Ein ungewöhnlicher Mitbewohner von Darklover ================================================================================ Kapitel 18: 18. Kapitel ----------------------- Das Wasser lief in heißen Schwaden seinen Körper hinab. Erschöpft lehnte er die Stirn gegen die kalten Fliesen. Durch das Rauschen hindurch, konnte Adrian immer noch die Musik der Lautsprecher hören, die im Clubraum noch die letzten Gäste unterhalten sollte. Im Umkleideraum war kaum noch jemand, die meisten seiner Kollegen und Kolleginnen waren schon gegangen. Adrian konnte sich aber nicht dazu aufraffen, die Wärme des Wassers zu verlassen, um nach Hause zu gehen. Er wollte nicht die leeren Zimmer sehen. Oder das Emilys Schuhe fehlten. Er wollte nicht die untrüglichen Zeichen erkennen müssen, dass sie in diesem Augenblick in den Armen eines anderen Mannes schlafen könnte. Er konnte noch nicht einmal daran denken, ohne dass sich seine Brust schmerzvoll zusammen zog. Trotzdem, irgendetwas musste er tun. Er konnte nicht für immer unter der Dusche stehen und auf bessere Zeiten warten. Außerdem würde sein Boss ihn sonst noch auf die Straße setzen, wenn er den Club für diese Nacht schloss. Widerwillig gab sich Adrian einen Ruck und drehte das Wasser ab. Er stieg aus der Kabine und griff nach seinem Handtuch, um sich abzutrocknen. „Du bist sogar noch heißer als damals. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Adrians Hand erstarrte in der Luft. Er wusste schon vorher, wer diese dreiste Frau war, die sich in die Männerduschen verirrt hatte, noch bevor er sie sah. „Alexandra.“ Ihm kam nur dieses eine Wort über die Lippen, doch darin lag all die Verachtung und Wut, die er für sie empfand. Es prallte einfach an ihr ab. Sie lehnte am Türrahmen, die Beine überschlagen, die Hände vor der üppigen Brust verschränkt. Sie trug einen briefmarkengroßen, sündigroten Rock, ein geschnürtes, schwarzes Top, das mehr zeigte, als verhüllte und ihre Modelbeine steckten in schwarzen Netzstrumpfhosen. Sie hatte sich die vollen Lippen Blutrot geschminkt und das blauschwarze Haar fiel ihr in einer fast schon eleganten Geste glatt bis auf die Schultern. Würde man in einem Telefonbuch unter ‚Sexbombe’ nachschlagen, so stünde dort mit Sicherheit ihre Adresse. Adrian schnappte sich das Handtuch und trocknete sich ab, ohne sie dabei weiter zu beachten. Zwar konnte er sich noch so sehr wünschen, sie möge sich wieder in den Höllenschlund zurückziehen, aus dem sie gekrochen war, aber natürlich stand sie immer noch da, als er sich das Handtuch um die Hüften wickelte und zu seiner Kleidung hinüber ging. Ihre Blicke waren wie kalte Nadelstiche überall auf seiner Haut. Wie sehr er es doch hasste, wenn sie ihn so ansah. „Eigentlich hätte ich von dir wenigstens ein ‚Hallo‘ oder ‚Hi‘ erwartet. Immerhin waren wir einmal zusammen.“ Adrian ließ seine Boxershorts wieder auf den Stapel sinken und fuhr zu ihr herum. „Ja, mit Betonung auf ‚war‘. Was willst du eigentlich hier?“ Seine Stimme klang kalt und schneidend, was Alex zu einem Lächeln bewegte. Sie kam mit schwingenden Hüften auf ihn zu und Adrian wusste instinktiv, wenn sie ihm zu nahe kam, könnte alles passieren. Sie war auf eine Art gefährlich, die nicht strafbar war, aber eigentlich hätte sein sollen. „Nun, eigentlich wollte ich nur einmal das Shadow ausprobieren. Tolle Musik, gute Atmosphäre. Du weißt schon.“ Sie wedelte vielsagend mit der Hand. „Aber als ich dich dann auf der Bühne sah, mit diesen heißen Lederklamotten, war alles andere einfach vergessen. Ich muss zugeben, ich war erschüttert und höchst erfreut zu gleich, dich auf diese Weise wiederzusehen.“ Adrian wäre noch ein Stück zurückgewichen, wenn er vorgehabt hätte, vor ihr Schwäche zu zeigen. Doch inzwischen stand er über den Dingen. Außerdem war sie selbst mit ihren zwanzig Zentimeter hohen Absätzen trotzdem noch kleiner als er. Der Größenunterschied wurde noch deutlicher, als sie so dicht an ihn heran trat, dass er ihr süßliches Parfum riechen konnte. Ihm wurde schlecht davon. „Warum hast du dich nicht schon früher in Leder gehüllt? Du sahst verdammt scharf darin aus.“ Sie hob ihre manikürte Hand. „Fass mich nicht an!“, knurrte er deutlich aggressiv. Adrian hatte heute nicht mehr den Kopf, um sich auch noch mit seiner Exfreundin herumzuschlagen. Das war einfach zu viel. Allerdings ließ sich Alex wenig damit beeindrucken. Das Lächeln auf ihrem Gesicht vertiefte sich nur noch, als sie ihm über die muskulöse Brust strich. „Und jetzt?“, fragte sie ihn herausfordernd. „Was wirst du jetzt tun?“ Adrian packte sie am Handgelenk und zog ihre Hand weg. Sein Griff war fest und musste ihr wehtun, doch das war ihm egal und ihr offensichtlich auch, denn mit einem Mal veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. „So kenne ich dich ja gar nicht.“, stellte sie überrascht fest. „Das gefällt mir!“ Ehe er sich versah, presste sich ihr Körper hungrig an ihn. Sie umschlang mit ihrer anderen Hand seinen Nacken, zog sich daran hoch, um ihre Lippen auf die seinen pressen zu können, während ihr Bein sich zwischen seine Schenkel drängte und ihre Hüfte sich an ihm rieb, so dass er das Handtuch verlor. Durch die überraschende Wucht ihres Ansturms, schlug sein Körper gegen die Wand hinter ihm und mit einem Mal fühlte er sich vollkommen gefangen. Er war eingesperrt zwischen der kalten Mauer in seinem Rücken und dem heißen Körper vor ihm. Neckisch biss sie ihm unsanft in die Unterlippe, sog daran, um ihn zum Mitmachen anzutreiben, doch alles was Adrian tun konnte, war vollkommen erstarrt dazustehen. Er konnte es nicht fassen. Alexandra schien seine Passivität überhaupt nicht zu stören. Sie nahm sich einfach, was sie wollte. Ihre Hände wanderten gierig über seinen Körper, nachdem er vor Schreck ihre Hand wieder losgelassen hatte. Eine davon umfasste zielstrebig sein Geschlecht, um es zu reiben und zu massieren. Erst bei dieser Berührung wachte Adrian aus seiner Starre auf. Wieder war es, als könne er ihre verletzenden Worte von damals hören. Er sei nur ihr Spielzeug gewesen. Ein Stricher, der nur zum Ficken gut war und genau dieses Gefühl, gab sie ihm in diesem Moment auch. Eiskalte Wut fuhr wie tobende Blitze in seine Eingeweide und brachte seinen ganzen Körper zum Beben, bis er sich nicht mehr länger zurück halten konnte. Ohne darauf zu achten, ob er ihr dabei wehtat, pflückte er sie regelrecht von sich runter. Inzwischen hatte sich ihr Mund an seinem Hals zu schaffen gemacht. Er konnte ihre Bisse spüren und die Kälte von der Feuchtigkeit ihres Mundes daran. Das war einfach zu viel. „Ich sagte: Du sollst mich nicht anfassen!“ Er stieß sie von sich, so dass sie zurück taumelte, doch seine Gegenwehr schien sie erst recht anzuheizen. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Lippenstift verschmiert und ihr Atem ging heftig, als sie ihn äußerst erregt anlächelte. „Wieso hast du nur diese Seite an dir, nie gezeigt? Vielleicht hätte ich dich dann noch etwas länger behalten.“ Das Glühen in ihren Augen gefiel ihm nicht. Als sie wieder Anstalten machte, erneut auf ihn loszugehen, setzte es bei Adrian einen Moment lang völlig aus. Er wusste erst, was er tat, als es schon zu spät war. Alexandra wurde von der Wucht, mit der er sie verzweifelt abwährte von ihren Absätzen gefegt und landete auf dem Boden. Blut lief ihren Mundwinkel hinab und die Haut ihrer Wange war stark gerötet, doch noch immer lächelte sie, als sie zu ihm aufsah. „Ja, komm schon, Adrian! Schlag mich noch mal. Das macht mich tierisch an.“ „Du bist total krank!“, schrie er sie an, ehe er sich seine Kleider schnappte und die Flucht ergriff. Das konnte doch alles nicht wahr sein und dennoch überraschte ihn ihr Verhalten nicht wirklich. Sie hatte schon immer einen Hang zu SM. Aber im Gegensatz zu ihr, war ihm nie danach gewesen, auch noch diese Abgründe zu erkunden. Hey Adrian! Wie geht’s dir? Ich weiß nicht, ob du diese Nachricht noch rechtzeitig bekommst… Hast du Lust Morgen (So) gegen Mittag mit mir Joggen zu gehen? Ruf doch an. Schlaf’ gut! P. Ein trauriges Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als Adrian seine Antwort ins Handy tippte. Ich warte im Sunshine-Café auf dich. Komm, wenn du ausgeschlafen bist. Ich werde da sein. A. Einen Moment lang ruhte sein Daumen wenige Millimeter über der Sendetaste, bis er sie schließlich drückte, sein Handy wieder einsteckte und sich auf dem Weg zum Café machte. Inzwischen war es kurz nach sechs Uhr morgens. Es müsste also inzwischen geöffnet haben. Zwar hatte Patrick vorgeschlagen, dass er ihn anrufen sollte, aber bestimmt schlief sein Freund noch, so wie es sich für Sonntag gehörte und wenn er auch nur annähernd das gleiche Verhalten wie Adrian zeigte, würde ihn eine SMS nicht gleich wecken. Es war kaum jemand auf der Straße, da der morgendliche Ansturm am Sonntag lange nicht so groß war, wie unter der Woche. So musste sich Adrian keine Sorgen machen, dass Alex ihm nachlief. Er hätte sie schnell erkannt, allerdings glaubte er ohnehin nicht daran, dass sie ihn heute noch einmal belästigen würde. Nach dem die Security-Leute des Clubs sie rausgeschmissen hatten und sein Boss ihr Hausverbot erteilt hatte, würde er sie hoffentlich für eine ganze Weile nicht mehr wieder sehen. Doch die Katastrophe war bereits angerichtet, jetzt musste er sich um Schadensbegrenzung bemühen. Es kam gar nicht in Frage, dass er jetzt in seine und Emilys Wohnung zurückkehrte. Den Anblick ihrer fehlenden Sachen, wie zum Beispiel ihre Zahnbürste, hätte er heute einfach nicht mehr ertragen. Zittrig kramte er in seinen Jackentaschen herum, bis er endlich fand, was er dringend gegen seine aufziehenden Kopfschmerzen brauchte. Zwar war es nur ein leichtes Beruhigungsmittel gegen den Schmerz auf Baldrianbasis, doch es war tausendmal besser, als dass er sich einen Schuss H reinzog. Früher hätte er das ohne zu zögern getan, selbst als er erst leicht abhängig davon gewesen war. Die Droge ließ schnell alle Sorgen verschwinden und versetzte einem in einen Zustand des absolut seligen Rausches. Man fühlte sich, als könnte niemand einem etwas anhaben. Als wäre man unbesiegbar. Dabei wurde man im Grunde nur noch verletzlicher und instabiler. In Momenten wie diesen konnte Adrian nur zu gut nachvollziehen, was Menschen dazu brachte, dem Drogenmissbrauch zu frönen. Vielleicht nicht alle, doch viele versuchten dadurch der Realität zu entfliehen. Bei ihm war es nicht anders gewesen. Zuerst waren es nur Pillen, die er schluckte, um seine Tätigkeit als Stricher leichter zu ertragen. Doch je länger er seine Gefühle mit Tabletten kontrollierte, umso schlimmer wurde es. Bis es schließlich nicht mehr ausreichte und er härtere Sachen brauchte. Aber selbst dann, brauchte er immer mehr und mehr, bis er so weit gewesen war, dass jeder Schuss sein letzter hätte sein können. Warme Luft geschwängert mit dem Duft von frischen Brötchen und geröstetem Kaffee umfing ihn, als er die Tür zum Café öffnete und sich nur zu bereitwillig davon anlocken ließ. Er war, so weit er das sehen konnte, erst der dritte Gast am Morgen, weshalb er sich einen Platz ganz hinten in einer Ecke aussuchen konnte, wo er seine Ruhe haben würde. Hinter ihm befand sich ein schmaler Streifen Spiegel an der Wand, der sich durch das ganze Café zog. Dort wurde ihm zum ersten Mal an diesem Tage die Realität deutlich vor Augen geführt. Er sah blass aus und seine sonst so blauen Augen wirkten dunkel und eiskalt. Über seinen gesamten Hals zogen sich dunkelrote Blutergüsse und als er in den Ausschnitt seines Hemdes spähte, konnte er sogar blutige Kratzspuren erkennen. Alexandra dieses Biest hatte ihn wohl bei lebendigem Leibe häuten wollen. Zumindest war sie garantiert kein Schmusekätzchen. Aber das war sie noch nie gewesen. Immerhin hatte sie schon früher die Neigung besessen, ihn beim Sex zu kratzen und zu beißen. Eine Tatsache, die er bis dato verdrängt hatte, da er damals alles für sie getan hätte, immerhin hatte er geglaubt, sie zu lieben. Jetzt wusste er, dass er nur ihre Anerkennung wollte. Natürlich hatte er die nie bekommen. Selbst heute nicht. „Na, Süßer. Harte Nacht gehabt?“ Vor ihm stand ein rundlicher Mutterverschnitt Ende Vierzig in einem Kellnerinnenoutfit. Sie lächelte herzlich und ihr Gesicht war so freundlich, wie ihr Tonfall geklungen hatte. Unwillkürlich musste Adrian lächeln. „Kann man wohl sagen.“ Er seufzte. „Dann lehn’ dich zurück und lass mich nur machen. Was darf ich dir bringen?“ Sie zückte einen Block und einen Stift. Seltsamerweise ging es ihm dabei gleich viel besser. Diese Frau strahlte eine so unglaubliche Ruhe und Behaglichkeit aus, der man sich nur zu gerne fügte. „Einen Kaffee und einen Pfirsichsaft, bitte.“ „Willst du auch was essen?“ „Nein, danke. Später vielleicht.“ Immerhin würde er hier wohl eine Weile sitzen bleiben, um auf Patrick zu warten. Aber genau das war ihm ganz recht. Er musste unbedingt seine Gefühle wieder ordnen, sonst bekam er davon noch ein Schleudertrauma. Sein Magen fühlte sich ohnehin so an, als säße er schon seit gestern Nacht in einer Achterbahn. „Kommt sofort.“ Die Kellnerin zwinkerte ihm zu und verschwand, um ihm seine Wünsche zu erfüllen. Schade, dass es sich hierbei nur auf Getränke beschränkte. Eine gute Fee hätte er im Augenblick sehr gut gebrauchen können. „Guten Morgen!“ Patrick sah in seinem Sportdress so abgehetzt aus, als wäre er bereits von seiner Wohnung zum Café gejoggt. Dabei hatte er bloß seinen Bus verpasst und die letzten Meter tatsächlich im Laufschritt hinter sich gebracht. Als er Adrian im hintersten Eck des ‚Sunshine’ schließlich entdeckte – er hatte schon überlegt, ob sein Freund bereits wieder gegangen war – setzte er sich erstmal neben ihn, ohne ihn wirklich anzusehen. Sobald er das nachholte, erschrak er allerdings deutlich erkennbar. Mein Gott, was war denn bloß passiert? Adrian sah so aus, als hätte er die Nacht durchgemacht und wäre außerdem noch unter einen Lastzug geraten. Patrick zog den Rothaarigen ohne ein weiteres Wort erstmal an sich. Zwar wusste er nicht, ob Adrian diese Art von Nähe in der Öffentlichkeit recht war, aber dass er es nötig hatte, war mehr als klar. Er hielt ihn länger fest, als für eine Begrüßung üblich gewesen wäre und sah ihn dann auf Abstand seiner ausgestreckten Arme mit besorgter Miene an. „Dich zu fragen, ob’s dir gut geht, kann ich mir wohl sparen.“ In beschwichtigendem Ton fragte er leise, was los war. Überrascht ließ Adrian es zu, dass sein Freund ihn in die Arme zog. Es war nicht wirklich ein Reflex, der ihn dazu brachte, sich an den anderen fest zu halten und kurz das Gesicht an dessen Brust zu verbergen. Scheiß drauf, dass ein paar Leute im Lokal glotzten, er brauchte diese Art der Zuwendung wirklich dringend! Beinahe hätte er protestiert, als Patrick ihn von sich schob, um ihm ins Gesicht zu blicken, doch das war vermutlich auch nur richtig so. „Ich denke, die Tatsachen sprechen für sich.“, gab Adrian zerknirscht zu, ehe er sich an sein zweites Glas mit Pfirsichsaft fest klammerte und auf die Tischplatte starrte. Irgendwie kam ihm das alles seltsam bekannt vor, aber daran wollte er gar nicht denken. Während er noch nach den richtigen Worten suchte, kam die unglaublich nette Kellnerin an ihren Tisch, die ihn inzwischen mit einem leichten Naturyoghurt mit Früchten versorgt hatte, um seinen hungrigen Magen wenigstens etwas zu beruhigen, ihm aber keinen Grund zum Kotzen gab. Sie fragte nach Patricks Bestellung und schenkte Adrian ohne zu Fragen noch einen Kaffee ein. „Der geht auf mich, Süßer.“ Noch ehe Adrian sich bedanken konnte, war sie auch schon wieder weg. Seltsam, bei ihr klang dieser Kosename, nicht so, wie er aus dem Mund einer anderen Frau geklungen hätte. Er hatte einen freundschaftlichen und zugleich fürsorglichen Unterton. „Tja, also Patrick, wundere dich nicht, wenn ich etwas müde aussehe. Ich hab gearbeitet und bin danach gleich hier her gekommen. Ich hab nicht geschlafen. Aber darum mach dir mal keinen Kopf. Das kommt öfter vor.“, versuchte er seinen Freund zu beruhigen. Aber es war nicht nur die Müdigkeit, die man ihm ansah. Darum erklärte er weiter: „Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte mal wieder eine beschissene Nacht.“ Das Glas zwischen seinen Fingern begann sich zu drehen, als er es anschob. "Emily hat vermutlich die Nacht im Bett eines Mannes verbracht und da mich das ja nicht schon genug beschäftigt, hatte ich nach der Arbeit auch noch eine Begegnung der unheimlichen Art.“ Fast erschrocken drehte er sich zu der matronenhaften Kellnerin um, die sich offensichtlich bis jetzt um Adrians Wohlbefinden gekümmert hatte. Zumindest was die Verpflegung mit Essen und Trinken anging. Sie goss auch Patrick mit einem breiten Lächeln eine Tasse Kaffee ein und schrieb die Spiegeleier, die er bestellte, auf ihren kleinen Notizblock. Erst als Adrian sich zurücklehnte, begann Patrick zu sprechen. Er war selbst überrascht, dass seine Stimme ihm noch gehorchte, vor allem wenn sein Blick kurz auf dem Kragen seines Freundes ruhte. „Den Anfang zuerst. Wie kommst du darauf, dass Emily die Nacht bei einem Kerl verbracht hat? Du warst doch gar nicht zu Hause. Vielleicht lag sie brav um elf in ihrem Bett und zwar allein und du hast es bloß nicht mitbekommen.“ Er brauchte seinem Gegenüber gar nicht in die Augen zu sehen, um den ungläubigen Blick vor sich zu sehen. Adrian hatte bestimmt seine Gründe zu glauben, dass Emily sich einem anderen Mann hingab. Aber Patrick versuchte zumindest ein wenig zu verhindern, dass der Rothaarige sich selbst deswegen so fertig machte. Vielleicht war tatsächlich nichts gewesen. „Man überinterpretiert so oft, Adrian. Was, wenn sie nur Freunde sind, die sich eben am Samstagabend treffen, um ins Theater zu gehen oder so was?“ Immerhin trafen sie sich auch hier und hatten nur vor zusammen laufen zu gehen. Das hätte Patricks Ex allerdings auch anders gesehen, wenn sie noch ein Paar gewesen wären. Fred war immer unglaublich eifersüchtig gewesen, was auch ein Grund für die Trennung gewesen war. Wenn auch nicht der Einzige. “Hast du denn mit Emily geredet? Ich meine, hast du ihr angedeutet, dass du sie magst? Mehr als magst?“ Wenn er nicht bald mit der Sprache herausrückte, würde sie früher oder später an jemand anderen geraten. Sie war eine schöne und nette Frau. Adrian konnte nicht verlangen, dass sie auf ihn wartete, wenn sie doch dachte, dass er auf Männer stand. Adrian sah Patrick wirklich ungläubig an. Als wenn er nicht schon selbst alles Mögliche versucht hätte, um eine noch so harmlose Erklärung für Emilys Abgang gestern zu finden. Aber er konnte nicht anders. Es war, als würde ihm ein Teufel auf der Schulter sitzen, der ihm immer wieder diesen Mist einredete, den er am Liebsten gar nicht gehört hätte. „Natürlich könntest du Recht haben und ich wäre verdammt froh, wenn es wirklich so sein sollte, aber irgendetwas in mir drin, will das nicht einsehen. Ganz im Gegenteil. Wenn’s nach meinem Bauchgefühl ginge, was es zum Glück nicht tut, würde ich einfach den Sprung ins kalte Wasser wagen und ihr sagen, wie…“ –weh es tut, sie bei einem anderen Mann zu wissen, selbst wenn da Nichts zwischen ihnen laufen würde. „Ach egal. Ich will nichts damit zerstören, in dem ihr gestehe, wie meine wahren Gefühle für sie aussehen, wo ich mir selbst noch nicht einmal völlig sicher bin. Was ist, wenn sie etwas für diesen Kerl empfindet und für mich nicht? Ich könnte nie wieder so locker mit ihr zusammenwohnen wie jetzt. Ich müsste gehen und das wäre schlimmer zu ertragen, als die jetzige Situation.“ Gut, dass er es aussprach, denn zu diesem Punkt war er in seinen Überlegungen noch gar nicht gekommen. Scheiße, selbst wenn er ihr seine Gefühle beichtete, könnte sie ihn immer noch abweisen. Verdammt, genau so lief es doch nun einmal im Leben und in der Liebe, nicht wahr? Es war das reinste Glücksspiel! Aber jetzt kam auch noch seine Ex ins Spiel und das war der eigentliche Punkt, der ihn so absolut fertig machte. "Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest." Adrian öffnete die ersten zwei Knöpfe seines Hemdes und zog die beiden Seiten auseinander, so dass Patrick offene Einsicht auf seinen zerkratzten Brustkorb und seinen malträtierten Hals hatte. „So sieht man aus, wenn meine Ex scharf auf einen ist.“ Seine Finger zitterten, als er seine Kleidung wieder richtete und die starrenden Blicke von einigen Gästen finster erwiderte, bis diese sich wieder abwandten. Dann erst fuhr er im Flüsterton fort: „Sie hat mir heute Morgen nach der Arbeit im Duschraum aufgelauert und sich auf ihre Art an mich herangemacht. Was aber wirklich der Gipfel dieses ganzen Scheißhaufens ist – sorry für die Wortwahl – ich hab sie geschlagen.“ Und das machte ihn so verdammt fertig, wie es diese Tatsache eben nur konnte. „Ich hab noch nie eine Frau geschlagen und ich dachte auch nicht, dass ich das überhaupt könnte.“ Auch wenn Alex es verdient hatte und sie dadurch sogar noch heißer geworden war, fühlte er sich so hundeelend, wie er aussah. Der Anblick von Adrians Hals schockierte Patrick. Aber das war nichts gegen die Worte, die er anschließend hörte. Man merkte ihm seine Verunsicherung bestimmt an, aber das würde Adrian verstehen müssen, immerhin war die Situation schwierig. Ein schwieriger Haufen Scheiße, wie er sich ausgedrückt hatte, stimmte ausnehmend. „Was will sie von dir?“ Mit einem Nicken in Richtung von Adrians Hals, machte er klar, dass er nicht Emily meinte. „Und die noch größere Frage: Wieso warst du mit so einem Biest zusammen? Ich hab ja gehört, dass Liebe blind macht, aber doch nicht völlig schmerzfrei.“ Von wegen schmerzfrei. Was sollte er bloß zu Adrians letztem Geständnis sagen? Patrick war gegen Gewalt. In jedem Fall. Vor allem gegen Frauen. Er sah seinen Freund forschend an und konnte einen missbilligenden Blick nicht ganz von seinen Zügen wischen. „Warum hast du sie geschlagen?“ Die Striemen an seinem Hals waren ein Grund, aber nicht genug. Adrian hätte die Frau sicher wegschieben können oder sich anders befreien. Immerhin war er kräftig und selbst Patrick war sich nicht sicher, wie ein Kampf zwischen ihnen ausgehen würde. Adrian konnte Patricks Blick verstehen, denn er bereute es selbst so sehr, Alex geschlagen zu haben, dass er sich lieber die Hand verbrannt hätte, als es noch einmal zu tun. Aber es war schwer zu erklären, warum er diese Erfahrung gemacht hatte, obwohl er es sicherlich niemals so gewollt hatte. „Das war keine Liebe. Zumindest ist mir das heute Nacht klar geworden.“, begann er langsam und wohl überlegt. „Ich war damals einfach dumm und trotz meiner hart erlernten Erfahrungen immer noch auf eine hirnlose Weise naiv. Ich dachte, sie akzeptiert mich so wie ich bin. Anfangs war sie auch unglaublich nett und sanft. Zumindest außerhalb des Schlafzimmers. Wenn wir weg waren, war sie ständig an meiner Seite. Immer wollte sie nur mit mir zusammen etwas unternehmen.“ Jetzt wusste er, dass sie ihn regelrecht vorgeführt hatte. Ihr neuer, gutaussehender Freund, der nur Augen für sie hatte. Was für ein Glücksfang! „Zu dieser Zeit hielt ich nichts von mir.“ Was sich heute nur leicht verbessert hatte. „Sie war jedoch für mich die Bestätigung, dass ich etwas wert bin. Dass ich in der Lage bin, eine richtige Beziehung zu führen, mit Sex ohne…“ –Geld, hätte er beinahe gesagt. Aber Patrick wusste ja nichts von Adrians Vergangenheit. Und irgendwie wollte er sie ihm auch nicht sagen. Dafür war es zu früh und vermutlich würde dieser Zeitpunkt auch nie kommen. „Sagen wir einfach, ohne Gegenleistungen.“ Zumindest versuchte er sich da raus zu reden. „Einfach nur ein Geben und Nehmen ohne Wenn und Aber. Sie war früher im Bett auch nicht so, wie sie sich heute gezeigt hatte. Okay, sie mochte es schon immer etwas härter, aber diese Forderungen sind nichts Neues für mich.“ Bei dem großen Kundenkreis, den er als Stricher abgedeckt hatte, waren ihre Spielchen noch unter Softporno zu verbuchen gewesen. Aber über die anderen Dinge dachte er noch nicht einmal mehr nach. Sie gehörten der Vergangenheit an. „Und natürlich hat sie mich auch immer mal wieder im Feuer der Lust gekratzt und leicht gebissen, aber heute hatte ich echt eine Scheißangst vor ihr. Ich meine, ich habe gerade geduscht und wollte mich abtrocknen, als sie plötzlich vor mir im Männerduschraum stand und mich mit diesem Blick ansah, als würde ich ihr gehören! Du musst wissen, ich habe sie vor ungefähr einem Jahr verlassen, weil sie nichts anderes von mir wollte als den guten Sex, den ich ihr geben konnte. Ich – mein Charakter, meine Gefühle und Wünsche – gehörten nicht zu diesem Körper, den sie so begehrte und heute hat sie mich noch dazu in einem Outfit gesehen, das nur aus Leder und Nieten bestand. Ich bin übrigens Stripper, wenn wir hier schon so offen miteinander reden.“ Fügte er noch zerknirscht hinzu, ehe er noch leiser fortfuhr. Das alles war ihm so unglaublich unangenehm. „Ich hasse es, wenn sie mich berührt. All die Wut und der Schmerz kommen dann wieder in mir hoch. Sie hat mir am Ende unserer Beziehungen Dinge an den Kopf geworfen, die ich bis heute noch nicht vollkommen verarbeitet habe. Sie jedoch, schien sich dessen gar nicht mehr bewusst gewesen zu sein, als sie mich einfach ansprang, mit der deutlichen Absicht, die Zeit der Trennung hinter sich zu lassen und gleich mit Versöhnungssex anzufangen.“ Das musste sich doch alles so verrückt anhören. Er selbst konnte kaum glauben, was er da sagte, dabei war er dabei gewesen! Einen Moment lang schwieg Adrian betroffen, versuchte seine wirren Gedanken zu ordnen und das eiskalte Gefühl zu verdrängen, als wieder die Bilder von heute Morgen hochkamen. „Ich habe versucht, sie von mir runter zu ziehen.“ Die Spuren auf seinem Rücken waren ein deutliches Zeichen ihrer Gegenwehr. „Sie wollte nicht los lassen, aber das war mir egal, ich drückte sie trotzdem unsanft weg. Dann hab ich ihren Blick gesehen.“ Eine Gänsehaut überzog seinen Körper, als er daran dachte, wie sehr sie ihn doch gewollt hatte. „Je mehr ich Widerstand leistete, umso mehr schien es sie anzumachen. Als sie dann noch einmal den Versuch startete, mich anzufassen, setzte irgendwas in mir aus. Ich fürchte mich eigentlich nicht mehr vor vielen Dingen, aber vor ihr hab ich eiskalte Panik bekommen. Ich weiß ja, dass das keine Ausrede ist und wenn ich könnte, ich würde es ungeschehen machen, aber ich kann’s nicht. Darum habe ich auch schleunigst meine Sachen geschnappt und bin abgehauen, als sie verlangte, ich solle sie noch mal schlagen. Das ist doch krank! Ich könnte nie jemandem mit Absicht wehtun…“ Dachte er zumindest. Adrians Blick war fest auf die verkrampften Hände in seinem Schoß gerichtet. Alles verschwamm ihm vor den brennenden Augen, bis ihm klar wurde, dass er kurz davor stand, einfach los zu heulen. Scheiße. Rasch blinzelte er die Feuchtigkeit weg, ehe noch jemand etwas davon mit bekam. Dennoch wagte er nicht, hoch zu sehen. Der Anblick von Patrick hätte den Damm wohl zum Brechen gebracht. Er versuchte wirklich ihn zu verstehen. Patrick hatte sich haltsuchend auf der Tischplatte abgestützt und betrachtete sein Handgelenk, ohne etwas zu sehen. Im Geiste versuchte er die Sachen zu ordnen, die Adrian ihm erzählte. Diese Exfreundin hatte ihn fertig gemacht am Ende der Beziehung. Hatte ihn verletzt. Wohl schon bevor sie sich endgültig getrennt hatten und war jetzt wieder aufgetaucht. Vielleicht nur zufällig, aber mit der Absicht sich wieder zu versöhnen. Oder zumindest Hardcoresex zu haben, was bei ihr vermutlich einer Versöhnung gleichkam. Sie hatte Adrian überrascht und ihn in die Enge getrieben. Patrick drehte mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand an dem Ring herum, den er an der Linken trug und überlegte, was er sagen konnte. Er glaubte, dass es Adrian Leid tat, dass er sie geschlagen hatte. Bestimmt hatte sich der Rothaarige so etwas nie zugetraut. Patrick kannte ihn zwar noch nicht lange, aber als er sich an die Szene im Club erinnerte, als Adrian zusammen gezuckt war, weil er gedacht hatte, Patrick würde ihn schlagen wollen… Nein, er glaubte nicht, dass Adrian ein aggressiver Mensch war und er absichtlich eine Frau schlagen würde. Aber wie sehr musste sie ihn dann verletzt haben, dass er es trotzdem tat? Patrick sah hoch und erkannte sofort, dass Adrian nahe daran war, in Tränen auszubrechen. Das war Patrick selbst schon öfter in der Öffentlichkeit so gegangen und er wusste, dass Mann sich diese Blöße nicht geben wollte. Also widerstand er dem großen Drang, seinen Freund wieder in die Arme zu nehmen. Das hätte in diesem Moment mehr kaputt gemacht, als es verbessert hätte. Vielleicht sollte er erstmal gar nichts sagen, damit Adrian sich wieder ein wenig beruhigen konnte. „Wäre es dir lieber, wenn wir gehen?“ Er versuchte seine Stimme nicht zu sanft klingen zu lassen. Er wollte Adrian nicht bevormunden, aber vielleicht war es dem Anderen lieber, wenn sie das Café verließen. Auf die Rechnung kam es nicht an, das ließe sich bei der netten Bedienung sicher ohne Weiteres schnell erledigen. Aber Adrian rührte sich nicht, daher entschied sich Patrick nach einer Weile doch etwas zu sagen. „Ich kann es ehrlich gesagt weder nachvollziehen, noch verstehen. Ich kenne eure Geschichte nicht, aber wenn dich diese Frau zu so was veranlasst, dann solltest du dich vielleicht vor ihr schützen. Offiziell meine ich.“ Wie oft hatte man schon davon gehört, dass man ein Gerichtsurteil erwirken konnte, damit einem solche Menschen nicht zu nahe kamen. „Meinst du, dass sie weiß, wo du wohnst?“ Scheiße, was wenn diese Person irgendwann bei den beiden in der Wohnung auftauchte? Das wäre sicher nicht die beste Art und Weise gewesen Emily doch noch zu sagen, dass Adrian nicht schwul war. „Wenn – und ich sage absichtlich nicht ‚falls’ – Emily erfährt, dass du erstens nicht schwul und zweitens in sie verliebt bist, dann sicher nicht von deiner durchgeknallten Ex. Am Ende passiert noch was.“ Wer wusste schon, was dieser Frau alles zuzutrauen war. Er wollte ja hier nicht den Teufel an die Wand malen, aber wenn sie wirklich davon ausging, dass Adrian ihr auf irgendeine Art und Weise gehörte, dann könnte sie eventuell auf Emily losgehen, bloß weil die beiden zusammen wohnten. Egal ob nun etwas zwischen ihnen war oder nicht. Da er nicht in der Lage war, zu sprechen, ohne undicht zu werden, schwieg Adrian vorsichtshalber, obwohl er Patrick gerne geantwortet hätte. Dafür hatte er die Gelegenheit, sich das Gesagte noch einmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen, während er sich beruhigte. Auch wenn das alles nicht so einfach war und er nicht wusste, wo er anfangen sollte, so war doch klar, dass er etwas tun musste. Patrick hatte Recht. Er musste Emily sagen, dass er nicht schwul war. Alles darüber hinaus, konnte und durfte er verheimlichen, denn das waren seine eigenen Gefühle. Zuerst musste das mit dieser Lüge geklärt werden, danach konnte er immer noch weiter sehen, ob er eine Chance hatte. Denn auch wenn Emily ihn nicht rausschmeißen sollte, so würde das doch sicherlich schwierig werden. Zwar hatte er sie nie direkt angelogen, aber dennoch kam es einer Lüge gleich. Dafür musste er endlich die Verantwortung übernehmen. Also war das der erste Punkt, den er angehen würde. Zwar hatte Adrian Bammel davor, Emily die Wahrheit zu sagen, der Gedanke war dennoch auch irgendwie eine Erleichterung. Er müsste sich in diesem einen Punkt nicht mehr verstellen, was es ihm leichter machte, er selbst zu sein, mit all den Macken und Fehlern die er hatte. Alex war das nächste Problem. Auch wenn sie nicht wirklich ein Problem sein sollte. Adrian kannte sie zumindest so gut, dass er glaubte, bei einer richtigen Abfuhr, würde sie endlich locker lassen. Bisher hatte sie ihn immer nur als ein widerwilliges Spielzeug gesehen, das man führen musste. Wenn sie in ihm auch einmal eine eigenständige Person mit starkem Charakter sehen würde, könnte ihr endlich einmal ein Licht aufgehen. Allerdings würde das noch etwas dauern. Erst einmal, musste er all den Mist überwinden, mit dem sie ihn so verletzt hatte. Tyson wäre ihm dabei sicher eine große Hilfe. Dem Kerl konnte er einfach alles erzählen. Wer weiß, vielleicht konnte sein bester Freund ihm auch noch mehr helfen, als nur zuzuhören. Der Kerl hatte so viel Selbstvertrauen, das würde selbst bei Alexandra nicht abprallen. Eine Weile überlegte er sich, ob er noch weiter auf das Thema Emily eingehen sollte. Patrick war felsenfest davon überzeugt, dass sie ihren Mitbewohner nicht auf die Straße setzen würde. Auch nicht, wenn er nicht vom anderen Ufer war. Immerhin verstanden sie sich gut und er hatte nie versucht, sich ihr zu nähern. Wenn er ihr allerdings gestand, dass er sie anziehend fand, dann konnte sie natürlich auf alle möglichen Arten reagieren. Dass sie ihm einfach mit den gleichen Gefühlen um den Hals fallen würde, war unwahrscheinlich. Dafür würde Adrian etwas tun müssen. Aber das konnte er nicht, solange sie nicht wusste, dass er hetero war. Patrick seufzte schwer unter der Last dieser Probleme, die ja noch nicht einmal seine eigenen waren. Er wusste nicht, was er seinem Freund raten sollte, außer einer Sache. „Sag Emily, dass du nicht schwul bist. Sie wird dich unter Garantie deswegen nicht rausschmeißen. Aber solange du ihr was vorlügst, wird die Sachen nur schlimmer werden.“ Am liebsten hätte er ‚bitte’ gesagt. Um Adrians Willen. „Okay. Aber vorher lass uns joggen gehen. Das pustet mir das Gehirn frei.“, verkündete Adrian nun entschlossen und winkte seine neue Lieblingskellnerin herbei, um zu bezahlen. Dazu noch ein fettes Trinkgeld. Bevor sie etwas dagegen einwenden konnte, hatte Adrian Patrick auch schon geschnappt und zur Männertoilette gezogen. „Ich werde es ihr sagen und danke fürs Zuhören.“ Sein Lächeln war nun schon überzeugender, als er in eine der Kabinen verschwand, um sich die Sportsachen anzuziehen. Jetzt, da er so etwas wie einen Plan, oder zumindest eine geordnete Struktur seiner Probleme hatte, erschien ihm das alles nicht mehr so erdrückend. Klar, das waren noch immer ganz schön schwere Brocken, aber es half nichts, ständig nur zu jammern. Als er sich damals für den Entzug entschieden hatte, bekam sein Leben plötzlich wieder einen Sinn und als er es dann auch noch durchzog, war da eine Weile dieses Gefühl, alles schaffen zu können, wenn er es nur stark genug wollte. Jetzt war er wieder an so einem Punkt. Er wollte sein Leben ändern und verdammt, er würde es auch tun, so hart es auch werden würde! *** Sie waren verbissen und schweigend ein paar Runden gelaufen. Patrick stand der Schweiß auf der Stirn und er war sicher, dass Adrian ihn und sich selbst in Grund und Boden rennen würde, wenn sie nicht bald damit aufhörten. Sein Freund zog seine Energie wohl aus all der Wut, die er im Bauch hatte. Da würde er bestimmt noch einen Weile laufen können, bevor sie ausbrannte. Aber dann würde Patrick bestimmt schon irgendwo völlig fertig am Boden liegen und nach Luft ringen, dem Herzinfarkt nahe. „Hey… Adrian.“ Bereits jetzt konnte er das Blut in seinen Adern rauschen hören und er beugte sich nach vorn, wobei er ein paar Schweißperlen auf dem Boden aufkommen sah. Er schluckte hart und leckte sich über die trockenen Lippen. „Ich geb’ auf. Was immer der Einsatz war, du hast gewonnen.“ Als er sich wieder gerade hinstellte, tanzten Lichtpunkte vor seinen Augen und ihm wurde leicht schwindelig. Nach dieser leichten Überanstrengung wollte er bloß nach Hause und unter die Dusche, was er Adrian auch sagte. „Und noch was…“ Als er seinen Bus bereits um die Ecke biegen sah, drückte er Adrian, der genauso verschwitzt war wie er selbst, noch einmal an sich. „Wenn was ist, dann ruf an. Jederzeit.“ Er sah ihm in die Augen und hoffte, dass seine Augen ausstrahlten, dass er es bitter ernst meinte. „Ehrlich, ich bin da.“ Adrians Beine brannten mindestens genauso sehr wie seine Lungen, doch er hätte noch einige Kilometer mehr laufen können. Er war einfach nicht zu stoppen, oder zumindest brauchte er die richtigen Gründe dafür und der erschöpfte Patrick war wirklich ein triftiger Grund. Also hielt er an und verschnaufte erst einmal. „Gut, also dann schuldest du mir einen weiteren Abend im El Muerte. Du musst mir unbedingt das Geheimnis deines Hüftschwungs zeigen.“ Während er Patrick kurz stützte, damit der ihm nicht einfach umfiel, musste er lächeln. Jetzt war er schon wieder relativ gut drauf und das hatte er alles nur diesem Kerl zu verdanken. Hetero zu sein war manchmal wirklich ein Fluch. Wie viel einfacher hätte er es, wenn er mit Patrick zusammen sein könnte. So richtig als Paar. Das wäre vielleicht eine Party und so einfühlsam wie der andere sein konnte, wäre es nicht nur das. Adrian umarmte ihn daher herzlich, als Patricks Bus kam. „Ich verspreche dir, ich werde mich melden, wenn’s Probleme gibt. Du hast mir heute unglaublich geholfen. Eigentlich schulde ich dir was. Was auch immer es ist, sag mir was du willst und ich tu’s. Ehrenwort.“ Er umfasste den anderen beim Nacken und legte seine Stirn an die von Patrick, um ihm tief in die Augen sehen zu können. „Sag mir einfach Bescheid, wenn du einen Wunsch hast.“ Sanft lächelte er ihn an, gab ihm dann einen freundschaftlichen Klaps auf den Hintern, der den anderen auf den Bus zu trieb. Adrian winkte Patrick hinterher, bis der Bus nicht mehr zu sehen war. Danach machte er sich endlich auf den Nachhauseweg. Es war schon später Nachmittag. In ein paar Stunden musste er wieder zur Arbeit. Eine Dusche und noch etwas Schlaf waren jetzt von absoluter Dringlichkeit. *** Emily saß immer noch über ihrem Buch und trank die inzwischen dritte Portion Tee aus ihrer gestreiften Lieblingstasse. Das Buch war gut, würde sie aber nicht über den restlichen Nachmittag bringen. Noch zwanzig Seiten, dann würde sich die Geschichte aufklären und das Mädchen würde herausfinden, ob ihr Vater ein Gargoyle war oder nicht. Kurz bevor Emily sich vor Spannung die Unterlippe aufbiss, klingelte das Telefon, was ihr ein unzufriedenes Grummeln entlockte. Allerdings ließ das Erkennen der Stimme am anderen Ende der Leitung sie sogar begeistert aufspringen. Wahrscheinlich war ihr Quietschen sogar im Hausflur zu hören. „Greeeeg!!!“ „Hey Baby! Wie geht’s dir?“ Sie hörte das Lachen durch die leicht knackende Leitung und konnte nicht anders, als sich anzuschließen. „Mir geht’s gut, aber wen interessiert das? Wie geht’s dir? Was machst du? Wo bist du?“ Ein begeistertes Kichern. „Mir geht’s super. Und ich halte mir gleich mal den Hörer vom Ohr weg, wenn ich dir sage, wo ich in zwei Tagen sein werde...“ Er hatte gut daran getan, das Telefon zu entfernen. Emily konnte einen Jubelschrei nicht unterdrücken und führte sogar einen kleinen Freudentanz auf. „Das ist fantastisch! Soll ich dich vom Flughafen abholen? Wann genau kommst du an?“ „Beruhig dich, Schwesterchen. Ich hab’ vorhin mit Mona telefoniert. Sie und Mario kommen mich abholen. Du musst doch arbeiten, nehme ich an.“ „Ich hätte dich trotzdem abgeholt.“ „Das weiß ich, aber Mona hat sowieso frei. Aber bevor du jetzt eingeschnappt bist…“ Emily wollte gerade protestieren, als Greg einfach darüber hinweg redete. Das Grinsen in ihrem Gesicht wurde um keinen Deut kleiner. „Ich will euch beide am Dienstag unbedingt sehen. Wir wollen ins Nihon.“ "Oh Greg, Karaoke?“ „Aber klar, wir können uns doch nach so langer Zeit nicht ohne eine deftige Blamage wieder sehen.“ Wieder war sein Lachen anstecken und Emily hätte sogar zugestimmt, wenn ihr Bruder vorgeschlagen hätte, zum Paintball zu gehen. „Ok. Ich bin dabei. Wann und wo?“ „Wir treffen uns Dienstagabend um sieben dort, dann können wir noch was essen, ein paar anderen Leuten zuhören und uns genug Mut antrinken. Außerdem ist Mittwoch Feiertag, stimmt’s?“ Daran hatte Emily gar nicht mehr gedacht, aber natürlich hatte Greg Recht. Das hieß, dass der Abend ohne Bedenken lang werden konnte. Genau das Richtige. Sie freute sich schon jetzt wahnsinnig darauf, ihren Bruder wieder zu sehen. “Super, ich kann’s kaum abwarten.“ „Ja, geht mir genauso. Und Em…“ „Hmm?“ „Mona bringt Mario mit und meinte, dass dein neuer Mitbewohner ganz nett ist. Wenn du auch noch jemand anderen weißt, schnapp dir deine Jungs und kommt einfach ins Nihon. Bei mehr Leuten müssen wir anteilsmäßig weniger singen.“ Sie konnte sein Zwinkern selbst über die tausende von Kilometern hinweg beinahe hören. “Mach ich, versprochen. Wenn meine Jungs Zeit haben.“ Sie verabschiedeten sich kurze Zeit später sehr herzlich, da Greg das Geld für die Telefonzelle langsam ausging und er noch ihre Mutter anrufen wollte. Nachdem sie aufgelegt hatte, konnte Emily sich gar nicht mehr beruhigen. Sie hüpfte noch ein wenig albern im Wohnzimmer herum, bevor ihr das sogar vor den Fischen peinlich wurde. Sie wollte es jemandem erzählen. Wo war Adrian bloß? Es war bereits nachmittags und er war immer noch unterwegs. Emily hoffte, dass er und vielleicht auch Patrick Zeit haben würden am Dienstag mit in die Karaokebar zu kommen. Ihr fiel der Ausdruck ‚meine Jungs’ wieder ein und sie musste laut lachen. Da er sicher war, dass Emily inzwischen nach Hause gekommen war, musste er sich wegen dem Abend auch keine Sorgen machen. Er hatte zwar vor, ihr bald die Wahrheit zu sagen, aber im Augenblick war er zu erschöpft und zu verschwitzt, um auch nur irgendetwas anständig erklären zu können. Also verschob er sein Vorhaben erst einmal. „Hi, bin wieder da!“, begrüßte er mit so fröhlicher Stimme, wie er nur konnte, ehe er auch schon ins Badezimmer verschwand. Dort zog er sich nackt aus und betrachtete ungläubig seinen Körper. Er sah aus, als hätte ihn eine Furie angefallen. Sein Rücken wies deutliche Spuren von Fingernägeln auf, die sich von seiner Wirbelsäule bis zu seiner Seite hervor zogen und rot leuchteten. Die Kratzspuren auf seiner Vorderseite waren unwillkürlicher und weit nicht so tief, dennoch deutlich. Eine zog sich sogar von der Stelle neben seinem Bauchnabel hinab bis zu seinem… „Dieses Miststück!“, entkam es ihm leise, als er seine Lenden betrachte. Er konnte von Glück reden, dass sie es genau darauf abgesehen hatte. Wäre es anders gewesen, hätte sie ihn vielleicht kastriert! Gut, dass er die Kratzer unter einem einfachen T-Shirt verbergen konnte, aber selbst ein Rollkragenpulli hätte die Knutschflecke an seinem Hals nicht verbergen können. Dafür gingen sie zu weit nach oben. Außerdem hatte er keinen Rollkragenpulli. Zwar brannten die Spuren von Alex auf seiner Haut, als heißes Wasser darauf traf, aber er genoss es dennoch unendlich, wieder frisch gewaschen zu sein. Es war, als spülte das klare Wasser all die schlimmen Emotionen von ihm ab, bis er sich seltsam leicht fühlte. Patrick hatte ihm wirklich geholfen, mehr noch, als er jetzt erfassen konnte. Er hatte endlich seine Ausrichtung wieder gefunden und somit war die Angst vor dem Ungewissen gemildert. Die Sorgen waren nicht mehr so groß, da er wusste, wie er sie angehen konnte. Besser hätte es wohl auch kein Therapeut hinbekommen. Nachdem er sauber war, zog er sich seine Hose und das Hemd wieder an, da er keine anderen Sachen mitgenommen hatte. Vielleicht wollte Emily auch gar nicht wirklich mit ihm reden, außer das Übliche eben, wenn man sich nach einer Zeit der Abwesenheit wieder sah. Dann könnte er gleich ins Bett gehen und versuchen zu schlafen. Mit den schmutzigen Sportsachen in der Hand, verließ er das Bad und steuerte sein Zimmer an. Emily war halb aufgesprungen, als sie Adrian im Flur hörte, aber er war so schnell ins Bad abgebogen, dass sie ihm nur ein ‚Hallo’ zurufen konnte. Solange sie das Rauschen der Dusche hörte, saß sie auf der Kante des Sofas und tippte nervös mit dem Fuß auf und ab. Sie wollte es ihm unbedingt sagen. Greg würde zu Besuch kommen! Natürlich kannte Adrian Emilys Bruder gar nicht, aber sie erinnerte sich, dass sie ihn schon einmal erwähnt hatte, zusammen mit der Tatsache, dass er in Südamerika arbeitete und selten im Lande, geschweige denn in der Stadt war. Und jetzt würde er vorbei kommen und sie würden sich wieder sehen! Sie war so aufgeregt wie schon lange nicht mehr. Daher hielt sie es kaum aus, sitzen zu bleiben, während sie auf jedes Geräusch aus dem Badezimmer lauschte. Irgendwann hörte sie das erlösende Klicken der Klinke und Adrians Schritte auf dem Flur. Allerdings wollte sie ihn nicht im Handtuch abfangen und krallte sich mit viel Überwindung noch am Sofa fest. Sie wollte ihm zehn Minuten geben, damit er sich fertig abtrocknen und anziehen konnte, bevor sie zu seinem Zimmer ging. Sie schaffte es keine fünf Minuten länger im Wohnzimmer zu bleiben, sondern sprang wie eine Feder unter Hochspannung auf und lief leise über den Flur bis zu Adrians Zimmertür, die geschlossen war. Emily kam sich leicht bescheuert vor, als sie ihr Ohr an das Holz drückte, um hören zu können, was drinnen vor sich ging. Natürlich hätte sie die Geräusche nie zuordnen können, wenn er sich tatsächlich nur anzog. Aber andere Geräusche hätte sie erkannt, die sie eventuell dazu veranlasst hätten, nicht zu klopfen. Allerdings nur eventuell. Mit einem mehr als breiten und freudigen Grinsen auf dem Gesicht klopfte sie leise an. „Adrian? Hast du kurz Zeit?“ Jetzt hörte sie, wie er sich drinnen bewegte und die Schranktür ein wenig quietschte. Kaum dass er alleine war, zog er sich die Sachen aus, und öffnete den Kleiderschrank. Die Schmutzwäsche stopfte er in den Wäschekorb. Danach holte er sich eine frische Boxer und zog sie über. Der Anblick seines Bettes war wahnsinnig verführerisch, doch noch ehe er darauf zusteuern konnte, klopfte es an seiner Tür. Fast hätte er aufgemacht, doch ein Blick in seinen Spiegel ließ ihn schnell zu seinem Kleiderschrank flitzen, um sich ein weites Shirt anzuziehen. Gegen seinen Hals konnte er leider nicht viel machen, darum schnappte er sich ein Handtuch, rubbelte damit noch einmal über seine feuchten Haare und hing es sich dann so um den Nacken, dass es wenigstens den Großteil der Blutergüsse verdeckte. Vielleicht fiel es Emily gar nicht auf, wenn er Glück hatte. Gleich morgen würde er sich einen Rollkragenpulli kaufen gehen, wenn sie in der Arbeit war. Schließlich öffnete er die Tür. „Hi, Emily. Für dich doch immer. Komm doch rein.“ Sein Lächeln saß richtig und seine Augen verrieten auch nichts davon, dass ihm sein Herz in den Magen gerutscht war, kaum dass er sie gesehen hatte. Er trat zur Seite und ließ sie herein, während er den Kleiderschrank wieder schloss und sich dann im Schneidersitz auf sein Bett setzte. „Hey!“ Sie konnte sich weder setzen, noch ruhig stehen bleiben. Ohne ihn zu fragen, wie sein Tag gewesen war oder wie es ihm ging, fing sie unverzüglich an zu plappern. Dabei zupfte sie an den Ärmeln ihres Pullis herum und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. „Ich saß vorhin auf der Couch und hab gelesen. Eigentlich wollte ich gar nicht ans Telefon gehen, als es geklingelt hat, weil das Buch so spannend war. Aber dann bin ich doch hin und ich bin ja so froh, dass ich’s gemacht habe.“ Sie sah ihn an und hätte beinahe losgelacht vor Freude. „Mein Bruder Greg kommt zu Besuch. Ich hab dir doch von ihm erzählt. Er kommt für ein paar Wochen aus Südamerika. Allerdings wird er nicht lange in der Stadt sein, weil er beruflich was zu tun hat. Aber für ein paar Tage ist er hier. Ab Morgen.“ Der Bequemlichkeit halber wollte sie sich irgendwo anlehnen, aber außer dem Türrahmen sprang ihr nichts ins Auge, weswegen sie sich doch für die Couch entschied, sich aber nur auf die hohe Armlehne setzte. „Na ja und weil wir uns nicht so oft sehen, wollen Greg, Mona, Mario und ich zusammen weg gehen. Zum Karaoke singen, weil das so eine Art seltsamer Tradition bei uns ist. Wir gehen ins Nihon, essen eine Kleinigkeit, trinken was und zwingen uns dann gegenseitig irgendwelche alten Schmachtfetzen zu singen.“ Ihre dunklen Augen legten sich auf Adrians Gesicht. Er sah sie ein wenig irritiert an. „Oh, warum ich dir das erzähle? Mona hat… Ach, egal.“ Mit einer flinken Geste wischte sie die komplizierten Verhältnisse dessen, wer wem von wem erzählt hatte beiseite. „Hast du Lust mitzukommen?“ Sie sah hoffnungsvoll in seine eisblauen Augen, über denen nasse Strähnen seines roten Haars hingen. „Am Mittwoch ist Feiertag, das heißt wir hätten abends genug Zeit…“ Erst jetzt fiel ihr etwas ein, das die Hoffnung schwinden ließ, dass Adrian zu der kleinen Party mitkommen würde. „Oder musst du arbeiten?“ Das konnte vielleicht sein. Das Shadow plante unter Umständen etwas Spezielles, da bestimmt viele Gäste zu erwarten waren, wenn man am nächsten Tag nicht arbeiten gehen musste. Und so wie Emily das verstanden hatte, war Adrian ja jetzt zumindest am Wochenende die Hauptattraktion. „Natürlich nur, wenn du Zeit und Lust hast. Du musst nicht mitkommen, wenn dir das zu blöd ist.“ Um ihm das Ganze vielleicht ein wenig schmackhafter zu machen, fügte sie ein wenig schelmisch hinzu: „Ich hatte auch vor, Patrick zu fragen, ob er mitkommt.“ Er gab es wirklich nur ungern zu, aber so sehr wie eben, hatte Emily ihn noch nie mit Worten erschlagen. Oder war es ihre beängstigend glückliche Ausstrahlung, die ihn fast von den Socken haute? Konnte man denn wirklich so glücklich sein, wie sie es im Augenblick zu sein schien? Man konnte schon fast das Bedürfnis nach einer Sonnenbrille bekommen, jedes Mal wenn man sie ansah, da sie so sehr zu strahlen schien. Das verwirrte Adrian nicht nur, sondern brachte ihn sogar vollkommen aus dem Konzept. Wenn er wirklich zu diesem Treffen mitkommen würde, was er wirklich gerne täte, dann konnte er ihr unmöglich bis dorthin sagen, dass er nicht für die andere Mannschaft spielte, sondern in Wahrheit in ihrem Team mitmischte. Zwar war es wirklich beschämend, dass er diese Erleichterung empfand, noch etwas Aufschub bekommen zu haben, aber da er sowieso nichts dagegen machen konnte, lächelte er ein bisschen unsicher, nahm eine Ecke des Handtuchs und rubbelte sich noch einmal nachdenklich durch die Haare. „So weit ich weiß, bin ich für diese Woche nicht eingeteilt und da ich meinem Boss das letzte Mal schon gesagt habe, dass er mir Änderungen des Plans gefälligst früher sagen soll, glaube ich auch nicht, dass er mich noch einmal in letzter Minute einschiebt. Aber ich werde ihm heute Abend einfach noch mal sagen, dass ich da frei haben will, dann wird das schon gehen.“ Wenn auch noch Patrick mit sollte, würde er sich wesentlich wohler fühlen. Zwar kannte er Mona schon, aber ansonsten waren das doch Fremde für ihn. So konnte er sich im Notfall immer noch an seinen Freund halten. „Also klar, wenn Patrick auch mitkommt, bin ich auf alle Fälle dabei. Es freut mich, dass du deinen Bruder wieder sehen kannst. Ich bin schon gespannt, wie er so ist.“ Sein Lächeln wurde breiter, auch wenn er Emily kaum ansehen konnte, die jetzt auf der Lehne seiner Couch saß. „Gibt’s vielleicht etwas, dass ich bei so einem Treffen berücksichtigen sollte? Ich will schließlich niemanden auf den Schlips treten, wenn du verstehst was ich meine. Fettnäpfchen sind nicht so mein Ding, aber das heißt noch lange nicht, dass ich ihnen immer ausweichen kann.“ Vor allem dann nicht, wenn er nervös wurde und schon jetzt bekam er ein Flattern im Bauch, wenn er nur daran dachte. Also gut, er würde mitkommen, wenn sie Patrick überreden konnte. Irgendwie versetzte es ihr einen kleinen Stich, dass Adrian nicht allein für sie an der Party teilnehmen wollte. Ihr Bruder war Emilys Meinung nach jemand, den man kennen lernen musste und er würde sich mit Adrian sicher genauso gut verstehen, wie mit Patrick. Deshalb war sie fast ein wenig enttäuscht, dass ihr Mitbewohner nicht mit Begeisterung reagierte. Erst als er nach einer Art Benimmregeln fragte, ging ihr ein kleines Licht auf. Natürlich. Er kannte ihre Familie nicht. Mona hatte er nur einmal gesehen und Greg war ein völlig Unbekannter. Wahrscheinlich hätte Emily sich selbst auch unwohl gefühlt, bei dem Gedanken mit Adrians Familie auf irgendeine Party zu gehen. „Oh nein, zu beachten gibt es nichts. Greg ist ein vollkommen unkomplizierter Kerl. Du musst ihn dir ein wenig so vorstellen wie Monas und meine albernen Züge in einen Mann verpackt. Allerdings wäre es vielleicht besser, ihn nicht auf Insekten anzusprechen, wenn du dir keinen zweistündigen Vortrag anhören willst.“ Sie grinste ihn breit an. Andere Fettnäpfchen fielen ihr nicht ein. Adrian konnte sich vor Mona und Greg sicher nicht daneben benehmen. Eher andersherum. „Ich habe ja eher Sorge, dass du Mona und mir danach nie wieder zusammen begegnen willst. Unsere Duette sind gefürchtet!“ Genauso wie ein bestimmtes Lied, das sie jedes Mal mit Greg gesungen hatte. Vielleicht konnte sie das an diesem Abend verhindern, aber sie glaubte nicht wirklich daran. Wenn schon Schmonzette, dann aber richtig. Gut zu wissen, welches Thema er am besten nicht ansprach und dass er ansonsten nicht viel zu befürchten hatte. Das Bisschen Singerei würde er schon aushalten. „Wie war eigentlich dein Abend?“, platzte er plötzlich heraus, ehe der Gedanke überhaupt in seinem Hirn angekommen war. Sofort hielt er mit seiner Hand inne, mit denen er jetzt schon eine ganze Weile seine Haare rubbelte. Ertappt ließ er das Handtuch los und starrte die Satinbettwäsche im Asiastil an. „Ich meine, nur wenn es was zu erzählen gibt. Du warst so bezaubernd anzusehen in diesem kleinen Schwarzen, da muss es schon etwas Gehobeneres gewesen sein.“ Verdammt, wenn man schon von Fettnäpfchen sprach! „Da fällt mir ein, ich hab vergessen, die Fische zu füttern.“ Etwas ungelenkig kam er wieder auf die Beine und ging ins Wohnzimmer, griff nach der runden Fischfutterdose, öffnete die Abdeckung des Aquariums und ließ ein paar Flocken auf die Oberfläche rieseln, auf die sich die Fische gierig stürzten. Emily war total irritiert, als Adrian ihr Fragen nach dem Verlauf ihres Abends stellte und fast postwendend sein Zimmer verließ, um sie allein dort sitzen zu lassen. Hielten es die Fische keine zwei Minuten länger aus? Sie lief ihm hinterher ins Wohnzimmer und antwortete wahrheitsgemäß, auch wenn sie tatsächlich das Gefühl hatte, als wäre Adrian an einem Bericht überhaupt nicht interessiert. Schon wieder kam sie sich so vor, als hätte sie etwas Falsches gesagt oder getan. Warum war das so oft so? Emily konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass es an ihr lag, wenn Adrians Stimmung so oft zum Schlechteren umschlug. Enttäuscht wollte sie nicht daran glauben, dass es ein Fehler gewesen war, ihn zu der Party einzuladen. Wenn er wirklich keine Lust hatte, würde er bestimmt kurzfristig absagen. Emily war kurz in der Wohnzimmertür stehen geblieben und sah Adrian dabei zu, wie er den Fischen etwas Futter ins Aquarium schüttete. In dem Licht, das aus der Klappe der Abdeckung auf ihn fiel, bildete sie sich ein, Blutergüsse auf seinem Hals zu sehen. Aber da ihr das vorher gar nicht aufgefallen war, schob sie den Gedanken zur Seite. Wahrscheinlich nur Einbildung oder ein seltsamer Schatten, den die Neonröhre warf. Sie schnappte sich ihr Buch vom Couchtisch und hielt es sich wie einen winzigen Schutzschild in ihren verschränkten Armen vor die Brust. Krampfhaft versuchte sie den Namen Richard nicht zu erwähnen, solange Adrian sie nicht direkt danach fragte. „Es war ein netter Abend. Ich war auf einer Vernissage mit Objekten aus Glas. Es hat mir gut gefallen. Allerdings war nicht viel los.“ Mehr sagte sie dazu nicht, sondern sah sich Adrians Rücken an. Es machte ihr fast Sorgen, dass sie immer das Bedürfnis hatte, ihn aufzumuntern. In der Gegenwart Anderer schien er viel gelöster und vor allem war das nicht von Anfang an so gewesen. Bei ihrem DVD-Abend hatte er ihr gegenüber noch so gewirkt, wie bei jedem Anderen. Aber seit ein paar Tagen schien ihr Verhältnis sich irgendwie geändert zu haben. Das machte Emily irgendwie traurig. „Ok, dann rufe ich Patrick an und sag dir dann Bescheid, ob er mitkommt…“ Beinahe hätte sie ihm angeboten, dass er auch jetzt noch sagen konnte, dass er nicht mitwollte. Dann hätte sie sich den Anruf gespart. Er wusste, dass sie ihn ansah, darum schloss er so ruhig er konnte, die Box mit dem Fischfutter und danach den Deckel des Aquariums, obwohl seine Finger heftig zitterten. Daran war garantiert auch seine starke Übermüdung schuld. Zumindest hoffte er das. Als er sich zu den Fischen hinab beugte, um sie beim Fressen zu beobachten, biss er sich heftig auf die Unterlippe. Irgendeine Bewegung seiner Haut, führte gerade zu einem heftigen Ziehen an seinem Rücken. Definitiv waren daran die Kratzer schuld. Also richtete er sich langsam wieder auf, so dass er den Schmerz der Bewegung so richtig auskosten durfte, bis er wieder nachließ. Einen Moment lang schloss er die Augen, um sich zu sammeln, ehe er sich zu Emily umdrehte und sie zum ersten Mal an diesem Tag richtig ansah. Sie hielt ihr Buch vor der Brust umklammert, was er äußerst seltsam fand. Was beunruhigte sie so sehr, dass sie eine Abwehrhaltung einnahm? Hatte er etwas falsch gemacht? Okay, er sah sicher beschissen aus, aber wenn sie seinen malträtierten Hals bemerkt hätte, hätte sie doch sicher etwas gesagt. Also war er sicher nicht so dumm, um es selbst zu erwähnen. Immerhin war die Stimmung schon seltsam genug. Das konnten vermutlich sogar die Fische spüren. Außerdem, was konnte er großartig zu ihrem Bericht sagen, da sie Richard nicht erwähnt hatte und er somit noch immer nicht sicher wusste, mit wem sie weggegangen war. Darum schwieg er auch darüber. Glasobjekte waren sicherlich interessant anzusehen, aber darüber zu sprechen, noch dazu, wo man nicht selbst dabei war, kam ihm etwas dämlich vor. Seltsamerweise musste er dabei an den Anhänger denken, den sie gestern um den Hals getragen hatte. Das Glas mit dem kleinen Wirbel darin. Seltsam, sie waren erst gestern im Schwimmbad und in der Sauna gewesen. Warum kam es ihm dann wie ein halbes Leben vor? Das war doch einfach nicht möglich. Leicht irritiert über sein gestörtes Zeitgefühl rieb er sich den schmerzenden Nacken. Er gehörte dringend ins Bett. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich Patrick gerne selbst fragen. Ich war heute mit ihm den ganzen Tag unterwegs und könnte mich dadurch gleich versichern, ob er gut nach Hause gekommen ist. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er ja sagen wird. Er ist ein prima Kerl, mit dem man viel Spaß haben kann.“ Das brachte ihn zum Lächeln. „Klar, dann mach das. Sag Patrick aber liebe Grüße von mir, ja?“ Eigentlich hätte Emily gern selbst mit dem Verkäufer gesprochen. Als sie ihn am Freitag in die Arbeit gefahren hatte, wurden Handynummern ausgetauscht und Emily hoffte sehr, Patrick auf der Party am Dienstag wieder zu sehen. Er war ein netter, lustiger Kerl und sie sprach gern mit ihm. Aber sie konnte durchaus nachvollziehen, dass die beiden Männer mehr Gemeinsamkeiten hatten und leichter Gesprächsstoff fanden. Immerhin lächelte Adrian wieder, als er über ihren Freund sprach. Das hob auch Emilys Stimmung wieder an und sie gab ihre seltsame Haltung auf, indem sie das Buch sinken ließ. „Ich sollte dich vielleicht vorwarnen. Ich weiß zwar, was Karaoke ist, war aber noch nie dabei. Hoffentlich treibe ich nicht alle mit meinem Gesang in die Flucht. Ansonsten scheut euch nicht, mich zum Schweigen zu bringen.“ Jetzt musste er grinsen, bei dem Gedanken, wie ihm jemand seine eigene Socke in den Mund stopfte, nur damit er mit dem Gejaule aufhörte. Dabei wusste er, dass er nicht schlecht sang. Zumindest konnte er die Töne richtig treffen, wenn er das Lied kannte. Dank seiner Mutter hatte er sich nämlich eine Zeit lang mit einem Gesangslehrer abquälen müssen, bis sein Vater ihn davor rettete, damit sein Sohn am Ende nicht noch verweichlichte. Ha, wenn der wüsste! „Oh, das ist ok.“, winkte sie leichtfertig ab. „So schnell schlägt man die Grayson-Familie nicht in die Flucht. Außerdem wollen wir nur Spaß haben und keinen Musikpreis gewinnen.“, fügte sie mit einem schiefen Grinsen hinzu. Ein heftiges Gähnen schüttelte Adrian und er schlug sich gerade noch rechtzeitig die Hand vor den Mund, damit Emily nicht gleich sehen konnte, was er gegessen hatte. Danach rieb er sich weiter den steifen Nacken, als wenn das etwas bringen würde. Immerhin lag das nicht an einer Verspannung, obwohl er davon sicher auch schon genug in letzter Zeit bekommen haben dürfte. „Tut mir leid, wenn ich heute etwas neben der Spur bin.“, meinte er entschuldigend. Bestimmt sah sogar eine tote Schnecke neben ihm noch energiegeladener aus, als er. „Ich hab nicht geschlafen und muss erst meine Batterien wieder aufladen. Aber bis zum Karaokeabend bin ich wieder fit. Das verspreche ich dir.“ „Du hast noch gar nicht geschlafen?“ Sofort schlug ihre Stimmung wieder um und sie sah ihn besorgt an. Er war tatsächlich außergewöhnlich blass und hatte Ringe unter den Augen. Außerdem wurde sie den Eindruck nicht los, dass ihm irgendetwas passiert war. Sie konnte Ansätze von blauen Flecken an seinem Hals unter seinen Haaren heraus schimmern sehen. Hatte es vielleicht eine Schlägerei im Shadow gegeben? Zumindest schien er stabil auf den Beinen zu sein und Emily wollte nicht zu neugierig wirken. Allerdings hätte sie ihn am liebsten eigenhändig ins Bett gesteckt und ihm die Decke bis zum Kinn hochgezogen. „Dann werde ich dich nicht mehr aufhalten.“ Sie ging ihm aus dem Weg und sah ihm hinterher, wie er in sein Zimmer schlurfte. Ein breites Grinsen zog sich wieder über ihr Gesicht, als sie an Dienstag dachte. Greg würde zu Besuch kommen! Sie konnte es wirklich kaum erwarten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)