Brother Mine. von xAniki ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 Ein paar Winter zuvor. Der Gedanke, dass das, was er getan hatte, falsch sein könnte, kam Cain erst ziemlich spät. Und selbst als er da war, berührte er ihn nicht. Daraus schloss er, dass etwas Falsches zu tun nicht zwingend bedeutete, sich dadurch schlecht zu fühlen. Er senkte den Blick auf seine blutverschmierten Hände. Das Blut war noch warm. Doch der Mann, der vor ihm lag, atmete nicht mehr. Dann schaute er in das Gesicht des Toten. Die Wut kochte noch immer in Cain und ließ ihn zittern, doch ließ sie allmählich nach und wich ganz langsam der Genugtuung, den Kerl umgebracht zu haben, der die Hand gegen seine Mutter erhoben hatte. Er war ihr Kollege gewesen. Den Hintergrund des Streits hatte Cain gar nicht mitbekommen. Als er den Raum betreten hatte, war der erste Blick genug. Der Kerl stand vor seiner weinenden Mutter und wollte sie schlagen. Cain hörte die Tür hinter sich und Schritte, da wusste er, dass sein Vater nach Hause gekommen war. Der kam hinter seinem Sohn zum Stehen und ließ seine Jacke neben sich auf sie Couch fallen. Er sagte nichts. Und tat auch nichts. Irgendwann drehte Cain sich um. Er musste den Kopf in den Nacken legen, um seinem Vater ins Gesicht sehen zu können. Als Zehnjähriger konnte man seinem Vater eben noch nicht auf Augenhöhe begegnen. Foras Grey war ein großer Mann, gut aussehend und kräftig. Doch eines fiel bei ihm auf, was er seinem Sohn mitgegeben hatte. Die außergewöhnliche Augenfarbe, die besonders oft auffiel, weil er seinem Gegenüber stets direkt in die Augen blickte. Überrascht stellte Cain fest, dass weder Schock noch sonstige Verwunderung in Foras Ausdruck zu sehen war. Stattdessen umspielte ein leichtes Lächeln seine Augen. Er ging vor seinem Sohn in die Hocke. „Ich hatte also doch Recht“, stellte er fest. „Mit was?“ „Du kommst nach mir. Mein Blut in dir ist stark genug in dir, und du bist alt genug, dass es sich in deinem Wesen zeigt.“ Cains Brauen zogen sich zusammen. „Ich bin... ein ganz normales Kind.“ Ein trockenes, leises Lachen kam aus der Kehle seines Vaters. „Bist du das? Und wo ist dann deine Mutter?“ Überrascht hob Cain den Kopf und sah sich um. Seine Mutter saß, ganz in die Ecke des Raumes gedrückt, am Boden. Die Arme hatte sie fest um sich geschlungen und sie starrte mit weit aufgerissenen Augen, aus denen noch immer Tränen flossen, auf die Blutlache. Cain nickte in ihre Richtung. „Da.“ Nun lächelte sein Vater wirklich und griff nach Cains Händen. Das Blut störte ihn nicht. „Warst du wütend auf den Mann?“ „Ja.“ „Wollte er deine Mutter etwas tun?“ „Ja.“ „Und jetzt? Geht die Wut weg?“ Cain nickte. Der prüfende Blick seines Vaters lag auf seinem Gesicht. „Machst du dir Sorgen?“ „Darüber, ob ich Ärger kriege? Ja schon...“ Als Foras auflachte, wich Cain vor Überraschung einen Schritt zurück, wurde aber von den Händen seines Vaters zurückgehalten. „Du hast einen Mann getötet, um deine Mutter zu schützen. Doch machst du dir um sie keine Sorgen. Das tust du jetzt nicht, und das hast du auch eben nicht. Das Einzige, was da war, war die Wut und der Wunsch, zu töten. Habe ich nicht Recht, mein Kleiner?“ Cain hielt die Luft an. Sein Vater... hatte recht. Was war denn los mit ihm? Er schaute wieder zu seiner verstörten Mutter, zu dem Toten und schließlich wieder in das zufriedene Gesicht seines Vaters. Er war kein normales Kind. Das war ihm sofort klar. Ein normales Kind hätte soetwas nicht getan. Und ein normales Kind wäre zu seiner Mutter gelaufen um bei ihr zu sein. Hieß das jetzt, er konnte soetwas wie Sorge nicht empfinden? Wenn er so darüber nachdachte, fragte er sich, wann er sich das letzte Mal richtig gefreut hatte. Oder Zuneigung für einen Menschen empfunden hatte. Und er einzige Moment, der sich gerade in seinen Kopf drängte war... nur etwa ein paar Minuten her. Als er das Leben aus den Augen dieses Mannes hatte weichen sehen und das letzte Röcheln vernommen hatte, war das Gefühl der Erfüllung für einen kurzen Moment da gewesen. Die starke Hand seines Vaters landete auf Cains Schulter. „Ich werde dir beibringen, zu leben, mein Sohn“, sagte er mit gewissem Stolz in der Stimme. „Glaub mir, die Wut ist ein guter Freund. Um den Kerl da ist es nicht schade. Er hat den Tod verdient. Und wenn ich dich so ansehe, hattest du Spaß bei der Sache, hm? Das ist richtig so. Das ist gut.“ Gut. Gut? Wenn sich etwas gut anfühlen sollte, warum folgte dem dann diese unglaubliche Kälte? Cain schluckte hart. Tief in sich suchte er. Irgendwo musste doch etwas sein, was er empfinden konnte. Wieder fixierte er seine Mutter mit den Augen, die ihn gar nicht zu sehen schien. Empfand er nichts für sie? Sie hatte sich immer um ihn gekümmert, ihn mit ihrer Liebe überschüttet und alles für ihn getan. Er sah, wie schlecht es ihr ging, dass sie Angst hatte und vollkommen aufgelöst war. Und es war ihm egal. „Warum?“, brachte er heiser heraus. „Du bist ein Dämon, Cain.“ Damit hatte Foras wieder seine volle Aufmerksamkeit. „Ein... was?“ Foras legte sich eine Hand an die Brust. Durch das Blut hinterließ er dort einen tief roten Fleck auf dem weißen Stoff. „Ich bin ein Dämon. Und in dir fließt mein Blut. Das ist es, was dich zu dem macht, was du jetzt bist.“ Ein Schluchzen aus der Zimmerecke ließ sie beide zu Cains Mutter blicken. Sie schüttelte den Kopf und weinte. „Hör auf, ihn zu verleugnen, Alice. Ich hatte recht. Wie ich es dir gesagt habe.“ Cain biss sich auf die Lippe. Der Schmerz brachte wieder etwas Klarheit in seinen Kopf. Er hatte böses Blut. Dämonenblut. Von seinem Vater. Deshalb tötete er. Und er wusste, dass es nicht bei diesem einen Mal bleiben würde. Fünf Jahre später stand Cain über der Leiche seines Vaters. In seinem Kopf herrschte Leere. Genau wie in seiner Brust. Wie in Zeitlupe glitt das Messer aus seiner Hand und fiel klirrend auf die Fliesen. Ein bitterer Geschmack legte sich auf seine Lippen. Und überrascht stellte Cain fest, dass sich eine Träne den Weg über seine Wange bahnte. Nur eine. Wann hatte er das letzte Mal geweint? Er erinnerte sich nicht, dass er es überhaupt je getan hatte. Er spürte auch jetzt keine Trauer. Nur die dumpfe Gewissheit, dass er den einzigen Mann getötet hatte, der ihn je hatte verstehen können. Wie war es nur so weit gekommen? In den letzten Jahren hatte Foras ihm gezeigt, wie er sein Leben führen sollte. So wie er es selbst gelebt hatte. Cains Vater war ein ausgesprochener Sadist gewesen. Das Leid, und vor allem der Schmerz anderer hatten ihm eine unglaubliche Freude bereitet. Anhand von Obdachlosen hatte er Cain gezeigt, wie lange man einen Menschen töten konnte, ohne dass er starb. Die würde niemand vermissen, hatte er gesagt. Und tatsächlich scherte sich die Polizei keine Sekunde um sie. All die Zeit hatte Cain das Gefühl, sein Vater würde seine Gedanken lesen können. Egal in welcher Situation, Foras wusste immer was er wollte und wie er sich fühlte. Wenn Cain wissen wollte, wie ein Mann schrie, wenn man ihm die Finger abschnitt, hatte sein Vater genau das getan und es ihm gezeigt. Mit Cains fünfzehntem Geburtstag änderte sich alles. Er wusste nicht, woher es plötzlich kam, doch ein unbekanntes Gefühl, ein Gedanke schlich sich in seinen Kopf. Was er und sein Vater taten, war falsch. Im Spiegel sah Cain sich selbst in die unnatürlich orangefarbenen Augen und versuchte, sich selbst zu verstehen. Er schaffte es nicht. Doch der Gedanke wurde stärker. Und damit der Hass auf seinen Vater. Es war sein Blut, sein Blut in Cains Adern, das ihn diese Dinge tun ließ. Es verdrängte alles Gute, was seine Mutter ihm zu geben versucht hatte. Dämonenblut war dicker als Menschenblut. Hätten seine Eltern ihn nicht zur Welt gebracht, würde es weniger Böses auf der Welt geben. Nur weil dieser Mann sein Blut weitergegeben hatte... In dem Moment wusste Cain, was er zu tun hatte. Nun stand er hier. Anders als bei den Männern, die er zuvor getötet hatte, verschwand der Hass jedoch nicht. Je länger er auf seinen toten Vater herunter sah, desto wütender wurde er. „Das hier ist alles deine Schuld, alter Mann“, murmelte Cain. „Aber die Welt muss sich jetzt nicht mehr mit dir herumschlagen. Ich werde den Teufel tun, dein Blut weiter zu geben...“ Ein erstickter Schrei hinter ihm ließ Cain aufsehen. Richtig, er hatte wieder im Haus seiner Eltern getötet. Seine Mutter war bis an die nächste Wand zurückgewichen und schlug sich die Hände vor den Mund. Er hatte sie gar nicht kommen hören. „Er ist tot, Mom“, sagte Cain ruhig. Alice sah ihn an. Nach und nach wich der Schock aus ihrem Gesicht, allerdings nur um Platz zu machen für Angst und... Erleichterung? „Er wird dir nichts mehr tun. Nie wieder.“ Um sie zu beruhigen versuchte Cain ein Lächeln. Alice war eine gute Frau mit einem reinen Herzen. Auch wenn Cain ihr niemals die Liebe würde geben können, die sie verdiente, konnte er ihr zumindest das nehmen, was ihr das Leben zur Hölle machte. Und das hatte er getan. Blieb nur noch... „Ich werde weggehen.“ „Was?“, keuchte sie erschrocken. „Du brauchst keine Angst zu haben. Nicht vor ihm und nicht vor mir.“ Cain legte sich die blutverschmierte Hand aufs Herz. „Das Blut des Dämons stirbt mit mir. Weit weg von dir.“ Als Cain sah, wie seine Mutter unbewusst die Hände auf ihren Bauch legte, gefror ihm augenblicklich das Blut in den Adern. Nein... „Mom...“ Erschrocken sah Alice auf. Schnell zog sie die Hände vom Bauch, nur um sie danach schützend um sich zu schlingen. Tränen traten in ihre Augen. Cain schluckte trocken. Dann ging er langsam auf seine Mutter zu. Sie drückte sich noch mehr gegen die Wand und weinte heftig. „Bitte... Bitte, Cain. Tu das nicht. Bitte...“ Vor Alice kam Cain zum Stehen, den Blick auf ihren Bauch gerichtet, den sie so verzweifelt vor ihm zu schützen versuchte. Unnötig. „Dieses Kind wird wie ich, Mom. Wie er.“ Cain blickte seiner Mutter in die Augen und atmete durch. „Ich sagte doch, ich werde dir nichts tun.“ Er konnte sehen, wie sie Luft holte. „Aber dieses Kind... Ich kann nicht zulassen, dass es noch jemanden gibt, der mit diesem verseuchten Blut durch die Welt läuft.“ Langsam ging Cain ein paar Schritte rückwärts, bis er an der Tür angekommen war. Es fiel ihm schwer, seine Mutter hier zurück zu lassen. Aber er hatte keine Wahl. „Wir sehen uns in ein paar Monaten, Mom.“ Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er den verzweifelten Schrei seiner Mutter nur gedämpft. Auf dem Weg nach draußen ging er schnurstracks an seiner Jacke und anderen wärmenden Kleidungsstücken vorbei. Er hatte keine Wärme verdient. Nie mehr. Vatermörder. Beim Öffnen der Haustür schlug ihm eine Schneewehe entgegen und die eisige Kälte drang direkt durch seine dünne Kleidung. Der Winter dauerte verdammt lange in diesem Jahr. Vielleicht extra für ihn. Immerhin mussten die wichtigen Dinge im Winter passieren. Wie er so durch die dunklen, verschneiten Straßen lief, zitternd vor Kälte und planlos, wohin er gehen sollte, wurde Cain zum ersten Mal eine Sache bewusst. Er war vollkommen allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)