All the Way 4 U von Sitamun ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Er sieht nicht gut aus. Überhaupt nicht. Es passt nicht zu ihm. Der Briefumschlag liegt, obwohl er laut seiner momentanen Gefühlslage jedes Recht dazu hätte, unberührt in irgendeinem Fach in dem fast schon komplett leer geräumten Regal, sein Inhalt in mehreren, farblich gekennzeichneten Kartons davor. Ich hätte den Umschlag vermutlich zerknüllt, zerrissen, in alle Ecken geschmissen, mich fürchterlich aufgeregt und im Nachhinein fluchend alle Schnipsel wieder zusammen gesucht und dann verbrannt. Zumindest im ersten Augenblick, um meinen Frust hinauszulassen, dem Ärger und dem Zorn und der Desillusionierung und Zerschlagung meiner Träume in nur einer einzigen Sekunde Luft zu machen. Das hätte ich nicht ertragen können. Nicht, wenn ich so darauf hingefiebert, alles davon abhängig gemacht und es unterbewusst schon als selbstverständlich angesehen hätte. So wie er. Er hatte alles auf dieses eine Ziel ausgerichtet. Es gab für ihn gar keine andere Möglichkeit mehr als Nyada. New York war zu seinem Leben geworden, gleich dem Sinn seiner Existenz. Er hatte es vor den anderen mit relativer Fassung getragen, als er den Umschlag mit der Absage geöffnet hatte, aber jetzt, zu Hause und allein, nur sein Vater noch anwesend, der Rest aus Respekt vor seiner Gefühlslage ausgeflogen, war es mit der Selbstbeherrschung und dem Freuen für andere vorbei. Jetzt war nur er hier, er mit seinen zerschmetterten Träumen und einem perfekt knitterfreien Briefumschlag. „Ich hoffe, du kannst ihm helfen, Blaine.“ „Ich werde nicht gehen, bevor er das Zimmer freiwillig wieder verlassen hat, Mr. Hummel.“ Ein vielversprechendes Lächeln und überzeugtes Nicken dazu, und der Mann glaubt mir vermutlich mehr als ich mir selbst glaube. Natürlich habe ich nicht gelogen. Ich werde nicht gehen, bevor Kurt mir nicht zumindest auf eine Art von den unmöglich vielen, die ihm zur Verfügung stehen, mitgeteilt hat, wie es ihm geht und es ernst meint. Er hatte nicht auf meine Anrufe geantwortet, als er beinahe wortlos nach Hause gegangen ist. An Finn und Rachel vorbei mit nichts weiter als einem Blick, einem Anerkennen ihrer Anwesenheit. Nicht wirklich die Art, wie sich Kurt sonst so verhält. Überhaupt nicht seine Art. Deswegen bin ich jetzt hier. Um alles für ihn zu machen, damit es ihm wieder besser geht. Seems to matter what I do, so I'm saving this 4 U Cos it seems to be the last piece there is And you haven't had a chance yet to taste this Fragments of a life you shouldn't miss „Hey ...“ Ich wage es schon fast gar nicht, laut zu sprechen. Das Öffnen und Schließen der Tür war mir schon viel zu laut, obwohl im Hintergrund Musik läuft, von der ich mit 100 prozentiger Sicherheit sagen kann, dass Kurt sie nicht bewusst ausgewählt hat. Vielleicht in den Karton mit der Musik einfach rein gegriffen und irgendetwas angeschaltet, um die Stille zu vertreiben. Das ist nicht seine Musik, auch wenn er sonst offen für alles ist. Aber in solch einer Situation vermutlich eher nicht. Oder vielleicht sogar deswegen erst recht etwas, dass er sonst nicht ohne absoluten Ausnahmezustand hören würde. Er blickt kurz auf, als ich ihn anspreche. Seine Augen bleiben an meinen hängen und ich kann in ihnen sehen, dass er wollte, dass ich zu ihm komme, obwohl er nicht an sein Handy ran ging. Eben jenes liegt neben ihm, unberührt, seit er es achtlos neben sich hat fallen lassen. Ich kann mir die Szene gut vorstellen. Er sitzt auf dem Bett, an das Kopfende angelehnt, sein Kissen im Rücken, die Beine ausgestreckt, und er rückt wortlos beiseite, als ich auf ihn zukomme. Komm zu mir, sagt er. Und als er sich an mich drückt, schreit das nach einem Bleib bei mir. Kurt wird wieder hoch kommen. Er ist nicht der Typ Mensch, der sich von so etwas vollständig runter ziehen lässt. Nur jetzt, in diesem Moment, erlaubt er sich die Freiheit am Boden zerstört zu sein. Und ich werde ihm helfen wieder aufzustehen. Ich liebe diesen Mann viel zu sehr, als dass ich ihn liegen lassen würde, selbst wenn er von alleine aufstehen kann. „Hey … Kurt ...“ Sein Kopf ruht auf meiner Schulter, sein rechter Arm auf meiner Brust, sein Blick ausdruckslos auf den Briefumschlag im Regal gerichtet, den er von hier aus natürlich perfekt im Sichtfeld hat. Vielleicht hätte ich ihn vorher meiner Behandlung unterziehen sollen, bevor ich mich zu Kurt ins Bett legte. „Ich war so fest davon überzeugt, dass ich es schaffen würde. Dass wir beide es schaffen würden … es war mein Traum … Nyada sollte der Anfang sein, das Sprungbrett zum Broadway ...“ Seine Stimme klingt genauso wie sein Blick. Er hat sich wohl erst vom Schmerz der Enttäuschung betäuben lassen und ihn dann in ihm vergraben, sich selbst gleich mit. Ich schaue ihn an und es tut weh, ihn so zu sehen. Kurt ist ein Kunstwerk in prächtigen Farben, schillernd und strahlend, hervorstechend und miteinander harmonierend, ein beispielloses Bild an Schönheit. Jetzt wirkt er nur wie eine kleine, graue Maus. Nicht Kurt. „Nicht war.“ Seems to matter what I say, so I'll hold my tongue at bay And rather use my mouth to kiss your frown away So your doubts no longer darken your day So you can hold your head up high come what may Kurt schaut nur kurz auf, nur ein kleines Zucken mit dem Kopf nach oben, damit er ein wenig besser in mein Gesicht sehen kann. Bis zu meinen Augen reicht es aber nicht. Ich küsse sein Haar, küsse seine Stirn, drücke ihn mit dem Arm, der auf seinen Schultern liegt, an mich. Fest. Du bist nicht allein. „New York ist dein Traum, Kurt.“ Und wird es immer bleiben. Ich war besorgt. Nein, das war vermutlich noch untertrieben. Ich war nicht besorgt. Ich hatte tierische Angst, dass ich ihn über die Entfernung verlieren könnte. Oder nicht nur könnte, sondern sogar würde. New York hat ihm so viel zu bieten, das spannende und grandiose Leben, das er sich erträumt, der Weg zum Broadway, wo sein Herz hingehört und wo er wirklich zu Hause ist. Wäre ich da nicht irgendwie fehl am Platz? Ich hatte mir versucht vorzustellen, wie ich in dieses Bild – oder vielmehr in meine Version des Ganzen – reinpasste und ich war auf ganzer Linie gescheitert. Kurt hatte mich vom Gegenteil überzeugt. Ich würde ihn nicht verlieren. Wir wären noch immer zusammen, wenn New York ihn gänzlich in ihren Händen hätte und er der größte Star am Broadway war. Nur jetzt … jetzt hatte er New York verloren. „Wie denn ohne Nyada? Das war die Chance für einen festen Boden, die beste Möglichkeit, es war -“ „Es war eine Möglichkeit. Du bist zu großartig, als dass du nur mit Nyada deinen Traum verwirklichen könntest.“ Ich unterbreche ihn, weil ich ihn nicht weiter so reden hören will. Nicht in diesem gleichgültigen Tonfall, wenn es um so etwas wichtiges geht. Ich will sein Strahlen wieder. „Aber wie?“ „Kurt.“ Bestimmt drücke ich mit den Fingern der rechten Hand unter sein Kinn, zwinge ihn, sein Gesicht anzuheben und mir in die Augen zu sehen. Natürlich könnte er sich wehren, wenn er wollte. Wenn er wirklich wollte, dann müsste er sein Gesicht nur zur Seite drehen und er wäre von meinem Druck befreit. Stattdessen gibt er nach, nimmt den Blick von dem dummen Briefumschlag und schaut mich an. „Dieses Jahr geht die Welt nicht unter. Wir schaffen das schon, Kurt.“ So please remember that I'm gonna follow through all the way Der Ausdruck in seinen Augen ist zweifelnd, aber hey, zumindest ist da schon mal überhaupt ein Gefühl. Punkt für mich. „Aber Nyada -“ „Nyada ist jetzt erst mal egal, Kurt.“ „Aber -“ „Nein. Jetzt geht es um dich.“ „Aber Nyada war ich. Nyada war alles für mich.“ Verzweiflung. Noch ein weiteres Gefühl, leider aber in die verkehrte Richtung und nicht wirklich das, was ich erreichen will. „Nicht Nyada, New York. Der Broadway. Nyada ist eine Möglichkeit für dich, aber du bist ein so hell leuchtender Stern am Himmel, du kannst gar nicht übersehen werden. Du kommst nach New York und du wirst deinem Traum schneller näher sein als du dir vorstellen kannst.“ Jetzt wirkt sein Blick beinahe überrascht. Er mustert mich zweifelnd, dann lächelt er plötzlich schief, ein Mundwinkel leicht hochgezogen, die Augenbrauen in leichtem Unglauben zusammengezogen. „Hat Rachel das gesagt?“ „Es ist eines der unendlich vielen Sachen, die sie gesagt hat, die ich dir sagen soll. Das war … das einzige, was ich mir wirklich merken konnte und was nicht zu … weit hergeholt klang.“ Er lacht leise und legt den Kopf wieder an meine Schulter, kuschelt sich an, ganz anders als vorher, wenn auch nur minimal. Als würde sein Körper wieder regulär durchblutet werden, nun, da er wieder das erste Anzeichen von menschlichen Gefühlen gezeigt hat. Es ist deutlich angenehmer, obwohl es nur eine unwesentliche Veränderung ist. Ich küsse wieder seine Stirn. „Aber mal ehrlich. Sie hat Recht, Kurt. Du schaffst das. Es ist schlimm, ja, aber nicht dein Untergang. Deine Zeit kommt erst noch, du kannst jetzt nicht schon den Kopf in den Sand stecken.“ Wieder schaut er auf, eine Augenbraue fragend hochgezogen, als würde er nicht glauben, dass dieser Satz von mir kommen könnte. „Nein, ich mein's ernst, Kurt.“ Ich grinse und lege meine Arme um ihn. „Wirklich. Ich brauch keine Rachel, die mir einen ganzen Akt an Phrasen vorsagt, die dich aufbauen sollen, um zu sehen, was du noch erreichen kannst. Du bist großartig.“ Sage es und meine es von ganzem Herzen auch so. Großartiges Aussehen, großartiger Charakter, großartige Stimme, großartiger Mann. Wer kann sich nicht in ihn verlieben, wer ihn kennt? Ich würde so gut wie alles für ihn machen, damit er seinen Traum verwirklichen kann. So hell strahlen kann, wie er es verdient – um es in Rachels Worten auszudrücken. Er verdient so viel mehr, er ist so viel mehr als ein trauriger, kleiner Haufen Elend nach einer Absage. Er ist ein Kämpfer, ein Perfektionist, der sich seinen Platz an der Spitze verdient hat, wenn er oben steht. Ich drücke ihn an mich und wiege uns leicht hin und her, genieße die Wärme seiner Nähe, das angenehme Gefühl. Ich weiß noch nicht, wo ich bin, wenn er oben ist. Ich träume auch, mein Traum hat jedoch noch nicht ganz so konkrete Formen wie seiner. Aber ich habe auch noch etwas mehr Zeit. Das letzte Jahr steht bei mir erst noch aus und bis bei mir die unbedingte Notwendigkeit besteht, mich zu entscheiden, vergeht noch mindestens eben jenes Jahr. Ein Jahr, in dem ich Kurt helfen kann zu finden, was auch immer er braucht, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Es wird nicht lange dauern. So ist Kurt nicht. Ich bin mir sicher, er ist jetzt in seinen Gedanken wieder auf festerem Boden und allerspätestens nächste Woche wird er wieder wissen, wo genau sein Weg hinführt und wie er dort hinkommt, wo er wirklich aufblühen kann. Aber er wird den Weg nicht alleine gehen. Auch wenn meiner vielleicht in eine andere Richtung führt. Letzten Endes führen sie zum gleichen Ziel. Oh my love, if it's all I can do, I'll take the fall 4 U Cos I will soar when I lay down with you and give my all 4 U Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)