Die Chroniken von Sekai von Salome_chan ================================================================================ Prolog: Die Welt ---------------- Stille. Überall. Sie sah sich um. Wo war sie? Langsam erst stellte sie fest, dass sie auf dem Boden saß. Einem Steinboden. Um sie herum war es dunkel. Tiefschwarz. Vorsichtig bewegte sie ihre Finger. Sie wirkten vertraut. Es waren lange, feingliedrige Finger. Scheinbar trug sie ein knielanges, Kleid ähnliches Gewand und eng anliegende Hosen, zumindest fühlte es sich so an. Eine Strähne von weichem, glattem Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie gingen etwa bis zur Taille und wurden von Metallbändern zusammengehalten. Sie strich sich die Strähne aus dem Gesicht. So dunkel. Sie wünschte sich, etwas sehen zu können. Resigniert schloss sie die Augen. Als sie erneut die Augen aufschlug merkte sie, dass sie ihre Umgebung sah. Jedoch nicht richtig, sondern in vielen Graustufen. Sie blickte umher. Neben ihr lag ein Stock, wohl aus Holz und mit einem metallenen Griff. Sie sah sich weiter um. Ein Trümmerfeld erstreckte sich nach allen Seiten. Mauerreste standen noch vereinzelt. Plötzlich kamen ihre Erinnerungen zurück, ihr Name fiel ihr wieder ein. Kuro Dodeka. Sie war die Tochter eines wohlhabenden Händlers, Jii Dodeka und ihre Mutter hieß Mai. Sie, Kuro, war magiebegabt, immer schon hatte sie im Dunkeln sehen können. Dann fiel ihr auch wieder ein, warum der Palast ihres Vaters in diesem Zustand war. Ihrer toten Eltern. Männer waren gekommen, in weiße Tücher gehüllt, man hatte sie nicht erkennen können. Diese hatten magische Siegel geschaffen, niemand hatte etwas dagegen unternommen, alle hatten nur still dagesessen und keinen Laut gesagt. Danach waren jene Männer wieder verschwunden und Kuros Erinnerungen endeten. Warum war sie nicht auch wie die anderen gestorben? Warum war sie noch immer hier? Zitternd stand sie auf. Den Stock ihres Vaters nahm sie mit, dann verließ sie die Ruine. Sie begann zu laufen. Immer schneller. Kuro rannte über die Hügel hinunter zum Meer. Dort lag ihre kleine Dschunke Umi. Sie telepotierte sich die wenigen noch verbleibenden Meter an Bord. Auf die Mitte des Decks zeichnete sie einen Magischen Zirkel. Sie rief die Geister des Schiffes. Diese begannen unverzüglich mit der Arbeit und die Dschunke befand sich bald ein ganzes Stück vor dem Strand der kleinen Insel Isola wo der Palast ihres Vaters gestanden hatte. Die Dschunke war bereits fertig beladen, da Kuro in den Nächsten Tagen voraussichtlich zu einer Reise mit bisher nicht näher definiertem Ziel hätte aufbrechen sollen. Sie begab sich in ihre Kajüte. Die von der Karte erzeugte Projektion dieser Welt schwebte über dem Kartentisch, Die Welt war eine Scheibe, welche von einer schützenden, magischen Hülle umgeben war und frei im Raum schwebte. Jenseits der Kuppel lag das Reich der Alten Götter, welche stumm über die Welt wachten. Kapitel 1: Bō ------------- Wenn man die Stadt das erste Mal sah, war man überwältigt, ganz gleich, ob man die Bauwerke der Faee bereits kannte oder nicht. Als kleines Kind war Kuro einmal dort gewesen, den ganzen Tag lang war sie mit großen Augen an der Hand ihrer Amman durch die Stadt gestolpert und hatte den Blick nicht von den Fassaden der Häuser abschweifen lassen. Als Grundgerüst für die ganze Stadt diente ein hoher, schmaler Fels, fast schon ein natürlicher, steinerner Turm. Um diesen, aus hellgrauem Stein bestehenden Grundfels hatte man in recht weitem Abstand eine fast kreisrunde Mauer aus Stein gezogen, der Grundfels war dadurch quasi zu einer überdimensionalen Säule geworden, da das Material zum Bau dort entnommen ward. Während dieser – mittels Magie in kürzester Zeit durchgeführten – Arbeit, war eine Quelle entdeckt worden, oder besser gesagt zwei Quellen. Erstere, eine völlig normale Kaltwasserquelle von gewaltigem Ausmaß wurde weit oben entdeckt, diese leitete man also in viele Kanäle und Leitungen. Die ganze Stadt verfügte ergo über fließendes Wasser. Zudem sahen die ganzen öffentlichen Brunnen und auch T die Lastenkanäle überaus schön aus und ermöglichten zudem auch den Bauch eines Viertels für Wesen die viel Wasser zum Leben brauchten. Die zweite Quelle war eine heiße Heilquelle, von deutlich geringerem Ausmaß. Trotzdem gab es, quasi am Fuße der Stadt ein Viertel mit vielen Badeanstalten. Das Onsen-Viertel. Die Gebäude in Bō waren fast allesamt aus weißem Alabaster erbaut und mit verschiedenen Halbedelsteinen verziert. Große Glasfenster ließen viel Licht ein, denn in den Häusern war es stets warm, wegen des Grundfels. Warum auch immer, an diesem Rätsel wurde an der Universität von Bō noch immer geforscht. Die Häuser waren im oberen Bereich direkt an den Fels gebaut, durch schmale Gassen und Kanäle sowie unzählige Treppen waren sie verbunden. Dazwischen lagen unzählige kleine Plätze mit Pflanzen, Brunnen, Geschäften und den einzelnen Stationen dessen, was sich als Mittel des öffentlichen Nahverkehrs von Bō bezeichnen lässt. Dabei handelte es sich um recht große, runde Platten aus schwarzem Stein. In diese waren silberne Einlegearbeiten eingefügt und sie funktionierten mittels Magie. Wenn man eine der Scheiben betrat, musste man ausschließlich an seinen Zielort denken und einen Portstein, den man bei sich trug, berühren. Nur Sekundenbruchteile später befand man sich dann am gewünschten Ort. Diese Steinscheibenportale waren in Sekai nichts besonderes, in jeder großen Stadt gab es interne und in unmittelbarer Nähe, vor den Mauern der jeweiligen Stadt, externe, mittels derer man im gesamten Reich in dem man sich gerade befand herumreisen konnte. Aus Sicherheitsgründen jedoch nicht ins nächste Reich. Zudem war die Masse, die pro Portstein in Kombination mit einer Seele transportiert werden konnte begrenzt, es war also unmöglich, beispielsweise Wahren oder Krieger auf diesem Wege zu transportieren. Doch dies ist nur eine Anmerkung zur Verständlichkeit. Im unteren Teil von Bō, also innerhalb der Stadtmauer aber nicht am Felsen, lagen das Onsen-Viertel, der Hafen, viele öffentliche Gebäude, einige Handwerkerquartiere, die vier größten Parks und in der Nähe der Docks auch viele Lagerhäuser. Im äußeren Bezirk – also außerhalb der schützenden Mauer – standen einfache Hütten, dort lebten viele Fischer, Bauern, Handwerker und Arbeiter. Je weiter man sich dabei von der Mauer entfernte, desto gefährlicher und ärmlicher wurde die Gegend. Doch im Grunde was Bō einfach nur eine wundervolle, große und strahlend weiße Stadt. Kapitel 2: Ein Rundgang durch Bō -------------------------------- Kuro legte an einem Pier im südwestlichen Teil des großen Hafenbeckens an. Alle Anlegestellen und auch alle Docks und Piere waren aus einem dunklen Holz gearbeitet und teilweise durch Schnitzereien verziert. Der etwas oval angelegte Hafen aus dem dunklen Holz der nahen Wälder bildete einen angenehmen Kontrast zu dem strahlenden cremeweiß der großen Stadt. Bei einem Hafenwächter, der wohl ein Tiermensch der Gattung Hund war, füllte sie die die nötigen Papiere aus und zahlte die Miete für die nächsten zwei Tage schon im Voraus, wie es hier so üblich war. Sie kannte die Leute dieser Gegend noch gut von ihren vorherigen Besuchen und hatte immer nur den Namen Kuro angegeben, weswegen es keinerlei Probleme gab. Nachdem dies alles erledigt war, ging Kuro in einen kleinen, schummrig und alt wirkenden Laden im Keller eines nahen Gebäudes. Dort hatte sie etwas in Auftrag gegeben, das Auffinden eines Gegenstandes. Eben war sie darüber informiert worden, dass der Auftrag zu einem zufriedenstellenden Abschluss gebracht worden war. Sie tauchte in die vielschichtigen Schatten des Ladens unter, um kurz darauf mit einem in Stoff gewickelten Gegenstand wieder aufzutauchen. Kuro verschwand kurz zwischen zwei Häusern, um den Gegenstand unbemerkt auf ihre Dschunke zu telepotieren. Sie musste ihre Kräfte verbergen, da sehr starke Magier manchmal als Bedrohung angesehen wurden. Und Kuro war sehr stark, sie hatte die vier natürlichen Elemente Feuer, Wasser, Stein und Wind sowie die verlorenen Elemente Zeit und Materie und das verbotene Element der Energie gebändigt und trug für jedes der gebändigten Elemente den Titel Sensei. Sie trat wieder ins Licht der Nachmittagssonne und schlenderte zum nächstgelegenen, kleinen Marktplatz. Dort kaufte sie sich einen neuen Portstein, der für den nächsten Zyklus des Kleinen Mondes halten würde, länger würde sie wohl kaum in Bō bleiben Mit dem schwarzen Stein in der Hand schlenderte Kuro etwas umher und entdeckte kurze Zeit später bei einem Schmuckhändler, aus dem Westlichen Reich, einen breiten, silbernen Armreif, der antik wirkte. Dieser besaß eine leere Fassung in die ihr neuer Portstein perfekt hineinpasste. Nach einem kurzen Dialog mit dem Händler erstand sie das Schmuckstück für einen angemessenen Preis, statt dem ursprünglichen Wucher. Derzeit befand sie sich noch immer etwa auf höhe mit dem Meeresspiegel, da sie aber ein wenig die Aussicht der alabasterfabenen Stadt genießen wollte, ging sie zu einer der nächsten Portalscheiben und wählte als Ziel den höchsten für sie erreichbaren Punkt von Bō aus. Auf der Spitze des Grundfelsens war nämlich das wichtigste Verwaltungsgebäude der Stadt – in dem zugleich auch die Stadthalterin wohnte – und somit war es für normale Bürger und Besucher der Stadt unerreichbar. Nicht, dass Kuro die Portale nicht hätte manipulieren können um dort hin zu gelangen, doch das wäre äußerst unhöflich gewesen und somit begab sie sich auf die vorletzte Ebene der Stadt. Dort wohnten nur wenige, da es dort im Grunde nur einen recht große, nicht sonderlich breite, ringförmige Terrasse gab, die sich etwas unterhalb der Mauern des Palas der Statthalterin erstreckte und den Grundfels einmal umschloss. Jeweils exakt in Nord; Süd; Ost und Westrichtung waren jedoch kleine Plätze mit Springbrunnen und einigen Türen im Fels, die ins Innere führten. Einige Lebensformen und Wesen mochten nämlich kleine, feuchte Höhlen in luftiger Höhe. Kuro begab sich zur Meeresseite. Dort erblickte sie in der Ferne die Lavainsel und einige weitere kleine Inseln, die unmittelbar vor dem Meereswall von Bō lagen. Langsam begann es zu dämmern und überall wurde Licht angezündet. Die großen, mit feinen Verstrebungen versehenen Fenster der großen Häuser, Türme und Paläste von Bō leuchteten in der Dunkelheit ebenso schön, wie die einfachen Fenster der normalen Häuser oder die Fensterchen der Hütten der Lehmsiedlung vor dem Tor der Stadt. Kapitel 3: Ein Tag in Bō ------------------------ Gegen Abend des letzten Tages war Kuro zu ihrer Dschunke Umi zurückgekehrt. Innerhalb der Stadt selbst konnte sie sich selbst konnte sie sich nicht telepotieren, die Magischen Schwingungen währen zu auffällig gewesen und das Magistrat der Stadt, dem die Kontrolle aller Magier in der Stadt oblag wäre auf sie auffällig geworden. Das war das so ziemlich letzte, das sie gebrauchen konnte. Kuro hatte den Sonnenaufgang lange verschlafen. Dies war nicht weiter verwunderlich, da sie die letzte Nacht nicht geschlafen hatte. Nachdem sie auf dem Schiff noch eine Kleinigkeit gegessen hatte, machte sie sich auf den Weg in die Stadt. Es war bereits Vormittag und die kleinen Gässchen, ebenso wie die wenigen Hauptstraßen des Hafenviertels waren mit Menschen, Tieren und anderen Lebensformen von Bō gefüllt. Katzen saßen an etwas ruhigeren Stellen in der Sonne und wurden von einigen Hunden missmutig betrachtet. Auf dem Hauptmarkt des Viertels sah Kuro sogar ein Horchhöffelchen. Angenehme und auch weniger angenehme Gerüche wehten zwischen den Mauern umher. Vom Meer kam eine frische, etwas kühle Brise. Die hohen Häuser aus weißem Stein warfen lange Schatten auf den grau gepflasterten Boden. An Kreuzungen der Gässchen waren immer wieder Brunnen oder kleine, gepflegte Fleckchen von Grün. Kuro kaufte sich bei einem fliegenden Händler etwas Gebäck und setzte sich auf eine marmorne Bank bei einem Dieser grünen Kleckse aus verschiedenen Bambuspflanzen. Zwei Zentauren, die durch das Viertel patrouillierten, warfen ihr einen wohlwollenden Blick zu. Sie war zwar eine Fremde, doch die Zentauren waren nicht gewalttätig, sie liefen im Grunde nur in der Stadt herum während sie kleinere Streitereien besänftigten und bei Bedarf einen Bericht schrieben, wenn etwas an den Häuserfassaden oder der Straße repariert werden musste. Zudem patrouillierten sie auch an und auf der Stadtmauer, bewachten die Tore und schlossen diese des Nachts. Die Zentauren waren auch im Hafen, um die Sicherheit der Schiffe zu gewährleisten. Kuro sah sich weiter um. Eine junge Minotaurin wachte über eine Horde von lärmenden Kindern von verschiedensten Lebensformen. Nach und nach kamen die Eltern um sie wieder abzuholen. Mittlerweile war es Mittag geworden und die Bewohner der Stadt Bō, die in den Gässchen und Straßen flanierten, würden nun langsam weniger werden. Kuro tauchte im Strom der Passanten unter und strebte in Richtung des Onsen Viertels. Dort war sie bereits länger nicht mehr gewesen und nun war ihr nach einem wohltuendem Bad, um den Schmutz und die Erinnerungen der letzten Tage abzuwaschen. Kuro liebte die heißen Quellen der Stadt, wie so viele. Als sie am Abend mit einem angenehmen Gefühl auf der Haut wieder auf die Gasse hinaus trat, kündigte ein etwas ungestümer Wind baldigen Regen an. Zwischen zwei Häusern blickte sie nach oben und wurde mit einem unvergesslichen, wunderschönen Ausblick belohnt. Der matt erleuchtete Grundfels stand vor dem großen Mond, wenige Wolken schwebten in der Szene: der kleine, magische Mond stand wie üblich links des großen Mondes vor dem langsam dunkler werdenden, von Sternen übersäten Himmel Sekais. Über dem Meer ging nun die Sonne unter, bald schön würde sie versunken sein. Kuro erinnerte sich bei diesem Anblick an eine Episode aus ihrer Kindheit. Ein leichter Windhauch trug diese Erinnerung zurück in die Vergangenheit, ein leises Säuseln mit der Nuance von vor langer Zeit erzählter Worte, eine Melodie der Erzählungen seit langem verflossener Tage. Kuro saß an Deck, eine leichte Brise kräuselte das Meer, der Geruch von frischem Regen lag in der Luft. Die Stadt glitzerte im Mondschein und Möwen saßen am Ufer, den Kopf unter den Flügeln. Es war Nacht und der alte Mond hatte sich hinter einem zarten Wolkenschleier zurückgezogen. Alles schlief und war still. Kapitel 4: Erledigungen ----------------------- Kuro stand gähnend am Bug ihrer Dschunke, trank Tee und sah sich den herrlichen Sonnenaufgang vor Bō an. Unterdessen erwachte die Stadt langsam. Bald wurde die Ruhe und Stille der Nacht vom Lärm und Leben der geschäftigen Bewohner verdrängt. Der Morgendunst, der eben noch vom Meer her über den Kai und die Pflastersteine waberte war verschwunden. Sie gähnte noch einmal und machte sich dann auf zu einer der Scheibenportale in der Nähe des großen Marktplatzes des Hafenviertels. Im vorbeigehen kaufte sie am gleichen Stand wie am vorherigen Tage etwas Gebäck. Mittels ihres Portsteins gelangte sie in das Viertel der Magier. Ihr war als betrete sie plötzlich eine ganz andere Welt. Vor den Fenstern hingen bunte Seidenstoffe, in geheimnisvollen, schummrigen Läden gab es alles, von gewöhnlich über gefährlich bis hin zu seltsamen. Fremde Gerüche nach Mixturen, Gewürzen, Tinkturen und tausend und einem anderen Dingen mehr gaben einem das Gefühl, vom Meer weit entfernt zu sein. Magie und Magier waren in Sekai zwar wichtig und auch hoch geachtet, doch hatten einige auch Angst vor dem ihnen unerklärlichen. Daher hielten sich nicht-magische Bewohner meist von den magisch begabten fern. So blieben jene, die die Magie anwenden oder erwecken konnten lieber unter sich. Keine normale Straße führte in das Viertel, man musste ein Scheibenportal verwenden. Da dies aber an einigen Flecken von Bō so war störte sich niemand so wirklich daran. Im Viertel der Magier konnte man auch hochwertigere Portsteine auf dem Markt erstehen, falls man darauf Wert legte. Vor allem aber gab es hier die für die gesamte Welt sehr wichtigen Lacrima, wie es sie nun mal nur in den Städten mit einem Campus für angewandte und beschworene Magie gab. Einige dubiose Zwischenhändler führten sie allerdings auch mit überteuersten Preisen im Sortiment, allerdings mit eher unbekannter Herkunft. Kuro kaufte schnell noch einen neuen Energielacrima für ihre Dschunke, dann ging sie in Richtung der Universität. Bei den Torwächtern des Campus zeigte sie ihre Papiere, die sie als Kuro Chi auswiesen vor. In den selbigen stand, dass sie von Natur aus magiebegabt war und sie wegen Dieser Gabe in geringem Maße Feuer beeinflussen konnte, auch war vermerkt, dass sie im Dunkeln sehen konnte. Zudem war dort bestätigt, dass die ihre geringen Kräfte unter Kontrolle hatte und diesbezüglich auch Unterricht erhalten hatte. Auf die Frage der Torwächter hin erklärte sie, dass sie in der Bibliothek des magischen Campus etwas bezüglich ihrer Kräfte nachsehen wolle. Mit einem Achselzucken ließen sie Kuro passieren und gaben ihr die entsprechenden, notwendigen Papiere mit, um die Bibliothek betreten zu dürfen. Tatsächlich aber wollte sie etwas über jene in weiß gekleideten Männer und ihre Magie herausfinden. Eigentlich hätten sie die Torwächter nicht passieren lassen dürfen, da ihre Magie viel zu mächtig war. Bei Langeweile hätte sie fast jede Stadt gleicher Größe dem Erdboden gleich machen können. Doch bei Bō würde das nicht funktionieren, da sie von den Magiern der magischen Universität und starken, antiken Zaubern geschützt wurde und zufällig auch eine der wohl mächtigsten Magier Sekais die Stadthalterin war. Kuro war froh, das Element der Energie zu beherrschen um ihre Stärke verbergen zu können. Nach einiger, intensiver Suche in den geheimen und verborgenen Teilen der Bibliothek fand sie ein leicht verbranntes und auch sonst sehr mitgenommenes, Manuskript. Mit normalen Augen betrachtet schien es leer, doch Kuro sah, mit ihren von Magie veränderten Augen, ein Siegel auf der obersten Seite des Stapels, scheinbar war es das Vorblatt, ein Deckblatt schien es nicht zu geben. Als sie es genauer betrachtete, fing sie an zu zittern, alles wurde kalt, kalt und weiß. Bilder blitzten vor ihren Augen auf. Ihr Vater. In einer langen, weißen Tunika. Auf schwarzem Boden kniend. Ein weiterer Mann. In weißer Kutte. Ein Siegel auf der Stirn ihres Vaters. Dann Nichts. Plötzlich ihre Mutter. In Ketten. Gefangen. Ihr Vater. In weißer Kutte. Er kommt ihr näher. Wieder Nichts. Kuro selbst. Als Neugeborenes. Bei ihrer Mutter. Diese noch immer in Ketten, sterbend. Zornige Blicke ihres Vaters, er entreißt sie ihrer Mutter. Schwärze. Kuro wurde ohnmächtig, das Manuskript noch immer umklammert, Verzweiflung, Lügen, überall. Was stimmte an ihren Erinnerungen überhaupt? Wieso war diese Frau ihre Mutter, das spürte sie, und nicht jene Gestalt an die sie sich erinnerte? Sie ließ sich in die Schwärze der Bewusstlosigkeit fallen. Kapitel 5: Script ----------------- Kuro erwachte langsam aus der Dunkelheit. Irgendetwas rief sie. Irgendwer rief sie. Sie wusste, dass sie die Dinge welche gesehen hatte begreifen wollte. Und sie wusste noch etwas. Woher auch immer. Die weißen Kuttenträger waren die Ergebenen von Mikado Blanc und nannten sich „der Weiße Clan“. Kuro stand wieder auf, die Dunkelheit sollte sie sonst wann holen, jetzt hatte sie zu tun. Auf dem Manuskript stand etwas, das sie zwar erkennen aber nicht entziffern konnte. Kuro kannte den Code nicht, der sehr kompliziert schien. Es war bereits spät geworden, ihr Bewusstsein war wohl eine Weile auf Abwegen unterwegs gewesen. Sie verbarg das kostbare Manuskript und verließ mit dem Selbigen die Bibliothek. Die beiden Torwächter, es waren noch immer die Selben, lächelten sie an und fragten, ob ihre Visite etwas gebracht hätte. Kuro grinste frech zurück und ließ für den Bruchteil eines Herzschlages eine Flamme über ihre Handfläche tanzen. Laut den Papieren konnte sie dies nicht und eigentlich war es eine sehr komplizierte Beschwörung. Sie ließ die Beiden ungläubige stehen und ging zurück zum Scheibenportal. Auf dem Weg dorthin fiel ihr auf, dass sie vielleicht ein Schutzamulett brauchen würde, welches sehr stark sein müsste. Ihr selbst fehlte aber die Zeit, eines zu fertigen. Folglich begab sie sich zu einer der dubioseren Ecken des Magierviertels um einen Bekannten aufzusuchen. Ein dicker Mensch in einem weiten, blauen Kaftan, der an seinem längs ergrauten Schnurrbart herum zwirbelte, begrüße sie mit einer Rauchwolke aus seiner Wasserpfeife. Auch wenn der wie ein lieber Onkel wirkte, er war es nicht. Einzig seine völlig Schwarzen Augäpfel waren eine leise Warnung an seine Kunden. Seit ihrem letzten Treffen hatte er sich nicht verändert. Er begrüßte Kuro noch einmal mit den üblichen Worten und nach dem die Formalitäten erledigt waren erkundigte sich Kuro nach etwas magischem, dass sie bei ihrer Reise schützen würde. Der Händler, Ro, wie er sich nannte, lachte ein wenig in seinen Bart hinein. »So, du willst also etwas möglichst mächtiges, das dich begleitet und beschützt und wahrscheinlich am besten auch noch gut aussieht, hm?« Kuro lachte und enthielt sich einer Antwort. »Hmmmm….. du machst es mir nicht leicht, Kleine… Ich weiß noch immer nicht wie stark du bist, jeder berichtet mir anderes… Aber was soll‘s, ich hoffe, du hast noch etwas Zeit, denn ich denke, dass ich das Richtige für dich habe.« Ro führte Kuro in sein Haus, bisher hatten sie sich wie üblich nur im hinteren Hof aufgehalten. Hinter einer massiven Tür ging es eine Treppe hinab unter das Haus. »Weißt du, kleine Kuro, in dieser Welt gibt es vieles, dessen Existenz das Magistrat und der Rat von Sekai leugnen. Und so etwas ist mir in die Finger gefallen… In einer alten Zivilisation, sie ist mit ihren Göttern längst auf den Grund des Meeres gesunken, war dieses Wesen bereits bekannt. Dieses ist in der Form eines Tieres. Ja, ganz recht, in Form eines Tieres. Sie nannten diese großen Katzen Panther und für sie waren es die Begleiter ihrer Hauptgöttin Ayleya.« Bei dem Namen horchte Kuro auf. Sie kannte ihn den Namen von irgendwo her. Ro und Kuro waren vor einer noch massiveren, versiegelten Tür angelangt, die der Händler mittels Magie öffnete. Kuro sah hinein und erkannte durch die mittels Magie verstärkte Dunkelheit ein Paar silberne Augen, die sie anblickten. Ro lachte sein trockenes Lachen und entzündete mit einem Fingerschnippen einige Fackeln. Er war kein Feuermagier stellte Kuro fest, sondern Windbändiger, er hatte nur einen Mechanismus aktiviert, dessen Zweck, nebst dem Licht, es wohl war, Eindruck zu schinden. »Nun, kleine Kuro, da ist der Panther, er ist sehr stark. Ich denke er ist der perfekte Partner für dich. Über den Preis reden wir ein anderes Mal.« Er gab Kuro einen silbernen Armreif, den sie anlegte. Er selbst ließ einen weiteren silbernen Reif zu der Raubkatze schweben, um ihr den selbigen um den Hals zu legen. Kuro wurde wieder schwarz vor Augen. Der Vertrag war geschlossen, gezeichnet durch Siegel. »Komm her Script.« Gehorsam glitt der Panter zu ihr, Ro hatte die Gitterstäbe derweil im Boden versenkt, und setzte sich zu ihren Füßen nieder. Kapitel 6: Magische Partner --------------------------- Als Kuro mit Scrip den Vertrag schloss, erfuhr sie seinen Namen und er zugleich den Ihrigen. Doch im selben Moment der Ewigkeit waren noch weitere Dinge des Vertrages geschehen. Die silbernen Reifen, die Ro ihnen gegeben hatte waren eine absolute Seltenheit. Sie hatten Kuro und Script ermöglicht, einen absoluten, magischen Vertrag innerhalb dieses einen Moments zu schließen. Die Zeichen waren bei beiden sichtbar. Zwischen den Schulterblättern befand sich nun, bei beiden, das aus feinen schwarzen Linien bestehende, körperliche Siegel des Vertrags. Auch ihr Geist und ihre Seele besaßen dieses Siegel, wenn auch nicht so wie ihr Körper. Bei Script war es genauso. In dem Augenblick, indem beide von den Reifen berührt wurden, trafen sich ihre Selen und Geister an einem Ort jenseits aller Zeit und fern von allem, was sich beschreiben lässt. Ihre Gedanken wurden zu einem, um sich dann wieder zu trennen, gleichzeitig jedoch völlig harmonisch und im Einklang mit dem jeweils anderen, verbunden zu bleiben. Um das ganze mal etwas kürzer zu fassen, lässt sich folgendes zum Vertrag sagen: Script und Kuro konnten sich nun auf geistiger Ebene verständigen, mit dem gegenseitigen Einverständnis war es auch möglich, sich die Sinne des anderen zu borgen oder damit die eigene Wahrnehmung zu erweitern. Auch war Kuros sowieso schon große magische Kraft gewaltig angewachsen und auch Script konnte nun bestimmte Formen von Magie anwenden. Als Kuro in Begleitung von Script wieder hinaus auf die Gasse trat, wurde sie von einigen Magiern, die wohl die Unauffälligkeitsmagie, welche auf Script lag, durchschauen konnten recht erstaunt gemustert. Vielleicht fragten sie sich, was ein Mensch, der auch noch so jung war, mit einem solchen Wesen anfangen wollte. Kuro brummelte missmutig vor sich her und verschwand zwischen zwei Häusern. Von dort huschten sie auf die Dächer des Viertels. Eine andere Art von Stadtbummel. An einer etwas ruhigeren Stelle veränderte Kuro das Aussehen von Script, oder eher seine physikalische Form. Das waren die Elemente Materie und Energie auf hohem Level. Nun sah er aus, wie eine edle aber eher gewöhnliche schwarze Katze, wenn auch noch immer mit den magischen, silberfarbenen Augen. Script setzte sich auf Kuros linke Schulter und sah sich neugierig um, sie waren wieder in den Gassen der Stadt unterwegs. Im Viertel der Händler suchte Kuro einen etwas exzentrischen Laden auf, in dem man ausschließlich Dinge für Katzen kaufen konnte. Dem Verhalten der Verkäuferin nach waren Kunden hier eher eine gern gesehene Seltenheit. Nach kurzem Feilschen erstand Kuro zwei Halsbänder in silbern und schwarz sowie ein weiches, dunkelrotes Samtkissen für Script. Sie hatten entschieden, dass es besser war, wenn er in dieser Form bleiben würde. In einem anderen Laden kaufte Kuro neue Pergamentrollen, Tinte und Füllfederhalter sowie Siegelwachs und ein neues Siegel mit den Initialen S.C. Damit war ihre Einkaufseskapade aber noch nicht beendet, denn sie ging in den Laden von Mr. Tokidoki wo sie sich einiges an neuer Kleidung und eine neue Tasche kaufte. Dort erfuhr sie auch, dass seine Tochter sich derzeit in einer der Zweigstellen seines Geschäftes aufhielt, in der Stadt Bozuko. Zurück im Hafenviertel, es war bereits die Zeit des Sonnenuntergangs, gab sie einem alten Bekannten, der eine Kneipe und einen kleinen Laden in der Nähe der Docks besaß noch eine lange Liste mit Lebensmitteln, Dingen für das Schiff und sonstigem. Bei einer ihrem Ankerplatz nahe gelegenen Werft gab sie zudem noch den Auftrag, die Dschunke zu untersuchen und eventuelle Mängel – allerdings nur äußerlich, nicht in ihrer Kabine oder im Laderaum – zu beseitigen. Der alte Mond stand mit dem kleinen Mond an seiner linken wie immer am Himmel. Das Achatmeer glitzerte silbern in ihrem Schein, die weiße Stadt Bō vollendete die Kulisse der Welt Sekai. Kuro kraulte Script den Nacken, während sie an Deck saßen und sich still und ohne einen Laut noch lange unterhielten. Ruhe ging von den beiden aus, denn sie waren vollkommene und ergänzten sich so völlig wie die beiden Monde die Welt und die Sonne des strahlenden Tages. Kapitel 7: Die Berichte des Chronisten -------------------------------------- Es war das dreizehnte Reich der Welt Sekai, eine Zeitrechnung die im Reich Rei-Rei begonnen hatte. Nun war der siebte Mond von Jūsan-Shi, die Stunde Nana des Tages. Kuro saß an Deck ihrer Dschunke Umi und las in den Aufzeichnungen eines Chronisten namens Skype, der im Reich Go-Gojū die Welt bereist hatte. Sie war von seinen Schriften schon immer fasziniert gewesen und von je her wollte sie es ihm gleichtun und die Welt bereisen. Nun las sie zum bestimmt hundertsten Mal seine Beschreibung der Welt, wie er sie damals vorgefunden hatte, in der von ihm vor der Reise zusammengefassten Form. >Die Welt ist eine nahezu exakt runde Scheibe, an den Rändern fließt das ewige Wasser der sieben Meere der Welt von den Rändern, ohne das es je aufhören würde. Man kann die Welt in fünf Teilen bezeichnen. Im Norden liegt die „Nordwelt“ eisig kalt und kaum besiedelt, dort sind auf der Karte meist nur weiße Flecken zu finden, die Schnee, Eis und das Unbekannte darstellen. Lediglich an der Küste Richtung Süden ist das Land dicht besiedelt, da sich dahinter erst einmal endlose Wälder erstrecken, deren Holz sich gut verkaufen lässt. Die Bewohner dort leben einfach, doch sie sind ehrlich, auch wenn es nur wenige sind. Das „Ostreich“ ist eine recht öde Gegend, Steppe und Wüste, Tundra und endlose Ebene, aber nicht das es flach wäre, drei hohe Gebirgsketten durchziehen es und schneiden die stets starken Winde. Einige mächtige Wasserläufe bieten etwas Abwechslung und einige Täler. An den Küsten findet man Fischer, Händler, Metallsucher, Magier und wagemutige Entdecker. Auf den Kontinent umgebenden Inseln findet man selten mehr als Fels und struppige Vegetation. Unten auf der großen Scheibe die die Welt verkörpert findet man das „südliche Land“ dort ist es stets heiß, niemals Schnee, nur an der Küste zur Zeit des Monsun Regen und endloser Wüsten noch als im „Ostreich“. Die Bewohner des Hauptkontinents sind an die Hitze angepasst und leben in den Wenigen Oasen. An verborgenen Stellen finden sich Edelsteine, Metalle und seltene medizinische Pflanzen. Auch wenn der Reichtum meist ungerecht verteilt ist sind die Bewohner zufrieden. Es sind nur wenige mehr als in der Nordwelt, aber auch hier gibt es weiße Flächen beachtlicher Größe auf den Karten. Man erzählt sich am Lagerfeuer Schauerdgeschichten über Unbiskannt und verschwundene Karawanen, von gigantischen Salzsehen und dem verlorenen Wüstenpalast Solas. Im Westen der Welt findet man die „Westinseln“, einen Kontinent sucht man vergebens, es gibt nur Inseln, von denen einige Festlandfragmente sind. In einem großen Gebiet in dem viele Zyklopschildkröten leben und das Meer von zehntausend Strömen durchflossen wird, ist es nur verständlich, dass die meisten Bewohner einen Beruf ergriffen haben, der mit dem Meer zu tun hat. Reiche Fischschwärme und versunkene Korallenstädte sind zu finden, wenn man etwas in den Tiefen fischt. Im Zentrum der Welt liegt das „Reich der Mitte“, der größte Kontinent. Er verfügt zwar nur über eine Inselgruppe im Achatmeer, doch sind sie im Gegensatz zu den Inseln der „Nordwelt“, des „Südlichen Landes“ und den Inseln des „Ostreich“ auch bewohnbar. Es handelt sich um den Bevölkerungsreichsten Kontinent mit den für die meisten Lebensformen idealen Bedingungen. Allerdings gibt es dort nicht so viele Magier wie beispielsweise auf den Westinseln“ oder innerhalb des „Südlichen Landes“ zum Osten hin sind einige Teile der Küste Bewaldet, auch zur Inselgruppe des Achatmeeres hin finden sich ausgedehnte Wälder. Drei Hauptströme durchziehen das Land mit Leben, gespeist durch den großen See in der Nähe der Hauptstadt. Im ganzen Land wurden auch Kanäle an und auch wieder still gelegt, um den Handel zu erleichtern.< Die Schilderungen faszinierten sie. Und auch die Tatsache, dass man vom gesellschaftlichen System noch immer ähnlich wie zu dieser Zeit lebte. Er hatte auch, einleitend, die Gesellschaft jener Zeit kurz unter die Lupe genommen. >Über die Welt wacht der große Rat. Jedes Reich entsendet dafür stetig mit jedem 7 Sonnenzyklus wechselnde Mitglieder auf die geheime Ratsinsel. Das Magistrat jedes Landes regiert es, mit Sitz in der jeweiligen Hauptstadt, unterstützt durch den magischen Rat bestehend aus Vertretern der größten magischen Universitäten und Gilden des Landes. Die meisten Bewohner verehren die unendliche Quelle der Weisheit Google als ihre Gottheit und meist auch die Nebengötter ihrer Ahnen. Es gibt in allen Städten unzählige kleine Altäre. Opfer die über das Tageseinkommen des Flehenden hinausgehen sind stehst verpönt, weswegen man tunlichst davon absieht, zudem sind lebende Opfer verboten, aber bereits seit Ewigkeiten. Das Wissen wird hoch geschätzt, in einer Kultur von höchster Kultiviertheit, welche die Kunst schätzt, die Wissenschaften fördert und ihre Vergangenheit bewahrt, während sie der Zukunft entgegen schreitet.< Dies war auch heute noch immer so wie von dem Chronisten beschrieben. Kuro lächelte und legte das Manuskript wieder an seinen Platz. Heute würde sie nicht mehr viel machen, sie musste im Grunde einfach nur mal ein wenig abwarten. Kapitel 8: Erinnerung --------------------- >Eine kleine Katze namens 'Langeweile' saß im Tal des Nichts herum. Kein Geräusch war zu vernehmen, die Stille nagte lautlos am Nichts. Jenes Nichts hatte weder Substanz noch besaß es keine. Es trug die kleine Katze 'Langeweile' sicher auf sich während sie fiel um gleichzeitig in Richtung des nichtigen Himmels zu schweben. Die Leere war überall während alles von Nichts überfüllt war. Die kleine Katze 'Langeweile' wanderte dort bereits seit einer Ewigkeit umher, ohne von der Stelle zu kommen, obwohl sie eben erst geboren ward. 'Langeweile' hatte keine Beschäftigung, es gab nur Nichts und alles zugleich. Sie hatte auch noch nie eine Farbe gesehen an die sie denken konnte, obwohl sie allen begegnet war. Sie kannte keine Formen obwohl sie sich beständig aus dem Nichts formten. Sie wusste nichts, obwohl sie mit der Weisheit vieler Welten gesegnet war.< Die drei Mädchen lachten, sie liebten die Geschichte, die ihnen die Frau in dem weißen Kleid, ihre Mutter gerade erzählt hatte. Eines der Mädchen, es hatte Augen von grüner Farbe, zog an den Haaren des jüngsten Mädchen, sie hatte weiße Haare. Das grünäugige Mädchen zischelte böse, sie ärgerte ihre Schwestern gern. Wegen ihrer Augen trug sie den Namen Midori und ihre kleine Schwester nannte man Yuki. Das Mädchen, welches sich derzeit damit beschäftigte, einen Schmetterling, der auf ihrem Finger saß zu betrachten wurde Kuro gerufen. In ihren langen, schwarzen Haaren spielte das Licht der untergehenden Sonne. Die Mutter war seit einer Weile schon gegangen und hatte die Kinder in einem großen, sorgfältig angelegten Garten im Schatten eines großen Baumes gelassen. Ein recht großer Man mit einer abweisenden Aura kam zu den Kindern, er stützte sich dabei auf einen Stock, obwohl er noch jung war. Jedem der Mädchen gab er einen kleinen Beutel. War er auf Reisen gewesen und hatte ihnen Geschenke gebracht? Winde peitschten über die Insel, das Mädchen mit den weißen Haaren saß in einem prunkvollen Zimmer auf seidenen Kissen im Innern des Palas auf der Insel. Um sie herum lagen stapelweise Bücher. Kinderbücher und Wörterbücher. Sie hatte alle gelesen. Sie wusste alles, was darin stand. Sie sprach mit tausend Zungen und konnte unzählige Tore der Sprache öffnen. Sie wollte aber mehr wissen. Sie wollte so viel wissen, wie ihre ältere Schwester Kuro. Sie wollte auch Magie wirken können. Aber konnte sie das? Bisher hatte sie noch keinen Zauber ausführen können, sie musste ihre Magie finden. Bevor ihre Schwester Midori sie noch mehr tyrannisieren konnte. Sie hörte leise Schritte auf dem Flur und spürte die Aura ihrer Schwester Midori. Yuki rannte weiter durch die endlosen Flure des Palas. Midori wollte ihr die Haare abschneiden. Yuki rannte schneller. Sie verkroch sich in einer Nische. >Wo bist du, kleine Schwester?< Midori stand vor der Nische. Sie sah hinein, ging weiter. Yuki war völlig versteinert. Midori hatte sie nicht gesehen. Wieso? Sie sah ihre Hand an. Doch sie sah nur einen schattenhaften Umriss. Erschrocken rannte sie zu einem der Spiegel. Sie sah niemanden. Sie blickte zu ihren Füßen und sah wieder jene verschwommenen Umrisse. Sie war unsichtbar. Wieso? Hatte sie ihre Magie gefunden? Plötzlich durchlief sie ein kribbeln, verwirrt sah sie hoch und erblickte sich selbst im Spiegel vor ihr. Kapitel 9: Geduld ----------------- Kuro saß in ihrer Kajüte und kraulte Script. Der Tag war fast vorüber. Die Dschunke hatte sie am gestrigen Tag genauso wenig wie am heutigen verlassen. Sie wartete. In der Zwischenzeit hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie sie reisen würde. Es gab nicht viele verlässliche Informationen über die anderen Länder, doch wenn man den Aufzeichnungen des Chronisten Skype Glauben schenkte, gab es überall Scheibenportale. Allerdings waren in den anderen Reichen nebst den ihr bekannten Möglichkeiten der Kanäle, die es auch im „Reich der Mitte“ gab, und den Scheibenportalen andere Möglichkeiten von denen sie bevor sie auf die Manuskripte stieß noch nie gehört hatte. >Die Bevorzugte Art zu Reisen ist für die Meisten Bewohner der Welt wohl ein Scheibenportal in Kombination mit einem entsprechenden Portstein. Da dies aber ausschließlich für den Personenverkehr geeignet ist, muss der Handel andere Wege finden. Im „Reich der Mitte“ und im „Ostreich“ gibt es unzählige Kanäle, Teils auch unterirdisch. In der „Nordwelt“ speziell hat man sich mit endloslangen Tunneln durch Eis und Schnee beholfen, die irgendwie über unzählige Umwege überallhin führen, anders könnten die meisten Bewohner einige Orte nicht einmal erreichen, da Witterung und Temperatur ihnen zu schaffen machen. Im „Südlichen Land“ verwendet man lange Karawanen, um Wahren zu befördern, während man auf den „West Inseln“ sinnvollerweise Schiffe, Kähne und ihre sehr bekannten, hochwertigen Dschunken bevorzugt. Scheibenportale gibt es im Grunde überall und interne Portsteine sind bezahlbar. Wohl niemand, der in einer größeren Stadt wohnt, würde auf einen solchen verzichten, einfach aus dem Grund, dass er niemals in jeden Winkel der Stadt käme.< Kuro lächelte in sich hinein. Sie würde alle Wege beschreiten. Vom Hafengelände her hörte sie Lärm. Es war also so weit. Endlich. Sie kamen, wurde ja auch Zeit. Kapitel 10: Abreise aus Bō -------------------------- Im achten Mond desselben Jahres reiste Kuro in Begleitung von Script aus Bō ab. Ihre Dschunke war in bestem Zustand und die Vorräte aufgefüllt. Die weiteren kleinen Nebensächlichkeiten, die in den letzten Spannen in Bō geschehen waren sind derzeit unwichtig, von daher werden sie erwähnt, sobald es Sinn ergibt. Kuro nahm Kurs in Richtung Westen und segelte an der Küste entlang. Zwei kleinere Städte lagen auf dem Weg und so legte Kuro dort kurz eine Rast ein. Es viel nichts sonderlich Erwähnenswertes vor, und so verzichte ich an dieser Stelle auch auf weitere Erwähnungen, die sowieso nicht wichtig sind. Anzumerken bleibt lediglich ein weiterer Teil aus den Berichten des Chronisten Skype, der entsprechend zitiert wird. >Die Ausübung von Magie wird je nach Region als wichtig oder eher nicht so wichtig angesehen und bekanntermaßen kommt es auch manchmal zu Protesten durch die nicht-magische Bevölkerung, wenn ein mächtiger Magiekundiger, dem man böses nachsagt, am helllichten Tage umher spaziert. Doch mit einer gewissen Trennung der beiden Gruppen bleibt in der Regal alles friedlich. Die Kriege sind längst vergangen und die Drachen freundlich geworden, die verschiedenen Wesen haben gelernt, einander zu Respektieren und eine Änderung ist glücklicherweise auch nicht in Sicht.< Durch gute Winde und unterstützende Magie kam Kuro Dschunke Umi in der Zeit Jūsan-Shi, während des 11. Mondes in der Hafenstadt und einer der größten Städte Sekais an. Kapitel 11: Bozuko ------------------ Das verwirrende an der Stadt ist die Tatsache, dass sie wie ein Dorf wirkt. Schon ewig hat niemand mehr die kompletten Ausmaße der Stadt gesehen. Bozuko ist war unglaublich starken Schutzzaubern umgeben, und obwohl es eine Hafenstadt war, lagen die größten Teile etwas weiter weg von der Küste. Durch die Lage war das Klima eher rau, stets Winde, recht viel Regen aber selten Frost. Auf Dauer nicht sonderlich angenehm für die Meisten Lebensformen. An der Küste erstreckte sich die Stadt über mehrere, eng beieinanderliegende Buchten. Die hügligen und bewaldeten Ufergegenden wirkten eher unbewohnt, doch der Schein täuschte wie so oft. Zum Wasser hin standen viele Holzhäuser auf Stelzen, wie alle Gebäude wirkten sie sehr elegant und stabil. Die Meisten der Gebäude trotzdem den Elementen schon seit einigen hunderten Sonnenzyklen. Überall gab es Pagodentürmchen und Dachvorsprünge, Schiebefenster und geschnitzte Geländer, Balkone und Terrassen. Die Stadt war sich an jeder Stelle ähnlich und doch niemals gleich. An einigen Stellen waren die hellen Felsen an der Küste ausgehöhlt vom Wasser des ewigen Achatmeeres. Dort wurden große hölzerne Streben befestigt und reich verziert, in den Höhlen brachte man kleinere Schiffe unter oder trieb Handel. Meist lagen dann viele kleinere Barken still im Wasser und die Käufer ruderten von einem Boot zum nächsten, um verschiedene Dinge, von Lebensmittel bis Lacrima zu erwerben. Einigen der kleineren Höhlen hatte man einen auf Stelzen stehenden Boden eingezogen, dort wurden Materialien gelagert bevor man sie verschiffte. Durch Magie waren die Höhlen vor hohen Wasserständen, ebenso wie die Buchten, geschützt. Die Gebäude der Stadt kletterten an den Felsen zum Landinnern hin hoch, in den bewaldeten Gebieten wohnten auch viele, in ähnlichen Häusern wie in den Baumdörfern des Waldes westlich von Bō. Die Stadt floss wie Wasser an den Felsen und Hügeln hoch und ach darum herum. Man legte sehr viel Wert auf eine harmonische Gestaltung und dadurch waren die Häuser allesamt aus dem hellen Steinen der Felsen, verschiedenen Hölzern und meist mit jadegrün lasierten Tonziegeln oder kupfernen Dächern. Die Stadt fügt sich so wundervoll in die Landschaft ein, das die Künstler Sekais es niemals müde wurden, die Stad mit Farbe und Kohlestift auf Pergament, Leinwand oder was auch immer zu bannen. Die meisten Bewohner der Stadt waren Menschen, Tiermenschen, Elben, Elfen, Halbnymphen und die entsprechenden Mischungen und Variationen. Die Stadt wurde von einem Bürgermeister, der von der Bevölkerung gewählt wurde, und dem Magischen Rat der Stadt geleitet. Da vor der Stadt viele Fischschwärme kreuzten war eines der Hauptnahrungsmittel Fisch. An den Hängen einiger Felsen wurde Reis angebaut, ein Lebensmittel das in ganz Sekai sehr verbreitet war. Dadurch, dass überall Bäume und Sträucher zu finden waren, sah man die Wahren Dimensionen der Stadt nicht, der Effekt wurde von verschieden Arten von Magie noch unterstützt. Das gehörte auch zum Verteidigungsmechanismus. Zur Entstehung der Stadt gibt es eine alte Legende, die man in diesem Teil der Welt abends erzählt. Kapitel 12: Die Legende von Negai und Nozomi -------------------------------------------- Vor langer Zeit, während des letzten Krieges der magischen Tiere erwartete die uralte und weise Wasserdrachin Umi, über die so viele Legenden berichten, Nachwuchs. Doch sie wusste, dass das Meer nicht sicher für sie war. So zog sie aus dem Norden der alten Welt, einem Gebiet in dem es schon damals kalt war, Richtung Süden, mit den Meeresströmungen, die seit Ewigkeiten existieren. Nach einiger Zeit sah sie Land. Dieses Land liegt heute westlich von Bō, weit jenseits des westlichen Waldes und mehreren kleineren Städten. Doch auch dort war es noch nicht sicher. Umi entschloss sich daher, uralte Magie zu wirken, älter als diese Welt selbst. Drachenmagie ist etwas Besonderes und eine der mächtigsten Energien überhaupt. Früher wurden die Drachen deswegen gejagt und an einen Reiter gebunden, das war während der Zeit des großen Drachenkriegs der fünf Reiche. Seit dem gibt es kaum noch Drachen und diese halten sich vor anderen Wesen sorgfältig verborgen. Die Welt Sekai wurde geboren, als der neue, magische Mond am Himmel erschien. Und dort, wo vor ewigen Zeiten der Drache Umi Magie gewirkt hatte war ein kleines Dorf entstanden, das fast ausschließlich von Menschen bewohnt war. Westlich und östlich von diesem Dorf gab es je ein weiteres. Die erste Nacht, in dem der magische Mond schien verging und als die Bewohner des Dorfes am nächsten Tag aus ihren Häusern traten, sahen sie, das dort, wo die Mitte des mittleren Dorfes war, welches um einen uralten, versteinerten Baum gebaut war etwas höchst wunderliches geschehen war. Der Baum war grün, er lebte wieder, war nicht mehr versteinert. Und unter dem Kirschbaum, von dem sanft Blütenblätter zur Erde taumelten, waren zwei Bündel aus feinem Stoff. Die Dorfbewohner fanden darin zwei Kinder, die noch sehr klein waren. Die Beiden sahen sich überaus ähnlich, auch wenn es ein Junge und ein Mädchen wahren. Ihre Haut war hell und ihr Antlitz edel. Beide trugen Windeln aus Seide und eine Kette, an der ein Stein hing. Die beiden Steine waren fast wie Tropfen geformt und wenn man sie beieinander hielt, sah man, dass sie zusammenpassten. Die Bewohner des Dorfes entschlossen sich, die Beiden aufzunehmen und gaben dem Mädchen den Namen Negai und dem Jungen den Namen Nozomi. Die Beiden Geschwister wuchsen im selben Hause auf, so erzogen wie alle Kinder des Dorfes. Man erzählte ihnen im Winter die alten Geschichten verlorener Welten und im Sommer tollten sie mit anderen Kindern am Waldrand, stets behütet von einem der Dorfbewohner. Die Zeit verging. Negai und Nozomi wussten bald mehr als ihre Altersgenossen, konnten sprechen und schreiben bevor sie rennen konnten. Sie waren stärker als die anderen Kinder und trotzdem verstanden sie sich gut mit den anderen. Als sieben Sonnenzyklen verstrichen waren, war es für sie an der Zeit, das Schwimmen zu erlernen. Man brachte es allen Kindern des Dorfes in diesem Alter bei. Doch als die beiden Kinder des Drachen im Meer untertauchten nahmen sie ihre wahre Gestalt an. Zugleich erfuhren sie die Weisheit der Welt, so wie es alle Drachen tun, wenn sie zum ersten Mal mit ihrem Element in absolute Verbindung kommen. Negai und Nozomi schmeckten das Salz des Meeres, spürten die ewige Bewegung des Wassers und das Leben, das sie umgab. Sie wussten, dass sie Drachen des Meeres waren, die letzten ihrer Art, denn das Meer verkündete ihnen dem Tod ihrer Mutter, die gegen Ende der Drachenkriege verstarb. Sie erkannten, dass alles im Leben einen Zweck hatte, so wie jedes Leben eine Aufgabe hat. Sie nahmen ihre menschliche Gestalt wieder an, die ihnen vertrauter war als die des Drachen ihrer Seele. Drachen altern sehr langsam, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben, und bei den Beiden war es nun soweit. Eintausend und ein Sonnenzyklus würde sie um ein Jahr altern lassen. Auch wenn ihre Weisheit mit jedem Augenblick der Ewigkeit anwachsen würde. Als die Zeit der Ratsversammlung aller drei Dörfer gekommen war, entschlossen sich die Drachenzwillinge, dass der Zeitpunkt gekommen war, den Bewohnern der Dörfer ihre Aufgabe mitzuteilen, für die sie geschaffen wurden. Ihr erscheinen löste auf der Versammlung einige Wirren aus, was auch nicht weiter verwunderlich war, denn sie sahen ja noch immer aus wie kleine Menschenkinder. Negai und Nozomi wirken eine alte Magie an allen Bewohnern, damit diese ein klein wenig der ewigen Weisheit bemerkten, die in ihnen schlummerte. Die Menschen erkannten, was ihre Aufgabe war und dass sie sich auf die Drachenzwillinge verlassen sollten. So gründeten die drei kleinen Dörfer die Stadt Bozuko unter der Herrschaft der Beiden weisen Wasserdrachen Negai und Nozomi, damit sie immer Bestand haben wird. Die Drachen schufen gemeinsam mit ihrer Magie das, was wir heute noch immer als Bozuko kennen, die Felsen vor den drei alten Buchten und die riesigen Bäume jenseits des Strandes. Die großen Felsenhöhlen mit ihren Märkten und die Schutzzauber vor der Urgewalt des Meeres. Und so besteht die Stadt Bozuko schon seit dem achten Sonnenzyklus der Welt Sekai und wird ewig bestehen, solange die Drachen über sie wachen. Kapitel 13: Yuki ---------------- Yuki saß vor einem Fenster. Regen prasselte gegen die Scheibe. Der Palas lag in Stille. Was wollte sie hier? Sicher, sie war hier aufgewachsen und es war ihr zu Hause doch wohl fühlte sie sich hier nicht. Zwar hatte ihre neu entdeckte magische Gabe ihr geholfen, sich vor ihrer Schwester Midori zu verbergen, doch auf Dauer ging das sicher nicht gut. Sie musste hier weg. Doch wo wollte sie hin? Jii saß an seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer auf Isola. Draußen stürmte es. Ihm war schon immer bewusst gewesen, das die Sache mit den drei Mädchen nicht gut gehen würde. Obwohl seine Magie allen vorgaukelte, dass sie Geschwister wahren und alle die Kinder seiner Frau waren. Die drei verstanden sich nicht. Kuro schloss sich in ihre eigene Welt ein, Yuki war meist völlig verängstigt und versuchte so viel zu lernen wie Kuro und Midori war stets dreist zu Yuki. Kuro ließ sie in Ruhe, da sie sich an ihr bereits einmal die Finger verbrannt hatte. Wörtlich. Die drei Geschwister saßen im Garten, Mai erzählte eine Geschichte, der zweite Teil von Yukis Lieblingsgeschichte. Sie lauschte der Stimme. >Einst lebte die Katze 'Langeweile' im Nichts. Sie verweilte bereits alle Ewigkeiten der Zeit dort, obwohl die Welt gerade erst entstanden war. Sie wollte nicht mehr dort sein, obwohl sie nicht hätte wissen können, dass es noch etwas anderes gab, als das was sie kannte. Doch trotzdem sagte ihr ihre Quelle der Weisheit, dass da noch etwas war. Das „sein“. Und die „Existenz“. Diese Begriffe verwirrten 'Langeweile', sie waren nicht wie die gewohnte Lehre, welche sie sonst umgab und ihre Gedanken einlullte. Diese Begriffe hatten Substanz, obwohl sie diese nicht kannte. 'Langeweile' lauschte der Stille, wie schon so oft, dabei hatte sie es noch nie versucht. Plötzlich hörte sie einen Laut. Eine Stimme im Nichts rief sie, forderte sie auf, ihr zu folgen. Wer war das? Die kleine Katze 'Langeweile' horchte auf, als ob sie etwas vernommen hätte. Sie verspürte den Drang, der Stimme zu folgen, ihr zu vertrauen, auch wenn sie kein Herz hatte. Sie machte sich auf den Weg, den es nicht gab und nie gegeben hatte. Niemand weiß, ob sie je existierte. Niemand weiß, wo sich das Nichts befindet. Niemand weiß wessen Stimme die kleine Katze rief. Niemand weiß mehr als diese Worte sagen. Niemand weiß, wie lange noch jemand diesen Worten lauschen wird, bevor sie vom nichts verschlungen werden.< Yuki saß oberhalb des großen Saals, der mit allen möglichen Verwanden angefüllt war auf dem Fenstersims eines Fensters, von dem man das Meer sehen konnte. Der große Saal unter ihr nahm einen großen Teil des Palas ein, er erhob sich über alle drei Stockwerke, man konnte die Konstruktion der Dachbalken sehen. Auf der Höhe der dritten Etage war eine Art Balkon im inneren Angebracht, es war ein Rundgang, der etwa fünf von Yukis Schritten in den Saal ragte, aus Stein war und mit einem Kunstvollen Geländer und Säulen verziert war. An der Außenmauer, die die andere Seite des Ganges begrenzte hingen teure Teppiche und Stickereien, auf den breiten Fenstersimsen konnte man Platz nehmen. Yuki war gerne hier, da der Zugang nicht in der Halle darunter, sondern im dritten Stock eines anderen Teils des Gebäude lag, wurde man nicht gesehen wenn man den großen Saal betrat und konnte trotzdem alles hören. Jii hatte allen klar gemacht, dass sich jeder im Saal aufzuhalten hatte, sein ganzer Clan, dessen Vorsitz er inne hatte. Diese Treffen gab es öfter und sie waren langweilig. Wenn Midori neben ihr saß ärgerte sie sie auch noch die ganze Zeit. Da konnte sie doch genauso gut hier oben sein. Sie hatte sowieso keine Lust, feine Kleidung anzuziehen. So saß sie nun auf dem Fenstersims, trug einen einfachen Yukata in dunklem grau auf dem sich in rotem Seidengarn am Saum ein Drache wand. Jii begann mit seiner Ansprache. Er hatte sie also gesehen. Sie schlich geduckt zum Geländer und sah hinunter. Midori sah sich suchend um. Yuki setzte vorsichtshalber ihre Magie ein, sicher ist sicher. Erst in den letzten Tagen war es ihr nach intensivem Training gelungen, ihre Magie ganz bewusst einzusetzen und sogar auf andere, kleine Gegenstände zu erweitern. Die Stimme ihres Vaters hallte nach oben. »Es ist schön, dass ihr alle heute hier versammelt seid, um mit mir das Ende abzuwarten. Mein Herr, Mikado Blanc hat entschieden, dass ich einen Fehler gemacht habe und ich und meine Familie dafür büßen sollen.« Entsetztes Gemurmel erhob sich, Yuki war vor Schreck gelähmt. »Ich bin älter als ihr und eigentlich sind wir überwiegend nicht einmal Blutsverwand. Mit meiner Magie habe ich euch falsch Erinnerungen eingepflanzt und gefügig gemacht. Ihr seid alle meine Spielzeuge. Sicher fragt ihr euch gerade, warum ich euch das erzähle. Die Antwort ist, dass es sowieso egal ist, gleich werden wir alle sterben.« Das Getuschel wurde lauter, die Menschen wirkten entsetzt. Gelediglich hörte man in einem Fragenden Tonfall das Wort Fehler. »Ihr fragt, welchen Fehler ich gemacht habe? Pah, einen fürchterlich banalen.« Jii warf seinen Gehstock, den er immer bei sich trug, nach Kuro, verfehlte sie aber. »Sie ist mein Fehler!« Er schrie es geradezu. »Ihre Mutter, ihre leibliche natürlich, war eine Gefangene meines Meisters und einfach zu schön. Als mit Blanc irgendwann auftrug, ihr Essen zu bringen habe ich etwas Zeit mit ihr verbracht. Wie er feststellte, hatte er mir das zu oft aufgetragen, denn bald war sie schwanger. Tz, dumme Frau. Mein Meister war anfangs davon recht begeistert, warum auch immer. Er hat sie auf einen Stein gekettet und mich fort geschickt, ein paar Leute ermorden. Als ich nach Mount Blanc zurückkehrte gebar sie gerade Kuro. Dreister weise verstarb sie dabei und verlor dadurch ihren Wert für meinen Meister. Er hat sehr getobt, damals hat er mir meine Beinverletzung zugefügt. Und diesen Säugling angedreht. Da ich keine Ahnung von so etwas hatte, entführte ich kurzerhand eine schöne Frau, die bereits ein Kind hatte, meine Ehefrau Mai. Natürlich habe ich ihr falsche Erinnerungen eingepflanzt. Daraufhin habe ich auch angefangen, euch zusammenzusuchen und daraus einen einflussreichen Clan zu basteln. Das Ganze hat überaus gut funktioniert.« Zitterns saß Yuki am Boden. Ihr Leben war eine Lüge. Ebenso das all dieser Leute da unten. Die einzige Person, die ihr je wichtig war, war ihre Schwester Kuro. Sie weigerte sich, zu glauben, dass sie nicht mit ihr verwand war. Sie sahen sich in gewissen Punkten sehr ähnlich. »Sie kommen.« Diese Worte flüsterte Jii, dann sank er zu Boden und sah mit leerem Blick in die tobende Menge vor ihm. Yuki stand auf, sie hastete zur gegenüberliegenden Seite und stieß die Tür auf. Sie hetzte den Flur entlang zu ihrem Zimmer. Sie hörte noch immer den Lärm aus dem großen Saal. Gehetzt sah sie sich um. Sie wollte einfach nur noch hier weg. Am Meer lag die Dschunke ihrer Schwester Kuro, bereit zum auslaufen, vielleicht würde sie es schaffen, damit zur nächsten bewohnten Insel zu kommen. Yuki riss die Truhe am Fuße ihres Bettes auf und fischte eine einfache dunkelgrüne Tasche aus festem Leinen daraus hervor. Von ihrem Nachttisch griff sie eine gerahmte Zeichnung von ihr und Kuro, als sie noch kleiner waren. Vom Schreibtisch nahm sie eine handschriftliche Kopie der Werke des Chronisten Skype und steckte sie ebenfalls ein. Mehr war ihr nicht wichtig in diesem Zimmer. Sie verließ es und hetzte weiter den Flur entlang zu einem Zimmer in dem Jii verschiedene Waffen ausstellte. Recht wahllos riss sie einen kleinen Dolch aus einer Vitrine, schnallte sich ein schlankes, leicht gebogenes Kurzschwert aus Damast um mit dem sie bereits einige Male geübt hatte und nahm zu guter Letzt eine Flasche mit einem kleineren Wasserlacrima sowie einen Lichtlacrima in einem Armreif und einen allgemeinen Portstein den man umhängen konnte, aus einer Truhe, die sie kurzerhand mit Gewalt aufbrach. Unbewusst hatte sie all diese Dinge in ihre Magie mit einbezogen. Plötzlich nahm sie wahr, dass absolute Stille herrschte. Waren „sie“ gekommen? Yuki nahm eine starke Magie wahr, dann Lärm und schließlich nichts mehr außer der endlosen Stille des Nichts. Kapitel 14: Ankunft in Bozuko ----------------------------- Kuro nahm Kurs auf die Stadt Bozuko. Sie stand an Deck und ließ ihren Blick über den endlosen Horizont schweifen. In der Ferne konnte sie die Felsen der Stadt ausmachen, bald würde sie auch in den Kreis der Zauber kommen, welche die Stadt umwoben. Script, in seiner neuen Lieblingsform als Katze, saß auf Kuros Schulter. Sie sah bereits die verschiedenen Buchten der Stadt und das große Anwesen das die Satrap, also die Statthalter, Negai und Nozomi bewohnten. Der Gebäudekomplex lag etwas hinter der mittleren Bucht. Wie alle Häuser der Stadt war er aus Holz und Reispapier, mit Ziegeln die in dunklem jadegrün schimmerten. In einem der Innenhöfe, die von den luftigen Hallen umgeben waren, blühte ein großer Kirschbaum, der sicher sehr alt war. Das Wasser des ewigen Meeres schwappte gegen die hellgrauen Steine der Bucht und der stetige Wind spielte mit dem Wasser das um die Stelzen jener Häuser floss, die noch etwas oder gleich ganz im Wasser standen und mit einer verwirrenden Anzahl von Stegen und Brücken miteinander verbunden waren. In der Mitte der Bucht, etwas weiter draußen im Meer war das Wasser an einer exakt kreisförmigen Stelle bis zum Meeresgrund zurückgewichen, doch weder Fische noch die Tiermenschen die mit ihnen verwand wahren oder die Pflanzen des Meeres störten sich daran. Kleine Schwärme friedlicher Fische schwammen in der Stadt umher, sie konnten das Meer an dieser Stelle beliebig verlassen oder wieder zurückkehren. Kleine Fischmenschmädchen, die ihre Magie, welche es ihnen erlaubte als Mensch zu erscheinen, noch nicht beherrschten schwammen kichernd durch die Straßen und spielten mit ihren reinmenschlichen Brüdern und Freunden. Die Magie der Drachenzwillinge Negai und Nozomi umwand die ganze, weitläufig angelegte Stadt. Scheibenportale gab es eher vereinzelt an den zentralen Plätzen oder um von Bucht zu Bucht zu gelangen, da die ganze Stadt bequem zu Fuß oder mit einer Sänfte begehbar war. In der ganzen Stadt waren in die Treppen und Geländer und alles Sonstige aus Stein Ornamente gehauen worden. Einige stellten fließend die Ewigkeit da, andere symmetrisch die Schönheit, die im Auge des Betrachters lag. Die hellen, glatten Mauern und Flächen an den Felsen waren oft bemalt worden, mit wunderschönen Bildern, deren Geschichten die alten Legenden erzählten. An den Ecken der Häuser hingen manchmal Windspiele deren Klang glockenhell durch die Straßen schwebte. Kuro legte an den Piers in der östlichen Bucht an, welche die kleinste war und dadurch den Reisenden vorbehalten war. Wenn sie sich recht erinnerte hatte Mr. Tokidoki ihr in Bō erzählt, das seine Tochter derzeit in Bozuko war. Da Bird Tokidoki eine alte Bekannte von Kuro war, machte sie sich als erstes auf den Weg zu dem Laden. Auf den Straßen waren viele Menschen, Tiermenschen und Elfen unterwegs. Sobald die Dämmerung sich über die Stadt senkte, würden zwischen ihnen wie aus dem Nichts Nachtelfen auftauchen, die während der Dunkelheit für die Sicherheit der Stadtbewohner die Verantwortung trugen. Da die Straßenbeleuchtung nachts nur minimal war nahmen die Vermögenderen Bewohner wenn sie in der Dämmerung oder des Nachts nochmal auf die Straßen mussten einen Diener mit, der ihnen mit einer Laterne den Weg leuchtete. Jene von ihnen, die magisch begabt waren ließen sich allerdings meist von einem Wehrlichtchen den Pfad zeigen den sie beschreiten mussten. Noch war es allerdings Nachmittag und die Sonne erhellte die Gassen und Gässchen der Stadt. Richtig breite Straßen gab es kaum, und wenn dann führten sie nur von den Buchten zu den Lagerhöhlen, am kleinen Fluss entlang der aus dem Hinterland kam und in der großen, mittleren Bucht ins Meer mündete oder dem Anwesen der Drachenzwillinge. Auch wenn einige der Stadtbewohner nur den Rang eines Diener bekleideten so waren doch alle sorgfältig und ordentlich gekleidet. In dieser Gegend hatten sich sowohl Architektur als auch Kleidung völlig anders entwickelt als in Bō, die Meisten trugen Yukatas, Kimonos oder Hosen und darüber Hemden und Westen die wiederum sehr an die Yukatas erinnerten. Die feinen Damen die in ihren vielschichtigen und kostbaren Kimonos einen kleinen Sparziergang machten ließen sich von einem Diener einen Sonnenschirm tragen und wurden meist von einem bessergestellten, leicht bewaffneten Diener begleitet. Einige der Bewohner an denen Kuro vorbeiging trugen elegante Schwerter mit leicht gekrümmter Klinge, wie ihr auffiel. Vor den massiven Toren der Stadthäuser reicherer Leute standen Fahnen mit dem Siegelzeichen ihrer Familie. Dies bedeutete, dass Feierlichkeiten erwartet wurden. Kuro selbst hatte sich der Stadtbevölkerung angepasst und trug einen dunkelroten Yukata mit einer grauen Drachenstickerei am Saum. Sie dachte an Yuki, diese besaß das Gegenstück dazu. Kuro vermisste sie. Insgeheim hoffte sie, dass sie das Chaos auf Isola überlebt hatte, auch wenn ihr dies nicht sehr wahrscheinlich erschien, aber immerhin war sie als ihre Schwester aufgewachsen. Kapitel 15: Bird Tokidoki ------------------------- Es gab in Bozuko zwar keine Vierteleinteilung und der magischen Bevölkerung stand man auch sehr offen gegenüber, doch alle Geschäfte, die etwas auf sich hielten hatten sich im Laufe der Zeit am Ufer des Flusses angesiedelt. Schließlich mussten sie sich nicht vor einer Überschwemmung fürchten. Kuro warf einen Blick in Richtung Himmel, der Nachmittag schwand langsam dahin und die Schatten der Pagodentürme wurden länger. Sie betrat den länglichen, flachen Holzbau am Ufer des Flusses. Vorne an der Ladenfront waren Bambusrollos aufgehängt, die teilweise herabgelassen waren. Ein schönes Schild das über dem Eingang hing verkündete in schön gemalter Silbenschrift, die hier üblich war, das es sich um die Zweigstelle von Mr. Tokodokis Laden in Bō handelte. Wie es hier üblich war zog Kuro ihre Schuhe aus, bevor sie den Laden Betrat. Um ihn von der Straße abzugrenzen und zu verhindern das allzu viel Straßenstaub in den Laden kam hatte man den Boden erhöht angelegt, weswegen Kuro über die steinerne Treppe nun den Holzboden im Laden betrat. Eine Angestellte des Ladens nahm ihre Schuhe in Verwahrung, sie würde sie beim Verlassen wieder zurückerhalten. Sie hörte einen erfreuten Ausruf, dann wurde sie fast umgerannt, Bird lachte sie an »Wie schön das du hier bist, mein Vater meinte bereits, dass du vielleicht kommen würdest, ich freue mich sehr!« Vergeblich versuchte Kuro, Bird wieder von sich weg zu bekommen, doch wie üblich ging das nicht. Eigentlich sollte sie sich mittlerweile schon an dies Art der Begrüßung gewöhnt haben. »Ich freue mich auch dich zu sehen Bird. Würdest du mich bitte wieder loslassen? Ich bekomme keine Luft mehr!« »Das stimmt nicht...« Ein wenig schmollend stellte Bird sich vor Kuro hin. Sie trug einen ziemlich kurzen Kimono in einem völlig verwirrenden, bunten Muster. »Du bist doch bestimmt durstig oder? Ich jedenfalls schon, und Hunger hab ich auch, komm mit, ich lade dich hinten zum Tee ein« Kuro seufzte, Bird hatte wirklich immer Hunger. Sie Folgte ihr durch den Laden, überall waren Kleidungstücke aus verschiedenen Regionen des Landes und sogar aus anderen Reichen Sekais. Die Wände waren, wenn man sie mal sah, mit feinen Stoffen bezogen. Bird öffnete eine verborgene Schiebetür und führte Kuro in einen Hinterhof. Da er von Holz eingefasst war, auf der gleichen Höhe wie im Laden, brauchten sie keine Schuhe und gingen zu einem kleinen Pavillon auf der gegenüberliegenden Seite. Links der Tür aus der sie gekommen waren war noch ein einfaches, zweistöckiges Haus, in dem wohl einige der Leute aus dem Laden wohnten. Sie setzten sich auf einige Kissen die auf dem Boden des Pavillons lagen. Kurz darauf kam ein Hausmädchen und brachte ihnen auf einem Tablett eine Kanne Tee sowie Teebecher und einige Leckereien. Kuro goss ihnen Tee ein während Bird sich bei einer Schale mit Keksen bediente. »Hast du mitbekommen, dass man in der Hauptstadt wieder die Nemischen Spiele veranstaltet?« Fragte Bird zwischen zwei Keksen. »Nein, bisher noch nicht, aber ich war auch die letzten Tage auf dem Meer gewesen.« Die Nemischen Spiele waren ein Relikt aus der Antike, es war ein magischer Wettstreit, bei dem aber auch Waffenkunde, Aussehen, Geschicklichkeit und körperliche Stärke wichtig waren. Sie wurden in unregelmäßigen Abständen veranstaltet, je nach vorhandenen Mitteln und der Sternkonstellation. Es erklärt auch, warum vor den reichen Häusern Fahnen standen, denn dies bedeutete auch, dass die Familie mindestens einen Vertreter in die Hauptstadt entsandt hatten, damit sie bei den Spielen vertreten war. Danach wand sich das Gespräch profaneren Themen zu, beispielsweise wie hoch die Reisernte in Bozuko in diesem Jahr wohl ausfallen würde, welche Verbindungen in letzter Zeit zwischen den wichtigen Familien geschlossen worden waren und ob der Winter wohl wieder so kalt werden würde. Mit der Dämmerung verabschiedete sich Kuro und versprach noch einige Male vorbeizukommen. Als sie wieder auf die Straße trat beschwor sie ein kleines Wehrlicht und machte sich auf den Weg zurück zu ihrer Dschunke. Sie begegnete nur wenigen Leuten, einige mit einem Laternenträger, andere ebenfalls mit Wehrlicht. Die Nachtelfen ließen sich so gut wie nie bewusst blicken, doch Kuro spürte ihre Anwesenheit deutlich und fühlte sich gut behütet, während sie durch die Gassen ging und dem stetigen Klang der Windspiele lauschte. Kapitel 16: Traum ----------------- Yuki fühlte nichts. Sie war umgeben von Nichts. Sie war Teil des Nichts, das um sie herum war. »Yuki« Sie fühlte sich wie betäubt. War sie tot? »Nein Yuki, du bist nicht tot.« »Wer bist du?« »Das spielt keine Rolle, in Moment. Yuki, möchtest du leben?« »Warum sollte ich das wollen? Wie ist es zu leben?« »Erinnere dich! Du hast gelebt, gelacht, geweint und den Stimmen der anderen gelauscht.« »Habe ich das?« Yuki fühlte sich erschöpft, sie wollte nicht länger in dieser Dunkelheit sein. Sie wollte, dass dies aufhörte. Aber hatte sie tatsächlich einmal gelebt? Müde versuchte sie sich zu erinnern. Doch da war kaum etwas. Kuro. Sie kannte den Namen. Warum war er ihr in den Sinn gekommen? »Sehr gut, du beginnst wieder dich zu erinnern.« »Wer ist Kuro?« »Du bist als ihre Schwester aufgewachsen.« »Was ist eine Schwester?« »Hm, das weiß ich nicht, aber ihr Menschen sagt das.« »Bist du kein Mensch?« »Nein.« »Bist du ein Tiermensch?« »Nein.« »Was bist du dann?« »Das wirst du sehen, wenn du dich entscheidest zu leben.« »Was bringt es mir zu leben?« »Du kannst tausend Dinge lernen, mit deinen Aufgaben wachsen, Erinnerungen sammeln und dich auf die Reise machen. Du kannst Freunde finden und Magie ausüben. Du kannst sein.« »Sein? Was ist das?« »Hm, das ist eine schwierige Frage. Man kann sie nicht einfach so beantworten, jeder muss selbst seinen Sinn erkennen.« »Warum bist du? Was ist deine Aufgabe? « »Ich bin hier, um über diese Welt zu wachen, ich bin so alt wie sie selbst.« »Wie alt?« »Sehr alt.« »Und was denkst du über das sein? Ich möchte es wissen.« »Zu sein ist der Moment des Lebens, der Augenblick den man bewusst ist. Die Spanne in der man denken kann, philosophieren und die Zusammenhänge des Lebens erfahren kann. Jeder ist, nur du warst. Und nun frage ich dich, ob du wieder leben willst, denn ich gebe mir die Schuld an dem, was geschah.« »Ich erinnere mich nicht.« Yukis Gesprächspanter schwieg. »Sag mir was geschehen ist.« »Bist du sicher das du das erfahren willst, Yuki?« »Ja.« »Dein Vater hat sich vor langer Zeit mit einem Magier aus der alten Welt verbündet. Sein Name ist Mikado Blanc. Er wurde dessen Untergebener und diente ihm lange Zeit loyal. Dann beging er seinen ersten Fehler, indem er der Vater von Kuro wurde. Mikado Blanc schickte ihn daraufhin weg, weit weg. In ein weit entferntes Reich. Dort begann Jii sich mit der antiken Magie der Drachen zu beschäftigen. Mikado hatte allerdings lange zuvor damit begonnen. Das war sein zweiter Fehler.« »Wieso?« »Weil du die Tochter eines Drachen bist, Yuki, du bist sehr mächtig und Jii wusste das, er hatte Angst, das Mikado herausfinden würde das du lebst. Deswegen hat er sich von ihm zurückgezogen und dich und Kuro nach Isola gebracht, zusammen mit jenen, die er so manipuliert hatte, das sie dachten sie währen eure Familie.« »Dieser Mikado hat es herausgefunden, dass ich kein Mensch bin.« »Ja. Deswegen sind seine Lakaien nach Isola gekommen und haben versucht die ganze Insel zu zerstören.« »Und warum gibst du dir dann die Schuld an meinem Tod?« »Weil ich über die Magieströme dieser Welt wache. Sie haben sie benutzt um Isola zu vernichten. Ich hätte alle retten müssen. Aber ich habe es nur bei dir geschafft.« »Dann ist Kuro, meine Schwester tot?« »Nein.« »Nein?« »Sie scheint über eine sehr mächtige Magie zu verfügen, die sie geschützt hat. Und auch dich konnte ich nur retten weil du dich selbst mit deiner Magie geschützt hast. Allerdings hattest du das Bewusstsein verloren. Kurz bevor die Insel vom Nichts verschlungen wurde hat Kuro die Insel verlassen, und dich habe ich gefunden und mitgenommen, alle anderen waren Tod.« »Wo bin ich dann?« »Verwoben in einen alten Zauber, der mit den Magieströmen verknüpft ist.« »Was meinst du damit?« »Im Grunde befindest du dich irgendwo zwischen meinem Bewusstsein und dem Nichts.« >Oh.« Yuki dachte nach. Wollte sie leben? Vielleicht. Sie wollte auf jeden Fall Kuro wiedersehen, scheinbar waren ihre Erinnerungen an sie angenehm. Sie wollte auch erfahren, wie es ist zu sein, und was Freunde waren, sie wollte die Welt sehen und sie wollte Rache an Mikado nehmen, dafür, dass er ihr alle genommen hatte. »Sag mal, wenn ich in deinem Bewusstsein bin, habe ich dann überhaupt noch einen Körper?« »Ja, sozusagen, er ist ziemlich mitgenommen, aber das ist nicht so schlimm, ich beherrsche die alte Magie, das wird wieder.« »Ich glaube ich habe irgendwelche Dinge mitgenommen, Erinnerungsstücke.« »Ja, hast du, die Dinge wurden durch deine Magie geschützt. Also sag mir Yuki, willst du leben?« »Ja.« Kapitel 17: Hinterland ---------------------- Kuro gähnte, es war zu früh für ihren Geschmack. Warum war sie auch nur so früh aufgewacht? Sie ging an Deck, Script schlief noch selig und sie wollte ihn nicht wecken. Gerade als sie mit ihrem Frühstück, bestehend aus einigen Onigiri, beginnen wollte kam ein Botenjunge angelaufen. Es war ein Junger Tiermensch, der sich als Inu vorstellte, nachdem Kuro ihn nach seinem Namen gefragt hatte. Er überreichte ihr einen Brief aus recht dickem Papier, der magisch versiegelt wurde und ergo nur vom richtigen Empfänger wieder geöffnet werden konnte. Auf der Vorderseite stand „Kuro Chi, Hafen von Bozuko, Dschunke Umi“. Eine recht präzise Angabe, wenn man bedachte, dass sie erst angekommen war. Ein Blick auf die Rückseite beruhigte sie allerdings wieder, denn dort war, statt der Angaben über den Absender eine gezeichnete Sonnenblume zu sehen. Da Kuro gerade kein Geld bei sich trug, schlug sie Inu vor, ihm stattdessen einen der Onigiri abzugeben, wovon dieser recht begeistert schien. Sie sah im nach als er, mit beiden Händen essend, mit entzückt wackelnden Hundeohren wieder in Richtung des Stadtzentrums lief. Der Brief den Kuro bekommen hatte war von ihrer alten Freundin Mizuki Himawari aus der kleinen Stadt Magnolia. Mizuki schlug vor, sich zu treffen, im Hinterland der Stadt Bō, an der gleichen Stelle die sie einst vereinbart hatten. Sie erwartete keine Bestätigung, denn sie war in dieser Gegend unterwegs und würde an besagter Stelle rasten. Kuro entschied sich, die Einladung anzunehmen, da sie Mizuki bereits sehr lange nicht mehr gesehen hatte. Allerdings war es noch viel zu früh um aufzubrechen, weswegen Kuro sich wieder auf den Weg zum Landen von Mr. Tokidoki machte, um einige neue Kleidungsstücke zu kaufen, schließlich fand man nirgendwo schönere Dinge. Sie musste sich sowieso dem hier üblichen Kleidungsstiel anpassen. Ein Yukata war dafür definitiv zu wenig. Bird begrüßte sie erfreut und während Kuro erneut die überschwängliche Begrüßung über sich ergehen ließ fragte sie sich, ob Bird wohl jemals schlief. Natürlich bestand sie auch darauf, Kuro bei der Auswahl ihrer neuen Kleidungsstücke zu helfen. Gegen Mittag war Kuro dann erlöst, sie hatte nun zwei neue Kimonos aus feiner Seide und drei wunderschöne, baumwollene Yukatas sowie zwei einfache Baumwollhosen samt passender Blusen wie man sie hier trug, ebenfalls aus Baumwolle und noch einmal eine solche Garnitur aus schwarzer Seide. Ebenso hatte sie sich noch eine einfache dunkelblaue, weit geschnittene Jacke gekauft. Das Ganze war zwar ein teurer Spaß, aber Kuro besaß ja glücklicherweise recht endlose finanzielle Mittel. Bird wollte sie noch zum Essen einladen, doch Kuro erklärte ihr das sie dringend weg musste und nach einigen Überredungskünsten wurde sie dann endlich ziehen gelassen, jedoch noch mit einem kleinen Geschenk von Bird in Form einer niedlichen Stoffkatze. Kuro brachte ihre Einkäufe zur Dschunke, packte ihre Sachen zusammen, zog einen der baumwollenen Yukatas in schwarz an und schnallte sich noch eines der langen Schwerter um, wie sie in dieser Gegend üblich war, wenn man verreisen wollte. Dann machte sie sich zu Fuß auf den Weg zum großen Reisescheibenportal etwas außerhalb der Stadt. Script hatte sie gebeten, auf der Dschunke zu bleiben, um sie zu bewachen und sich die Neuigkeiten aus Mayonaka anzuhören. Von dort aus begab sie sich über das Portalscheibennetzwerk zu der Selbigen die ihrem Treffpunkt mit Mizuki am nächsten lag. Es war ein kleines Scheibenportal in der Nähe eines Flusses, einige Gehminuten von einem Dorf entfernt. Da Kuro langsam Hunger verspürte und sie es versäumt hatte, Proviant einzustecken, machte sie sich auf in Richtung des Dorfes. Selbiges bestand aus wenigen einfachen Häusern und mehreren Lehmhäusern die mit weißem Kalk beworfen waren. Die Menschen dort trugen einfache Yukatas und aus Gras geflochtene Sandalen, eine bäuerliche Gegend. Auf dem Marktplatz in der Mitte des Dorfes waren einige kleine Stände bei denen man Obst, Gemüse, Backwahren und Reis bekam aufgebaut. Kleine Kinder tobten in der Nähe des Brunnens während ihr Mütter Wasser holten. Kuro ging zu dem Stand mit den Backwaren und stellte fest, dass es dort ausschließlich Kekse gab. »Warum verkaufst du nur Kekse?« fragte sie den Besitzer verwirrt. »Warum denn nicht? Hier gibt es schließlich bereits einen Bäcker« antwortete ihr dieser mit einem amüsierten lächeln. »Hm, ich habe nun mal noch nie jemanden getroffen, der nur Kekse verkauft...« »Haha, mir ist außer meinem Spiegelbild auch noch niemand begegnet. Aber die Kekse Von Takumi sind eben einfach die Besten, das sagen alle.« »Angenehm, Takumi-Keks, mein Name ist Kuro. Ich hätte gerne eine Tüte voll von deinen Keksen« Grinsend packte er ihr verschiedene Kekse ein, Kuro bezahlte und ging in Richtung des Waldes, der sich jenseits der Reisfelder des Dorfes erstreckte. Kapitel 18: Erwachen -------------------- Yuki blinzelte. Es war etwas dämmrig, doch ihre Augen schmerzten, wie der Rest ihres Körpers. »Lass sie Augen zu und bleib liegen, du bist schließlich schwer verletzt.« Diese Stimme war nur in ihrem Kopf zu hören, sie kam ihr bekannt vor. »Ich werde dich jetzt heilen und dir etwas von meiner alten Magie abgeben.« Magie? Konnte sie Magie wirken? »Mach dir jetzt nicht so viele Gedanken. Die Magie die ich dich lehre ist eine antike Form der Drachenmagie. Sie erlaubt dir, recht nach Belieben dein Äußeres zu verändern, so kannst du dich beispielsweise als Tiermensch ausgeben, wenn dich danach ist.« Eine angenehme wärme breitete sich in ihrem Körper aus, während sie der Stimme lauschte. Der Schmerz ließ nach und sie begann ihren Körper wieder richtig wahrzunehmen. Auch ihre Erinnerungen strömten wieder in ihr Bewusstsein. Diese Stimme hatte bereits mit ihr gesprochen, vor nicht einmal langer Zeit, als sie im Nichts war. »Stimmt ja, ich hatte dir versprochen zu sagen wer ich bin. Nun, darf ich mich vorstellen? Ich bin Bonsai, der Wächter der Magieströme dieser Welt.« Yuki fühlte sich mittlerweile wieder richtig gut, der Schmerz den sie erduldet hatte war nur noch eine blasse Erinnerung. Sie setzte sich vorsichtig auf und öffnete sie Augen. Um sie herum war eine kleine Wiese, die von dem Dicklicht eines Waldes umgeben war. Sie selbst saß zwischen den Wurzeln eines großen Baumes im weichen Moos. »Wo bist du?« »Wo ich bin? Ich bin überall, unter dir, neben dir, über dir. Ich bin der Baum auf dessen Wurzeln du dich ausgeruht hast.« »Wieso kannst du reden? Ich meine.... naja, du bist ein Baum...« »Ich bin ein Baum mit einem Bewusstsein, ist das denn so abwegig? Ich glaube vor sehr langer Zeit war ich mal etwas anderes, doch ich erinnere mich nicht, ich bin gerne ein Baum, denn ich habe meine Wurzeln überall, im ganzen Wald.« »Ich habe mal eine Legende über einen Baum gehört, der spricht und jene führt, die sich in seinem Wald verlaufen haben.« »Nun, ich habe schon vielen Wesen gesagt wo sie ihren Pfand wiederfinden, doch das es eine Legende über mich gibt ist mir neu.« »Ich habe sie vor langer Zeit in einem alten Buch voller Legenden gefunden. Es war die Legende über den Baum des Lebens, und der, der sie aufgeschrieben hat meinte, dass es eine Legende aus der Antike sei.« »Hm, vielleicht wird sie mir noch eines Tages erzählt werden.« »Bestimmt. Wie funktioniert eigentlich diese Magie, von der du gesprochen hattest?« »Nun, es ist eine Formwandlungsmagie auf hohem Level, sie gehört zum Typ der Magie der Materie. Wenn du dich auf deine Quelle der Magie konzentrierst und es ein wenig übst wirst du es problemlos hinbekommen, denn du kannst die Magie eigentlich bereits, da du ja die Tochter eines Drachen bist. Du wirst feststellen, dass es eine sehr praktische Magie ist, da sie es dir beispielsweise einfach machen wird, Zutritt zu den Baumdörfern der Tiermenschen dieses Waldes zu bekommen. Versuche es nachher einfach einmal. Neben die liegt übrigens auch die Tasche die du bei dir hattest.« Yuki saß im Wipfel des Baumes Bonsai und betrachtete den Sternenhimmel. Die beiden Monde schienen nur schwach in dieses verborgene Tal, obwohl sie in voller Pracht am Himmelszelt standen. Sie fragte sich, wie es Kuro ergangen war, zugleich war sie sehr froh, dass sie noch lebte. »Bonsai, ich werde bald aufbrechen.« »Wo liegt dein Ziel?« »Weit, weit weg, irgendwo hinter dem Horizont.« »Was gedenkst du zu finden?« »Meinen Grund, warum ich lebe.« »Du hast einen schwierigen Weg vor dir liegen, aber du musst wissen, dass ich immer für dich da bin. Ruh dich aus, du bist erschöpft, dabei hast du noch so viel vor dir. Du wirst Wunder sehen, Freunde finden und Kämpfe austragen, doch vergiss nie, das du nur dieses eine Mal lebst und dein Leben kostbar ist.« Kapitel 19: Die Geschichte von Mizuki Himawari ---------------------------------------------- Diese Geschichte spielte in Magnolia, einer kleinen Stadt etwas südlich von Bō, noch gerade so im Einflussgebiet der Stadt. Allerdings waren die Bewohner der Stadt alle mehr oder weniger nicht-magisch und absolut gegen Maie. Die Stadt wurde verwaltet von Bischof Dokeshi, der in einem sehr alten Gebäude im Zentrum der Stadt lebte. Er selbst bezeichnete Selbiges als Kathedrale, auch wenn keiner etwas mit diesem Begriff anzufangen vermochte. Um diese Kathedrale, die rechteckig, versehen mit zwei hohen Türmen im Mittelpunkt der Stadt, auf einem eigentlich freien Platz stand, erstreckte sich nach Norden und Süden je ein etwas kleinerer, halb-ovaler Marktplatz, mit jeweils einem öffentlichen Brunnen, welcher, der Symmetrie des Platzes angepasst, sich halb-oval an die Mauern der Kathedrale fügte. Zudem standen auf diesen halben Plätzen noch zwei sehr alte Bäume. In Westlicher Richtung wies diese Kathedrale ein großes Portal auf, das direkt zum Westlichen Tor der kreisrund angelegten Stadt zeigte. Dieses äußerst massive Tor war mit einer Zugbrücke versehen, da direkt vor diesem Teil der Stadtmauer ein recht breiter, reißerischer Fluss vorbei strömte. Davor erstrecken sich Felder und eine große Obstbaumwiese. In östlicher Richtung der Kathedrale kam man zum erheblich kleineren, östlichen Tor, auch auf dieser Seite erstrecken sich außerhalb die Felder und Wiesen der ansässigen Bauern. Magnolia selbst verfügte noch über zwei weitere, größere Plätze. Der nördliche lag, symmetrisch zum südlichen Platz eingefügt zwischen dem dritten und zweiten Viertel. Die Einteilung der Viertel war recht einfach. Das dritte Viertel umfasste die sehr einfachen Häuser direkt an der Stadtmauer, sie hatten lediglich zur Hauptstraße hin Fenster und die Dächer mussten zur Selbigen hin abschüssig verlaufen und schiefergedeckt sein, alles aus Militär- und Verdeitigungsstrategischen Gründen längst vergangener Zeiten. Im zweiten Viertel baute man deutlich anders, obwohl es nur auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag. Die Häuser dort waren höher als die Stadtmauer und drei bis vierstöckig, Alle hatten Fenster zur äußeren Hauptstraße hin und einige verfügen über Fenster und Zugänge zu den sogenannten „geheimen Gärten“. Diese waren kleine, begrünte Baulücken Zwischen den zwei, Rücken an Rücken stehenden, Häusern des zweiten Viertels. Unter Umständen wussten einige der Bewohner nicht einmal, dass sie eventuell ein Fenster zu einem dieser Gärten hatten, denn sie waren stets gut verborgen. Im ersten Viertel, also dem innersten Häuserring direkt um den großen Marktplatz um die Kathedrale wohnten die Reichsten Leute, allerdings eher in der Häuserreihe die zum Zweiten Viertel hin zeigte, denn in denen zum Marktplatz hin waren fast ausschließlich Verwaltungen und eine Gaststätte untergebracht, da gelediglich Reisende in Magnolia rasten. Wenige Gehminuten hinter den Feldern der Stadt befand sich nämlich eine wichtige Handelsstraße, sowie ein kleineres Scheibenportal von dem aus man das ganzen Reich der Mitte erreichen konnte. Mizuki Himawari wurde als das Einzige Kind einer Familie aus dem dritten Viertel geboren. Ihre Eltern verdienten sich ihr Geld durch die Kunst-sie fertigten Portraits und Landschaftsbilder an und gaben bei Bedarf den reicheren Kindern aus dem ersten Viertel Unterricht im Zeichnen. Früh schon stellte sich ihre außerordentliche Begabung für Bleistift und Tuschezeichnungen heraus und ihre Eltern beschlossen, dass sie zur Schule gehen sollte, was in der Provinz bei Kindern einfacher Leute keinesfalls üblich war. So verbrachte Mizuki viele Sonnenzyklen in der einzigen Schule Magnolias, deren Leitung Bischof Dokeshi oblag. Neben den verschiedenen Schriftsystemen und Dialekten des Reich der Mitte und sonstigen ach so wichtigen Dingen wie der höheren Mathematik, lehrte man sie auch gegen die Magie zu sein, sie wurde wie alle Kinder der Stadt regelrecht magiefeindlich erzogen. Mizuki lernte vergleichsweise schnell und als sie ihre Schullaufbahn fast beendet hatte kam es zu einer für sie überaus schicksalhaften Begegnung mit Kuro Dodeka. Kuro begleitete damals Jii Dodeka, der auf einer Geschäftsreise war und etwas in Magnolia erledigen wollte. Obwohl sie noch ein Kind war verfügte Kuro damals schon über, für ihr Alter, beachtliche, magische Fähigkeiten. Auch wenn sie wenig Interesse für die Geschäfte von Jii hegte. Daher streifte sie, währen Jii sich mit einigen älteren Herrschaften unterhielt, durch die Felder östlich Magnolias. Dort traf sie die damals, wie besagt, nur geringfügig ältere Mizuki Himawari, die verzückt ein Feld voller Sonnenblumen betrachtete. Wie Kinder nun mal so sind unterhielten sie sich bald, voller Neugierde auf den jeweils Anderen. Mizuki skizzierte auf ihren Skizzenblock einen kleinen Hasen für Kuro, da diese begeistert war, zu hören, dass Mizuki gut zeichnen konnte. Die kleine Kuro, welche damals noch nichts von der gelediglich feindlichen Einstellung gegenüber Magiern wusste, erweckte die Zeichnung kurzweilig zum Leben, ließ das grau-schraffierte Häschen einmal kurz vom Block springen und zu einer der Sonnenblumen hoppeln, anschließend wieder genau so, wie es zuvor gewesen war, zurück aufs Papier. Mizuki war entsprechend entsetzt, sie hatte ja noch nie die Wirkung von Magie gesehen, da auch Lacrima von Bischof Dokeshi in Magnolia verboten worden waren. Doch eigentlich war sie nicht schockiert genug, denn vor langer Zeit, noch bevor sie in die Schule kam, hatte sie einen Traum gehabt, in dem eine ihrer Zeichnungen, ebenso wie das Häschen, zum Leben erweckt worden war. Sie bemühte sich dennoch, sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen, was ihr allerdings nicht so recht gelingen wollte. Kuro wirkte daraufhin etwas betreten – wohl zu recht. In ihrer Kindlichen Unwissenheit erkannte sie allerdings nicht den wahren Grund und so erklärte sie der völlig perplexen Mizuki, wie sie den Zauber ausgeführt hatte. Danach verabschiedete sie sich eiligst, gab ihr aber vorher noch einen schimmernden, durchscheinenden Stein, mit dem die nun völlig überforderte Mizuki nichts anfangen konnte, und verschwand. Als Kuro am Abend in ihrer kleinen, schmalen Kammer im oberen Stockwerk ihres Elternhauses saß dachte sie an das, was ihr Kuro gesagt hatte. Sie glaubte nicht wirklich, dass sie, so wie in ihrem Traum, Magie wirken konnte und doch nahm sie erneut die Skizze des Häschens hervor und Schritt für Schritt, so wie Kuro es ihr erklärt hatte, wand sie den Zauber auf die Skizze an. Entgegen jedweder Logik und allem, was wahrscheinlich war löste sich das Häschen erneut vom Papier, hoppelte orientierungslos einige Schritte umher und wurde dann wieder eins mit dem Papier. Dies war der Zeitpunkt, an dem Mizuki ihre Magische Kraft entdeckte. Und obwohl man sie ihr bisheriges Leben lang gelehrt hatte, wie böse und widerwärtig die Magie doch sei, so fand sie nichts Negatives daran. Da sie die Schule von nun an als sinnlos betrachtete und auch nicht mehr der gleichen Meinung bezüglich Magie war, begann sie, dem Unterricht fern zu bleiben und heimlich in den Feldern vor der Stadt ihre eigenen Magischen Fähigkeiten zu verbessern. Kapitel 20: Die Geschichte von Mizuki Himawari II ------------------------------------------------- Ausnahmsweise einmal war Mizuki Glücklich darüber, vor geraumer Zeit wohl einmal schlechten Umgang gehabt zu haben - nämlich mit einer jugendlichen Diebesbande. Ihre Eltern hatten das zwar irgendwann unterbunden, doch sie war noch immer eine der besten Diebinnen in der Stadt. Dadurch gelang es ihr mit Leichtigkeit in die Kathedrale einzusteigen und in dem Archiv in dem Bischof Dokeshi alle Werke über die Magie weggeschlossen hatte, ein wenig herumzuwühlen und einiges mitgehen zu lassen. Nach einiger Zeit stellte sie auch fest, dass sie das Element Stein bändigen konnte. Zur etwa gleichen Zeit bekam sie mal wieder Ärger von ihren Eltern, da sie im Grunde nur noch in der Schule erschien, wenn ein Examen anstand. Diese bestand sie allerdings stets mit Bravour. Mizuki verstand die Vorwürfe nicht, die sie von ihren Eltern gemacht bekam, schließlich erfüllte sie die Anforderungen der Schule. Der Streit endete damit, dass sie von nun an in die Schule gebracht wurde und dadurch wieder regelmäßig anwesend war. Von daher musste sie sich auch wider die endlosen anti-magischen Vorträge von Bischof Dokeshi anhören, weswegen sie begann, ihn zu hassen. Nach der Schule verließ sie stets sofort die Stadt und übte ihre Magie und Bändigungskräfte. Als der Sonnenzyklus sich seinem Ende zuneigte war Mizuki endlich mit der Schule fertig, die abschließenden Prüfungen hatte sie wieder Erwartungen aller als beste bestanden. Doch allem Anschein nach war Bischof Dokeshi durch ihr verhalten misstrauisch geworden und begann ihr zu folgen. Doch Mizuki verstand es, sich geschickt zu verbergen. An einem der letzten Tage des nächsten Sonnenzyklusses wurde sie unsanft geweckt; die Stadtwache riss ihr die Decke weg-glücklicherweise hatte sie in Kleidung geschlafen - fesselte sie und zerrte sie lautstark in die Kathedrale, wo Bischof Dokeshi herrisch vor dem steinernen Tisch im hinteren Teil der großen Halle stand. Die Bürger der Stadt waren alle versammelt, ihre Eltern standen zwischen ihnen, mit kaltem, leerem Gesichtsausdruck und einer Aura von Zorn und Wut. Der Bischof erhob seine dröhnende, bohrende Stimme und klagte Mizuki der Verwendung der Magie an. Dabei war das in Sekai keine Straftat sondern eigentlich absolut alltäglich. Eigentlich zumindest. Er entschied, dass sie öffentlich hingerichtet werden sollte, auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Mizuki wusste nun, das alle in der hinterhältigen Magie Dokeshis gefangen wahren, denn nun hatte sie es erkannt; er manipulierte alle Bewohner und hetzte sie gegen die Magie, gegen den Rat von Sekai auf. Warum hatte sie all dies nicht bereits früher erkannt? Es war genug. Er hatte Mizuki alles genommen, ihre Eltern, ihr zu Hause, ihr Leben. Sie entschied sich zu kämpfen - und sei es, um einfach nur besiegt und getötet zu werden. Ihre Fesseln waren aus massivem Eisen, doch selbiges gehört dem Steinelement an und so bändigte sie das Metall und befreite sich. Das Entsetzen war von allen Seiten groß, doch am größten war es sichtlich bei dem Puppenspieler selbst - Bischof Dokeshi. Erbost schleuderte er ihr einen einfachen Kampfzauber entgegen, der den Gegner lähmen sollte. Mizuki wischte ihn einfach zur Seite, den ihre Magie war die der Energie, ein Verbotes, magisches Element und sie hatte es gemeistert. Doch sie war selbst ein wenig entsetzt über ihre Kraft, da sie diese bisher noch nie ein einem richtigen Kampf angewandt hatte. Dokeshi lachte böse, als er ihr Zögern bemerkte, schnell richtete er einen Zauber auf jene Marionetten, die Mizukis Eltern waren und traf sie. Voller Entsetzen sah Mizuki wie das Licht in ihren Augen erlosch, fast schon in Zeitlupe sah sie, wie die leblosen Körper auf den mosaikbesetzten Boden fielen, hart aufschlugen und sich nicht mehr rührten. Sie würden es auch nie wieder tun. Mizuki fühlte Schmerz. Unendlichen Schmerz, tief in ihrer Seele brennen. Ihr Blick verschleierte sich, es gab nur noch den Schmerz über diesen vollendeten Verlust, darüber, dass sich dieser Mensch anmaßte, einfach das Leben ihrer Eltern zu beenden, die damit doch nichts zu schaffen hatten. Keuchend ließ sie sich auf den kühlen Boden fallen. Mizuki öffnete die Augen. Um sie herum tobte ein Meer von magischen Flammen, sie zerfraßen die Steine der Kathedrale, umhüllten all die Menschen und stahlen ihnen ihre Erinnerungen an Mizuki und ihre Eltern. Sie wollte niemanden töten, doch wollte sie auch nicht, dass jemand ihren Schmerz teilen musste. Zugleich wollte sie Rache an Dokeshi. Die Flammen raubten ihm erst seinen Verstand, dann seinen Geist, seinen Körper, seine Seele und letztlich seine Existenz - die Erinnerungen die er hinterlassen hätte, sein Vermächtnis - alles wurde von den glimmenden Flammen verschlungen, die sich in der ganzen Stadt ausbreiteten. Es war an der Zeit, zu gehen. Sie stand auf, ging zu ihrem alten Haus, die Flammen hatten es fast erreicht. Sie nahm ihren alten Skizzenblock mit dem Häschen und den Stein, den sie einst von Kuro bekommen hatte, sie hatte dessen Bedeutung längst erkannt. Mizuki verließ die Stadt durch das östliche Tor, die Flammen waren verschwunden und sie hinterließ eine Stadt reines Gewissens, deren Bewohner, wie alle in Sekai, an die Wichtigkeit und die reine Macht der Magie glaubten. Einige Tage später saß Mizuki völlig erschöpft am Wegesrand, sie war in den letzten Tagen nur gelaufen – weg von Magnolia, soweit sie ihre Füße zu tragen vermocht hatten. Nun sendete sie mit dem Stein den sie von Kuro erhalten hatte - einem direkten Kontaktlacrima - eine Nachricht an sie, in der die Situation beschrieben war. Die prompte Antwort war eine Wegbeschreibung zu einem verborgenen Anwesen, welches Kuro ihrer Freundin Mizuki anvertraute. Kapitel 21: Das Tal von Bonsai ------------------------------ Yuki gähnte. Das dicke Moos auf dem sie lag war gemütlich. Dennoch war es für sie an der Zeit, sich auf den Weg zu machen. Die Ferne rief sie mit ihrer allesumfassenden Stimme. Hier, im Tal von Bonsai, hatte sie einige angenehme Tage verbracht, sie war genesen und hatte den Umgang mit ihrer neuen Magie erlernt. Doch so tief verborgen sie auch in der vielschichtigen Stille dieses versteckten Ortes war, so sehr wollte sie auch die Welt sehen. Mit anderen Augen als zuvor. Yuki wollte sich nicht wieder vor allen verstecken, sie wollte leben, frei sein, reisen. Sie rieb sich den letzten Schlaf aus den Augen und nahm ihre Tasche. Sie trug noch immer den gleichen Yukata wie an dem Tag, als Isola zerstört wurde. Sir kramte in ihrer Tasche herum, bisher hatte sie diese noch nicht geöffnet. Neben den Dingen, die sie an jenem Abend hineingeworfen hatte, förderte sie einige ihrer Kleidungsstücke zu Tage, die sie dort vor einer Weile vor Midori versteckt hatte. Genauso wie eine Puppe, die sicher schon ewig in der Tasche war. Von den Kleidern, die sie gefunden hatte, zog sie sich eine einfache, dunkelgraue Hose an, die ihr bis über die Knie reichte, die einzigen Schuhe die sich in der Tasche befanden waren ein Paar weiche Lederstiefel, aber das war Yuki gerade recht so. Sie streifte sich noch eine dunkelgrüne Tunika über, deren Ärmel ihr nur noch bis über die Ellenbogen reichte, um nicht von irgendwelchem Gestrüpp verkratzt zu werden zog sie sich ein paar einfache, schwarze Armstulpen über. Den Rest stopfte sie wieder in ihre Tasche. »Bonsai?« »Wie ich sehe, ist es für dich an der Zeit, deine Reise anzutreten.« »Ja, eine leise Stimme ruft mich.« »Hm, das ist entweder der Wahnsinn oder der Ruf der weiten Welt.« »Letzteres Bonsai, letzteres.« »Sicher?« »Natürlich. Auch wenn ich das gerade zu einem Baum sagen, den ich auch nur in meinem Kopf höre. Ich glaube ich bin dennoch völlig normal.« »Das letzte, das du bist, ist normal. Sei froh darüber. Statt wie der Rest einfach ein stummer Teil der Masse zu sein, machst du dir deine eigenen Gedanken und handelst, wenn du es für richtig hältst, egal was diese Anderen denken.« »Da hast du auch wieder recht...« »Lass mich dir noch ein paar Worte mit auf den Weg geben, ich weis zwar nicht, ob sie dir nützen werden oder ob du dich an sie erinnerst, dennoch sind sie weise und wahr, in meinen Augen. Die Erinnerung ist wie ein Blatt einer Kirschblüte. Etwas aus der Ferne betrachtet ist es vollkommen vor Vollendung, doch bei näherer Betrachtung gelediglich ansatzweise Mangelhaft. Und ebenso wie jene Blätter werden sie von dem Wind der Träume hinfort getragen, bis man sie Vergisst, wenn man sie nicht festhält. Denn die Erinnerung wird der Ewigkeit nicht trotzdem und eins werden mit der Zeit der Unendlichkeit. Also, kleine Yuki, achte gut auf deine Erinnerungen, denn sie sind du und machen dein Wesen aus.« »Hast du sie verfasst?« »Bäume geben sich in der Regel eher selten der Lyrik hin, nein. Eine Freundin hat sie mir einmal zugeflüstert.« »Hm, ich werde mich bemühen, deinem Rat zu folgen. Er erscheint mir in der Tat sehr weise. Doch nun ist es an der Zeit, zu gehen. Endgültig.« »Ich würde mich trotzdem freuen, wenn du mal wieder kommst. Auf Wiedersehen, Yuki.« »Auf Wiedersehen, Bonsai.« Yuki wandte sich um, eine einzelne Träne des Bedauerns glitzerte in ihren Augen. Sie schritt über die Wiese, erklomm den kleinen Anstieg, der das Tal umgab und befand sich wieder im Wald. Als sie sich umsah, bemerkte sie, dass es so schien, als ob das kleine Tal Bonsais von einer sehr hohen, felsigen Wand umgeben war, auch gab es keine Wiese dort unten, sondern nur dorniges Gestrüpp. Keiner würde dafür die Mühe auf sich nehmen, den Felsen nach unten zu klettern, dies war wohl einer der Gründe, wegen denen Bonsai so selten Besuch bekam. Yuki wusste, das ihr Orientierungssinn fast nicht vorhanden war, doch Bonsai hatte ihr gesagt, das sie einfach nur stets ihrer eigenen Nase folgen musste, solange der leichte Windhauch ihr den Rücken stütze. Sie folgte dieser einfachen Anweisung, wand sich wieder um und entfernte sich stetig von dem magischen Baum. Der Wald wurde immer dichter und unwegsamer. Yuki war bald völlig erschöpft. Wenn sie so weitermachte würde sie nicht vorankommen. Ein Gelände wie dieses war eben einmal nicht der geeignete Ort, für einen Menschen.Wie praktisch, dass ich das nicht zwingend bin, auch wenn ich erst so spät darauf komme. Yuki schloss ihre Augen und konzentrierte sich. Wie würde sie sich wohl am besten und unauffälligsten durch den Wald bewegen können? Sie griff mit ihrem Geist, so wie Bonsai es ihr beigebracht hatte, nach ihrer Magie. Oder eher nach diesem Gefühl, das die Magie mit sich brachte. Ihr ganzer Körper kribbelte, als sie diese bewusst durch sich hindurch fließen lies. Ihr Kopf änderte seine Konturen leicht, ihr Haar wurde kürzer und ihr Gesicht feiner, hohe Wangen bildeten sich aus, während ihre Oren einfach so verschwanden. Dafür spürte sie, wie ihr etwas höher am Kopf Ohren wuchsen, die um ein vielfaches empfindlicher waren. Es waren schön geformte Katzenohren mit weißem Fell, sodass sie zu ihren nun deutlich kürzeren Haaren passten. Am Ende ihres Rückrates spürte sie ein leichtes Jucken und ein Katzenschwanz, den sie ohne Probleme bewegen konnte, formte sich. Ihr ganzer Körper wurde sehniger und muskulöser. Als Yuki ihre Augen wieder öffnete, besaß sie längliche Pupillen, Katzenaugen in hellem grün, die überirdisch funkelten. Sie setzte ihren Weg fort, als Katzenmensch, deutlich schneller als zuvor. Yuki kletterte auf die Bäume und sprang von einem zum nächsten, wenn ihr der Boden zu unwegsam wurde. Irgendwann begann sie, garnichtmehr auf dem Waldboden zu laufen, sondern blieb in den Bäumen, wo sie sich freier bewegen konnte. Sie durchquerte ein riesiges Gebiet, bevor die Dämmerung hereinbrach und sie zurück auf den Boden sprang, denn dort lagen mittlerweile nur noch die Blätter der großen Bäume, problemlos konnte sie auch dort nun geradezu mit dem Wind laufen. Kapitel 22: Verlorene Erinnerungen ---------------------------------- Kuro wanderte bereits seit einer Weile durch das schier endlose Waldgebiet, das sich etwas östlich von Bozuko erstreckte und eigentlich noch zum Westlichen Wald gehörte, auch wenn die Meisten dann immer dachte, dass man sich noch in direkter Umgebung von Bō befand. Der Name Westlicher Wald war sowieso verwirrend gewählt. Aber die Scheibenportale machten Entfernungen zwischen den Orten sowieso recht Relativ, wenn man einfach nur als Person reiste. Zu Beginn war Kuro noch auf breiten Feldwegen gewandert, auf denen sich die Räder der Fuhrwerke tiefe Rillen in den Waldboden gegraben hatten. Immer wieder war sie Bauern oder Händlern begegnet. Diese Wege hatten sich jedoch nach und nach in Feld oder Wald verlaufen und so war Kuro nun nur noch auf einfachen Pfaden Unterwegs, die Teils von Bewohnern der vielen kleinen Dörfern, Teils von den Wilden Kreaturen des Waldes stammten. Die holographische Karte zeigte unbeirrbar den Weg, den Kuro folgen musste, um an jenen verlassenen Tempel längst vergessener Gottheiten zu gelangen, den Mizuki und sie vor so langer Zeit als Treffpunkt abgemacht hatten. Der Wald wurde immer dichter und langsam verschwanden die Pfade, alles war von dickem Moos überwuchert, der Boden, die Baumstämme und Steine. Endlose Stille breitete sich aus, und ein geisterhafter Nebel zog zwischen den Wurzeln der Bäume hervor. Was war das? Die holographische Kartenprojektion fiel plötzlich in sich zusammen und Kuro stand allein, von sanft waberndem Nebel umgeben, in einem leicht bläulichen Licht auf einer Lichtung voller Moos. »Wer bist du?« Unerkennbar viele Stimmen stellten Kuro diese Frage. In ihrem Kopf. »Wir sind qubics, die alten Wächter. Was suchst du in diesem alten Teil des Waldes?« Vor Kuros Augen erschienen, scheinbar planlos und frei in im Raum schwebend, einige bunte, leicht glimmend, pulsierende Würfel auf der anderen Seite der Lichtung aus dem Nichts. »Ich bin Kuro. Und ich bin ein Mensch. Ich suche nichts Bestimmtes hier und durchquere nur diesen Wald auf meinem Weg zu einer alten Freundin.« »Wir wissen, dass du die Wahrheit sagst. Auch wenn du dich nicht erinnerst, du warst bereits einmal hier, vor sehr langer Zeit. Wir nahmen damals diese Erinnerung wieder an uns, als Pfand für das gegebene Versprechen als Kind. Nun bist du wieder da, und es ist an der Zeit, das du dich an dein Versprechen erinnerst.« »Ich verspreche nie etwas. Und eigentlich vergesse ich auch nichts. Ich gebe zu, ich bin völlig verwirrt. Würdet ihr euch bitte erklären? Insofern es euch nichts ausmacht oder euch etwas eurer geheimnisvolle Aura raubt.« Ein leises Kichern, wie das eines Kindes, rollte durch Kuros Kopf. Vor ihr, aus dem Nebel sich heraus formend, erschien ein kleiner, silbrig-weiser Würfel, der auf ihre Stirn zu schwebte. >Drei kleine Mädchen in Yukatas tollten über eine Wiese. Im Hintergrund sah man ein altes, hölzernes Haus. Sie rannten übermütig einander nach, bis sie plötzlich vom Wald verschluckt wurden, der sich gegenüber von diesem Haus befand. Sie waren auf einer Lichtung gelandet, seltsame Würfel schwebten dort über dem von Moos überwuchernden Boden. Die Würfel sprachen mit den Kindern, in ihren Köpfen. Doch die Mädchen zeigten keine Zeichen der Furcht. Die schwebenden Würfel stellten sich als qubics vor, wobei sie stets gemeinsam, und im Plural von sich selbst, sprachen. Sie erklärten den Mädchen, dass sie in einem sehr alten, von Magie geschützten Teil des Waldes waren und sie, die Kinder, eigentlich nicht hier sein durften. Die qubics hatten die drei Mädchen jedoch beobachtet, denn ihre Augen und Ohren in dem Wald waren die alten Bäume, und befanden, dass sie es würdig waren, in diesem verborgenen Teil des Waldes, einer Zwischenwelt wandeln zu dürfen. Jedoch setzten sie einen hohen Preis fest. Sie verlangten die Erinnerung an jene Momente, die sie an jenem Ort verbracht hatten. Doch die Kinder stimmten zu. Drei kleine Mädchen waren unter einem Baum eingeschlafen, der in der Nähe eines Dorfes stand. Die besorgten Rufe einer Frau weckten sie.Sie standen auf, rannten zu ihr, hatten vergessen was geschehen war, eine matte Erinnerung spukte noch einige Momente durch ihre Gedanken um dann zu verschwinden. Nur den Ort wussten sie sich noch ganz genau< »Wie du siehst, kleine Kuro, hast du doch etwas vergessen. Doch gemäß unserer Abmachung bekommst du deine Erinnerungen an jenen Tag wieder zurück, da du wieder hier bist. Hast du viel von dieser Welt gesehen?« »Hm, wer kann das schon beurteilen? Aber ihr habt recht, ich erinnere mich wieder. Hatte ich damals nicht zugesagt, euch schöne Erinnerungen an weit entfernte Orte und alte Legenden mitzubringen?« »Das hast du. Wie schön, dass du es nicht vergessen hast. Gestattest du uns, Einblick in deine Erinnerungen zu nehmen?« Kuro nickte nur und wenige Augenblicke später war sie für einen Wimpernschlag in den hellen Nebel eingehüllt. Das sanfte Glimmen der qubics wurde zu einem Leuchten, als sie die neuen Erinnerungen erreichten. »Du hast viele Legenden gehört, alte Geschichten gelesen und fast vergessenen Liedern gelauscht. Zugleich hast du aber auch schreckliches erlebt. Wir möchten dir etwas helfen. Denn wie du weißt leben wir von Erinnerungen. Und sind dir somit trotz allem zu Dank verpflichtet, da du deine mit uns geteilt hast. Es ist dir bekannt, das es überall qubics gibt, an all jenen Orten, an denen die Grenzen von Zeit, Raum und Magie verschwinden. Qubics waren einst Gedanken von alten Magiern, sie haben sich von ihnen gelöst, als sie starben. In dieser Welt entstehen keine neuen qubics mehr, vieles hat sich geändert seit dem Untergang der Antiken Welt. Wir möchten, dass du einen qubic erschaffst. Dies wird dir nur mit unserer Hilfe gelingen, doch garantiert dir der qubic bis ans Ende deines Lebens und noch danach Schutz und Sicherheit. Bist du mit unserem Angebot einverstanden?« Kuro nickte zum zweiten Mal. Es gab Dinge, die man einfach nicht ablehnte, wenn man keine Dummheit begehen wollte. Und zum zweiten Mal hüllte der sanfte Nebel sie ein. Es war wie damals, als sie den Vertrag mit Script geschlossen hatte. Erneut war sie an diesem Ort, der ungleicher einem Solchen nicht sein konnte. Irgendwo im Nichts, sie spürte nur ihre bloße Existenz. Doch plötzlich spürte sie noch etwas anderes. Ein strahlender, rubinroter qubic schwebte unmittelbar vor ihr. Er war noch sehr klein, doch Kuro wusste von irgendwoher, dass er größer werden würde, wenn sie Erfahrungen und Wissen sammeln würde. Der qubic schwebte auf sie zu und verband sich mit ihr, wurde ein Teil ihres Selbst, bis zu dem Moment, an dem sie sterben würde. Dann würde ein kleiner Teil ihres Bewusstseins und all ihre Erinnerungen als qubic ihren Körper verlassen und ein richtiger Teil des großen qubics werden. Auch wenn sie sich das alles nicht so wirklich erklären konnte, so tröstete es Kuro doch, da sie wusste, dass sie stets irgendwo existieren würde, um ihren Freunden vielleicht irgendwann einmal mit ihrem Wissen zu helfen. Kapitel 23: Das Buch des Wassers -------------------------------- Irgendetwas Tippte an Kuros Schulter. Verwirrt öffnete Kuro die Augen und blinzelte etwas benommen in das ewige Dämmerlicht des Waldes. Eine sehr alte Frau hatte sich über sie gebeugt. Jetzt erst realisierte Kuro, dass sie flach auf dem Boden lag, auf einer kleinen Lichtung. Wo waren die qubics? »Kleines Mädchen, du kannst hier nicht schlafen, das ist gefährlich.« So klein bin ich doch eigentlich garnichtmehr, dass man mich so nennen könnte. Die Stimme der alten Frau klang fast wie das Rascheln von alten Buchseiten aus Pergament. Trotzdem war es eine sehr angenehme Stimme, und auch wenn die Frau sehr alt war, so strahlten ihre dunkelbraunen Augen vor Leben. Noch immer ein wenig verwirrt richtete Kuro sich auf. »T-tut mir leid…das war keine Absicht. Mein Name ist übrigens Kuro. Wer sind sie?« Die alte Frau lächelte und setzte sich neben sie auf den weichen Waldboden. »Mein Name tut zwar nichts zur Sache, aber nenn mich doch Yōsei. Dass du nicht absichtlich einfach so in diesem Wald auf dem Boden schläfst dachte ich mir übrigens schon, deswegen habe ich dich ja auch geweckt.« Kuro spürte, dass sie hungrig war. Sie war auch sehr froh, dass Yōsei sie nicht fragte, warum sie überhaupt auf dem Boden gelegen hatte. Kuro kramte etwas in der kleinen Tasche umher, die an ihrem Gürtel hing, auf der gegenüberliegenden Seite ihres Schwertes. Magische Taschen waren ja sehr praktisch, wenn man viel mit sich herumtragen wollte, aber spätestens, wenn man etwas suchte wünschte man sich doch eine normale Tasche herbei, deren Dimensionen nicht schier endlos waren. Nach kurzer Suche fand sie, trotz des totalen Chaos in ihrer Tasche, die gesuchte Tüte mit den Keksen. »Oh, eine praktische Tasche und auch noch sehr hübsch. Bist du denn magisch begabt?« »Danke. Ich habe sie vor einer Weile von meiner kleinen Schwester geschenkt bekommen. Hm, ja « antwortete Kuro zögernd »ein wenig schon.« Ein Lächeln huschte über Yōseis Gesicht, so, als ob diese wüsste, das Kuro ganz sicher nicht nur ein wenig Magie ausüben konnte. »Ich kann spüren, ob irgendjemand über eine sehr große, magische Kraft verfügt oder nicht.« »Warum fragen sie mich dann danach? Sie kennen sie Antwort doch scheinbar sowieso schon…« »Ach, aus reiner Gewohnheit. Ich treffe hier so selten jemanden. Auch wenn wir uns schon einmal gesehen haben.« Erneut huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Kuro wunderte sich derweil erneut. Scheinbar waren mit diesem Fleckchen Erde viele Erinnerungslücken verbunden. Gedankenerloren knabberte sie an einem Keks. »Herrjeh, wo habe ich nur meine Manieren? Möchten sie auch einen Keks, Yōsei?« Kurz darauf knabberten beide Kekse und plauderten über Belanglosigkeiten. »Kuro, auch wenn du dich nicht erinnerst, so kenne ich dich bereits lange und ich möchte dir etwas anvertrauen.« Die alte Frau suchte ein wenig in ihrer eigenen Tasche herum, die nicht weniger bodenlos zu sein schien. Dieses Mal huschte Kuro ein Lächeln um die Lippen. Endlich fand Yōsei wonach sie gesucht hatte. Sie zog ein scheinbar sehr, sehr altes Buch aus ihrer Umhängetasche, ihre feingliedrigen Finger umschlossen es fest. Bei näherer Betrachtung stelle Kuro fest, dass der Einband des Buches aus einem blauen Leder zu sein schien und es mit einer silbernen Schnalle verschlossen war, deren Schloss aus einem leicht schimmernden Lacrima bestand. Auf den Deckel war ein Zeichen eingeprägt, das aussah wie eine große Welle in einem Kreis, es erinnerte Kuro an die Familienwappen in Bozuko. »Das hier, meine liebe Kuro, ist das Buch des Wassers. Ich vertraue es dir unter einer Bedingung an.« »Das Buch des Wassers? Ich dachte immer, es sei nur eine Erfindung…Es wird in den alten Legenden über die Wasserdrachen erwähnt. Die weise Drachin Umi soll es geschaffen haben.« »In jeder Legende steckt ein Stück der allesumfassenden Wahrheit. Du wirst es noch lernen, auf deiner Reise. Dieses Buch ist zweifelsfrei sehr Kostbar, du musst geheim halten, dass du es besitzt. Meine Bedingung, um es dir anzuvertrauen ist, dass du, lediglich in der Stunde absoluter Not, Verzweiflung und Trauer riskierst, es zu öffnen. Es ist mit einem Lacrima versiegelt, der erkennen wird, ob du den richtigen Zeitpunkt gewählt hast.« Yōsei legte das Buch vor Kuros Knie auf das weiche Moos des Waldbodens, erhob sich und ging zum Rand der Lichtung. Sie drehte sich noch einmal um, winke ihr zu, dann verschwand sie im Schatten des Waldes. Kuro bemerkte, dass die Dämmerung bereits eingesetzt hatte. Sie sah sich auf der Lichtung um. Zwischen zwei großen Bäumen, die sich wie ein Tor krümmten sah sie eine Wiese, und dahinter stand ein altes, hölzernes Haus. Kuro hatte es bisher nicht bemerkt. Was für ein seltsamer Fleck dieser Erde. Die Grenzen verschwimmen. Sie stand auf und trat zwischen den Bäumen hindurch auf die Wiese. Als sie sich umdrehte war die Lichtung mitsamt den zwei krummen Bäumen verschwunden. »Hey Kuro, schön dich mal wieder zu sehen!« Mizukis Stimme war ihr noch immer vertraut. Sie blickte zu dem alten Haus und sah, dass sie auf der Treppe davor stand und ihr zuwinkte. Als Kuro sie das letzte Mal sah, hatte Mizuki allerdings noch keine Hasenohren gehabt. Sie konnte sich ein erneutes Lächeln nicht verkneifen. Heute hatte sie wirklich ausgesprochen gute Laune. Kapitel 24: Mizukis Geschenk ---------------------------- Kuro ging die letzten paar Schritte bis zu dem alten, hölzernen Schrein. »Hey Mizuki! Die Freude ist ganz meinerseits. Neue Ohren?« Mizuki lachte herzlich. »Wie schön, dass es dir auffällt. Hab sie mir schon vor einer Weile zugelegt.« »Sieht für mich nach deiner üblichen Geldverschwendung aus…« »Es war zwar teuer aber naja, hey! Es war keine Verschwendung, sondern eine Art Erinnerung und außerdem sind diese Löffel echt schick.« Dieses Mal lachte Kuro, denn sie hatte Mizuki mal wieder dazu gebracht, zu schmollen. Und das sah, mit ihren Hasenohren wirklich amüsant aus, denn sie war im wahrsten Sinne des Wortes wohl ein wenig geknickt. »Ach, stell dich nicht so an, du weißt doch wie ich das meine.« »Ja, leider. Du meinst es genau so, wie du es sagst. Typisch.« »Äh, Themawechsel. Ich rieche essen, und das auch ganz ohne tierische Nase. Hast du was gekocht?« »Natürlich, schließlich bist du fast permanent hungrig wenn du durch die Gegend wandelst. Komm am besten mal rein.« Die beiden gingen gemeinsam die steinerne Treppe hoch, an der Eingangstür zogen sie die Schuhe aus. Im Haus lagen Tatamis auf dem Boden, bis auf einen Tisch und einen Wandschrank gab es keine Möbel. Zwei Futons lagen bereist ausgebreitet am Rande des Raumes. Mizuki führe Kuro zu einer verborgenen Tür in der gegenüberliegenden Wand. Die Sonnenstrahlen, die durch einige, geöffnete Fenster an der Seite des Raumes kamen, ließen den Staub, der in der Luft flirrte fast schon überirdisch aussehen. Und es gab eine Menge Staub, man hätte daraus fast schon eine Wand mauern können. Mizuki öffnete die verborgene Tür und sie gelangten in einen kleinen Innenhof. Am Rand führte ein Hölzerner, überdachter Steg zur anderen Seite des Hauses, der kleine Garten, der zwischen den Beiden Zimmern lag war völlig verwildert. Der andere Raum entpuppte sich als kleine Küche, daneben befand sich noch ein Bad mit einem großen, hölzernen Badezuber. Mizuki füllte einige Schüsseln mit Essen und reichte das Tablett dann Kuro. Die Beiden gingen zurück in den ersten Raum, setzten sich an den Tisch und aßen gemeinsam zu Abend. Die Sonne war lange versunken, als sie sich auf ihre Futons legten und in tiefen schlummer sanken. Ich fasse es nicht. Immer das gleiche. Sie weckt mich immer auf. Nächstes Mal verabreiche ich ihr ein Schlafmittel. Missmutig setzte Kuro sich auf. »Hab ich dich geweckt? Ich hoffe nicht, ich war extra sehr leise.« »Erzähl‘ keinen Blödsinn. DU hast mehr Lärm gemacht als ein Obu. Und die sind echt verdammt laut.« »Obu? Meinst du diese großen Viecher mit den Hörnern, die auf vier Beinen rumtrampeln und einen Panzer haben?« »Genau die meine ich, verdammt. Warum machst du mich auch immer wach? Obu!« »Ich bin kein Obu« Mizuki lachte »Naja, da du schon mal wach bist, kann ich mich auch gleich verabschieden, oder?« »Verabschieden? Was meinst du damit?« »Na das was ich sage. So wie du auch immer.« »Aber du hast mich doch wegen etwas ach so wahnsinnig wichtigem hergebeten, um mal deinen Brief zu zitieren. Allerdings hast du mir davon noch nichts erzählt.« »Muss ich das denn?« »Du hast mich deswegen herbei geordert, Obu!« »Mann hast du eine miese Laune…« »Nicht ohne Grund! Was ist denn jetzt?« Mizuki nahm einen Gegenstand aus ihrer Tasche, um den ein Tuch gewickelt war. »Herzlichen Glückwunsch nachträglich!« »Verarsch mich nicht! Und schon gar nicht um diese Zeit!« »Aber, aber, krieg dich wieder ein.« Kuro ließ sich wieder auf ihren Futon fallen und zog sich die Decke über den Kopf. »Was ist es den jetzt so wichtiges?« »Es ist nichts wichtiges, ich wollte dich nur mal wieder sehen.« Kuro blickte sie an, als ob sie ihr gleich an die Kehle springen wollte. Vorsichtshalber ging Mizuki hinter dem Tisch in Deckung, auch wenn ihr dieser wohl kaum etwas gebracht hätte. »Es ist ein Buch, Kuro, du magst Bücher doch.« »Und deswegen hab ich auch n‘ Haufen davon. Warum weckst du mich? Wegen solch einer Nichtigkeit???« Mizuki lachte mittlerweile etwas verhalten. »Es ist nicht irgendein Buch, sondern eines in dem total viele Legenden aus der alten Welt stehen. Du magst doch Märchen und diesen Kram.« »So etwas banales ist kein Grund, mich zu wecken.« »Weiß ich.« »Wieso machst du’s dann?« »Um dich zu ärgern?« »Wenn du so weitermachst gibt’s nachher Sonnenblumenhack zum essen.« »Ich bin ungenießbar….« »Du währst selbst daran schuld.« »Zurück zum Thema. Hier.« Mizuki reichte Kuro noch einen weiteren, in Tuch eingeschlagenen, Gegenstand. »Was ist das?« »Find‘s selbst raus. Man sieht sich, Kuro!« Mit diesen Worten stand Mizuki auf, nahm ihre Tasche und ging seelenruhig die steinerne Treppe vor dem Tempel hinab, um dann im Wald zu verschwinden. Kurs setzte sich erneut auf, dann zog sie das Tuch vom zweiten Gegenstand, der neben dem nur halb in ein Tuch eingeschlagenen, Buch lag. Kleine Augen sahen sie an. »Hallo Kuro, ich bin Monogatari, die Buchelfe von dem Werk da hinten. Mizuki hat gesagt, das du jetzt die Besitzerin dieses Buches bist und gut auf mich und das Buch aufpassen wirst. Es heißt übrigens so wie ich und enthält Legenden aus der Antiken Welt.« Kuro sah völlig verdutzt auf das kleine Wesen in dem flaschenähnlichen Behältnis. Kapitel 25: Der alte Mann Brehm ------------------------------- Yuki strich noch immer durch den riesigen Wald, obwohl die heranschleichende Dämmerung die finstere Nacht ankündigte. Noch bevor ihre Augen es sahen, roch sie den Rauch eines kleinen Lagerfeuers. Wer auch immer es entzündet hatte, kannte sich in diesem Wald gut aus, denn es war der kaum wahrnehmbare Geruch von Schattenweide, das dort verbrannt wurde. Es brachte die Vorteile, dass es kaum Rauch entwickelte und gefährliche Tiere fern hielt, aber auch magischer Schutz wurde einem solchen Feuer nachgesprochen, wenn es ein Reisender mit friedlichen Absichten im Wald entzündete. Yuki schlich leise näher an das Feuer heran. Ein alter Mann saß dort, Mit dunklem Haar, das von silbrigen Strähnen durchzogen war. Gekleidet war er, wie die Handelsreisenden aus der Nord Welt, die mit ihren Schiffen in Bō anlegten. Er trug eine dicke Tunika in dunklen wollroten und recht einfachen, grauen Hosen, die von einem hübsch verzierten, ledernen Gürtel um seinen etwas korpulenten Bauch gehalten wurden. »Betrachte das Feuer nicht von weitem, wenn du zu Rasten gedenkst, sondern frage, ob ich es mit dir zu teilen gedenke.« Der alte Mann sagte dies geradezu in den Schatten hinein, in dem Yuki verborgen stand. Zögernd trat sie in den Schein des Lagerfeuers. »Alter Mann, gestattet ihr es mir, an Eurem Feuer zu weilen, bis die Sonne wieder das Licht des Tages in diese Nacht bringt?« Frug Yuki ihn gemäß der gebotenen Höflichkeit, wie es seit je her Brauch war. »Es mag Euch gestattet sein, an meinem Feuer zu weilen, wenn Ihr nicht der Schatten der Nacht seid der das Licht der Sonne fürchtet.« Führte er das Ritual weiter. »Ich fürchte das Licht nicht und so zeige ich Euch meine Gestalt und danke Euch, für eure Freundlichkeit.« Mit den letzten Worten trat Yuki vollends in den Schein der Flammen und ließ sich dort, in einiger Entfernung zu dem alten Mann nieder. »Nicht viele in deinem Alter kennen diese alten Worte. Gewohnheitsmäßig verwendet man nur noch die ersten zwei Sätze, ich habe diese Antwort schon lange nicht mehr erhalten.« »Ich habe die alte Geschichte zu diesen Worten einmal gelesen und von daher kenne ich auch ihre Bedeutung, laut der Legende.« »Der Schatten der Nacht hat schon seit Ewigkeiten nicht mehr versucht, an einem Lagerfeuer Platz zu nehmen, doch freut es mich, das du die alten Legenden zu schätzen weißt.« »Es gibt diesen Schatten also?« »Vielleicht, wer weiß das schon? Doch entschuldige meine Unhöflichkeit, ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Brehm und wie du dir denken kannst, Stamme ich aus der Nord Welt.« »Ich bin erfreut deine Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Yuki, ich komme aus diesem Reich.« »Deinem Aussehen zu folge, bist du ein Katzenmensch. Aber auch als eine solche solltest du um diese Zeit nicht alleine im Wald umherzustreifen.« »Glaube nicht dem Schein. Ich bin auf der Reise, und die Zeit drängt, macht euch keine Sorgen. Du scheinst ein Mensch zu sein, alter Mann, auch für dich ist es nicht der richtige Ort hier, zu solch später Stunde.« »Wie du selbst sagtest, traue dem Schein nicht. Einigen wir uns also darauf, dass es für uns beide völlig in Ordnung geht, um diese Zeit in diesem Wald herumzulaufen.« »In Ordnung. Darf ich fragen, warum du zu solch später Stunde hier im Wald unterwegs bist?« »In Moment raste ich doch. Aber ich weiß was du meinst. Wie sieht es denn bei dir aus?« Brehm schmunzelte und nahm eine kupferne Kanne vom Feuer. Aus einer Tasche nahm er zwei glasierte Becher und goss aus der Kanne frischen Tee ein. Sich selbst nahm er einen Becher, den anderen reichte er Yuki. »Hm, ich habe meine Gründe, wohl ebenso wie du. Ich schlage vor, das du mit deiner Geschichte beginnst und ich mir in der Zeit überlege, ob ich meine ebenfalls preisgeben soll.« Ebenfalls schmunzelnd nahm sie den Becher und nippte vorsichtig an dem heißen Tee. Er schmeckte köstlich. »Das ist Tee aus dem Ost Reich. Die Menschen die dort in der Wüste und den kleinen Städten in deren Herz leben trinken ihn.« »Er ist köstlich. Brehm, du meintest das du aus der Nord Welt kommst, von wo, wenn ich fragen darf?« »Ich wurde in einem Dorf in der Nähe von Rieki geboren, als Kind bin ich immer im nahen Wald umhergelaufen, ohne mich um meine Pflichten zu kümmern. Deswegen haben mich meine Eltern, als ich alt genug war, in eine Schule in der Stadt gegeben, nur selten durfte ich nach Hause. Damals hat man versucht, mich zu einem Gelehrten zu erziehen, was allerdings nur teilweise gelang. Ich war zu sehr mit der Natur verwachsen. Da ich noch einen älteren Bruder habe, erlaubte mein Vater es mir, in Rieki zu studieren. Ich habe viele Jahre damit erbracht, Wissen zu sammeln.« Brehm lächelte unwillkürlich, bei den Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend. »Yuki, darf ich dich zum Essen einladen?« »Gerne. Deiner kurzen Erzählung eben entnehme ich, das du auf meinen Vorschlag eingegangen bist, nicht wahr?« Er reichte ihr einige Streifen getrocknetes Fleisch und Brot. »Wieso auch nicht, bisher hat mich noch niemand gefragt, wo ich herkomme, oder warum ich so bin. Meist werde ich nicht einmal gefragt, was ich mache.« Yuki kaute an einem Stück Fleisch herum. »Brehm? Was ist deine Aufgabe? Der Sinn deines Lebens? Womit beschäftigst du dich?« »Hm, du willst also wirklich meine ganze Geschichte hören?« »Das würde ich sogar sehr gerne.« »Dann werde ich sie dir erzählen« Kapitel 26: Brehms Geschichte ----------------------------- >>Mein voller Name lautet Bared Brehm. Meine Mutter stammt aus dem Ost Reich, mein Vater wurde in der Nord Welt geboren. Das Haus meiner Eltern steht in einem Dorf nahe Rieki, sie wahren Händler, die Wahren aus dem Landesinneren in die Stadt verkauften. Seit je her war meine Familie aus Handelsleuten, wir sind sehr wohlhabend. Doch zum Ärgernis meiner Eltern habe ich mit diesen Dingen nichts am Hut. Als kleiner Junge streifte ich oft Tagelang in den riesigen Waldgebieten umher. Manchmal lief ich auch nach Rieki um mich im Hafen mit Händlern aus aller Welt zu unterhalten, dabei lernte ich viele Sprachen. Reisen und Abenteuer haben mich schon immer fasziniert. Irgendwann verloren meine Eltern die Geduld und ich musste zu einer Schwester meines Vaters in die Stadt ziehen, als ich alt genug war. Denn so konnte ich nichtmehr in den Wald laufen, wenn ich zum Hafen ging war ich schließlich am Abend wieder zurück, denn des Nachts ist es dort gefährlich. Meine Tante schickte mich auf Geheiß meiner Mutter in eine sehr gute Schule in Rieki, dort begann ich meine Faszination für alte Geschichten zu entdecken und ich erfuhr aus den Büchern der großen Stadtbibliothek vieles über jene fernen Länder, von denen ich im Hafen hörte. Damals schon beschloss ich, irgendwann durch die ganze Welt zu reisen. Ohne es jemandem zu sagen lernte ich, oft ganze Tage lang, die Sprachen und Dialekte fremder Länder und Städte. Meine Begabung für Sprachen war offensichtlich, mein Abneigung gegen die meisten Menschen allerdings auch. Entschuldige, wenn ich nur von Menschen rede, doch dort oben in Rieki wohnen nur Menschen, alle anderen Lebewesen mögen die Kälte einfach nicht und kommen nur zu kurzen Besuchen oder um Handel zu treiben. Als meine Zeit auf dieser Schule sich dem Ende zuneigte, hatte ich so gute Noten, wie nie jemand vor mir. Meine Leistungen waren ausgezeichnet und so bot mir die Universität von Rieki an, dort ein Studium zu beginnen. In der Nord Welt ist dies nichts selbstverständliches, man muss von der Universität eingeladen werden. Dazu braucht man entweder sehr viel Geld oder Einfluss oder so wie ich ausgezeichnete Noten und genügend Geld für die Studiengebühren. Nach einigem Zögern gestatteten mir meine Eltern das Studium und übernahmen die Rechnungen dafür. Zugegebenermaßen war ich ein ewiger Student. Ich studierte alle Sprachen, die gelehrt wurden, Astrologie, Nautik, Geschichte, Naturwissenschaften, Alchemie, einfach alles was es gab. Als ich der Meinung war, lange genug dort gewesen zu sein, war ich bereits seit einer Weile ein Erwachsener Mann. Ich hätte alles werden können, doch ich wollte nur eines: Ein Buch über diese Welt schreiben, in dem alles steht, was man darüber wissen wollen könnte. So zog ich für eine Zeit lang zurück in das Hus meiner Eltern und begann zu schreiben. Da ich auch Magie gelernt hatte, selbst wenn ich nicht sehr mächtig bin, belegte ich mein Hauptbuch, in das ich mein Wissen schrieb, mit einem alten Zauber. Auf diese Weise kann ich es vervielfältigen. Doch nicht einfach so als Kopie, nein, diese Bücher sind etwas Besonderes. Jedes sieht anders aus, jedes ist etwas anders als das vorherige und es synchronisiert seinen Inhalt mit meinem Hauptbuch. Es ist meine Aufgabe, dieses Buch zu vollenden. Siehst du den Baum hinter mir, Yuki? Ich bin hier, weil auf diesem Bam Zweichhörnchen leben, im Augenblick schreibe ich über sie. Ich will alle Tiere erfassen, Karten von jedem Ort zeichnen, Zauber hineinschreiben, die helfen können und Rezepte aus allen Ecken Sekais hinzu packen. Ich schreibe an einem Handbuch zu dieser Welt. Brehms Buch.« Yuki stand auf und legte einige Scheite in das heruntergebrannte Feuer. Sie ließ Brehms Worte auf sich wirken. »Ich glaube, dass du tatsächlich deine Aufgabe gefunden hast.« »Ja, das glaube ich auch. Doch nun erzähl du mir doch deine Geschichte, wenn du magst.« Yuki lächelte und begann. Als sie endete war die Nacht bereits halb verstrichen und beide waren sehr müde. Brehm selbst wirkte sehr nachdenklich, sagte jedoch nichts dazu. Daher nahm Kuro ihren mittlerweile etwas verschlissenen grauen Yukata aus ihrer Tasche, hüllte sich darin ein und fiel bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Sie erwachte, als ein Zweichhörnchen gegen ihre Nase stupste. Brehm war verschwunden. Dort, wo er gestern gesessen hatte, lag ein Buch, eingebunden in Leder, wunderschön verziert. Daneben stand der Becher, aus dem Kuro getrunken hatte, getrocknete Früchte lagen darin. Yuki setzte sich auf und lächelte, sie hatte sich bereits gedacht, dass Brehm kein Mann war, der sich groß verabschiedete, wenn er weiterzog. Kapitel 27: Zurück nach Bozuko ------------------------------ Kuro huschte wie ein Schatten zwischen den Bäumen umher, es war später Nachmittag, sie schätzte die Zeit auf die Stunde Hachi des Tages. Vor ihr lag in Sichtweite jenes kleine Dorf, das ihr Ziel war, denn sie wollte durch die Scheibenportale gegen Abend wieder in Bozuko sein. Als sie in die Nähe des Dorfes kam, ging sie wieder langsam, denn sie wollte nicht auffallen. Wie schon bei ihrem ersten Besuch strebte sie den Marktplatz an, denn sie war hungrig. Dieses Mal war der Stand von Takumi, dem Keksverkäufer, direkt unter dem großen Baum aufgebaut. »Oh, Kuro, schön dich zu sehen.« »Es freut mich ebenfalls, dich zusehen, Takumi-Keks.« »Haben dir die letzten Kekse geschmeckt?« fragte er sie lachend. »Sie waren deliziös. Ich glaube, ich werde einer deiner Stammkunden werden.« »Das könnte sich schwierig gestalten, ich habe nämlich beschlossen, ein wenige umherzureisen.« »Das könnte ebenfalls schwierig sein, außer du besitzt einen Taschenbackofen. Was ich für unwahrscheinlich halte.« Takumi lachte erneut und beugte sich dann verschwörerisch in ihre Richtung. »Ich denke du bist selbst Magier, deswegen wirst du es nicht weitersagen. Du musst wissen, dass ich Feuer bändigen kann und einfache Zauber beherrsche.« »Deine Vermutung stimmt durchaus. Auch ich reise durch die Gegend, von daher frage ich mich, wo du wohl als nächstes sein wirst.« »Berechtigte Frage. Nun, ich werde mich bald nach Kinu aufmachen und danach wahrscheinlich in Toshi sein, dort habe ich etwas zu regeln. Aber zu den Nemischen Spielen werde ich mit Sicherheit in Mayonaka zu finden sein. Das werde ich mir nämlich nicht entgehen lassen.« »Hm, ich denke ich werde dir noch einige Male über den Weg laufen, spätestens wieder in der Hauptstadt, bei den Spielen.« »Fals du mich findest.« »Das werde ich, spätestens wenn mir der Sinn nach köstlichen Keksen steht.« Kuro kicherte ein wenig amüsiert. »Bezüglich der Kekse, ich denke mal, dass du noch welche willst, nicht wahr?« »Wie recht du hast. Mach mir bitte zwei Tüten, eine zum mitnehmen und einige zum hier essen. Ich denke das ich es mir hier irgendwo gemütlich mache, bis sich der Abend nähert.« Takumi machte sich an die Arbeit und drückte Kuro wenig später zwei Tüten in die Arme, eine davon war geradezu gigantisch, die andere deutlich kleiner. »Oh, so viele? Takumi-Keks, du übertreibst maßlos.« »Ach was. Das kommt dir nur so vor.« Kuro balancierte die Taschen vorsichtig auf einem Arm und reichte einige Münzen an Takumi. »Bis bald mal wieder, du solltest meiner Meinung nach auch Tee anbieten.« »Bis bald Kuro, danke für deinen weisen Ratschlag.« Kuro stopfte die große Tüte in ihre Tasche und öffnete die kleinere. Es waren köstliche, größere Kekse aus hellem Teig mit getrockneten Früchten. Sie nahm einen und biss ein Stückchen ab, es schmeckte ausgezeichnet. Kuro blickte sich um und entschied, sich auf einen Stapel von Holzbalken zu setzten, der vor einem der Häuser im Schatten lag. Ein Paar Kinder tollten auf einem etwas niedrigeren Stapel in der Nähe herum. Sie ließ den Blick über den belebten Marktplatz schweifen. Dorfbewohner grüßten sich gegenseitig mit ihren Namen, den Fremden Reisenden lächelte man freundlich zu. An einem Stand mit Textilien sah Kuro einen sehr großen Mann mit dunkler Haut, sie hätte nicht gedacht, einen solchen außerhalb eines Hafens zu finden. Sie knabberte weiter an ihren Keksen und betrachtete ihre Umgebung. Die Kinder auf den Balken neben ihr hatten von der Toberei scheinbar genug, denn sie hatten sich hingesetzt und beschäftigten sich mit verschiedenen Kinderreimen. Als ein älteres Kind sich hinstellte und so die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zog, hörte auch Kuro zu, denn der Junge trug ein Rätsel vor. » Wer von euch ist klug und fleißig? Dreiunddreißig Rätsel weiß ich. Spitzt das Ohr und spitzt die Feder! Und nun schreibt sich auf ein jeder: Welche Uhr hat keine Räder? Welcher Schuh ist nicht von Leder? Welcher Stock hat keine Zwinge? Welche Schere keine Klinge? Welches Fass hat keinen Reif? Welches Pferd hat keinen Schweif? Welches Häuschen hat kein Dach? Welche Mühle keinen Bach? Welcher Hahn hat keinen Kamm? Welcher Fluss hat keinen Damm? Welcher Bock hat keine Haut? Welches Glöcklein keinen Laut? Welcher Kamm ist nicht von Bein? Welche Wand ist nicht von Stein? Welche Kuh hat gar kein Horn? Welche Rose keinen Dorn? Welcher Busch hat keinen Zweig? Welcher König hat kein Reich? Welcher Mann hat kein Gehör? Welcher Schlüssel sperrt kein Schloss? Welchen Karren zieht kein Ross? Welches Futter frisst kein Gaul? Welche Katze hat kein Maul? Welcher Bauer pflügt kein Feld? Welcher Spieler verliert kein Geld? Welcher Knecht hat keinen Lohn? Welcher Baum hat keine Kron'? Welcher Fuß hat keine Zeh'? Welcher Streich tut keinem weh'? Welcher Wurf und Stoß und Schlag? Rat' nun, wer da kann und mag!« Die Kinder riefen nach jeder Frage wie wild mit Antworten um sich, die eher selten zu stimmen schienen. Nach einer Weile gab es der Junge auf, und die Kinder tobten wieder lärmend umher. Kuro ließ ihren Blick weiter schweifen. Ein Mädchen, wenig älter als sie selbst, blickte sich etwas desinteressiert auf dem Marktplatz um. Einige Blicke streiften sie, denn ihre Erscheinung war etwas ungewöhnlich. Ihr linker Arm war bis über den Ellenbogen mit hellen Baumwollbandagen umwickelt, ebenso ihr rechter Unterschenkel. Sie trug eine graumelierte Kniebundhose und ein enges, einer Tunika ähnlichen, Oberteil aus dünnem Stoff. Man konnte erahnen, dass auch ihr Oberkörper völlig bandagiert war. Auch ihr Aussehen zog die Blicke einiger junger Männer auf sich, denn sie hatte lange, glatte Haare in einem dunklen braun, ebenso wie ihre Augen. Diese Kombination war in dieser Gegend eher selten, üblicherweise hatten die Menschen hier schwarze Haare und helle Augen. Als sich das Mädchen der Blicke gewahr wurde, warf sich den Umhang über, der bisher nur zurückgeschlagen ihren Rücken bedeckte. Trotz der scheinbaren Verletzungen bewegte sie sich völlig mühelos und aus irgendeinem Grund verloren die übrigen bald ihr Interesse an ihr, was Kuro vermuten ließ, dass sie eine Magierin war. Das Mädchen ging zu Takumi und kaufte einige Kekse. Kuro beschloss, dass ihr diese Mädchen egal war und sah sich weiter um. Einige Frauen waren bei den Balken neben ihr aufgetaucht und zerrten nun ihre Sprösslinge nach Hause. Dies erinnerte Kuro daran, dass es Abend wurde. Da sie ihre Kekse gegessen hatte und die Sonne den Himmel orange zu färben begann machte Kuro sich auf den Weg zum Scheibenportal. Als die Sonne endgültig zu sinken begann war Kuro wieder in Bozuko, in den letzten Sonnenstrahlen ging sie zusammen mit anderen Bewohnern der Stadt nach Hause, zu ihrer Dschunke Umi. Kapitel 28: Die Dschunke Umi ---------------------------- Kuro gähnte, mal wieder. Als sie von ihrem Ausflug ins Hinterland zurück nach Bozuko gekommen war, hatte sie sich umgehend zu ihrer Dschunke begeben, in der großen Kajüte einen Futon ausgerollt und sich hingelegt. Als Ergebnis dessen hatte sie den ganzen folgenden Tag verschlafen, jetzt war es Nacht. Die leise Stimme von Script hatte sie geweckt. »Also wirklich, Kuro, steh endlich auf, es ist schon Die Stunde San der Nacht und draußen ist es tiefdunkel, nur der kleine Mond erhellt den Himmel. Und der ist Wolkenverhangen.« »Du hast also meine Erinnerungen betrachtet?« »Ja, schließlich hast du darum gebeten, sonst würde ich das nicht tun.« »Hm… Also gut, ich stehe auf und mache mich an die Arbeit.« »Geh vorher baden…. Sonst muss ich meine Gestalt ändern.« »Die gute Nase wirst du nicht los.« Script hatte durchaus recht, die Reise war körperlich durchaus anstrengend gewesen und so suchte Kuro sich einige frische Kleidungsstücke aus ihrer Kleidertruhe und begab sich zu dem Bad unter Deck. Es war überaus praktisch, stets ein Bad nehmen zu können egal, wo sich die Dschunke befand. Sowieso war Umi keine gewöhnliche Dschunke, sondern deutlich komplexer und mit vielfältiger Magie durchzogen. Um einmal einen kurzen Überblick zu gewähren: Von außen sah sie aus wie eine gewöhnliche kleine Dschunke, für deren Steuerung höchstens zwei Besatzungsmitglieder nötig waren. Im Inneren jedoch war doppelt bis dreifach so viel Platz verfügbar. Es gab zwei Innendecks und das obere Deck, auf dem eine längliche Kajüte stand und auch die zwei Masten standen. Diese obere Kajüte war ein einziger großer Raum, auf dem Boden lagen dicke Teppiche, die Fenster waren mit Schiebefenstern und außen mit Schiebeläden aus Reispapier versehen. Die Schiebetür befand sich zum Bug der Dschunke hin und zwei Stufen führten in den Raum hinab, in dem ein großer Mensch bequem stehen konnte, ohne sich den Kopf an dem Gebälk des sehr flachen Satteldaches anzuschlagen. Man konnte den Raum bei Bedarf mit einigen, an der Decke befestigten, Bambusrollos entzwei teilen. Meist füllte ein großer, flacher Tisch den Raum aus, die Schiffsgeister hatten ihn jedoch im Augenblick weggeräumt. Im hinteren Bereich der großen Kajüte führte eine steile, hölzerne Treppe eine Ebene tiefer, davor war ein bemalter Paravent aufgestellt, weswegen man die Treppe nicht direkt oder gar nicht bemerkte. Alle Wände waren hölzern, feine Ornamente und Schnitzarbeiten bedeckten die meisten Oberflächen. Direkt neben dem Fuß der Treppe führte eine der reispapiernen Schiebetüren in den hinteren Bereich des Decks in eine kleine Küche, in der auf einer steinernen Herdstelle ein Feuerlacrima ruhte, der auch die ganze Dschunke erwärmte. Die Kombüse war mit Schränken Regalen und Arbeitsfläche ausgefüllt du etwas beengt, jedoch nicht annähernd so sehr, wie sie eigentlich hätte sein müssen, wäre keine Magie im Spiel. Wandte man sich von der Treppe in die andere Richtung, zum Bug hin, so war direkt neben einem die zweite Treppe, die hinab führte. Allerdings gab es auf diesem Deck auch noch einen kleinen Frachtraum, der direkt neben der hinab führenden Treppe begann und bis zur Außenwand der Dschunke reichte, hinter den beiden Treppen entlang. Daneben war der Kartenraum, eine weitere Schiebetür, die gegenüber der zur Kombüse hin lag, führte hinein. Dort stand mittig der große Tisch mit der Kartenprojektion, an der Wand zum kleinen Frachtraum, der gegenüberliegenden sowie der davon eingeschlossenen Wand waren Schiebetüren, hinter denen sich Regale verbargen, in denen Kuros Bücher standen, es waren sehr, sehr viele. Auf der anderen Wand, zwischen den beiden Türen des Raumes, war ein Wandbehang angebracht. Die zweite Schiebetür des Raumes führte in Kuros Kajüte, dort stand ihre Kleiderkiste, ihr Futon lag an der Wand zum Kartenraum hin und diesem gegenüber war ein weiterer Schrank, der sich von der Form her dem Bug des Schiffes angepasst hatte. Im untersten Deck fand sich im hinteren Bereich – unter der Kombüse – Eine weitere, kleine Kajüte, die mit einem Futon und einem Schrank daneben fast völlig ausgefüllt war. Am Ende des Futons, nicht auf der Seite der Tür, war noch ein kleinerer Schrank, in dem man den Futon verstauen konnte. Nahm man von der Treppe aus wieder die andere Tür, so gelangte man in den Schlafraum der Mannschaft – hätte Umi denn eine benötigt – an der Treppe befand sich ein weiterer Schrank, in dem man fünf Futons verstauen konnte, die in dem Raum Platz fanden. Mit Bambusrollos ließ er sich zudem in vier Teile einteilen. Drei der Futons fanden an der Außenwand Platz, einer davon fast ganz hinter der Treppe und dem Schrank, ein anderer daruntergelegen. Zwei weitere ließen sich parallel zum Schrank hinlegen, mit ein wenig Platz dazwischen. Der letzte Futon lag dann in dem Bereich zwischen den zwei Türen des Schlafraums wieder an der Außenwand. Die verbleibende Tür führte in den Frachtraum im Bug des Schiffes, er war erstaunlich groß und darin befand sich auch das Bad der Dschunke, die Tür grenzte in einem rechten Winkel an die zum Frachtraum. Im Bad befand sich unter anderem eine große Wanne aus Holz und ein Becken mit dem Wasserlacrima des Schiffes, in der Kombüse war lediglich ein kleiner zu finden, was wegen des Feuerlacrima Vorschrift war. Eine Zuleitung führte von dem Wasserlacrima in die Wanne und spülte auch die Toilette, die hinter einer weiteren, kleinen Tür verborgen war. Der Boden war mit einem Mosaik in verschiedenen Blautönen belegt, in den Beiden anderen Schlafräumen des Decks, sowie im Kartenraum und in Kuros Kajüte lagen Tatamis auf dem Boden. Kapitel 29: Das Buch Monogatari ------------------------------- Nach ihrem Bad schlüpfte Kuro in eine weite, baumwollene Tunika, die ihr bis über die Knie reichte, ging in die Kombüse, wo sie sich die Haare mittels des Feuerlacrima trocknete und eine einfache Algensuppe aufsetzte. Sie ging nach oben in die große Kajüte, holte dort ihre Tasche und setzte sich Script auf die Schulter. Auf dem Weg in den Kartenraum nahm sie ihre heiße Suppe mit und für Script etwas Fleisch. Kuro setzte sich vor dem Regal zur Außenwand hin an den Tisch, das Buch von Mizuki und die Flasche mit der Buchelfe lagen in Stoffe verhüllt auf dem Tisch. Nachdenklich löffelte sie ihre Suppe. »Script, denkst du wirklich, das dieses Buch so alt ist?« »Ja, zumindest lässt der Titel es vermuten, und auch das Aussehen. Heute ist, aufgrund der Konstellation der Himmelskörper, ein sehr guter Tag, die beiden Gegenstände wieder zu verbinden.« »Ist die Buchelfe den wirklich ein Gegenstand?« »Ja, sie ist kein Lebewesen im üblichen Sinne, daher hatte man das per Definition so entschieden. Zwar ist sie in gewissem Maße Lebendig, doch spürt sie mit ihrem Körper nichts, hat keine Gefühle und ist vom ihrem Buch, nicht dem eigenen Körper abhängig. Wenn du selbigen zerstören würdest – durch Feuer – würde dieser zu Asche zerfallen wie eine Buchseite und die Buchelfe würde keinen direkten Schaden davon nehmen. Ein paar der Seiten ihres Buches würden lediglich leicht verkohlt sein.« Script, der zu Ende gegessen hatte putzte sich das Fell und kuschelte sich dann, in seiner üblichen Hauskatzengestalt, an Kuro. Diese aß nachdenklich weiter an ihrer Suppe. Schließlich räumte sie das fragile Porzellangeschirr zur Seite und wickelte das Buch Monogatari aus dem Tuch. Es sah aus, wie sie es in Erinnerung hatte. Feine, lilafarbene Seide schmückte die Buchdeckel, graues Leder verstärkte die Ecken und den Buchrücken und bildete einen angenehmen Kontrast. Das Leder war offensichtlich bereits sehr alt und etwas rissig. Mit Silber war in einer etwas veralteten Symbolschrift, die man heute nur noch manchmal in Bozuko und der Umgebung verwendete, der Titel „Monogatari“ eingeprägt. Die Beiden Symbole, die den Titel bildeten glänzten matt und warm im Licht der Lacrima, die den Raum gleichmäßig erhellten. »Monogatari bedeutet so viel wie Erzählung oder Legende, es ist eine sehr alte Sprache, die heute nur noch teilweise in einigen Dialektformen enthalten ist. Trotzdem verwendet ihr sie unbewusst, wenn ihr einen Namen für etwas wählt. Beispielsweise bedeutet der Name deiner Dschunke so viel wie Meer oder Ozean.« »Diesen Namen habe ich nicht gewählt, das war Jii.« »Ja, und der hat diesen Namen mit bedacht und sehr weise gewählt, denn sie haben eine gewissen Bedeutung und Macht inne, es ist auch einfacher sie mit Magie zu belegen, wenn sie einen alten Namen tragen, den die Magie, die sehr alt und weise ist, kennt die alte Sprache, mit der sie entstanden ist, damals in der Antiken Welt.« Kuro strich vorsichtig über den Einband des Buches und spürte, wie abgenutzt die Seide an manchen Stellen war und auch das die grauen Nähte Stellenweise fast ausgerissen waren. Vorsichtig begann sie, den zweiten Gegenstand auszupacken, die gläserne, mit Metall verstärkte Flasche fühlte sich kühl an. Jetzt erst bemerkte sie die vielen Runen und Symbole, die in das Metall graviert waren und die dicke des Glases. Monogatari sah sie fragend an, als Kuro begann, den feinen Draht, der den Korken auf der Flasche hielt, vorsichtig zu entfernen. »Möchtest du mich etwa wieder in mein Buch lassen?« »Natürlich, was denkst du denn? Schließlich gehörst du doch zu dem Buch.« »Es könnte sein, das sie sich darin verkriecht und dir die Lektüre verweigert, Kuro.« gab Script zu bedenken. »Wenn sie nicht mit mir reden möchte, kann ich das nicht ändern, außerdem habe ich Zeit, um mir dann eventuell einen Weg zu suchen, das Buch doch zu lesen.« Mit einem leisen Geräusch zog Kuro den Korken aus dem Flaschenhals. Monogataris Gestalt verschwamm und ein gräulich-lilafarbener Rauch wand sich aus der Flasche, zum Buch hin. Als er mit dem Buch verschmolz bestaunten Kuro und Script verwundert, wie die leichten Schäden am Einband verschwanden und die Seide wieder einen kräftigeren Farbton annahm. Die feinen Risse im Leder verblassten und die grauen Nähte, die die Lederteile am Buchdeckel hielten, wurden wieder ganz. Das Buch blätterte auf, die verknitterten und eingerissenen Seiten glätteten sich dabei wieder, in der Mitte aufgeschlagen blieb es liegen. Feine, schwarze Symbol und Silbenzeichen bedeckten die Seiten gleichmäßig. Ein Magisches Siegel in dunklem lila erschien kurz über den aufgeschlagenen Seiten und die Buchelfe Monogatari wurde sichtbar. Ihr Körper sah weiblich aus, ihre langen, lilafarbenen Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden, ihre Ohren Spitz zulaufend wie bei einer Elfe, Symbole, die wie mit Tinte gemalt wirkten zierten ihre blasse Haut. Ihr Körper war ansonsten erstaunlich detaillos, wenn auch wohlgeformt. Ihre fragilen, feinen Hände und Füße bildeten, zusammen mit ihrem Gesicht eine Ausnahme. Monogataris Augen waren ebenso lilafarben wie ihre Haare, die Nase und der Mund waren sehr klein. »Seit gegrüßt, Kuro und Script. Ich danke euch sehr, dass ihr mich wieder zu meinem Buch gelassen habt. Ich habe es vermisst. Auch sehe ich keinen Grund dafür, mich euch zu verbergen oder meine Hilfe zu verweigern. Die Bücher um dich herum, Kuro, bestätigen die Worte deiner Freundin Mizuki, du liebst Bücher sehr und wirst auf mich achtgeben.« »Ich danke dir für dein Vertrauen, Monogatari. Das meine Bücher reden können wusste ich übrigens nicht.« »Sie reden auch nicht so wie ich im direkten Sinne, sondern eher Indirekt, mit ihrer Seele, zumindest die Werke, die eine Solche besitzen. Einige sind auf dem besten Wege, sich als Buchelfe zu manifestieren, aber das wird auch noch eine Weile dauern.« »Das erstaunt mich. Buchelfen sind also die Seele eines Buches, richtig?« »Richtig. Wenn sie sich manifestiert nennt man es Buchelfe, da die alten Faee es waren, welche die Magie gewirkt haben, die dies ermöglicht. Doch diese uralten Legenden sind bereits fast vergessen.« »Ich glaube ich habe es mal zwischen den Zeilen gelesen, in einer alten Sage. Woher weißt du diese, Dinge wenn sie doch fast vergessen sind?« »Eben weil sie nur fast vergessen sind. In diesem Werk sind uralte Geschichten und Legenden gesammelt, unter anderem auch über die Entstehung der Buchelfen, von denen manche schon alt waren, als der Clan der Furui sie damals, gegen Ende der Zeit der Antiken Welt zusammentrugen. Es sind Geschichten, die sich die Faee seit Generationen erzählten, obwohl ihr Leben die Ewigkeit über dauert.« »Es gibt längst keine Faee mehr, die beiden Monde schweben schon lange über dieser Welt, wir haben die Zeit Jūsan-Shi, der 11. Mond, morgen Abend beginnt der 12 Mond.« »Ich war fast seit Beginn dieser Zeitrechnung von meinem Buch getrennt. Aber es gibt noch einige Faee, die den Weltenwechsel überstanden haben, ich kann sie spüren, da ich mit der Tinte und dem Blut der Faee verfasst wurde.« Kapitel 30: Von Jisho und Zweichhörnchen ---------------------------------------- Yuki gähnte und setzte sich auf, das Zweichhörnchen, das sie geweckt hatte sprang erschrocken davon. Brehm war verschwunden. Stirnrunzelnd warf sie sich den Yukata über die Schultern und ging zu einige Sachen, die er scheinbar dagelassen hatte. Mit etwas spitzen Fingern nahm sie ein Stück den getrockneten Früchten und biss eine Ecke ab. Köstlich. Einen Augenblick später war alles in ihrem Mund verschwunden. Sie steckte den Becher wieder in ihre Tasche, und warf einen Blick auf das Buch, das dort lag >Brehms Buch -Exemplar von Yuki- < stand auf dem Deckel. Es war in der Art der Bücher aus dem Nordreich gebunden. Ein massiver, lederner Umband schützte die Seiten, man las es von vorn nach hinten und aus der Schrift des Titels schloss Yuki, dass das Gesamte Werk in den Ruhnenzeichen der Nordwelt verfasst war, die sie fließend beherrschte. Das Leder war rötlich gefärbt, doch man sah es nur im Licht, sonst wirkte es eher dunkelbraun und schimmerte leicht. Die Ecken und der obere und untere Teil des Buchrückens waren mit Metallbeschlägen in Form von Blättern verziert, die ebenfalls im Licht der ersten Sonnenstrahlen, die durch das Blattwerk brachen schimmerten. Vorsichtig hob sie den Deckel des Buches an. Wie von einem Windhauch aufgeschlagen blätterte das Buch bis in die Mitte hin auf, Yuki wich erschrocken zurück. Ein magischer Zirkel bildete sich kurz über den Seiten und wie aus Nebel zog sich dort eine Gestalt zusammen, die aussah wie ein Mädchen. Es trug Kleidung nach Art der Nordwelt, ein dunkles Kleid, vielleicht schwarz, vielleicht dunkles blau, die umgeschlagenen Enden der Ärmel waren grau gefüttert, ebenso der breite Stoffgürtel um ihre Taille und der Kragen des Kleides. Am Saum von Selbigen sah man das Ende einer grauen Hose, die wie eine Tulpenzwiebel kurz unter ihren Knien ihren Abschluss fanden, ebenfalls in Grau. Kecke Ringelstrümpfe in lila und der Farbe des Kleides führten hinunter in ihre spitzen Schnallenschuhe aus schwarzem Leder. Zum Abschluss saß auf ihrem kleinen Köpfchen mit etwas struppigen, grauen Haaren, aus denen einige geflochtene Zöpfe lugten, ein spitzer Hut mit einer breiten Krempe, der wieder die Farbe des Kleides hatte und unter der Krempe lilafarben ausgeschlagen war. Diese kleine Gestalt stemmte nun die kleinen Hände mit vier zierlichen Fingern wie die eines Menschenkindes in die Hüften und blickte Yuki über ihre Stubsnase mit den Sommersprossen aus ihren lilafarbenen Augen fragend an. »Wer bist du?« »M-mein Name ist Yuki. Wer oder eher was bist du!?« »Ich bin eine Buchelfe, genauer gesagt, bin ich die Buchelfe deiner Ausgabe von Brehms Buch. Ich heiße Jisho.« »Buchelfe…… Ich dachte eigentlich, die gibt es nur in alten Erzählungen…..jedenfalls habe ich davon gelesen.« »Wenigstens weiß du, dass es uns gibt. Brehm hat dir diese Ausgabe seines Buches anvertraut, und mich eben auch. Er bat mich, mich selbst vorzustellen. Ich kann natürlich auch in meinem Buch bleiben, wenn du mich nicht brauchst.« »Bleib ruhig. Ich freue mich sogar. Ähm, doofe Frage, aber was kannst du überhaupt? Das wird in den Geschichten nie erzählt…« »Ich kenne mein Buch auswendig…..und ein paar Wörterbücher und Lexika…eigentlich bin ich wohl eher ein Accessoire zu dem Buch. Oder so.« »Wenigstens eines, das praktische Anwendung und gutes Design kombiniert… Wenn ich mich recht erinnere, geht es in dem Buch doch um Sekai und die Lebewesen und teilweise auch Pflanzen, richtig?« »Stimmt. Worauf willst du hinaus?« »Ganz einfach. Ich kann ja dann auch die Lexikoneinträge über etwas quasi …… abrufen….hm, erzähl mir was über Zweichhörnchen!« »Ich nehme mal an, die Zusammenfassung reicht völlig: Zweichhörnchen – ein kleines, knuffiges Wesen, etwa so groß wie ein mittlerer Wasserlacrima. Es hat zwei sehr flauschige Schwänze, die ein wenig länger sind, als es selbst groß ist. Durch das enorme Volumen sind beide zusammengenommen auch etwa so breit wie das Nagetier selbst. Der Name kommt von der Ähnlichkeit mit den Ästen, die sich zweiteilen, so wie die Schwänze des Zweichhörnchens. Sie sind bedingte Magienutzer, die Selbige ihrer Umwelt entnehmen und kurz in ihren Backentaschen verwahren können. Ein Weibchen hat meist einen festen Partner und bekommt zwei oder drei Sprösslinge gegen Anfang des Sommers. Den Winter über halten sie in ihren runden Nestern, die man in den Wipfeln des seltenen Weilbaumes findet, ihren Winterschlaf. Brehms Schreibstiel ist wie du merkst ein wenig gewöhnungsbedürftig, für Größen zieht er manchmal seltsame Vergleiche heran.« »Das hab ich gemerkt. Allerdings zweifelsfrei praktisch, so ein Buch auswendig zu wissen. Aber was ist den bitte ein Weilbaum?« »Naja ein Baum eben. Ich nehme an, du nimmst den Lexikoneintrag. Weilbaum – ein seltener Baum, dessen Holz sehr kostbar ist. Ihm wird nachgesagt, dass er als Knöpfe oder Schlösser gut Dinge zusammen oder auch verschlossen hält, die eigentlich nicht zusammengehören. Die Verschlüsse magisch erweiterter Taschen sind meist aus diesem Material oder Geheimnisskästchen. Zweichhörnchen bauen ihre Nester in der Krone des Baumes. Der Baum hinter mir ist übrigens auch ein solcher Weilbaum.« »Deswegen auch die Zweichhörnchen eben. Abgesehen von sowas, kannst du auch noch andere Sachen erzählen?« »Eigentlich nur noch eine Handvoll Geschichten, die man kleinen Kindern erzählt, wenn sie komplizierte Fragen stellen. Sowas warum die Sterne am Himmel sind oder das Laub im Herbst bunt.« »Also im Grunde Gute-Nacht-Geschichten. Naja, Jisho, du musst wieder in dein Buch, ich will nämlich heute Abend das erste Baumdorf erreichen.« »Das ist machbar. Hab ich meine Karte schon erwähnt? Tipp einfach mal das Buch an.« Yuki tat wie geheißen und plötzlich befand sich eine Karte der näheren Umgebung in ihrem Kopf, auf der auch ihre Route zum nächsten Dorf angezeigt war. Selbiges war mit einem kurzen Informationstext versehen und an einigen Stellen waren Rastplätze oder Nahrungsmittel markiert. Jisho erklärte ihr allerdings, dass sie dies spätestens morgen wieder vergessen haben würde, was aber ja nicht schlimm war. Yuki packte alles zusammen, auch Brehms Buch und begann wieder zu laufen, in ihrer Form als Katzenmensch, immer in die Richtung, die ihr die Karte zeigte. Kapitel 31: Gimonfu und das Alte Lied ------------------------------------- Yuki lief bereits seit geraumer Zeit wieder durch den Wald, als ihr ein neuer Geruch vom Wind entgegengeweht wurde. Laut der etwas ungewohnten Karte in ihrem Kopf kam der Wind aus der Richtung eines Baumdorfes namens Tori. Die kleine Zeitangabe zeigte ihr auch, dass sie erst gegen den späten Nachmittag, etwa um die Stunde Jūni des Tages dort eintreffen würde. An weiteren Informationen gab die Karte an, dass es eine Stadt der Tiermenschen des Vogelclans war und das selbige zu Menschen sehr freundlich waren. Yuki entschloss sich von daher, als ganz gewöhnlicher Mensch die Stadt zu betreten. Sie lief weiter, bis sie noch etwa eine Stunde von dem Dorf entfernt war, da sie auf die Quelle eines kleinen Flusses getroffen war, der nur wenig später, laut Karte, in einen Kanal münden würde, welcher durch das Dorf Tori floss. Yuki erfrischte sich ein wenig an der Quelle und rastete ein Weilchen, den Rücken an einen Baum gelehnt. Ihre Blicke folgten dem Spiel der Sonnenstrahlen, die gleißend und vereinzelt kurz über den moosigen Boden nahe der Felsen mit der Quelle huschten. Ein leiser Windhauch wehte ihr ein klägliches Fiepen, von irgendwo weiter Oben in dem Baum, an dem sie lehnte, ins Ohr. Neugierig huschte sie mittels ein wenig Magie den Baumstamm hoch, fast als ob sie die Sprossen einer Leiter hochseigen würde. Der mächtige Baumstamm war bereits etwas schmäler als sie selbst geworden, als sie auf Höhe des Geräuschs war. Yuki blickte ein wenig in dem nun lichteren Blattwerk umher und entdeckte ein kugelrundes Geflecht aus Ästen und feinen Wurzeln. Es erinnerte sie an das, was Jisho ihr von den Nestern der Zweichhörnchen erzählt hatte. Allerdings roch sie nirgends auch nur den Hauch eines Zweichhörnchens, 95 dem das zu dem Nest gehören könnte. Vorsichtig balancierte sie also auf allen Vieren über den Ast, der etwa so dick war wie das Bein eines Onus, zu dem Nest und sah durch die ovale Öffnung etwas unterhalb der Mitte hinein. Zwei matte, schwarze Augen sahen zurück. In dem Nest lag ein sehr junges Zweichhörnchen; wieder fiepte es kläglich. Yuki kam zu dem Schluss, dass das kleine keine Eltern mehr hatte, denn es sah recht abgemagert aus. Vorsichtig nahm sie das Junge aus dem Nest, es lag still auf ihren Händen und zitterte ein wenig. Fast schon etwas erstaunt mustere Yuki das kleine Wesen in ihrer Hand. Deine lieben Eltern sind offensichtlich abhanden gekommen, ich werde mich erst mal um dich kümmern….. Hmm, ich glaube ich nenne dich Gimonfu, das passt, wenn ich mir dich so ansehe. Yuki hüpfte geradewegs von dem Ast, auf dem sie stand herunter, obwohl der Waldboden ziemlich weit entfernt war. Mittels Magie bremste sie ihren Fall jedoch rechtzeitig ab und landete sanft auf ihren Füßen im Moos an den Wurzeln des Baumes, bei dem es sich offensichtlich um einen Weilbaum handelte. Erneut ließ sie sich in das weiche Moos auf dem Boden fallen, das kleine Wesen sorgsam geborgen in ihren Händen. Irgendwo in ihren Gedanken regte sich eine Erinnerung, ein Lied von Leben, dem Wald und einer alten Zeit; fast schon unbewusst begann sie, die Verse leise zu singen. Verse, von denen ihr der alte Baum Bonsai erzählt hatte, als sie selbst an jener Klippe stand, zwischen den Welten, fast schon gefangen vom Licht des Weltenportales. Die Verse waren das erste Lied, so alt wie die Ordnung der Erde, auf der Yuki saß. Sie erinnerte sich an die alte Geschichte der Weltenmagie, die Geschichte über die Entstehung der alten Welt, geschaffen von Furui, während sie leise sag. Der Wind weht leise, endlosfolgend dem Storm der Zeit. Die Blätter der Bäume mit sich tragend, mit sich fort, weit. Zaghaft, fast schon fragend, erklingt das erste Wort, nimmt die Leere dieser neuen Welt mit sich hinfort, schafft etwas neues, sodass alles beginnt, 96 endlose Möglichkeiten, simpel wie die Gedanken eines Kind‘. Vergessen ist der nun verlorene Ort, der Wind trägt die Erinnerung mit sich hinfort. Das Feuer, heiß lodernd als Kern des Lebens; Das Wasser Kraft, aller Dinge; Die Erde, Basis all des Lebens; Zusammen Alles und Nichts zugleich; Zerstörung und Erschaffung dieses Reichs. So erwache, Ewigkeit, erwache, Geschichte, erwache, Zeit. Der Wind wird die Geschichten erzählen, die Lieder der Stämme mir zutragen; während ich wache über euch, und jene schütze, die mich rufen, um sie in diese Welt zurückzutragen, wenn deren Zeit sich noch nicht dem Ende zuneigt. Von irgendwo her zogen sich plötzlich feine, blauglimmende Fäden, die sich voneinander lösten und überall an sich feine Kringel ausbildeten zu dem kleinen Zweichhörnchen hin, Yuki war es fast so, als ob der Wind plötzlich ihre Melodie mitsang. Die glimmenden Fäden legten sich um den kleinen Körper, doch Yuki wich nicht zurück, sondern hielt still, die Kraft, die von den Fäden ausging fühlte sich vertraut an, fast schon elementar, sie war ihnen schon tausendfach begegnet, ohne sie zu sehen. Das Glimmen wurde stärker, bis sie das Leuchten blendete und sie ihre Augen verschließen musste. Dennoch spürte sie eine neue Präsenz, die auf sie zukam, auch diese wirkte unendlich vertraut. Vorsichtig blinzelte sie, und erkannte eine zerbrechlich wirkende Gestalt, die die Quelle des Leuchtens zu sein schien, ohne direkt damit verbunden zu sein. Ohne es zu hören spürte Yuki, das diese Gestalt ein einzelnes Wort sprach, das sie jedoch nicht begreifen konnte, es entrann ihrem Bewusstsein wie Wasser. Sie griff weiter danach; doch als sie begann, den Nachhall des Wortes zu lauschen spürte sie, wie sich eine gewaltige Hitze auf ihrem Rücken ausbreitete, an ihren Fußknöcheln und bei ihrer linken Seite. Entsetzt wich sie vor dem Gedanken an jenes Wort zurück. »Versuche nicht, dieses Wort zu begreifen, es ist zu mächtig, kleine Nichte Furuis.« Von irgendwo her kam der Wiederhall einer undefinierbaren Stimme, und Yuki spürte, dass ihre Schmerzen nachließen. Auch das bläuliche Glimmen war verschwunden und benommen öffnete sie die Augen.Was ist hier gerade passiert? Was habe ich da gerufen? Sie spürte eine Bewegung auf ihren Händen und als sie hinabsah, blickten zwei glimmende, silberne Augen sie an. Das Zweichhörnchen hatte aus unerfindlichen Gründen die blaue Färbung der Fäden angenommen, auch wenn von diesen kleine Spur mehr zu sehen war. An den beiden Schwanzenden wirkte das Fell etwas silbrig, so, wie an den vier weichen Tatzen. Kapitel 32: [Zwischenkapitel : Jii Dodeka] ------------------------------------------ Zur etwa gleichen Zeit, an einem anderen Ort, irgendwo in der Nähe von Bozuko erholte sich Jii Dodeka langsam von seinen Verletzungen. Seine rein menschliche Gestalt hatte er bei dem Angriff auf Isola zwar verloren, doch als ein Titan interessierte ihn dies nicht allzu sehr, da er nach wie vor fast beliebig sein Aussehen wandeln konnte. In seiner neuen Lieblingsform als ein gemischter Halbling lag er auf einer Matte seines Balkons und hing finsteren Gedanken nach. Sein ehemaliger Meister Mikado Blanc hatte ihm all seine Pläne ruiniert. Sein Clan von Marionetten ausgelöscht, eine Körperform zerstört, Isola völlig demoliert und im Meer versenkt. Eine niederschmetternde Bilanz. Zähneknirschend erhob sich Jii. Ein altes Artefakt in Form eines langen Stabes war erzwungenermaßen sein ständiger Begleiter geworden, denn sein neu geformter Körper war noch längst nicht stark genug, um seine enorme Magie gebündelt zu halten oder zu fokussieren. Zumindest sah er nun nichtmehr wie ein alter Mann aus, denn immerhin alterte er in Wahrheit so gut wie nicht. Sein Spiegelbild sah mit dem gleichen finsteren und zugleich leeren Blick zurück. Voll Wut zerdepperte er mit einem kleinen Flammenball eine antike Vase. Doch da sein Handeln keinen Sinn hatte, erschöpfte es den Titanen nur, er sank auf einem Hocker in sich zusammen und stellte mit einer fahrigen Handbewegung den alten Zustand der Vase wieder her. Gedankenverloren betrachtete er die Malereien darauf und suchte nach einem Sinn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)