New Age von hard-peel_soft-core (Die Geschichte einer Revulotion) ================================================================================ Prolog: Die Flucht ------------------ „I-ich weiß nicht so recht, Shinobu-kun. Was, wenn wir erwischt werden?“, warf der brünette Hybride unsicher ein. Er fühlte sich mit dem Plan seines besten Freundes absolut nicht wohl. „Das kann natürlich passieren“, erwiderte der Dunkelblonde nonchalant und zuckte kurz die Schultern. Die grauen Augen dessen durchsuchten den Raum und er war froh, dass er, als Kreuzung zwischen Mensch und Katze, genannt „Neko“, die Fähigkeit hatte, im Dunkeln sehen zu können. Eine der wenigen Vorteile seines Daseins. Die Nachteile überwogen jedoch, da die Menschheit alle Nekos als untergeordnete Rasse betrachtete, die es nicht einmal Wert war, irgendwelche Rechte oder Würde zugestanden zu bekommen. „Aber das Risiko ist es wert“, fügte Shinobu hinzu, nachdem er die Lage gesichert hatte. „Er ist es wert.“ Onodera Ritsu, der zweite Hybride, runzelte darauf die Stirn. Nur zu gerne hätte er seinem besten Freund, Takatsuki Shinobu, sein Vorhaben ausgeredet, aber wenn dieser sich einmal zu etwas entschlossen hatte – was nicht äußerst oft vorkam – konnte man ihn nicht mehr davon abbringen. „Aber du gehörst zu einer der seltensten und wertvollsten Rassen unter den Nekos! Dein Verschwinden wird sofort auffallen“, erinnerte Ritsu ihn mit einer Stimme, die erfüllt von Sorge war. Sein Freund aber gab nur ein abfälliges Geräusch von sich. „Darauf gebe ich nichts. Ob nun untere oder obere Rasse, letztendlich sind wir alle machtlos gegen die Menschen.“ „Und trotzdem riskierst du alles für einen von ihnen.“ „Ach, sei still und hilf mir lieber“, maulte Shinobu, der allmählich die Nase voll davon hatte, dass sein Freund ihn mit Logik ausspielte. Augen, in der Farbe von Peridot, suchten den Raum nervös und hastig noch einmal ab, dem ein leises, resigniertes Seufzen folgte. Obwohl ihm alles andere als wohl bei der Sache war, verhalf er seinem besten Freund zur Flucht aus dem Zwinger. Nicht nur die Sorge um das Wohlergehen seines Freundes sondern auch der Abschied an sich hatte in ihm für Zwietracht gesorgt, doch letztendlich hatte er eingesehen, dass er als Shinobus bester Freund ihm seine Unterstützung bei allem was er tat zusichern sollte. „Willst du nicht doch mitkommen?“, fragte Shinobu noch einmal, hoffnungsvoll, nachdem er das Gesicht noch einmal von der Freiheit abgewandt und sich zu seinem alten Freund umgedreht hatte. Ritsu hätte alles dafür gegeben, seinen besten Freund nicht zu verlieren. Aber er war zu ängstlich, um ihm zu folgen. Außerdem gab es da, wo sein Freund hinwollte, keinen Platz für ihn. Shinobu hatte sich verliebt und würde ihn nun nicht länger brauchen. Der Moment des Abschieds, den beide so lange gefürchtet hatten, war nun gekommen. Ritsu sah zur Seite, während Shinobu seinen Blick auf seinen besten Freund fixiert hatte. „Ich wünsche dir alles Gute, Shinobu-kun“, murmelte der Brünette, die Augen auf den Boden gerichtet. Der dunkelblonde Hybride grinste leicht, nur eine Spur traurig. „Ich dir auch, Ricchan. Hoffentlich funkt dir das Schicksal auch dazwischen“, gab er aufrichtig zurück. Dann lief er davon, bis er mit der Dunkelheit verschmolz. „Schicksal, huh?“, flüsterte Ritsu zweifelnd in die Finsternis, ehe er zurück in seinem Käfig verschwand. Kapitel 1: Verkauft ------------------- Die darauf folgenden Tage waren die schlimmsten, die der junge Hybride in seinen 18 Jahren je hatte ertragen müssen. Natürlich wurden die Zwingerbesitzer sehr bald schon auf Shinobus Abwesenheit aufmerksam und veranlassten eine gründliche Durchsuchung der Gegend. Als keine Spur von dem dunkelblonden Neko gefunden wurde, bekamen die restlichen Nekos im Zwinger die Wut des Besitzers mit mehr Verboten und dem Entzug an Nahrung zu spüren. Schließlich wurden alle Nekos einer Befragung, oder besser gesagt einem Verhör, unterzogen, da man ziemlich bald schloss, dass ein Komplize zu diesem Fluchtplan vonnöten gewesen sein musste um zu gelingen. Der Hunger zerrte an den Kräften des ohnehin schon sehr mageren brünetten Nekos mit den Peridot-grünen Augen. Dennoch hielt er stand und schützte den Aufenthaltsort seines Freundes zu dessen und zu seinem eigenen Schutz. Er wollte nicht wissen, was sie mit Ausreißern anstellten. Immerhin musste er kennenlernen, was sie mit Hauptverdächtigen machten. Als bester Freund des Geflohenen wurde er der Mithilfe beschuldigt und bestraft. Seine Meinung über die Menschen hatte sich sogar noch verschlechtert, nun da er Bandagen an seinen Händen und Beinen tragen musste, die unzählige Male getreten worden waren. Sein Schwanz, das empfindlichste aller Körperteile eines Nekos, war ganz besonders schlimm in Mitleidenschaft gezogen worden. Seinen Körper zierten mehrere blaue Flecken und Schürfwunden. Und er konnte sich noch nicht einmal beschweren, da ihm selbst dieses Recht aberkannt worden war. Außerdem war es nur eine Frage der Zeit bis er an jemanden verkauft werden würde, der von da an sein Master war und dessen Befehlen er sich fügen musste. „A-aber, mein Herr. Er ist in keiner Verfassung für eine Besichtigung“, hörte er den Zwingerbesitzer beschwichtigen. Er klang seltsamerweise als hätte ihn jemand in die Enge gedrängt. „Kommen Sie doch zu einem anderen Zeitpunkt wieder.“ „So viel Zeit habe ich nicht. Ich will ihn jetzt sehen.“ Die fremde Stimme klang, als würde sie keinen Widerspruch dulden. Sie war tief, aber eigenartig warm, obwohl sie nicht gerade von sehr vielen Emotionen begleitet wurde. Ritsus Ohren hatten sich instinktiv in dessen Richtung gedreht, doch er machte sich nicht die Mühe den Kopf zu heben. Seitdem sein bester Freund gegangen war, fühlte er sich alleine wie nie zuvor und die Misshandlungen trugen ihr übriges zu seiner depressiven Stimmung bei. Er hob den Blick noch nicht einmal, als sich ein Paar Schuhe auf seiner Augenhöhe befand. „Sie hatten Recht. Er ist in keinem guten Zustand“, merkte die zu den Schuhen gehörende Person trocken an. Das musste den Zwingerbesitzer wohl in Verlegenheit gebracht haben, denn er trat mit aller Kraft gegen die Gitterstäbe, sodass der arme Neko dahinter erschrocken zusammenzuckte. „Steh auf, du fauler Nichtsnutz!“, wurde Ritsu angeherrscht und er beschloss, dass es wohl das Klügste war, sich zu fügen. Als er in aufrechter Position war, glitten auch seine Augen langsam von den Schuhen über die Hosenbeine nach oben bis er in bernsteinfarbene, scharfe Augen blickte. Der Mann vor ihm war groß, sogar größer als der Zwingerbesitzer, schlank, aber nicht hager. Er hatte ein breites Kinn und scharfgeschnittene Gesichtszüge. In sein Gesicht fielen schwarze Strähnen. Sein Blick aber war so durchbohrend, dass Ritsu am liebsten einen Schritt zurückgetreten wäre. Er hatte es jedoch satt, sich von den Menschen unterwerfen zu lassen und reckte trotzig sein Kinn in die Höhe. „Das hier also ist der letzte Onodera.“ Der Fremde klang abschätzend, schon beinahe spöttisch. Ritsu fragte sich einen Moment, ob er wohl über sein Aussehen enttäuscht war, befahl sich aber dann, nicht über so etwas nachzudenken. Es fehlte gerade noch, dass er den Ansprüchen eines Menschen genügen wollte. „Viele interessieren sich für ihn. Mein Herr, ich muss Ihnen mitteilen, dass schon einige ehrenwerte Herren angekündigt haben, ihn zu kaufen. Ich fürchte, die Liste ist lang“, teilte ihm der Zwingerbesitzer mit einem fetten Grinsen im Gesicht mit. Er erhoffte sich wohl, gutes Geld mit dieser Rasse erwirtschaften zu können. Ohne Frage würde er ihn an den höchsten Bieter verkaufen. „Holen Sie ihn aus dem Käfig“, forderte der Fremde nachdenklich, als hätte er vor, den Kauf erst gründlich zu überdenken. Das war ungewöhnlich. Normalerweise reichte den Interessenten die Bestätigung, den echten und letzten Onodera vor sich zu haben. „Sofort, mein Herr.“ Die Käfigtür wurde mit einem lauten Knarzen geöffnet und Ritsu wurde grob aus seinem Gefängnis herausgezogen. Er stolperte, konnte sich aber noch auf den Beinen halten. Auf keinen Fall würde er dem Zwingerbesitzer die Genugtuung gönnen, ihn auf dem kalten Boden liegen zu sehen. Zur großen Überraschung des Nekos trat der fremde Herr, dessen Kleidung auf eine edle Abstammung und dem damit verbundenen Reichtum schließen ließ, zu ihm und legte ihm beide Hände an die Hüften. Instinktiv wurde der brünette Hybride rot und sah zur Seite. Dadurch entging ihm jedoch der lethargische Blick des Schwarzhaarigen. „Er ist mager“, kommentierte er, woraufhin sich Ritsus Augenbrauen wütend zusammenzogen. Er wagte es jedoch nicht, etwas zu erwidern. „Äh, mein Herr, Onoderas sind von Natur aus sehr zierlich“, begründete der Zwingerbesitzer. „Sein Fell ist verfilzt und die Farbe ausgebleicht. Auch seine Haltung ist krumm und seine Statur schwächlich. Das einzig Wertvolle an ihm sind wohl seine Augen. Ansonsten sehe ich nicht sehr viel, wofür er seinen Namen und den damit verbundenen Wert verdient hätte“, schloss der Fremde seine Inspektion ab. Ritsu sah Rot. Wie konnte dieser Mensch es wagen, von ihm zu sprechen als wäre er nur ein Stück Ware, das bewertet werden musste? Sein Fell sträubte sich vor Wut. „Was fällt Ihnen ei- Au!“ Bevor er ausreden konnte, wurde er mit einem Tritt des Zwingerbesitzers zum Schweigen gebracht. Vor Schmerz wimmerte er leise und schlang seine Arme um seinen attackierten Brustkorb. Das würde wohl für neue Blutergüsse sorgen. Der Fremde aber blieb von dem Akt der Gewalt, der sich gerade vor seinen Augen abgespielt hatte, absolut unberührt. So wie es alle Menschen taten, wenn es sich bei dem Opfer um einen Neko handelte. Er hatte ein Scheckbuch aus seiner Manteltasche geholt und schrieb einen Betrag nieder, den er dem Zwingerbesitzer zeigte. „Das ist alles, was ich bereit bin zu bezahlen. Mehr können Sie für ihn auch nicht verlangen“, verkündete der Schwarzhaarige selbstbewusst. Ritsu durfte selbstverständlich keinen Blick auf die Summe werfen, doch er konnte an der Reaktion des Zwingerbesitzers erahnen, dass es wohl mehr war als sich dieser jemals erhofft hatte zu erhalten. „Ich stelle Ihnen sofort die Papiere aus.“ Danach folgte die Prozedur, von der Ritsu schon tausendmal gehört und die er bis vor kurzem immer gefürchtet hatte. Ihm wurde ein Halsband umgelegt, das ihn als Besitztum markieren sollte und er bekam die Kleidung eines einfachen Dienstboten. Die bestand aus einer schwarzen Hose, die so groß war, dass er die Beine umstülpen musste um nicht darüber zu stolpern, einem übergroßen weißen Hemd und einem schwarzen Gilet. Zu guter Letzt bekam er noch schwarze Schuhe mit fast durchgelaufener Sohle. Er bekam nicht mehr an Kleidungsstücken und das, obwohl es Winter war und es gestern angefangen hatte zu schneien. Der Neko konnte nur hoffen, dass sein neuer Master ihn nicht zu Fuß zu seinem neuen Zuhause laufen lassen würde. Schweigend folgte er dem Schwarzhaarigen nach draußen und obwohl es das erste Mal seit langer Zeit war, dass er außerhalb des Zwingers bei Tageslicht war, konnte er es doch nicht genießen, da er geradewegs ins Ungewisse zusteuerte. Sein Besitzer schien jedenfalls keine Empathie für Nekos zu haben, da er vorhin, als Ritsu ach so kraftvoll getreten worden war, noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte. Nun, da Ritsu ihn genauer studierte, stellte er fest, dass sein neuer Master nicht um sehr viel älter war als er selbst. Das machte ihn ihm nicht gerade sympathischer, aber zumindest weniger einschüchternd. Gemeinsam stiegen sie in ein Auto, einem Zweisitzer, das sich wohl nur die höhere Schicht der Gesellschaft der Menschen leisten konnte. Auf dem Weg zu dem Anwesen des Masters sprachen sie kein Wort, was Ritsu ganz recht war. Es war ihm lieber, als Interesse und Gehorsam heucheln zu müssen während einer Konversation. Die Augen des Nekos weiteten sich erstaunt, als sie schließlich in die Einfahrt eines großen, pompösen Herrenhauses einbogen. Das war also sein neues Zuhause? Sein Master musste in der Tat über sehr viel Einfluss und Geld verfügen. Schon nachdem sie die Eingangstür hinter ihnen schlossen, eilte eine Reihe von Bediensteten herbei und nahm dem Schwarzhaarigen seinen Mantel ab. „Wascht ihn und steckt ihn in Kleidung, in der er annehmbar aussieht“, befahl er einer der Bediensteten, die lächelnd nickte und den Neko mit sich zog. Ehe er sich versah, befand er sich in einer lächerlich großen Badewanne und betrachtete seine Reflexion in den Seifenblasen des Schaumbades. Die ältere Bedienstete kam wenige Augenblicke später in das Badezimmer, mit einem Stapel Kleidung in den Armen. „Oh, Süßer, tut mir leid, aber ich werde deinen Kopf einschamponieren müssen. Deine Haare bedürfen dringend Pflege“, warnte sie ihn mit einem warmen Lächeln vor und rückte ihre kleine runde Brille zurecht. Da er ohnehin keine andere Wahl hatte, ließ er es über sich ergehen, stellte aber schnell fest, dass es keineswegs eine unangenehme Erfahrung war. Er mochte den blumigen Geruch des Schampos und genoss die massierenden Handbewegungen auf seiner Kopfhaut. Plötzlich hielten die Hände aber inne. „Ach, Gottchen, das sieht mir aber nach einer ordentlichen Beule aus. Ich sollte dir dann sofort Eis auflegen“, überlegte sie laut. Dann massierte sie fröhlich summend weiter. Schließlich war sein Bad beendet und er fühlte sich frisch und entspannt. Die Kleidung, die ihm bereitgelegt worden war, bestand aus einer dunklen Hose, einem hellen Hemd und einem beigefarbenen Pullover, der sich warm und weich an seine Haut schmiegte. Zum ersten Mal fühlte er sich wohl in seiner Haut. Kurze Zeit später kam die ältere Bedienstete zurück um ihn zu abzuholen. „Ach, ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Nenn mich einfach Eba“, fiel ihr plötzlich ein und sie schlug ihre Hände verlegen an ihr Gesicht, als hätte sie einen großen Fauxpas begangen. „Ich bin Onodera Ritsu, Eba-san“, stellte der Hybride sich schüchtern vor. Die ältere Frau lächelte. „Na, du bist ja ein Goldstück! Ich bin sicher Madam wird entzückt von dir sein.“ Er wusste nicht, wovon sie sprach, aber er würde es wohl schon sehr bald herausfinden. Eba führte ihn in den Westflügel des Hauses bis sie schließlich vor einer Tür hielten. „Sie erwartet dich bereits“, meinte Eba aufmunternd und tätschelte ihm noch einmal kurz mütterlich den Kopf, behutsam, seine Beule nicht zu treffen. Dann ließ sie ihn allein. Ritsu schloss kurz die Augen und atmete noch einmal tief durch, bevor er zaghaft die Tür öffnete. Überraschenderweise befand er sich in einem Schlafzimmer. In der Mitte des Raumes stand ein großes Himmelbett, in der eine ältere, gebrechlich aussehende Frau lag. An ihrer Seite stand der schwarzhaarige junge Mann, der ihn gekauft hatte. „Ist er das?“, fragte eine schwache, raue Stimme. Der Schwarzhaarige nickte nur und bedeutete dem Neko, näher zu kommen. „Er ist der letzte Onodera. Genau, was du wolltest, obaa-san“, verkündete er mit einer unerwartet sanften Stimme. Seine Großmutter schenkte ihm ein Lächeln und drückte seine Hand. „In der Tat. Und er ist wunderschön. Komm näher, mein Junge“, forderte sie ihn freundlich auf, worauf der Neko natürlich Folge leistete. Von nahem sah die alte Dame sogar noch kleiner und fragiler aus als von der Ferne. Ritsu, der sich gerade noch rechtzeitig an seine Manieren erinnerte, verbeugte sich tief. „Wie ist dein Name?“ „Ritsu, Herrin“, antwortete der Hybride sogleich. Sie musterte ihn neugierig von oben bis unten und piekte ihn schließlich mit einem langen Finger in den Magen. „Masamune, zeig ihm doch das Haus. Und sorge dafür, dass ihm eine ordentliche Mahlzeit zubereitet wird. Er fällt uns ja schon fast von den Knochen“, wandte sie sich dann an ihren Enkel. Dieser sah mit einem ausdruckslosen Gesicht zu dem Neko. „Das ist die Bibliothek.“ Der Neko mit den zimtfarbenen Haaren konnte seinen Augen nicht trauen. War er im Paradies? Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Bücher gesehen. Davon hatte er stets nur träumen können. Aber nun war sein Traum zum Greifen nah. Ohne es zu merken wanderte er mit verzücktem Blick an den Regalen entlang. Masamune konnte die Sehnsucht in den peridotfarbenen Augen sehen, die ihn an jemanden auf Diät erinnerte, dem man ein meterlanges Büffet zeigte. Offensichtlich hatte der Hybride eine Leidenschaft für Literatur. Genau wie er selbst. Er seufzte. „Bedien dich ruhig.“ Darauf drehte sich Ritsu zu dem Älteren um und sah ihn mit solch leuchtenden Augen und einem derart herzerweichenden Lächeln an, dass dem anderen eine unerwartete Wärme erfüllte. Dieses Gefühl schüttelte der junge Mann aber sofort ab. Zu guter Letzt brachte er den Hybriden zu seinem Zimmer, bei dessen Anblick der Neko vor Staunen und Dankbarkeit kaum wusste, wie er sich verhalten sollte. Er hatte ein weiches Bett, einen geräumigen Kleiderschrank und vom Fenster aus einen wunderschönen Ausblick auf den Garten des Anwesens. Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, gekauft worden zu sein, dachte Ritsu bei sich und ihm war ein wenig leichter ums Herz. Ehrlichgesagt hatte er sich schon Sorgen um seine Situation von nun an gemacht. Zurzeit schien es ihm aber, als waren diese vollkommen unbegründet. Der Schwarzhaarige beobachtete ausdruckslos wie sich der Neko umsah und mehr als nur zufrieden wirkte. „Ich habe dich gekauft, damit du meiner Großmutter jeden Wunsch erfüllst. Du unterstehst nun ihrem Dienst“, teilte er ihm dann mit, um sich so bald wie möglich wieder um seine eigenen Angelegenheiten kümmern zu können. Ritsu, der gerade eben noch gierig aus dem Fenster gesehen hatte, drehte sich abrupt um und verbeugte sich. „Sehr wohl, Master.“ Ein Neko unterstand demjenigen, der ihn gekauft und über seine Papiere verfügte, so besagte es das Gesetz. „Eba wartet mit einer frisch gekochten Mahlzeit unten in der Küche auf dich“, fügte Masamune kurzangebunden hinzu. Der Brünette fühlte den kühlen Blick seines Masters noch einige Zeit auf sich ruhen, bevor dieser sein Zimmer verließ. Nachdem er sich eine Weile auf sein Bett gelegt hatte und alles noch einmal Revue passieren ließ, musste er sich doch eingestehen, dass ihn immer noch Sorgen plagten. Was, wenn sich die Großmutter als nekofeindlicher Mensch entpuppte? Was, wenn er in seiner Tollpatschigkeit, die ihm seit Geburt anhaftete, ein Missgeschick passierte und er dafür bestraft würde? Was, wenn sie bald feststellte, dass er nicht die Art von Neko war, die sie wollte und er wurde weiterverkauft? Auf dem Weg in die Küche versuchte er ohne großen Erfolg, diese Sorgen abzuschütteln, nur um sich noch mehr darin zu verlieren. Schweren Herzens seufzte er. „Was ist los, Herzchen?“, fragte Eba ihn mit einem mitfühlenden Lächeln und stellte ihm ein Teller vor die Nase. „Dankeschön, Eba-san“, bedankte der Neko sich für die Mahlzeit, schlug die Hände zusammen und flüsterte ein „Itadakimasu“ bevor er sich darüber hermachte. Der Hunger hatte ihn bereits solange gequält, dass er ihn kaum mehr bemerkte, doch in diesem Augenblick wurde ihm schmerzhaft bewusst wie leer sein Magen tatsächlich war. Das ältere Dienstmädchen setzte sich ihm gegenüber an den kleinen Tisch in der Küche und musterte ihn eingehend. Sie hatte den prüfenden Blick, der von Erfahrung und Menschenkenntnis sprach. „Der junge Herr hat dich bestimmt schon herumgeführt“, mutmaßte sie. „Das Haus ist wirklich sehr schön.“ Ritsu fühlte sich schon beinahe verpflichtet, dieses Kompliment auszusprechen, auch wenn es stimmte. Eba grinste breit. „Mir wurde bereits gesagt, dass du für Takano-sama zuständig bist. Ihre Gesundheit hat ihr in letzter Zeit ziemlich zu schaffen gemacht, aber ich bin sicher, dass sich ihr Gemüt mit deiner Anwesenheit bessern wird.“ Eba tätschelte ihm mütterlich den Arm. Ihre Stimme verriet die Demut und den tiefen Respekt, die sie für ihre Herrin hegte. „Sie ist eine weise, ehrliche Frau. Und ich bin mir sicher, dass sie deine Gesellschaft sehr schätzen wird“, meinte sie beruhigend. Sie hatte es tatsächlich geschafft, Ritsu von einigen seiner Sorgen zu erlösen, was ihr ein schüchternes Lächeln von ihm einbrachte. „Du wirst bald Teil dieses Haushaltes sein, du wirst sehen.“ „Ich hasse es, ans Bett gefesselt zu sein. Es trägt nur dazu bei, dass ich mich nutzlos fühle“, seufzte die ältere Dame müde. Sehnsüchtig warf sie einen Blick Richtung Fenster. Ritsu konnte es ihr bei dem traumhaften Wetter draußen wahrlich nicht verdenken. „Oh, Ritsu, lass uns Schach spielen. Damit zumindest meine grauen Zellen in Gebrauch bleiben“, schlug sie dann wie aus dem Nichts vor und überraschte damit den Neko. Dieser folgte ihrer Aufforderung aber nichtsdestotrotz. Weil er noch nie Schach gespielt hatte, musste sie ihm zuerst die Spielregeln erklären, doch es dauerte nicht lange, bis der erste Zug überdacht wurde. Ritsu war sich nicht sicher, ob von ihm erwartet wurde, dass er absichtlich verlor. Zwar musste er sich als Anfänger in diesem Spiel derzeit noch nicht darum bemühen, doch trotzdem beschäftigte ihn dieser Gedanke. „Ich weiß, was du denkst“, riss Takano-san ihn aus seinen Gedanken, während sie einen Springer über die Felder hüpfen ließ. „‘Ist es erlaubt, die alte arme Frau zu schlagen‘, hab ich recht?“, vermutete sie, worauf Ritsu erstarrte. Ihr Lachen ertönte munter und viel gesünder als es ihr Körper war. „Die Sorgenfalte auf deiner Stirn hat dich verraten. Ach, und wage es ja nicht, mich gewinnen zu lassen.“ „Ich glaube nicht, dass ich Willen brauche um zu verlieren, Herrin.“ Das erste Spiel gewann tatsächlich die ältere Herrin. Sie spielten noch zwei weitere Runden miteinander und bei der letzten schaffte Ritsu es sogar, Takano-san zu besiegen. Außerdem stellte er fest, dass ihm das Spiel Freude bereitete. Vor allem, Takano-san als Spielpartnerin zu haben, gefiel ihm mehr als er es je erwartet hätte. Sie spielten in Stille und doch bedrückte das Schweigen keinen von ihnen. Er fühlte sich seltsam wohl in ihrer Gegenwart. „Ritsu, ich möchte, dass du Masamune Tee bringst. Seine Studierzeit ist jetzt vorbei. Du findest ihn in der Bibliothek“, forderte sie ihn nach ihrem letzten Spiel auf und lächelte kurz. Kapitel 2: Es war einmal ein kleines Pflänzchen... -------------------------------------------------- Bevor er eintrat, klopfte er sicherheitshalber noch einmal an die Tür. Er bekam aber keine Antwort, also verschaffte er sich ohne dessen Eintritt, wenn auch deutlich verunsicherter. „V-verzeih“, setzte er an, doch verstummte als er sah, dass sein Master schlafend auf dem Sofa in der Mitte des Raumes saß. „-ung.“ Zaghaft trat er näher und stellte das Tablett vorsichtig und darauf bedacht so wenig Lärm wie möglich zu machen, auf den niedrigen Couchtisch ab. Unbewusst sah er sich das Gesicht seines Masters von nahem an. Er sieht wirklich friedlich aus wenn er schläft. Und jung. Und unschuldig. Und plötzlich wirkt er viel sympathischer und menschlicher… bemerkte Ritsu gedanklich. Sein Gesicht war inzwischen nur wenige Zentimeter von dem des Schwarzhaarigen entfernt. In diesem Moment öffneten sich die bernsteinfarbenen Augen eben jenes und der junge Neko zuckte vor Schreck zurück und stolperte über seinen eigenen Schwanz. Es gelang ihm nicht, das Gleichgewicht zu halten, was darin endete, dass er unsanft auf seinem Hinterteil landete und sein Schwanz sich in eine schmerzhafte Richtung bog. „Was machst du, du Tollpatsch?“, fragte der Schwarzhaarige trocken und zog die Augenbrauen spöttisch nach oben. Den Schmerz vergessend sprang der Brünette auf und verbeugte sich tief. „Ver-Verzeihung, Master“, stieß er ungeschickt hervor. „Ich… wollte… Ich sollte Ihnen Tee bringen.“ Grüne Augen huschten kurz zu dem Tablett auf dem Tisch. „Mein Name ist Saga Masamune. Also hör auf mich ‚Master‘ zu nennen“, sagte der junge Mann ausdruckslos während er nach der Tasse Tee griff. Bei dem vertrauten Klang dieses Namens erstarrte Ritsu. Seine Augen hatten sich vor Schreck geweitet und seine Wangen überzog ohne dass er es merkte eine leichte Röte. Erinnerungen von längst vergangenen glücklicheren Zeiten übermannten ihn und Gefühle, die er so lange verdrängt hatte, brachen zurück an die Oberfläche. Der Hybride wollte es nicht wahrhaben. Er konnte nicht glauben, dass dieser Junge derselbe sein sollte, in den er sich vor einigen Jahren verliebt hatte. In seiner Erinnerung war Saga Masamune ein stiller, melancholischer Junge, der stets mit einem Buch in der Hand vorzufinden war. Dieses Bild passte so gar nicht zu dem, was er nun vor Augen hatte, wenn er seinen neuen Master sah. Konnte dieser gefühlskalte, apathische Mensch wirklich seine erste große Liebe sein? Er hatte sich so sehr verändert, dass es Ritsu beinahe schmerzte, die Verbindung zwischen diesen zwei so unterschiedlichen Menschen zu ziehen. „Hast du mich nun endlich erkannt?“, fragte der Schwarzhaarige mit einem beißenden Unterton und strafte den Neko mit einem scharfen Blick. Obwohl die Haltung ihm gegenüber mehr als nur feindselig war, fühlte Ritsu Erleichterung in sich aufwallen. „Saga-sempai“, hörte er sich selbst flüstern, als würde er neben sich stehen und die ganze Szene nur beobachten. Das alles kam ihm seltsam unrealistisch vor. „Na, sieh einer an, deine Erinnerungen sind noch intakt“, merkte der gerade Angesprochene sarkastisch an. „Ich hatte schon gedacht mit deinem Gedächtnis wäre etwas nicht in Ordnung.“ Ritsu versuchte immer noch, dieser rasanten Wendung seines Schicksals zu folgen. Es gelang ihm nur schwer. Zu unmöglich erschien es ihm, dass einst Verlorenes plötzlich verkörpert vor ihm stand und zum Greifen nah war. „Wie… ich meine, warum?“, brachte er nach einem Moment der Stille schließlich hervor. Er war zu überwältigt um seine Situation zu überdenken. Er wollte schreien, lachen, den anderen umarmen und ihm eine Ohrfeige verpassen. Alles gleichzeitig. „Es sind nur drei Jahre vergangen und dennoch hast du so lange gebraucht um mich zu erkennen.“ Der Schwarzhaarige gab ein abfälliges Schnaufen von sich. „Naja, es zeigt mir zumindest, dass es für dich wirklich nur ein Spiel war. Ich will gar nicht wissen mit wie vielen anderen du dasselbe abgekartete Spiel gespielt hast.“ Nun war der junge Neko schlichtweg verwirrt. „Wovon redest du? Was für ein Spiel?“ Daraufhin ertönte ein humorloses Lachen. „Du warst schon immer gut darin, die Unschuld zu spielen. Zuerst wickelst du sie um den Finger und dann stichst du ihnen das Messer in den Rücken, ist es nicht so?“ „Das würde ich nie tun!“, verteidigte Ritsu sich, empört solche Unterstellungen an den Kopf geworfen zu bekommen, von seiner Sicht aus auch noch ohne erfindlichen Grund. Früher mochte er sich jegliche Gemeinheiten gefallen lassen haben, aber die letzten drei Jahre im Zwinger hatten ihn abgehärtet und mit der harten Wahrheit der Realität vertraut gemacht. Es hatte ihn seine Unschuld und Naivität gekostet, aber zumindest konnte er nun für sich selbst gerade stehen. Dann wurde es ihm plötzlich klar, warum der andere so wütend war. Damals, als er Saga Masamune, zu diesem Zeitpunkt gerade erst 17 Jahre alt, kennengelernt hatte, war er noch ein freier, glücklicher Neko gewesen. Er hatte eine Familie gehabt, ein Paar etwas überfürsorglicher Eltern. Sein Zuhause war friedvoll gewesen und er hatte jegliche Freiheiten genossen, die ihm damals als so selbstverständlich erschienen waren. Seine Familie hatte zu jenen Zeiten bei einer wohlhabenden älteren Dame gelebt, die die Hybriden stets wie Gleichgestellte behandelt hatte. An einem Tag hatte er dann einen Jungen kennengelernt, der eine Ausstrahlung von Einsamkeit und Melancholie in sich vereinte, die ihn vom ersten Augenblick an in ihren Bann gezogen hatte. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, doch in seiner unendlichen Naivität kam es ihm nicht in den Sinn, dass sie auch zum Scheitern verurteilt war. Dennoch hatte ihre Liebe langsam angefangen zu sprießen. Das Pflänzchen dessen war so zart, dass ein Sturm es ohne weiteres ausgerissen hätte, aber obwohl es auf unfruchtbaren Boden wuchs, schien es eine der schönsten Blumen zu werden, die die Natur hervorbringen konnte. Der Sturm zog allerdings überraschender auf als erwartet und fegte in schierer Brutalität und Zerstörung über die Pflanze hinweg. Ritsus erste Herrin war verstorben. Noch bevor er sich dessen wirklich bewusst werden konnte, waren Männer in Schwarz gekommen und hatten ihn mitgenommen. Seine Eltern hatte er von diesem Tag an nicht mehr gesehen, doch die Gewissheit, der letzte Onodera zu sein, überließ nicht sehr viel der Fantasie. „Es ist alles ein Missverständnis!“, versuchte Ritsu sich zu rechtfertigen. „Du wusstest, dass ich nicht frei war! Ich bin nicht freiwillig verschwunden, das musst du mir glauben!“ Der Blick dieser intensiven bernsteinfarbenen Augen ruhte auf ihn, wobei es sich für ihn so anfühlte, als könnten sie bis ins tiefste Innere seiner Seele blicken. Innerlich verfluchte Ritsu sich für diese kitschige Vorstellung. „Natürlich wusste ich das. Und ich hätte es verhindern können, wenn du mich nicht belogen hättest, Oda Ritsu. Kein Wunder, dass meine Suche vergebens war, denn es gab nie einen Neko unter diesem Namen“, spie Saga gehässig aus. Ritsus Gesicht verformte sich zu einer Maske aus purem Horror. Wie hatte er das vergessen können? Diesen falschen Namen, den seine Eltern ihm aufgedrängt hatten, um ihn zu schützen. Er war ein folgsamer Sohn gewesen und hatte die Anweisungen seiner Eltern nicht hinterfragt. Er hatte immerhin gewusst, dass es gefährlich war, unter dem Namen Onodera, eine der meistbegehrtesten Rassen unter den Nekos, herumzulaufen. Nie hätte er für möglich gehalten, dass eben dieser Schutzmechanismus sein Leben verkomplizieren würde. „Ich musste lügen! Es war andernfalls nicht sicher! Meine Eltern und meine Herrin hatten meine Geburt nie auflisten lassen sonst hätten sie mich sofort mitgenommen!“, begründete Ritsu sein Verhalten. Er bemerkte nicht einmal, dass seine Stimme lauter geworden war. Zu sehr war er darum bemüht, den anderen dazu zu bringen, zu verstehen. Sie hatten damals das Gesetz umgangen, nur für ihn. Seine Familie, zu der er auch seine ehemalige Herrin zählte, hatte sich selbst in Gefahr gebracht, nur um zu verhindern, dass Ritsu ihnen genommen wurde. Wie es das Gesetz verlangte, musste jeder neugeborene Neko von seinen Eltern getrennt und in einen Zwinger gebracht werden damit das Training dessen dort beginnen konnte. „Glaubtest du, ich würde dich verraten?“, fragte Saga dann leise, enttäuscht. „Oder wolltest du gar nicht, dass ich dich finde? Vielleicht war alles, was du jemals gesagt hast eine Lüge?“ Allmählich ermüdete den Neko dieses Gespräch. Nie hätte er gedacht, dass eine Wiedervereinigung derart frustrierend, deprimierend und gleichzeitig freudig sein würde. Wütend funkelte der Brünette seinen neuen Master an. „Ich bin kein Lügner! Ich habe dich wirklich geliebt! Warum sollte ich sowas auch erfinden? Was würde mir das bringen?“, fuhr er ihn an, unfähig seinen Zorn zu bändigen. Die Enttäuschung über die Entwicklung der Persönlichkeit seiner ersten großen Liebe, zu der er stets mit Augen voll Anerkennung aufgeblickt hatte, schmerzte ihn zutiefst. Er hatte Saga-sempai immer idealisiert gehabt, als Personifizierung seines persönlichen Helden angesehen und nun musste er feststellen, dass all das nur Illusion war. Saga war ein Mensch wie jeder andere, mit Fehlern und Makeln, die er noch nicht einmal zu verstecken versuchte. Es schien als strebte er nicht einmal danach, ein besserer Mensch zu werden, als gäbe er sich vollkommen der Idee hin, dass er von Grund auf und unwiderruflich verdorben war. „Beweis es“, murmelte Saga mit tiefer Stimme, kaum hörbar und ehe sich der Hybride versah, wurde er auf die Couch gezogen und Lippen pressten gegen seine eigenen. Vor Überraschung wehrte er sich anfangs, verlor den Kampf schließlich aber an seinen eigenen Körper, der wie von selbst dem Kuss entgegenkam und die Arme um den Nacken des anderen schlang. Als ihm allerdings bewusst wurde, was er da tat, schubste er den Älteren von sich und fuhr sich schweratmend über die nun geschwollenen Lippen. „Die Dinge sind nicht mehr so wie früher!“, zischte er, mehr wütend auf seine eigene Reaktion als auf die Handlung des Schwarzhaarigen. „Du hast dich verändert.“ Er konnte sich nicht helfen, Anklage schwang in seiner Stimme mit. Daraufhin zog Saga nur die Augenbrauen nach oben. „Du dich doch auch. Wir sind beide nicht mehr die, die wir einmal waren. Die Sache ist nur die, dass ich dich über die letzten Jahre hinweg nicht vergessen konnte. Also wirst du wieder mein sein“, meinte der ältere der beiden bestimmt. Kapitel 3: Erforene Herzen -------------------------- Ritsu tat wirklich alles in seiner Macht stehende, um Saga aus dem Weg zu gehen. Selbst, wenn er gezwungen war, dem Schwarzhaarigen auf Wunsch seiner Großmutter Gesellschaft zu leisten, hielt er genügend Abstand und verschwand augenblicklich nach Beendigung seiner Pflichten. Saga quittierte sein Verhalten mit einem abschätzigen Blick, doch er sprach ihn nicht darauf an, worüber er sehr froh war. Sollte dieser ihm einen Befehl erteilen, musste er diesen nämlich ausführen. So verlangte es das Gesetz. Dafür aber war ihm Takano-san – also, Sagas Großmutter – sehr ans Herz gewachsen. Sie war eine gutmütige, intelligente Frau, die ihn wie einen Gleichgestellten behandelte. Für sie war er nicht ihr Sklave, sondern ein Teil der Familie. Sagas Eltern hatte er noch nicht kennengelernt, da diese sich auf einer Reise befanden. Gerade brachte Ritsu seiner Herrin ihren Tee, als diese laut aufseufzte. „Sieh nur aus dem Fenster, Ritsu. Das Wetter ist herrlich. Es hat endlich geschneit!“ Nachdem er das Tablett auf ihrem Nachttisch abgestellt hatte, richtete Ritsu seinen Blick in die ihm befohlene Richtung und seine Augen weiteten sich augenblicklich. Unbewusst trat er näher an das Fenster heran und drückte seine Handflächen gegen die Scheibe. Ein Ausdruck der Sehnsucht huschte über sein Gesicht. „Ritsu, würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragte die alte Dame lächelnd. Ihr war seine Reaktion natürlich nicht entgangen. Ihre Gesundheit mochte schwinden, doch ihre Sinne ließen sie nicht im Stich. Vor allem nicht ihr sechster Sinn. Ohne seinen Blick von der Winterlandschaft abzuwenden nickte Ritsu. „Leider kann ich den Schnee nicht mehr genießen, weil ich ans Bett gefesselt bin. Aber du, mein Junge, bist noch jung und gesund. Geh nach draußen und bau mir einen Schneemann. Ich will ihn von meinem Fenster aus sehen können.“ Sie musste den Neko nicht zweimal darum bitten. Er nickte eifrig und stürmte beinahe aus dem Zimmer. Takano-san sah ihm noch lächelnd hinterher. Es wäre ihr lieber, wenn sie den Hybriden öfter so aufgeweckt erleben würde. *** Die Schönheit und Reinheit des unberührten Schnees verlor bald wegen einer unangenehmen Nebenerscheinung den Reiz: die Kälte. Alle Kleidungsstücke, die Ritsu besaß, waren nicht für solche Temperaturen geeignet. Er hatte weder einen Mantel, noch wasserfeste Schuhe. Aber er durfte sich davon nicht abhalten lassen. Seine Herrin wollte, dass er einen Schneemann baute. Also baute er auch einen. Nicht nur, weil er es musste, sondern weil er seiner Herrin eine Freude machen wollte. Verwundert stand er also draußen und beobachtete die weißen Flocken, die gemächlich vom Himmel fielen. Bald schon streckte er seine Hand aus und beobachtete, wie vereinzelt eine Schneeflocke auf seiner Handfläche landete. Die Schönheit dieser konnte er allerdings nicht lange betrachten, da sie sehr bald schmolz. Traurig lächelte er. Alles Schöne in seinem Leben schien schneller zu vergehen, als es ihm lieb war. Wie lange hatte er schon keinen Schnee mehr gesehen? Wann hatte er das letzte Mal im Schnee gespielt? Es musste Jahre her sein. Sie hatten ihm Anblicke wie diesen nicht mehr gewährt und somit sein Herz zum Erfrieren gebracht. Er schüttelte den Kopf, wie um sein Unglück loszuwerden, das tief in ihm verankert war, und machte sich an seine Aufgabe. Es dauerte nicht lange, bis seine Finger taub waren und seine Zehen unangenehm kribbelten. Er war fast fertig, nur noch der Kopf fehlte, als plötzlich eine Ladung eiskalter Schnee auf seinem Kopf landete und dort gemächlich verrieben wurde. Vor Überraschung schrie er auf und fuhr wild herum. Er entdeckte den Übeltäter sogleich und wurde wütend. „Hey, was soll das?!“, regte er sich auf und schüttelte den Schnee ab. Seine armen Ohren zitterten wegen der Kälte, der sie ausgesetzt worden waren. Saga Masamune blieb von seinem Wutanfall unbeeindruckt. Er sah noch nicht einmal reuevoll aus. Dabei gab Ritsu in der Tat ein sehr bemitleidenswertes Bild von sich. Er war durchnässt, zitterte am ganzen Körper und sein Schwanz wedelte unruhig hin und her. Er erinnerte an eine Katze, die in eine Pfütze gefallen war. „Ein Idiot bekommt was er verdient“, sagte Saga nur und zuckte mit den Schultern. „Hier!“ Er warf Ritsu einen grauen Mantel zu, den dieser gerade noch auffangen konnte. Verwirrt blickte der Hybride zwischen dem Kleidungsstück und seinem Master hin und her. „Jetzt zieh ihn schon an!“, herrschte der Ältere ihn nach einer Weile ungeduldig an. Sofort schlüpfte Ritsu in die Ärmel des Mantels und knöpfte ihn bis zum Hals zu. Dennoch zitterte sein Körper immer noch unnachlässig. Die Kälte war inzwischen bis zu seinen Knochen durchgedrungen. Er konnte sich kaum noch bewegen. Saga seufzte. Dann trat er zu ihm und wickelte ihm seinen eigenen Schal um den Hals. Er sorgte dafür, dass dieser auch noch einen Teil seines Gesichts bedeckte. Ritsu war von dieser Handlung so überwältigt, dass er sogar vergaß zu atmen. „D-danke“, brachte er gerade so hervor. Saga lächelte unheilvoll. „Keine gute Tat ist umsonst.“ Kapitel 4: The Most (un)Wanted ------------------------------ Von nun an war es unmöglich, Saga zu meiden. Dieser hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Neko durch seine Nähe zu verunsichern und ihn dann mit einer unverschämten Zufriedenheit auf die Röte in seinem Gesicht hinzuweisen. Doch das war noch nicht genug der Demütigung. Kaum passte Ritsu einmal nicht auf, fand er sich in einer fast schmerzhaft engen Umarmung wieder oder schlimmstenfalls sogar in einem feurigen Kuss. Es war kein Wunder, dass der arme Neko verwirrt war. Einerseits waren diese Berührungen leidenschaftlich und manchmal sogar liebevoll und verpassten ihm Schmetterlinge im Bauch, doch andererseits ließ das selbstgefällige Schmunzeln des Älteren die armen Schmetterlinge sofort gefrieren. Was sollte er davon nur halten? Sicher tat Saga all diese Sachen nur, um ihn zu ärgern und nicht, weil er aufrichtig etwas für ihn empfand. Ritsu kam bald zu dem Schluss, dass dies ein Racheakt für sein Verschwinden sein sollte. So hatte man ihn also nicht nur seiner Freiheit beraubt, sondern ihn auch noch in seine persönliche Hölle gesteckt. Um das Unglück des Hybriden noch zu steigern musste er bald feststellen, dass die restlichen Angestellten des Anwesens alles andere als angetan von ihm waren. Mit der Ausnahme von Eba, natürlich. Allerdings bekam er Eba nicht allzu oft zu Gesicht, da ihr Aufgabenbereich beinahe ausschließlich in der Küche lag. Er als Neko war dort nicht willkommen. Immerhin war er nicht mehr als ein dreckiger Streuner in den Augen der Küchengehilfen. Sein Essen stellte man ihm in einer Schüssel auf den Boden. Sein Herz zog sich bei diesem Anblick jedes Mal wieder aufs Neue zusammen. Warum konnte niemand sehen, dass er trotz der Unterschiede immer noch ein Mensch war und es verdiente, auch wie einer behandelt zu werden? An diesem Tag aber war das gesamte Dienstpersonal in Aufruhr und in noch schlechter Stimmung als sonst. Nancy, eine der vielen Dienstmädchen, scheuchte Ritsu schon sehr früh aus seinem unbequemen Klappbett und drückte ihm einen Besen in die Hand. Ein großer Hausputz stand ihm an diesem Tag bevor und niemand aus dem Personal konnte sich davon drücken. Aber sie konnten zumindest die unangenehmsten Aufgaben dem Neko überlassen. Das war auch der Grund, warum Ritsu sämtliche Toiletten des Hauses putzen musste. Der einzige Lichtblick des Tages war ein altes Radio, das mehr knisterte als dass es Musik erzeugte. Dennoch erschien der Tag mithilfe der Musik nicht mehr ganz so schrecklich. Zu seinem Pech durfte er sich nicht allzu lange in dem Raum, in dem das Radio sich befand, aufhalten. Doch eines der Lieder, das er gehört hatte, hatte sich in seinem Kopf verankert. Er erwischte sich sogar selbst dabei, die Melodie zu summen. Bevor er es merkte, hatte er sogar leise zu singen begonnen. „Dreaming, I was only dreaming Of another place and time Where my family's from.“ * Es war schließlich Saga, der ihm einen Grund für die Aufregung des Tages lieferte. Ritsu und sein Master hielten sich zu diesem Zeitpunkt gerade in der Bibliothek auf. Die Bibliothek schien ein Ort zu sein, den sie beide liebten. Saga verbrachte wohl den Großteil seiner Zeit in diesem Raum. Nachdem Saga den Tee, den ihm Ritsu auf Bitte Takano-sans jeden Tag brachte, entgegengenommen hatte, zog er den Neko zu sich auf das Sofa, auf dem er üblicherweise las. Der Ältere beachtete gar nicht, dass sich der Hybride versteifte und sich unbemerkt aus seinem Griff zu winden versuchte und zog ihn auf seinen Schoß. Ritsus Gesicht war rot wie eine Tomate vor Scham und Wut, was Saga ganz besonders zu amüsieren schien. Die langen Finger seines Masters glitten unbeschwert seinen Rücken entlang und lenkten Ritsu beinahe davon ab, aus diesen Armen fliehen zu wollen. „Du riechst nach Reinigungsmittel“, bemerkte Saga. Für Ritsus Geschmack waren die Lippen des anderen zu nahe an seinem Ohr. Mit beiden Händen drückte er gegen die Brust des Älteren, doch die Arme ließen nicht locker. Im Gegenteil, sie umschlangen seine Taille nur noch fester. „Da-das ist nun mal so, wenn man den ganzen Tag putzt!“, gab der Neko irritiert zurück. Dann spürte er wie die Nase des anderen seinen Hals berührte und ein unmännliches Quieken entfuhr ihm. Plötzlich aber zog Saga sich zurück und Ritsu bemerkte, dass ein dunkler Ausdruck in seine Augen getreten war. „Putzen? Ach ja, richtig, deshalb die ganze Aufregung. Meine Eltern kommen morgen zurück“, murmelte er, mehr an sich gewandt als an Ritsu. „Warum sind dann alle so gereizt?“ Die Frage war aus ihm geschossen, bevor er überhaupt darüber nachdenken konnte. Erschrocken über seine dreisten Worte klatschte er sich selbst eine Hand auf den Mund. Doch die Worte waren bereits über seine Lippen gekommen. Jetzt konnte er sie auch nicht mehr zurücknehmen. Zu seiner Überraschung lachte Saga kurz humorlos auf. Eine Hand strich ihm beinahe sanft durch die zimtfarbene Mähne. „Weil meine Eltern furchtbare Menschen sind. Nicht einmal die Dienstboten mögen sie.“ Die Bitterkeit dieser Worte erschrak den Neko ein wenig. Sollte man nicht zumindest Respekt, wenn schon nicht Liebe, für die eigenen Eltern empfinden? Er selbst, der seine Eltern vergöttert hatte, konnte ein solches Verhalten nicht nachvollziehen. „Geh ihnen, soweit du kannst, lieber aus dem Weg“, riet Saga ihm, während seine Hände Ritsus Gesicht umschlossen und ihn zwangen, in die kalten goldenen Augen zu sehen. Ritsu konnte nicht umhin, sich zu erinnern, dass dieses Gold einst so warm gewesen war, dass es sein Herz schmelzen konnte. „W-warum?“ Ritsu hatte beinahe ein wenig Angst vor der Antwort auf seine Frage. Lippen verschmolzen für kurze Zeit mit den seinen. Als der Kuss endete, verharrten die Lippen des anderen wenige Zentimeter vor seinen, sodass er den Atem des anderen einatmete. Die Worte, die der Ältere dann aber aussprach, hätte er am liebsten nicht eingeatmet. Er hätte sie am liebsten nicht einmal gehört. „Weil sie dir das Leben zur Hölle machen werden. Sie hassen Nekos.“ Diese Worte sandten einen Schock durch Ritsus Körper. Wie unter Strom zuckte er zurück, während seine Glieder zitterten. Es war kein Wunder, dass der Neko so reagierte. Er war lange genug im Zwinger gewesen, um zu wissen, wie schlecht Menschen, die Nekos verachteten, einen Angehörigen dieser Spezies behandeln konnten. Hatte er vorher noch geglaubt, sich in der Hölle zu befinden, so wurde ihm nun bewusst, dass es sich lediglich um das Fegefeuer handelte. Die Hölle stand ihm erst noch bevor. Er dachte an die Misshandlungen zurück, unter die sein Körper leiden hatte müssen und erschauerte. Augenblicklich sprang er aus den Armen des Älteren und ging auf Abstand. Er fühlte sich verraten. „Dann hättest du mich nicht kaufen sollen! Niemand bei Verstand bringt einen Neko in ein Neko-feindliches Zuhause! Warum tust du das? Gehört das auch zu deinem Racheakt?!“, tobte der junge Neko, allerdings mehr von Verzweiflung als von Wut angetrieben. „Ich habe dich nicht gekauft, weil ich dich wollte. Du warst ein Geschenk für meine Großmutter“, stellte Saga kühl klar. „Die Reaktion meiner Eltern auf dich interessiert mich herzlich wenig. Das ist nun deine Angelegenheit. Ich hab dich zumindest gewarnt.“ Ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen wandte sich Saga nun einem Buch zu. Das Gespräch war für ihn offensichtlich beendet. Diese Nacht konnte Ritsu nicht schlafen. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, suchten die Grausamkeiten, die ihm in seinem Leben widerfahren waren, ihn heim. Es war ein Albtraum, aus dem er nicht aufwachen konnte. Einst hatte er ihn zurücklassen können, doch nun sah es aus, als hätte er ihn wieder eingeholt. Vor Angst traute er sich kaum, die Augen zu schließen. Schließlich begann er leise zu singen, um sich selbst von seinen Ängsten abzulenken. „Dying Everyone's reminded Hearts are washed in misery Drenched in gasoline“* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)