Wenn er wüsste... von Edphonse15 ================================================================================ Kapitel 4: Vierte Strophe ------------------------- Vierte Strophe Schneller als ich hatte gucken können, hatte mich Azuma auf sein Zimmer geschleppt. Sein Mitbewohner war gerade nicht da, war für kurze Zeit verreist – so zumindest seine Worte auf meine Frage hin. Ich stand unsicher mitten im Raum. Ich wagte es nicht, mich umzudrehen. Denn hinter mir, an der Türe lehnend, stand er. Sein Blick durchbohrte mich förmlich. Es war ätzend. „Azuma...?“, fragte ich mit leicht zittriger Stimme, noch immer geradeaus schauend. „Was hast du vor...?“ Ich ahnte es. Ich ahnte es, aber ich wollte es aus seinem Munde hören. „...“ Natürlich schwieg er. Das war es, das er am besten konnte. Immer schwieg er sich aus. Ich kniff die Augen zusammen. „Was hast du vor?!“, schrie ich dann und drehte mich ruckartig um. Wütend sah ich mein Gegenüber an, der noch immer emotionslos in meine Richtung sah. Wusste er überhaupt, wie wütend er mich damit machte? „Du spinnst doch! Ich mach da bestimmt nicht mit! Ich gehe!“, gab ich weiter mit lauter Stimme zu verstehen und ging auf die Zimmertüre zu. Ich war entschlossen, jetzt den Raum zu verlassen und mich nicht weiter um ihn zu kümmern. Doch es kam wie immer anders als geplant... Er kam mir seinerseits ebenfalls etwas entgegen und bevor ich überhaupt in seiner Nähe gewesen war, hatte er sich meinen Arm gegriffen. Wieder drückte er fest zu; ich biss die Zähne zusammen. Ich wollte ihn gerade wieder anschreien, hielt mich sein Blick jedoch davon ab. Ich konnte nun nicht sagen, was er dachte oder fühlte. Wut? Trauer? Mitleid? Oder doch etwas anderes? Ich konnte es nicht definieren. „Azuma! Lass endlich los!“ Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, doch war er stärker. „Jo...“, raunte er mit tiefer Stimme und ging einen Schritt, mich dabei hinterher ziehend. Doch weiter sagte er nichts mehr. Kein Wort. Einzig sein Blick sprach Bände – die ich aber nicht zu verstehen vermochte. Schließlich waren wir am Bett, worauf er mich unsanft absetzte. Nur geschockt konnte ich ihn ansehen. Er würde doch nicht...? Er würde mich nicht schon wieder...? Ich wurde kreidebleich. Dunkle Bilder zeichneten sich vor meinem inneren Auge ab. Dunkle Erinnerungen, die ich eigentlich zu vergessen versucht hatte. „Nein...!“, rief ich und drückte den Körper über mir von mir weg. „Hör auf damit!“ Doch es war, als würden meine Worte ihn nicht erreichen. Azuma, der über mir gebeugt war, sah mich nur eindringlich an. „Hör... auf...“ Ich spürte, wie mir bereits die Kräfte wichen. Nein... Nicht schon wieder... Konnte man nicht diesen Fluch von mir nehmen...? Ohne es bewusst zu bemerken, waren einige Tränen an meinen Wangen herabgelaufen. Erst als ich Azuma wieder ins Gesicht – und somit seinen besorgten Blick – sah, spürte ich die Feuchtigkeit auf meiner Wange. Daraufhin drehte ich meinen Kopf zur Seite; war unfähig jetzt etwas zu sagen. Mir war nun alles egal. Sollte er doch weitermachen. Wenigstens... war es bei ihm etwas anderes... „Jo?“ Ich hörte seine besorgte Stimme. „Was ist los?“ Fragte er mich das wirklich? „Nun red' doch endlich...!“ Du würdest es doch nie verstehen. „Jo!“ Langsam nur sah ich ihn aus dem Augenwinkel heraus an. Aber könnte ich es ihm überhaupt erzählen? Was geschehen war, vor langer Zeit? Ich schloss meine Augen. „... Jo...?“ „Azuma... Du kannst dir nicht vorstellen, wie einsam ich war...“ Etwas in mir hatte aufgegeben. Aufgegeben sich gegen alles zu wehren. Ich sprach langsam, mit ruhiger Stimme – emotionslos. Es würde keinen Unterschied machen. Es war mir gleichgültig geworden. Ich erzählte ihm also, dass ich mit jungen Jahren oft alleine gewesen war. Dass mein Vater kaum zuhause und ich meist allein gewesen sei. Dass mich ein Mann in einer Winternacht gefunden und mitgenommen hatte. Er hatte mich am Anfang auch wirklich gut behandelt gehabt, aber dann war es mit der Freundlichkeit vorbei gewesen. Er hatte an mir gezerrt und mich schließlich vergewaltigt. Ich konnte nichts tun. Ich war zu schwach gewesen. Jung und unwissend. Dennoch war ich bei ihm geblieben. Wenigstens bei ihm hatte ich eine warme Mahlzeit und ein Bett... Auch erzählte ich Azuma, was mir erst vor kurzem geschehen war. Ungläubig sah mich der Schwarzhaarige an. Er konnte nicht fassen, was ich da erzählte. Mittlerweile saßen wir nebeneinander auf dem Bett. Ich richtete meinen Blick zur Decke, sprach leise weiter. „Es ist okay. Man kann die Vergangenheit sowieso nicht ändern.“ Es schwang beinahe leichte Freude mit. „Aber... Eines, Azuma...“ Kurz schloss ich meine Augen, ehe ich ihn ernst ansah. „Ich mag dich wirklich. Du bist mir wichtig, ganz gleich was kommt. Dennoch... Ich kann nicht mehr... Ich habe keine Kraft mehr...“ Ein trauriges Lächeln zeigte sich auf meinen Lippen. Ich gab auf. Was brachte es noch, dagegen anzukämpfen? Ich konnte es nicht verstecken. Meine Vergangenheit holte mich doch eh immer wieder ein. Es war ein ewiger Kreislauf, den ich nicht zu durchbrechen vermochte. Aus. Ende. Vorbei. „Mach's gut“, murmelte ich leise und stand auf. Ich wollte gehen, doch hielt mich erneut seine Hand fest. Ich sah ihn an. „Jo“, sagte er mit sicherer Stimme. „Du bist mir genauso wichtig. Du bist außerdem stärker als du glaubst!“ Auf diese Worte war ich nicht gefasst und konnte ihn deswegen nur ungläubig ansehen. „Nein, da irrst du dich! Ich...“ „Jo!“ In Sekundenbruchteilen hatte er mich in seine Arme geschlossen. Weit riss ich meine Augen auf, unfähig zu reagieren. „Ich liebe dich!“ Diese Worte... Diese Worte, die ich schon so lange von ihm hatte hören wollen... War das ein Traum? Das konnte doch gar nicht wirklich... „Jo. Du bist nicht allein.“ Azuma... Ich verstand gar nichts mehr. Diese Umarmung, seine Worte. Wenn das so weiterging, würde ich noch den Verstand verlieren. „Haha... Ja, das muss es sein...“, murmelte ich schmunzelnd und fasste mir an die Stirn. „Ich drehe durch! Das ist alles Wahn!“ Anders wäre das hier nicht vorstellbar! Genau! Das ist die Erklärung! „Jo! Reiß dich zusammen.“ Die lauten Worte des Schwarzhaarigen holten mich aus meinen Gedanken zurück. Leicht löste er sich von mir, griff auch nach meiner anderen Hand und sah mir tief in die Augen. „Ich werde dich nicht mehr allein lassen.“ Konnte ich diesen – mit ernster Stimme gesprochenen – Worten glauben schenken? „Du musst mir nur vertrauen.“ „Vertrauen...?“, murmelte ich nur. Ich fühlte mich so schwerelos. Was geschah hier gerade? „Jo?“ Ich blinzelte einige Male. Er war hier. Ich spürte ihn, seine Wärme, seinen Atem. Ich sah ihn an. Er sah mich an. Wir waren hier, allein. Konnte das dann überhaupt ein Traum sein? „...“ Vertraue ich ihm? Darf ich mich ihm hingeben? Darf ich...? „Azuma...“, hauchte ich, beinahe unverständlich und beugte mich leicht vor. Nur wenige Millimeter trennten uns nun noch. „Ich liebe dich...“ „Jo...“ Ein sanfter Kuss folgte. Ich spürte ihn, seine Lippen, seine Nähe, seine Berührung. Nein. Das war kein Traum. Das hier war Real. Ich öffnete meine Augen und sah ihn lange an. „Ich vertraue dir.“ Ich musste mich nicht mehr verstecken. Nichts. Weder meine Vergangenheit, noch mich selbst. Solange er bei mir war, konnte mir alles andere egal sein. Er lächelte nur selbstsicher, wie man es von ihm kannte, ehe er mich etwas drehte und ich nun wieder unter ihm lag. Große Augen waren auf ihn gerichtet. „Wenn du mir vertraust, dann darf ich dich sicher berühren.“ Da war er wieder, sein Übermut. Ich schloss meine Augen, lächelte dabei. „Ja“, murmelte ich leise. Es war nicht leicht, doch langsam aber sicher konnte ich mich mit meiner Situation abfinden. Natürlich war Azuma immer noch ein ungehobelter Idiot, der es nur selten schaffte, seine Gefühle zu äußern. Aber seit ich mich ihm geöffnet hatte, hatte ich das Gefühl, dass wir uns näher standen. Ich konnte mich ihm anvertrauen, wie auch er sich mir. Es war etwas Eigenartig, aber doch wundervoll. Und ich hoffe sehr, dass es sich in nächster Zukunft nicht ändert. Wie ich ihn aber kenne, muss ich dabei immer auf der Hut sein... ~ Fin ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)