The Sin Verse von P-Chi ================================================================================ Kapitel 10: Gestohlen --------------------- Ich starrte ihn an. Ich war zu vielem bereit, aber ich war absolut nicht scharf darauf eine meiner Rippen zu verlieren. Schon gar nicht, weil ich mir bereits denken konnte, auf welche Weise er sie sich holen wollte. „Ah.“ Ich neigte den Kopf misstrauisch zur Seite. „Wozu?“ „Du musst Achlys damit ins Herz stechen.“ „Ah.“ Als ob er dies als Zustimmung deutete, zog der Engel wie selbstverständlich sein Jackett aus und ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass seine Hülle einen stattlichen Körperbau hatte. Zu gerne wäre ich ihm mit den Nägeln über die muskulöse Brust gefahren. Allerdings holte mich die Tatsache, dass er mit ausgestrecktem Arm auf mich zutrat, schnell wieder in die Realität zurück. Aufschreiend wich ich zurück und stieß mit dem Rücken gegen den Tresen. „Woah! Warte, warte! Ich bin noch nicht bereit!“ Er stoppte in der Bewegung und runzelte die Stirn. „Dir ist klar, dass uns die Zeit davon läuft?“ „Gib mir ‘ne Sekunde! Dir wird schließlich nicht eine Hand in den Bauch gerammt!“ Ich atmete tief aus und versuchte mich zu sammeln. Der Gedanke, dass ich und Dalquiel uns nun näher kommen würden, als ich eigentlich gehofft hatte, trieb mir Schweißperlen auf die Stirn. Ich versuchte Ruhe zu bewahren und rief mir in Erinnerung, dass das keinesfalls das erste Mal war, dass mir jemand an den Kragen wollte. Allerdings musste ich mich irgendwie damit abfinden, dass ich das hier auch noch freiwillig über mich ergehen ließ. „Okay. Ich glaube ich bin so weit. Tu es bevor ich es mir a––“ Bevor ich den Satz auch nur zu Ende sprechen konnte, stieß er mir seine Hand zielsicher in den Magen. Ich konnte nicht anders, als bei diesem grässlichen Schmerz, der mir durch alle Nervenenden zuckte, laut aufzuschreien und mich an ihn zu klammern. Es wäre um einiges erträglicher gewesen, wenn mir Dalquiels Licht, seine Essenz, nicht den halben Magen wegätzen würde. Ich hörte ein grässliches Knacken und war vor Schock wie paralysiert. Meine Muskeln wurden taub und sobald Dalquiel mit einem starken Ruck den Knochen aus mir heraus riss, brach ich gepeinigt auf dem Boden zusammen. Wie ein kleines Kind zusammen krümmend, fluchte ich: „Oh verdammte Scheiße! Aaah! Es tut so weh!“ Er blickte halb fragend auf mich herab. „Wirklich?“ Ich folgte seinem Blick und erwartete ein Blut triefendes Loch, aus dem meine Gedärme quirlten, doch wie schon zuvor hatte sich die Verletzung einfach in Luft aufgelöst, als ob sie nie geschehen wäre. In etwa so wie der Zaubertrick mit der Säge und der zweigeteilten Showassistentin – nur das die wenigstens dafür bezahlt wurde. Etwas peinlich berührt, sagte ich: „Hilf mir auf, Dalquiel.“ Obwohl er für eine Sekunde zögerte, schlang er einen Arm um mich und brachte mich zu meiner Couch, in dessen weiche Kissen ich mich fallen ließ. Ich wollte keinen einzigen Muskel mehr rühren, zwang mich jedoch zu der Frage: „Und was jetzt?“ „Abwarten, bis sich Achlys eine neue Hülle sucht“, erwiderte der Engel. „Solange sie keine feste Form hat, wirst du sie nicht einfach mit der Rippe erstechen können. Und je unpassender die Hülle, desto kürzer das Zeitfenster.“ „Was soll das bitte bedeuten? Wir haben doch keine Ahnung, wann und wo sich Achlys das nächste Mal blicken lässt!“ Dalquiel nickte und legte mir die blutige Rippe auf den Tisch. „Ich weiß. Ich werde ein Orakel befragen. Ich hole dich, sobald ich mehr weiß.“ „Warte! Ich bin noch nicht fertig!“, rief ich und war wieder einmal zu spät. Er hatte sich längst aus dem Staub gemacht und mich wie immer mit tausend Fragen hängen lassen. Sollte ich jetzt wie eine brave Hausfrau auf ihn warten und Däumchen drehen, bis er wieder kam? Oder selbst nach einem Weg suchen, meine Mutter aufzuspüren? Und vor allem: was sollte ich nun mit Blackburn machen, der anscheinend ein Dämon im Nacken saß, der jeden Moment wie eine Zeitbombe losgehen konnte? Zu viele Fragen, um die ich mir im Moment keine Gedanken machen will, dachte ich mit einem Seitenblick auf die versteinerte Blackburn. Ich hätte sie befreien und ihr Gedächtnis löschen sollen, doch die plötzliche Müdigkeit die mich übermannte, vernichtete jeden Rest Vernunft den ich noch besaß und zog mich tief, tief hinab in einen unruhigen Schlaf. Als ich jedoch wieder aufwachte, ging der Albtraum weiter. Nicht nur, dass Blackburn verschwunden war, auch die Rippe hatte sich in Luft aufgelöst. Ich musste nur eins und eins zusammen zählen, um herauszufinden, wie es dazu gekommen war. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, raunzte ich und setzte mich auf, nur um es in der nächsten Sekunde zu bereuen, als alles vor meinen Augen zu verschwimmen begann und ich dunkles Blut auf die Couch hustete. Ich zog mir meinen Handschuh vom Arm und sah beunruhigt, dass dieser bereits komplett geschwärzt war. In nur wenigen Stunden hatte sich das Gift ausgebreitet und befand sich nun gefährlich nahe an meinem Herzen. Nicht mehr lange und ich könnte all meinen Problemen Lebewohl sagen – und zwar für immer. Ohne viel Zeit für frische Klamotten oder einem heftigen Schluck Cognac zu verschwenden, stürmte ich aus dem Haus und rannte Keenan und Marina beinahe über den Haufen, die bei meinem erschütterndem Anblick die Augenbrauen hochzogen. „Holla! Da hat’s jemand eilig!“ Marina ließ ihre Kaugummiblase platzen. Ich blinzelte der Morgensonne entgegen und brauchte eine Weile, um meine beiden Angestellten zu erkennen. Ich hatte wohl länger geschlafen, als ich gedacht hatte. „Grace, was ist passiert?“, fragte Keenan und kaute nervös auf seinem Lippenring. Er verschränkte seine Finger mit Marinas, die förmlich dahin zu schmelzen schien. „Dies und das“, erwiderte ich lahm. „Es wäre besser, wenn ihr euch für eine Weile vom Haus fern hält.“ Die beiden sahen aus, als wollten sie den Grund dafür erfahren, doch besannen sich eines Besseren und fragten stattdessen: „Was sollen wir stattdessen machen?“ „Geht in den Laden. Ich erkläre es euch, sobald ich meine Rippe wieder habe.“ „Deine Rippe? Was?“, fragte Keenan perplex, doch ich stolperte bereits wie im Fieberwahn zum Geräteschuppen, in dem ich meinen Wagen verstauben lies und machte mich auf dem Weg zum Polizeirevier. Ein Wunder, dass ich keinen einzigen Unfall verursachte, obwohl mich mein rechter Arm allmählich im Stich ließ und ich die Gangschaltung nicht mehr richtig bedienen konnte. Ich parkte halb auf dem Randstein gegenüber des Reviers und wurde fast überfahren, als ich über die Straße hetzte und in das Gebäude stürmte. Liebend gerne hätte ich das brave, schwache Mäuschen gespielt, dass die Hilfe eines starken Polizisten brauchte, doch scheiß drauf. Wie eine Furie platzte ich in ihr Büro, in dem sie auf ihrem Platz hinter einem kleinen, mit Papier übersäten, Tisch saß und mir noch nicht einmal die Genugtuung verschaffte, aufzublicken. Ganz so, als hätte sie mein Kommen bereits erwartet. „Wo ist die Rippe?“ Ich nahm an, dass es keinen Sinn hatte, um den heißen Brei zu reden. Ihr Diebstahl allein war Beweis genug, dass sie jedes Wort zwischen mir und Dalquiel mitbekommen hatte. Erst nach provozierenden zehn Sekunden, legte sie endlich ihren Stift zur Seite und blickte mich aus ihren dunklen Augen gelassen an, als wüsste sie ganz genau, dass sie mich in der Hand hatte. „Oh, Ms. Santiago, Sie sehen so aufgeregt aus. Ist etwas passiert?“ Ich biss mir in die Wange, bis ich Blut auf meiner Zunge schmeckte. „Spielen Sie nicht die Dumme. Ich weiß, dass Sie es wissen.“ „Meinen Sie die Tatsache, dass Sie ein Monster sind? Oder dass Sie den Mörder in meinen Fällen kennen?“ „Sie haben doch keine Ahnung“, schnauzte ich und spürte Aggressionen in mir aufwallen. Hinter meinem Rücken zog ich mir langsam den Handschuh aus. Ich sah keine andere Wahl, als sie aus dem Weg zu räumen. „Mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die Sie nicht in der Hand haben.“ „Das sehe ich anders. Schließlich habe ich Sie in der Hand.“ „Verfluchtes Mis––“, zischte ich und wollte sie mit meinem giftigen Arm an der Kehle packen, als ein plötzlicher Stromstoß mich von den Beinen riss und gegen die Wand schleuderte. Keuchend tastete ich mir ans Herz, welches für einige Sekunden ausgesetzt hatte, und rappelte mich auf. Elektrisches Licht zuckte um meinen Körper. Ich konnte es nur undeutlich erkennen, doch eine dunkle Masse waberte um Blackburns Körper wie eine schwarze Gewitterwolke und glühend rote Augen blitzten in der Masse auf, die mir den sicheren Tod androhten. Würde ich so etwas nochmal versuchen, würde ich mit weniger als einem Stromschlag davon kommen. Was war ich doch nur für ein Glückspilz. Blackburn blinzelte erstaunt. Die Wolke um sich herum schien sie gar nicht zu bemerken. „Na schön“, gab ich mich schließlich geschlagen. Sich jetzt noch mit ihr anzulegen war sinnlos. Ich würde keine zweite Chancen bekommen, sie aus dem Weg zu räumen. „Was muss ich tun, um die Rippe zurück zu bekommen?“ Handschellen wurden mir klirrend vor die Füße geworfen. „Sie werden bis auf Weiteres in Gewahrsam genommen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)