lagen, weswegen ich das Grinsen, das er im Gesicht hatte, nicht deuten konnte. „Ja, ich fand es witzig wie naiv du bist. Du bist gutgläubig, offen und naiv. Trotz deiner Vergangenheit begegnest du den Leuten nicht misstrauisch und ich fand das faszinierend. Deine ganze Familie ist gestorben vor deinen Augen und du kannst trotzdem unbesorgt sein. Ich wurde bloß ausgesetzt, hab‘ meine Eltern nie kennengelernt und wurde schon zu einem Monster. Ich hab‘ mich an dich drangehängt und mich mit dir befreundet, weil ich dachte, du könntest mich ändern.“ „Spar dir die Worte, du lügst doch sowieso nur.“, sagte ich und ging mit schnellen Schritten weiter „Ich will nicht mit dir reden.“ Ich hoffte ehrlich gesagt, er würde in dieser Stadt verloren gehen, dann könnte er wissen, wie es war, sich einsam und hilflos zu fühlen. Seine Schritte knirschten auf den feinen Steinen, die durch die Zerstörung der Straße entstanden waren. Auf dem kleinen Bildschirm meines „Radars“ meldete sich nichts. Hoffentlich waren die anderen erfolgreicher als wir… Plötzlich bekam ich einen beißenden Geruch in die Nase und musste sofort husten. Ich drehte mich um und sah eine kleine, glühende Spitze im Dunkeln. „Auch eine?“, fragte Nero bloß und zog noch mal an seiner Zigarette. Er wollte mich provozieren damit ich mit ihm redete, das wusste ich. Deswegen wandte ich mich bloß wieder meinem Peilsender zu uns ging mit schnellen Schritten weiter. Seit wann rauchte Nero überhaupt? Und wo bekam er die Zigaretten her…? So was war in unserer Zeit ungeheuer Teuer, genau wie Drogen. Nur die Reichen konnten sich das leisten…also musste Nero Geld besitzen. Dann hatte er in den letzten Jahren also doch was erreicht. Während ich nur vor mich hin vegetiert hatte. Als mir wieder der Rauch in die Nase stieg, biss ich mir auf die Zunge, um ihn nicht anzubrüllen. Trotzdem riss ich ruckartig den Kopf herum. „Wenn du schon rauchen musst, dann hör auf die Wolke in meine Richtung zu blasen!“, fauchte ich und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich dachte, du wolltest nicht mit mir reden?“ Ich stellte mir vor, wie ich ihn schlagen würde. Ich würde ihn schlagen, ihm die Zigarette abnehmen und sie ihm auf seinem selbstgefälligen Gesicht ausdrücken, bis er zum Gnade bettelte und sich entschuldigte. Immer, wenn wir stritten, stellte er irgendwas an, damit ich ihn anbrüllte. Jedes Mal dachte er sich, dass das wohl reichen würde um meinen Ärger verschwinden zu lassen, doch diesmal war es nicht so. Jedes Mal, wenn ich ihm einfach verziehen hatte, egal wie schlimm es war, hatte ich einen Teil von mir zurückgedrängt. Damals hatte ich niemanden außer ihm. Doch jetzt hatte ich Raimi, Heriot, Shadow, Ciel und Pandorra. Ich brauchte Nero nicht mehr. „Du warst als Toter ein besserer Freund.“ Ich wollte es nicht sagen, doch es rutschte mir einfach so raus. Und damit ich auch nicht so feige war, es wieder zurück zu nehmen, rannte ich schnell weg. Vor meinem schlechten Gewissen, vor Nero und meinen Gefühlen zu ihm. Als ich mich noch einmal kurz zu ihm umdrehte, war es zum ersten Mal er, der mich so ansah, als hätte er das Gleichgewicht verloren. Ich blieb erst stehen, als meine Lunge brannte und meine Beine unter mir nachgaben. Keuchend fiel ich auf die Knie und stützte meine Hände am Boden ab. Meine Tränen tropften herunter und ich sah sie als kleine, nasse Punkte vor mir, die sich rasend schnell vermehrten. Was hatte ich da gesagt? “Du warst als Toter ein besserer Freund!“ Das wollte ich doch nicht…Ja, er war egoistisch, er verhielt sich unmöglich…aber jetzt war ich nicht besser als er. Ich wünschte mir zwar, dass Nero mich nie angelogen hätte, doch ich wollte doch nicht, dass er starb! Ja, ich war wütend auf ihn, aber ich hasste ihn nicht. Ich konnte einfach nicht, es war nicht meine Art. Zitternd zog ich mein Radar aus der Tasche und wischte mir über die Augen, um hinsehen zu können. Ein kleiner, roter Punkt zeichnete sich darauf ab. Ich hatte keine Ahnung wie weit er weg lag, doch ich stand auf und ging weiter. Einfach weiterlaufen, nicht mehr denken. Der Splitter war wichtiger als mein Streit mit Nero. Ich fragte mich, wo er gerade war. Ob er sich wohl verirrt hatte? Oder zurück zum Schiff gegangen war? Schnell schüttelte ich diesen Gedanken ab. Es war egal was aus ihm wurde, wichtig war nur ob wir diesen Splitter fanden oder nicht. Ich ging etwas schneller, als der rote Punkt immer mehr anfing zu blinken. Meine Umgebung war dunkel, sodass ich nur das erkennen konnte, was durch meinen Lichtstrahl beleuchtet wurde. Trotzdem bekam ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Jeder Lufthauch fühlte sich an, als wäre eine Person an mir vorbei gerannt, weswegen ich mich mehrmals nervös umdrehte. Mir wurde klar, dass nicht nur Nero alleine in dieser Stadt war. Ich war es auch. Etwas streifte mich. Erschrocken fuhr ich herum, doch außer den Trümmern sah ich nichts. Hier gab es tausende Verstecke, jedes Tier könnte mir auflauern. Doch warum sollte sich ein Tier verstecken vor mir? Menschen waren weder schnell, noch besonders stark. Oder es… Noch bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, spürte ich einen harten Schmerz im Rücken. Die Luft wurde aus meiner Lunge gepresst und ich prallte hart mit dem Gesicht auf den Asphalt. Kurz wurde mir schwarz vor Augen, doch dann klärte sich mein Blickfeld wieder. „Wa-Was…“, ächzte ich schwach, als man mir einen Tritt in die Seite verpasste. Ich knallte mit dem Rücken gegen einen Trümmerhaufen. Scharfer Schmerz schoss von meiner Seite aus in meinen gesamten Körper. Als ich mir an die schmerzende Stelle fasste, war meine Hand rot. „Los, sag uns, wo der Splitter ist!“, fauchte eine Stimme und packte mich am Oberteil. Er hob mich mühelos hoch. Mein Kopf fiel zur Seite. „Aua…du tust mir…weh…“, keuchte ich und merkte wie mir Blut über das Gesicht lief. Meine Umgebung war verschwommen. Was war…nur los…? Wer war das…? „Sie ist benommen und wird gleich ohnmächtig. Du hast sie zu hart angefasst.“, hörte ich eine zweite Stimme und spürte, wie mir jemand in der Tasche herumwühlte. „Ich dachte, die hätten was drauf. Wie kann so’n Schwächling die Splitter finden?“, antwortete die zweite Stimme und ich blinzelte angestrengt, um sein Gesicht zu erkennen. Er trug…eine Maske. Ein weiße Maske und einen schwarzen Umhang. „Hey, sie ist ja doch nicht bewusstlos.“, bemerkte der Kerl, der mich gepackt hielt und ließ mich wieder auf den Boden fallen. Ich landete auf dem Hintern und der Schmerz schoss mir wieder durch den gesamten Körper. Automatisch presste ich mir eine Hand auf die Wunde an der Seite und unterdrückte die Tränen. Ich wollte nicht vor diesen beiden Fremden weinen, das wäre schwach! „Sag uns, wo der Splitter ist und wir lassen dich in Ruhe“, sagte der zweite maskierte Mann und beugte sich zu mir. „I-Ich weiß nicht…“, ächzte ich nur. Im nächsten Moment bekam ich einen Schlag ins Gesicht. Mein Kopf ruckte zur Seite, doch irgendwie spürte ich keinen Schmerz. Vielleicht war das der Schock. Ich fühlte mich auch so benommen, als stünde ich unter Drogen. Meine Sicht war verschwommen und ich schaffte es nicht, meinen Kopf gerade zu halten. „Wir wissen, dass ihr die Splitter habt! Rückt sie gefälligst raus!“ „I-Ich habe…die Splitter…n-nicht…“, wimmerte ich bloß, bekam aber nur wieder einen Schlag. Blut lief mir über die Augen und färbte meinen Blick rot. „Aufhören, tot nützt sie uns nichts!“, hörte ich die scharfe Stimme seines Partners. „Aber sie hat die Splitter angeblich nicht. Also bringt es uns auch nichts, sie am Leben zu lassen!“, der Mann vor mir zog etwas aus seinem Mantel. Es blitzte im Licht meiner Lampe auf. Ein Messer. Ich spürte seine Spitze an meinem Hals und schloss die Augen. „Hilfe“, wisperte ich nur, obwohl ich wüsste, es wäre niemand da, der mich retten könnte. „Hey, ihr W*chser!“ Urplötzlich wurde das Messer von meinem Hals weggerissen. Verwirrt öffnete ich die Augen. Der Mann, der vor mir stand, war nicht mehr da. Stattdessen erkannte ich… „Nero“, flüsterte ich ungläubig. Er drehte sich nicht zu mir um, schien mich aber zu bemerken. „Wenn ihr sie nochmal anfasst, bring‘ ich euch um.“ Seine Stimme war schneidend kalt und ich setzte mich mühsam und unter Schmerzen etwas auf. Einer der Männer lag am Boden und seine Maske war zerbrochen. Anscheinend hatte man ihm ins Gesicht getreten. Wenige Meter neben ihm stand der Andere maskierte. „Ah, der hat was drauf. Dann weiß er bestimmt auch, wo die Splitter sind.“, bemerkte dieser trocken „Also sag uns, wo sind sie?“ „Ich sage euch gar nichts.“, entgegnete Nero und lächelte. Es war kein nettes Lächeln. Etwas in ihm wurde so ruhig, als hätte sich seine ganze Wut auf einmal zu etwas verdichtet, das so hart, so glatt und so kalt war wie eine Kugel. Der Mann ohne Maske stand auf. Er hatte grüne Augen und blonde Haare. Wie ein normaler Mensch. Er sah ganz normal aus. „Pass auf, Kleiner.“ „Du bist derjenige, der aufpassen sollte“, dachte ich. Spürte er nicht, wie gefährlich Nero auf einmal war? Es hatte nicht den Anschein. Der Mann sah seinen Partner an und beide zogen ihre Waffen, der Maskierte ein Schwert und der andere ein Messer. Die Zeit verlangsamte sich wieder. Als befänden wir uns in einer Sphäre. Einer Sphäre, in der getötet wurde. Von meiner Position aus, konnte ich jede Bewegung der Beiden erkennen. Wie der Kies aufwirbelte, als sie erschreckend langsam nach vorne sprinteten. Wie der Mantel hinter ihnen umher flatterte. In dieser Zeit schien nur Nero sich normal zu bewegen. Mühelos wich er dem Maskierten aus, packte ihn hinten am Kragen seiner Kleidung und warf ihn mit Schwung in die Richtung, in die er rannte. Den zweiten griff er am Handgelenk, um den Hals und hielt ihn zum Schluss so, dass er seine Arme nicht mehr bewegen konnte und praktisch hilflos in Neros Armen hing. „Verschwindet.“, drohte er sehr leise und sehr ruhig. „Wir gehen nicht ohne die Splitter!“, widersprach der Maskierte, ebenso ruhig und richtete seinen Mantel wieder, während er zu seinem Partner sah. Nero grinste wieder, womit er aussah wie ein Löwe, der vor einem gerissenen Reh stand. „Dann sterbt hier.“, er nahm sich die Zigarette aus dem Mund, blies den Rauch in die Luft und drückte sie auf dem Gesicht des Mannes aus, den er noch in seinem Griff hatte. Er jaulte auf und gab wüste Beschimpfungen von sich, ehe Nero sein Genick packte und… Ich drehte mich um, konnte aber das ohrenbetäubende Knacken nicht überhören. Kurz darauf hörte ich einen Wutschrei, gefolgt von leisem Röcheln, als würde jemand ertrinken. Ertrinken im eigenen Blut. Nach einigen Sekunden drehte ich mich wieder um. Ein leises, schmatzendes Geräusch erklang, als Nero den Leichnam mit dem Fuß wegstieß und sein Schwert aus dem Körper zog. Ich starrte die Beiden Toten an und konnte gar nicht glauben, was gerade geschehen war. Er drehte den Kopf zu mir und ich begegnete seinem Blick. Seine Augen waren wie Kugeln aus Glas, die alles widerspiegelten. Kein lebendiges Wesen hatte solche Augen. Ihr Glanz war anorganisch…aus ihnen blickte das Nichts, die Antithese des Lebens. Wie ein schwarzer Engel. Doch im nächsten Moment verschwand die furchtbare Leere aus seinen Augen. Nero blinzelte und ging schnell zu mir herüber, wobei er das Schwert fallen ließ, als hätte er sich daran verbrannt. „Alles in Ordnung?“, fragte er nur und streckte die Hand nach mir aus. „Fass mich nicht an!“ , wollte ich schreien „Fass mich nicht mit diesen Händen an, die gerade zwei Leben einfach so ausgelöscht haben!“ Aber ich merkte, wie stark ich zitterte, wie sehr ich blutete und gab ihm meine Hand, damit er mir hoch half. Vorsichtig zog er mich auf die Beine, die aber bald wieder einknickten, weil mir alles wehtat. Irgendein Trümmerteil hatte sich in meine Seite gebohrt, aus der nun stetig Blut floss, genau wie aus einer Wunde am Kopf. „Komm, ich trage dich.“, sagte er und hob mich in seine Arme. In der ganzen Zeit konnte ich ihn nur anstarren und kein Wort kam mir über die Lippen. Der Schock saß noch so tief. Er hatte ein paar Bluttropfen im Gesicht. Wie feine Linien zeichneten sie sich deutlich auf seiner Haut ab. „Du bist so still. Alles in Ordnung oder ist das nur der Schock?“, fragte er nach einer Weile. Er ging den Weg zum Schiff zurück. Ich wusste nicht, woher er ihn kannte, aber das war mir im Moment so was von egal. „I-Ich…“, stotterte ich bloß und merkte, dass meine Lippe aufgeplatzt war. Als ich den Mund wieder schloss, schmeckte ich Blut. „Okay, du kannst ein Wort. Wie wär’s mit ‘nem Satz?“, er grinste, doch diesmal war es kein beängstigendes oder unheimliches Grinsen. Es war einfach sein typisches, unbekümmertes Grinsen. „Du hast ganz schön was abbekommen.“ „Nero…“ „Ja?“ „Tut mir leid, dass ich das gesagt habe. Und Danke“ Er hielt kurz inne, ehe er weiterlief und zu mir herunter sah. „Kein Problem. Du hattest ja Recht.“ Ich lächelte bloß schwach. Ob es wegen der Schmerzen oder der Benommenheit war, jetzt wirkte Nero in keinster Weise mehr bedrohlich. Er war jetzt nur noch der nette, fürsorgliche Nero. Mein Kopf fiel gegen seine Brust und ich hörte den ruhigen, gleichmäßigen Herzschlag. Es war so warm. Als wäre all die Kälte aus meinem Körper verschwunden. Ich schloss die Augen. Und kurz bevor ich das Bewusstsein verlor, spürte ich seine Lippen auf meinen. „Gute Nacht, Marik.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)