Brothers till the end von MarySae (Sonic & Tails (Brüderlich!) OS-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Das Beste -------------------- Das Beste Ein ärgerliches Schnauben durchbrach die Stille des einsamen Waldes. Erneut strich er mit seiner Hand über die Augen, um den nervigen Tränen endlich Einhalt zu gebieten. Doch es gelang ihm nicht. Etwas in ihm schmerzte. Mit jedem Schritt, mit dem er sich weiter von dem Ort, den er bis vor kurzem noch „Zuhause“ genannt hatte, entfernte, schien der Schmerz in ihm weiter anzuschwellen. Die lauten Worte vom Nachmittag hingen noch immer in seinen Gedanken und wühlten ihn innerlich auf. So hatte er ihn noch nie erlebt. Seinen besten Freund und großen Bruder. Seine Stimme, sein Blick und dieses… Gefühl. Es schmerzte noch immer. Brannte regelrecht in seinem Kopf. Wie konnte das nur passieren? Warum war es bloß soweit gekommen? +++ „Bist du noch ganz dicht im Kopf? Hat dir dein geniales Hirn etwa den Verstand vernebelt?“ Sonic spie ihm die Worte regelrecht entgegen. Wie Gift schienen sie sich in Tails’ Kopf zu fressen. Verätzten ihn. „Ich wollte doch nur helfen! DU warst ja nicht in der Lage dazu etwas Sinnvolles zu tun!“ Er ließ es sich nicht anmerken. Er zeigte niemanden, wie sehr ihm diese Worte schmerzten. Die wütenden Blicke seines Bruders, die sonst so warm und liebevoll waren. Und das Schlimmste für ihn war die Tatsache, dass sie dieses Mal IHM galten. Er wollte nicht weinen, nein. Die aufkeimende Wut drängte die Tränen zurück. Er konnte das einfach nicht an sich heran lassen. Das würde er nicht verkraften… „Ich? Ich hatte wenigstens einen Plan! Verdammt, du hättest TOT sein können, kapierst du das nicht? Es ist ein Wunder, dass du hier überhaupt noch stehst!“ Ein Wunder? So sah er das also? Brauchte Tails ein „Wunder“, um aus einem Kampf lebend heraus zu kommen? Waren also all seine Anerkennung, sein Lob immer bloß schöne Worte gewesen und nichts weiter? War er abends immer froh gewesen, dass das Wunder mal wieder auf ihrer Seite gewesen war? Das war es also, was er von ihm und seiner Hilfe hielt? „Pah, dann hattest du heute aber verdammtes Glück, dass ich dir deinen Hintern in letzter Sekunde gerettet habe! Für mich sah es nämlich fast so aus, als ob du deinen Allerwertesten nicht mehr rechtzeitig unter dem netten, Lava-spuckenden Roboter wegbekommen hättest!“, zischte der Fuchs ihm entgegen. Sonics Augen verdunkelten sich. Heißer Schmerz. Seine Körperhaltung war ablehnend; sogar feindlich. Ein heftiges Stechen. Die Hände waren zu Fäusten geballt. Starke Übelkeit in seinem Magen. Und doch… Er ließ es nicht nach außen. Seine Mauer stand. „Weißt du was, Tails? Vergiss es!“ Nur wenige Momente und der Igel war verschwunden. Ein bodenloses, schwarzes Loch. +++ Sie hatten sich noch nie so gestritten! Harte Worte, wütende Blicke. Das Gefühl zu fallen. Es tat weh. So wahnsinnig weh. Tails konnte dieses Stechen in seiner Brust kaum aushalten! Die Übelkeit, die ihn befallen hatte, als ihm klar wurde, was dieser Tag alles kaputt gemacht hatte: Sie hatten das Vertrauen ineinander verloren. Jetzt gab es kein Zurück mehr. +++ Alles hatte sich verändert. Das Haus, welches ihm immer wie eine sichere Festung vorgekommen war, fühlte sich nun an, wie eine kalte Gruft. Die Schatten verschlangen alle Farben. Die Gesichter auf den Fotos waren verschwunden. Dort, wo einst ein breites Lächeln lag, wölbte sich nun die Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht. Er war allein. So unendlich allein. Sonic war nicht zurück gekommen. Er war einfach gegangen und hatte ihn zurück gelassen. Allein mit seinen Schmerzen, seinem Kummer. War es das? War das das Ende ihrer Freundschaft? Würde es von nun an so kalt zwischen ihnen werden, wie es in ihrem Haus schon war? War das das Ende ihrer gemeinsamen Zeit? Tails konnte diese Gedanken nicht ertragen. Das ging einfach nicht! Er konnte Sonic nicht hassen! Er wollte nie wieder mit ihm streiten! Ihn nie wieder so aufgebracht sehen… Ihm blieb keine andere Wahl. Nur so konnte er das bisschen retten, was noch nicht kaputt gegangen war. Es war das Beste. Für alle. +++ Ein merkwürdiges Gefühl weckte ihn. Schnell begriff er, dass es sein Arm war, der protestierte. Er hatte im Schlaf wohl so merkwürdig auf ihm gelegen, dass er nun begann unangenehm zu kribbeln. Mühsam zog er seinen Körper aus seiner Schlafposition hoch und spürte, wie der getrocknete Schlamm langsam von ihm abbröselte. Ein Schaudern lief über seinen Rücken. Das alles erinnerte ihn so sehr an früher. Die Zeit, bevor er zu Sonic gekommen war. Sein altes Leben auf Westside Island. Die letzten Tage hatten ihn wieder zurückgeworfen. Es war ihm alles immer noch so seltsam vertraut: Nachts unter freiem Himmel schlafen, Hunger und Durst leiden, die Angst, dass irgendwas ihm wehtun könnte, wenn er nicht aufpasste. Das alles war etwas, was er nie wieder erleiden wollte. Doch das Schicksal hatte andere Pläne. Wohin konnte er nur gehen? Gab es einen Ort auf dieser Welt, an dem jemand wie er erwünscht war? Würden sich die Leute wieder von ihm abwenden, ihn hänseln? Oder war er es, der das Unglück über sie brachte? Wenn Eggman heraus fand, dass der Fuchs nun alleine war, was würde er dann tun? Ihn entführen? Ihn töten? Die verschiedensten Szenarien durchfluteten seine Gedanken und eine war schrecklicher als die andere. Die Angst fraß ihn auf. War es ihm nicht einmal vergönnt unter anderen Lebewesen zu leben? War er dazu verdammt in den entlegensten Winkel der Welt zu gehen und dort allein zu bleiben? Für den Rest seines Lebens? Mit jeder Sekunde wurde es ihm klarer. Das war schon immer sein Schicksal gewesen. Er hatte es nur um ein paar Jahre herausgezögert. Die schönsten Jahre seines Lebens… Jeder Schritt fiel ihm schwer. Seine Beine waren schwer wie Blei. Alles in ihm schrie, wehrte sich gegen den Entschluss, den er gefasst hatte und doch würde er sich nicht davon abbringen lassen. Nicht mal von sich selber. Es gab nur einen Ort, an dem er sich verstecken konnte. An dem es sowieso niemanden interessieren würde, dass es ihn gab, selbst, wenn sie ihn zufällig entdecken sollten. Er war nicht mehr das kleine Kind von damals. Es würde sich nun ein Haus bauen können, sich selber essen besorgen und vor allem alleine leben können. Einsam und allein auf der Insel, die ihm früher wie eine persönliche Hölle vorgekommen war und an dem sich bis heute nichts geändert hatte: Westside Island. Dort gab es nicht viele Bewohner, die er in Gefahr bringen konnte. Dort würde ihn niemand suchen. So sehr es ihm auch widerstrebte, es war der perfekte Ort für jemanden wie ihn. Jemanden, der nicht erwünscht war. Bald würde er die Küste erreichen, sich ein Boot nehmen und ein letztes Mal lächeln. Das würde er bald hinter sich lassen. Es würde das Ende sein von Tails, Sidekick des berühmten Helden Sonic the Hedgehog. Er war sich sicher, dass sein bester Freund auch ohne ihn klar kommen würde. So wie er es auch früher getan hatte. Und er hatte immer noch seine guten Freunde, die ihm helfen würden. Das Leben würde weitergehen. Wie ein Film zogen die Erinnerungen vor seinen Augen vorbei. Alle Kämpfe, alle ruhigen Tage vermischten sich zu den Farben, aus denen Tails’ Leben gezeichnet war. Doch diese Farben verblassten mit jeder Sekunde. Niemand würde sich mehr um das alte Gemälde kümmern und schon bald würde es vergessen sein. Noch ehe er es bemerkte, stieg ihm der wohl bekannte salzige Duft des Meeres in die Nase. Das Rauschen der Wellen, die gegen das Ufer schlugen und das entfernte Kreischen der Möwen, die am Himmel ihre Kreise zogen, schafften es augenblicklich ihn zu beruhigen. Eine seltsame Ruhe kehrte in ihm ein. Die wirbelnden Gedanken verblassten und waren kaum noch spürbar. Sein ganzer Körper entspannte sich und es dauerte nicht lange, bis der Fuchs diesen plötzlichen Gefühlsumschwung begriff: Er hatte aufgegeben. Tails ging einige Schritte vorwärts, bis seine Schuhsohlen von dem kalten Meerwasser umspült wurden. Es kümmerte ihn nicht, dass sie nass wurden. Immer tiefer watete er durch die sanften Wellen und ließ sich von ihnen verschlucken. Das Meer hatte schon immer eine eigenartige Anziehungskraft auf ihn gehabt. Er liebte es beinahe so sehr wie den Himmel. Die angenehme Temperatur, das beruhigende Rauschen und all das Leben, welches ihn in diesem Moment umgab: das alles ließ ihn glauben, dass er doch nicht ganz allein war. Sein Kopf brach durch die Oberfläche und sofort gierten seine Lungen nach Luft. Er blieb einfach stehen. Die Wellen schlugen ihm gegen die Brust, doch er hatte nur Augen für den strahlend blauen Himmel über ihm. Kleine, weiße Wolken huschten schnell über die blaue Leinwand und setzen ihre Reise ins Unbekannte fort. Frei wie der Wind. Ungebunden von der Erde. Losgelöst von all dem Leid. Ein letztes Lächeln huschte ihm über die Lippen, ehe es für immer verblasste. „Tails!“ Der Angesprochene zuckte zusammen. Sofort wandte er sich um und suchte nach der Quelle dieser Stimme. Eine blaue Gestalt stand wenige Meter hinter ihm am Strand und starrte ihn mit großen Augen an. Er war völlig außer Atem und zahlreiche Schnittwunden zierten seinen Körper. Aber das war doch einfach unmöglich! Wie hatte er ihn bloß gefunden? Nein, nein, nicht jetzt! Nicht, nachdem er es endlich geschafft hatte loszulassen! Warum? Was wollte er hier? Warum war er bloß gekommen? „So-nic.“, hauchte der Fuchs, doch er rührte sich nicht. Sein Körper war zu Eis erstarrt. „Tails! Endlich habe ich dich gefunden! Was…? Ich… Oh, es tut mir so leid! Bitte! Ich wollte das nicht!“ Seine Stimme. Sie zitterte. Er rang um Worte. Seine sonst so selbstverständliche Selbstsicherheit war verschwunden. Was war bloß mit ihm passiert? „Bitte! Tails! Geh nicht! Komm zurück!“ Ein Schritt nach vorne. Seine Knie zitterten. Sein Körper zitterte. Der Fuchs hatte ihn noch nie so gesehen. Noch nie so… erschöpft. Wie lange war er bloß gerannt? „Tails, lil bro…“ Ein weiter Schritt. Tails zuckte zusammen, als Sonics Fuß das Wasser berührte, doch ihn schien das überhaupt nicht zu stören. Er wandte seinen Blick nicht eine Sekunde lang von dem Fuchs ab. Immer weiter wagte sich der wasserscheue Igel in die reißenden Fluten, doch anstatt vor Panik die Flucht zu ergreifen, wie er es sonst immer tat, schlich sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht. „Sonic…“, keuchte der Fuchs, ehe sich zwei starke Arme um seinen Körper schlossen und ihn fest an den Körper des Igels zogen. „Bitte, Tails, verzeih mir. Ich war so ein Idiot! Nein, schlimmer. Ich war der größte Blödmann von ganz Mobius! Bitte, geh nicht. Komm zurück! Ich brauche dich doch!“ Sonic drückte den Fuchs noch enger an sich und vergrub sein Gesicht in dem orangefarbenen Fell. Tails spürte, wie der Körper seines Freundes bebte und ein Kloß bildete sich in seinem Hals. Seine Augen brannten, doch er hielt die Tränen zurück. Selbst das Atmen fiel ihm schwer. Diese Worte… Sie entfachten etwas in ihm, dem er nicht standhalten konnte. Sonic war hier. Sein großer Bruder ist gekommen, um ihn zu holen. Aber durfte ihn das freuen? Wie lange würde es dauern, bis sie sich wieder so streiten? Er war nicht stark. So gerne er es auch wäre. Früher oder später würde er daran zerbrechen. „Nein, Sonic. Es ist okay. Du hattest Recht. Du hast immer Recht. Mein Platz ist nicht hier. Ich werde zurückgehen. Dahin wo ich hergekommen bin. Ich werde nicht wieder irgendetwas kaputt machen.“ Das Rauschen des Meeres drang in seine Ohren. Das sanfte Plätschern der Wellen, die sich an seinem Körper brachen, hatte etwas Beruhigendes an sich. Es war so, als würde die Welt gar keine Notiz von ihnen nehmen. Als würde diese Szene niemanden interessieren. „Das werde ich nicht zulassen. Niemals.“ Seine Stimme wurde düster. Beinahe fordernd. „Ich habe dir damals versprochen, dass du nie wieder einen Fuß auf diese Insel setzen musst. Du hast jetzt Freunde und ein eigenes Haus und ich werde nicht zulassen, dass du das alles nur wegen meiner Dummheit aufgibst. Wenn du mich nicht mehr sehen willst, kann ich das verstehen, aber dann werde ich derjenige sein, der geht. Du hast es verdient glücklich zu sein.“ „Nein.“, stöhnte der Fuchs, als der Inhalt seiner Worte zu ihm durch sickerte. Nein, das war nicht das, was er wollte! Das war es nie gewesen! Endlich schien sein Körper wieder aufzuwachen. Panisch hob er seine Hände und krallte sich in das Fell des blauen Igels. Er stemmte sich gegen ihn, bis er endlich seine Augen sehen konnte. Und was er dort sah, ließ sein Herz für einige Schläge aussetzen. Tränen. Kleine Tränen glitzerten in seinen smaragdgrünen Augen. Sonic... weinte. Und da erst begriff Tails: die tagelange Suche, seine Entschuldigung, seine Worte… Er unterdrückte sogar seine panische Angst vor Wasser. Er würde ohne zu zögern sein Leben aufgeben, nur für seinen kleinen Freund. Das, was er als das Beste für alle erachtete, machte seinen großen Bruder unglücklich. Und wenn Tails sein Angebot annehmen würde, wäre Sonic unglücklich. Es gab kein „Ich“ mehr zwischen ihnen. Es gab nur noch „Wir“. „Nein, das werde ich nicht zulassen. Niemals.“ Sonics Augen weiteten sich, als er die Worte als seine eigenen identifizierte. Wortlos sahen sich die Brüder lange in die Augen und plötzlich fiel alle Anspannung von den beiden ab. Ein kleines Lächeln huschte über ihre Gesichter und Tails sah, wie ein kleiner Funken des Leuchtens zurück in die Augen des Igels huschte, welches Tails kennen und lieben gelernt hatte. Sie wussten beide, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis es sich wieder „richtig“ anfühlte; so wie früher. Bis sie sich selbst wieder geben hatten. Und sie wussten, dass es keine Garantie dafür gab, dass es nicht bald wieder einen Streit geben würde. Doch eins war sicher: Sie würden alles überstehen. Ihre Freundschaft konnte nichts und niemand zerstören. Nicht einmal sie selbst. +++ „Tails?“ „Ja, Sonic?“ „Können wir jetzt b i t t e aus dem Wasser raus?“ Ein leises Kichern schwebte durch die Luft. „Natürlich, big bro!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)