Mädchenherz♥ von Jitsch (Ein unfreiwilliger Geschlechterwechsel für Jûdai und seine Folgen) ================================================================================ Kapitel 4: Mädchen sind Prinzessinnen ------------------------------------- Eben in diesen Tagen war ich viel zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, um mitzubekommen, was währenddessen an der Akademie vor sich ging. Während ich mich bei Rei ausheulte, brachen meine Freunde Shô Marufuji und Tyranno Kenzan nach einem Duell so entkräftet zusammen, dass sie die Nacht und den folgenden Tag im Krankenzimmer verbringen mussten. Fubuki erzählte mir später, dass er das mitbekommen hatte, mich aber in meinem Zustand nicht noch mehr beunruhigen wollte.   So war mein einziges (und größtes) Problem  als ich am nächsten Morgen aufwachte, dass ich immer noch nicht wusste, was mit Johan los war. Dabei blieb es aber nicht.   Kapitel 4. Mädchen sind Prinzessinnen   Mein entsetztes Aufschreien musste in der ganzen Unterkunft zu hören gewesen sein. Auf jeden Fall klopfte Rei, die ich zuletzt beim Haare kämmen in unserem Zimmer im ersten Stock gesehen hatte, nur wenige Momente später an die Klotür. „Jûjika-chan, was ist passiert? Geht es dir gut?“, rief sie besorgt. „Ich… ich blute!“, stieß ich aus. „Was? Hast du dich verletzt?“ „Nein ich… ich weiß auch nicht… ich blute… unten raus…“ Ich sah hilfesuchend zur Tür, doch Rei blieb eine ganze Weile still. „Das ist doch ganz normal. Kein Grund uns alle zusammenzuschreien“, hörte ich sie dann resigniert sagen. „Normal!? Ich blute! Hier ist… überall… Blut!“, protestierte ich verzweifelt. „Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du gerade das erste Mal deine Periode kriegst, oder? In deinem Alter?“ „Was für eine Periode?“, fragte ich. Ich hörte Rei seufzen. „Ist das Blut auch in deiner Kleidung?“, fragte sie anstatt meine Frage zu beantworten. „Nein…“, sagte ich. Angefangen hatte es erst, als ich mich aufs Klo gesetzt hatte. „Gut, dann warte kurz, ich hole dir was.“   Etwa eine halbe Stunde später hatte ich schon wieder etwas Neues gelernt. Mädchen bekamen also einmal im Monat ihre „Tage“ und bluteten dann ein paar Tage. Zum Glück gab es Binden, die man sich ins Höschen kleben konnte, um das Blut aufzufangen. Das hatte ich alles nicht gewusst. Rei dagegen schüttelte nur den Kopf und meinte, dass ich das zumindest mal in der Schule gelernt haben müsste. Außerdem glaubte sie mir nach wie vor nicht, dass es das erste Mal war, weil das normalerweise im Alter von 13 oder 14 Jahren anfing. Sie hatte übrigens das erste Mal ihre Tage bekommen als sie erst 10 gewesen war. Rei versuchte auch, mir zu erklären, wie das mit dem Blut zustande kam, aber so richtig kam ich da nicht mehr mit, weil in der Erklärung viel zu viele Wörter vorkamen, die mir nichts sagten. Da ich ziemliche Bauchschmerzen hatte (Rei sagte, das wäre normal, aber weh tat es trotzdem), legte ich mich nach dem Frühstück auf ihr Anraten mit einer Wärmflasche ins Bett, wo ich den ganzen Vormittag liegen blieb. Schlafen konnte ich nicht, aber so richtig gelang es mir auch nicht, irgendwelche klaren Gedanken zu fassen. Nur eins dämmerte mir: Mädchen waren ganz schön hart im Nehmen, wenn sie diese Schmerzen jeden Monat durchmachten, ohne dass es ihnen anzumerken war.   Irgendwie war ich dann irgendwann doch weggedämmert, denn als Fubuki an der Tür klopfte, schrak ich aus dem Traum auf, der mich schon seit Tagen verfolgte. „Jaaa…“, murmelte ich. Nach wie vor fühlte ich mich schrecklich und die Bauchschmerzen waren auch nicht weniger geworden. „Jucchi, ich habe Neuigkeiten“, sagte er, als er den Raum betrat. Ich setzte mich im Bett auf. Fubuki wedelte mit einem Briefumschlag in der Hand und kam, gefolgt von Rei in den Raum, um ihn mir zu übergeben. „Was ist das?“, fragte ich und nahm den Brief überrascht entgegen. Er war aus edlem Papier und hatte einen goldenen Rahmen. In schwarzer, ordentlicher Schrift stand darauf der Name Jûjika Yûki. „Mach ihn auf“, forderte mich Fubuki auf. Ich zuckte die Achseln und riss den Umschlag auf. Zum Vorschein kam eine Karte.   „Einladung zur Einstandsparty von Amon Garam an der Duellakademie. Offenes Buffet. Ort: Festsaal von Obelisk Blue. Zeit: Heute um 18 Uhr. Duel Disks sind mitzubringen“, las ich vor. Darunter waren ein paar seltsame Kringel, neben denen in japanischen Schriftzeichen „Amon Garam“ stand. Ich sah Fubuki und Rei fragend an. „Ich glaube, alle Schüler haben so eine Einladung bekommen“, erklärte Rei. Ich nickte abwesend. Eine Party also… „Du kommst natürlich“, sagte Fubuki. Es war eine Feststellung, keine Frage. „Na ja…“, sagte ich, „eigentlich fühle ich mich nicht so gut.“ „Das ändert sich bis heute Abend bestimmt“, meinte Rei zuversichtlich. „Außerdem ist es eine tolle Gelegenheit, sich mal richtig in Schale zu werfen und total gutes Essen abzustauben!“ Ich schaute nochmal auf die Karte. Richtig, da stand was von einem Buffet. „Ich weiß nicht…“, meinte ich trotzdem. Schon beim Frühstück hatte ich keinen richtigen Appetit gehabt, weil mein Bauch so schmerzte.   „Johan kommt auch“, sagte Fubuki. Ich hob sofort den Kopf. „Ehrlich?“ Fubuki nickte mir zwinkernd zu. „Das wäre doch die ideale Gelegenheit, euch zu versöhnen!“ Ich senkte den Kopf. „Eigentlich haben wir uns nicht mal gestritten…“, murmelte ich. „Auf jeden Fall könnt ihr auf der Party zusammen Spaß haben, da bin ich mir sicher!“, sagte Fubuki und stemmte die Arme in die Hüften. „Du solltest auf jeden Fall versuchen, dich mit ihm auszusprechen“, meinte auch Rei. Ich sah die beiden noch kurz unschlüssig an, dann nickte ich langsam. Fubuki grinste breit. „Das wollte ich hören!“   Irgendwie hatte ich wohl nicht kapiert, wozu ich da Ja gesagt hatte.   Wenige Stunden später stand ich vor dem großen Spiegel in unserem Zimmer und erkannte mich selbst nicht wider. Fubuki war der Meinung gewesen, dass man auf einer Party nicht einfach in Schuluniform auftauchen könnte. Deshalb steckte ich nun in einem langen Kleid, das in den Farben von Osiris Red gehalten war, meine Füße in roten Schuhen in denen ich kaum stehen geschweigedenn gehen konnte und in meinem hochgesteckten Haar eine rote Rose. Vor allem aber erkannte ich mein Gesicht nicht wieder, nachdem Fubuki fast eine halbe Stunde daran herumgewerkelt hatte. Meine Augenlider hatte er weiß angefärbt, meine Wimpern wirkten getuscht fast doppelt so lang wie zuvor, auf meine Wangen hatte er großzügig rosa Puder aufgetragen und meine Lippen waren so kirschrot wie mein Kleid.   „Jûjika-chan, du bist so hübsch!“, schwärmte Rei. „Fast wie eine Prinzessin!“ Von Prinzessinnen hatte ich nicht viel Ahnung, aber möglicherweise hatte sie recht. „Nein nein, meine liebe Rei, da muss ich dich korrigieren“, sagte Fubuki gelassen. Wir beide sahen ihn fragend an. „Sie kann gar nicht wie eine Prinzessin aussehen, weil jedes Mädchen von Natur aus eine Prinzessin ist!“ Rei und ich nickten wenig überzeugt. Dann ergriff Rei wieder das Wort: „Jedenfalls würde dich so nie im Leben jemand mit Jûdai-sama verwechseln!“ Irgendwie gefiel mir diese Aussage nicht. Das fiel auch Fubuki auf und er legte mir ermutigend die Hände auf die Schultern. „Keine Sorge, niemand verwechselt dich mit deinem Bruder. Du sieht ihm vielleicht ähnlich, aber du bist ein Individuum und hast einen ganz anderen Charakter als Jûdai.“ Ich musste schlucken und sah mein Spiegelbild an. Ein ganz anderer Charakter? Ein unverwechselbares Aussehen? Er hatte recht, stellte ich fest. Ich sah nicht nur anders aus, ich hatte mich verändert. Zuerst, weil Johan mich davon abgehalten hatte, Dinge zu tun, die ich sonst ohne Überlegen immer wieder tat, aber ich hatte mich schnell daran gewöhnt. Daran, aufs Mädchenklo zu gehen, an Türen zu klopfen anstatt Zimmer einfach zu betreten, im Unterricht aufzupassen und mir Essen nicht wie wild in den Mund zu stopfen, um dann gleichzeitig zu kauen und zu reden. Aber … wenn das alles stimmte… war ich wirklich zu „Jûjika Yûki“ geworden. Und was war mit Jûdai? War er einfach verschwunden?   Ich blinzelte mein Spiegelbild an und schüttelte langsam den Kopf. So konnte das nicht weitergehen. Ich wollte doch gar kein anderer Mensch werden. „Ich muss zu Herrn Samejima! Jetzt!“, sagte ich zu Fubuki, der mich verdattert anstarrte. „Wieso das?“, fragte er verblüfft. „Das kann ich dir nicht erklären. Aber ich muss zu ihm!“, erklärte ich entschlossen. Fubuki seufzte und schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Die Party fängt in einer halben Stunde an und die Zeit brauchen wir wahrscheinlich auch, um nach Obelisk Blue zu kommen. Schließlich kommst du in den Schuhen kaum vorwärts“, bemerkte er und deutete auf meine Füße. Ich seufzte. Das stimmte natürlich, aber… „So wichtig kann das doch gar nicht sein“, meinte auch Rei. „Lass uns heute Abend erstmal feiern. Du kannst ja auch noch morgen zu ihm gehen.“ Ich war nicht begeistert, aber so richtig wehren konnte ich mich auch nicht. Am nächsten Tag würde ich aber definitiv als erstes zu Samejima gehen und ihn bitten, mir mein Deck wiederzugeben.   Wir brauchen tatsächlich fast die volle halbe Stunde bis zur Party, weil ich in den hohen Stöckelschuhen immer wieder zu stolpern drohte und nur ziemlich langsam vorwärts kam, auch wenn ich mich bei Fubuki unterhaken konnte, um mich im Notfall an ihm festzuhalten. Warum trugen Frauen nur freiwillig solche Schuhe?   Der Festsaal lag im zweiten Stock der Obelisk Blue Unterkunft, so dass wir uns, um dort hin zu gelangen erst einmal die Treppe hochquälen mussten. Der Saal selbst war beeindruckend hoch und wurde von mehreren antik wirkenden Säulen gestützt. Wände und Boden glänzten matt golden und an mehreren Stellen hingen in derselben Farbe gemalte Gemälde, die Obelisk den Peiniger zeigten. Entlang der rechten Wand war das Buffet auf einem langen Tisch angerichtet. In der Mitte des Saals standen ein paar Stehtische. Der Bereich  vor den riesigen Fenstern, in denen sich aufgrund der mittlerweile eingetretenen Dunkelheit der Raum spiegelte, war dagegen freigehalten worden. Ich registrierte, dass Rei, Fubuki und ich in etwa die einzigen waren, die nicht in Schuluniform gekommen waren. Rei trug ein rotes Kleidchen, das ihr etwa bis zu den Knien ging, Fubuki eine violette  Jacke, aus der am Hals und an den Ärmeln reichhaltige Rüschen hervorquollen. Überall liefen Ra Yellow und Obelisk Blue Schüler herum, auch einige der wenigen weiblichen Schülerinnen waren gekommen. Menschen, die ich etwas besser kannte, waren aber kaum auszumachen: Weder war Asuka da, noch konnte ich Shô oder Kenzan entdecken. Lediglich Manjôme erspähte ich nach kurzem Umsehen in einer Ecke, wo er gelangweilt  und mit verschränkten Armen an der Wand lehnte. In dem weißen Anzug, den er mit einer schwarzen Weste trug, bot er einen ungewohnten Anblick. Johan war entgegen Fubukis Ankündigung auch nirgendwo zu sehen. „Also, ich muss nochmal kurz weg“, sagte Fubuki, nachdem auch er sich umgesehen hatte und verschwand ohne ein weiteres Wort wieder aus dem Saal. Ich drehte mich zu Rei um, doch die hatte gerade jemanden entdeckt.  „Martin-kuuuun!“, rief sie und eilte auf einen kleinwüchsigen schwarzhaarigen Ra Yellow  Schüler zu. Und was sollte ich nun machen?   Nachdem ich mich noch wenig umgesehen hatte und nichts passierte, ging ich zum Buffet. Mir fiel ein, dass ich zu Mittag gar nichts gegessen hatte. Außerdem waren meine Bauchschmerzen weniger geworden und der Anblick der Speisen ließ mir schnell das Wasser im Mund zusammenlaufen. Also schnappte ich mir einen Teller, kraxelte in meinen unmöglichen Schuhen am Buffet entlang, stopfte mir kleinere Snacks gleich in den Mund und lud den Rest auf meinen Teller. Es war alles unglaublich köstlich, auch wenn ich es schade fand, dass es keine frittierten Garnelen gab. Trotzdem ging ich am Ende ganze drei Mal am Buffet entlang und fand immer noch etwas Neues. Während ich aß, beobachtete ich die anderen Schüler. Die Band, die auf der kleinen Bühne am Ende des Saales Position bezogen und nur leise im Hintergrund vor sich hin geklimpert hatte als wir kamen, spielte inzwischen etwas schnellere Musik und ein paar wenige Paare nutzten die Freifläche vor den Fenstern, um zu tanzen. Rei war auch dabei und wirbelte den etwas widerwillig aussehenden Ra Yellow durch die Gegend. Die meisten anderen Pärchen bestanden auch aus Jungs mit Mädchen, und dann gab es noch ein paar Jungs, die sich alleine ein wenig verlegen im Takt der Musik bewegten. Ich konnte eh nicht tanzen, erst recht nicht in diesen Schuhen, deshalb reichte es mir, zuzugucken. So langsam fragte ich mich aber, warum ich überhaupt meine Duel Disk mitgebracht hatte, die ich mittlerweile auf dem Tisch abgelegt hatte, neben dem ich stand. Der Gastgeber Amon ließ sich auch nicht blicken.   „Jucchiiii!“ Ich sah auf, als ich Fubuki (niemand sonst nannte mich Jucchi) meinen Namen rufen hörte. Der ältere der beiden Tenjôin-Geschwister hatte gerade den Saal betreten und schob dabei jemanden vor sich her – Johan. Mein Herz machte einen Sprung. Sie kamen auf mich zu, Johan wirkte allerdings eher widerwillig, auch wenn er im Näherkommen immer mal wieder zu mir schaute. Auch er trug zum festlichen Anlass nicht seine übliche Kleidung sondern einen blauen Frack, der stark an die Jungenuniform von Obelisk Blue erinnerte, aber mit schwarzen anstelle von weißen Streifen verziert war. Kombiniert hatte er das ganze mit einer weißen Hose und einer dünnen grünen Schleife im Hemdaufschlag. „Schau mal, wen ich mitgebracht habe“, sagte Fubuki stolz zu mir und schob Johan die letzten Meter auf mich zu. Johans Blick richtete sich irgendwo auf den Boden neben mir. „Hallo Jûjika“, sagte er mit einem bemüht freundlichen Lächeln. „Gut siehst du aus…“ „Hallo Johan“, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich musterte sein Gesicht. Er sah ein wenig müde aus. „Jetzt seid doch nicht so schüchtern“, stieß Fubuki aus und glitt zwischen uns beide. Er griff vorsichtig nach meiner rechten und nach Johans linker Hand und führte sie zusammen. Ich zuckte ein wenig zusammen, als wir uns berührten. Auf einmal schlug mein Herz wie wild. Vorsichtig hob ich den Blick und für einen Moment traf ich seinen, doch dann schaute er schnell wieder weg. „Na los, tanzt! Das ist keine Stehparty hier!“, rief Fubuki und klopfte mir auf den Rücken, so dass ich einen Schritt vorwärts auf Johan zu machen musste. Der legte mir ohne Vorwarnung die rechte Hand an die Taille und zog mich noch ein Stück näher zu sich heran.  Wieso war ich auf einmal so aufgeregt? Ich war ihm doch nicht zum ersten Mal so nahe! „Leg deine linke Hand an meine Schulter“, sagte er leise. Ich tat wie geheißen. „Ich nehme an, du hast noch nie im Leben getanzt“, vermutete er dann. Alles, was ich zustande brachte, war ein Nicken. „Pass dich meinen Schritten an. Wir fangen ganz langsam an“, instruierte er mich.   Dann begannen wir zu tanzen.   Zuerst war es schwierig. Eigentlich machten wir die ganze Zeit nur einzelne Schritte vor und zurück, aber in den ungewohnten Schuhen war allein das schon schwierig genug. Erst nach und nach gelang es mir, nicht bei jedem Schritt aus dem Gleichgewicht zu geraten. Bis ich dann auch noch in den Rhythmus hineingefunden hatte, dauerte es eine Weile. Johan aber beschwerte sich nicht: Geduldig führte er mich weiter über die Tanzfläche, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich war ich so weit, mich gar nicht mehr konzentrieren zu müssen, um die Schritte zu finden und konnte Johan ansehen, während wir uns langsam im Takt der Musik um unsere eigenen Achsen drehten. Sein Blick ging irgendwie über mich hinweg. Wenn ich so darüber nachdachte, wich er meinem Blick schon aus, seit er zwei Tage zuvor auf dem Dach vor mir weggelaufen war. Aber wieso? Was hatte sich denn geändert, dass er mich nicht mehr ansehen wollte?   Ich wollte etwas sagen, vielleicht würde er mich dann endlich anschauen. Ich öffnete den Mund, doch dann schloss ich ihn wieder. Was sollte ich denn sagen? Dass ich gestern endlos geweint hatte wegen ihm? Dass ich gemerkt hatte, dass ich in ihn verliebt war? Dass er mir endlich sagen sollte, warum er gestern so seltsam reagiert hatte? Und was würde er dann antworten? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Bis vor ein paar Tagen hatte ich geglaubt, ich würde ihn verstehen. Nein, wir hatten uns verstanden. Fast immer waren wir einer Meinung gewesen, und oft genug hatten wir beide gleichzeitig angesetzt, dasselbe zu sagen. Aber jetzt wusste ich überhaupt nicht mehr, was er dachte.   Und das machte mich traurig.   Um die aufsteigende Trauer abzuwenden, versuchte ich mich abzulenken. Ich konzentrierte mich auf unsere Hände, die ineinander lagen. Seine Hand war warm, genau wie bei unserer ersten Begegnung. Und trotzdem fühlte es sich anders an. Vielleicht, weil ich jetzt verliebt war?   Aber je länger wir tanzten, umso weniger kamen mir solche Gedanken. Langsam begann ich, es einfach zu genießen. Es war zwar noch nicht alles geklärt, aber langsam fühlte es sich wieder wie vor ein paar Tagen an, mit Johan zusammen zu sein. Ihm schien es auch zu gehen, denn wenn ich jetzt sein Gesicht mit dem Blick streifte, trafen sich manchmal unsere Blicke, ohne dass er sofort wieder woanders hin schaute. Jedes Mal wenn das passierte, fing mein Herz wieder heftig an zu klopfen, doch dann schaute er irgendwann doch wieder weg. Langsam taute auch sein Gesichtsausdruck auf: die krampfhaft nach oben gezogenen Mundwinkel verwandelten sich langsam in ein echtes Lächeln, das sich bei Blickkontakt mit mir oft sogar noch verbreiterte. Das fühlte sich richtig an. So musste es zwischen uns sein.   Doch dann verstummte die Musik auf einmal und stattdessen brandete Applaus auf. Verwirrt kam Johan zum Stehen und ich tat es ihm gleich. Als ich mich umsah, entdeckte ich schnell den Grund für das Händeklatschen um uns herum: Amon war endlich erschienen und winkte uns von der Bühne aus zu. Johan und ich drehten uns auch in seine Richtung. Zögernd löste er dabei die Hand von meiner Hüfte und ließ meine Hand los. Ich hätte sie gerne noch länger gehalten.   „Meine lieben Freunde von der Duel Academia!“, grüßte Amon, nachdem er sich einmal deutlich geräuspert und damit die letzten Gespräche zum Verstummen gebracht hatte. Er sprach ohne Mikrofon, dennoch war er im ganzen Saal gut zu hören. „Es freut mich, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Es tut mir leid, dass ich erst jetzt hier sein kann, es kam leider zu unplanmäßigen Verzögerungen. Aber ich sehe, dass ihr nichtsdestotrotz eine gute Zeit hattet.“ Ein paar Schüler klatschten. Amon lächelte freundlich in die Runde. „Also, dann lasst mich zum eigentlichen Anliegen des heutigen Abends kommen! Ihr habt euch sicher alle schon gefragt, warum ihr eure Duel Disks mitbringen solltet. Nun, das ist einfach. Ich möchte diese Party zu einem kleinen Disclosure Duel Wettbewerb machen!“ Sofort brach die Menge um uns herum in Gespräche aus. „Können die uns nicht mal damit verschonen? Das ist sowieso schon genug Druck!“, hörte ich jemanden neben mir sagen. Ich dagegen witterte meine Chance. Vielleicht würde ich mich mit Johan duellieren können. Ein Duell war erfahrungsgemäß noch immer die beste Methode, um mit jemandem zu kommunizieren. Vielleicht würde mir das verraten, was Johans Umgang mit mir so verändert hatte! Amon klatschte in die Hände, um die Duellanten zur Ruhe zu bewegen. Es funktionierte.  „Natürlich habe ich noch einen kleinen Anreiz für euch bereitgehalten“, rief er uns zu und machte ein paar Schritte zur Seite, wo auf einem Sockel etwas lag, das mit einem goldenen Tuch bedeckt war. Amon zog es zur Seite und enthüllte einen Gegenstand, der sich bei genauerem Hinsehen als Duel Disk entpuppte – nur, dass sie mit Gold überzogen und mit dutzenden Juwelen in verschiedenen Farben verziert war. „Diese juwelenbesetzte Duel Disk stammt aus dem Besitz meiner Familie. Ich möchte, dass wir hier heute ein kleines Turnier veranstalten, und dem Sieger winkt sie als Preis!“ Jubel brach aus. Für die anderen war so ein Preis wohl mehr Motivation als die alleinige Aussicht auf ein paar Duelle. „Nun, wir machen es ganz einfach“, erklärte Amon nun und breitete die Arme aus. „Jeder von euch sucht sich selbst einen Gegner. Wer ein Duell verliert, ist raus, wer gewinnt, darf sich anschließend unter den anderen Siegern einen neuen Gegner suchen. Wer bis ans Ende immer weiter gewinnt, bekommt den Preis!“ Das klang wirklich verblüffend einfach. Das Beste aber war, dass wir uns unsere Gegner aussuchen konnten – da stand meiner schon fest.   „Alsdann – Duel Start!“, kommandierte Amon. Ich drehte mich sofort zu Johan um, doch in dem Moment huschte auf einmal ein weißer Schatten zwischen uns. Es war Manjôme, der einen Arm in die Hüften gestemmt hatte und mit dem anderen anklagend auf Johan zeigte. „Ich fordere dich heraus, Andersen!“, rief er. „Manjôme, richtig?“, fragte Johan. „San, verdammt!“, fuhr ihn der Schwarzhaarige an, beruhigte sich aber schnell wieder. „Also was ist? Angst?“ „M- Moment mal“, meldete ich mich zu Wort. Manjôme drehte sich zu mir um. Ich sah ihn an. „Du willst dich doch nur mit ihm duellieren, weil du ihm eins auswischen willst, oder?“, fragte ich vorwurfsvoll. „Sei still“, grummelte Manjôme und drehte sich zu Johan um. „Hör mal, ich weiß nicht, was du für Gründe hast, aber dafür, dass du Jûjika-kun zum Weinen gebracht hast, hast du eine Abreibung verdient!“ Johan warf mir einen erschrockenen Blick zu. „Tu nicht so unwissend. Sie hat sich deinetwegen die Augen ausgeweint!“, rief Manjôme aufgebracht. „Genau! Du bist ein Monster“, stimmte Ojama Yellow seinem Besitzer zu und erschien auf dessen Schulter. Neben ihm zeigten sich sofort auch seine zwei Brüder. „Monster! Monster!“, riefen sie im Chor. Johan senkte den Blick. „Ich weiß, dass ich mich nicht richtig verhalten habe…“, sagte er leise. „Monster! Monster! Monster!“, schrien die drei Ojama-Brüder weiterhin und schienen sich dabei prächtig zu amüsieren. „Jetzt reicht es aber!“, fauchte Amethyst Cat und erschien sprungbereit neben Johan. „Ihr habt doch überhaupt keine Ahnung, was er gerade durchmacht!“ Ich wollte etwas sagen, doch Manjôme kam mir zuvor: „Jetzt tu nicht so, als wärest du hier der Geschädigte. Mir ist egal, was du für’n Problem hast, aber wenn ich dich schlage, wirst du dich bei Jûjika-kun entschuldigen!“ Johan hob den Kopf und sah mich an Manjôme vorbei an. Er lächelte schwach. „Das werde ich. Aber glaub nicht, dass ich es dir leicht machen werde“, sagte er mit fester Stimme. „So will ich dich sehen! Zeig’s ihm!“, brüllte Topaz Tiger, eine weitere seiner Edelstein-Bestien. Johan nickte. „Fang!“, rief in dem Moment Fubuki, der bis dahin vom Rand zugesehen hatte, und warf ihm seine Duel Disc zu. Johan fing sie auf, band sie um und steckte das Deck in die Halterung. Auch Manjôme machte sich kampfbereit, indem er ein paar Schritte zurück ging. Ich wich zur Seite aus und seufzte. Ich war mir nicht sicher, wem von beiden ich die Daumen drücken sollte.   Fubuki legte mir eine Hand auf die Schulter. „Manjôme hat eben einen starken Gerechtigkeitssinn, das kannst du ihm nicht austreiben“, stellte er fest und drückte mir meine Duel Disk in die Hand. Dann machte er einen Schritt zurück und verbeugte sich galant. „Schenkt Ihr mir dieses Duell, Mylady?“ Ich nickte. Viel anderes blieb mir auch nicht übrig, da eigentlich alle Anwesenden schon Duellgegner gefunden hatten.  Wir stellten uns in genügendem Abstand voreinander auf. Alle waren jetzt bereit, zu beginnen.   „Duell!!“, schallte es durch den Saal.   Dass es dabei um mehr ging als eine mit Edelsteinen besetzte Duel Disk und eine Entschuldigung, merkte ich allerdings erst nach dem Duell. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)