Ein ungewöhnlicher Mitbewohner von Darklover ================================================================================ Kapitel 29: 29. Kapitel ----------------------- Für Emily war es ein wenig seltsam, auf dem Besucherparkplatz vor dem großen Haupteingang zu parken und nicht wie gewöhnlich hinter dem Gebäude, wo sich die Büros und das Archiv anschlossen. Sie stiegen aus dem Mini, Emily schloss ab und blieb kurz neben Adrian stehen, der anscheinend den Eindruck des riesigen Gebäudes in sich aufnahm. Sie waren noch nicht lange in diesem Koloss aus Glas und Beton untergebracht und so wie sie Adrians Leben einschätzte, war er wohl nicht so oft ins Museum gegangen. Um das allein zu tun, musste man sich schon sehr für einzelne Ausstellungen interessieren. Als sie auf das Gebäude zugingen, knirschte der Kies unter ihren Schuhen und die Vögel zwitscherten schon fast aufdringlich in den Bäumen, die den Eingangsbereich mit der breiten Treppe säumten. Aber hier herrschte zumindest ein wenig Schatten und auf den Bänken zwischen den Eichen und auf einem kleinen Rasenstück saßen ein paar Pärchen oder Familien mit Kindern, die im Faltplan des Museums nach dem richtigen Weg suchten. Im Eingangsbereich vor den Kassen war es bereits so kühl, wie im restlichen Gebäude, dessen Luft durch eine Klimaanlage umgewälzt wurde. Es war wirklich viel los für einen so sonnigen Samstagnachmittag. Emily griff Adrians Hand und ging mit ihm zu einer der unbesetzten Kassen, neben der ein Museumswärter in dunkelblauer Weste stand, der sie sofort erkannte. „Miss Grayson, wie geht’s? Was machen Sie denn hier an Ihrem freien Tag?“ „Mir geht’s gut Stan, danke. Und selbst?“ Sie bekam ein Nicken und ein wissendes Lächeln von dem ältlichen Wärter, als sein Blick auf die verschränkten Finger von Emily und ihrem Begleiter fiel. „Wie ich sehe, wollen Sie ihr Baby besuchen. Na, dann kommen Sie mal durch.“ Er zog einen Schlüssel, an einer silbern glitzernden Kette aus seiner Hosentasche und schloss die Schranke auf, die man normalerweise mit einem Ticket entriegeln musste. Emily hatte das System noch nie gefallen. Es erinnerte sie mehr an eine U-Bahn-Station als an ein Museum. Natürlich wurde so verhindert, dass irgendjemand in die Ausstellungsräume kam, ohne eine Karte gekauft zu haben, aber es brach doch sehr mit dem Stil, den sich Emily für ein Museum vorstellte. Wieder dachte sie an das schöne Haus in Norwegen, das so viel mehr nach der Art von Museum ausgesehen hatte, das Emily so liebte. „Vielen Dank, Stan.“ Der Wärter sah ihnen mit einem Lächeln hinterher, als Emily mit Adrian auf die Antikensammlung zusteuerte und setzte sich anschließend auf einen kleinen Hocker neben der Tür zur Steinzeitsammlung und blätterte in der Wochenendeausgabe der Tageszeitung. Vor dem Durchgang zur Ägyptensammlung hielt Emily kurz an, um Adrian auf das Relief über der Tür hinzuweisen, auf der verschiedene Gottheiten zu sehen waren. Ihre Begeisterung war aber erst der Anfang. Sie erzählte ihm alles Mögliche über die kleinen Stücke der Sammlung, zeigte ihm Tafeln, die normalerweise niemand las, auf denen aber zusätzliche Abbildungen zu sehen waren und nach einer Weile standen sie vor dem mit roten Samtband abgesperrten Sarkophag, der unter einem Glaskasten eingeschlossen war. Emily sah ihn sich fast ehrfürchtig an, weil er hier so präsentiert wirklich noch schöner aussah, als auf dem Tisch in ihrem Labor. Ein zufriedenes Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie sich vorbeugte, um sich den Blattgoldfläche an der Wange, die besonders schwierig wieder herzustellen gewesen war, genau anzusehen. Kaum, dass sie hinter den Schranken waren, bekam Adrian große, wenn nicht sogar riesige Augen. Es gab so viel zu sehen, dass er gar nicht wusste, wo er als Erstes hinschauen sollte. Auch hierbei war ihm seine Freundin eine große Hilfe. Sie zeigte ihm ein Relief über der Tür zur ägyptischen Ausstellung. Ohne das er fragen musste, erklärte sie ihm, wie die verschiedenen Gottheiten hießen und wofür sie einst zuständig gewesen waren. Adrian hatte schon immer der Gott Anubis fasziniert und dazu die Göttin Bastet. Aber auch Horus fand er aufregend. Was vermutlich auch an den Tierköpfen lag. Im weiteren Verlauf ihrer Führung, verwandelte er sich ganz und gar in einen aufmerksamen Zuhörer, stellte immer wieder interessierte Fragen und gab erst Ruhe, wenn Emily sie ihm bis ins kleinste Detail beantwortet hatte. Zusätzlich wies sie auch auf Dinge hin, die ihm gar nicht in den Sinn gekommen wären, bis er schließlich so erfüllt mit neuen Informationen war, dass er sich schon regelrecht in dieses Zeitalter hineinversetzt fühlte. Die authentische Umgebung trug wohl auch einen Großteil dazu bei. Schließlich erreichten sie einen Bereich, der mit Samtbändern abgesperrt war. Dahinter stand ein Glaskasten mit einem Sarkophag. Emilys Baby – so hatte der Wächter ihn doch genannt. Da Emily nichts sagte, als sie näher traten, nahm er sich von selbst die Zeit, um ihn sich sehr genau anzusehen. Man sah ihm an, dass er alt war, doch Emily hatte ihm wieder den Glanz und die Erhabenheit von Früher zurückgegeben. So wie er jetzt aussah, konnte man sich kaum vorstellen, wie er vorher ausgesehen haben musste. Die wunderschönen Verzierungen und Symbole an den Seiten betrachtete sich Adrian in der Hocke, ehe er sich wieder aufrichtete, um an die Stirnseite des Sarkophags zu gehen. Das Gesicht schien aus purem Gold zu bestehen und auch der Rest davon war immer wieder mit Blattgold veredelt worden. „Wow.“, entkam es ihm schließlich fasziniert nach minutenlanger Stille, als er wieder Emilys Hand ergriff und sich dicht neben sie stellte. „Ich hätte nicht gedacht, dass er so prachtvoll sein würde. Wie schlimm war der Zustand, bevor du an ihm zu arbeiten begonnen hast?“ Adrian wollte wirklich alles wissen. Wie Emily arbeitete, wieviele Stunden sie damit verbrachte, einzelne Passagen wieder herzustellen. Welche Verfahrensmethoden es gab, um alte Teile zu erhalten und wie man unrettbare Dinge neu ersetzte. Seine Neugier schien unersättlich zu sein. Emily strich sich ihre Haare hinters Ohr, die sie heute für Adrian offen gelassen hatte und richtete sich wieder auf, als er um den Glaskasten herum zu ihr zurückkam. Sie hätte nie gedacht, dass sie mit ihm einmal Händchen haltend vor diesem Sarkophag stehen würde. Glücklich lächelte sie in sich hinein und fing an Adrian seine Fragen zu beantworten. Dass der erdene Sarkophag in gar keinem allzu schlechten Zustand gewesen war. Es war lediglich die Farbe und das Gold abgeblättert gewesen und das Relief hatte unter dem Schmutz und Staub gelitten, dem das Kunstwerk ausgeliefert gewesen war. Außerdem hatten sich beim Transport Risse im Deckel gebildet, die als erstes wieder behoben werden mussten, um eine Grundstabilität herzustellen. „Die Schwierigkeit ist eigentlich, dass man die Materialien, mit denen man arbeitet so authentisch wie möglich halten will. Ich habe mit Farben gearbeitet, die aus den gleichen Bestandteilen zusammengesetzt sind, wie die Originalfarben, die beim ersten Bemalen des Sarkophags verwendet wurden. Das war eine Menge Aufwand.“ Aber es hatte sich auf jeden Fall gelohnt, denn nun erstrahlten die blauen Bänder des Kopfschmuckes in einem leuchtenden Blau, das mit dem Gold des Gesichts durchaus konkurrieren konnte. „Beim Auftragen des Blattgolds muss man nur darauf achten, nicht zu stark zu atmen, weil einem sonst ein ganz schöner Wert in die Lungenflügel geraten kann.“ Sie grinste zu Adrian hoch, erzählte ihm aber dann doch, dass sie deshalb einen Mundschutz tragen musste. Nach dieser Tour, von der sich Adrian mit Informationen bestimmt erschlagen fühlte, schlug sie vor, im Park hinter dem Museum noch ein wenig auszuruhen. „Wir können uns einen Kaffee im Restaurant holen.“ Außerdem wollte sie noch schnell im Shop vorbei einen Flyer für Mona besorgen. Die meisten Bücher über Ägypten hatten ein Werbelesezeichen oder eine Karte, auf der man den Preis, die Seitenzahl und den Klappentext ablesen konnte. Adrian stimmte Emilys Vorschlag zu. Sein Kopf schwirrte etwas von den vielen Dingen, die er sich natürlich auch merken wollte. Aber bestimmt, vergaß er wieder einen Großteil davon. Doch speziell die Dinge, die Emily betrafen, würde er sicherlich nicht vergessen. Bevor sie ins Restaurant gingen, um sich einen Kaffee zum Mitnehmen zu holen, schauten sie noch im Museumsshop vorbei, wo es wieder unglaubliche Dinge zu sehen gab. Kein Wunder, dass einige Kinder bei solch großer Auswahl manchmal verrückt wurden, wenn man schon als Erwachsener zu tun hatte, sein Kaufverhalten auf Vernunft und nicht auf Lust und Laune auszurichten. Dennoch konnte Adrian nicht widerstehen und kaufte sich ein schwarzes Lederband mit einem kleinen silbernen Ank als Anhänger. Das würde ihn immer an diesen Besuch erinnern, außerdem mochte er dieses Symbol. Nachdem auch Emily gefunden hatte, was sie suchte, holten sie sich den Kaffee und Adrian wollte unbedingt auch ein Stück Erdbeerkuchen dazu haben, da er bis morgen früh nichts mehr essen würde. In der Sonne war es draußen ganz schön warm, weshalb sie sich ein ruhiges Schattenplätzchen in der weichen Wiese unter einem Baum suchten. Der Park war wirklich schön angelegt worden, mit Kieswegen, schönen Holzbänken, Wasserspendern, einem kleinen Springbrunnen und immer wieder bunten Blumen und Sträuchern. Die Natur war auch ein Grund, wieso Adrian fast jeden Tag joggen ging, weil er sonst nie in den Genuss von Pflanzen und Bäumen kam. So aber, lief er immer in einem Park seine Runden, um sich auch etwas fürs Auge zu gönnen. Als der Wind mit Emilys offenem Haar spielte, musste er lächeln, während er dem Drang nachgab, seine Hand auszustrecken, um ihr darüber zu streichen. Überhaupt liebte er es, sie einfach nur so anzufassen. Während des ganzen Museumsaufenthaltes hatte er entweder ihre Hand gehalten, oder ihr beiläufig über den Rücken gestrichen. Irgendwie hatte er sie immer berührt, auch wenn er das meistens gar nicht bewusst getan hatte. Es schien so, als müsse er so viele Berührungen nachholen, die er im Laufe seines Lebens versäumt hatte. Während sie so nebeneinander saßen und die frische Luft genossen, nippte Adrian ab und zu an seinem Kaffee, bis er die Kette aus der kleinen Papiertüte zog und sie sich um legte. So schnell würde er sie nicht mehr abnehmen, da sie ihn mit stiller Freude erfüllte. Er teilte auch seinen Kuchen mit Emily, wobei er keinen Protest duldete, immerhin gab es ihm ein wohliges Gefühl seine Dinge mit ihr zu teilen. Natürlich kam er auch nicht darum herum, ihr schließlich einfach ein Stück Kuchen zwischen die Lippen zu schieben und sie dabei vollkommen zufrieden anzulächeln. Mit dem Zeigefinger berührte Emily den Anhänger, den sich Adrian im Museumsshop gekauft hatte. „Das steht dir.“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen und nippte dann wieder an ihrem Kaffee. Für die letzten Schlucke nahm sie den Plastikdeckeln von dem Pappbecher, damit sie den Milchschaum ebenfalls genießen konnte und stellten dann den leeren Becher neben sich auf den Rasen. Sie strahlte schon eine Weile und konnte gar nicht genau sagen, woran es genau lag. Sie hatte Adrians kleine Berührungen genossen und hatte sogar sehr schmunzeln müssen, als er ihr immer wieder übers Haar gestrichen hatte. Jedes Mal, wenn sie in seine eisblauen Augen sah, schien sich ihr Herz auszudehnen und in jubelnden Sprüngen ihren gesamten Körper zu erfüllen. Und was sie besonders freute, war die Tatsache, dass Adrian glücklich aussah. Er war gelöster, als sie ihn je erlebt hatte. Sie scherzten miteinander und mussten gar nicht verliebt tun, weil es sich einfach so ergab. Emilys Herz hüpfte wieder, als sie gerade davor war, in Adrians Blick zu versinken. Sie war in ihn verliebt. Es war nicht nur ein kleines Verknallt sein, sondern schon mehr, als sie lange für einen Mann nach so kurzer Zeit empfunden hatte. Sie streichelte seine Wange und lehnte sich dann vor, um ihm einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. Als sie sich wieder von ihm löste, sah sie ihn mit verliebten Augen an und lehnte sich dann an ihn und sah den Leuten zu, die an diesem schönen Tag im Park spazieren gingen. Irgendetwas brachte sie auf einmal dazu, sich ein wenig umzudrehen und zu den Büschen ein ganzes Stück neben ihnen zu sehen. Außer, dass sich ein paar Äste bewegten, konnte sie aber nichts erkennen und tat das seltsame Gefühl mit einem winzigen Kopfschütteln ab. „Adrian… Was hältst du davon, dass wir am Montag zusammen essen gehen? Ich finde deine Kochkünste großartig, aber irgendwie hätte ich Lust auszugehen. Wir könnten nur ins Pan gehen, oder so. Kennst du das? Die haben richtig gutes Essen und die Atmosphäre ist wirklich schön. Danach könnten wir ins Kino.“ Zufrieden saß er mit Emily im Arm da, während sie sich an ihn lehnte. Die Welt schien auf einmal viel sonniger und voller Schönheit zu sein. Es war seltsam. Da er sich doch noch recht gut an Zeiten erinnern konnte, wo die Welt zu seiner persönlichen Hölle geworden war. Dort, wo jetzt lachende Kinder spielten, waren in seiner Erinnerungen abgerissene Kids, mit Augen, die vom Elend uralt geworden waren. Hinter gepflegtem Rasen lauerten harter Asphalt, stinkende Mülltonnen, benutzte Spritzen, massenhaft Kippen, steinhart gewordene Kaugummis, weggeworfene Kondome, tote Ratten und manchmal auch Menschen. Der Gestank von Urin und Verwesung lag so schwer in der Luft, dass es einem Vorkam als würde man bei jedem Atemzug verseucht werden. Wie lieblich war da der Duft von den Blumen, das frische Gras, Harz von den Bäumen, Kaffee und Kuchen, Emilys Körper. Mehr als zufrieden mit der Welt lehnte Adrian seinen Kopf an den von Emily um noch intensiver ihren Geruch in sich aufsaugen zu können. Die rauen Ecken und Kanten seiner Vergangenheit wurden durch Rundungen und Weichheit abgelöst. All das konnte er in seinen Armen finden und noch viel mehr. Emily war sein persönlicher Himmel geworden. „Wenn es dir nicht zu spät wird, würde ich gerne mit dir Essen gehen.“, beantwortete er ihr fast schon flüsternd, weil er diesen Moment der Ruhe nicht zerstören wollte. „Kino klingt toll. Ich war schon seit…“ Er überlegte kurz. „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal gewesen bin. Ich glaube, das war noch vor der Amtszeit des jetzigen Präsidenten.“ Was wirklich lange her sein musste. *** So gerne er auch mit Emily im Park saß, schließlich kam doch der Zeitpunkt, an dem sie nach Hause mussten. Adrian wollte nur ganz kurz bei Mrs. Jenkins vorbei schauen, um zu sehen, ob sie mit dem Essen selbst klar kam, danach wollte er noch duschen und sich umziehen. Ehe er sich leider von Emily loseisen und zur Arbeit gehen musste. Heute nervte es ihn wirklich gewaltig, dass er den Abend nicht mit ihr verbringen konnte. Doch er schluckte seinen Ärger vorerst hinunter, um ihm dann beim Tanzen Platz zu machen. Emily brauchte seinen Unmut nicht zu spüren, immerhin war es sein Problem, dass er am Wochenende nie frei hatte. Allerdings könnte er sich schon einmal überlegen, ob er nicht ein paar Zusatzschichten machte, um wenigstens am nächsten Wochenende frei zu kriegen. Wenn sein Boss ihm wohlgesonnen war, würde das hoffentlich klappen, aber hundertprozentig sicher war es nicht. Eigentlich wollte sie ihn absolut nicht gehen lassen. Aber es war nun mal so, dass er am Wochenende arbeiten ging und frei hatte, wenn sie im Museum war. Daran ließ sich nichts rütteln und irgendwie würden sie damit schon klar kommen. Allerdings wäre sie gerade jetzt gern jede Minute des Tages mit Adrian zusammen gewesen. Ihr Abschiedskuss sagte ihm bestimmt, wie sehr sie es hasste, ihn gehen zu sehen und sich schon jetzt darauf freute, dass er später nach Hause kam. Sie würde wieder im Bett auf ihn warten. Nachdem Adrian gegangen war, nahm Emily ihr Handy vom Ladegerät und machte es sich mit einer Kanne Tee auf dem Sofa gemütlich. Sie tippte Monas Nummer ein, die auch nach dem dritten Läuten ran ging. Zuerst fragte Mona nach der Buchempfehlung, die Emily ihr geben sollte. „Ich war heute mit Adrian im Museum und hab eine Karte für dich mitgebracht. Das Buch kenne ich. Es ist recht informativ und hat auch noch richtig schöne Bilder im Großformat. Ich kann dir einfach die Karte schicken oder willst du nur den Titel?“ Emily diktierte Mona den Autor, Titel und die ISBN-Nummer, damit sie das Buch bestellen oder irgendwo besorgen konnte. Danach unterhielten sie sich über Gregs Besuch und wie lustig der Karaokeabend doch gewesen war. Mona gab Emily eine Traumvorlage, indem sie darauf hinwies, wie wenig sie und Mario vom Adrian und Emilys letztem Duett mitbekommen hatten. „Aber ich hab gesehen, dass ihr echt süß zusammen wart. Verdammt schade, dass er…“ „Ist er nicht.“ Schweigen in der Leitung, die wegen der Handyverbindung leise knisterte. „Was?“ Emily erzählte mit einem riesigen Grinsen auf dem Gesicht, was passiert war. Dass sie Adrian geküsst hatte, dass er ihr gestanden hatte, er sei nicht schwul und dass sie nun zusammen waren. Seine Lebensgeschichte ließ sie aus und auch das Problemchen, das er ihr heute gestanden hatte. Aber über etwas, das sie doch beschäftigte, wollte sie mit ihrer Schwester sprechen. „Naja… ich wusste ja, dass er diesen Job macht. Und ich weiß, dass es nur tanzen ist… Aber Mona, ich war da und hab ihn einmal gesehen. Diese Weiber hätten ihm am liebsten die Haut vom Leib gerissen, um noch mehr Nacktheit zu sehen.“ „Ich kann gut verstehen, dass dich das ein bisschen stört.“ Emily seufzte leise und überlegte, wie sie es noch besser ausdrücken konnte. „Eigentlich sollte es mich nicht stören. Er tut ja nichts…“ Sie wedelte, nach Worten suchend, in der Luft herum. „Er tanzt für sie. Aber sie dürfen ihn anfassen. Und ich weiß nicht, ob er sich ganz auszieht und das würde mich einfach wahnsinnig machen.“ „Em… kannst du ihm das nicht sagen?“ „Nein.“ Ihre Stimme war leise geworden. „Nein, das Tanzen ist seine große Leidenschaft. Mehr als das. Und er hat mir schon mal gesagt, dass er es nicht aufgeben wird, weil es ein ganz normaler, legaler Job ist.“ Sie konnte sich erinnern, wie aufbrausend sie seine Reaktion empfunden hatte. Er würde nichtmal verstehen, dass es ihr etwas ausmachte. „Wahrscheinlich mache ich mir viel zu viele Gedanken.“ „Habt ihr denn…?“ Der Zusammenhang erschloss sich Emily überhaupt nicht, weswegen sie zuerst nicht reagierte. Dann wurde sie ein wenig rot, als sie an die kleine Aktion am Morgen dachte. „Was hat das damit zu tun?“ „Also habt ihr.“ „Nein, haben wir nicht. Aber mal ehrlich, was hat denn meine kindische Eifersucht damit zu tun, ob wir Sex hatten?“ „Naja… Ich weiß auch nicht. Aber wenn er Sex mit dir hätte, müsstest du dir vielleicht weniger Gedanken darüber machen, dass er es mit jemand anderem tut.“ „Ich glaube ja gar nicht, dass er es mit jemand Anderem tut…“ Oder glaubte sie das? Emily musste hart schlucken, als sie in ihr Inneres horchte, um heraus zu finden, ob sie Adrian nicht vertraute. Ob es möglich war, dass sie ihn sich mit einer seiner Kundinnen vorstellen konnte, wie er auf der Toilette oder in einem Hinterzimmer des Shadow billigen Sex mit ihr hatte. Nicht, um bezahlt zu werden, sondern einfach nur, weil er es wollte. Einen kurzen Moment stieg Panik in ihr auf, die sich aber wieder legte, sobald ihr einfiel, was Adrian ihr alles gestanden hatte. „Nein, ganz ehrlich, ich vertraue ihm. Er würde mich nicht betrügen. Es geht einfach nur darum, dass er angegafft wird und ihn andere Frauen als Lustobjekt sehen und ihn angrapschen dürfen, wie es ihnen gefällt.“ „Daran wirst du aber nichts ändern können.“ In resignierendem Tonfall antwortete Emily kleinlaut. „Ich weiß. Ich wollte es dir auch einfach nur erzählen, weil ich sonst irgendwann geplatzt wäre, wenn ich es nicht von der Seele bekommen hätte.“ „Hör’ zu, Schwesterchen. Nimm dir doch die Sache nicht gleich so zu Herzen. Ihr seid zusammen und ich bin mir sicher, dass du Recht damit hast, dass Adrian dich nicht hintergehen würde. Solange er nicht davon erzählt, welche heißen Frauen ihn angefasst haben, musst du dir sicher keinen Sorgen machen.“ Das beruhigte Emily nur ansatzweise, aber sie würde schon irgendwie damit klarkommen. Nachdem sie aufgelegt hatte, kam Emily allerdings nicht gleich zur Ruhe. Deshalb sah sie sich noch einen Film im Spätprogramm an, bis sie gegen ein Uhr nachts in Adrians Bett ging. Auch Sonntag war schön gewesen. Sie hatten die kleine Ausschweifung vom Samstag nicht wiederholt und auch sonst nichts dergleichen, sondern waren in sportliche Aktivität ausgebrochen, indem sie früh aufgestanden und einen Ausflug in die Kletterhalle gemacht hatten. Emily hatte diesen Sport noch nie vorher ausprobiert, genauso wenig wie Adrian, aber es machte ihr verdammt viel Spaß die Wände mit den Handgriffen hochzukrabbeln und sich am Ende am Seil wieder hinunter zu lassen. Allerdings konnte sie einmal mehr überhaupt nicht verstehen, wie Adrian auch noch die ganze Nacht durchtanzen wollte. Sie selbst lag schon gegen zehn völlig fertig in ihrem Bett. Und als sie den Wecker einstellte, war ihr schon klar, dass sie in der Früh auf keinen Fall würden aufstehen wollen. Aber sie freute sich schon wahnsinnig darauf am Abend mit Adrian ins ‚Pan’ zu gehen. Sie hatte sogar ihr rotes Shirt mit den Engelsflügeln in ihre Handtasche gepackt, damit sie sich noch in der Arbeit umziehen konnte, bevor sie sich direkt in der kleinen Bar mit Adrian traf. *** Wie dankbar er doch war, dass er nach der Hauptbühne für einen der Käfige eingeteilt worden war. Nach der total lustigen Kletteraktion am heutigen Tage, war er wirklich leicht erschöpft und emotional nicht konzentriert genug, um seine Schilde immer aufrecht zu erhalten. Weswegen es ihn teilweise gestört hätte, wenn man ihn zu oft anfassen würde. Denn auch wenn er seinen Job wirklich mochte, so war er nicht immer in der Lage, das Gegrabsche zu ertragen. Immerhin fühlte er sich zu Emily gehörig und dazu gehörte nicht nur sein Herz und seine Seele, sondern auch sein Körper. Besonders im VIP-Bereich musste er sich immer sehr in sich zurückziehen, während er die Gäste bediente. Denn dort war es fast Gang und Gebe, dass man engen Körperkontakt hielt. Wie es seine Kolleginnen aushielten, ihre Brüste direkt am Gesicht von fremden Männern zu reiben, verstand er nicht. Weswegen er schließlich auch in einer seiner Fünfzehnminutenpausen Jessica ansprach, die sich zusammen mit einem Orangensaft und ihrem Handy auf die Couch im Pausenraum gesetzt hatte. Adrian hüllte sich in seinen Morgenmantel und setzte sich auf einen der weichen Sessel. „Hi, Adrian.“, begrüßte die asiatische Schönheit ihn auch schon. Man sah es ihr nicht an, aber sie war um einige Jahre älter als er und schon vor seiner Zeit im Club tätig. Weswegen er sich ausgerechnet sie ausgesucht hatte. Von ihr wusste er am Meisten. „Hallo, Jess.“, begann er überlegend, aber noch ehe er weiter sprechen konnte, hatte sie ihre SMS schon abgeschickt und sich ihm zugewandt. „Na, wie ist sie so?“ „Wer?“, fragte er völlig verwirrt. „Wer wohl, deine neue Freundin? Woher ich das weiß?“ Sie setzte ein breites Lächeln auf. „Glaub mir, das hab ich sofort gesehen, als du bei der Tür hereingekommen bist. Du kannst mir also nichts vormachen, ich weiß Bescheid.“ Adrian sah sie noch verwirrter an. Woraufhin sie zu lachen begann. „Ach, Adrian. Ich beobachte schon so lange Menschen, dass mir dein verändertes Verhalten sofort aufgefallen ist. Seit ich dich kenne, warst du immer irgendwie auf Automatik. Zwar immer nett und freundlich, aber nie wirklich mit deiner ganzen Persönlichkeit dabei. Und dann, plötzlich wie aus heiterem Himmel, hast du immer so nachdenklich gewirkt. Da wurde ich schon neugierig, aber da du dabei auch immer etwas frustriert ausgesehen hast, habe ich dich lieber in Ruhe gelassen. Aber der Hammer kam erst, als du dieses Wochenende zu deiner Schicht erschienen bist!“ Adrian sank etwas in seinen Stuhl zusammen, weil sie ihn so durchschaut hatte. War es ihm wirklich so deutlich anzusehen? Dabei dachte er immer, er hätte seine Gefühle unter Kontrolle. „Ich habe dich wirklich noch nie so gesehen. So voller Leben, deine Augen strahlen, du hast eine Ausstrahlung, als würdest du einen Haufen Glück mit dir herum schleppen und dann immer dieser spezielle Blick, wenn du denkst, es sieht keiner. Da denkst du an sie, oder?“ „Ja.“, gestand er schließlich. Er konnte Jess wohl sowieso nichts vormachen. „Sie heißt Emily. Wir sind zwar erst seit Kurzem zusammen, dennoch gibt es da ein paar Dinge, die mir Sorgen machen.“ Jessica stellte ihren Orangensaft ab und lehnte sich in ihrem hauchdünnen Morgenmantel etwas nach vor. „Erzähl.“ „Du bist doch seit fünf Jahren verheiratet, oder?“ Sie nickte. „Was sagt dein Mann zu dem Beruf, den du ausübst? Ich meine, wie geht es dir dabei, dich von fremden Männern anfassen zu lassen, während Zuhause dein Mann auf dich wartet?“ Adrian wusste nicht, ob sie verstand, worauf er hinaus wollte, doch das tat sie sehr wohl. „Will sie, dass du deinen Job aufgibst?“, fragte sie ihn daher in einem sanften Tonfall. Er schüttelte schwach den Kopf, denn um ehrlich zu sein, er wusste es nicht. Ihm fiel nur wieder ihre Reaktion ein, als sie ihn hatte tanzen sehen und das war sicherlich nicht positiv zu bewerten gewesen. „Nein. Es geht mir auch nicht darum. Da ich meinen Job sowieso nicht aufgeben will. Aber ich würde gerne, dass es leichter für uns beide ist. Leider habe ich keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll.“ „Aufklärung.“, warf Jess ein. „Mein Mann hatte alle möglichen Horrorszenarien im Kopf, was meinen Beruf anging, bis ich ihm lang und breit erklärt und auch gezeigt habe, was wir eigentlich wirklich tun. Es ist ja nichtn so, dass man gerne von fremden Menschen angefasst wird, aber wir beide haben gelernt damit zu leben, weil es dazu gehört. Wir nehmen das nicht ernst. Ich meine, würde ich jeden dieser Trottel ernst nehmen, würde ich wohl verrückt werden. Dir geht es doch bestimmt auch so.“ Adrian nickte. Nein, ihre Kunden konnten sie wirklich nicht ernst nehmen. „Ich kann dir zwar keinen todsicheren Tipp geben, was das angeht, weil jeder Mensch unterschiedlich mit solchen Dingen um geht. Aber manchmal hilft es wirklich, wenn man dem Schrecken seine Macht nimmt. Ich zum Beispiel, habe meinem Mann erst alles erklärt, danach habe ich ihm gezeigt, wie ich tanze, wenn ich arbeite und wie ich tanze, wenn ich es für ihn tu. Danach sagte er mir, der Unterschied wäre so krass wie Tag und Nacht. Natürlich wäre er froh, wenn ich nicht weiter arbeiten würde, aber er macht sich auch keine falschen Vorstellungen mehr davon.“ Adrian nickte nachdenklich und stand dann auf, da die Pause gleich rum war. „Danke, dass du mir das so erklärt hast.“ Auch wenn er nicht glaubte, dass er es mit Emily ebenso machen würde. Aufklärung … ja, er konnte wenigstens mit ihr darüber reden, falls sie wirklich einmal eine Äußerung zu seinem Job machen sollte. Immerhin hatte sie bisher nichts erwähnt und es war nur für ihn ein Bedürfnis gewesen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. „Adrian…“ Er hob den Kopf und drehte sich noch einmal zu Jess um. „Ja?“ Sie kam mit einem Lächeln näher und legte ihre Hände auf seine Schultern, um auch wirklich seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Du machst das schon. Und denk nicht zu viel an diese Weiber. Sie es doch einfach einmal so, das was sie sehen und berühren wird niemals das sein, was du wirklich bist. Denn das gehört ganz alleine dir und deiner Freundin, wenn du es zulässt.“ Sie drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange, ehe sie sich zurück an die Arbeit machte und auch er endlich in die Gänge kam. Als er an diesem Morgen heim kam, ging er zuerst duschen, danach richtete er schon einmal alles grob für ein Frühstück her, damit das nicht mehr Emily erledigen musste, wenn sie aufstand. Schließlich kroch er zu ihr in sein Bett, wo sie auf ihn gewartet hatte, zog ihren warmen Körper an sich und vergas wenigstens in diesem Augenblick alles um sich herum. Doch er schlief nicht ein, sondern schnappte sich noch verstohlen sein Handy und tippte eine kurze Nachricht an Patrick: ~Hey, Kumpel. Hast du das Wochenende lebend überstanden? Melde dich doch einmal bitte, damit ich weiß, ob die Sache mit dem blondne Schönling was geworden ist. LG A.~ Danach legte er das Handy weg und begann eine Strähne von Emilys Haar zu streicheln, während er ihr beim Schlafen zusah. Heute würde er nicht schlafen, bis sie aufstehen musste, denn wenigstens dieses Mal, wollte er mit ihr zusammen frühstücken, ehe sie zur Arbeit musste. Danach konnte er immer noch schlafen und sich auf ihren Abend vorbereiten. Emily hatte bemerkt, wie Adrian zu ihr ins Bett gekommen war und sie an sich gezogen hatte. Aber nach dem Klettern am Sonntag konnte sie sich nicht zu mehr als einem kleinen Kuss auf seine Brust und ein leises ‚Hallo’ durchringen, bevor sie den Arm um ihn legte und zufrieden weiterschlief. Der Wecker riss sie so unerwartet aus dem Schlaf, dass ihr die Augen brannten und sie sich halb über Adrian warf, um das schrille Piepsen zu beenden. Als das nervtötende Geräusch verstummt war, ließ sie sich auf Adrian zusammensinken und schloss kurz die Augen, bevor sie sich aufraffte und ihm einen Guten-Morgen-Kuss gab. Der Kuss weitete sich so weit aus, dass sie an seinem Ohrläppchen knabberte, bis sie mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck von ihm abließ. Sie würde pünktlich in der Arbeit erscheinen müssen, wenn sie heute Abend ins ‚Pan’ und danach noch ins Kino gehen wollten. Daher fiel die Dusche und das Frühstück auch eher kurz aus, was vielleicht auch daran lag, dass Emily sich mehr Zeit nahm auf Adrians Schoß zu sitzen und an seinem Hals zu knabbern, als an ihrem Brötchen Sie schnappte sich einen Apfel und stopfte ihn in ihre Handtasche, während sie schon in den Flur unterwegs war. „Ok, wir sehen uns dann heute Abend. Sag Mrs. Jenkins liebe Grüße und dass sie eine tolle Lehrerin ist.“ Sie konnte sich kaum von Adrians Lippen lösen, bis ihr ein Blick auf die Uhr zeigte, dass sie nun aber wirklich los musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)